Margarete Steiff - Gabriele Katz - E-Book

Margarete Steiff E-Book

Gabriele Katz

4,9

Beschreibung

Die weltbekannten Steiffbären aus Giengen an der Brenz sind eine Freude für Groß und Klein. Doch dass Margarete Steiff diejenige war, die den geistigen Grundstein für das erfolgreiche Unternehmen "Steiff" legte, ist nicht jedem geläufig. Genauso wenig wie die Tatsache, dass sie sich mit einer Kinderlähmung zurechtfinden musste. Sie setzte sich in einer von Männern dominierten Welt der Unternehmer durch und verlieh ihrer Liebe zu Kindern mit unzähligen Filztieren Ausdruck. Sie erschuf in der Zeit von Max und Moritz und Struwwelpeter völlig neue und unkonventionelle Anreger zu kreativem Spiel, zu Ausgelassenheit, Freude und Spaß. Als ihr Neffe schließlich den berühmten Teddy kreierte, war der Durchbruch zum Welterfolg geschafft. Der Puppenbär wurde Kult und ist es bis heute geblieben. Gabriele Katz vermittelt anhand dieser außergewöhnlichen Biografie, welche gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklungen zu Lebzeiten Margarete Steiffs vonstatten gingen und mit welchen Problemen eine selbstständige Frau im Kaiserreich zu kämpfen hatte.

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GABRIELE KATZ

MARGARETE

Steiff

DIE BIOGRAFIE

Die Veröffentlichung dieses Werkes erfolgt auf Vermittlung von BookaBook, der Literarischen Agentur Elmar Klupsch, Stuttgart.

Die deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter www.dnb.de abrufbar.

Neue, überarbeitete Auflage 2015© Der Kleine Buch Verlag, KarlsruheProjektmanagement & Korrektorat: Julia PrusUmschlaggestaltung, Satz & Layout: Beatrice HildebrandLogo: Margarete Steiff GmbHDruck: Orga-Concept e.K., FilderstadtErstausgabe erschienen bei Osburg Verlag, Berlin 2011Lektorat: Clemens Brunn, Hirschberg

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes (auch Fotokopien, Mikroverfilmung und Übersetzung) ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Dies gilt auch ausdrücklich für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen jeder Art und von jedem Betreiber.

ISBN: 978-3-7650-2110-7

Dieser Titel ist auch als Printausgabe erschienen:ISBN: 978-3-7650-8902-0

www.derkleinebuchverlag.dewww.facebook.com/DerKleineBuchVerlag

Inhalt

Vorwort

1. Kapitel. Ein behindertes Kind

2. Kapitel. Fromme Netzwerke

3. Kapitel. Vom Ernst des Lebens

4. Kapitel. Die Schwestern Steiff

5. Kapitel. Etablierung im elterlichen Haus

6. Kapitel. Spieltiere

7. Kapitel. »Erste Filz-Spielwaren-Fabrik Deutschlands«

8. Kapitel. Nichten und Neffen

9. Kapitel. Im »Glashaus«

10. Kapitel. Bärenboom

11. Kapitel. Bilanz ziehen

12. Kapitel. Abschied

Danksagung

Anmerkungen

Literaturverzeichnis

Register

Bildnachweis

»Die vier Füße begannen sich gleich nach dem Zeitmaß zu regen, nicht schrittweis wie zuvor und bedächtig, vielmehr im kunstgerechten Tanz, als hätten sie von klein auf mit dem Seil verkehrt, und schien ihr ganzes Tun nur wie ein liebliches Gewebe, das sie mit der Musik zustand zu bringen hätten.«

Eduard Mörike, Das Stuttgarter Hutzelmännlein

Vorwort

In seiner Erzählung Das Stuttgarter Hutzelmännlein aus dem Jahr 1853 lässt Eduard Mörike seinen Protagonisten nach einer abenteuerlichen Wanderschaft das Liebes- und Lebensglück auf einem Jahrmarktshochseil finden.

Den Wunsch, zu gehen und beide Arme voll bewegen und nutzen zu können, musste Margarete Steiff als junge Erwachsene nach zahlreichen und langwierigen Heilungsversuchen endgültig aufgeben. Der Wunsch, sich schwerelos fortzubewegen, sollte die behinderte Frau ein Leben lang begleiten. Das »Leben als Hochseilakt«, wie es der schwäbische Dichter in seiner kunstvoll aufgebauten, märchenhaften Erzählung beschreibt, enthält, als ein Lebensgefühl verstanden, mindestens zwei Elemente: Da ist einerseits die Angst vor dem Absturz in die Tiefe und andererseits das angstfreie Erleben freundlicher Weiten. Beide Gefühle hat Margarete Steiff in ihrem Leben kennengelernt, und sie haben prägende Spuren hinterlassen, denen wir nachgehen werden.

Mit eineinhalb Jahren erkrankte Margarete Steiff an der damals noch völlig unbekannten und nicht therapierbaren Kinderlähmung, die sie fortan zu dem machte, was ihre Zeitgenossen einen »Krüppel« nannten.

Sie war jedoch ein äußerst vitales Mädchen und lehnte sich von frühester Jugend an vehement gegen die Außenseiterrolle auf, die die Gesellschaft ihrer Zeit einem behinderten Menschen zudachte. Stattdessen entwickelte sie Strategien, um sozial zu überleben.

Margaretes Problem war das Milieu, in das sie in Giengen an der Brenz, einer kleinen Stadt am Rande der Schwäbischen Ostalb, fernab von der württembergischen Residenzstadt Stuttgart, hineingeboren worden war. Das kleine Mädchen war von Menschen umgeben, die alle körperlich arbeiteten, um den Lebensunterhalt der Familie zu sichern. Diese Leistung wurde unter allen Umständen auch von ihr erwartet. Nach dem Ende ihrer Schulzeit stand Margarete Steiff – deren Vorname im heimischen Giengen auf der ersten Silbe betont wird, also Margarete – vor der beschwerlichen und langwierigen Aufgabe, sich in einem beschädigten Leben einzurichten.

Die typisch weibliche Existenz mit Ehemann und Kindern blieb einer jungen Frau im Rollstuhl versagt, auch wenn sie sehr hübsch war, einen freundlichen, offenen Charakter hatte und die Menschen von klein auf mit Charme und Einfallsreichtum an sich binden konnte. Margarete musste Schritt für Schritt lernen, eigenständig für ihren Lebensunterhalt zu sorgen.

Nachdem sie 13 Jahre als Lohnnäherin gearbeitet hatte, gelang es ihr, sich mit einer eigenen Werkstatt zu etablieren. Glücklicherweise hatte sie männliche Vorbilder und Ratgeber in ihrer näheren Umgebung, mit denen sie sich austauschen konnte und die sie zu Überlegungen anregten, wie sie effektiver mit ihrer Arbeitskraft umgehen und ihre Kreativität besser zum Unterhalt ihres Lebens einsetzen könnte.

Sie begann mit der Produktion und dem Versand von Kleidung und dekorativen Haushaltsartikeln wie Kissenhüllen und Tischdecken aus dem strapazierfähigen Material Filz. Ihre Idee, weich gestopfte Spieltiere aus diesem Material herzustellen, verwirklichte sie über mehrere Jahre hinweg nur in kleinen Stückzahlen. Dann setzte im Deutschen Kaiserreich ein wirtschaftlicher Boom ein, viele Menschen konnten plötzlich Geld ausgeben – auch für ihre Kinder.

Margarete Steiff nutzte beherzt ihre Chance. Sie wurde Industrielle in einer Branche, die erst im Entstehen war. Ihre Neffen und auch eine Nichte traten in die Firma ein. Steiff positionierte sich auf dem internationalen Markt. Als Richard Steiff den heute noch auf der ganzen Welt von Kindern und Erwachsenen gleichermaßen heiß begehrten Teddybären entwickelte, war das ein Meilenstein der zeitgenössischen Pädagogik.

Die weltweite Begeisterung für den beweglichen Plüschbären überschüttete die Firma Steiff mit einer Lawine von Aufträgen. Um die enorme Nachfrage auch nach den übrigen Spieltieren bewältigen zu können, veranlasste Margarete Steiff die Errichtung ultramoderner Fabrikgebäude aus Glas und Stahl: ein ästhetischer Schock in ihrer beschaulichen Umgebung. Das 20. Jahrhundert war damit überraschend, unübersehbar und endgültig in Giengen angekommen.

Bei allen Turbulenzen gab sich die erfolgreiche Unternehmerin ganz eins mit der Rolle, die sie sich in der Gesellschaft erkämpft hatte; das war schwer genug gewesen. Nur keine Schwäche zeigen war das Fazit, das ihr schwacher Körper sie zu ziehen lehrte.

1908 schrieb Margarete Steiff die Geschichte ihrer Kindheit und Jugend nieder. Bereits Jahre zuvor hatte sie ein kleines, in Leder gebundenes Buch mit leeren Seiten geschenkt bekommen. Ihre Erinnerungen begann sie mit den Worten: »Tagebuch von Fräulein Margarete Steiff. Dieses Buch wurde mir einst geschenkt mit der Weisung, meine Lebensgeschichte dareinzuschreiben; endlich komme ich dazu, damit zu beginnen, glaube aber nicht, dass es etwas rechtes wird, den[n] schriftstellern ist nicht meine Sache. Ich gebe, was ich kann, und meine Eigenen werden mich schon verstehen.«

Die Einundsechzigjährige war es nicht gewohnt, viele Worte um sich zu machen. Und seit Jahrzehnten war sie darin geübt, stark zu sein. Dementsprechend wählte sie einen sehr offiziellen, heiteren Duktus, der kaum ein wirkliches Gefühl erahnen lässt. Eines sollte unmissverständlich klarwerden: Sie hatte sich in diesem Leben durchsetzen wollen, und das war ihr gelungen. Selbstmitleid und Sentimentalität waren der Schwäbin völlig fremd. Selbstbeherrschung war alles. Dass sich Fremde für ihr Leben interessieren könnten, kam der Chefin einer Weltfirma nicht in den Sinn. Und daher hörte sie konsequenterweise mit dem Schreiben auf, als sie zu der Zeit ihres Lebens vorgedrungen war, die die Verwandten miterlebt hatten.

Es ist schon vergleichsweise viel über Margarete Steiff geschrieben worden. Von den zahlreichen Publikationen zum Thema historisches Spielzeug sollen hier stellvertretend die von Marianne und Jürgen Cieslik sowie die von Günther Pfeiffer hervorgehoben werden. Letzterer widmete sich besonders Richard Steiff und den Fabrikneubauten. Das Tor zur Kindheit von Wolfgang Heger aus dem Jahr 1997 hat die örtlichen Quellen zum Leben von Margarete Steiff erhoben. Es ist akribisch recherchiert und bietet unzählige Detailinformationen über die Geschichte der Stadt, in der Margarete Steiff aufwuchs. Die Berührung Margaretes mit dem Pietismus hielt das Interesse an ihrer Person auch in der frommen Literatur wach. In ihrer 2005 erschienenen Kleinen Chronik großer Frauen reiht Elisabeth Stiefel die Spielzeugfabrikantin unter den besagten »großen Frauen« ein. Ihre Behinderung wird als Prüfung Gottes interpretiert, die Meisterung ihres Lebens ein »Ja zu Gottes Wegen« genannt. Mit Margarete Steiff. Ich gebe, was ich kann hat Ulrike Halbe-Bauer 2007 einen liebevollen Jugendroman veröffentlicht, der seine Protagonistin allerdings allzu sehr mit ihrem Schicksal hadern lässt.

Ein Dokumentarfilm über den »Knopf im Ohr« von Stefanie Baumann aus dem Jahr 1998 setzte Leben und Werk erstmals in Bilder um. Der Spielfilm Margarete Steiff aus dem Jahr 2005 unter der Regie von Xaver Schwarzenberger errang den Bayerischen Fernsehpreis 2006 und den Bambi-Publikumspreis; Heike Makatsch in der Rolle der Margarete Steiff erhielt zudem den Bambi als »beste Hauptdarstellerin«. Die nicht immer faktentreue Verfilmung von Margarete Steiffs Lebensgeschichte brachte deren Behinderung ins Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit. Mittels einer fiktiven Liebesgeschichte wird hier versucht, die Innenwelt der Heldin, ihre unerfüllten Wünsche und Hoffnungen – wenn auch sehr konventionell – ins Bild zu setzen. 2009 schließlich produzierte die Steiff GmbH eine zwanzigminütige gefühlvolle Dokumentation unter dem Titel »Ode an die Freude«.

Es bleiben jedoch nach wie vor inhaltliche Fragen zu Leben und Schaffen unbeantwortet: Die Frage etwa, woher gerade eine Margarete Steiff, die durch die langjährige mühe- und schmerzvolle Handarbeit zu mehr als hundert Prozent ausgelastet, ja überanstrengt war, die Kraft bezog, so völlig neue Ideen, wie es ihre Spieltiere waren, aus dem Nichts zu schaffen. Warum kam gerade sie auf die Idee, mit dem Thema »Spiel« Geld verdienen zu wollen? Welche persönliche Bedeutung hatte die Produktion der Spieltiere für ihre Schöpferin, und welchen Stellenwert nahmen die Steifftiere in der zeitgenössischen Pädagogik ein? Wie agierte Margarete Steiff als Unternehmerin? Wie sahen die Arbeitsbedingungen in ihrem Unternehmen aus? Wie veränderte sie die Lebenswelt der (arbeitenden) Frauen?

Nicht zuletzt diese Fragen rechtfertigen es, das Leben dieser Ausnahmefrau noch einmal zum Thema eines Buches zu machen – ein Unterfangen mit ganz spezifischen Schwierigkeiten: Wie nähert man sich einer Frau an, die in einem sozialen Milieu aufwuchs, in dem man möglichst nicht über sich sprach? Die in einer Gegend Deutschlands zu Hause war, in der Disziplin und Selbstverleugnung hohe Ideale waren? Die in einer Zeit lebte, in der Individualität im Lebensweg einer Frau weder anerkennende Beachtung noch interessierte Neugier entfachte, sondern als missliebige Abweichung von der Norm empfunden wurde?

Margarete Steiff führte ein verschlossenes Frauenleben – ohne Ehemann, ohne eigene Kinder, das Leben einer Tante, die zum Mittelpunkt und Oberhaupt einer agilen Großfamilie wurde. Es fehlen daher auch die typisch weiblichen Konflikte – zumindest wissen wir nichts davon. »Fräulein Steiff« lebte in einer Welt, die ihr solche Gefühle nicht zugestand. Stattdessen fand sie männliche Verbündete, die sie jahrzehntelang unterstützten. Und, völlig ungewöhnlich für die damalige Zeit: Sie nahmen sie ernst.

Es ist ein Leben, geprägt durch eine Frömmigkeit, die, ganz in der protestantischen Tradition, in der täglichen Arbeit immer auch die Arbeit »im Weinberg des Herrn« sieht. Nachdem Margarete Steiff in der Herstellung von Spieltieren einen »Beruf« gefunden hatte, der ihren Geist und ihr Gemüt gleichermaßen forderte, widmete sie sich ihm mit aller ihr zur Verfügung stehenden Kraft und Energie.

Kontur gewinnt dieses Ausnahmeleben im Vergleich mit dem Leben der Frauen in Margaretes Umgebung: dem der Mutter, ihrer Tanten, der Frauen in den pietistischen Kreisen, dem Leben ihrer Schwestern und ihrer Schwägerin. Es sind dies die Leben der ausgelaugten, überarbeiteten Ehefrauen, der sprichwörtlichen »armen alten Jungfern«, der hilflosen Witwen oder der ungefragt verheirateten Töchter. Margarete Steiff lebte wirtschaftlich unabhängig, selbstbestimmt. Dennoch hat sie mit größtem Interesse an dem anderen, dem typischen Frauenleben teilgenommen.

Margarete Steiffs Leben ist auch ein Paradebeispiel schwäbischen Familiensinns, geprägt durch ein weit gespanntes und intensives familiäres und freundschaftliches Beziehungsgeflecht. Man kannte sie, man vertraute ihr, und so wurde sie zum Teil einer lokalen Aufstiegselite. »In der Margarete arbeiten« hieß es noch Jahrzehnte nach dem Tod der Firmengründerin, wenn man in der Firma Steiff sein Geld verdiente.

Margarete Steiffs Leben ist auch Teil der Geschichte der Industrialisierung Württembergs. Neue Produktionsweisen und der Einsatz von Maschinen zogen die Arbeit in die Fabriken. Ein grundlegender gesellschaftlicher Wandel ergriff auch die Familie. Die Frauen, die zum Arbeiten in die Firma Steiff, also in die »Margarete«, kamen, führten ein völlig neues Leben.

Die Entwicklung zur bürgerlichen Kleinfamilie bildete den Rahmen für die Etablierung der Kindheit als selbstständiger Lebensabschnitt und bereitete so den Boden für die Spielzeugindustrie. Entsprechend versuchte die zeitgenössische Pädagogik, die Kinder auf ihre Rolle im Erwachsenenleben vorzubereiten. Die Tiere von Margarete Steiff wiesen den Kindern keine geschlechtsspezifischen Rollen zu und bereiteten nicht auf das Erwachsenenleben vor. Sie waren aus der Perspektive des Kindes entwickelt, sollten Spaß machen, robust und langlebig sein; der Rest blieb den Kindern überlassen. Ihre Schöpferin schwieg über etwaige eigene pädagogische oder sonstige Beweggründe, die sie mit der Herstellung ihrer Tiere verband.

Hunderttausende von Steifftieren brachten das »Alles ist möglich« der Gründerzeit auf den Punkt und spiegeln bis heute die fundamentale Lebensbejahung der Unternehmerin wider. Sie stehen für den starken und rebellischen Charakter einer Frau, in deren eigener Kindheitswelt es kein Spielzeug gegeben hatte und Spielen als Zeitverschwendung verachtet worden war.

Margarete Steiff arbeitete sich heraus aus Beengung und vorgeschriebenen Rollen, führte ein Leben in der luftigen Höhe von Kreativität und Innovation, wirtschaftlichem Risiko und gesellschaftlichem Aufstieg; ein Leben, das über weite Strecken tatsächlich einem Hochseilakt gleicht. Getragen von einer tief empfundenen Religiosität fühlte sie sich auch in diesen Phasen ihres Lebens wohlaufgehoben und geborgen.

Paradoxerweise machte es gerade Margarete Steiffs Behinderung möglich, dass sie sich aus den zeittypischen Konventionen für Frauen herausentwickeln konnte. In der Zeit der Industriebarone und Kommerzienräte war Margarete Steiff eine »Industriebaronesse«, eine »Selfmadewoman«, eine Pionierin in der Männerdomäne Unternehmertum. Sie war, um mit der Unternehmensberaterin und Buchautorin Gertrud Höhler zu sprechen, eine Wölfin unter Wölfen. Die überaus emanzipierte Persönlichkeit, die sich den damaligen Rollenklischees für Frauen erfolgreich widersetzte, schrieb auch ohne öffentliche Resonanz Unternehmens- und Kulturgeschichte.

Je eingehender man sich mit ihrer Person beschäftigt, umso mehr verstärkt sich der Wunsch, Margarete Steiff wäre in ihrer Innenperspektive nicht so bescheiden gewesen, sondern hätte aus ihrem emanzipatorischen Tun auch das entsprechende Bewusstsein ziehen mögen. Die Sächsin Louise Otto-Peters trat in Deutschland bereits während des Vormärz für die Rechte der Frauen ein. 1866 veröffentlichte sie ihre Schrift Das Recht der Frauen auf Erwerb. Über die Bedeutung der Erwerbstätigkeit für alle Frauen heißt es dort: »[…] nur dadurch können sie wahrhaft befreit werden – jeder Emanzipationsversuch, der auf einer anderen Basis ruht, – ist Schwindel.«

1905 signierte Margarete Steiff diese um 1897 entstandene kolorierte Zeichnung »Elefant auf Veloziped« und versah sie mit einem Datumsstempel – ein deutliches Zeichen, wie wichtig ihr der scheinbar schwerelose, heitere Zirkuselefant war.

1. KapitelEin behindertes Kind

In der Welt, in die Apollonia Margarete Steiff am 24. Juli 1847 hineingeboren wurde, war der Platz eines Mädchens und einer Frau ganz genau festgelegt. Ein Mädchen hatte sanft zu sein und sich leicht erziehen zu lassen. Bescheiden, fleißig und folgsam, hatte es nur dann zu reden, wenn es gefragt wurde. Später sollte es tugendhaft sein, hübsch, aber nicht allzu schön, gesund und kräftig, keinesfalls eitel und anspruchsvoll. Eine junge Frau musste sich willig verheiraten lassen, gesunde Kinder bekommen und eine treue Ehefrau sein, die mit dem Geld ihres Mannes sparsam umging, seinen Besitz mehrte, sich ihm unterordnete und seine Tage ruhig und friedlich gestaltete: Sie hatte ein Leben lang für andere da zu sein.

»Das Stufenalter der Frau«, ein Bilderbogen aus dem Jahr 1900, setzte die ideale weibliche Biografie in einer auf- und absteigenden Kurve ins Bild. Er war als Belehrung über zukünftige Rollen gedacht und wurde gern zur Konfirmation oder zur Verlobung verschenkt: Die Betrachterin sieht links das kleine Mädchen, das fröhlich Federball spielt, die von einem Mann umworbene junge Frau, die glückliche Mutter. Den Höhepunkt weiblichen Lebens markiert im Alter von 50 Jahren der erste Enkel – wogegen sich der gleichaltrige Mann im entsprechenden Bilderbogen auf dem Gipfel seines Berufslebens und damit auch seines persönlichen Erfolges befindet. Für die ältere und alte Frau folgen der Verlust des Ehemannes und der einsame Lehnsessel als abfallende Stufen der Lebenslinie. Von frühester Kindheit bis zum Tod bleibt das Leben der Frau auf die Familie beschränkt und durch Männer bestimmt. Ihre Aufgabe ist es, den Fortbestand der Familie zu sichern. Dafür gebühren ihr die Anerkennung und der Dank der Kinder und Enkel. Der Mann dagegen hat sich im Kampf mit der Welt zu bewähren.

Die Rolle der Frau war zur Zeit von Margarete Steiffs Geburt genau festgelegt: Sie sollte Ehefrau und Mutter werden und ihr Lebensglück in der Familie finden.

Dieses auf Mann und Familie zentrierte Frauenbild hatte bei der Entstehung des Bilderbogens bereits eine lange Tradition, wurde doch stets die Erschaffung Evas aus der Rippe Adams gemäß dem jahwistischen Schöpfungsbericht im Alten Testament (Genesis 2,22) als Beleg für die Zweitrangigkeit der Frau herangezogen. Und genau dieses biblische Geschehen wird auch auf dem kolorierten Bild in der Mitte des Fundaments jener Stufentreppe dargestellt, auf der sich hier das »ideale« Frauenleben entfaltet.

Das in seiner Zeit als Wandschmuck äußerst beliebte »Stufenalter der Frau« zeigt eine bürgerliche Frauenbiografie. Im Handwerkermilieu, dem Margarete Steiff entstammte, kam zu der auch dort selbstverständlichen Fremdbestimmtheit und Familienbezogenheit der Frau noch hinzu, dass bereits das kleine Mädchen der Mutter in Haus und Garten sowie bei der Beaufsichtigung der kleineren Geschwister helfen musste. Die unverheiratete Tochter ging den Eltern selbstverständlich täglich zur Hand, und die Frau eines Handwerkers half in der Werkstatt mit, wenn eine weitere Hand gebraucht wurde.

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