Mathe lernen in KiTa und Grundschule - Christine Streit - E-Book

Mathe lernen in KiTa und Grundschule E-Book

Christine Streit

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Beschreibung

Mathematiklernen beginnt nicht erst in der Grundschule, sondern bereits in der KiTa. Anschaulich führt das Buch in das spielerische Mathematiklernen mit Blick auf beide Institutionen ein. Es erläutert die Rolle der fachlichen Lernbegleitung, die das Vorwissen der Kinder berücksichtigt, darauf aufbauend mathematische Lernangebote konzipiert und die Kinder in ihren mathematischen Lernprozessen unterstützt. Das Buch besticht durch eine umfassende Sammlung an konstruktiven Materialien und mathematischen Regelspielen. Die vorgestellten Lernangebote regen zu vielfältigen mathematischen Tätigkeiten wie Ordnen, Erfassen und Vergleichen von Mengen oder Musterlegen an und können in der KiTa, in der Grundschule und in Kooperationsprojekten beider Institutionen eingesetzt werden.

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Mit Kindern lernen Bildung von Anfang an

Die Bände der Reihe »Mit Kindern lernen« stellen, bezogen auf die grundlegenden Bildungsbereiche, Lehr-Lern-Projekte vor, die ohne großen Aufwand in KiTa und Grundschule umgesetzt werden können.

 

Eine Übersicht aller lieferbaren und im Buchhandel angekündigten Bände der Reihe finden Sie unter:

https://shop.kohlhammer.de/mit-kindern-lernen.html

Die Autorinnen

Dr. Christine Streit ist Professorin für Mathematikdidaktik und mathematisches Denken im Kindesalter am Institut Kindergarten- und Unterstufe der Pädagogischen Hochschule der Fachhochschule Nordwestschweiz. Ihre Arbeits- und Forschungsschwerpunkte sind das frühe Lernen von Mathematik, fachliche Lernbegleitung in materialbasierten Settings sowie Diagnose und Förderung. Kontakt: [email protected]

 

Dr. Stephanie Schuler ist Professorin für Didaktik der Grundschulmathematik am Institut für Mathematik an der Universität Koblenz-Landau, Campus Landau. Sie forscht zur Entwicklung, Erprobung und Evaluation mathematischer Lernumgebungen für die Altersstufe fünf bis zehn und zum Mathematiklernen im Übergang vom Kindergarten in die Grundschule. Kontakt: [email protected]

 

Christine Streit

Stephanie Schuler

Mathe lernen in KiTa und Grundschule

Spielerisch und materialbasiert

Verlag W. Kohlhammer

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1. Auflage 2023

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-035693-1

E-Book-Formate:

pdf:     ISBN 978-3-17-035694-8

epub:  ISBN 978-3-17-035695-5

Inhalt

1           Einleitung

2           Mathematik lernen in KiTa und schulischem Anfangsunterricht – kindgerecht und anschlussfähig

2.1        Zugänge zur Mathematik

2.1.1     Orientierung am Kind und am Fach

2.1.2     Situative Unterstützung und adaptive Instruktionen

2.1.3     Spielbasierte Zugänge

2.2        Leitideen für anschlussfähiges Lernen

2.2.1     Erfahrungen mit Mengen und Zahlen

2.2.2     Erfahrungen mit Raum und Form

2.3        Die Rolle der Lernbegleitung beim (frühen) Mathematiklernen

2.3.1     Ein Prozessmodell der Lernbegleitung

2.3.2     Situative Lernbegleitung in offenen Settings

2.3.3     Das Modell in der Praxis: Freies Tätigsein mit Patternblocks

2.3.4     Das Modell in der Praxis: Das Spiel »Stechen«

3           Materialbasierte mathematische Lernsettings

3.1        Patternblocks

3.1.1     Das Potential des Materials

3.1.2     Typische Produkte, die im freien Tätigsein mit den Patternblocks entstehen

3.1.3     »Viele verschiedene Sechsecke«

3.1.4     »Spieglein, Spieglein«

3.1.5     »Schöne Bordüren«

3.1.6     »Muster ohne Lücken«

3.2        Muggelsteine

3.2.1     Das Potential des Materials

3.2.2     Typische Produkte, die im freien Tätigsein mit den Muggelsteinen entstehen

3.2.3     »Bunte Schmetterlinge«

3.2.4     »Fehlerteufel – wiederkehrende und wachsende Muster«

3.2.5     »Die Blumenzahl 7«

3.2.6     »Anzahlen schätzen und visualisieren«

3.3        (Spiel-)Würfel

3.3.1     Das Potential des Materials

3.3.2     Typische Produkte, die im freien Tätigsein mit den Spielwürfeln entstehen

3.3.3     »Bauen nach Bildern«

3.3.4     »Wie geht es weiter?«

3.3.5     »Viele – mehr – am meisten«

3.4        Polydrone

3.4.1     Das Potential des Materials

3.4.2     Typische Produkte, die im freien Tätigsein mit dem Polydronmaterial entstehen

3.4.3     »Viele unterschiedliche Verpackungen«

3.4.4     »Netze und Körper«

3.4.5     »Welcher Körper rollt gut«?

4           Spielbasierte mathematische Lernsettings: Mathematiklernen durch Regelspiele

4.1        Spiele zur Förderung des Zahlverständnisses

4.1.1     Muggelsteine sammeln

4.1.2     Muggelsteinspiel

4.1.3     Stechen

4.1.4     Fünfer raus & Co

4.1.5     Hamstern

4.1.6     Siebenfresser & Co

4.1.7     Häuser füllen

4.2        Spiele zur Förderung räumlicher Fähigkeiten

4.2.1     Dobble

4.2.2     Make ›n‹ Break

4.2.3     Ubongo

Literatur

Material- und Spieleliste

1        Einleitung

Elementar- und Primarbereich werden oft als »zwei getrennte Welten« (Kreid & Knoke 2011) beschrieben, die sich durch eigene Traditionen und eine unterschiedliche institutionelle Verankerung auszeichnen. Unter Berücksichtigung und Akzeptanz dieser Verschiedenheit stehen Kindergarten wie Schule in der Verantwortung, ihre Bildungsaktivitäten anschlussfähig zu gestalten, um möglichst allen Kindern die Bewältigung des Übergangs und damit eine kontinuierliche Bildungsbiografie zu ermöglichen (z. B. Roßbach 2006; Schuler et al. 2016).

Dies gilt auch und gerade für das frühe Lernen von Mathematik. Denn das beginnt nicht erst mit Schuleintritt, sondern ebenso wie das sprachliche Lernen schon lange davor. Entsprechend wird zunehmend die Bedeutung mathematischer Bildungsanlässe bereits im Kindergarten erkannt. Dabei ist aber wichtig zu betonen, dass sich solche Bildungsanlässe zwar häufig im Alltag ergeben können, dies aber noch nicht automatisch dazu führt, dass daraus tatsächlich auch Lerngelegenheiten für die Kinder entstehen (z. B. Stern 1998; Schuler 2013). Dazu benötigt es eine professionelle Lernbegleitung, die durch geeignete Impulse, Fragen und Gesprächsangebote die Kinder beim Aufbau wichtiger mathematischer Basiskompetenzen unterstützt.

Das vorliegende Buch will pädagogische Fachkräfte und Lehrpersonen im Anfangsunterricht für mathematikhaltige Situationen sensibilisieren und konkrete Vorschläge für eine kognitiv anregende, fachliche Lernbegleitung in spiel- und materialbasierten Settings liefern. Der Einsatz sog. »konstruktiver« Materialien wie auch Regelspielsituationen eignen sich hervorragend, um mathematische Lernprozesse gezielt anzuregen und zu unterstützen. Dabei ist zu beachten, dass die materialbasierten Settings gerade im freien Tätigsein ein sehr breites fachliches Potential aufweisen (was zugleich eine große Herausforderung für die Lernbegleitung darstellt), während die mathematischen Regelspiele festgelegte Abläufe und eine Fokussierung auf bestimmte Inhalte erlauben. Die Lernbegleitung kann entsprechend bei den Regelspielen zielgerichteter vorbereitet werden als bei den materialbasierten Settings. Dies wird auch in den Umsetzungsvorschlägen im vorliegenden Buch deutlich.

Die im Buch präsentierten Materialien und Spiele wurden aufgrund ihres Potentials für das mathematische Lernen ausgewählt, die didaktischen Anregungen sind aber grundsätzlich auch auf ähnliche Situationen bzw. weitere Materialien und Spiele übertragbar. Ein solcher Transfer ist auch deshalb sinnvoll, weil so subjektiv bedeutsame Erfahrungen von Kindern in aktuellen Spiel- und Lernanlässen gezielt aufgegriffen und für weiterführende mathematische Lernsituationen genutzt werden können.

Das Buch umfasst einen Theorie- und einen Praxisteil: Der Theorieteil (Kap. 2) beinhaltet Überlegungen zu kindgerechten und anschlussfähigen Zugängen zum frühen Lernen von Mathematik, stellt zentrale mathematische Kompetenzbereiche vor und begründet die Notwendigkeit einer fachlichen Lernbegleitung. Im Praxisteil stellt Christine Streit zunächst materialbasierte Settings am Beispiel von vier ausgewählten Materialien vor, die allesamt ein hohes Potential für das mathematische Lernen haben (Kap. 3). Anhand von ausgewählten arithmetischen und geometrischen Regelspielen wird in Kapitel 4 von Stephanie Schuler aufgezeigt, wie in solchen Spielsettings eine fachliche Lernbegleitung gelingen kann (Kap. 4).

Die in Kapitel 3 und 4 vorgestellten Spiel- und materialbasierten Lernsettings wurden im Kindergarten sowie im Anfangsunterricht (erstes und zweites Schuljahr) erprobt. Die meisten Settings sind sowohl im Kindergarten als auch in der Schule einsetzbar (und natürlich auch in institutionenübergreifenden Gruppen), haben aber ggf. eine Priorisierung. Einige Settings sind ausschließlich für den Kindergarten oder für die Schule ausgewiesen.

Die Einteilung ist durch entsprechende Symbole gekennzeichnet:

 

 

Onlinematerial

Online werden verschiedene Dokumente wie Kopiervorlagen, Skripte zur Lernbegleitung und Spielvarianten zu den hier beschriebenen Materialien und Spielen zur Verfügung gestellt. Im Text wird jeweils auf das Onlinematerial (OM) verwiesen. Das Material finden Sie hier: https://dl.kohlhammer.de/978-3-17-035693-1.

Die Autorin Stephanie Schuler stellt Skripte zur Lernbegleitung (Kap. 4) gerne zur Verfügung ([email protected]).

2        Mathematik lernen in KiTa und schulischem Anfangsunterricht – kindgerecht und anschlussfähig

Mathematisches Lernen im Übergang vom Kindergarten zur Schule zeichnet sich aus durch das Spannungsfeld zwischen Anschlussfähigkeit in Bezug auf das fachliche Lernen und der Orientierung an der Lebenswelt sowie den individuellen Vorerfahrungen bzw. Interessen der Kinder. Dabei besitzt das vorschulische Lernen eine eigene Bedeutung, weshalb die spezifischen Traditionen des Kindergartens im deutschsprachigen Raum nicht ignoriert werden, sondern durchaus auch im Hinblick auf mögliche Impulse für das schulische Lernen positiv eingebracht und weiterentwickelt werden sollen (van Oers 2004, 2010). Während im Kindergarten die Lernangebote oftmals an fachübergreifenden Themen orientiert sind oder situativ von konkreten Aktivitäten der Kinder ausgehen, spielt mit Schuleintritt zunehmend der klassische Fächerkanon im Lernalltag der Kinder eine wichtige Rolle. Allerdings bieten sich auch im mathematischen Anfangsunterricht der Grundschule vielfältige Möglichkeiten, offene spiel- und materialbasierte Lernsettings für das fachliche Lernen produktiv zu nutzen.

Die Gestaltung und Begleitung solch offener Lernarrangements ist allerdings nicht banal, sondern erfordert vielfältige Fähigkeiten: So muss die pädagogische Fach- bzw. Lehrperson einerseits die mathematischen Ideen ›hinter‹ den Materialien bzw. das mathematische Potential eines Spiels erkennen. Andererseits müssen die Vorkenntnisse und Voraussetzungen der einzelnen Kinder mit dem Wissen über den Aufbau mathematischer Konzepte abgeglichen werden, um schließlich – darauf basierend – durch adäquate Impulse, Frage- oder Aufgabenstellungen echte mathematische Lerngelegenheiten für die Kinder entstehen zu lassen (Streit 2017a).

2.1       Zugänge zur Mathematik

Frühes Mathematiklernen gilt inzwischen als ein Glied einer lebenslangen Bildungskette (Heinze & Grüßing 2009). Entsprechend herrscht weitgehend Konsens, dass auch bereits der Kindergarten in altersgemäßer Form einen mathematischen Bildungsauftrag hat. Der Austausch zwischen den Institutionen erleichtert den Kindern den Übergang vom Kindergarten in die Grundschule und schafft die Voraussetzung für eine kontinuierliche (mathematische) Lernbiografie ohne Brüche (Gasteiger & Benz 2012; Meyer-Siever, Schuler & Wittmann 2015).

Die Zugänge zur Mathematik werden daher nicht unter dem Aspekt der Unterschiede zwischen Kindergarten und Schule beleuchtet, sondern die Ausführungen berücksichtigen v. a. die Gemeinsamkeiten beim Lernen von Mathematik in der Altersgruppe der 4- bis 8-Jährigen.

2.1.1      Orientierung am Kind und am Fach

Man geht heute davon aus, dass erfolgreiches Mathematiklernen entscheidend davon abhängt, inwiefern fachliche Angebote und Herausforderungen den jeweiligen Entwicklungs- und Lernstand, aber auch die individuellen Voraussetzungen und subjektiven Bedeutsamkeiten der Kinder berücksichtigen. Mathematische Lernangebote im Kindergarten und im Anfangsunterricht der Grundschule sollten also so gestaltet werden, dass Kinder dazu angeregt werden, sich auf ihrem Niveau mit grundlegenden Ideen und Prinzipien der Mathematik auseinanderzusetzen (Wittmann 2005; Gasteiger 2017). Doch was sind eigentlich grundlegende Ideen der Mathematik? Dazu ist es hilfreich, zunächst zu klären, was Mathematik eigentlich ausmacht, bevor in Kapitel 2.2 auf konkrete Inhalte und Leitideen eingegangen wird.

Mathematik ist eine Fähigkeit des menschlichen Geistes, Konkretes zu abstrahieren und mit Symbolen zu arbeiten. So gesehen ist Mathematik eine Sprache, die der Erschließung bzw. Ordnung, Beschreibung und Vereinfachung realer Zustände und Beziehungen dient: Wie verteilen wir zehn Äpfel (gerecht) auf 20 Kinder? So ist es nicht nötig, die Äpfel tatsächlich in Stücke zu schneiden und auszuprobieren, wie viel jedes Kind erhält. Wir wenden (vielleicht intuitiv) die Division 10 : 20 = 0,5 an – wir mathematisieren also die Sachsituation mithilfe der mathematischen Sprache – um zu erkennen, dass wir die Äpfel halbieren müssen, also jedes Kind einen halben Apfel erhält. In diesem Beispiel kommt der Anwendungsbezug der Mathematik zum Tragen. Dieser lässt sich didaktisch nutzen, indem mathematische Inhalte mit für Kinder bedeutsamen Alltagssituationen und -kontexten verbunden werden. Dabei werden einerseits konkrete Objekte eingesetzt, um mathematische Ideen zu verstehen, anderseits dient die Mathematik dazu, Alltagsprobleme zu lösen. Nicht jede für Kinder bedeutsame Situation muss aber einen Anwendungsbezug aufweisen. Wenn Kinder geometrische Muster legen oder Zahlenfolgen erforschen, dann kommt der innermathematische Aspekt zum Tragen: Es geht primär um das (intuitive) Finden und Beschreiben von Gesetzmäßigkeiten und Beziehungen, die über die konkreten Phänomene hinausweisen, also auf die mathematische Struktur. Für das Lernen von Mathematik bedeutet dies, dass Mathematik als geistiges Konstrukt auch gerade darauf beruht, sich von der Anwendung zu lösen und in sich selbst sinnstiftend sein zu können.

Mathematik wird auch als eine Wissenschaft beschrieben, die Muster hinsichtlich ihrer Eigenschaften und Strukturen untersucht (Wittmann 2005). Entsprechend geht es beim mathematischen Denken u. a. um die Fähigkeit, Muster zu erkennen, fortzusetzen, zu verändern und zu erzeugen. Mithilfe von Mustern lassen sich Beziehungen zwischen mathematischen Objekten beschreiben. Das Erforschen von Mustern ist eine Tätigkeit, die Kinder schon früh und mit natürlicher Begeisterung vollziehen. Darin wird zugleich der explorative und prozesshafte Charakter der Mathematik deutlich: Mathematik ist kein Fertigprodukt, keine bloße Ansammlung von Wissen und Können, sondern eine menschliche Aktivität, eine Tätigkeit, eine Geisteshaltung (Freudenthal 1982).

Die Objekte der Mathematik sind abstrakte Ideen bzw. gedankliche Konstrukte, die vom sinnlich Wahrgenommen gelöst sind. Mathematische Ideen können reale Sachverhalte beschreiben, aber reale Objekte können immer nur näherungsweise quadratisch, symmetrisch oder gleich lang sein, sie stellen Modelle bzw. Repräsentanten mathematischer Objekte dar. Die Verständigung über mathematische Objekte geschieht über vereinbarte Symbole. So bestehen in Bezug auf die mathematische Idee Zahl die zugehörigen symbolischen Zeichen aus den Ziffern 0 bis 9. Die Begriffe Zahl und Ziffer bedeuten dabei etwas völlig Unterschiedliches: Das mathematische Symbol – in diesem Fall die Ziffer – stellt noch keine Mathematik dar. Mathematik betreiben wir erst, wenn wir die Symbole lesen können und mit einer Vorstellung von dem abstrakten Begriff Zahl verbinden. Bspw. gehört zur Ziffer 8 die Vorstellung, was eine Menge von acht Elementen bedeutet, inwiefern die Acht als Ordnungszahl das achte Auto in einer Reihe beschreibt, aber auch dass die Zahl Acht der Nachfolger von sieben und der Vorgänger von neun ist oder sie sich in verschiedene Teile wie z. B. vier und vier oder fünf und drei zerlegen lässt.

Ebenso wie die Fähigkeit, eine Sprache zu erwerben, ist uns eine grundlegende Fähigkeit zum mathematischen Denken angeboren, die sich in der aktiven Auseinandersetzung mit der Umwelt entwickelt. Es handelt sich dabei um einen kontinuierlichen Prozess, der aber nicht linear abläuft. Zwar folgt er grundlegenden Entwicklungslinien, erfährt aber äußerst unterschiedliche Ausprägungen und erfolgt in unterschiedlichen Geschwindigkeiten, was die bestehende Heterogenität erklärt.

Der Prozess beginnt im Prinzip mit der Geburt – auf jeden Fall schon lange vor Schuleintritt. Solche frühen Fähigkeiten müssen nicht aktiv erlernt werden – man spricht auch von intuitiver Mathematik (Stern 1998). So zeigen wir eine gewisse Leichtigkeit und Beweglichkeit im Umgang mit Mustern und Strukturen, weshalb oft betont wird, dass wir über eine Art von Mustersinn verfügen. Forschungsarbeiten geben Hinweise darauf, dass diese Fähigkeit zum Umgehen mit Mustern eine wichtige Voraussetzung für erfolgreiches Mathematiklernen darstellt (Lüken 2012). Intuitive Konzepte zeigen sich auch im Umgang mit Mengen bzw. Anzahlen. Der sog. Zahlensinn (Dehaene 1999) meint eine wahrscheinlich angeborene numerische Fähigkeit, kleine Anzahlen und deren Beziehungen wahrnehmen und verstehen zu können, sowie eine Fähigkeit zur ungefähren Mengenpräsentation bei größeren Anzahlen. So sind wahrscheinlich bereits Säuglinge in der Lage, die Anzahl von Objekten im Rahmen kleiner Zahlenräume zu erfassen. Nun ist es aber leider nicht so, dass wir diese Fähigkeiten automatisch auf größere Anzahlen übertragen können, also dass sich aus solch einem intuitiven Wissen automatisch komplexere mathematische Vorstellungen entwickeln. Die angeborenen Fähigkeiten sind eine notwendige, aber keine hinreichende Voraussetzung zum Erlernen der kulturellen Mathematik (Stern 1998). Dazu sind spezifische Erfahrungen und gezielte Lernangebote nötig. Viele Alltagssituationen sind potentiell mathematikhaltig, aber sie müssen als Lernanlass entdeckt werden. Gerade der mathematische Aspekt einer Situation ist nicht immer der naheliegende, was wiederum auch damit zusammenhängt, dass mathematische Objekte und Begriffe immer theoretischer Art sind und die Mathematik in eine konkrete Situation und einen realen Gegenstand erst hineininterpretiert werden muss. Es braucht daher Materialien und Lernarrangements, die potentiell mathematikhaltig sind, aber auch eine professionelle Unterstützung, um den mathematischen Gehalt einer Situation bewusst erfahren und so für Lernerfahrungen nutzbar machen zu können. Dies ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass der Übergang von intuitiven mathematischen Präkonzepten zur kulturellen Mathematik problemlos gelingt.

2.1.2      Situative Unterstützung und adaptive Instruktionen

Nach heutigem Kenntnisstand ist Lernen ein Prozess, bei dem das Individuum – ausgehend von bedeutungstragenden Kontexten und in Auseinandersetzung mit seiner Umwelt – aktiv Wissen konstruiert. Aus mathematikdidaktischer Perspektive herrscht weitgehend Konsens darüber, dass frühe mathematische Bildung v. a. als alltagsintegrierte und situative Förderung mathematischer Basiskompetenzen gestaltet werden sollte, die dem Kind durch geeignete Lernanlässe vielfältige und individuelle Zugänge zur Mathematik ermöglicht (z. B. Gasteiger 2012). Für den Mathematikunterricht der Grundschule wurden verschiedene Ansätze entwickelt, die individuelle Denk- und Lernwege in der Auseinandersetzung mit mathematischen Fragestellungen als Voraussetzung für vertieftes Verständnis ansehen – Beispiele dafür sind sog. mathematischen Lernumgebungen (z. B. Hengartner 2006) oder Eigenproduktionen (z. B. Selter 1995). Die Betonung der Eigenaktivität der Lernenden bedeutet allerdings nicht, dass eine Unterstützung durch die Lehrenden nicht wichtig sei. Man geht heute davon aus, dass Instruktionen im weiteren Sinn in passenden Momenten sehr bedeutsam für erfolgreiches Lernen sind. Für die Altersstufe der 4- bis 8-Jährigen gibt es allerdings nur wenige Forschungsergebnisse. Bekannt ist aber, dass jüngere Kinder über ein geringeres Vorwissen verfügen, an das sie anknüpfen können, und die Kapazität des Arbeitsgedächtnisses beschränkt ist. Aus diesem Grund ist davon auszugehen, dass Instruktionen im Sinne von Belehrungen bzw. Erklärungen bei Kindern dieser Altersstufe weniger erfolgreich sind als bei älteren Kindern und Jugendlichen (Roßbach et al. 2010). Bei jüngeren Kindern wird daher die Passung der Instruktion besonders betont. Solch eine adaptive Instruktion (Beck et al. 2008) berücksichtigt die individuellen Lernvoraussetzungen des Kindes und ist wesentlicher Bestandteil einer professionellen Lernbegleitung (Kap. 2.3.2).

2.1.3      Spielbasierte Zugänge

Im Übergang vom Kindergarten in die Grundschule stellt sich die Frage, wie Mathematiklernen konkret gestaltet werden soll. Für den Kindergarten können im Wesentlichen zwei Ansätze frühen Mathematiklernens unterschieden werden (Gasteiger 2010; Schuler 2013): (1) Spielbasierte und integrative Ansätze, die auf eine Förderung aller Kinder im Kindergartenalltag in Bezug auf verschiedene mathematische Leitideen zielen, sowie (2) Lehrgänge und (Förder-)Programme, die nur bestimmte Kinder (häufig sog. Risikokinder) in ausgewählten Bereichen (insbesondere numerische Kompetenzen) in alters- oder leistungshomogenen Settings gezielt fördern. Im Hinblick auf die Wirksamkeit der beiden Ansätze gibt die aktuelle Befundlage noch wenige Hinweise. In Bezug auf den Vergleich Einsatz von Lernspielen und Einsatz von Programmen zur Förderung numerischer Kompetenzen lässt sich folgende Aussage treffen: Beide Ansätze sind mit Blick auf zentrale numerische Vorerfahrungen vergleichbar wirksam (Hauser et al. 2014). Dieser Befund macht deutlich, dass Spielen und Lernen insbesondere bei jungen Kindern keine Gegensätze darstellen, sondern auch im Spiel gelernt wird. Für das Lernen von Mathematik ist dabei das mathematische Potential des Spiels entscheidend, da es die mathematischen Lerngelegenheiten bestimmt (z. B. Gasteiger, Obersteiner & Reiss 2015; Jörns et al. 2014; Ramani & Siegler 2008). Entsprechend werden in Kapitel 4 Spiele mit mathematischem Potential vorgestellt. Für spielbasierte Ansätze spricht darüber hinaus, dass sich diese Art des Lernens langfristig positiv auf die schulischen Kompetenzen und die spätere schulische Motivation auswirkt (Marcon 2002; Stipek et al. 1995). Des Weiteren wissen wir, dass in spielbasierten Zugängen mathematisches Kommunizieren und Argumentieren durch eine entsprechende Lernbegleitung angeregt werden kann (Schuler 2013; Schuler & Sturm 2019) und die Lernentwicklungen in Spielsettings günstiger verlaufen als in anderen mathematischen vorschulischen Ansätzen (Hertling 2020). Aber auch zu Schulbeginn haben spielbasierte Zugänge durchaus ihre Berechtigung. So zeigen sich beim Einsatz von Spielen zu Schulbeginn vergleichbare Lernzuwächse wie in unterrichtlichen Settings (Floer & Schipper 1975; Sturm & Schuler 2019).

2.2       Leitideen für anschlussfähiges Lernen

Ein Blick in nationale wie internationale Curricula (also Orientierungs-, Lehr- oder Bildungspläne bzw. -standards) für den Kindergarten und den Anfangsunterricht der Grundschule zeigt eine große Übereinstimmung zwischen den Ländern: Die Beschäftigung mit Zahlen, Operationen, geometrischen Formen, räumlichen Beziehungen sowie der Umgang mit Daten und Größen werden als zentrale Leitideen angesehen, die einerseits einen kindgerechten Zugang ermöglichen, zugleich aber anschlussfähig sind für das fachlichen Lernen auch in höheren Klassenstufen (Benz et al. 2015). Für die frühe mathematische Bildung wird teilweise eine Fokussierung auf die arithmetischen und geometrischen Basiskompetenzen empfohlen (Wittmann & Müller 2010; Schuler & Wittmann 2020). Da die Potentiale der in diesem Buch vorgestellten spiel- und materialbasierten Lernsettings v. a. in diesen beiden Bereichen liegen, beschränken wir uns im Folgenden auf Zahlen und Mengen sowie Raum und Form, was nicht heißt, dass dem Umgang mit Daten und Größen keine Bedeutung zugemessen wird.

Zugänge zur Mathematik erfahren die Kinder auch über (schöne) Muster: Mit Blick auf die Mathematik als Wissenschaft von den Mustern undStrukturen werden diese in den KMK-Bildungsstandards als eigene Leitidee ausgewiesen, und auch in verschiedenen Bildungsplänen und Handreichungen für den Kindergartenbereich finden sich solche Überlegungen. Dabei wird der Musterbegriff nicht als etwas Statisches gesehen, sondern als etwas, dass Kinder erforschen, weiterführen und selbst generieren sollen und dürfen (Wittmann 2003). Die Struktur kann verstanden werden als die Gesamtheit der Beziehungen eines Musters, anhand der Struktur kann das Muster beschrieben oder auch fortgesetzt werden (Franke & Reinhold 2016). Lüken (2012) beschreibt als zentrale Tätigkeiten in dieser Altersstufe Muster beschreiben, erfinden, nachlegen bzw. nachbauen und fortsetzen. Der Umgang mit Mustern und Strukturen lässt sich als eine zentrale mathematische Tätigkeit beschreiben und ist zudem inhaltsübergreifend zu betrachten – entsprechend spielen beim Umgang mit Zahlen und Mengen arithmetische Muster und beim Umgang mit ebenen Figuren und räumlichen Objekten geometrische Muster eine wichtige Rolle. Beides wird im Praxisteil (Kap. 3; Kap. 4) angemessen berücksichtigt.

Die folgenden beiden Abschnitte zeigen auf, welche Entwicklungen und Lernerfahrungen Kinder ab den ersten Lebensjahren im Umgang mit Zahlen und Mengen bzw. ebenen und räumlichen Figuren durchlaufen und skizzieren Möglichkeiten, wie sie im Kompetenzaufbau unterstützt werden können. Zu beachten ist, dass solche Prozesse i. d. R. nicht linear verlaufen und die Heterogenität zudem sehr groß ist. Umso wichtiger sind ein frühes und genaues Beobachten sowie ein intensives Begleiten der Lernerfahrungen der Kinder.

2.2.1      Erfahrungen mit Mengen und Zahlen

Kinder zeigen bereits ein Verständnis für Mengen, bevor sie Anzahlen korrekt bestimmen können. Sie sind in der Lage, (kleine) Mengen zu vergleichen und erkennen Mengenveränderungen (Vergleichs- und Zunahme-Abnahme-Schema, Resnick 1983). Intuitiv haben sie auch eine Vorstellung davon, dass sich eine Menge auf verschiedene Weisen in zwei Teilmengen zerlegen lässt, ohne dass sich die Gesamtmenge selbst ändert. Mengen bis vier Elemente können Kinder i. d. R. auf einen Blick, ohne zu zählen, erfassen (Simultanerfassung).

Eine exakte Anzahlbestimmung wird im weiteren Entwicklungsverlauf durch das Zählen von Objekten möglich. Dazu muss das Kind die Zahlwortreihe beherrschen, aber auch eine Eins-zu-Eins-Zuordnung von Zahlwort und Objekt vornehmen können und zugleich verstehen, dass das zuletzt genannte Zahlwort nicht nur die Position des Objekts in der Reihe (ordinale Deutung), sondern zugleich die Anzahl der Objekte angibt (kardinale Deutung). Kinder verfügen flexibel über die Zahlwortreihe, wenn sie von beliebigen Zahlen aus weiter, rückwärts und in Schritten zählen können. Dies bedingt eine verinnerlichte Zahlwortreihe, d. h., der Vorgänger und der Nachfolger beliebiger Zahlen müssen bekannt und zentrale Zahlbeziehungen verfügbar sein (z. B. »Vier kommt vor fünf, drei ist die Hälfte von sechs« etc.) (Fuson 1988).

Eine wichtige Voraussetzung für ein umfassendes Zahlverständnis (s. Infokasten Zahlverständnis Kap. 3.2.5) und für ein späteres flexibles Umgehen mit unserem dezimalen Stellenwertsystem sowie den Rechenoperationen ist die strukturierte Mengenvorstellung. Kinder sammeln beim Erzeugen, Darstellen, Betrachten, Beschreiben und Vergleichen von Mengenbildern diesbezüglich wichtige Erfahrungen (z. B. »Stelle Anzahlen so dar, dass du sie auf einen Blick erkennst. Auf welchem Bild erkennst du die Anzahl leichter? Warum?«, Rathgeb-Schnierer & Rechtsteiner 2018).

Die Struktur der Finger bildet unser Zehnersystem ab. Schon früh wissen Kinder, dass ihre beiden Hände jeweils fünf Finger haben – eine Hand ist also ein »halber Zehner«. Dieses Wissen können sie nutzen, um durch Zerlegen auch Zahlen zwischen sechs und zehn mit den Fingern zu erkennen und zu zeigen, ohne stets von eins an ›durchzählen‹ zu müssen.

Sog. »Blitzblickübungen« tragen zu einer strukturierten Mengenerfassung bei, weil die kurz dargebotenen Punktmuster eine rasche Anzahlerfassung herausfordern bzw. die Zeit nicht ausreicht für Zählprozedere. Die simultane Anzahlerfassung ist – bei zufälliger Anordnung – auf Anzahlen bis vier oder fünf begrenzt. Die Bestimmung größerer Mengen ist durch (schnelles) Zählen, das Zerlegen in auf einen Blick erfassbare Teilmengen (z. B. quasi-simultan in zweier) oder die Orientierung an visuell erkennbaren Mustern – z. B. an strukturierten Punktebildern – möglich. Die Grundidee des Strukturierens und Bündelns (»immer zehn«) liegt auch unserem Zahlsystem zu Grunde. Das Stellenwertsystem mit Positionen für Einer, Zehner und Hunderter etc. basiert darauf.

Hier kommt das sog. Teile-Ganze-Konzept zum Tragen (Resnick 1983; Gerster & Schultz, 2000). Dies bezeichnet das Wissen um Zusammensetzungen von Zahlen aus anderen Zahlen. Aufgrund verschiedener Forschungsergebnisse geht man heute davon aus, dass das Teile-Ganzes-Konzept zusammen mit dem Anzahlkonzept die beiden zentralen Konzepte auf dem Weg zum Rechnen-Lernen sind. »Werden sie nicht erfolgreich erworben, bleiben die Kinder bei früheren ineffektiveren zumeist zählenden Strategien des Rechnens stehen« (Peucker & Weißhaupt 2008, S. 52). Die beiden Konzepte bilden die Grundlage für eine flexible Nutzung von Zahlbeziehungen sowie für ein solides Operations- und Stellenwertverständnis.

2.2.2      Erfahrungen mit Raum und Form

Im Gegensatz zur Arithmetik liegen für die Geometrie verhältnismäßig wenig empirische Forschungsbefunde und Entwicklungsmodelle vor. Ältere Arbeiten wie das Modell der geometrischen Begriffsentwicklung des Ehepaars van Hiele (1984) können eine Orientierung für die Begleitung von Lernprozessen darstellen. Neuere Studien liefern v. a. Erkenntnisse darüber, was Kinder im Kindergarten oder zu Beginn der Schulzeit bereits können, oder stellen Überlegungen dazu an, wie der Kompetenzaufbau angelegt werden kann (Benz et al. 2015).

Unser Handlungs- und Anschauungsraum ist die dreidimensionale Welt unserer Wahrnehmung. Alle realen Gegenstände und Lebewesen besitzen ein Volumen und damit eine Ausdehnung in drei Dimensionen. Unsere Fortbewegung orientiert sich allerdings eher entlang von zwei Dimensionen, also in der Ebene. Man spricht auch vom »Laufraum«. Frühe Erfahrungen mit Raum und Ebene helfen uns beim Orientieren in der Welt und leisten einen wichtigen Beitrag zur Umwelterschließung (Schipper 2009).

Geometrische Grunderfahrungen umfassen die visuelle Wahrnehmung sowie Handlungen mit ebenen Figuren und räumlichen Objekten, sog. »geometrischen Körpern«, mit dem Ziel der Schulung des räumlichen Vorstellungsvermögens sowie der geometrischen Begriffsbildung: Zu den räumlichen Fähigkeiten zählen u. a. die Orientierung im Raum, das Wahrnehmen und Erkennen von geometrischen Objekten sowie die Fähigkeit mentale Bilder von diesen Objekten aufzubauen und in der Vorstellung Veränderungen an diesen Bildern vorzunehmen (Maier 1999, s. Infokasten Räumliches Vorstellungsvermögen Kap. 3.3.3).

Verschiedene Studien zeigen, dass die Raumvorstellung nicht nur für geometrische Kompetenzen bedeutsam ist, sondern einen Zusammenhang mit Mathematikleistungen in anderen Inhaltsbereichen aufweist (Grüßing 2012). Auch zeichnerische Fähigkeiten (inkl. der zugehörigen motorischen Kompetenzen wie die Handhabung von Stiften) spielen in diesem Kontext eine Rolle – z. B. um ebene Figuren darzustellen oder dreidimensionale Gebilde auf dem Papier abbilden zu können (Wollring 1998). Im Verlaufe der (mathematischen) Denkentwicklung erweitern die Kinder die eigene Perspektive, sie können sich zunehmend in die Perspektive anderer hineinversetzen und Beziehungen zwischen Objekten beschreiben und herstellen.

Die geometrische Begriffsbildung bezieht sich v. a. auf das Wissen über Formen und deren Eigenschaften, wobei mit Formen ebene und räumliche Figuren gemeint sind. Eine Vorstellung von geometrischen Begriffen aufzubauen, ist recht komplex, umfasst der Begriff »Raute« doch nicht nur die Kenntnis des Wortes, sondern stellt eine Klasse oder Kategorie dar, die sich durch ganz spezifische Eigenschaften auszeichnet. Bei der Raute handelt es sich um ein Viereck mit zwei Paar gleichgroßen, sich gegenüberliegenden Winkeln und vier gleichlangen Seiten. Dabei kann jede einzelne Raute unterschiedlich aussehen, durch die genannten Eigenschaften ist die Figur jedoch eindeutig als Raute zu klassifizieren. Wesentlich sind auch die Beziehungen zu anderen Vierecken: Hier gelten hierarchische Klassifizierungen – so ist ein Quadrat immer auch eine (besondere) Raute, denn ein Quadrat erfüllt die o. g. Eigenschaften. Umgekehrt ist aber nicht jede Raute ein Quadrat, sondern nur dann, wenn alle vier Winkel gleich groß sind.

Das Ehepaar van Hiele hat in den 1980er Jahren ein Modell vorgelegt, das auf der Basis von systematischer Beobachtung von Kindern und Jugendlichen im Geometrieunterricht vom Kindergarten bis zur Oberstufe fünf verschiedene Niveaustufen des geometrischen Begriffserwerbs beschreibt (van Hiele 1984). Danach erfassen Kinder geometrische Objekte zunächst v. a. über deren visuelle Gestalt sowie über typische Repräsentanten – sog. Prototypen (Stufe 1). Erst nach und nach werden die besonderen Eigenschaften der Objekte erkannt (Stufe 2) und erste Klassifizierungen (Stufe 3) vorgenommen.1 In den ersten Bildungsjahren liegt der Schwerpunkt entsprechend nicht auf dem Erfassen und Verbalisieren von Detaileigenschaften, sondern auf vielfältigen Handlungs- und Wahrnehmungserfahrungen. Beim handelnden Umgang mit unterschiedlichen Materialien, wie z. B. Bauklötzen in Form von Würfeln, Quadern oder Pyramiden, erfahren die Kinder intuitiv bereits viel über die Eigenschaften der Körper. Es ergeben sich dabei vielfältige Kommunikationsanlässe wie z. B.: »Welche Bauwerke haben eine Spitze?«, »Welcher Körper rollt besonders gut?« usw.

Dabei ist es durchaus sinnvoll, wenn die pädagogische Fachkraft oder die Lehrperson Fachbegriffe verwendet. Man weiß nämlich, dass Kinder bereits über bestimmte Vorstellungen von Klassen geometrischer Objekte verfügen, ohne dass sie den zugehörigen Fachbegriff kennen und verwenden (z. B. Maier & Benz 2014). Umgekehrt unterstützt eine Verbalisierung mithilfe von Fachbegriffen die Kinder dabei, ihre Vorstellungen von geometrischen Objekten, die zunächst noch stark an Prototypen oder dominierende Eigenschaften (z. B. rollender Körper = Ball) geknüpft sind, laufend zu adaptieren. Wenig hilfreich für den Vorstellungsaufbau ist es, den Kindern ausschließlich Prototypen von geometrischen Objekten zu präsentieren: Ein Dreieck oder ein Quadrat darf auch auf der Spitze darstellt sein, ein Quader muss nicht immer horizontal präsentiert werden und ein Rechteck kann – eher untypisch – zwei sehr lange und zwei sehr kurze Seiten aufweisen.

Beim Begriffserwerb spielen nicht nur die Objekte selbst, sondern auch die Eigenschaften derselben eine wesentliche Rolle, durch die sich Beziehungen zwischen den Objekten beschreiben lassen. So können z. B. zwei Linien parallel zueinander sein oder sie können senkrecht aufeinander stehen. Geometrische Objekte lassen sich durch ihre Eigenschaften klassifizieren, so z. B. aufgrund ihrer Symmetrieeigenschaften. Bedeutsame Handlungserfahrungen dazu machen Kinder durch die Herstellung symmetrischer Figuren: Durch Papierfaltungen lassen sich symmetrische Bandornamente oder Sterne erzeugen, das Spiegeln mit dem Spiegel ermöglicht Zugänge zur Achsensymmetrie (Spiegelsymmetrie) und das Basteln von Windrädern führt zu drehsymmetrischen Figuren.

Auch Teile-Ganze-Beziehungen zwischen geometrischen Objekten lassen sich handelnd erfahren: Zwei gleichseitige Holzdreiecke aneinandergelegt ergeben eine Raute, durch das diagonale Falten eines Papierquadrats entstehen zwei (gleichschenklig rechtwinklige) Dreiecke. Solche Handlungserfahrungen erscheinen umso bedeutsamer, wenn man berücksichtigt, dass sich in der Studie von Beutler (2013) ein Zusammenhang zwischen räumlichen Strukturierungsfähigkeiten und Strategien der Anzahlbestimmung bzw. der Nutzung arithmetischer Teil-Ganzes-Beziehungen bei Vorschulkindern zeigt. Dass räumlich-geometrische Fähigkeiten für den Aufbau von Zahlvorstellungen und das Verständnis von Rechenoperationen von Bedeutung sind, betont auch Radatz (2007) mit dem Verweis, dass Veranschaulichungen von Zahlen und Rechenoperationen zumeist räumliche Strukturierungen aufweisen.

2.3       Die Rolle der Lernbegleitung beim (frühen) Mathematiklernen

Mathematisches Lernen bedarf subjektiv bedeutsamer Anlässe, die nicht unbedingt immer allein bewältigt werden müssen und können. Auch wenn das mathematische Lernen im Menschen angelegt ist, setzt es neben geeigneten Lernanlässen auch die Begleitung durch ein kompetent(er)es Gegenüber voraus, das mit Fragen oder Impulsen herausfordert, konfrontiert, ermuntert und wertschätzt (Hess 2005; Krammer 2017; Schuler 2017; Tournier 2017).

Viele Alltagssituationen sind potentiell mathematikhaltig. Es bedarf allerdings einer ›Entschlüsselung‹ des mathematischen Gehalts im Rahmen einer angemessenen Begleitung, damit das Potential für das mathematische Lernen zum Tragen kommt. Dann kann aus einem Lernanlass – z. B. die Beschäftigung mit Bauklötzen – eine echte mathematischeLerngelegenheit für das Kind entstehen. Dabei müssen die individuellen Voraussetzungen des Kindes berücksichtigt werden, was bedeutet, in der Zone der aktuellen Entwicklung die Motive, Vorkenntnisse und Ideen des Kindes aufzugreifen und mit passenden Impulsen in die Zone der nächsten Entwicklung zu führen (Wygotski 1978). Erstere entspricht den momentanen Kompetenzen und dem Lernstand des Kindes und die nächste Zone bedeutet, dass das Kind z. B. weiterführende Probleme mit behutsamer Unterstützung lösen kann (Escher & Messner 2009; Wood, Bruner & Ross 1976).

Kindliche Ideen aufzunehmen bedeutet allerdings nicht, dass Beliebigkeit die Gestaltung der Lernarrangements prägt. Vielmehr meint es, dass die pädagogische Fachkraft oder die Lehrperson zwischen subjektiv Verfügbarem und fachdidaktisch Notwendigem vermittelt und den Blick auf die Zone der nächsten Entwicklung richtet, denn Lernen soll zu Neuem führen (Müller & Wittmann 2002). Produkte und Ideen der Kinder müssen entsprechend aufgegriffen und aus der mathematischen Perspektive betrachtet bzw. expliziert werden (z. B. Royar & Streit 2010).

Dabei ist die Sprache das zentrale Medium zum Denken und Kommunizieren. Aber auch ›handgreifliches‹ und anschauliches Material leistet diesbezüglich wertvolle Dienste, gerade dann, wenn für Beschreibungen (noch) keine Worte verfügbar sind. Im aktiven Tun mit Material erkennen die Kinder mathematische Beziehungen, Muster und Strukturen. Im besten Fall wird aus dem äußeren Handeln – im Sinne Aeblis (1980) – ein inneres und kann so zum Aufbau mathematischer Vorstellungen beitragen. Auch beim Spielen trägt die Verbalisierung von Spielzügen und Spielhandlungen dazu bei, zentrale Begriffe und Konzepte zu verinnerlichen (Schuler & Sturm 2019).

Um mathematische Ideen bewusst zu machen bzw. zum Ausdruck zu bringen sowie Vorstellungen, Konzepte und Begriffe aufzubauen, bedarf es also einer professionellen Lernbegleitung. Verschiedene Untersuchungen zeigen allerdings, dass sich Interaktionen in der Praxis oft auf disziplinarische, organisatorische oder enge inhaltliche Anweisungen beschränken (König 2009). So bleibt im Kindergartenalltag meist wenig Zeit für gemeinsames Nachdenken und Reflektieren (Siraj-Blatchford 2007; Siraj-Blatchford & Manni 2008). Eine individuelle Unterstützung durch kognitiv anregende Maßnahmen oder fachliche Impulse findet eher selten statt (Herger 2013; Streit 2017b). Auch in der Schule trägt die tatsächlich praktizierte Lernbegleitung nur bedingt zur kognitiven Aktivierung der Schülerinnen und Schüler bei (Krammer 2009). Das ist nicht verwunderlich, denn die fachliche Lernbegleitung ist gerade in offenen Settings höchst anspruchsvoll, sie erfordert vielfältige Kompetenzen der pädagogischen Fachkraft oder der Lehrperson, aber auch Organisationsformen, die es erlauben, Kinder beim mathematischen Tätigsein zu beobachten und individuell zu unterstützen bzw. herauszufordern.

2.3.1      Ein Prozessmodell der Lernbegleitung

Für die fachliche Lernbegleitung wurde ein Prozessmodell (Abb. 2.1) entwickelt, das auf das Handeln der pädagogischen Fachkraft oder der Lehrperson in offenen spiel- und materialbasierten Settings fokussiert. Es soll Lehrpersonen einerseits dabei unterstützen, den Prozess der Lernbegleitung bewusst wahrzunehmen, zu steuern und zu reflektieren. Andererseits dient es als Orientierungsrahmen, wie sich die in solchen Settings entstehenden Produkte und Ideen der Kinder aufgreifen und für weiterführende Lernaktivitäten nutzen lassen (Streit & Royar 2014; Streit 2015b).

Das Modell umfasst die Phasen Anbieten, Beobachten, Unterstützen, Moderieren und Anknüpfen. Die Phasen sind idealtypisch zu verstehen, d. h., in der praktischen Umsetzung kann es auch Abweichungen geben. Das Anknüpfen erfolgt oft zeitlich versetzt, schon deshalb, weil (weitere) planerische Aktivitäten erforderlich werden. Dem Beobachten und Unterstützen kommt eine zentrale Bedeutung zu. Dabei wird das gezielte Beobachten als Voraussetzung für die individuelle Unterstützung des Kindes betrachtet. Diese beiden Phasen hängen daher eng zusammen und werden auch mehrmals durchlaufen. In Abbildung 2.1 wird dies durch den inneren Kreislauf deutlich gemacht. Wir sprechen im Folgenden von der situativen Lernbegleitung und meinen damit ausschließlich den inneren Kreislauf – also das Beobachten und Unterstützen (Abb. 2.1).

Abb. 2.1:  Prozessmodell der Lernbegleitung

Prozessmodell der Lernbegleitung

Phase 1: Anbieten

Ein ausgewähltes Material wird den Kindern präsentiert und zum freien Tätigsein oder zur Auseinandersetzung im Rahmen einer offenen Aufgaben- bzw. Fragestellung zur Verfügung gestellt.

Beim Regelspiel besteht das Anbieten in der Darbietung der jeweiligen Spielmaterialien und der sukzessiven Einführung der Regeln innerhalb der ersten Spielrunden. Dabei können bereits Beobachtungen gemacht werden.

 

Phase 2: Beobachten

Die Beobachtung der kindlichen Aktivitäten im Umgang mit dem Material ermöglicht es, Kenntnisse über die unterschiedlichen Vorgehensweisen sowie Einblicke in Fähigkeiten und mögliche Denkweisen der Kinder zu gewinnen. Zugleich dient diese Phase dazu, das mathematische Potential der Schüleraktivitäten, -äußerungen und -produkte zu erfassen und ggf. zu dokumentieren.