Martinsmorde - Christa S. Lotz - E-Book

Martinsmorde E-Book

Christa S. Lotz

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  • Herausgeber: Midnight
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2018
Beschreibung

Der erste Fall für Lisa Faber Die Journalistin Lisa Faber besucht das kleine Dorf Niederweiler, um für den Schwarzwaldkurier einen Artikel über die Traditionen zum Martinstag zu schreiben. Doch die Dorfbewohner begegnen ihr mit Argwohn. Als nach dem Martinsritt der örtliche Pfarrer ermordet aufgefunden wird, ist die Feindseligkeit kaum noch zu übersehen. Hauptkommissar Steidle übernimmt den Fall, doch Lisa wittert eine Story. Sie findet heraus, dass vor vielen Jahren im Dorf schon einmal ein Pfarrer verschwand. Während sie auf eigene Faust ermittelt, stößt sie auf ein düsteres Geheimnis und gerät schließlich selbst ins Visier des Täters …

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Die Autorin

Christa S. Lotz, geboren 1950, wuchs an der Flensburger Förde auf, bevor sie in ihre Wahlheimat im Süden Deutschlands zog. Sie studierte an der Universität Tübingen, arbeitete als Diplom-Pädagogin vor allem mit traumatisierten Menschen und unternahm ausgedehnte Reisen in Europa und Übersee. Im Jahr 2004 veröffentlichte sie ihren ersten Roman über den Dichter Eduard Mörike, der große Beachtung in den Medien fand. Seitdem hat sie weitere historische Romane und historische Krimis veröffentlicht. Heute lebt sie in einer kleinen Stadt am Rande des Schwarzwalds. Wenn sie nicht gerade schreibt oder liest, geht sie mit ihrem Lebensgefährten wandern, fotografiert oder macht Ausflüge, die sie zu neuen Geschichten anregen.

Das Buch

Der erste Fall für Lisa Faber

Die Journalistin Lisa Faber besucht das kleine Dorf Niederweiler, um für den Schwarzwaldkurier einen Artikel über die Traditionen zum Martinstag zu schreiben. Doch die Dorfbewohner begegnen ihr mit Argwohn. Als nach dem Martinsritt der örtliche Pfarrer ermordet aufgefunden wird, ist die Feindseligkeit kaum noch zu übersehen. Hauptkommissar Steidle übernimmt den Fall, doch Lisa wittert eine Story. Sie findet heraus, dass vor vielen Jahren im Dorf schon einmal ein Pfarrer verschwand. Während sie auf eigene Faust ermittelt, stößt sie auf ein düsteres Geheimnis und gerät schließlich selbst ins Visier des Täters …

Christa S. Lotz

Martinsmorde

Midnight by Ullsteinmidnight.ullstein.de

Midnight ist ein Digitalverlag der Ullstein Buchverlage GmbH, BerlinJuli 2018 (1)

© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2018Umschlaggestaltung:zero-media.net, MünchenTitelabbildung: © FinePic®Autorenfoto: © privatE-Book powered by pepyrus.com

ISBN 978-3-95819-157-0

Hinweis zu UrheberrechtenSämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken, deshalb ist die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass sich die Ullstein Buchverlage GmbH die Inhalte Dritter nicht zu eigen macht, für die Inhalte nicht verantwortlich ist und keine Haftung übernimmt.

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Inhalt

Die Autorin / Das Buch

Titelseite

Impressum

Kapitel 1

Sonntag, 11. November

Kapitel 2

Montag, 12. November

Kapitel 3

Kapitel 4

Dienstag, 13. November

September 1987

Kapitel 5

Kapitel 6

September 1987

Kapitel 7

Donnerstag, 15. November

Kapitel 8

Freitag, 16. November

Kapitel 9

Samstag, 17. November

Kapitel 10

Sonntag, 18. November

Kapitel 11

Kapitel 12

Montag, 19. November

Kapitel 13

Kapitel 14

Oktober 1987

Kapitel 15

Montag, 19. November

Kapitel 16

Mittwoch, 21. November

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Donnerstag, 22. November

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Samstag, 24. November

Kapitel 23

Montag, 26. November

Kapitel 24

Zwei Wochen später

Kapitel 25

Kapitel 26

Montag, 10. Dezember

Kapitel 27

Dienstag,11. Dezember

Kapitel 28

Dienstag, 11. Dezember

Kapitel 29

Eine Woche später, 18. Dezember

Kapitel 30

Mittwoch, 19. Dezember

Kapitel 31

Donnerstag, 20. Dezember

Kapitel 32

Freitag, 21. Dezember

Kapitel 33

Freitag, 21. Dezember

11. November 1987

Kapitel 34

Sonntag, 23. Dezember

Kapitel 35

Sonntag, 23. Dezember

Kapitel 36

Sonntag, 23. Dezember

Kapitel 37

1987

Kapitel 38

Sonntag, 23. Dezember

1987

Kapitel 39

Sonntag, 23. Dezember

1987

Kapitel 43

Sonntag, 23. Dezember

Kapitel 44

Sonntag, 23. Dezember

Kapitel 45

Montag, 24. Dezember

Nachwort

Leseprobe: Der Tote vom Odenwald

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Cover

Titelseite

Inhalt

Kapitel 1

Draußen im Wald heulte der Sturm und raste in den Tannen, man hörte da und dort sehr heftige Schläge, und es schien oft, als ob ganze Bäume abgeknickt würden und zusammenkrachten. Die furchtlosen Jungen wollten hinaus in den Wald laufen und dieses furchtbar schöne Schauspiel mit ansehen, ihr Großvater aber hielt sie mit strengem Wort und Blick zurück. »Ich will keinem raten, dass er jetzt vor die Tür geht«, rief er ihnen zu.

Wilhelm Hauff (1802–1827), »Das kalte Herz«

Kapitel 1

Sonntag, 11. November

Lisa nahm den Fuß vom Gas. Der Nebel wurde immer dichter. Uralte Fichten säumten rechts und links die Straße. An der Windschutzscheibe perlten Tröpfchen herab. Ein Blick auf die Uhr zeigte Lisa, dass es mit dem Termin in Niederweiler knapp werden würde. Dabei freute sie sich auf die Tage, die vor ihr lagen. Rechercheurlaub im Schwarzwald, Erholung vom stressigen Alltag in der Redaktion, Gespräche mit Menschen, Spaziergänge, und dazu die gute Schwarzwälder Küche. Sie schaute in den Rückspiegel und sah die trüben Scheinwerfer eines Wagens, der ihr in einiger Entfernung folgte. Er schien sich an ihre Fersen geheftet zu haben, fuhr nicht schneller oder langsamer und überholte auch nicht. Wie lange war er schon hinter ihr hergefahren? Mit einem Mal verspürte sie ein beklemmendes Gefühl. Sie fuhr hier ganz allein durch den Nebel und wurde von einem Auto verfolgt. Oder bildete sie sich das nur ein?

Jetzt führte die Straße einen steilen Berg hinunter. Lisa beschleunigte. Der andere Wagen beschleunigte ebenfalls. Er kam näher heran, so nah, dass er fast die Stoßstange von Lisas Golf berührte. Der Schweiß brach ihr aus allen Poren. Es musste ein Opel Astra sein, Farbe dunkelblau. Ein Kollege in der Redaktion fuhr auch so einen, allerdings einen silbergrauen. Das Nummernschild konnte sie nicht erkennen, er war zu nah dran.

Noch einmal beschleunigte sie, doch der andere blieb ihr dicht auf den Fersen. Was wollte der von ihr? Trieb er einfach nur ein böses Spielchen oder legte er es darauf an, dass sie einen Unfall baute? Sollte sie anhalten, ihn stellen und fragen, was er da für einen gottverdammten Bullshit veranstaltete? Auf der Gegenseite näherte sich langsam ein Fahrzeug, die Nebelscheinwerfer voll aufgeblendet. Lisa hupte und gestikulierte wie wild mit der linken Hand, aber der Wagen fuhr unbeirrt vorbei.

Sie wusste nicht mehr, was sie tun sollte. Möglicherweise wollte ihr Verfolger sie zwingen anzuhalten, um sie auszurauben oder zu vergewaltigen. Weit und breit war kein anderes Fahrzeug mehr zu sehen. Und es gab auch keine Dörfer oder einzelnen Bauernhöfe, wo sie hätte halten und Hilfe holen können. Sie drückte aufs Gas, und der Wagen schoss vorwärts. Die Straße verlief auf dem Talgrund in einer scharfen Kurve nach rechts.

Gerade als sie dachte, ihn abgehängt zu haben, kam das Motorengeräusch wieder näher. Der Astra fuhr fast auf ihren Wagen auf, berührte ihn leicht mit seiner Stoßstange. Der Golf geriet ins Schlingern, Lisa musste gegensteuern, um ihn auf der Straße zu halten. Ein Blick aus dem Fenster zeigte ihr, dass sie an einem Abgrund entlangfuhren. Wenn der Fremde sie noch einmal rammte, würde sie ins Schleudern geraten und durch die Leitplanke brechen. Der Astra fiel etwas zurück. Lisa machte eine Vollbremsung. Der Astra scherte kurz vor dem Aufprall aus, beschleunigte und raste an ihr vorbei. Dabei erhaschte sie einen Blick auf eine rote Baseballkappe und eine Sonnenbrille. Der Fahrer drückte auf die Hupe, deren Ton in Lisas Ohren widerhallte. So ein gottverdammter Idiot!

Sie fuhr in eine Parkbucht, stieg aus und lief einige Schritte hin und her, um ihre zitternden Knie wieder unter Kontrolle zu bekommen. Es war kalt geworden. Mit einem flauen Gefühl im Magen stieg sie wieder in ihren Wagen, schnallte sich an und gab Gas. Bei der Weiterfahrt versuchte sie den Zwischenfall zu vergessen. Aber ganz gelang es ihr nicht. Das Verhalten des Fahrers hatte Gefühle der Ohnmacht in ihr hervorgerufen. Und das war sie nicht gewohnt. Sie war es gewohnt, immer alles unter Kontrolle zu haben.

Es ging nun stetig bergab in ein Bachtal hinein. Der Himmel war aufgeklart, nur auf den Wiesen standen noch einzelne Nebelschwaden. Da brauen die Hexen ihr Abendbrot, hatte ihre Mutter mal erzählt. In der Ferne sah Lisa Lichter schimmern. Gott sei Dank, dort wohnten Menschen, Leute, mit denen man reden konnte und die sie bei ihren Recherchen unterstützen würden.

Sie passierte das Ortsschild von Niederweiler. Das Dorf bestand aus einigen Bauernhöfen und Einfamilienhäusern, einer Kirche mit Zwiebelturm und zwei Gasthäusern. Lisa parkte vor der Wirtschaft Zum Löwen. Es war ein Fachwerkhaus mit kleinen Fenstern und einer überdachten Treppe. Irgendwie kam das Haus ihr bekannt vor, aber sie konnte nicht sagen, wann und wo sie es schon einmal gesehen hatte. Gegenüber befand sich ein anderes Gasthaus, der Engel, vor dem schwarzgekleidete Männer standen und rauchten. Von einem Opel Astra war weit und breit nichts zu sehen.

Als Lisa den Löwen betrat, wehte ihr ein Duft nach gebratener Gans entgegen. Am Stammtisch saßen ein paar Einheimische, tranken Bier aus Krügen und spielten Karten. Bei Lisas Eintreten verstummten sie und musterten sie von Kopf bis Fuß. Ein unbehagliches Schweigen entstand. Wo war sie hier nur hineingeraten? Was hatte diese Feindseligkeit zu bedeuten?

Lisa marschierte auf den Wirt zu, der hinter dem Tresen stand und Gläser spülte. Er sah aus wie um die fünfzig, das Hemd spannte sich über seinem Bauch. »Ich hatte gestern bei Ihnen ein Zimmer bestellt«, sagte Lisa. »Unter dem Namen Faber.«

Sein pausbäckiges Gesicht verzog sich zu einem Lächeln. »Willkommen in Niederweiler!« Er streckte ihr die Hand hin. »Ich heiße Eberle. Wie lange wollen Sie denn bleiben?«

Lisa erwiderte seinen Händedruck. »So genau weiß ich das noch nicht. Vielleicht ein paar Tage.«

»Seit wann hast du denn eine Fremdenpension?«, rief einer der Kartenspieler und feixte.

»Reiß deinen Mund nur nicht zu weit auf«, gab der Wirt zurück. »Ihr könnt froh sein, wenn uns überhaupt mal jemand von draußen beehrt.«

Der Mann winkte ab und schob sein Kinn vor wie ein Nussknacker. »Wo kommen wir denn da hin? Demnächst werden wir noch von Touristen überlaufen. Die machen sich doch überall im Schwarzwald breit.« Er schaute seine Mitspieler herausfordernd an. »Das denkt ihr doch auch, oder? Wir lassen uns unser Dorf nicht kaputtmachen!«

»Jetzt gib Ruh und spiel weiter«, meinte einer der Spieler.

Das war ja ein netter Empfang. Zuerst der Astra und dann dieses Empfangskomitee. »Ich komme wegen des Martinsrittes. Der findet doch heute Abend hier im Dorf statt, oder? Ich werde darüber in unserer Zeitung berichten.«

»Direkt vor unserer Haustür«, meinte der Wirt. »Pünktlich um neunzehn Uhr, wenn der Gottesdienst vorüber ist. Wenn Sie sich bitte noch eintragen wollen?« Er schob ihr einen Meldezettel hin.

»Oje, von der Presse ist sie auch noch«, kam es aus der Ecke der Kartenspieler. Ein Glas klirrte. »Hoffentlich lässt die ein gutes Haar an uns.«

»Es ist ja bekannt, dass die Schwarzwälder rau, aber herzlich sind«, sagte Lisa und lächelte so gewinnend wie möglich.

»Kommen Sie, ich zeige Ihnen Ihr Zimmer«, sagte der Wirt beschwichtigend.

Am Stammtisch hatte sich Stille ausgebreitet, nur unterbrochen vom Klatschen der Karten auf den Tisch. Der Wirt packte Lisas Tasche, nahm einen Schlüssel vom Bord und stapfte vor ihr eine Treppe hinauf. Oben angekommen, musste er erst einmal verschnaufen. Eine Kuckucksuhr schlug sechs Mal.

»Sind Sie zum ersten Mal hier in Niederweiler, Frau Faber?«, fragte er, nachdem er die Tür aufgeschlossen und die Tasche im Zimmer abgestellt hatte.

»Ich habe den Ort über das Internet gefunden«, sagte Lisa. »Aber irgendwie kommt mir die Gegend bekannt vor.«

»Vielleicht waren Sie ja schon einmal hier?«

»Auf jeden Fall bin ich meines Wissens noch nie im Löwen gewesen.«

»Dann richten Sie sich jetzt ein wenig ein«, meinte er. »Und kommen Sie rechtzeitig herunter, das ganze Dorf wird auf den Beinen sein.«

»Ich bin schon sehr gespannt darauf«, sagte Lisa. »Es soll übrigens eine Serie über die Schwarzwalddörfer werden. Wie die Leute hier früher gelebt haben, welche Bräuche und Feste es gab und was davon noch übriggeblieben ist.«

»Sie kommen aus Tübingen?«

»So ist es. Ich arbeite für den Schwarzwaldkurier.«

»Welch Glanz in unserer Hütte! Ich fühle mich sehr geehrt. Zu Ihrer eigenen Sicherheit: Fahren Sie bitte noch ihren Wagen weg, sonst kommen Sie hinterher nicht mehr raus aus dem Spektakel. Und entschuldigen Sie bitte das Benehmen meiner Gäste. Sie sind misstrauisch gegenüber Fremden, vor allem denen aus der Stadt.«

»Schon notiert«, sagte Lisa. »Aber ich werde das etwas freundlicher formulieren. Eine Frage hätte ich noch. Gibt es hier jemanden, der einen blauen Opel Astra fährt?«

»Nicht, dass ich wüsste«, antwortete Eberle. »Warum fragen Sie?«

»Da ist vorhin einer hinter mir hergefahren und hat mich so bedrängt, dass ich fast einen Unfall gebaut hätte.«

Er schaute ihr aufmerksam ins Gesicht. »Das wundert mich nicht«, meinte er. »In der Kneipe da drüben hocken Abend für Abend Leute, denen ich nicht gern im Dunkeln begegnen würde. Sie kommen von überall her und fressen sich den Ranzen voll. So einem würde ich das schon zutrauen. Aber wegen denen sind Sie ja nicht hier.«

»Ich glaube, wenn die zur Dorfkultur dazugehören, wäre das schon interessant für mich«, sagte Lisa.

Eberle lachte, Lisa stimmte ein. Sie hatte es leichthin gesagt, doch bei der Aussicht, sich mit diesen Leuten auseinandersetzen zu müssen, wurde ihr doch ein wenig mulmig zumute. Eberle verließ den Raum, und Lisa blickte sich um. Das Zimmer sah genauso aus, wie sie sich eine Schwarzwaldstube vorgestellt hatte. Es war mit Holz ausgekleidet, im Herrgottswinkel hing ein Kruzifix. Lisa schaute aus dem Fenster. Auf dem Platz begannen jetzt Leute aus dem Dorf damit, ein Zelt aufzustellen. Eine rundliche Frau stand vor einem riesigen Grill, auf dem Holzkohle glühte.

Lisa lief hinunter und brachte ihr Auto in eine Seitengasse. Wieder oben angekommen, duschte sie, zog sich um und legte sich auf das Bett. Das Handy hatte sie abgeschaltet. Außer ihrer Redaktion wusste niemand, wo sie sich befand. Bilder aus den vergangenen Wochen zogen ihr durch den Kopf. Sie hatte Streit mit ihrem Exmann Robert gehabt, doch inzwischen hatten sich die Wogen geglättet. Sie hatten das gemeinsame Sorgerecht für Julian, ihren vierzehnjährigen Sohn, beantragt. Und es lief auch ganz gut, nur meinte Robert, weiter eine Rolle in Lisas Leben spielen zu müssen. Die Arbeit in der Redaktion war heftig gewesen, die ganze Zeit hatte das Telefon geklingelt. In den Gesichtern der Kollegen hatte Lisa die ständige Angst vor einer Kündigung gesehen. Die zunehmende Digitalisierung drehte den Zeitungen allmählich das Wasser ab.

Die Kirchenglocke schreckte Lisa aus ihren Gedanken. Sie nahm ihre Kamera aus der Tasche, verließ das Zimmer und stieg die Treppe hinunter auf den Dorfplatz, auf dem sich inzwischen eine stattliche Menge an Zuschauern versammelt hatte. Eine Blaskapelle platzierte sich scheinbar erwartungsfroh. Hinter dem Grill stand die rundliche Frau, deren Wangen glühten, während sie Würste briet. Eberle stellte sie als seine Gattin vor. Eine andere Frau rührte in einem Bottich mit Glühwein. Lisa fotografierte die Szene.

Plötzlich erstarb das Gerede, und alle blickten in eine Richtung. Huftrappeln war zu hören. Von der Kirche her näherte sich ein Reiter auf einem Schimmel, gefolgt von Kindern und Erwachsenen, die Laternen und Fackeln in den Händen hielten. Der Reiter war mit rotem Mantel und einer Bischofsmütze bekleidet. Lisa wusste, dass er den heiligen Martin von Tours darstellte, der im vierten Jahrhundert am Stadttor von Amiens einem armen, unbekleideten Mann begegnet war, seinen Mantel mit dem Schwert geteilt und die Hälfte dem Bettler gegeben hatte.

Die Kinder stellten ihre Laternen auf den Boden und bildeten einen Kreis. Sie sangen: Sankt Martin ritt durch Schnee und Wind …

Sankt Martin ritt in die Mitte des Kreises. Dort saß der Bettler und streckte die Arme zu ihm empor. Der Reiter stieg vom Pferd, zog seinen Mantel aus und zog mit einer schnellen Bewegung sein Schwert aus der Scheide. Ratsch! Die Blaskapelle spielte »O du fröhliche« und »Stille Nacht, heilige Nacht«. Eltern sahen mit glänzenden Augen zu ihren Sprösslingen hinüber. Von allen wichtigen Szenen hatte Lisa Fotos für die Zeitung gemacht.

Schließlich drängten sich alle um den Stand, und bald dampfte ein Glas Glühwein in Lisas Hand. Die Kinder tobten zwischen den Erwachsenen herum.

»Wie hat Ihnen der Martinsritt gefallen, Frau Faber?«, wollte Frau Eberle wissen. »Den gibt es seit mindestens dreißig Jahren. Wir sind ja noch nicht so lange hier, aber jedes Mal macht es uns wieder großen Spaß.«

»Sehr gelungen«, meinte Lisa. »Besonders das Pferd macht alles authentisch. Das sieht man nicht überall.«

»Martha Vogt hat es dem Dorf zur Verfügung gestellt. Sie wohnt hinten im Bachtal auf ihrem Bauernhof.«

Inzwischen war es noch kälter geworden, und die Leute drängten in das Zelt. Es war rappelvoll. Die Dorfbewohner nahmen auf Bierbänken Platz, aßen, tranken und redeten laut durcheinander. Lisa glaubte, auch die Spieler an einem der Tische zu sehen, die unbehelligt von dem Lärm ihre Karten klopften.

Sie ließ sich auf einem freien Platz bei den Eberles nieder. Gegenüber saß ein Mann in den Fünfzigern mit einem Dauerlächeln im Gesicht. »Heinrich Härter, Ortsvorsteher«, stellte er sich mit einem Nicken vor. »Und das hier sind Torsten Schmid, unser Pfarrer, und Gesine Pfeiffer, seine Haushälterin.«

Der Pfarrer hatte sich inzwischen seines Martinskostüms entledigt. Er war im mittleren Alter, leger gekleidet, während die Haushälterin mit ihrem Dutt und dem wadenlangen Rock etwas altbacken wirkte. Am Nebentisch saßen drei Männer in schwarzen T-Shirts, die mit Totenköpfen bedruckt waren. In ihrer Mitte befand sich ein junges Mädchen, auch in Schwarz gekleidet, die Augen mit Kajal umrandet.

»Die sind vom Engel vorne an der Straße«, raunte Frau Eberle Lisa zu. »Gerhard Maisch heißt der Besitzer. Stellen Sie sich vor, da vertilgen sie pfundweise Fleisch und saufen wie die Löcher!«

»Was machen die denn in einem so kleinen Dorf?«, fragte Lisa ebenso leise zurück. »Läuft das überhaupt? Die machen Ihnen doch Konkurrenz!«

»Die Gäste kommen sogar von Stuttgart dorthin. Vor allem wegen der großen Portionen. Ich finde das ja irgendwie eklig mit der Fresserei, aber sollen sie doch glücklich damit werden. Die Dorfbewohner und auch die Besucher aus Hohenstadt wissen die schwäbische Küche durchaus noch zu schätzen. Rostbraten und Spätzle, Maultaschen, Bubenspitzle und so weiter.«

Vom Nebentisch ertönte ein Ausruf. Die drei Männer mit den Totenkopfhemden waren hochrot angelaufen und diskutierten erregt miteinander, während das Mädchen dasaß und sich die Fingernägel feilte. Einer von ihnen griff sich sein Gegenüber und versuchte, ihn über den Tisch zu ziehen.

»Versuch sie doch zu halten, die kleine Hure!«, rief der Angegriffene. Die Weizengläser klirrten. Einige Männer im Zelt waren aufgesprungen. Der Tisch flog krachend um, das Bier spritzte in alle Richtungen, Gläser zerbrachen. Härter lief zu den Randalierern hinüber, andere Dorfbewohner versuchten, die Kontrahenten auseinanderzubringen. Das Mädchen, um das der Streit entbrannt war, stand etwas abseits und widmete sich weiter seinen Fingernägeln.

»Aufhören!«, schrie Härter in das Getümmel hinein. »Sonst rufe ich die Polizei!«

Augenblicklich verstummte der Lärm. Die Raufbolde gingen zu ihren Plätzen zurück und setzten sich.

Danach sprachen die Zeltbesucher zunächst nur leise miteinander, bis der Lärm wieder anschwoll.

»Die Gabriele hat nicht gerade den besten Ruf«, raunte Frau Eberle Lisa zu. »Und nicht nur, weil sie in dem XXL-Lokal bedient.«

»Na, na.« Härter drohte ihr scherzhaft mit dem Finger. »Wir wollen hier doch keine Gerüchte aufkommen lassen.«

»Ich habe nichts Anrüchiges gesagt«, meinte Frau Eberle etwas pikiert.

»Ja, ja, der Martinsritt«, erwiderte Härter, der das Gespräch offensichtlich in eine andere Richtung lenken wollte. »So lange wird diese Tradition jetzt schon aufrechterhalten.«

»Da war doch mal was«, sagte Eberle. »Ich hatte es fast schon wieder vergessen. Die Martha Vogt hat es mir mal erzählt.«

»Ach, du meinst die Geschichte von dem verschwundenen Pfarrer?«, fragte Härter. »Die hat doch einen ewig langen Bart!«

»Ich würde die Geschichte gern hören«, sagte Lisa. »Mich interessiert alles, was hier früher einmal geschehen ist.«

»Darüber spricht man eigentlich nicht«, sagte Härter. »Ich glaube, man würde mich teeren und federn, wenn bekannt wird, dass ich die ollen Kamellen wieder ausgrabe.«

»Jetzt wurde schon gegackert«, meinte Thorsten Schmid, der Pfarrer. »Nun müssen Sie das Ei auch legen.«

»Also gut«, sagte Härter. »Ich übernehme keinerlei Verantwortung.«

Er hob seine Hände entschuldigend in die Höhe. »Vor genau fünfundzwanzig Jahren, am 11. November 1987«, erzählte er, »verschwand der damalige Pfarrer von Niederweiler spurlos. Nach dem Martinsritt hatte er noch zusammen mit den anderen im Löwen gesessen. Danach wurde er nie mehr gesehen. Alle Nachforschungen der Polizei blieben ergebnislos.«

»Gab es keinerlei Hinweise?«, fragte Lisa.

»Doch«, meinte der Pfarrer. »Kommen Sie morgen Nachmittag zu mir ins Pfarrhaus hinüber. Da könnte ich Ihnen einiges berichten. Und fragen Sie auch Martha Vogt, von der Herr Eberle gerade sprach.«

Das schien eine spannende Geschichte zu sein. Vielleicht genau der Stoff, den sie für ihre Artikel brauchte. Lisa nahm sich vor, dem nachzugehen. Doch allmählich wurde sie müde, es war ein langer Tag gewesen. Sie trank ihren Glühwein aus und stand auf. »Ich gehe jetzt schlafen«, sagte sie und unterdrückte ein Gähnen. »Danke für den schönen Abend.«

»Gute Nacht, Frau Faber«, entgegnete der Wirt. »Schlafen sie gut.«

»Wir bleiben auch nicht mehr lange«, meinte der Pfarrer. »Ist ja auch nicht mehr viel los hier. Und noch eins: Gehen Sie doch mal hinauf zum Teufelsstein. Sehr schöner Ausblick von dort oben. Das Plateau diente schon unseren Vorfahren als Versammlungsplatz.«

»Das werde ich so bald wie möglich machen«, gab Lisa zurück. »Aber jetzt muss ich wirklich.« Sie nickte allen zu und ging zum Ausgang.

Als sie draußen war, atmete sie auf. Ihr Kopf brummte und sie freute sich auf ihr Bett. Oben im Zimmer lag sie noch eine ganze Weile wach und lauschte dem nun ferneren Lärmen aus dem Zelt. Doch schließlich schlief sie fest ein und träumte von einem blauen Opel Astra, der sie verfolgte und sie immer wieder mit der Stoßstange anstieß. In einer Kurve geriet sie ins Schleudern, kam von der Fahrbahn ab und flog in einen Abgrund. Aber der Wagen kam nicht unten auf, zerschellte nicht und ging auch nicht in Flammen auf. Stattdessen stand Lisa vor einem Haus, das einsam aus dem Nebel ragte. Aus dem Schornstein stieg langsam eine Rauchfahne. Sankt Martin musste in der Nähe sein, denn Lisa hörte Hufgetrappel, das näherkam. Doch als sie ihn erblickte, sah sie den bedrohlichen Ausdruck in seinem Gesicht.

Schweißgebadet wachte sie auf. Hatte jemand geschrien? Ihr Herz hämmerte gegen die Brust, der Kopf schmerzte, ihre Zunge fühlte sich pelzig an. Lisa schaute gehetzt auf ihre Armbanduhr: Es war sieben Uhr in der Frühe. Unten klappte eine Tür, jemand weinte hysterisch.

In aller Eile zog sich Lisa an und lief die Treppe hinunter. Das Ehepaar Eberle kam aus dem Gastraum. Sie hatten schreckensbleiche, müde Gesichter, Frau Eberles Augen waren rot und geschwollen.

»Was ist passiert?«, fragte Lisa.

»Der Pfarrer«, sagte Eberle und Lisa sah, wie sein Adamsapfel auf und ab hüpfte.

»Thorsten Schmid?«, fragte Lisa. »Was ist mit ihm?«

»Seine Haushälterin, Gesine Pfeiffer, hat uns gerade aus dem Bett geklingelt. Sie hat ihn gefunden, in der Kirche – tot, mit eingeschlagenem Kopf!«

Kapitel 2

Montag, 12. November

Atemlos erreichte Lisa die Kirche. Gesine Pfeiffer stand neben der Pforte. Ihre Arme hingen schlaff herunter, das Gesicht mit der spitzen Nase war leichenblass. Mit weichen Knien trat Lisa ein und blickte sich um. In einer Nische brannten Kerzen. Vor einer Statue des heiligen Sankt Martin lag der Pfarrer auf dem Bauch. Seine Arme waren seitlich ausgebreitet. Der Hinterkopf war eine einzige tiefe Wunde, in den Ohren klebte verkrustetes Blut. Lisa verspürte den Impuls, den Pfarrer aufzurichten, ihn umzudrehen oder ihm wenigstens den Puls zu fühlen. Aber eine Stimme in ihrem Kopf sagte ihr, dass dieser Mann tot war und dass sie nichts anrühren durfte, bis Arzt und Polizei da waren. Sie drehte sich um und kämpfte mit einem Schwindelanfall.

Weitere Menschen strömten in die Kirche, Lisa wusste gar nicht, wo sie alle herkamen. Sie erkannte die Eberles und den Ortsvorsteher, die anderen waren ihr unbekannt. Sie wollte den Notruf verständigen, bemerkte aber, dass sie ihr Handy in der Eile oben vergessen hatte.

»Schnell«, rief sie Eberle zu, »rufen Sie einen Krankenwagen, die Polizei!« Eberle verschwand. Lisa ließ sich auf eine der Kirchenbänke fallen. Ihr war kalt, die niedrigen Temperaturen in der Kirche ließen ihren Atem kondensieren.

Ein paar Minuten später ertönte die Sirene des Krankenwagens, Sanitäter eilten mit einer Trage herein. Der Notarzt versuchte eine Wiederbelebung, doch ohne Erfolg. Der Ortsvorsteher wies die Dorfbewohner an, die Kirche zu verlassen. Lisa folgte ihnen und wartete mit den anderen draußen.

Ein blausilberner Mercedes bremste scharf und kam neben dem Zelt zum Stehen. Zwei Beamte in Uniform rannten in die Kirche. Nach einiger Zeit kamen sie wieder heraus und wandten sich an die Umstehenden. »Da war nichts mehr zu machen«, sagte einer von ihnen. »Kommen Sie bitte alle in die Gastwirtschaft. Die Kripo in Hohenstadt haben wir schon verständigt, die Kollegen werden bald eintreffen und Sie befragen.«

Die Beamten begannen, rotweißes Absperrband um die Kirche zu spannen. Die Eberles hatten in aller Eile ein Frühstück aufgetischt, aber niemand wollte so richtig zugreifen.

Lisa schaute aus dem Fenster der Gastwirtschaft und sah, wie ein schwarzer VW Variant auf dem Platz hielt, gleich darauf kam ein Kleinbus. Ein Mann und eine Frau liefen zur Kirche, gefolgt von einer Gruppe von Männern in weißen Schutzanzügen. Nach einer Weile kehrten der Mann und die Frau zurück und eilten auf die Wirtschaft zu.

Lisa traute ihren Augen kaum. Diesen Mann kannte sie doch! Ja, es war Hauptkommissar Steidle, der Exmann ihrer Freundin Christine, die in Hohenstadt als Buchhändlerin arbeitete. Groß und kräftig war er, mit seiner geliebten, etwas speckigen Lederjacke bekleidet. Die junge Frau war dagegen eher klein mit etwas hervorstehenden Augen. Die beiden erschienen in der Wirtschaft.

»Kriminalhauptkommissar Steidle aus Hohenstadt«, stellte er sich vor. »Und meine Assistentin Mathilde Gruner. Wer hat den Pfarrer gefunden?«

»Seine Haushälterin, Frau Pfeiffer«, antwortete Härter. »Sie hat geschrien, woraufhin der Wirt vom Löwen und seine Frau in die Kirche hinüberliefen.«

»Die Haushälterin werden wir gleich als Erste befragen«, meinte Steidle. Er bedachte Lisa mit einer angedeuteten Verbeugung.

»Und du, Lisa, was machst du denn hier? Lange nicht gesehen. Verirren sich unsere Reporter jetzt schon in die hintersten Schwarzwaldwinkel?«

Das war typisch für ihn, diese ironische Art. Doch Lisa wusste, dass er dahinter einen weichen Kern verbarg. Er hatte sich schon immer als Macho gegeben, dessen aalglatte Oberfläche man nur schwer durchdringen konnte. Aber sie wusste einiges von Christine.

»Du weißt ja, wie das ist, Rainer. Man kommt zu gar nichts mehr. Und ja, ich recherchiere für meine Zeitung. Über den Schwarzwald und seine Bewohner. Das Interesse an der Heimat ist sehr gestiegen in der letzten Zeit. Brauchtum steht hoch im Kurs bei unseren Lesern.«

»Holla!« Er lachte dröhnend. »Neuerdings gehören wohl auch Tote zum Brauchtum, was?«

»Du triffst den Nagel auf den Kopf, wie immer.«

»Manchmal habe ich aber auch schon danebengehauen«, sagte er mit einem Schulterzucken.

Steidle und Mathilde Gruner verschwanden im Nebenzimmer. Nacheinander riefen sie die Dorfbewohner herein, um deren Aussagen aufzunehmen. Dann war Lisa dran.

»Das war sicher ein großer Schreck für dich«, meinte Steidle.

»Das kann man wohl sagen«, erwiderte sie. Lisa war durch das Geschehen innerlich zutiefst aufgewühlt.

Seine Miene schien besorgt. Aber man konnte sich bei ihm nicht darauf verlassen, dass er es ehrlich und nicht ironisch meinte.

»Wir kennen uns persönlich«, sagte Steidle zu Mathilde Gruner. Er deutete auf das Aufnahmegerät. »Es wäre etwas seltsam, wenn ich Frau Faber siezen würde. Im Protokoll kann man das wieder umstellen.«

»Ich dachte mir schon, dass das schwierig wird«, meinte Lisa. »Also, du kannst anfangen.«

Er grinste. »Ganz die Alte, immer schön die Situation im Griff behalten.«

»Das ist wichtig in meinem Beruf.«

Und nicht nur dort. Sie musste den Überblick behalten, um nicht die Kontrolle über ihr Leben zu verlieren. Widerstrebend schilderte sie ihm den Ablauf des gestrigen Abends. Sollte sie auch von dem vor Jahren verschwundenen Pfarrer erzählen? Aber das war ihre Geschichte, er würde das sicher noch selbst herausbekommen.

»Wie lange bleibst du in Niederweiler?«, fragte er.

So ganz war sie sich darüber noch nicht im Klaren. »Eigentlich wollte ich ein paar Tage bleiben.«

»Und uneigentlich?« So war er eben, wollte immer alles genau wissen, privat wie im Dienst.

»Na ja, so, wie die Dinge sich entwickeln, könnte es auch länger dauern. Die Redaktion hat mir ein bis zwei Wochen Zeit gegeben, mehr ist finanziell nicht drin.«

»Im Moment aber bitte keine Artikel an die Zeitung«, sagte er. »Das würde uns in den Ermittlungen behindern.«

Lisa versprach es. Steidle redete noch über dies und jenes und gab ihr zum Abschied die Hand. Eigentlich ein angenehmer, warmer Händedruck für einen Kotzbrocken wie ihn. Seit der Scheidung von Christine hatte er sich immer negativer entwickelt. Nur selten blitzte ein wenig Menschlichkeit hinter seiner Fassade hervor. Steidle zahlte seinen Kaffee an der Theke, und schon waren die beiden draußen. Lisa holte sich endlich ein Brötchen, strich Butter darauf und biss hinein. Das Brötchen war knusprig. Hier backen sie besser als in der Stadt, dachte sie. Aber das war eigentlich auch das einzig Positive an der Situation.

Gabriele Walter machte sich auf den Weg zum Engel. Sie trug hautenge Jeans, Stiefel und eine kurze Lederjacke. Gabriele wollte zu Gerhard Maisch, der in der Wohnung über der Gastwirtschaft lebte. Sie drückte auf den Klingelknopf. Als sich nichts rührte, drückte sie noch einmal fester. Sie trat von einem Bein auf das andere. »Mensch, mach doch auf, ich muss mit dir reden!«, rief sie zum Fenster hinauf.

Mit einem Klappern ging die Jalousie hoch, und Maisch steckte seinen Kopf mit den zerzausten Haaren heraus. »Was ist denn los, willst du das ganze Dorf aufwecken?«, schnauzte er sie an.

»Lass mich rein, ich muss mit dir reden«, rief Gabriele.

Der Summer ertönte, und Gabriele schlüpfte ins Haus. Sie stieg die Treppe hinauf. Gerhard Maisch erwartete sie bereits in der Tür und wollte sie an sich ziehen, doch sie stieß ihn zurück.

»Du stinkst ja wie eine offene Schnapsflasche«, sagte sie angewidert.

»Du hast auch nicht wenig gesoffen gestern Nacht«, gab er zurück.

»Lass gut sein«, meinte Gabriele. »Hast du schon gehört, was passiert ist?«

»Nö«, sagte er. »Was soll denn in so einem Kaff schon passieren?«

»Pfarrer Schmid ist ermordet worden, Mann! Was hast du dazu zu sagen?«

Er gähnte. »Was soll ich dazu zu sagen haben? Ich war's auf jeden Fall nicht.«

»War der Kommissar schon bei dir?«

»Vorhin hat es mal geklingelt, aber ich habe nicht aufgemacht. Auf meinem Handy war eine SMS, dass ich morgen aufs Kommissariat in Hohenstadt kommen soll.«

»Was willst du denen denn sagen?«

»Na, dass es gestern im Zelt eine kleine Keilerei gegeben hat. Weil du den Markus Geringer angemacht hast.«

»Habe ich nicht! Das bildest du dir bloß ein.«

»Ich habe doch gesehen, wie du ihn angestarrt hast.« Sein Gesicht wurde rot. »Und mit dem Pfarrer hast du's auch getrieben, gib es ruhig zu. Ich habe genau gesehen, wie du spät in der Nacht rüber zur Kirche geschlichen bist.«

»Du hast doch gepennt, mit dem Kopf auf dem Tisch in deiner Kneipe«, sagte Gabriele.

»Ich habe nur so getan. Du bist rüber zu ihm, du Flittchen.«

»Erzähl das auf keinen Fall dem Kommissar, ich bitte dich, Gerhard!«

»Dann musst du aber auch dankbar sein.«

Gabriele wurde kalt bei dem Gedanken, aber sie nickte mechanisch.

Den Tag verbrachte Lisa damit, die Gegend zu erkunden. An der Schule vorbei wanderte sie bis zum Dorfrand. Schräg gegenüber der Schule stand ein schindelgedecktes Haus, ein Jägerzaun umschloss das Grundstück. Aus dem Schornstein stieg friedlich eine Rauchfahne. Eine uralte, kahle Linde stand im Garten, es gab Beete, die für den kommenden Winter abgedeckt waren.

Die Tür öffnete sich und eine Frau erschien. Ihr Gesicht war bleich, die Haare hingen ihr strähnig auf die Schultern. »Miez, Miez, Miez, Miez«, rief sie halblaut. Ihre Stimme klang rau. Irgendwo im Garten ertönte ein Miauen. Zwei Katzen huschten zu ihr und verschwanden im Haus. »Gehen Sie fort«, sagte die Frau und wandte ihr Gesicht ab, das irgendwie scheu wirkte.

»Was meinen Sie?« Lisa war perplex, so etwas war ihr noch nie passiert. Dazu noch in einem fremden Dorf weit weg von der Zivilisation.

»Sie sollen verschwinden!«, erwiderte sie und trat einen Schritt auf Lisa zu.

»Was soll denn das?«, gab diese ärgerlich zurück. »Sie können mich doch nicht daran hindern, hier spazieren zu gehen!«

»Lassen Sie mich in Ruhe!«, stieß die Frau hervor. »Wir können hier keine Fremden gebrauchen.«

Trotz ihrer feindseligen Haltung machte Lisa noch einen Versuch. Das alles könnte eine hervorragende Story werden. »Haben Sie gehört, dass gestern Nacht ein Mord geschehen ist? Hier im Dorf?«, fragte sie mit unschuldiger Miene.

»Das geht mich nichts an«, sagte die Frau mit ausdruckslosem Gesicht. »Um mich kümmert sich ja auch niemand.«

Etwas stimmte nicht mit dieser Dorfbewohnerin. Trotz ihrer harschen Worte hätte Lisa gerne mehr drüber gewusst, was mit ihr los war. Zunächst einmal wollte sie es aber dabei belassen. Sie drehte sich um und ging weiter, folgte einem Wanderweg oberhalb des Baches. Schafe weideten in dem Tal, der Weg war mit raschelnden braunen Blättern bedeckt. Zu Lisas Erstaunen entdeckte sie am Wegrand ein Veilchen, das gerade aufgeblüht war. Veilchen im November! Das Klima wurde von Jahr zu Jahr extremer.

Am frühen Nachmittag kehrte sie zurück ins Dorf. Die Eberles hatten Tische und Stühle ins Freie gestellt. Kommissar Steidle saß an einem der Tische mit einem Espresso vor sich. Er grinste Lisa entgegen.

»Seid ihr also fertig mit den Vernehmungen?«, fragte sie zur Begrüßung. Eine leichte Röte zog sich über sein Gesicht. »Ich könnte dich auch fragen, wo du warst, Lisa. Ich hatte gesagt, alle sollten sich zu unserer Verfügung halten!«

Sie merkte, wie Ärger in ihr hochstieg. »Davon wusste ich nichts. Außerdem hatten wir uns doch schon ausgiebig unterhalten.«

»Und während du gemütlich dein Brötchen verspeist hast, habe ich meinen Job gemacht.« Seine Gesichtszüge entspannten sich. »Jetzt brauche ich erst mal etwas zwischen die Zähne. Würdest du mir Gesellschaft leisten?« Er schaute sie mit ironisch verzogenem Mundwinkel an.

»Ich wollte sowieso eine Kleinigkeit essen«, gab sie zurück.

Steidle bestellte einen Apfelstrudel mit Sahne und Vanilleeis, Lisa begnügte sich mit einer Latte macchiato und einer Butterbrezel. Frau Eberle wollte wissen, wie sie den Nachmittag verbracht hatte, und Lisa ergriff die Gelegenheit beim Schopf. »Wer ist die Frau, die in dem Haus gegenüber der Schule am Dorfrand wohnt?«, fragte sie.

»Meinen Sie das mit den Schindeln und dem Jägerzaun? Das ist Josefine Walter, die Mutter von Gabriele, die im Engel bedient. Sie zog vor drei Jahren her und hat das Haus gekauft, für einen Spottpreis. Angeblich kommt sie aus Haslach im Kinzigtal. Die ist ein bisschen spinnert, glaube ich. Schon, wie sie mit ihren Katzen umgeht. Ich möchte nicht wissen, wie es bei der drinnen ausschaut.«

»Sie hat sich ziemlich merkwürdig benommen. Sagte, ich solle von hier verschwinden.«

»Das dürfen Sie nicht persönlich nehmen, die ist immer so. Sie lebt extrem zurückgezogen zusammen mit ihrer Tochter Gabriele. Die beiden sind wie Pech und Schwefel miteinander.«

Lisa dämmerte etwas. »Ist Gabriele die junge Frau, wegen der sich die Männer im Festzelt gestern gestritten haben?«

»Genau. Sie ist ganz anders als ihre Mutter, und es gefällt der natürlich überhaupt nicht, wie ihre Tochter lebt. Einmal ist sie sogar in der Wirtschaft erschienen, um Gabriele nach Hause zu holen. Aber der Maisch hat sie rausgeschmissen.«

Wie klein doch die Welt war. Und es war offensichtlich immer noch so, dass auf dem Dorf jeder alles über jeden wusste. Und es auch mit Lust und Eifer weitertratschte. Lisa zwinkerte Frau Eberle zu. Die zwinkerte zurück, trat ab und eilte die Treppe zur Gaststube hinauf, so schnell es ihre Leibesfülle erlaubte.

»Was machst du denn jetzt wirklich hier?«, wollte Steidle wissen. »Du sagtest doch, du müsstest recherchieren.«

»Das tue ich auch. Da jetzt aber dieser Todesfall passiert ist, habe ich einfach mal Pause gemacht und bin spazieren gegangen.«

»Daran ist im Grunde nichts auszusetzen«, meinte er. »Sorry, dass ich dich so angeschnauzt habe. Aber ich stehe gewaltig unter Druck.« Er wechselte abrupt das Thema. »Bestimmt hast du Christine angerufen. Wahrscheinlich seid ihr wieder über mich und Robert hergezogen.«

Wie gut er uns kennt, dachte Lisa, und sagte laut: »Sie ist meine beste Freundin, und das bleibt sie auch. Aber wir haben gar nicht über dich geredet.«

»Das würde ich euch auch nicht raten.« Steidle trank seinen Espresso aus und widmete sich mit Genuss seinem Apfelstrudel. »Den solltest du auch mal probieren, schmeckt einfach köstlich!«

Der Strudel machte Lisa Appetit, sodass sie schließlich doch ebenfalls einen bestellte.

»Wo warst du eigentlich zur Tatzeit?«, fragte er unvermittelt.

»Ist das ein Verhör?« Lisa war nicht bereit, sich von ihm behandeln zu lassen wie einer von seinen üblichen Verdächtigen.

»Nein, nur eine Frage. Die müssen wir allen Zeugen stellen.«

»Wann soll denn die Tatzeit gewesen sein?«, wollte sie wissen, um Zeit zu gewinnen.

»Das wird das Labor noch genauer feststellen, aber wahrscheinlich so zwischen Mitternacht und drei Uhr morgens.«

»Also, ich war zur Tatzeit im Bett. Aber allein, niemand kann mir ein Alibi verschaffen.«

»Wer sagt denn, dass ich dich verdächtige? Was solltest du für einen Grund haben, einen Pfarrer umzubringen?«

»Wer könnte überhaupt einen Grund dafür haben?«, konterte Lisa.

»Wir werden es herausfinden«, meinte er und streckte gemütlich seine Beine von sich. »Aber versuch nicht, dich in unsere Ermittlungen einzumischen!«

»Und wenn meine Zeitung mir den Auftrag gibt, darüber zu berichten?« Das war durchaus realistisch gedacht, ihr Chef würde sich die Lippen nach so einer Geschichte lecken.

»An deinen Recherchen kann ich dich nicht hindern«, meinte er und schaute sie mit einem milden Lächeln an. »Aber ich möchte noch einmal darum bitten, diskret mit Informationen umzugehen.«

»Sehr wohl, Herr Hauptkommissar«, sagte Lisa grinsend. »Was war denn eigentlich mit der Haushälterin, Gesine Pfeiffer?«

Steidle verdrehte die Augen. »Du fragst einem aber auch Löcher in den Bauch. Eigentlich darf ich nicht darüber sprechen. Aber weil du es bist. Sie hat gesagt, dass sie geschlafen habe und von einem lauten Geräusch wachgeworden sei. Manchmal sei der Pfarrer mitten in der Nacht in die Kirche gegangen, um für die Seelen der Dorfbewohner zu beten. Daher ist sie auch gleich in die Kirche gelaufen. Und dann hat sie ihn gefunden. Aber jetzt muss ich weiter, die Pflicht ruft. Ich wurde als Chef der MoKo ausgewählt. Das bedeutet rund um die Uhr Arbeit bis zum Umfallen, kein Urlaub, kein freier Tag, keine Festlichkeiten, kein Geburtstag, nichts, bis der Fall gelöst ist.«

»Das ist dein Job«, meinte sie. Und ich mache meinen, dachte sie im Stillen.

»Wahrscheinlich hast du recht«, murmelte er. »Bis die Tage.«

»Ciao«, entgegnete Lisa und sah ihm nach, wie er mit federnden Schritten die Treppe hinaufging, um zu bezahlen. Sein brauner Haarschopf glänzte. Einige Minuten später kam er zurück, nahm seine zerknautschte Lederjacke von der Stuhllehne und winkte ihr noch einmal zu, bevor er in seinen Variant stieg. Sie würden sich bestimmt bald wieder begegnen.

Josefine Walter spähte durch die Gardine. Sie dachte an die Fremde mit dem Blondschopf und den schicken Jeans. Sie, Josefine, hatte sich gleich gedacht, dass sie nur ins Dorf gekommen war, um herumzuschnüffeln. Die sollte sie mal kennenlernen! Am liebsten hätte sie die Fensterläden zugemacht, damit die Leute nicht mehr hereingucken konnten, um zu sehen, was sie trieb. Es war ja ordentlich warm heute, da wurde es Zeit, oben mal wieder nach dem Rechten zu sehen. Aber sie würde nicht über den Dorfplatz gehen, wo alle sie sehen konnten und dann stehen blieben, um über sie zu tratschen. Nein, sie würde wieder die Schotterstraße nehmen, bis zum Parkplatz, und dann durch den Wald bis zu der Stelle laufen, die ihr so viel bedeutete.

Josefine stellte eine Schüssel mit Milch für die Katzen hin. Die kamen und gingen, wann sie wollten. Eigentlich war es ihr nicht recht gewesen, dass sie durch das Katzentürchen hinauskonnten. Josefine war sich nie sicher, ob sie auch zurückkommen würden. Auf der anderen Seite waren sie stark und unabhängig, genauso, wie Josefine immer hatte sein wollen. Alles hatte seinen Preis.

Josefine nahm einen Einkaufsbeutel, warf sich einen leichten Mantel über, schlüpfte hinaus und verschloss die Tür sorgfältig hinter sich. Sie nahm den Weg, den die fremde Frau vorher gegangen war, und bog in den Schotterweg ein. An den Rändern der Straße wuchsen Erlen, wilde Rosen und Brombeergebüsch. Die Rosen trugen dicke Hagebutten an den Zweigen. Die frische Luft tat Josefine gut. Beim Parkplatz bog sie in einen schmalen Waldweg ein. Hoffentlich würde sie es schaffen, vor der Dunkelheit zurück zu sein, denn die Sonne stand schon tief. Ein Häher krächzte. Josefine hatte das Gefühl, er lache sie aus. Nein, dachte sie, niemand soll mich mehr auslachen. Die aus dem Dorf hatten wohl erwartet, dass sie zu diesem Martinsritt erscheinen würde, aber den Gefallen hatte sie ihnen nicht getan. Hinter ihrem Rücken hätten sie nur wieder schlecht über sie geredet.

Und sie hätte sich diesen Maisch reinziehen müssen, wie er ihre Gabriele betatschte. Die Arbeit in dieser Kneipe war nichts für sie, wie oft musste sie ihrer Tochter das noch sagen! Gabriele hatte sich verändert. In letzter Zeit merkte Josefine, dass sie nicht mehr so gern bei ihr lebte. Der Maisch war an allem schuld, er hatte Mutter und Tochter entfremdet. Das hatte sie heute Vormittag auch diesem Kommissar und seiner kuhäugigen Assistentin erzählt. Sie hatte ihnen gesagt, dass sie an dem Abend weder an dem Umzug noch an der Feier im Zelt teilgenommen hatte. Gabriele war kurz nach Mitternacht heimgekommen, dafür konnte sie sich verbürgen. Und sie selbst hatte zu Hause in ihrem Bett gelegen, wofür sie allerdings keinen Zeugen hatte benennen können außer Gabriele.

Josefine schritt ein wenig kräftiger aus. Die Wurzeln der umstehenden Tannen krochen über den Weg, sie musste aufpassen, dass sie nicht stolperte.

Endlich war sie oben am Teufelsstein. In der Feuerstelle häuften sich Steine und Asche, die noch glühte. Am Fuß des roten, steil aufragenden Felsens wuchs stinkender Nieswurz. Josefine pflückte einen Zweig davon, blies sachte in die Asche und legte den Zweig hinein.

Kapitel 3

Lisa rief ihren Chef in der Redaktion an. Er wirkte hektisch.

»Ja, recherchiere in der Sache, du hast meine volle Unterstützung. Spannende Geschichte, aber exklusiv für den Schwarzwaldkurier natürlich.«

Sie schaute auf die Uhr: halb vier. Gleich würde sie auf ihr Zimmer gehen und Berichte schreiben müssen. Am Himmel hatten sich Kondensstreifen gebildet, im Dorf schien alles unverändert. Oben angekommen, fuhr sie ihren Laptop hoch. Das Handy hatte sie zwar weiterhin ausgeschaltet, aber nach E-Mails konnte sie ja mal schauen. Im Unbekannt-Ordner befand sich eine Mail mit dem Betreff: Niederweiler. Sie klickte darauf, wenn auch mit einem unbehaglichen Gefühl.

Fremde wie Sie haben in unserem Dorf nichts zu suchen. Einer musste schon sterben. Was wollen Sie denn noch? Verschwinden Sie, sonst wird etwas noch viel Schlimmeres geschehen!

Lisa war fassungslos. So etwas passierte doch nur in Kriminalromanen! Sofort musste sie an die Frau am Dorfrand denken. Ob die einen Computer hatte, wusste sie nicht, aber E-Mails schreiben war heute ja kein Problem mehr. So abweisend, wie sie ihr gegenübergetreten war … Den Absender der E-Mail kannte sie nicht. Nach einigen Recherchen fand sie jedoch heraus, dass die Nachricht über einen Mail-Account in der Ukraine geschickt worden war, den sie nicht identifizieren konnte.

Lisa überlegte. Eine solche Drohung war ihrer Verfassung nicht gerade zuträglich. Auf der anderen Seite weckte sie ihre Neugier. Nein, sie würde sich nicht so leicht einschüchtern lassen! Lisa beschloss, die seltsame Frau Walter noch einmal aufzusuchen. Aber wie konnte sie jemanden, der so misstrauisch war, dazu bringen, mit ihr zu reden? Vielleicht würde sie über ihre Tochter an sie herankommen oder über ihre Katzen. Lisa hatte früher immer mal wieder eine Katze gehabt, aber nachdem zwei von ihnen als ganz junge Dinger überfahren worden waren, hatte sie kein Tier mehr gewollt.

Lisa lief die Treppe hinunter. Die Gaststube war leer, aus der Küche war das Summen der Geschirrspülmaschine zu hören. Bis zum Dorfrand ging sie zu Fuß. Aus der Schule ertönte die Blasmusik der Jugendkapelle. Es war inzwischen dunkel und kalt geworden, der Mond stand über der Wiese, die sich an Josefine Walters Grundstück anschloss. Die Luft roch nach Schnee, und es war auch eine Kaltfront angesagt. Zwei der Katzen schlichen im Gras herum und spähten nach Mäusen, noch vier weitere tummelten sich in dem kleinen Garten vor dem Haus. Sie sahen ein wenig vernachlässigt aus. Eine buntgescheckte und eine schwarzweiße krochen unter dem Jägerzaun hindurch und rieben sich schnurrend an Lisas Beinen. Sie bückte sich und streichelte sie, was das Schnurren der Tiere verstärkte.

In diesem Augenblick öffnete sich die Haustür. Josefine Walter starrte abweisend zu Lisa herüber. Ihr Gesicht war bleich wie am gestrigen Abend. »Lassen Sie meine Katzen in Ruhe«, rief sie. »Die mögen keine Fremden!«

Lisa musste an sich halten, um nicht zu sagen: »Die benehmen sich aber nicht so, als wenn sie keine Fremden mögen.« Stattdessen antwortete sie: »Hier haben die Katzen es gut, sie können sich frei bewegen.«