Die Hure und der Mönch - Christa S. Lotz - E-Book

Die Hure und der Mönch E-Book

Christa S. Lotz

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Beschreibung

Von Liebe und Laster.

Florenz im 15. Jahrhundert. Der Bußprediger Savonarola, Prior des Klosters San Marco, versucht alle Feste und Lustbarkeiten in der Stadt zu unterdrücken. Doch nicht alle folgen ihm in seiner Sinnesfeindlichkeit. Auf einem Frühlingsfest ihrer Eltern wird die schöne junge Angelina ihrem zukünftigen Gatten vorgestellt, einem alten, korpulenten Mann. Angelina ist entsetzt – insgeheim ist sie in Francesco, den Gehilfen des Malers Botticelli verliebt, der sie in verführerischer Pose malt. Wenig später versuchen Savonarolas Schergen das Fest aufzulösen – und der Mann, der ihr Gemahl werden sollte, wird erstochen aufgefunden. Als ein weiterer Mord in ihrem Umfeld geschieht, beginnt Angelina zu glauben, Francesco könnte dahinter stecken. Doch jemand verfolgt sie, und dann bricht in Florenz die Pest aus ...

Ein spannender Roman über die Renaissance und eine unmögliche Liebe.

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Christa S. Lotz

Die Hure und der Mönch

Roman

Impressum

ISBN E-Pub 978-3-8412-0338-0ISBN PDF 978-3-8412-2338-8ISBN Printausgabe 978-3-7466-2761-8

Aufbau Digital,veröffentlicht im Aufbau Verlag, Berlin, September 2011© Aufbau Verlag GmbH & Co. KG, BerlinDie Originalausgabe erschien 2011 bei Aufbau Taschenbuch,einer Marke der Aufbau Verlag GmbH & Co. KG

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jegliche Vervielfältigung und Verwertung ist nur mit Zustimmung des Verlages zulässig. Das gilt insbesondere für Übersetzungen, die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen sowie für das öffentliche Zugänglichmachen z.B. über das Internet.

Umschlaggestaltung Mediabureau Di Stefano, Berlin unter Verwendung eines Motivs von Francis G. Mayer/Corbis und Bridgeman Berlin

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Inhaltsübersicht

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Inhaltsübersicht

1. TEIL

Prolog

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

14.

15.

16.

17.

18.

19.

20.

21.

22.

2. TEIL

23.

24.

25.

26.

27.

28.

29.

30.

31.

32.

33.

34.

35.

36.

3. TEIL

37.

38.

39.

40.

41.

42.

43.

44.

45.

46.

47.

48.

49.

50.

51.

52.

53.

54.

55.

Nachwort

|5|1. TEIL

Mai 1497 – September 1497

|7|Prolog

Die Glocken des Doms Santa Maria del Fiore schlugen elf Mal.

Als das Geläut verstummte, öffnete Domenian die Tür des Gotteshauses und betrat das dämmrige Schiff. Vor den Seitenaltären brannten kleine Öllichter, die seinen Schatten auf den gefliesten Boden warfen. Domenian erschrak über den Nachhall seiner eigenen Schritte. Er schaute zu der riesigen Kuppel empor. Ihm war, als verfolgten ihn Augen von Teufeln und wilden Tieren. War es die Angst um seinen Herrn Savonarola, die ihn umtrieb? Seine Finger pressten sich so fest zusammen, dass es schmerzte.

Vater, verzeih mir meine sündigen Gedanken, ich bitte um Vergebung. Er kniete vor einem der Seitenaltäre nieder, zog einen Strick aus seinem Ordensgewand, entblößte seinen Rücken und begann sich zu geißeln. Lass mich nicht im Feuer der Hölle schmoren, sondern erlöse mich von dem Bösen! Ich werde mein Werk in deinem Sinne ausführen, o Herr. Er ließ noch einmal das Seil über seinen Rücken sausen und stöhnte vor Schmerzen.

Er sah den Scheiterhaufen vor sich, der im Februar auf der Piazza della Signoria gebrannt hatte, sah die Augen Savonarolas, die fiebrig glänzten, als die Kostbarkeiten der Reichen in Flammen aufgingen und schließlich zu Asche zerfielen. Ein krachendes Geräusch von der Tür her ließ ihn auffahren. Im trüben Schein der Lampen sah er, wie einige Schatten in den Raum eindrangen. Wer wagte es, dieses Haus Gottes zu entweihen?

Unterdrücktes Kichern drang an seine Ohren. Waren das etwa die Compagnacci, diese gottverlassenen Söhne der Patrizier, die immer noch den Namen Lorenzo de’ Medicis im Munde führten? Palle, palle, palle!, das war der Schlachtruf dieser frechen, genusssüchtigen Bürschchen geworden. Und wie um ihn zu verhöhnen, |8|riefen die Jungen in den Raum hinein: Palle, palle!, Savonarola, dir werden wir’s besorgen! Domenian verbarg sich hinter einer der Säulen.

Trappelnde Schritte, huschende Gestalten bewegten sich schnell auf die Kanzel zu. Ein Geruch nach verwesendem Fleisch drang in die Nase des Mönchs. Sie werden es doch nicht wagen … Flüsternd und mit unterdrücktem Lachen machten sich die Jungen an der Kanzel zu schaffen. Domenian hörte Hammerschläge. Sie schlugen auf die Kanzel ein! Jetzt war das Maß voll. Er trat hinter der Säule hervor und rief mit donnernder Stimme: »Gott strafe euch, und in der Hölle sollt ihr braten für das, was ihr getan habt!«

Erschrocken hielten die Missetäter einen Augenblick lang inne, dann begannen sie zu lachen. Sie johlten, ließen alles stehen und liegen, kamen in rasendem Lauf auf ihn zu. »Halt’s Maul, Mönchlein, sonst könnte es passieren, dass wir dich an deinem Spitz aufhängen!«, rief einer von ihnen. Er stieß ihn zur Seite, so dass Domenian zu Boden stürzte. Sie rannten aus der Kirche hinaus, und er blieb allein zurück mit dem bestialischen Gestank und einer bleiernen Stille.

Auf der Kanzel lag das Fell eines Esels, besudelt mit Blut und Eingeweiden. In die Brüstung, genau an der Stelle, worauf Savonarola während seiner Predigten mit der Faust zu schlagen pflegte, hatten sie spitze Nägel eingeschlagen.

|9|1.

Er kauerte im Dunkeln draußen und starrte in die hell erleuchteten Fenster, wo die Reichen in ihren bunten Kleidern funkelnde Gläser erhoben und dem Luxus frönten. Sie zogen alles in den Dreck, was ihm heilig war. Dennoch liebte er es, ihr Treiben heimlich zu verfolgen, denn da war ein Mensch unter ihnen, den er gerne beobachtete. Von Zeit zu Zeit musste er wiederkehren, hier an den Ort, wo alles begonnen hatte. Es war für ihn ein Leichtes gewesen, in den Garten einzudringen, wo er sich hinter dem Lorbeerbaum versteckte, direkt vor der Tür zur Terrasse. Es donnerte in der Ferne, er blickte auf, bald würde der Regen fallen, er sollte sich lieber auf den Weg machen. Mit einem letzten Blick in den Festsaal nahm er Abschied von seinem Engel, und dieser Blick änderte alles. Er sah etwas, was ihm nicht gefiel.

Eine Hand, die den Arm seines Engels ergriff, einen stolzen, besitzergreifenden Blick, einen hängenden Kopf.

Der Frühling war ins Land gekommen, mit Anemonen und Blausternkissen, doch auch mit feuchter Luft und Gewittern. Im Südwesten, von Florenz her, hatte sich eine dunkle Wolkenwand zusammengebraut, die bedrohlich wuchs. Angelina trat in den Festsaal, der von den Kerzen der Kristalllüster erleuchtet war. Unter den fein gekleideten Gästen herrschte eine aufgeräumte Stimmung, sie plauderten und scherzten. Dachten sie nicht an die Gefahr, die ihnen allen drohte? Die Stimmen klangen ihr überlaut in den Ohren.

Angelinas Vater, Lorenzo Girondo, war in ein lebhaftes Gespräch mit einer jungen Frau vertieft. Was machte er da? Wollte er wieder einmal seine Frau bloßstellen? Angelina schaute sich nach ihrer |10|Mutter um. Lukrezia Girondo hatte sich in eine Ecke zurückgezogen. Ihre schwarzen Locken wurden durch eine perlenbestickte Kappe gebändigt, die Leibesfülle von einem Kleid aus dunklem Samt. Sie stopfte Marzipantörtchen in sich hinein und winkte ihrer Tochter zu. Angelina ging zu ihr hinüber.

»Mein Herr Vater könnte wenigstens heute aufhören, sich wie ein Pfau zu benehmen«, murmelte sie.

Ihre Mutter schüttelte den Kopf. »Ich fühle mich immer älter und dicker, je jünger und hübscher seine Geliebten werden.«

»Dann esst nicht so viel Kuchen und Konfekt!«, versuchte ihre Tochter sie zu necken. Ihr Vater hatte inzwischen die junge Frau allein gelassen und rief: »Ich bitte meine Gäste nun zu Tisch! Lasst uns das Frühlingsfest feiern, wie es immer bei uns üblich war.«

Nachdem sich alle an den Tischen verteilt hatten, traten Diener heran, nahmen Flaschen mit weißem Chianti aus den Silberschalen, schenkten ein.

»Ein Prosit auf unser Geschlecht der Girondos und auf uns alle!«, rief Lorenzo fröhlich aus, und die Mägde brachten die Speisen. Es wurden Wildbret, gebratener Fisch, Aufschnitt und Saucen mit viel Pfeffer, Pinienkernen und Trüffeln serviert.

»Wer froh sein mag, der sei es, das Morgen, das ist nicht sicher …«, fuhr Lorenzo fort. »Das hat mein alter Freund und Namensvetter, Lorenzo de’ Medici, immer gesagt, Gott weiß, warum er so bald sterben musste. Dieser wahnsinnige Prior Savonarola ist schuld daran, dass er vertrieben wurde!«

»Habt Ihr keine Bedenken, in diesen Zeiten Feste zu feiern und den Namen der Medicis auszusprechen?«, fragte ein untersetzter Mann mit flachem, federgeschmücktem Barett.

»Savonarola duldet solche Feierlichkeiten nicht«, ergänzte sein Gegenüber, ein junger, hochgewachsener Mann. Es war Francesco Rosso, Malergehilfe Sandro Botticellis, bei dem Angelinas Eltern ein Porträt von ihr in Auftrag gegeben hatten. Sein Nachbar mit dem Barett wandte immer wieder den Blick zu Angelina. Er gefiel ihr nicht. Seine Lippen waren fleischig, seine Art war höflichunterwürfig, |11|und wenn seine Augen die ihren trafen, zuckte eines seiner Augenlider. Dieses Zucken erinnerte sie an etwas, sie wusste aber nicht, an was.

»Wer ist das?«, fragte sie flüsternd ihre Mutter.

»Das ist Tomasio Venduti, ein Tuchhändler aus unserer schönen Stadt Florenz«, gab die Mutter ebenso leise zurück. Als hätte er es gehört, erhob der Fremde nun seine Stimme.

»Wir sind Savonarola zwar zu tiefem Dank verpflichtet«, meinte er, »aber der Prior ist zu weit gegangen. Man kann den Menschen nicht alle Freude am Dasein nehmen. Was ist denn dabei, wenn ein Fest wie dieses gefeiert wird?«

»War unsere Stadt nicht einmal eine Pracht?«, warf Francesco ein.

»Es war die Stadt der Künste und der Wissenschaft, des Reichtums und der Macht«, entgegnete Tomasio. »Und der schönen Frauen.« Sein Augenlid zuckte bei diesen Worten.

»Und jetzt ist sie …«, setzte Francesco fort.

»Jetzt ist sie ein Gottesstaat«, antwortete Tomasio. »Alles, was die Menschen davon abhält, ins Reich Gottes zu kommen, wurde aus ihren Mauern verbannt. Aber Savonarola ist den falschen Weg gegangen. Keiner kann anderen Menschen seinen Willen aufzwingen, wenigstens nicht auf die Dauer.«

»Wenn die Menschen aber in ihr Unglück rennen«, versetzte Francesco, »Gottes Wort vergessen, sich bereichern und ein sündiges Leben führen … Dann muss ihnen jemand den rechten Weg zeigen.«

Sandro Botticelli ist als Anhänger dieses Mönchs bekannt, ging es Angelina durch den Kopf. Konnte Francesco dieses Fest mit seinem Gewissen vereinbaren?

Nachdem das Mahl beendet war, begannen die Musiker zu spielen. Die Gäste zerstreuten sich, standen in Gruppen herum, lachend und plaudernd. Angelina setzte die begonnene Unterhaltung mit Francesco und Tomasio fort. Jetzt gesellte sich Angelinas Vater zu ihnen.

|12|»Du bist in angenehmer Gesellschaft, wie ich sehe«, meinte er, an seine Tochter gewandt.

»Ja, Herr Vater, ich unterhalte mich glänzend«, erwiderte sie.

»Ich möchte dich mit jemandem bekannt machen«, sprach ihr Vater weiter. Angelina war es, als verdunkelten sich die Lichter der Kronleuchter.

»Mit wem denn? Ich kenne doch alle Eure Gäste.« Hilfesuchend blickte sie auf Francesco. Lorenzo Girondo nahm Angelina beim Arm und führte sie zu einer Gruppe von Männern und Frauen, die sich um die Musiker versammelt hatten. Ein älterer Mann mit einem Wams, das über seinem Bauch spannte, trat ihnen entgegen, ergriff Angelinas Hand und deutete einen Kuss an. Als er sich wieder aufrichtete, bemerkte sie, dass ihm graue Haare aus Ohren und Nase wuchsen.

»Das ist Giuliano Fredi, dein künftiger Ehemann«, stellte ihr Vater vor. In Angelinas Magengrube machte sich ein flaues Gefühl breit. Wieso hatte er nicht mit ihr darüber gesprochen, dass er vorhatte, sie zu verheiraten? Ihre Beine begannen nachzugeben. Nur keine Schwäche zeigen, nicht vor all den Gästen!

»Ich bin ein wenig … überrascht, Herr Vater«, sagte sie mit fester Stimme. »Und ich hätte gern eine Bedenkzeit.« Aus der Wolkenwand draußen grummelte es.

»Du kannst Signor Fredi unbedenklich heiraten«, warf ihre Mutter ein, die inzwischen herangekommen war. Angelina hatte noch nie ans Heiraten gedacht, besonders jetzt nicht, da Francesco … Ihr Vater bat die Gäste um Ruhe und rief:

»Hiermit gebe ich die Verlobung meiner Tochter Angelina mit Giuliano Fredi, einem angesehenen Florentiner Geschäftsmann, bekannt.« Er hob seinen Weinbecher. Die Gäste riefen »Oh« und »Ah« und klatschten in die Hände. Angelina wurde über und über rot. Ihr Vater gab den Musikern ein Zeichen. Sie begannen, eine Pavane zu spielen.

Signor Fredi deutete eine Verbeugung an und reichte Angelina den Arm. Alles in ihr sträubte sich, doch sie konnte ihren Vater |13|nicht bloßstellen, verneigte sich ebenfalls kaum merklich und folgte dem Mann. Giuliano Fredi hielt sie leicht an der rechten Hand. Ein Schritt nach links, einen nach rechts. So einfach war das in diesen Kreisen. Ein Doppelschritt nach links, dann nach rechts wiederholt. Ihr Rock aus rotem Atlas rauschte, die weiten Ärmel flatterten. Angelina sah die Umstehenden, ihre Augen leuchteten zu ihr herüber. Francescos Blick war undurchdringlich. Tomasio starrte sie unverwandt an, so dass sie sich unbehaglich fühlte. Fredi änderte seine Tanzrichtung. Die Flöten, die Gitarre und die Trommel wurden lauter. Fredi tanzte eine Schrittfolge rückwärts und führte Angelina in einem großen Kreis herum. Mitten in die Musik und den Tanz hinein krachte es.

Die Musik brach ab, die Anwesenden schwiegen betroffen. Eines der Bilder war von der Wand gefallen. Es stellte Angelinas Mutter in jungen Jahren dar. Das bedeutete Unglück! Signora Girondo wies eine Magd an, die Scherben zusammenzufegen, Angelinas Vater setzte ein fröhliches Gesicht auf und rief: »Scherben bringen Glück, Angelina!«

Angelina hätte im Boden versinken mögen. Sie wusste, dass sie ein alles andere als glückliches Leben führen würde. Die Musiker begannen erneut zu spielen, Fredi setzte seinen Tanz mit ihr fort. Sie wünschte sich Francesco an die Stelle Fredis. Aber da er als Malergeselle zur handwerklichen Zunft gehörte, konnte sie sich den Gedanken wohl aus dem Kopf schlagen.

Der Tanz näherte sich dem Ende. Fredi stellte sein rechtes Bein gestreckt nach vorn und verbeugte sich, ohne den Kopf sinken zu lassen. Angelina deutete einen Knicks an. Er brachte sie nicht an ihren Platz zurück, weil die Musiker jetzt noch eine Gaillarde spielten. Die anderen Gäste schlossen sich ihnen an. Ein dumpfes Poltern dröhnte von der Tür her in den Saal. Die Musik verstummte abrupt. Wer mochte um diese späte Stunde noch Einlass begehren?

Angelina folgte ihrem Vater, dessen Schläfenadern bedenklich schwollen, und dem Diener, der vorauseilte. Einige Gäste setzten sich hinter ihnen in Bewegung, um zu sehen, was geschah. Der |14|Diener öffnete die Tür. Draußen standen etwa zehn bis zwölf Fanciulli, die Aufseher Savonarolas, keiner älter als vierzehn Jahre, alle im weißen Gewand. Einer der Größeren trat keck hervor.

»Im Namen Christi«, sagte er mit einer Stimme, die überschnappte, weil er sich im Stimmbruch befand. »Im Namen Savonarolas, unseres erlauchten Herrn von Florenz, sind wir ausgezogen, weil wir von verbotenen Festen hier auf dem Land gehört haben. Ihr feiert hier ein verbotenes Fest, und wir müssen Euch streng dazu ermahnen, alle Feierlichkeiten abzubrechen, Eure Gäste nach Hause zu schicken, Eure sündhaften Kleidungsstücke ins Feuer zu werfen und vor Gott und seinem Sohn Buße zu tun!«

»Mit welchem Recht dringt ihr in meinen Besitz ein, ihr Lausbuben?«, herrschte Lorenzo ihn an. »Verschwindet, bevor ich meine Diener losschicke. Wenn das nicht fruchtet, meine Hunde.«

»Das solltet Ihr schön unterlassen, Signor Girondo«, schrie der Junge. »Wir machen eine Meldung bei den Signori vom Stadtrat und dann werdet Ihr schon merken, wie weit Ihr kommt! Mit Eurem Handel in der Stadt wird es vorbei sein, dafür wird die Signoria sorgen!«

»Ihr habt mir nichts zu befehlen«, gab Lorenzo zur Antwort. »Und jetzt fort mit euch, aber pronto!«

Die Gäste reckten die Hälse. Der Anführer der Schar gab sich noch nicht geschlagen, auch wenn seine jüngeren Kameraden betretene Gesichter machten.

»Sind nicht auch heidnische Schriften oder wollüstige Bilder in Eurem Besitz?«, fragte der Junge geifernd. »Schmuck, Spiegel, Schminktöpfe, weltliche Musikinstrumente, Spielkarten, teure Möbel, sündhafte Kleidungsstücke? Ihr werdet in der Hölle schmoren, wenn Ihr Euch nicht von diesem Lebenswandel abkehrt!«

Lorenzo baute sich vor dem Knaben auf.

»Fort mit euch, das ist mein letztes Wort! Ich fürchte euren Savonarola nicht und auch nicht eure Hölle!«

»Das werdet Ihr bereuen«, zischte der Junge und drohte mit der Faust, bevor er sich mit seinen Gefährten zurückzog. Sie schritten |15|von dannen, mit dem Lied ›Viva Christo, e chi gli crede‹ auf den Lippen. Mit einem gewissen Stolz im Gesicht drehte Lorenzo sich zu seinen Gästen um.

»Denen hab’ ich’s gezeigt!«, freute er sich. Angelina war beklommen zumute. Noch herrschte dieser Prior mit eiserner Macht in der Stadt. Jeder, der sich ihm widersetzte, fiel in Ungnade. Aber was konnte ihnen wirklich geschehen? Hatte sie nicht schon munkeln hören, dass der Stern Savonarolas im Sinken begriffen war?

Das Grummeln aus der schwarzen Wolke war schwächer geworden. Aufgeregt schwatzend und gestikulierend kehrten die Gäste in den Empfangsraum zurück. Da ertönte ein erstickter Schrei aus dem Garten hinter dem Haus. Ein Diener kam mit weit aufgerissenen Augen angelaufen.

Er hatte etwas gesehen, was ihm nicht gefiel, und er handelte schnell. Die Engel waren auf seiner Seite. Sie lenkten die restlichen Gäste ab, und als der Mann mit dem stolzen, besitzergreifenden Blick den Garten betrat, noch ganz ungläubig vor Glück, machte er diesem Theater ein Ende. Es war ein blutiges Ende, obwohl es schnell ging. Er musste alle seine Kräfte aufbringen, den Mann festzuhalten, als er zustach. Während er ihn zu Boden gleiten ließ, atmete er schwer. Als er die Augen hob, sah er mit einem Mal, dass er nicht allein war. Es war einer der Gäste. Sein Mund stand offen. Doch noch während er ihn beobachtete, verzog sich der ungläubig offenstehende Mund zu einem Grinsen. Es war, als hätte er diesem Mann, den er noch nie gesehen hatte, einen Gefallen getan, einen Wunsch erfüllt, auf den er kaum zu hoffen gewagt hatte. Der Gast deutete eine dankbare Verbeugung an und zog sich wortlos ins Haus zurück. Kurze Zeit später kam ein Diener heraus und im Haus erhob sich Geschrei, aber da war der Garten schon wieder leer.

»Da liegt …«, stotterte der Diener, »da liegt …«

Lorenzo packte ihn bei den Schultern und schüttelte ihn.

»Was ist los, was hast du gesehen?«, rief er.

|16|Dem Diener begannen die Zähne zu klappern. Er lief den anderen voran in den Garten und zeigte mit zitterndem Finger auf den Brunnen. Als Angelina mit den anderen näher trat, wurde ihr erst heiß, dann kalt. Signor Fredi, der für sie als Gatte ausersehen war, lag in gekrümmter Haltung am Boden, die Beine verdreht, halb an den Brunnen gelehnt. Ihr Vater war bleich geworden, Angelina sah das Entsetzen in seinen Augen und in denen der Gäste. Lorenzo drehte den Körper des Mannes herum. In seinem feisten Rücken steckte ein Dolch, und unter seinem Körper hatte sich eine Blutlache gebildet.

|17|2.

Lorenzo löste sich als Erster aus der Erstarrung.

»Warum war Signor Fredi im Garten?«, fragte er atemlos.

»Er sagte, er brauche frische Luft«, entgegnete der Diener. »Dann bin ich nach vorne, um zu sehen, was los war.«

»Der Tote muss weg«, rief Lorenzo heiser und winkte zwei andere Diener heran.

»Warum muss er weg?«, wollte Angelina wissen. Ihr war übel. Sie hatte ihn zwar nicht haben wollen, aber so einen Tod hatte der arme Mann doch nicht verdient. Es war ihr, als wäre sie schuld an dem, was geschehen war. Die anderen Festbesucher standen immer noch wie erstarrt.

»Es darf der Signoria nicht bekannt werden, dass einer meiner Gäste tot aufgefunden wurde. Bringt ihn hinunter auf den Weg. Er kann von jedem beliebigen Wegelagerer erstochen worden sein.«

»Das halte ich für einen guten Einfall«, stimmte ihm Tomasio zu. Andere Gäste nickten, immer noch bleich im Gesicht. Die Diener packten den Toten und luden ihn auf einen Karren.

»Das Fest geht weiter«, beschied Lorenzo. »Und ich bitte Euch, meine lieben Gäste, über diesen Zwischenfall zu keinem etwas verlauten zu lassen!« Die Musiker begannen wieder zu spielen, und die Gäste gingen hinein, weil inzwischen ein starker Wind aufgekommen war. Angelina fröstelte, sie verstand die Welt nicht mehr, sie verstand nicht, dass ihr Vater nach einem solchen Vorfall das Fest nicht abgebrochen hatte. Sie versuchte in den Augen ihrer Mutter zu lesen, doch die wandte sich ab und nahm sich eine Sahnewaffel vom Tisch.

Am nächsten Tag schien die Sonne wie gewöhnlich in Angelinas Fenster herein, als wäre nichts geschehen. In der Nacht war noch |18|ein kräftiges Gewitter niedergegangen. Als Angelina die Treppe hinab ins Esszimmer kam, saßen ihre Eltern schon am Frühstückstisch. Zwei Diener brachten Würzwein, Eier, Käse und weißes Brot. Die Spuren der nächtlichen Feier waren beseitigt worden.

»Du siehst bleich aus«, sagte Angelinas Mutter.

»Ich habe schlecht geschlafen«, gab Angelina zurück. »Wegen der Ereignisse von gestern Nacht. Was wollt Ihr dem Wachtmeister sagen, wenn Signor Fredi gefunden wird?«

»Wir werden sagen«, begann Lorenzo und legte sein Messer beiseite, »und auch du wirst dich an diese Version halten, dass Signor Fredi sich zu diesem Fest angesagt hatte, aber nicht erschienen ist. Unsere Diener haben ihn nach Anbruch der Nacht gesucht, aber nicht gefunden.«

»Es ist das beste so, mein Kind«, fügte ihre Mutter hinzu. »Schon schlimm genug, dass die Fanciulli uns in der Nacht aufsuchen mussten. Die werden es gewiss der Signoria gemeldet haben.«

»Und wenn schon!«, polterte Lorenzo. »Der Stadtrat wird uns schon nichts anhaben können. Wenn Savonarola erst einmal vom Papst exkommuniziert wird, hat er sowieso einen schweren Stand in der Stadt. Das kann nicht mehr lange dauern, sage ich euch.«

»Die Fanciulli haben Signor Fredi nicht gesehen«, warf ihre Mutter beruhigend ein. »Und falls unsere Gäste aussagen müssen, werden sie dasselbe sagen wie wir.«

»Aber Ihr könnt nicht leugnen, das Fest gefeiert zu haben!«, gab Angelina zu bedenken. Ihr Vater zwinkerte ihr zu.

»Hier auf dem Land wird das ein wenig unbefangener gesehen. Der Arm des Mönchs reicht nicht so weit, auch wenn er seine Kinderbanden schon in die umliegenden Dörfer schickt.«

»Ich danke Gott dafür, dass deine Geschwister krank geworden sind und wir sie zu den Großeltern gebracht haben«, meinte Signora Girondo. »Sie waren zu lange draußen«, fügte sie hinzu.

»Sie waren nicht zu lange draußen«, setzte Lorenzo dagegen. »Ich habe immer gesagt, Kinder muss man abhärten, dann bekommen sie viele Krankheiten erst gar nicht.«

|19|»Davon verstehst du nichts«, entgegnete seine Frau und knuffte seinen Arm.

»Wollt Ihr den Mord nicht doch lieber melden, Herr Vater?«, fragte Angelina.

»Ausgeschlossen!«, gab Lorenzo zur Antwort. »Die Lage ist schwierig genug. Ich kann es mir in meiner Stellung nicht erlauben, mit so etwas in Verbindung gebracht zu werden.«

»Wann kommen Rodolfo und Clementina denn zurück?«, fragte Angelina. Sie hatte eingesehen, dass sie mit ihrem Vater nicht reden konnte. Gut, dass ihren Geschwistern das hier erspart geblieben war.

»Wir fahren morgen in unser Stadthaus«, erwiderte Lorenzo. »Dort werden die Kleinen uns schon erwarten.«

Angelinas Herz begann schneller zu klopfen. Sie würde Francesco wiedersehen!

»Ich freue mich darauf«, sagte sie und trank einen Schluck Würzwein, als es an der Tür pochte. Der Diener Hippolo kam herein und meldete den Wachtmeister aus dem Dorf.

Angelina kannte den gutmütigen Mann aus den Bergen. Er hieß Angelo Nicolini und war ein schwergewichtiger Familienvater, dem man seinen Hang zu gutem Essen und Trinken ansah. Der Wachtmeister schnaufte herein und blieb ehrerbietig stehen.

»Kommt doch näher«, rief Lorenzo ihm zu.

Der Wachtmeister drehte seine Mütze in den Händen.

»Es ist mir nicht angenehm, Signor und Signora Girondo«, begann er zögernd. »Winzer haben heute Morgen einen Toten auf dem Weg ins Dorf gefunden. Nun muss ich Euch fragen, ob Ihr ihn kennt.«

»Hat ihn niemand aus dem Dorf erkannt?«, fragte Lorenzo mit einem gespannten Gesichtsausdruck.

»Nein, niemand, aber die Leute sagen, das war so ein feiner Herr, der hatte gewiss etwas mit den Girondos da oben auf dem Anwesen zu tun.«

»Wir hatten gestern einige Freunde zu Gast«, sagte Lorenzo.

|20|»Ich hörte davon«, gab Nicolini zurück. »Ein paar Fanciulli haben gestern Nacht gemeldet, dass bei Euch ein Fest stattgefunden habe, das nicht den Verordnungen entsprach.«

»Ach, Ihr wisst doch, wie das ist«, schmeichelte Lorenzo. »Man holt seine Kleider aus den Truhen, um mal wieder ein wenig Glanz zu sehen. So viel Freude ist ja in letzter Zeit nicht aufgekommen, meint Ihr nicht auch, Signor Nicolini?«

»Recht ist Recht«, antwortete der Wachtmeister. »Ich muss das der Signoria melden.«

»Ach, kommt«, meldete sich Angelinas Mutter zu Wort, »Ihr erhaltet auch wieder ein Fässchen Wein aus unserem Keller. Und einen Korb voller Sahnewaffeln«, fügte sie hinzu, als sie sah, wie die Augen des Wachtmeisters aufleuchteten.

»Also gut, ich habe nichts gehört und nichts gesehen«, meinte er.

Und an Lorenzo gewandt: »Aber wollt Ihr mir jetzt bitte folgen und Euch den Toten ansehen?«

»Aber gewiss. Es könnte Signor Fredi sein, der sich bei uns angesagt hatte, aber nicht erschien. Wahrscheinlich ist er von Wegelagerern erschlagen worden, der Arme.«

»Er wurde erstochen«, meinte der Wachtmeister.

»Wenn er es wirklich ist, werde ich ihn in unserem Wagen in die Stadt bringen lassen.«

»Hat er Verwandte?«, wollte der Wachtmeister wissen.

»Nur seine alte Mutter, soweit ich weiß.«

»Habt Ihr ihn nicht suchen lassen?«

»Meine Diener haben Ausschau nach ihm gehalten, ihn aber nicht gefunden«, beendete Lorenzo den Disput und schritt zusammen mit dem Wachtmeister hinaus.

Am Tag darauf zog die Familie Girondo wieder in die Stadt. Ihre leichte Kutsche war mit Körben und Beuteln beladen. Der Leichnam Fredis begleitete sie in einem schwarzen Kasten.

Die Stadt Florenz empfing sie so abweisend wie bei ihrer Abreise. Die Häuser standen wie Türme, mit kleinen Fenstern und Loggias |21|versehen. Angelina bemerkte die Nebel, die von den Wassern des Arno aufstiegen. Sie hüllten alles in ein düsteres Grau. Die Menschen, in schwarze Umhänge gehüllt, eilten ihren Häusern entgegen. Sie schienen beunruhigt; viele von ihnen trugen Waffen. Durch die Straßen zogen die Fanciulli del Frate.

Angelinas Vater übernahm die traurige Aufgabe, Fredis Mutter ihren toten Sohn zu überbringen. Die Familie erreichte ihr Stadthaus, den Palazzo Girondo. Angelina stieg mit ihrer Mutter die Treppe zum Primer Piano, zum ersten Stock hinauf. Sie war froh, ihre Geschwister wiederzusehen. Sie wären wieder vollständig gesund und von den Großeltern hervorragend versorgt worden, berichteten sie.

»Gibt es noch ein Fest?«, fragte Rodolfo mit leuchtenden Augen.

»Vielleicht zu Pfingsten!«, fiel Clementina ein.

»Wir werden sicher bald wieder ein Fest feiern«, versicherte Angelina und strich beiden über die Köpfe. Von draußen ertönte ein vielfältiges Rasseln. Die Geschäftsleute ließen ihre Läden herunter. Signora Girondo, die herzugekommen war, sagte aufgeregt: »Die Schulen haben geschlossen, weil Savonarola wieder eine seiner Predigten hält. Wir sollten hingehen, alle unsere Nachbarn und Bekannten finden sich heute im Dom ein, um den Prediger zu hören.«

»Er ist ein Piagnone, eine Heulsuse!«, rief Clementina. »Und alle, die ihm anhängen, sind ebenfalls Heulsusen.«

»Wo hast du denn das aufgeschnappt?«, fragte Signora Girondo streng.

»Na, bei den Compagnacci, unseren Kumpanen«, antwortete Clementina. »Sie sagen, Savonarola hat die Stadt verraten, weil das, was er versprochen hat, nicht eingetreten ist.«

»Davon versteht ihr nichts«, sagte Signora Girondo schnell. »Jetzt zieht eure Gewänder für die Kirche an, hört doch, die Glocken läuten schon!«

Wenig später traf Lorenzo Girondo ein, und die Familie machte sich gemeinsam auf den Weg zum Dom. Kleinere Prozessionen von Menschen zogen zur Kirche hin, angeführt von den Fanciulli |22|del Frate. Von einer Eskorte von älteren Kindern bewacht, näherte sich Savonarola dem Dom. Angelina hatte ihn noch nie aus solcher Nähe gesehen.

Er war von kleiner Statur, in eine braune Kutte gekleidet, die von einem Strick zusammengehalten wurde. Sein Gesicht wirkte blass und zerfurcht, die Augen, die tief in ihren Höhlen lagen, sahen aus wie von innen verbrannt. Das war also der Bußprediger, der ganz Florenz im Griff hatte! Angelina betrachtete ihn neugierig. Sie wandte sich erschrocken ab, als er sich plötzlich umwandte und sein Blick sich in ihren bohrte.

In der Kirche herrschte drangvolle Enge, es roch nach Schweiß, nach Weihrauch und ein wenig nach Verwesung. Da Männer und Frauen in der Kirche durch ein riesiges Tuch getrennt stehen mussten, blieben nur ihre Mutter und ihre Schwester während der Predigt bei Angelina. Nach Gesängen, Gebeten und Psalmen, die nicht mehr aufhören wollten, betrat Savonarola die Kanzel. Atemlose Stille herrschte unter den Unzähligen, die sich hier versammelt hatten.

»Hört ihr das Wort unseres Vaters?«, begann der Mönch mit gewaltiger Stimme, die man dem schmächtigen Körper gar nicht zugetraut hätte. »Das sagt: Auge um Auge, Zahn um Zahn? Wir stehen dicht vor der Wende des Jahrhunderts. Hat nicht Johannes das Ende der Zeit angekündigt? Und siehe, ein fahles Pferd. Und der darauf saß, dessen Name war: der Tod, und die Hölle folgte ihm nach. Und ihnen wurde Macht gegeben über den vierten Teil der Erde, zu töten mit Schwert und Hunger und Pest und durch die wilden Tiere auf Erden. Diejenigen, die das Heiligste beschmutzt haben in der letzten Nacht, sollen in den tiefsten Tiefen der Hölle schmoren!« Er schlug auf die Brüstung der Kanzel, wo Domenian die Nägel hatte entfernen lassen. Ein Aufseufzen kam aus tausend Kehlen. »Bürger von Florenz!«, fuhr Savonarola fort. »Noch sitzt der Antichrist auf dem Thron in Rom, Alexander VI., den gilt es zu vernichten, es gilt, einen Gottesstaat zu errichten. Die Wahl des Papstes im Jahre 1492 war ungültig! Er lebt in Sünde mit seinen |23|Konkubinen, allein sieben Kinder hat er mit ihnen gezeugt. Der Papst hat gedroht, mich zu exkommunizieren, aber das kann mich nicht davon abhalten, das Rechte zu tun, das, was Gott und die Gemeinschaft der Gläubigen von uns verlangen. Seid ihr treue Diener Gottes? Werdet ihr uns mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und bei allem, was euch heilig ist, unterstützen?«

»Ja, das werden wir, Padre Prior«, antworteten Tausende von Menschen.

»Also«, fuhr Savonarola fort, »der vollkommene Christ lebt im Glück der Barmherzigkeit. Und so – wie Hiob sagt – haben diese Vollkommenen die Nacht in Tag verwandelt, das heißt, Unglück schätzen sie als Glück und Glück der Welt halten sie für Unglück. Das sind also die Doppelrechtser, die vollkommenen Christen. Andere Christen sind Doppellinkser, die gebrauchen beide Hände als Linke, da sie sündigen im Glück wie im Unglück. Das sind diejenigen, die gestern Nacht das Haus des Herrn besudelten. Wie denen, die Gott lieben, alles zum Wohle gereicht, so gereicht diesen alles zum Übel.«

Das Schlagen einer Trommel war zu hören. Die dicht gedrängt stehenden Menschen blickten verwirrt empor. Das Trommeln wurde lauter. Einige junge Leute auf den oberen Rängen waren aufgesprungen. »Du wirst selber in der Hölle brennen, Savonarola!«, schrie einer von ihnen. »Uns kannst du nicht mehr überzeugen mit deinem Sünden- und Höllengefasel! Und bald wird dir keiner mehr folgen in dieser Stadt.« Die Menge wirkte wie versteinert.

»Euch wird der Mut bald vergehen, ihr Bürschchen!«, rief Savonarola und drohte ihnen mit der Faust. »Gott wird über euch zu Gericht sitzen.« Durch das lauter werdende Geschrei und Trommeln fuhr er mit seiner Predigt fort: »Die Doppelrechtser gleichen den Bienen, die alles in süßen Honig verwandeln, die Doppellinkser den Schlangen, die alles in Gift verwandeln. Und was denkt ihr, die ihr gute Christen seid, wer von denen die ewigen Freuden des Paradieses erlangen wird?«

|24|»Die Doppelrechtser!«, riefen die Menschen, lauter als die Trommeln.

»Und wer wird in die Hölle fahren und im Fegefeuer braten?«

»Die Doppellinkser!« Es kam wie ein gemeinsamer Aufschrei, viele bekreuzigten sich.

»Du bist selber ein Doppellinkser, Savonarola«, tönte es von der Empore. Einige Mönche eilten die Treppe hinauf, packten die Störer und trieben sie mit Knüffen und Stößen aus der Kirche hinaus. Keine Hand regte sich, um ihnen zu helfen.

»So lasst uns beten«, fuhr Savonarola zufrieden fort, als wieder Stille eingetreten war. Sein Gebet, das er mit lauter, sicherer Stimme vortrug, endete mit den Worten:

»Und weil wir Menschen hienieden schwach sind, so behüte uns, Herr, vor allen schädlichen Anfechtungen, vor Teufels Arglist, Fleisches Begierden und der Welt Falschheit und Trug. Und erlöse, Herr Gott, mich selbst und alle Christen von dem Übel des Leibes und der Seele. Amen.«

»Amen«, kam es aus Tausenden von Kehlen. Der Chor begann zu singen.

Danach schoben sich die Massen langsam nach vorn, um das heilige Abendmahl aus der Hand des Priors zu empfangen. Angelina glaubte zu ersticken, so dicht drängten sich die Menschen. Sie schickte einen Blick zur Kuppel des Doms. Durch die runden Fenster fiel ein fahles Licht. Als sie den Kopf senkte, begegneten ihr zwei Augenpaare, die sie anscheinend schon länger angeblickt hatten. Es war Francesco. Neben ihm stand ein Mann mit rötlichem Lockenkopf und orangefarbenem Gewand. Es war der Maler Botticelli, den Angelina schon in dessen Werkstatt gesehen hatte. Sie bahnte sich einen Weg durch die Menge, bis sie vor den beiden stand.

»Wir sollten die Kirche verlassen«, meinte Francesco. »Sonst werden wir hier noch erdrückt. Ich glaube, hier sind Abertausende von Leuten versammelt.«

»Du versäumst das Abendmahl, wenn du jetzt gehst«, mahnte ihn der Maler. »Außerdem braucht Girolamo Savonarola jetzt |25|unsere Unterstützung. Du hast gewiss gehört, was gestern vorgefallen ist.«

»Was ist geschehen?«, fragte Angelina.

»Gestern Morgen war der Dom von einem widerlichen Gestank erfüllt«, antwortete Francesco. »Jemand, wohl die Compagnacci, hat die Eingeweide eines Esels auf den Altar gelegt und überall Nägel in die Kanzel geschlagen. Wahrscheinlich wollten sie Savonarola töten. Aber sie haben es nicht geschafft!«

So weit war es schon gekommen? Angelina konnte es kaum glauben.

»Kommst du jetzt mit mir nach vorne?«, fragte Botticelli ungeduldig.

»Ich habe eine Sitzung mit der Signorina«, gab Francesco unbekümmert zurück. »Kommt«, sagte er und fasste Angelinas Arm.

Sie wurde rot. »Ich muss meinen Eltern Bescheid geben«, wandte sie ein. Sie entdeckte ihre Eltern und Geschwister, die dem Ausgang zustrebten. Als sie es endlich aus dem Dom heraus geschafft hatten, sah Angelina ihre Familie, die offensichtlich auf sie wartete. Zusammen mit Francesco steuerte sie auf sie zu.

Angelina zupfte am Ärmel ihres Kleides. »Francesco will an meinem Bild weitermalen«, sagte sie.

»Oh, das hatte ich ganz vergessen, dass heute eine Sitzung in der Werkstatt ist«, meinte ihr Vater.

»Dann geh«, schaltete sich die Mutter ein. »Aber sei zum Abendessen wieder zu Hause! Clementina soll dich begleiten.« Ihre Schwester war die Letzte, die Angelina hätte dabeihaben wollen, auch wenn sie das Mädchen sehr liebte. Clementina drängte sich freudig an sie heran.

»Darf ich auch etwas malen?«, fragte sie mit glänzenden Augen. Mit ihren zehn Jahren war Clementina doch noch recht kindlich.

»Aber gewiss darfst du das«, antwortete Francesco lächelnd.

|26|3.

Sie durchquerten die fast menschenleeren Straßen der Stadt. Die Sonne hatte sich durch die Wolken gekämpft und warf goldene Strahlen auf die Steine und Mauern. Clementina sprang vor ihnen her, ein Lied trällernd, was Angelina ihr jedoch verbot, da die Fanciulli del Frate allgegenwärtig waren. Ausgehungerte Bettler streckten ihnen die Hände entgegen. Angelina versuchte jedem ein wenig zu geben, doch es war unmöglich. Sie erreichten das Gerberviertel. Männer, Frauen und Kinder arbeiteten an den Bottichen, reinigten und walkten das Leder. Ein stechender Geruch lag in der Luft. Schließlich erreichten sie die Kirche Santa Maria Novella und die enge Via Nuova, in der Botticelli seine Werkstatt hatte.

»Buongiorno, Francesco Rosso!«, rief ein kleiner, drahtiger Mann mit Kräuselhaar und einem Schnurrbart zu ihnen herüber.

»Buongiorno, Lucas Bandocci«, entgegnete Francesco. »Das ist mein Freund, Gemüsehändler und Apotheker in einem«, erklärte er, zu Angelina gewandt. Der Händler stand vor seinen Auslagen mit frischem Gemüse, Säcken mit Zwiebeln sowie Körben voller dicker Bohnen und getrockneter Pilze. Lucasüberquerte die schmale Gasse und drückte allen dreien die Hand.

»Bei mir könnt Ihr alles haben«, sagte er zwinkernd zu Angelina. »Jetzt haben wir Mai, da gibt es die ersten Spinatpflänzchen und Spargel.«

»Wo bist du gewesen, Lucas?«, fragte Francesco. »Ich habe dich in der Kirche nicht gesehen.«

»Meinen Gott trage ich im Herzen«, versetzte Lucas lächelnd. »Den brauche ich mir von niemandem predigen zu lassen.«

»Das lass nur den Meister nicht hören«, gab Francesco zurück, »sonst kauft er nicht mehr bei dir ein!«

|27|»Sandro Botticelli ist seinem Gott sehr zugetan, aber er ist auch ein sehr menschlicher Künstler. Ich glaube schon, dass er mich verstehen würde.« Und zu Clementina gewandt: »Komm doch später bei mir vorbei, ich habe ein paar Nüsse für dich.«

Clementina nickte schüchtern und verabschiedete sich. Durch eine niedrige Tür betraten die drei das Untergeschoss von Botticellis Werkstatt, in dem rechts Vorräte lagerten und Ziegen gehalten wurden, links die Werkstatt untergebracht war. Hier wurde der Gerbergeruch von dem nach Tempera und Ölfarben überdeckt. Behälter mit Marder- und Schweinehaarpinseln, Leinwände, Holzplatten und Schneidemesser lagen aufgeräumt auf dem großen Tisch. Dort sah Angelina auch die Skizzen, die Francesco von ihr angefertigt hatte. Darauf trug sie das gleiche schwarze Kleid wie heute, mit einem anliegenden Samtmieder, langen, fließenden Ärmeln, einem hochgeschlossenen Kragen, der einem Mantel, und einer schmucklosen dem Haarnetz. In der Mitte des Raumes stand, halb verhüllt von einer Leinendecke, das Bild, mit dem Meister Botticelli vor einiger Zeit begonnen hatte: »Die mystische Kreuzigung«.

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