Maria Sabina -  - E-Book

Maria Sabina E-Book

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Beschreibung

Neuausgabe des Klassikers über den psychedelischen Pilzkult in Mexiko. Maria Sabina, die Botin der heiligen Pilze, war eine Schamanin und Heilerin aus dem mexikanischen Indianervolk der Mazateken. Sie lüftete in den fünfziger Jahren das Geheimnis der heiligen Pilze Mexikos. R. Gordon Wasson, ein Bankier aus New York, wurde von ihr – als erster Weißer – in die Welt der psychedelischen oder entheogenen Zauberpilze eingeführt. Im ersten Teil des Buches erzählt Maria Sabina ihre Lebensgeschichte. Sie berichtet von den geheimen Heilritualen, von ihrer Begegnung mit den Weißen und ihrem Heimatort Huautla im Bergland von Oaxaca. Im zweiten Teil finden sich Artikel von Wissenschaftlern und Forschern. Neben persönlichen Erinnerungen an die Schamanin werden indigene und moderne Pilzrituale vorgestellt. Erkenntnisse aus Mykologie, Chemie und Pharmakologie sowie Berichte über den Einsatz von Pilzwirkstoffen in der Psychotherapie runden dieses den Pilzen würdige Buch ab. Erstmals erschienen 1996 als Geschenk zum 90. Geburtstag von Albert Hofmann, dem Entdecker der Pilzwirkstoffe Psilocin und Psilocybin. Neuausgabe 2023

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Seitenzahl: 646

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María Sabina

Botin der heiligen Pilze

Vom traditionellen Schamanentum zur weltweiten Pilzkultur

Herausgegeben von Roger Liggenstorfer und Christian Rätsch

Mit Beiträgen vonBetty G. Eisner, Álvaro Estrada,Jochen Gartz, Albert Hofmann,Hartwig Kopp-Delany, Hartmut Laatsch,Hanscarl Leuner, Roger Liggenstorfer,Jonathan Ott, Torsten Passie,Christian Rätsch, Michael Schlichting,René Strassmann und Franz X. Vollenweider

Unveränderte NeuauflageDie erste Auflage erschien als Geburtstagsgeschenkzum 90. Geburtstag von Albert Hofmann 1996

E-Book-Ausgabe

Die Verbreitung dieses Produkts durch Funk, Fernsehen oder Internet, per fotomechanischer Wiedergabe, auf Tonträgern jeder Art, als elektronisches beziehungsweise digitales Medium sowie ein über das Zitier-Recht hinausgehender auszugsweiser Nachdruck sind untersagt. Jegliche öffentliche Nutzung bzw. Wiedergabe setzt die ausdrückliche, schriftliche Genehmigung der Nachtschatten Verlag AG voraus.

Diese Publikation enthält versteckte und personalisierte Informationen bezüglich Herstellung, Vertrieb, Verkauf und Käufer. Im Falle von unerlaubter Verbreitung des Inhalts behält sich der Rechteinhaber vor, Missbräuche juristisch zu belangen.

Herstellung:

Bookwire GmbH

Voltastraße 1

60468 Frankfurt am Main

Deutschland

Verlag:

Nachtschatten Verlag AG

Kronengasse 11

4500 Solothurn

Schweiz

Impressum

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CH - 4500 Solothurn

Tel: ++41-32-621 89 49

Fax ++41-32-621 89 47

[email protected]

www.nachtschatten.ch

© 1996 für diese Ausgabe beim Nachtschatten Verlag

© 1996 der einzelnen Artikel bei den jeweiligen Autoren, sämtliche deutschen Rechte bei Nachtschatten Verlag

(Mykologisch begutachtet durch Jochen Gartz)

© 3. korrigierte Auflage 2023

Die deutsche Übersetzung der Texte von Álvaro Estrada beruht auf der überarbeiteten und erweiterten 7. mexikanischen Auflage, erschienen unter dem Titel Vida de María Sabina: La sabia de los hongos.

Übersetzung von Daniela Baumgartner und Christian Rätsch.

Satz und Layout: Janine Warmbier

Umschlaggestaltung: Nina Seiler

Nachbearbeitung: Claudia Möckel

Druck: Druckerei & Verlag Steinmeier

Printed in Germany

ISBN 978-3-03788-655-7

eISBN 978-3-03788-661-8

Bildnachweis:

Soweit nicht anders vermerkt, stammen alle Illustrationen aus dem Archiv Christian Rätsch und Claudia Müller-Ebeling.

Die Illustrationen zur Geschichte Bardo und der Nebelkönig wurden von Janine Warmbier extra angefertigt.

Dieses Buch war auch in einer limitierten, nummerierten, in Leinen gebundenen Sonderausgabe (Auflage 500 Stück) mit einer Würdigung zu Albert Hofmanns 90. Geburtstag (11.1.1996) erhältlich.

Von der 2. Auflage 1998 gab es eine Lizenzausgabe beim AT Verlag unter dem Titel: »Pilze der Götter«.

Inhalt

Prolog: Eine Indianerin macht Kulturgeschichte

Teil I: María Sabina – die Botin der heiligen Pilze

Albert Hofmann

Meine Begegnung mit María Sabina

Álvaro Estrada

Einleitung zum Text

María Sabina erzählt ihr Leben (aufgezeichnet von Álvaro Estrada)

Schamanische Gesänge der María Sabina

Álvaro Estrada

Der Tod der María Sabina

Teil II: Die Welten der Pilze

Betty G. Eisner

Ein Abenteuer in Huautla

Michael Schlichting

Reise nach Oaxaca

Christian Rätsch

Das Pilzritual der Mixe

Timothy Leary’s erste Pilzerfahrung

Farbtafeln

Christian Rätsch

Lòl lú’um – »die Blüten der Erde«: Entheogene Pilze bei den Tieflandmaya

Jonathan Ott

Zum modernen Gebrauch des Teonanácatl

Christian Rätsch

Heilige Pilze in modernen Ritualen

Roger Liggenstorfer

Oink, der kosmische Kicherfaktor

René Strassmann

Sarahs Stimmen – ein traditionelles europäisches Pilzritual

Jochen Gartz

Ein »neuer« psilocybinhaltiger Pilz

Hartmut Laatsch

Zur Pharmakologie von Psilocybin und Psilocin

Franz X. Vollenweider

Perspektiven der Bewußtseinsforschung mit Halluzinogenen

Torsten Passie

Psilocybin in der Psychotherapie

Hanscarl Leuner

Religiöses Erleben durch Halluzinogene beim modernen Menschen

Hartwig Kopp-Delany

Bardo und der Nebelkönig

Bibliographie

Faksimile der Innentitelseite der klassischen Publikation mit den Erstbeschreibungen der mexikanischen Zauberpilze.(Archives du Muséum National d’Histoire Naturelle, VI, Paris, 1958)

Roger Liggenstorfer und Christian Rätsch

Prolog:

Eine Indianerin macht Kulturgeschichte

Die Mazatekin María Sabina (1894–1985) ist nicht nur die Zeugin eines alten, präkolumbianischen Pilzkultes, sondern auch, in gewissem Maße, die Begründerin der neuzeitlichen Pilzkultur, die sich weltweit etabliert. Die Pilzkultur, das Pilzwissen, breitet sich zunehmend wie ein Myzel global über dem Planeten aus.

Mit »Pilzkultur« ist nicht eine Champignonzucht gemeint, sondern der bewußte Umgang mit psychoaktiven Pilzen, von denen es über hundert Arten gibt. Den mexikanischen Indianern sind derartige Pilze heilig, denn sie heilen und stellen den Kontakt zu Göttern und Göttinnen her.

María Sabinas Lebensgeschichte – im ersten Teil des Buches in ihren eigenen einfachen, aber bewegenden Worten erzählt – offenbart die phantastische Wirkung des Pilzes in Heilzeremonien. Der Pilz unterscheidet sich von den anderen psychoaktiven Substanzen dadurch, daß er selbst etwas zu sagen hat. Die Indianerin nennt seine Offenbarungen oder Mitteilungen lenguaje, »Sprache«. Damit ist der Pilz ein »Pflanzenlehrer« oder eine »Meisterpflanze«. Der Pilz selbst wird zum Lehrer, zu einem »Pilzlehrer«. Der Pilz verhindert sogar die Etablierung von Drogengurus, weil er selbst redet.

Bevor María Sabina das Geheimnis des Pilzes aufdeckte, gab es weltweit fast kein Wissen über den göttlichen Pilz. Hätte die weise Mazatekin VALENTINA und R. GORDON WASSON nicht eingeweiht, wer weiß, vielleicht wäre das Wissen um die magischen Kräfte der psilocybinhaltigen Pilze gänzlich verschwunden. Es ist auf jeden Fall María Sabina zu verdanken, daß wir heute soviel über die psychoaktiven Pilze wissen und daß wir aus ihrem Gebrauch soviel Nutzen ziehen können.

Die Pilze sind ein wahres Naturwunder. Ihre Lebenszyklen sind so fremdartig, daß man sie wirklich für Außerirdische oder Aliens halten könnte – TERENCE MCKENNA glaubt, daß sie von den Sternen als eine Art »kosmische Flaschenpost« zu uns gelangt sind. Aber sie sind ganz tief in unserem Planeten, in unserer Kultur und vor allem in unserem Bewußtsein verwurzelt. Es haben noch niemals so viele Menschen psychedelische Pilzerfahrungen gemacht wie heute. Der Pilz wird zunehmend als heiliges Wesen, als Naturgottheit oder als spiritueller Wegbereiter verehrt. Selbst Menschen, die in psychotherapeutischen Settings die Pilzwirkstoffe verabreicht bekamen, sind mit religiösen Gefühlen erfüllt und haben oft tiefe spirituelle Einsichten, durch die sie ihr Leiden überwinden können. Viele Menschen, die mit den Zauberpilzen Freundschaft geschlossen haben, erkennen die Heiligkeit der Natur, zu der auch sie gehören.

Alles weist darauf hin, daß auch unsere europäischen Ahnen das Geheimnis der Zauberpilze kannten. Offensichtlich würzten die Germanen ihren heiligen Met mit Spitzkegeligen Kahlköpfen (Psilocybe semil anceata); die Kelten reisten mit der »Feennahrung« – so heißen die Zauberpilze im Gälischen – in die Anderswelt. Die Orphiker ergründeten die dionysischen Mysterien mit einem Wein, der anscheinend mit Psilocybe-, Panaeolus- oder Amanita-Arten zu einem echten Göttertrunk veredelt wurde. Leider sind die heidnischen Naturreligionen Europas von den Christen radikal unterdrückt und ausgerottet worden. Dadurch wurde auch das Urwissen um die heiligen Pilze ausgerottet. Als die Christen in die Neue Welt zogen, um mit Hilfe der »Frohen Botschaft« einen der schrecklichsten Völker- und Kulturmorde der Menschheitsgeschichte zu begehen, versuchten sie auch dort den Pilzkult zu unterdrücken – zum Glück erfolglos. Ironischerweise haben die Spanier sogar dazu beigetragen, die psychedelische Mykoflora Mexikos um die in Rinder- und Pferdedung wohnenden Pilze Stropharia cubensis, Panaeolus (Copelandia) cyanescens und anderer Arten zu bereichern!

»Das Gerede der Gesundheitsapostel von der Schädlichkeit dieses oder jenes oder jeden ›Rausches‹ ist nicht nur dumm (in einer Welt der Vergänglichkeit); es ist auch – bewußt oder unbewußt – unaufrichtig. Wer hätte in dieser Zeit, die ihren politischen und technischen Wahnideen bedenkenlos (auch im ›Frieden‹) Millionen von Menschenleben opfert, das moralische Recht, vom ›schlechten Beispiel‹ und der ›Sittenverderbnis‹ zu reden, die von weintrinkenden Mönchen, haschischrauchenden Sufis oder pilzeessenden Indianerpriestern ausgingen? Und doch wird es getan. – «

RUDOLF GELPKE

Von Fahrten in den Weltraum der Seele (1962: 409)

Die Indianer haben sich immer in der Natur eingebettet gefühlt und waren dadurch in der Lage, das Wissen um die Heilkraft des Pilzes zu bewahren. Wenn man diese Pilze zu sich nimmt, geht man eine Symbiose mit einem Naturwesen ein. Man bekommt einen direkten Zugang zur Weisheit der Natur, zur göttlichen Schöpfung; deswegen ist der Pilz teonanácatl, das »Fleisch der Götter«, der Götterpilz. Er wirkt bewußtseinserweiternd und erkenntnisfördernd. Er kann aber auch gnadenlos sein. Er kann den Menschen in seine eigene Hölle schleudern, er kann ihn aber auch mit der totalen Erleuchtung beschenken. Deshalb nannte der große Philosoph und Literat ALDOUS HUXLEY ihn moksha-Medizin. Der Pilz verschafft anscheinend Zugang zu einem kollektiven Urwissen (vergleichbar mit SHELDRAKE’s morphogenetischen Feldern).

Panaeolus subalteatus, gefunden in Norddeutschland.

Durch den Pilzgenuß gewinnt man sehr deutlich den Eindruck, daß die rituelle Einnahme des Pilzes und die dadurch erzeugten Erfahrungen am Anfang der Kultur und der Religion sowie am Anfang des Schamanismus stehen.

»Die Wiederherstellung direkter Kommunikation mit dem planetaren Anderen, dem Geist in und hinter der Natur, ist auf die Verwendung halluzinogener Pflanzen angewiesen. Diese Kommunikation mag unsere letzte und beste Hoffnung sein, um die steilen Wände jener kulturellen Starre aufzulösen, mit der wir geradewegs auf den Ruin zusteuern. Wir brauchen eine neue Optik, um unseren Weg in der Welt zu erkennen.«

TERENCE MCKENNA

Plan – Plant – Planet (1990: 6)

Nie zuvor haben so viele Menschen die Heiligkeit der Pilze gesehen wie heute. Der Pilz ist keine »Droge« im Sinne der Tagespresse und des Gesetzgebers, sondern ein echtes Heilmittel – vor allem für zivilisationsgeschädigte Erdenbürger. Ein echtes Heilmittel bekämpft keine Symptome, sondern ergreift den Menschen in seiner Gesamtheit und führt ihn zum Heil, z.B. weil er die Ursache des Übels aufdeckt. Es gibt kein anderes Heilmittel, das auf so vielen Ebenen wirkt wie der Pilz; er ist ein holistisches Heilmittel. María Sabina nennt die Pilze liebevoll niños santos, »heilige Kinder«. Ja, die Pilze sind die heiligen Kinder der Mutter Erde. Durch sie ist es uns Menschen möglich, die Heiligkeit der Natur, zu der wir selbst gehören, zu erkennen.

Unser krankes Verhältnis zur Erde und zur Natur zeigt sich deutlich in der Angst vor den psychedelischen Pilzen. Der Hauptwirkstoff Psilocybin ist als »nicht verkehrsfähiges Betäubungsmittel« im Betäubungsmittelgesetz klassifiziert. Die Tagespresse zählt die Pilze gerne zu den »Rauschgiften«. Pilzbücher und Pilzführer warnen vor der »Giftigkeit« der einheimischen Psilocybe-Arten; und in der »harten wissenschaftlichen« Literatur wird die bewußtseinserweiternde Wirkung als Intoxikation oder Vergiftung dargestellt. Welch ein Gegensatz zu den Aussagen der Indianer und der Pilzliebhaber, die in dem Pilz ein göttliches Wesen und ein Geschenk der Natur sehen!

Die Entdeckung der psychedelischen Pilze hat nicht nur Philosophen, Literaten und Hippies den Weg zum kosmischen Bewußtsein gezeigt, sondern auch viel Forschung stimuliert. Zunächst ist daraus die Wissenschaft der Ethnomykologie, deren Begründer R. GORDON WASSON (1898 –1986) ist, entstanden. Bei der phytochemischen Erforschung gelang es ALBERT HOFMANN, das grundsätzliche Paradigma der Ethnopharmakologie aufzustellen und allen späteren Forschergenerationen vorzuleben. In den letzten drei Jahrzehnten wurden zahlreiche Wissenschaftler durch die Pilze zu eigenen Forschungen angeregt. Es wurde auf medizinischem, pharmakologischem, psychiatrischem, neurophysiologischem Gebiet experimentiert und geforscht. Altertumsforscher förderten Beweise für archaische Pilzkulte zutage. Ethnologen zogen in alle Welt, um den Spuren der rituellen Pilzverwendung zu folgen.

Die interdisziplinäre Forschung hat derweil gezeigt, daß die psilocybinhaltigen Pilze überall auf der Welt, d.h. auf jedem Kontinent, vorkommen, sozusagen ein weltumspannendes Myzelium bilden. Für jeden stellt die Natur den Pilz bereit, zur Verfügung; die Natur ist wirklich großzügig mit ihrem Pilzlehrer. Man braucht nur offene Augen und Ohren!

Pilzkulte – weltweit? – Beim heutigen Stand der ethnomykologischen Forschung läßt sich klar zeigen, daß es traditionelle und/oder moderne (innovative) Pilzkulte in aller Welt gibt oder gab. Erst kürzlich wurde an der Elfenbeinküste der traditionelle Gebrauch psychedelischer Pilze, tamu, »Pilz der Erkenntnis« (Conocybe sp.) genannt, entdeckt (SAMORINI 1995). Und es gibt sicherlich noch mehr zu entdecken!

All die Artikel im zweiten Teil dieses Buchs zeigen, daß mit bewußtseinsverändernden Pilzen sehr wohl bewußt umgegangen werden kann. Sie können nicht nur für die Beflügelung des Geistes und der Erkenntnis fördernd wirken, sondern auch als Heilmittel eingesetzt werden. Es ist daher absolut unverständlich, daß der Gebrauch solcher Naturphänomene verboten sind. Der Mensch wird vermeintlich vor solchen Pflanzen oder Pilzen geschützt. Das Umgekehrte müßte der Fall sein: Die Natur müßte vor dem Menschen geschützt werden (man denke nur an die unseligen und völlig sinnlosen Atombombentests). Der bewußte Umgang mit geistbewegenden Pflanzen und Pilzen könnte dazu beitragen, die Natur besser zu verstehen, ihre Heiligkeit zu erkennen und sie deshalb besser zu schonen. Die Symbiose, die sich beim Verzehr psychoaktiver Pilze zwischen dem Menschen und der Natur vollzieht, ist einzigartig. Aber um dies wirklich erkennen zu können, müßte man schon mal ein paar Pilzchen essen.

Petroglyph aus dem südlichen Skandinavien. Das Pilzsymbol deutet die Reise in die jenseitige Welt an.

»Der Düngerling ist der perfekte Alchemist: er verwandelt Mist in Gold, in das goldene Licht der Erleuchtung.«

GALAN O. SEID

Die neue Alchemie

Die Pilze, diese Geschenke der Natur, dürfen nicht länger geächtet oder verboten bleiben. Der sinnvolle, d.h. gewinnbringende und heilsame Umgang damit kann erlernt werden. Dies ist aber nur möglich, wenn sich genug Menschen trauen, von diesen kostbaren Geschöpfen der Natur zu kosten, sie im richtigen Rahmen einnehmen und die erweiterten Bewußtseinszustände tiefgründig erforschen. Neuzeitliche Pilzrituale und der Einsatz von Psilocybin in der Psychotherapie bieten eine Möglichkeit dazu. Es ist höchste Zeit, die westliche Mykophobie zu überwinden und den psychedelischen Pilz wieder zu verehren.

»Somit kommt es dazu, daß wir alle in zwei Klassen geteilt sind: diejenigen, die die Pilze eingenommen haben und wegen ihrer subjektiven Erfahrung disqualifiziert sind, und diejenigen, die die Pilze nicht genommen haben und wegen ihrer totalen Unkenntnis des Themas nicht qualifiziert sind.«

R. GORDON WASSON (1961)

Im Sinne einer echten Rauschkunde ist es besonders wichtig, von den Pilzen direkt lernen zu können. Der Pilz hat uns persönlich die letzten zwanzig Jahre begleitet und uns bei unserer aufklärerischen und drogenpolitischen Arbeit unterstützt und immer wieder aufs Positivste befruchtet. Wir freuen uns, daß wir mit diesem Buch dem Pilz und seinen großartigen Kräften ein weiteres Denkmal (denk mal!) widmen können.

Danksagung

Wir ehren unsere Ahnen und Stammesältesten und danken ihnen: María Sabina dafür, daß sie den Pilzgeist hat zu uns sprechen lassen; Valentina und Gordon Wasson, daß sie den Mut besaßen, die »heiligen Kinder« zu verspeisen; Albert Hofmann, daß er den Geist aus der Flasche befreite; und Tim Leary, daß er die Theorie von Dosis, Set und Setting entdeckte. Wir tragen euch im Herzen!

Der Pilz – die »kosmische Flaschenpost« – spricht:

»Mein Myzelgeflecht hat weder Organe noch Hände, um die Welt zu bewegen; aber höhere Tiere mit manipulativen Fähigkeiten können Partner meines Sternenwissens werden und können, wenn sie in gutem Glauben handeln, zusammen mit ihrem demütigen Pilzlehrer zu den Millionen Welten zurückkehren, deren Erben alle Bürger unseres Sternenhimmels sind.«

TERENCE UND DENNIS MCKENNA

(= OSS & OERIC, Psilocybin, 1981)

Dieses Buch konnte nur durch die aufopfernde Bereitschaft und den idealistischen Einsatz aller Mitwirkenden entstehen. Wir danken den Autoren für ihre Kooperation und Begeisterung. Hartwig Kopp und René Strassmann haben das Projekt nicht nur geistig, sondern auch materiell unterstützt. Wir danken-Janine Warmbier für die liebevolle und einfühlsame Buchgestaltung.

Bei der Vorbereitung dieser Buchausgabe halfen uns dankenswerterweise Daniela Baumgartner, Rudolf Brenneisen, Gabriella von Däniken, Franz X. Faust, Abhiyanah Freitag, Wolfgang Kundrus, Sandra Leitner, Terence McKenna, Ralph Metzner, William R. Micks, Patricia Ochsner, Werner Pieper, Paul Rätsch, Sebastian Rätsch, Giorgio Samorini, Bert Marco Schuldes, Paul Stamets und Agnes Tschudin.

Für Inspiration, tatkräftige Unterstützung und Hilfe im richtigen Augenblick danken wir unseren Nymphen Anupama und Claudia von ganzem Herzen. Der Große Gott Pan lebt!

Roger Liggenstorfer undChristian Rätsch

María Sabina nimmt die heiligen Pilze für das nächtliche Heilritual.(Foto: Archiv Albert Hofmann)

Roger Liggenstorfer ist Buchhändler und Verleger. In seiner verlegerischen Tätigkeit hat er sich auf Publikationen zur Drogenaufklärung spezialisiert. Er ist Mitbegründer der Genossenschaft HanfPlus und verschiedener anderer Initiativen zur alternativen Drogenpolitik; Mitglied des ECBS (Europäisches Collegium für Bewußtseinsstudien) und des Dachverbandes für Drogenlegalisierung. Er hat das Buch Neue Wege in der Drogenpolitik herausgegeben und viele Artikel zu diesem Themenbereich veröffentlicht. Zahlreiche Reisen nach Indien haben ihm die Augen für die inneren und äußeren Räume geöffnet. Aus seiner Liebe zur Musik aller Völker und ethnischen Minderheiten heraus organisiert er seit 1994 das Uhuru-Weltmusik-Festival.

Dr. phil. Christian Rätsch ist Altamerikanist und Ethnopharmakologe. Er lebte fast drei Jahre mit den Lakandonen-Indianern im mexikanischen Regenwald und bereist seither viele Orte in der äußeren und der inneren Welt. Er erforscht seit zwei Jahrzehnten die Wirkung der Pflanzenwelt auf den Menschen sowie die damit verbundenen schamanischen Techniken und Rituale. Zahlreiche Publikationen zeugen von seiner forscherischen und abenteuerlichen Tätigkeit (z.B. Ein Kosmos im Regenwald, Chactun – Die Götter der Maya, Pflanzen der Liebe, Indianische Heilkräuter, Naturverehrung und Heilkunst, Hanf als Heilmittel). Er ist ethnologischer Beirat des Europäischen Collegiums für Bewußtseinsstudien (ECBS) und im Vorstand der Arbeitsgemeinschaft für Ethnomedizin (AGEM). Als Ethnologe versteht er sich als eine Art »Neuro-Trance-Mitter« zwischen den Kulturen und arbeitet z.Zt. als »Berufs-Myzelium«.

Teil I:

María Sabina – die Botin der heiligen Pilze

»Es liegt eine Welt jenseits der unseren, eine Welt, die weit weg, ganz nah und unsichtbar ist. Und es ist dort, wo Gott weilt, wo die Toten weilen, die Geister und die Heiligen, eine Welt, in der alles schon geschehen und alles bekannt ist. Jene Welt spricht. Sie hat eine eigene Sprache. Ich gebe wieder, was sie sagt.

Der heilige Pilz nimmt mich bei der Hand und führt mich in jene Welt, in der alles bekannt ist. Sie sind es, die heiligen Pilze, die auf eine Weise sprechen, die ich verstehen kann. Ich frage sie, und sie antworten mir. Wenn ich von der Reise zurückkehre, die ich mit ihnen unternommen habe, so erzähle ich, was sie mir erzählt haben und was sie mir gezeigt haben.«

MARÍA SABINA

(in HALIFAX 1981: 162)

Albert Hofmann

Meine Begegnung mit María Sabina

Wenn man sich in die Lebensgeschichte der indianischen Schamanin oder curandera (»Heilerin«) María Sabina vertieft, die im vorliegenden Buch lebendig dargestellt ist, wird man in eine fremdartige Welt, in eine abgelegene Gegend in den südlichen Bergen Mexikos, versetzt, die von der Wirklichkeit, in der wir Menschen in der europäischen Industriegesellschaft leben, zutiefst verschieden ist. Es sind ganz andere soziale Verhältnisse, eine andere Glaubens- und Gedankenwelt, andere Wertmaßstäbe, die das Leben dieser einfachen Indianerfrau bestimmt haben. Schon als Kind mußte sie körperlich hart arbeiten, um überleben zu können; sie hat nie eine Schule besucht und konnte daher weder lesen noch schreiben. Als kleines Mädchen aß sie, innerer Eingebung folgend, die »heiligen Pilze«, die schon ihre Vorfahren um Rat angefragt und um Hilfe gebeten hatten. So wuchs sie in das Amt einer »weisen Frau«, einer Medizinfrau und Priesterin im altindianischen Pilzkult hinein, gelangte als solche bei ihren Landsleuten zu hohem Ansehen und wurde im Alter noch weit über die Landesgrenzen von Mexiko hinaus bekannt und berühmt.

Bei aller Verschiedenheit und Fremdartigkeit des kulturellen Rahmens und im individuellen Lebenslauf der María Sabina entdeckt man bei ihr aber auch uns vertraute, offenbar allen Menschen gemeinsame Wesenszüge, ein Sehnen und Suchen nach einer besseren Welt. Die Fremdartigkeit auf der einen Seite und die Verbundenheit im gemeinsamen Menschlichen und auch Allzumenschlichen auf der anderen Seite machen die Lebensgeschichte dieser mexikanischen Schamanin zu einer spannenden, auch für uns geistig bereichernden Lektüre.

Die Verwendung von gewissen Pilzen im Rahmen von religiösen Zeremonien und magisch bestimmten Heilpraktiken bei den Indianern Mittelamerikas reicht weit in die präkolumbianische Zeit zurück. Hinweise dafür liefern sogenannte Pilzsteine, die in Guatemala, in El Salvador und in den anschließenden gebirgigen Gegenden Mexikos gefunden worden sind. Es handelt sich dabei um Steinplastiken von der Form eines Hutpilzes, in dessen Stiel das Antlitz oder die Gestalt eines Gottes oder tierartigen Dämons eingemeißelt ist. Die meisten haben eine Größe von ungefähr 30 Zentimetern. Die ältesten Exemplare werden von den Archäologen bis in das 5. Jahrhundert v. Chr. zurückdatiert. Daraus kann man schließen, daß der Pilzkult, der magisch-medizinische und der religiös-zeremonielle Gebrauch der Zauberpilze, über zweitausend Jahre alt ist.

Alle die ungezählten Vorgänger und Vorgängerinnen von María Sabina im Amt des Pilzkultes sind unbekannt geblieben. In den Chroniken der spanischen Mönche und Naturalisten aus dem 16. Jahrhundert, die bald nach der Eroberung von Mexiko durch HERNAN CORTÉZ ins Land kamen, in denen man die ersten schriftlichen Angaben über den Gebrauch der »heiligen Pilze« findet, sind wohl einige Namen von Indianern, die solche Pilze verwendeten, angeführt. Sie werden im Zusammenhang mit Prozessen genannt, die gegen Personen, die dem Pilzkult huldigten, geführt wurden, denn die Verwendung der Zauberpilze wurde von den christlichen Missionaren als »Teufelswerk« verdammt und verfolgt. So wurde denn der den Indianern heilige Pilzkult in den Untergrund verdrängt, blieb aber dort, den Augen des weißen Mannes verborgen, im geheimen bis in unsere Tage erhalten. Erst in der Mitte unseres Jahrhunderts entdeckten amerikanische Forscher das geheime Weiterbestehen eines zeremoniellen Gebrauchs gewisser Pilze in den südlichen Bergen Mexikos.

Die Strukturformeln der Pilzwirkstoffe in Albert Hofmanns eigener Handschrift.

Die umfassendsten Untersuchungen über den heutigen Gebrauch des teonanácatl, wie die aztekische Bezeichnung für die Zauberpilze lautet, die mit »göttlicher Pilz« übersetzt werden kann, verdankt man dem Forscherehepaar Dr. VALENTINA PAWLOVNA und R. GORDON WASSON. Es war nun die schicksalshafte Bestimmung von María Sabina, in den Blickpunkt dieser modernen ethnomykologischen Forschung zu geraten. Sie war es, die, aus was für Gründen auch immer, das Geheimnis um die heiligen Pilze lüftete, indem sie den Fremden Zutritt zu nächtlichen Pilzzeremonien gewährte. Aus ihrer Hand erhielten R. GORDON WASSON und sein Fotograf ALAN RICHARDSON in Huautla de Jiménez, einer Ortschaft in der mexikanischen Provinz Oaxaca, in der Nacht vom 29. auf den 30. Juni 1955 im Rahmen einer solchen Zeremonie, sehr wahrscheinlich als erste Weiße, den heiligen Pilz zu essen. Durch die daraufhin folgenden Publikationen der WASSONS in Büchern und Zeitschriften über die mexikanischen Zauberpilze wurde María Sabina weitherum berühmt.

»Die entheogene Droge Psilocybin war durch Albert Hofmann aus María Sabinas Pilzen isoliert worden. LSD, ein halbsynthetisches pilzliches Entheogen, war von Hofmann, der etwas ganz anderes gesucht hatte, 12 Jahre bevor Wasson den Schleier des heiligen Mysteriums in México gelüftet hatte, entdeckt worden. Beide Drogen zusammen wurden zu den wichtigsten Wegbereitern einer weltweiten anachronistischen Wiedergeburt archaischer Religionen, von der die westliche Gesellschaft bis in ihren Kern erschüttert wurde.«

JONATHAN OTT

Ayahuasca Analoge (1995a: 11)

Ich lernte diese außergewöhnliche Frau schon zu der Zeit persönlich kennen, als ihr Name noch nur einem kleinen Kreis bekannt war. Diese Bekanntschaft verdanke ich, wie so vieles andere, Erfreuliches und Unerfreuliches, letztendlich der Entdeckung von LSD, eines das Erleben der äußeren und inneren Welt zutiefst verändernden Wirkstoffes. Um das zu erklären, muß ich weiter ausholen und zuerst erzählen, wie ich als Chemiker in die Erforschung der mexikanischen Zauberpilze einbezogen wurde.

Nachdem die WASSONS bei ihren völkerkundlichen, auf die Rolle und Bedeutung der Pilze in den verschiedenen Kulturen spezialisierten Studien auf den mexikanischen Pilzkult gestoßen waren und die magischen Wirkungen des teonanácatl an sich selbst hatten erfahren können, beschlossen sie, die Zauberpilze auch einer naturwissenschaftlichen Untersuchung zuzuführen. Zu diesem Zweck traten sie mit einem bekannten Pilzforscher, dem Mykologen Professor ROGER HEIM, Direktor des Muséum National d’Histoire Naturelle in Paris, in Verbindung. HEIM begleitete die WASSONS auf weiteren Expeditionen in das Mazatekenland und führte die botanische Bestimmung der heiligen Pilze durch. Er fand, daß es größtenteils noch nicht beschriebene Blätterpilze der Gattung Psilocybe waren. HEIM ließ die Pilze in verschiedenen Laboratorien chemisch untersuchen. Nachdem es nirgends gelungen war, das wirksame Prinzip zu isolieren, fragte er auch noch in den pharmazeutischchemischen Forschungslaboratorien der Sandoz in Basel an, ob wir Interesse hätten, die Untersuchungen fortzuführen. Er hoffte, daß in den Laboratorien, in denen ich das LSD entdeckt hatte, das ähnliche Wirkungen auf die menschliche Psyche entfaltet wie die Zauberpilze, dank der dort vorhandenen Erfahrungen mit dieser Art Wirkstoffe es doch noch gelingen könnte, das Problem zu lösen. Auf diese Weise zog das LSD die mexikanischen Zauberpilze in mein Laboratorium.

Tatsächlich gelang es mir und meinem Laborassistenten HANS TSCHERTER in verhältnismäßig kurzer Zeit, das psychisch wirksame Prinzip aus den Pilzen zu extrahieren und in Form von zwei farblosen kristallisierten Substanzen, die ich Psilocybin und Psilocin nannte, zu isolieren. In der Folge konnte ich mit meinen Mitarbeitern diese beiden Wirkstoffe auch ohne Zuhilfenahme der Pilze im Glaskolben synthetisch herstellen. Anstatt ein halbes Dutzend der bitter schmeckenden Pilze zu essen, genügt die Einnahme von etwa 0,01 Gramm Psilocybin, um die gleichen Veränderungen im Erleben der äußeren und inneren Welt hervorzurufen.

Die Aufklärung der naturwissenschaftlich-chemischen Seite des Zauberpilze-Problems brachte mich in persönliche Verbindung mit GORDON WASSON. Er lud mich ein, an der Erforschung von weiteren mexikanischen Zauberdrogen mitzuwirken. Im Rahmen dieser Zusammenarbeit reisten meine Frau und ich im Herbst 1962 nach Mexiko, um an einer Expedition ins Mazatekenland, die WASSON vorbereitet hatte, teilzunehmen.

Nach einem zweiwöchigen abenteuerlichen Ritt über die Berge der Sierra Mazateca kamen wir am Schluß unserer Expedition auch noch nach Huautla de Jiménez. Es konnte nicht ausbleiben, daß wir hier María Sabina aufsuchten, die abgelegen am Berghang außerhalb der Ortschaft wohnte. Das Haus, in dem fünf Jahre vorher die historische Pilzzeremonie mit WASSON und RICHARDSON stattgefunden hatte, war abgebrannt. In ihrer neuen Hütte, in der wir uns nun mit María Sabina befanden, herrschte, wie wahrscheinlich auch damals in der alten, eine unvorstellbare Unordnung, in der sich halbnackte Kinder unter Hühnern und Schweinen tummelten. María Sabina war damals Anfang Sechzig, doch ihr gelbbraunes, schon etwas verrunzeltes Gesicht mit den dunklen, tiefliegenden, eng beieinanderliegenden Augen und der breiten Nase ließ sie älter erscheinen, obschon ihr Haar noch tiefschwarz war, das ihr in der Mitte gescheitelt in zwei langen, dünnen Zöpfen über den Rücken fiel. Sie ging wie alle Frauen der Gegend barfuß und trug ein langes, weißes, mit roten und schwarzen Bordüren verziertes Kleid, die übliche Bekleidung der Mazatekenfrauen. Sie bewegte sich langsam, doch leicht und gelöst. Besonders beeindruckte mich ihr gescheites, im Ausdruck ungewöhnlich wandelbares Gesicht.

María Sabina war hocherfreut, ihren Freund WASSON wiederzusehen. Als ich ihr durch Doña Herlinda, unsere mazatekische Dolmetscherin, erklären ließ, es sei gelungen, den Geist der Pilze in Pillen zu bannen, war sie voll staunender Bewunderung. Auf unsere Anfrage war sie sofort bereit, uns damit »zu dienen«, das heißt, uns eine Konsultation im Rahmen einer nächtlichen Zeremonie zu gewähren. Wir vereinbarten, daß diese in der kommenden Nacht im Haus von Doña Herlinda stattfinden sollte. Im Laufe des Tages machte ich noch einen Gang durch Huautla de Jiménez, das sich entlang einer Hauptstraße am Berghang hinzieht, und beobachtete das bunte Treiben der noch fast rein indianischen Bevölkerung.

Dann begleitete ich GORDON WASSON bei seinem Besuch im hiesigen Instituto Nacionál Indigenista [Nationales Institut für Indianerfragen]. Diese staatliche Organisation hat die Aufgabe, die Probleme der eingeborenen Bevölkerung, das heißt der Indianer, zu studieren und lösen zu helfen. Ihr Leiter berichtete uns von Schwierigkeiten, die sich zu der Zeit auf dem Sektor der Kaffeepolitik ergaben. Der Präsident von Huautla, der sich in Zusammenarbeit mit dem Institut bemüht hatte, durch Ausschaltung des Zwischenhandels den Kaffeepreis für die produzierenden Indianer günstiger zu gestalten, war im vergangenen Juni ermordet und seine Leiche war verstümmelt aufgefunden worden. Auf unserem Rundgang kamen wir auch in die Domkirche, aus der Gesang und Orgelmusik ertönten. Der alte Pater Aragón, mit dem WASSON von seinen früheren Aufenthalten befreundet war, lud uns in der Sakristei zu einem Gläschen Tequila ein.

»Einige Schamanen, auch María Sabina, mußten sogar in der Stadt Oaxaca Gefängnisstrafen wegen angeblicher Verführung zum Pilzhandel mit Touristen verbüßen, was so ziemlich das gleiche ist, wie den Papst wegen Abgabe von Hostien und Wein in den Knast zu stecken.«

JONATHAN OTT

Ayahuasca Analoge (1995a: 14)

»Pilzsteine«

Aus dem südlichen Mesoamerika, hauptsächlich Chiapas (Mexiko), Guatemala und El Salvador, sind mehrere um die 30 cm hohe Steinartefakte bekannt, die in der Fach- und Populärliteratur als »Pilzsteine« bezeichnet werden. Diese Steinartefakte sind zum Teil weit über 2000 Jahre alt. Der deutsche Geograph CARL SAPPER (1898) hielt sie für »Pilzförmige Götzenbilder«. Der amerikanische Gelehrte DANIEL G. BRINTON (1898) war der Meinung, bei diesen Objekten handle es sich um Mondsymbole. Der amerikanische Archäologe THOMAS W. GANN (1911) hingegen sah in ihnen Phallussymbole. R. GORDON WASSON (1961), der Begründer der Ethnomykologie, glaubte in den Pilzsteinen das Symbol einer archaischen entheogenen Pilzreligion zu erkennen. Der deutsche Altamerikanist ULRICH KÖHLER (1976) hält die Pilzsteine für Töpfereiformen und der mexikanische Mykologe GASTÓN GUZMÁN (1984) sieht in den Pilzsteinen Repräsentationen von Speisepilzen (Boletus edulis). Am meisten verbreitet ist die Ansicht, daß es sich bei den Pilzsteinen um rituelle Objekte handelt, die mit der Einnahme psilocybinhaltiger Pilze verbunden waren. Heutzutage sammeln Psilocybe -Pilzfreunde aus aller Welt Reproduktionen solcher Pilzsteine, um damit ihre Hausaltäre zu schmücken. [CR]

Als wir gegen Abend bei Herlindas Haus eintrafen, war dort María Sabina mit großer Begleitung schon eingetroffen, mit ihren beiden hübschen Töchtern Apolonia und Aurora und mit einer Nichte, die alle noch Kinder mitbrachten. Apolonia reichte ihrem Kind, sobald es Anstalten machte zu schreien, immer wieder die Brust. Dann erschien auch noch der alte curandero (»Heiler«) Don Aurelio, ein mächtiger Mann, einäugig, in schwarz-weiß gemustertem serape (»Umhang«). Auf der Veranda wurden Kakao und süßes Gebäck serviert. Der Bericht aus einer alten Chronik kam mir in den Sinn, in dem geschildert wird, wie vor dem Genuß des teonanácatl chocolatl getrunken wurde. Nach Einbruch der Dunkelheit begaben wir uns alle in den Raum, in dem die Zeremonie stattfinden sollte. Er wurde abgeschlossen, indem man die Tür mit dem einzig vorhandenen Bett verstellte. Nur ein Notausgang in den Hintergarten für die unvermeidlichen Bedürfnisse blieb unverriegelt.

Es ging schon gegen Mitternacht, als die Zeremonie begann. Bis dahin lag die ganze Gesellschaft schlafend oder der kommenden Ereignisse harrend im Dunkeln auf den am Boden verteilten Bastmatten. Von Zeit zu Zeit warf María Sabina ein Stück Kopal (ein weihrauchartiges Harz) in die Glut eines Kohlebeckens, wodurch die Luft in dem überfüllten Raum etwas erträglicher wurde. Ich hatte der curandera durch Herlinda, die als Dolmetscherin auch wieder mit von der Partie war, erklären lassen, daß eine Pille den Geist von zwei Paar Pilzen enthalte. (Aus magischen Gründen werden die Pilze immer in Paaren dosiert. Es waren Pillen mit je 5,0 Milligramm synthetischem Psilocybin.)

Als es soweit war, verteilte María Sabina die Pillen, nach feierlicher Räucherung, genau wie die Pilze, in Paaren an die anwesenden Erwachsenen. Sie selbst nahm zwei Paar, entsprechend 20 Milligramm Psilocybin. Ihrer Tochter Apolonia, die auch als curandera amten sollte, und Don Aurelio gab sie die gleiche Dosis. Aurora erhielt ein Paar, ebenso GORDON WASSON, während meine Frau Anita und Irmgard (eine Mexikanerin österreichischer Abstammung, die uns als Expertin für indianische Gewebe auf der Expedition begleitete) nur je eine Pille zugeteilt erhielten.

Für mich hatte eines der Kinder, ein etwa zehnjähriges Mädchen, unter Anleitung von María Sabina den Preßsaft von fünf Paar Blättern hojas de la pastora (»Blätter der Schäferin«; Salvia divinorum) zubereitet. Es ist dies eine weitere Droge, die gleich wie die Zauberpilze von den indianischen Schamanen in ihren magisch bestimmten Heilpraktiken verwendet wird und deren Erforschung der Hauptzweck unserer Expedition war. Der Trank soll besonders wirksam sein, wenn er von einem unschuldigen Kind hergestellt wird. Der Becher mit dem Preßsaft wurde ebenfalls geräuchert und von María Sabina und Don Aurelio feierlich besprochen, bevor er mir überreicht wurde.

Nachdem die Drogen verteilt waren und die Kerze auf dem »Altar« gelöscht war, wartete man im Dunkeln die Wirkung ab. Dieser »Altar« war ein alter Tisch, auf dem neben allerlei Gerümpel ein Kruzifix und einige Heiligenbilder standen.

Es war noch keine halbe Stunde verflossen, als die curandera etwas murmelte; auch ihre Töchter und Don Aurelio waren unruhig. Herlinda übersetzte und erklärte uns, was los war. María Sabina hatte gesagt, den Pillen fehle der Geist des Pilzes, denn nach dieser Zeit begänne der Pilz schon zu wirken. Ich besprach mit Gordon, der neben mir lag, die Situation. Für uns war es klar, daß die Resorption des Wirkstoffes aus den Pillen, die sich zuerst im Magen auflösen müssen, langsamer erfolgt als beim Kauen der Pilze, wobei ein Teil des Wirkstoffes schon durch die Mundschleimhaut aufgenommen wird. Aber wie konnten wir in einer solchen Lage mit einer wissenschaftlichen Erklärung aufwarten? Anstatt Erklärungsversuche zu machen, beschlossen wir zu handeln. Wir gaben María Sabina zusätzliche Pillen zum Verteilen. Die beiden curanderas und der curandero erhielten je ein weiteres Paar. Sie hatten nun eine Gesamtdosis von je 30 Milligramm Psilocybin eingenommen.

Nach etwa weiteren zehn Minuten begann dann auch der Geist des Pilzes aus den Pillen seine Wirkung zu entfalten, die bis zum Morgengrauen anhielten. Dem Gebet und Gesang von María Sabina antworteten die Töchter inbrünstig und Don Aurelio mit tiefem Bass. Wollüstig schmachtendes Stöhnen von Apolonia und Aurora machte den Eindruck, das religiöse Erleben der jungen Frauen im Drogenrausch sei mit sexuell-sinnlichen Empfindungen verbunden. Während der zeremoniellen Handlungen, die sich teils auf dem »Altartisch«, teils am Boden neben dem rauchenden Kopalbecken abspielten, wurde die Kerze von Zeit zu Zeit ausgelöscht und dann wieder angezündet.

Zwischendurch rieb mir die curandera unter magischem Gemurmel die Vorderarme mit dem Saft von Tabakblättern ein. Dieser Geist von San Pedro [Petrus] soll vor Krankheiten schützen.

In der Mitte der Zeremonie, die stets den Charakter einer Konsultation hat, kam die Frage von María Sabina nach unserem Anliegen. GORDON WASSON erkundigte sich nach dem Befinden seiner Tochter, die unmittelbar vor seiner Wegreise nach Mexiko in Erwartung eines Kindes vorzeitig in die Klinik eingeliefert werden mußte und von der ihn seither keine Nachricht hatte erreichen können. Er erhielt die beruhigende Auskunft, Mutter und Kind befänden sich wohl. Das bestätigte sich, als er nach New York zurückkehrte. Als Einzelfall ist das selbstverständlich noch kein Beweis für die wahrsagerischen Fähigkeiten der curandera.

Wohl als Wirkung der hojas befand ich mich eine Zeitlang in einem Zustand gesteigerter Empfindsamkeit und intensiven Erlebens, der aber von keinen Halluzinationen begleitet war. Meine Frau Anita, Irmgard und Gordon erlebten einen durch die fremdartige, mystische Atmosphäre mitbestimmten euphorischen Rauschzustand.

Als die Zeremonie zu Ende war und wir uns beim Morgengrauen von María Sabina und ihrem Clan verabschiedeten, ließ uns die curandera durch Herlinda sagen, die Pillen hätten die gleiche Kraft wie die Pilze, es sei kein Unterschied vorhanden. Das war eine Bestätigung von kompetentester Seite, daß das synthetische Psilocybin mit dem natürlich im Pilz vorhandenen Wirkstoff in jeder Beziehung identisch ist. Als Abschiedsgeschenk überließ ich María Sabina ein Fläschchen Psilocybin-Pillen. Nun könne sie auch in der Zeit, in der keine Pilze wachsen, Konsultationen geben, erklärte sie freudestrahlend unserer Dolmetscherin Herlinda.

Albert Hofmann schrieb bereits für die längst vergriffene deutsche Erstausgabe das Vorwort.

Das war meine Begegnung mit der »weisen Frau« María Sabina vor über dreißig Jahren, eine Frau, die inzwischen eine weit über die Grenzen ihres Landes hinaus bekannte, berühmte, nicht unumstrittene Persönlichkeit geworden ist. Sie spielte die Starrolle in einem Film, bei dessen Erstaufführung in Mexiko Stadt 1979 sie persönlich anwesend war.

Der Kontakt mit den Fremden und die Preisgabe der Zauberpilze wurde María Sabina von den meisten ihrer Landsleute übelgenommen. Sie empfanden das offenbar als Verrat am heiligen Brauchtum. Besonders ihre Kollegen und Kolleginnen, die anderen Heilpriester und Heilpriesterinnen der Gegend, soweit sie nicht zusammen mit ihr auch mit den WASSONS in Verbindung kamen, wurden ihr feindlich gesinnt. Wahrscheinlich hat jemand aus diesen Kreisen in der Folge ihr Haus in Brand gesteckt.

Die Profanierung des Pilzkultes blieb bei der wissenschaftlichen Erforschung nicht stehen. Die Publikationen über die Zauberpilze zogen eine Invasion von Hippies ins Mazatekenland nach sich, von denen sich viele schlecht, manche sogar kriminell aufführten. Eine weitere unerfreuliche Folge war die Entstehung eines eigentlichen Tourismus nach Huautla de Jiménez, durch den der Charakter der Bevölkerung litt und die Ursprünglichkeit des Ortes weitgehend zerstört wurde.

Ist daher das Verhalten der curandera María Sabina zu verurteilen, die dem Fremden, dem weißen Mann, Zutritt zur geheimen Zeremonie gewährte und ihn den heiligen Pilz kosten ließ? Aus der angeführten Sicht wohl. Andererseits ist es als verdienstvoll zu betrachten, daß sie damit die Tür für die Erforschung des mexikanischen Pilzkultes in seiner heutigen Form und für die wissenschaftliche, botanische und chemische Untersuchung der heiligen Pilze geöffnet hat. Daraus ist ein pharmazeutisch wertvoller Wirkstoff, das Psilocybin, hervorgegangen. Ohne ihre Hilfe wären vielleicht, oder gar wahrscheinlich, das uralte Wissen und die Erfahrungen, die in diesen geheimen Praktiken verborgen waren, spurlos verschwunden, ohne Früchte getragen zu haben.

Solche Feststellungen und Überlegungen gelten für die meisten ethnologischen Forschungen. Wo immer Forscher und Wissenschaftler die zusehends spärlicher werdenden Reste alten Brauchtums aufspüren und aufklären, geht dessen Ursprünglichkeit verloren. Dieser Verlust wird nur mehr oder weniger aufgehoben, wenn aus den Forschungsergebnissen bleibende kulturelle Werte für kommende Generationen hervorgehen.

In diesem Sinne ist es verdienstvoll, die Lebensgeschichte der »weisen Frau« María Sabina aufgezeichnet und damit der Nachwelt erhalten zu haben, ein Lebensbild aus einer ursprünglichen Welt, die in der vorrückenden technischen Zivilisation wohl bald verschwinden wird.

Dr. Dr. h.c. mult. Albert Hofmann, geb. 1906, war Naturstoffchemiker bei Sandoz, in deren Forschungslaboratorien er die chemische Struktur (1938) und die psychedelische Wirkung (1943) des LSD sowie das Psilocybin und Psilocin entdeckte. Über 120 Originalarbeiten dokumentieren seine ungewöhnliche wissenschaftliche Tätigkeit. Seine überragenden Leistungen wurden mit vielen Ehrendoktortiteln und anderen akademischen Ehrungen honoriert. Zu seinen wichtigsten Publikationen gehören LSD – Mein Sorgenkind und Einsichten – Ausblicke. Seine Gemeinschaftsarbeiten mit RICHARD E. SCHULTES(Pflanzen der Götter) sowie R. GORDON WASSON et al., (Der Weg nach Eleusis) gehören zu den bedeutendsten Werken der modernen Ethnopharmakologie. 1993 stand er glanzvoll im Lichte der Weltöffentlichkeit, die das 50jährige Jubiläum seiner ersten LSD-Erfahrung feierte.

Literatur zu den Pilzsteinen

BRINTON, DANIEL G.

1898 »Mushroom-shaped Images« Science N.S. 8(187): 127.

GANN, THOMAS W.

1911 »Exploration Carried On in British Honduras During 1908–9« Annals of Archaeology and Anthropology 4: 72–87.

GUZMÁN, GASTÓN

1984 »El uso de los hongos en Mesoamérica« Ciencia y Desarrollo 59: 17–27.

KÖHLER, ULRICH

1976 »Mushrooms, Drugs, and Potters: A New Approach to the Function of Precolumbian Mesoamerican Mushroom Stones« American Antiquity 41 (2): 145–153.

SAPPER, CARL

1898 »Pilzförmige Götzenbilder aus Guatemala und San Salvador« Globus 73(20): 327.

WASSON, R. GORDON

1961 »The Hallucinogenic Fungi of Mexico: An Inquiry into the Origins of the Religious Idea Among Primitive Peoples« Botanical Museum Leaflets, Harvard University 19(7): 137–162.

Álvaro Estrada

Einleitung zum Text

Bestimmt waren es nicht nur das Gold und die Naturschätze von Anáhuac, auch nicht die Kultur und die Kunst der Mittelamerikaner, die bei den Mönchen und den spanischen Konquistadoren, die im 16. Jahrhundert in dieses Land gekommen waren, tiefes Erstaunen ausgelöst hatten, sondern auch die Arzneimittel der Eingeborenen (»wunderliche Zusammenstellungen« von Kräutern und halluzinogenen Pflanzen) erregten in der Kolonialzeit Mexikos die Aufmerksamkeit der Schriftsteller, Botaniker und Mediziner des Abendlandes und gaben Anlaß zu deren Studium und deren Verdammung.

Von der »Heiligen Inquisition« wurden diejenigen unterdrückt und verfolgt, die ololiuhqui-Samen (Turbina corymbosa), péyotl-Kakteen (Lophophora williamsii), teonanácatl-Pilze (Psilocybe spp.) und andere Halluzinogene aßen.

Später dann waren es die Verdammungen von der Kanzel herab, die durch Jahrhunderte andauern sollten und bewirkten, daß die indianischen Ärzte die Rituale und die Verehrung der Zauberpflanzen zu einer Privatsache, besser gesagt zu einem Geheimnis, erklärten.

Diese »dämonischen« Praktiken der Indianer verschwinden heute so schnell aus dem Bewußtsein des Volkes, wie die westliche Kultur in Mexiko voranschreitet; so wie gegenwärtig auch in anderen asiatischen und amerikanischen Volksgruppen ähnliche Phänomene im Untergehen begriffen sind. In Huautla de Jiménez jedoch, einem Ort in der Sierra Mazateca im mexikanischen Bundesstaat Oaxaca, haben westliche Forscher einen wahren Schatz an Eingeborenenpraktiken gefunden: den Pilz, den die Wissenschaft mit dem Attribut »halluzinogen« belegt hat, der eine zentrale Stellung innerhalb der Indianerreligion einnimmt. Der Pilz, der in der präkolumbianischen Zeit als teo-nanácatl, »Fleisch der Götter« oder »wunderbarer Pilz«, bekannt war, soll die Macht besitzen, alle Krankheiten zu heilen; er soll auch die mystische Kraft haben, durch die die außergewöhnliche, esoterische Sprache der Schamanen erschaffen wurde. In den Stunden der Trance spricht der sabio, der »Weise« oder »Wissende« – so nennen die Mazateken ihre Schamanen –, sowohl mit den Stammesgottheiten als auch mit den christlichen Heiligen; ein Synkretismus, der in unserer Zeit unumgänglich ist.

Álvaro Estrada wurde in der Mazatekenstadt Huautla de Jiménez geboren und spricht sowohl Mazatekisch als auch Spanisch. Durch seine Vertrautheit mit Land und Leuten gelang es ihm, die Lebensgeschichte der María Sabina aufzuzeichnen. Heute lebt der studierte Ingenieur in Mexiko Stadt. Zur Zeit arbeitet er an einem neuen Buch über die Hippiezeit in Huautla.

Hat schon irgend jemand über die halluzinogenen Pflanzen und ihre Verwendung geschrieben? – »Berichte, die wir in Mexiko über den spezifischen Gebrauch des teonanácatl bei den Indianern gefunden haben«, sagte mir der Ethnomykologe ROBERT GORDON WASSON1, »sind wertvoll, jedoch unvollständig. SAHAGÚN, MOTOLINÍA, DIEGO DURÁN, der Pater DE LA SERNA, RUIZ DE ALARCÓN, TEZOZOMOC und der Botaniker und Arzt von Philipp II., FRANCISCO HERNÁNDEZ, haben über dieses Thema geschrieben. Es besteht kein Zweifel darüber, daß die Informanten den Chronisten nicht alles erzählten, was sie über die verschiedenen halluzinogenen Pflanzen wußten, die ihnen bekannt waren und die sie verwendeten. Denn es war einer ihrer Grundsätze, religiöse Geheimnisse nicht einem Fremden zu enthüllen. Doch weiß man heute, daß die Einnahme von gewissen Pflanzen in der Vergangenheit stets mit der Religion verbunden war. Alle Religionen haben ihre Geheimnisse, selbst die christliche Religion spricht von Mysterien.«

Der entheogene Peyotekaktus (Lophophora williamsii) wurde und wird von den mexikanischen Indianern als Gottheit verehrt.(Illustration aus SAHAGÚN)

GONZALO AGUIRRE BELTRÁN schreibt in seinem Buch Medicina y magía (»Medizin und Magie«), daß »die falschen Vorstellungen, die so berühmte Gelehrte wie [HERNANDO RUIZ DE] ALARCÓN, [JACINTO DE LA] SERNA und [PEDRO] PONCE von diesem wesentlichen Aspekt der indianischen Medizin hatten, aus ihrer besonderen Einstellung zu erklären sei, deren religiöse Grundlage es ihnen unmöglich macht, in der Mystik der Eingeborenen etwas anderes zu sehen als das Werk des Dämons.«

Titelbild der überarbeiteten mexikanischen Ausgabe (8. Auflage 1994) der Lebensgeschichte der María Sabina.

Zusammenfassend kann man sagen: Wir haben herausgefunden, daß weder die Indianer ihr gesamtes Wissen preisgaben noch die Chronisten sich von ihren Vorurteilen befreien konnten und daß sie dadurch kein unparteiisches oder objektives Zeugnis über den altmexikanischen Kult um das »Fleisch der Götter« ablegten.

Meine Motive, das Leben der María Sabina niederzuschreiben, waren folgende:

1.) Mir lag daran, ein Zeugnis über die Gedanken und das Leben der weisen Mazatekin abzulegen, die von vielen ausländischen Journalisten und Autoren bislang nicht umfassend beurteilt werden konnte;

2.) beabsichtigte ich, ein brauchbares Dokument für die Ethnologie, die Ethnomykologie, die Volkskunde und für andere Fachwissenschaften zu erstellen.

3.) Schließlich war es meine Absicht, einem breiten Publikum einen genaueren Einblick in die Gebräuche der Indianer zu vermitteln; und nicht zuletzt lag mir daran, die Jugend darauf hinzuweisen, die Elemente der Indianerreligion mit mehr Respekt zu behandeln.

Mit dem Wort Schamane, das aus dem Tungusischen kommt und soviel wie »Wissender« oder »Zauberer« bedeutet, werden heutzutage eine Reihe von traditionellen Heilern benannt, die über eine bestimmte Bewußtseinstechnologie, verbunden mit einer besonderen Begabung, verfügen, durch die sie zielgerichtet in veränderte Bewußtseinszustände eintreten können, um nach Belieben in eine »andere Wirklichkeit« zu reisen. Der Schamane wurde auch »Spezialist für die Geisterwelt« genannt. [CR]

Auch wollte ich mit dieser Arbeit jungen Autoren, vor allem den eingeborenen, einen Anreiz bieten können, sich den traditionellen Bräuchen der Indianer von neuem zuzuwenden und sie somit vielleicht aus der bald schon bevorstehenden und endgültigen Versenkung zu retten. Der vorliegende Text ist das Ergebnis einer Reihe von Interviews, die ich periodisch von September 1975 bis August 1976 durchführte. Während dieses Jahres lebte ich abwechselnd (aus beruflichen Gründen) in Mexiko Stadt und in Huautla, um María Sabina zu besuchen und um mich mit ihr zu unterhalten. Obwohl ich selbst in Huautla geboren bin und die Sprache der Mazateken spreche, war meine Arbeit nicht leicht. Die Tonbänder mit den Worten der weisen Mazatekin sind in meiner Verwahrung. Um die Lektüre zu vereinfachen, ließ ich jedoch den Fragenkatalog wegfallen, den ich María Sabina vorgelegt hatte. Bei der Schlußredaktion des Textes, wie auch während der ganzen übrigen Zeit, war ich mir der Verantwortung voll bewußt, die daraus erwächst, die Biographie einer Frau niederzuschreiben, die weder lesen noch schreiben kann und auch des Spanischen nicht mächtig ist, die daher niemals wissen wird, ob das, was über sie geschrieben wurde, richtig oder falsch ist.

Ich möchte die große Hilfe, die mir in der einen oder anderen Form von meinen Verwandten und Freunden zuteil wurde, nicht unerwähnt lassen. Außerdem danke ich Rosa María González Estrada für ihre Tipparbeit und ihre Unterstützung bei der Erstellung des Manuskriptes. Auch möchte ich R. GORDON WASSON und HENRY MUNN für ihre uneigennützige Hilfe meinen Dank aussprechen. Beide Männer haben einen Teil ihres Lebens dafür geopfert, in unermüdlicher Forschungsarbeit Verständnis für den homo religiosus aufzubringen; für den religiösen Menschen, der in der Vergangenheit den göttlichen Pilz zu sich nahm. Dank euch allen!

1 In einem Interview, aufgenommen in Mexiko Stadt im Juni 1975.

Kapitel 1

Ich weiß nicht, wann ich geboren wurde. Aber meine Mutter, María Concepción, sagte mir, daß ich am Morgen des Tages zur Welt gekommen sei, an dem man das Fest der Jungfrau Magdalena gefeiert hat. Das war in Río Santiago, einem Ort des Gemeindebezirks Huautla. Keiner meiner Vorfahren kannte sein Alter2. Meine Mutter wurde in der Nähe von Huautla, in Richtung San Andrés, geboren und wuchs dort auf. Mein Vater, Crisanto Feliciano, kam in Río Santiago auf die Welt und ist dort auch groß geworden. Als die beiden zusammenzogen – verheiratet waren sie nicht – war sie ungefähr vierzehn und er etwa zwanzig Jahre alt. Meine Mutter muß ungefähr drei Jahre mit ihrem Mann zusammengelebt haben, als ich geboren wurde. Unmittelbar nach meiner Geburt wurde ich getauft. Meine Taufpaten hießen Juan Manuél und María Sebastiana. Sie waren Bauern und meinem Vater sehr zugetan. Meine Schwester, María Ana, kam zur Welt, als ich gerade zwei Jahre alt war. Wir waren die einzigen Kinder. Ich kannte meinen Vater nicht sehr gut. Er starb nämlich, als ich drei Jahre alt war. Ich weiß nur, daß er sehr fleißig war. Er baute Mais und Bohnen an. Das milpa-Land dafür hatte er sich dank seiner vielen Arbeit kaufen können. Er brachte die Erträge der Ernte auf den Markt von Huautla oder in die umliegenden Dörfer.

Unsere Behausung in Río Santiago war eine kleine Hütte mit Wänden aus Lehm und Schilf und einem Dach aus Zuckerrohrblättern. Meine Mutter machte Tortillas und stellte den Topf mit den Bohnen aufs Feuer. Davon bekamen wir dann zu essen. Zu den Mahlzeiten tranken wir pinole3 mit etwas Rohzucker gesüßt. Das wurde heiß getrunken. Damals gab es keinen Kaffee. Noch bevor die Nacht hereinbrach, legten wir uns schlafen. Mein Vater stand sehr zeitig am Morgen auf, meist kurz nach dem ersten Hahnenschrei, und ging hinaus, um das Feld zu bestellen. Wir schliefen angekleidet auf dem Boden auf petates (Matten aus getrockneten Palmblättern). So schliefen wir alle.

Seit der Kolonialzeit haben die mexikanischen Indianer spanische Namen angenommen. Oft behalten sie aber indianische Namen, die meist geheimgehalten werden. María und Sabina sind beides Vornamen. Sabina ist ein alter römischer Name, der durch die Gemahlin des Kaisers Hadrian berühmt wurde. Sabina wurde von Hadrian als »neue Demeter« gehuldigt. [CR]

Als meine Schwester, María Ana, geboren wurde, war mein Vater bereits krank. Gegen seine Krankheit gab es kein Heilmittel. Ihr Ursprung lag nicht in dieser Welt, sie war eine Strafe des mächtigen Señor de los Truenos (»Herr des Donners«), der die Saat beschützt und ihr Fruchtbarkeit gibt. Als mein Vater noch ledig war, hatte er den Zorn dieses mächtigen Herrn heraufbeschworen. Die Geschichte trug sich folgendermaßen zu:

Eines frühen Morgens machte sich der junge Crisanto Feliciano auf den Weg zur milpa (das traditionelle Maismischfeld). Er wollte es säubern. Das trockene Laub mußte aufgelesen und das Unkraut mußte gejätet werden. Er nahm seine Hacke und seine Machete mit. Wie alle Männer seiner Zeit trug er eine Hose und ein Hemd aus reiner Baumwolle. An den Festtagen zog er einen cotón4 über, der ihm bis zum Knie reichte und den er über der Hüfte mit einem Seidengürtel zusammenband.

Zwei Tage arbeitete Crisanto Feliciano auf seinem Feld und sammelte Laub und Unkraut zusammen und auch alles andere, was dem Gedeihen einer guten Saat schaden konnte. Als er damit fertig war, schichtete er in der Nähe einer milpa, die nicht ihm gehörte, alles zu einem Haufen auf und entzündete ihn. Die Zweige, die Blütenstengel, die trockenen Blätter und das Unkraut brannten wie Zunder. Es war Nachmittag, und man spürte den Abend schon nahen. Der Wind blies heftig. Die Tage waren heiß gewesen, und man roch überall die Trockenheit und Dürre. Die Flammen des brennenden Haufens loderten auf, der Wind spielte mit ihnen und trieb sie immer näher an das angrenzende Stück Ackerland heran. So weit schlugen die Flammen auf das andere Feld hinüber, daß dort einige Maisstauden erfaßt wurden und in Brand gerieten. Als Crisanto das sah, beeilte er sich, das Feuer zu ersticken, das auf dem fremden Maisfeld brannte. Es war nicht viel, was den Flammen zum Opfer gefallen war. Doch Crisanto wußte, daß der Schaden, der dem Saatfeld zugefügt worden war, auch wenn es ein noch so geringer Schaden war, den Tod verursachen konnte. Er wußte, daß jede Saat vom Herrn des Donners beschützt wurde. Wenn irgend jemand Maiskolben stahl, so mußte er sterben. Auf einem Feld, das so beschützt und behütet ist, richten weder Ratten noch Mäuse, noch Vögel einen Schaden an. Eine milpa, die in Frucht steht und vom Herrn des Donners beschützt wird, gedeiht im Überfluß. Crisanto war verurteilt zu sterben, nachdem er ein Maisfeld hatte in Brand geraten lassen. Es waren nur einige Stauden, doch es war genug, um den Fluch des Herrn des Donners auf sich zu ziehen. Menschen, die bewußt oder auch fahrlässig geheiligter Saat Schaden zufügen, erkranken an Knoten, die ihnen am Hals und aus der Brust hervortreten. Die Knoten platzen auf, wenn sie reif sind, und verwandeln sich in eitrige, ekelerregende Geschwüre. Später dann sterben diese Menschen. Der Schaden, den die geheiligte Saat erleidet, kann durch nichts wieder gutgemacht werden. Es nützt nichts, wenn man die zerstörten Stauden ersetzt, und es hat auch keinen Zweck, dem Besitzer den angerichteten Schaden mit Geld zu bezahlen.

Crisanto wußte, daß er verloren war, aber er hatte eine Hoffnung. Sein Großvater und sein Vater waren beide sabios, »Weise«5. Sie nahmen niños santos6 zu sich, um mit den Herren der Berge zu sprechen. Die Weisen haben die Fähigkeit, mit den Wesen zu sprechen, die Herr über allen Dinge der Welt stehen. Und diese wiederum sprechen mit dem Herrn des Donners. Sie können ihn bitten, Crisanto zu vergeben, durch dessen Fahrlässigkeit geheiligte Maisstauden verbrannt waren.

So dachte Crisanto, und das gab ihm Hoffnung zum Weiterleben. Er wollte seine Verwandten noch nicht in Schrecken versetzen, und so zog er es vor, im Augenblick sein Leid zu verschweigen. »Irgendwann später werde ich mit ihnen reden«, sagte er zu sich selbst. Die Monate vergingen, und der junge Crisanto verbarg weiter sein Leid.

Eines Tages nahm sein Vater Pedro Feliciano die niños santos zu sich. In jener Nacht sah der Weise, daß sein Sohn bald an den Geschwüren sterben werde. Am folgenden Tag, der Morgen brach gerade an, sagte er zu ihm: »Crisanto, mein Kind, ich hatte eine schreckliche Vision. Ich habe gesehen, wie du in einen Truthahn verwandelt wurdest. Der ›Kleine, der aus dem Boden sprießt‹ hat mir offenbart, daß du zum Sterben verurteilt bist. Ich weiß auch den Grund. Der ›Kleine, der aus dem Boden sprießt‹ hat ihn mir gesagt.«

So sah sich Crisanto gezwungen, seinem Vater die Sache mit dem verbrannten Maisfeld zu erzählen. Sein Vater tröstete ihn und sagte: »Wir werden gegen die Macht des Herrn des Donners ankämpfen. Wir werden den ›Kleinen, der aus dem Boden sprießt‹ nehmen. Wir werden die Herren bitten, dir zu vergeben.« Und so hielten der Weise, Pedro Feliciano, und dessen Vater, Juan Feliciano, mehrere Male Nachtwache mit dem »Kleinen, der aus dem Boden sprießt«; aber sie erreichten nichts. Auch die Zauberer und chupadores7, die herbeigerufen worden waren, hatten keinen Erfolg. Einige Zeit später, als Crisanto eines Nachts nicht schlafen konnte, fuhr er sich mit der Hand über die Brust, und seine Finger blieben erstarrt liegen, als sie oberhalb der Brustwarzen kleine Erhöhungen ertasteten. »Was mag das wohl sein?« fragte er sich. Und plötzlich war ihm alles klar. Es waren die Knoten des Fluchs, die anfingen, aufzuplatzen. Er hatte Angst und war voll von tiefem Kummer. In dieser Nacht dachte er über sein ganzes Leben nach. Er dachte auch daran, wie jung er war. Er war nicht älter als zwanzig Jahre. Und der Kummer ließ ihn den Rest der Nacht nicht mehr schlafen.

Am darauffolgenden Morgen sagte Crisanto festentschlossen zu seinem Vater: »Ich möchte mir eine Frau nehmen. Ich habe auf dem Weg nach Huautla ein Mädchen gesehen. Sie wohnt bei ihren Eltern, kurz vor San Andrés. Vielleicht könnt ihr sie bitten, daß sie zu mir zieht und bei mir lebt.« Seine Eltern warteten nicht lange und trugen dem Mädchen die Bitte vor. So ging Crisanto eines Tages hinaus, um sie zur Frau zu nehmen. Sie hieß María Concepción. Sie gingen beide nach Río Santiago, um dort zu wohnen. Mein Vater litt an seiner Krankheit, doch meine Mutter hatte Verständnis dafür. Die ersten Knoten waren aufgeplatzt, und eitrige Geschwüre hatten sich gebildet. Später dehnten sie sich über den Hals und einen Teil der Brust aus. Die Jahre vergingen, und der Zustand meines Vaters verschlechterte sich. Ich glaube, ich war ungefähr drei Jahre und meine Schwester, María Ana, noch keine vier, fünf Monate alt, als er starb. Weder die Zauberer, weder die curanderos, noch die Weisen konnten ihm Heilung bringen. Der Arme starb und verwandelte sich in einen Truthahn. Es ist nämlich so, daß der tödliche Fluch des Herrn des Donners eine schleichende Krankheit hervorruft. Die Person, die von diesem Fluch getroffen wird, leidet über Jahre hinweg. Das kann vier, fünf, sechs oder auch sieben Jahre dauern. In dieser Zeit entwickeln sich die Knoten zu ekelerregenden Geschwüren. Einige Menschen, die zu diesem Leid verurteilt sind, verlieren angesichts des bevorstehenden Todes den Mut zum Leben, andere wiederum kämpfen gegen den Fluch des Herrn des Donners an.

Die Zauberer gehen hinaus, dorthin, wo das Echo wohnt, dorthin also, wo es Berge und Hänge gibt, und sprechen in ihrer Sprache. Dort erflehen sie die Hilfe vom Chicon Nindó, dem »Herrn der Berge«8. Aber es läßt sich wenig machen. Gegen den Fluch des Herrn des Donners läßt sich gar nichts machen. Der Hals des Erkrankten ähnelt dem Hals eines Truthahns. Und das kommt daher, weil der Herr des Donners einen heiligen Truthahn in seinen Diensten stehen hat. Dieser Truthahn hat den Auftrag, Menschen und Tiere zu bestrafen, die es wagen, der Saat Schaden zuzufügen. Der Truthahn verwandelt Menschen und Tiere in Truthähne. Deshalb sterben sie mit Geschwüren am Hals. Die Zauberer opfern Hühner und bringen dem Chicon Nindó Kakaobohnen und Truthahneier als Gaben dar.9

2 Der Taufschein von María Sabina, erst ausgestellt am 25.8.79 vom Pfarrer Arturo Garcia, basiert auf den Originaldaten, die sich im Archiv der Kirche von Huautla befinden. Es fällt auf, daß die Namen der Taufpaten, die im Dokument eingetragen sind, nicht mit den von María Sabina angegebenen übereinstimmen. Aus sachlichen Gründen muß man jedoch erklären, daß es noch heute schwierig ist, mit Genauigkeit die Namen einiger Mazateken in Erfahrung zu bringen, was auf die fehlerhafte Aussprache, die die Namen europäischen Ursprungs erlitten haben, zurückzuführen ist. Ein Beispiel mag diesen Sachverhalt etwas erhellen: Während eines Interviews erzählte mir María Sabina von einem Onkel namens N’dosto. Sie gab an, die Namen spanischen Ursprungs nicht zu kennen, aber Evaristo G. Estrada sagte mir, daß der Name N’dosto mit dem Namen Antonio Justo übereinstimme. »Es ist wahrscheinlich«, sagte uns ein anderer Informant, »daß diejenigen, die dieses Dokument als erste verfaßt haben, die Namen der Personen erfanden, weil jene nicht mehr wußten, wie sie hießen.« Man beachte weiterhin, daß keinem der Namen ein Familienname folgt, wohl deshalb, weil man früher keine Familiennamen verwendete. Aus dem vorliegenden Dokument ist zudem ersichtlich, daß das von María Concepción angegebene Geburtsdatum ihrer Tochter María Sabina nicht stimmt, denn der Tag der Jungfrau Magdalena ist der 22. Juli. Bezüglich der Vornamen der Eltern ist lediglich der erste Vorname des Vaters unterschiedlich und erscheint als Lauriano.

3 Getränk aus geröstetem Mais mit Wasser und Gewürzen vermischt, besonders mit Kakao, Anis, Ingwer oder Zimt (bzw. Kaneel).

4 Umhang aus Wolle in rechteckiger Form und mit einem Schlitz in der Mitte, um den Kopf durchzustecken.

5 Dieser Terminus wird häufig im Text verwendet. Es ist der Name, den man einem mazatekischen Schamanen gibt. Die mazatekische Bezeichnung lautet Chotá-a T chi-née, »weise Person«. Bei den Mazateken findet man drei Arten von curanderos, »Heilern«. Auf der unteren Ebene findet man den hechicero, »Zauberer« (Tji-ée), von dem gesagt wird, er könne sich in den Nachtstunden in ein Tier (nagual) verwandeln. Er besitzt die Fähigkeit, Böses zu verursachen und andere Personen in nagua-les zu verwandeln. Auf der mittleren Ebene findet man den eigentlichen curandero, »Heiler«(chotáa-xi-bendáa), genauer gesagt, denjenigen, der Massagen verschreibt, Getränke verabreicht, Kunstgriffe verwendet und seine eigene Sprache hat, wenn er im Augenblick des Heilungsvorgangs die »Herren der Plätze, der Berge und der Quellen« anruft. Diese beiden Kategorien sind unter der gesamten mexikanischen Landbevölkerung sehr verbreitet. In Huautla hingegen gibt es noch eine dritte und höhere Kategorie, die des sabio, »Weisen« und Arztes, mazatekisch: Chotá-a-Tchinée, der nichts Böses verursacht und auch keine Mixturen zur Heilung verwendet. Sein Therapeutikum ist der Pilz, den er einnimmt. Dieser weise Mediziner hat die Kraft, Kranke zu diagnostizieren und zu heilen. Nicht nur er nimmt die Pilze, er gibt auch dem Kranken davon zu essen.

7 Die chupadores sind eine spezielle Art von curanderos. AGUIRRE BELTRÁN behandelt das Thema sehr anschaulich, indem er den Terminus succión (= »An-, Aussaugen«) anstelle von chupar (= »Saugen«) verwendet: »Das Aussaugen wird so gemacht, daß der Mund direkt auf die Stelle gesetzt wird, wo die Krankheit vermutet wird, oder man nimmt ein Röhrchen, das man zwischen Mund und betroffene Stelle setzt. In beiden Fällen zieht der Arzt die Krankheit heraus, besser gesagt, den Geist der Krankheit, der sich in diversen kleinen Objekten materialisiert. Diese sind je nach Region und ethnischer Gruppe entweder Feuersteinklingen, Papierfetzen oder Würmer usw.« (AGUIRRE BELTRÁN, Medicina y magía, Mexico, D.F.: INI, 1963, S. 52)

8 Der Chicon Nindó (»Herr der Berge«) ist ein mythologisches Wesen bei den Mazateken. Man sagt, daß er der Beherrscher und Besitzer der Berge sei, und man setzt ihn mit dem weißen Mann gleich, der die Macht habe, Geister zu beschwören und böse Einflüsse oder Geister, die Krankheiten hervorrufen, zu bannen. Einige identifizieren ihn mit Quetzalcoátl, der »Gefiederten Schlange«.

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