Maureen - Zeit der Sehnsucht - Margaret Kaine - E-Book

Maureen - Zeit der Sehnsucht E-Book

Margaret Kaine

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Beschreibung

Große Gefühle vor der bezaubernden Landschaft Mittelenglands

Trevor Mountford ist gutaussehend und intelligent - wie die Filmstars, die Maureen im Kino anhimmelt. Als sie ihn heiratet, ist sie überzeugt, das Glück auf Erden gefunden zu haben. Doch die Ehe mit Trevor stellt sich als eine bittere Enttäuschung heraus. Eine Scheidung kommt für eine junge Frau in den 50er-Jahren jedoch nicht infrage. Dennoch entschließt Maureen sich zu einem mutigen Schritt und trennt sich vorläufig von Trevor. Als sich ein anderer Mann unsterblich in sie verliebt, verzweifelt Maureen: Sie erwidert Gregs Gefühle, hat ihm aber bisher verschwiegen, dass sie bereits verheiratet ist ...

Weitere Sagas aus den englischen Potteries: Beth - Geheimnis des Herzens. Rosemary - Wege des Glücks. Rebecca - Entscheidung aus Liebe.

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Inhalt

CoverWeitere Titel der AutorinÜber dieses BuchÜber die AutorinTitelImpressumWidmungZitatPROLOG1. KAPITEL2. KAPITEL3. KAPITEL4. KAPITEL5. KAPITEL6. KAPITEL7. KAPITEL8. KAPITEL9. KAPITEL10. KAPITEL11. KAPITEL12. KAPITEL13. KAPITEL14. KAPITEL15. KAPITEL16. KAPITEL17. KAPITEL18. KAPITEL19. KAPITEL20. KAPITEL21. KAPITEL22. KAPITEL23. KAPITEL24. KAPITEL25. KAPITEL26. KAPITEL27. KAPITEL28. KAPITEL29. KAPITEL30. KAPITEL31. KAPITEL32. KAPITEL33. KAPITEL34. KAPITEL35. KAPITEL36. KAPITEL37. KAPITEL38. KAPITEL39. KAPITEL40. KAPITEL41. KAPITEL42. KAPITEL43. KAPITELDANKSAGUNG

Weitere Titel der Autorin

Sagas über die Frauen aus den Potteries:

Beth – Geheimnis des Herzens

Rosemary – Wege des Glücks

Rebecca – Entscheidung aus Liebe

Über dieses Buch

Große Gefühle vor der bezaubernden Landschaft Mittelenglands

Trevor Mountford ist gutaussehend und intelligent – wie die Filmstars, die Maureen im Kino anhimmelt. Als sie ihn heiratet, ist sie überzeugt, das Glück auf Erden gefunden zu haben. Doch die Ehe mit Trevor stellt sich als eine bittere Enttäuschung heraus. Eine Scheidung kommt für eine junge Frau in den 50er-Jahren jedoch nicht infrage. Dennoch entschließt Maureen sich zu einem mutigen Schritt und trennt sich vorläufig von Trevor. Als sich ein anderer Mann unsterblich in sie verliebt, verzweifelt Maureen: Sie erwidert Gregs Gefühle, hat ihm aber bisher verschwiegen, dass sie bereits verheiratet ist …

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Über die Autorin

Margaret Kaine, geboren und aufgewachsen in »The Potteries«, in Mittelengland, lebt heute in Eastbourne. Ihre Karriere als Autorin startete sie mit Kurzgeschichten, die in mehreren Ländern veröffentlicht wurden. Anschließend erhielt sie für ihren Debütroman »Beth – Geheimnis des Herzens« gleich zwei literarische Preise. Seitdem schreibt sie mit großem Erfolg romantische Sagas, die vor dem Hintergrund der industriellen Entwicklung zwischen den 50er- und 70er-Jahren in ihrer Heimat spielen. Margaret Kaine ist verheiratet, hat zwei Kinder und zwei Enkelkinder.

Homepage der Autorin: https://margaretkaine.com/.

MARGARET KAINE

Maureen

Zeit der Sehnsucht

Aus dem Englischen von Katharina Kramp

Digitale Erstausgabe

»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG

Für die Originalausgabe:

Copyright © 2004 by Margaret Kaine

Titel der englischen Originalausgabe: »A Girl of her Time«

Originalverlag: Poolberg Press Ltd., Dublin

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2006/2020 by Bastei Lübbe AG, Köln

Titel der deutschsprachigen Erstausgabe: »Zeit der Sehnsucht«

Textredaktion: Britta Siepmann

Covergestaltung: Guter Punkt, München unter Verwendung von Motiven © mikeklee/istock (Abo) © Fraser Croft/Getty Images (Abo) © Fourleaflover/Getty Images (Abo)

eBook-Erstellung: hanseatenSatz-bremen, Bremen

ISBN 978-3-7325-9539-6

be-ebooks.de

lesejury.de

Für meinen Sohn Matthew

Der Verstand sollte das Herz lehren zu fühlen;das Herz sollte den Verstand lehren zu sehen.

Thomas von Aquin

PROLOG

In der stillen Küche ließ Maureen vorsichtig ein Ei aus der Pfanne auf das Dreieck gerösteten Brots gleiten. Auf dem warmen Teller lagen schon zwei Scheiben geräucherter Schinkenspeck und zwei Schweinswürstchen. Ihr Mann war sehr pingelig mit seinem Frühstück. Es musste jeden Morgen genau das gleiche sein, und sie wusste, dass er in fünf Minuten erwartungsvoll in seinem Anzug und dem Hemd, das sie gebügelt hatte, die Treppe herunterkommen würde.

»Eins muss ich ihr lassen«, hatte sie ihre Schwiegermutter einmal sagen hören, »sie sorgt dafür, dass er immer gut angezogen ist.«

Und das tat Maureen wirklich. Genauso wie sie darauf achtete, dass ihre eigene Erscheinung immer gepflegt war. Nicht etwa extravagant, das hätte ihm nicht gefallen, genauso wenig wie er es mochte, wenn sie Nagellack auftragen würde. Während der zwei Jahre, in denen er seit seinem Wehrdienst in Deutschland wieder zu Hause war, hatte Maureen festgestellt, dass ihr Mann eine Menge Dinge nicht mochte.

Sie spähte durch die Netzgardinen. Es regnete; es war kein heftiger Schauer, sondern diese Art unangenehmer Nieselregen, der das Haar benetzt und in die Kleidung dringt.

Regungslos verharrte sie für einen Moment, dann nahm sie ihren Mantel und ihre Handtasche, öffnete die Hintertür und zog sie im Hinaustreten leise hinter sich zu. Auf Zehenspitzen schlich sie an der Seite des Hauses entlang und bog in die schmale Straße ein. Ihre hohen Absätze klapperten auf dem Asphalt. Niemand begegnete ihr, nicht einmal, als sie um die Ecke bog.

In der Küche war der Tisch gedeckt. Vor der braunen Teekanne unter ihrer gehäkelten Haube lag der Zettel. Auf dem einfachen linierten Papier, das aus einem alten Schulheft gerissen worden war, stand nur eine Zeile:

Bin spazieren, M.

1. KAPITEL

August 1956

Maureen hatte immer alles für sich behalten. Es war ein Charakterzug von ihr, der schon, als sie noch ein Kind war, viele gemurmelte verärgerte Kommentare ausgelöst hatte. Die Matthews misstrauten allen Leuten, die ihre Gefühle verheimlichten. Aber Maureen beobachtete gerne, dachte viel nach; ihre Mutter Beryl sagte immer, man wisse nie, was in ihrem Kopf vorging.

Als sie siebzehn war, wussten sie, dass sie eine Schönheit in ihrer Mitte hatten, wobei es allen ein Rätsel blieb, wo sie diese Haare herhatte, die schwarz wie die Nacht waren. Glücklicherweise hatte Maureen auch die scharf geschnittene Nase ihres Vaters geerbt, wenn auch eine zartere, klassischere Version, die jeden misstrauischen Gedanken gegenüber Beryl verstummen ließ.

Sandra, die fünf Jahre älter als Maureen war und kürzlich geheiratet hatte, war fast in Tränen ausgebrochen, als sie ihre Hochzeitsfotos zum ersten Mal sah. Da stand sie in ihrer ganzen weißen Pracht, und wer strahlte auf dem Bild? Ihre jüngere Schwester, die in die Kamera lächelte, eine atemberaubende Erscheinung in lilafarbenem Organza.

»Es gibt keine Gerechtigkeit auf Erden«, stöhnte sie. »Sieh dir das an, neben ihr sehe ich mausgrau und fett aus!«

»Wenn du im Leben nach Gerechtigkeit suchst, wirst du schrecklich enttäuscht werden«, fuhr Beryl sie an. Weil ihre ältere Tochter ein großzügiges und unkompliziertes Wesen hatte, wusste sie, dass jede Eifersucht, die sie empfand, von kurzer Dauer sein würde. Es war ihre jüngere Tochter, die Beryl Sorgen bereitete, aber sie machte sich ohnehin über alles Sorgen.

»Wenn du nichts hast, über das du dir den Kopf zerbrechen kannst, suchst du so lange, bis du etwas findest«, beschwerte sich ihr Mann an einem Samstagmorgen.

»Ach, dir würde das doch überhaupt gar nicht auffallen! Dich stört doch so gut wie nie etwas.«

Aber Frank zuckte nur die Achseln und wandte sich, nachdem Beryl in die Küche gegangen war, wieder den Sportseiten der Zeitung zu. Wenn er sich beeilte, konnte er vielleicht vor dem Essen noch eine Wette platzieren. Ein paar Minuten später schlüpfte er in seine Jacke und rief: »Ich gehe mal kurz zu Alan, ich muss was mit ihm besprechen!«

»In einer halben Stunde steht das Essen auf dem Tisch.«

»Wohin ist Dad gegangen?« Maureen hatte ihn hinausgehen hören, als sie die steile Treppe hinunterkam, die direkt in die Küche führte. Sie schloss die Tür zur Treppe, damit es nicht so zog.

»Zu Alan. Wahrscheinlich wegen seines Lohns.«

Maureen grinste. Jeder wusste, dass Alan, der sechs Türen weiter wohnte, als Buchmacher für die umliegenden Straßen fungierte. Außer ihrer Mutter natürlich. Beryl tratschte nicht viel mit den Nachbarn.

»Ich nehme an, du fährst heute Nachmittag wieder nach Stoke?«

»Ja. Ich will mir ›Che Sarà, Sarà‹ besorgen.« Sie sang den Text in perfekter Tonlage, und Beryl lächelte. Das Mädchen war verrückt nach Doris Day und moderner Musik und gab ihr ganzes Geld für Platten aus.

* * *

»Deck den Tisch, dann komm her und schmier die Butterbrote, ja?« Es war eher ein Befehl als eine Frage, und Maureen gehorchte automatisch.

»Immer gibt es samstags Eier mit Pommes«, murrte sie.

»Dein Vater mag das eben, und es zahlt sich aus, wenn er zufrieden ist!« Beryl ging in die schmale, dunkle Spülküche und gab ein Stück Fett in eine Pfanne, um es zu erhitzen.

»Es ist immer das Gleiche«, murmelte Maureen, »immer müssen Frauen den Launen ihrer Männer nachgeben«.

»Ja, und du kommst auch noch an die Reihe, junge Dame! Behältst du bitte die Butter hier im Auge?«

Maureen rettete die Butterschale, die sie nahe ans Feuer gestellt hatte, und begann, einen großen knusprigen Laib Brot in Scheiben zu schneiden. Beryl beobachtete sie zufrieden. Maureen konnte hauchdünne Scheiben schneiden, ganz anders als Sandra, deren Scheiben immer wie Treppenstufen aussahen. Flüchtig fragte sie sich, wie ihre älteste Tochter wohl zurechtkam. Das junge Paar hatte sich auf die Warteliste für eine Sozialwohnung setzen lassen. In der Zwischenzeit hatten sie ihr Eheleben im Haus von Johns Eltern begonnen. Oh, sie hatten ihnen sogar das vordere Zimmer zur Verfügung gestellt und auch noch ein Schlafzimmer, aber trotzdem war das kein idealer Start für eine Ehe.

»Mum, kannst du mir vielleicht ein Pfund leihen?«

»Ich habe dir erst letzte Woche zehn Schilling geliehen.«

»Ja, ich weiß, und ich zahle es dir zurück, ehrlich«, bettelte Maureen. »Bitte Mum, ich bin wirklich pleite!«

Beryl seufzte. Sie war sicher, dass alles viel einfacher wäre, wenn sie Maureen erlauben würde, ihren Lohn für sich zu behalten und sie einfach einen Teil davon für Unterkunft und Verpflegung zahlen würde. Aber Frank wollte nichts davon hören.

»Es geht ums Prinzip«, sagte er. »Wir haben sie großgezogen – es wird Zeit, dass sie auch etwas zum Haushalt beisteuert. Als ich anfing zu arbeiten, bekam ich einen Schilling die Woche von meinem Vater ausgezahlt.«

Und Beryl hatte nicht widersprochen. Sie hatte schon vor langer Zeit gemerkt, dass es reine Zeitverschwendung war, Frank zu widersprechen. Man durfte ihm offen auf keinen Fall Kontra geben. Aber mittlerweile verstand sie es meisterhaft, es auf verdeckte Art zu versuchen. »Lasst einfach ein bisschen Gras über die Sache wachsen«, riet sie den Mädchen meistens. »Ich kümmere mich darum, ihr werdet schon sehen.«

Sie blickte ihre Tochter an. Vielleicht war die Zeit dafür jetzt gekommen – schließlich arbeitete Maureen seit zwei Jahren.

»Wir gehen zusammen zur Trustees Savings Bank«, meinte sie abrupt. »Wir eröffnen ein Konto für dich, und dann, wenn du achtzehn bist, gibst du uns einfach etwas für Unterkunft und Verpflegung.«

Maureens Miene hellte sich auf. »Oh toll, Mum!«

»Ich würde es allerdings deinem Vater gegenüber nicht erwähnen, noch nicht.«

Maureen rechnete sofort im Kopf aus, wie viel Geld sie jede Woche für sich würde ausgeben können. Verfügbares Einkommen – so nannte man das. Sie hatte erst vor kurzem darüber gelesen. Im Wartezimmer des Zahnarztes war sie auf eine orangefarbene Zeitung, die sich Financial Times nannte, aufmerksam geworden, in der zu ihrem Entzücken gleich seitenweise Aktienkurse abgedruckt waren. Maureen liebte Zahlen; tatsächlich liebte sie alles, was mit Mathematik zu tun hatte.

»Warum dieses Mädchen kein Stipendium bekommen hat, wird mir immer ein Rätsel bleiben«, murrte Frank gerne. »Also, bei unserer Sandra kann ich das ja verstehen, sie hatte es nie mit dem Lernen, aber Maureen …«

Und was das betraf, hatte er einwandfrei Recht. Maureen war sehr gut in der Schule gewesen, und im Kopfrechnen war sie ein Genie. Aber noch jetzt hatte sie Albträume, wenn sie an jenen grauenvollen Tag dachte, als sie mit sechs anderen Elfjährigen in die fremde, weiterführende Schule gekommen war. Dort hatte man sie in einen großen, kahlen Raum geführt und ihnen Prüfungsunterlagen ausgehändigt, die den Rest ihres Lebens beeinflussen würden. Maureen war sich dessen sehr wohl bewusst gewesen. Die Lehrer redeten seit Monaten davon, ganz zu schweigen von ihren Eltern und allen Verwandten.

Aber als die streng blickende Lehrerin vorne dann die Anweisung gab: »Ihr könnt jetzt beginnen«, war Maureen innerlich ganz schwach geworden. Mit zitternden und schwitzenden Händen hatte es ihr sogar schon Schwierigkeiten gemacht, ihren eigenen Namen zu schreiben. Sie versuchte zuerst die Additionsaufgaben zu lösen, weil sie wusste, dass es nur noch schlimmer werden würde, je länger sie hier saß, aber etwas stimmte mit ihrem Kopf nicht. Er fühlte sich an wie ein Knäuel Strickwolle, das sich verheddert hatte, und Panik stieg in ihr auf, als er nicht funktionierte wie sonst, als sie nicht einmal die einfachste Aufgabe lösen konnte. Sie starrte auf die Frage, in der es darum ging, wie viel Zeit ein Mann für das Ausheben einer Grube benötigt. Sie zwang ihre schwitzende Hand dazu, den Stift zu nehmen, und versuchte, das Ergebnis auszurechnen, stellte jedoch fest, dass die Buchstaben und Zahlen vor ihren Augen verschwammen und zu tanzen begannen, und plötzlich wurde ihr ganz schlecht. Die Übelkeit überkam sie so überraschend, dass sie noch nicht einmal mehr aus dem Raum auf die Toilette laufen konnte. Schon im nächsten Moment erbrach sie eine Ekel erregende, übel riechende Masse über die Fragebögen und die Vorderseite ihres Kleides. Alle starrten sie an, und die Lehrerin, die vorne saß, richtete wütend ihren Blick auf sie. Dann kam die streng aussehende Frau zu Maureens Tisch, zog sie vom Stuhl und schob sie aus dem Klassenzimmer in den Flur. Obwohl eine andere Lehrerin sie in den Waschraum brachte und ihr half, sich zu säubern, war Maureen, die schreckliche Angst davor hatte, ihr ganzes Leben ruiniert zu haben, untröstlich.

»Ich will nicht!«, hatte sie versucht, sich zu wehren, aber sie wurde zurück in das Prüfungszimmer geführt, und man händigte ihr neue Unterlagen aus. Unglücklich und tränenblind hatte sie versucht, die Fragen zu beantworten. Aber sie hatte da schon gewusst, dass es für sie keinen Platz auf der begehrten weiterführenden Schule geben würde.

Noch Tage später hatte sie auf dem Schulhof den Kopf gesenkt, war den Blicken ihrer Lehrerinnen ausgewichen und hatte die Enttäuschung ihrer Eltern ertragen. Als man ihr zwei Jahre später, als sie als Klassenbeste die Realschule abschloss, eine zweite Chance bot, hatte sie sofort abgelehnt. Auf keinen Fall würde sie diese Tortur noch einmal auf sich nehmen, und überhaupt, wer wollte denn schon das Gymnasium besuchen, in dem man marineblaue Uniformen tragen musste? Marineblau stand ihr überhaupt nicht! Aber hinter ihrem vermeintlichen Schneid versteckte Maureen nur die Erkenntnis, dass die Person, die sie am meisten enttäuscht hatte, sie selbst war.

Beryl und Frank konnten das nicht verstehen. Das Mädchen war sonst nie nervös, aber selbst eine ganz normale Klassenarbeit in der Schule brachte sie jedes Mal völlig aus der Fassung.

»Sie frisst die Dinge zu sehr in sich hinein«, meinte Frank. »Das war schon immer so.«

Dann, nach ihrem Schulabschluss, hatte Maureen sich geweigert, einen Kurs für Sekretärinnen zu absolvieren. Ihr Entschluss war unerschütterlich.

»Ein für alle Mal«, erklärte sie, »ich werde niemals, solange ich lebe, je wieder irgendeine Prüfung ablegen.«

»Was willst du denn machen?«, wollte Frank wissen.

»Ich könnte mal sehen, ob es in unserer Fabrik eine Stelle für dich gibt«, hatte Beryl angeboten.

»Da arbeite ich auch nicht.«

»Also wirklich«, wies sie Maureen zurecht, »was ist denn so schlimm daran, eine Näherin zu sein? Es ist gut genug für mich und unsere Sandra.«

Die Sturheit ihrer Tochter, hatte Beryl später zu Frank gesagt, würde ihr ernsthafte Sorgen bereiten.

Es lag gar nicht daran, dass Maureen nicht in einer Fabrik arbeiten wollte – sie wusste einfach, dass ihr die notwendige Koordination fehlte. Man brauchte sich doch zum Beispiel nur ihr Strickzeug anzusehen, es war eine Katastrophe, und sie hasste jede Form von Handarbeit.

»Nein«, erklärte Maureen. »Es gibt nur eine Sache, in der ich wirklich gut bin, und das ist Mathematik. Ich brauche einen Job, bei dem ich mit Zahlen arbeiten kann.«

Aber das war nicht einfach, nicht ohne Qualifikationen. Doch Frank, der als Versicherungsvertreter arbeitete und jede Woche von Tür zu Tür ging und Prämien einsammelte, sprach mit seinem Geschäftsführer. Maureen wurde als Aushilfe eingestellt und recht schnell befördert, sodass sie bald im Büro der Versicherung arbeitete.

Zumindest war sie körperlich anwesend, und ihr Kopf rechnete automatisch Zahlenkolonnen zusammen, sie führte präzise Buch, saldierte Konten. Aber ihr Geist, ihre Seele waren ganz woanders und kamen nur zweimal die Woche zufrieden zur Ruhe, wenn sie in der ersten Reihe des Kinos saß. Die Filme, die sie sah, erfüllten sie völlig, und nur sie wusste, wie tief sie in diese Fantasiewelt eintauchte.

»Du träumst den ganzen Tag«, schalt Beryl sie, aber Maureen wusste, dass es da eine andere Welt gab, weit weg von dem kleinen grauen Reihenhaus in den Potteries. Es gab eine Welt voller Sonnenschein und blauem Himmel, mit wunderschönen Häusern und Möbeln, in der alle Menschen schicke Kleider trugen und ausgezeichnete Manieren hatten. Sie schwärmte für Cary Grant und Gregory Peck, aber ihre Lieblingsfilme waren Musicals, die sie an einen Ort entführten, der für sie dem Himmel am nächsten kam. Glückselig sang sie dann mit der Freundin, mit der sie im Kino gewesen war, auf dem Heimweg alle Lieder nach, und ihre klaren jungen Stimmen ließen die wenigen Passanten lächelnd an ihre eigene Jugend denken.

Wenn Maureen an diesen Abenden nach Hause kam, betrachtete Beryl ihre hübsche Tochter, die Wangen gerötet, die Augen strahlend, und dachte nach. Sie fragte sich, was die Zukunft für sie bereithielt, wie sie mit der harten Realität des Lebens fertig werden würde.

»Es ist sinnlos, zu viel nachzugrübeln«, war eine Maxime, die sie während ihrer eigenen Kindheit oft gehört hatte, und Beryl fand, dass an diesem Satz sehr viel Wahres war, vor allem für die Arbeiterklasse. Es war besser, sicherer, um genau zu sein, einfach das Beste aus dem zu machen, was man hatte.

An diesem Samstagabend aber sah sie mit Freude und Stolz zu, wie Maureen sich vor dem Spiegel über dem gekachelten Kamin schminkte.

»Was hältst du von meinem neuen Lidschatten?«

»Ich kann keinen großen Unterschied zu dem erkennen, den du sonst benutzt. Er ist auch grün.«

»Ich kann ja wohl auch schlecht einen blauen tragen, oder, bei meinen Augen?« Maureens weit auseinander stehende Augen waren grün mit goldenen Flecken darin, wie die einer Katze, sagte Frank immer.

»Leg nur nicht zu viel auf, das ist alles, was ich dazu zu sagen habe.«

»Oh Mum!« Maureen griff nach der Mascara-Bürste, um ihre ohnehin schon langen dunklen Wimpern noch stärker zu betonen. Ihr Kleid war aus pinkfarben und weiß gestreifter Baumwolle. Mit seinem weit schwingenden Rock mit dem gestärkten Petticoat darunter und dem weißen Taillenmieder, das dazu getragen wurde, war es eins ihrer Lieblingskleider.

Sie zog ihre Lippen mit pinkfarbenem Lippenstift nach, entfernte die stählernen Lockenwickler aus den Enden ihrer fast schulterlangen Haare, kämmte sie aus und begutachtete zufrieden ihren so entstandenen Pagenkopf.

»Ich nehme an, du willst nach Trentham? Du hast wirklich Glück, dass du fast direkt nebenan wohnst. Busse aus den gesamten Midlands karren die Leute in den Tanzsaal von Trentham«, meinte Frank.

»Ja, ich weiß«, erwiderte Maureen und zog ihren Mantel an. »Okay, ich geh dann – ich nehme wie immer den letzten Bus. Vergiss nicht, mich abzuholen, ja, Dad?«

»Ich werde da sein.« Frank war in den Evening Sentinel vertieft, aber Maureen wusste, dass er sie nicht enttäuschen würde, obwohl das bedeutete, dass er bis nach Mitternacht aufbleiben musste.

An der Tür zur gemütlichen Küche hielt sie inne und blickte zurück auf ihre Eltern. Auf Frank, dem seine randlose Brille tief auf die Nase gerutscht war, der sein Bier genoss und dessen Pfeife auf ihrem Ständer in einem Regal neben ihm wartete. Auf Beryl, die Franks Socken stopfte und dabei Radio hörte.

Als Maureen so in der Tür stand, hatte sie das merkwürdige Gefühl, an der Schwelle zu einem neuen Lebensabschnitt zu stehen. Dann verwarf sie den Gedanken als Hirngespinst und schloss die Tür. Der Duft ihres »Evening in Paris«-Parfüms folgte ihr. Es war Samstagabend, der aufregendste Tag der Woche, und voller Vorfreude lief sie los, um sich mit ihren Freunden zu treffen.

2. KAPITEL

Von den Klängen der sehnsuchtsvollen Melodie von ›It’s Almost Tomorrow‹ aus dem Tanzsaal begleitet, bahnte sich Maureen ihren Weg in den schmalen Waschraum und suchte nach einem Platz vor dem einzigen großen Spiegel. Vor ihm drängelten sich die Mädchen scharenweise, um ihre Nylonstrümpfe nach Laufmaschen abzusuchen, Strumpfbandhalter zurechtzurücken, sich zu schminken, Parfüm hinter ihre Ohren zu tupfen und abschätzend die Konkurrenz zu betrachten. Maureen wollte ein Glitzerspray für ihre Haare ausprobieren.

Sie war mit zwei Freundinnen gekommen: Elaine, die bei Woolworth arbeitete, und Carol, die gerade eine Ausbildung zur Friseurin machte. Alle drei Mädchen waren in derselben Straße aufgewachsen, und ihre gemeinsame Kindheit war der Grundstein ihrer Freundschaft.

»Nein, nicht so«, schimpfte Carol und schnappte Maureen die Spraydose aus der Hand.

»Ich wünschte, ihr beide würdet euch ein bisschen beeilen!« Elaine machte sich schmal, um ein anderes Mädchen vorbeizulassen. »Die ganzen Jungs werden schon vergeben sein, wenn wir endlich drin sind.«

»Da hat sie Recht«, meinte Maureen. »Dann los, lasst uns gehen.« Sie ging durch die Tür voran, und die drei Mädchen liefen selbstbewusst in ihren Pumps hinüber in den Tanzsaal. Maureen spürte, wie ihr gestärkter Petticoat ihr um die Beine schwang, und hob stolz den Kopf, als sie den lauten Raum betraten, in dem eine wogende Masse von Tänzern jetzt zu Bill Haleys Nummer-eins-Hit ›Rock Around the Clock‹ rockte. Die Band auf der Bühne spielte laut, und sie konnte es kaum abwarten, endlich auf die Tanzfläche zu kommen, denn ihr Körper reagierte bereits auf den Rhythmus. Aber zuerst mussten sie einen Platz finden, wo sie stehen konnten, und weil sie wusste, dass ihr die anderen folgen würden, bahnte sie sich den Weg zu einer Seite des Raumes.

Carol, die davon überzeugt war, genau wie Marilyn Monroe auszusehen, war die Erste, die zum Tanz aufgefordert wurde. Elaine, deren üppige Proportionen weniger vorteilhaft verteilt waren, rümpfte verächtlich die Nase.

»Den kann sie gerne haben«, erklärte sie, als Carol dem schmächtigen Jungen auf die Tanzfläche folgte.

»Aber tanzen kann er«, kommentierte Maureen, während sie beobachtete, wie er ihre Freundin gekonnt und routiniert herumwirbelte.

»Willst du tanzen?« Sie blickte zu dem Kaugummi kauenden Jungen vor ihr auf, dessen knochige Handgelenke aus seiner Tweedjacke herausragten, und zögerte. Aber es war ohnehin schon zu spät, er hatte seine Aufmerksamkeit bereits Elaine zugewandt.

Mit einem schnellen, bewundernden Blick nickte Elaine, und als sie zur Tanzfläche ging, schlurfte er hinter ihr her.

Maureen sah ihnen amüsiert nach, und in diesem Moment, als sie alleine dastand und mit dem Fuß im Rhythmus der Musik wippte, sah sie ihn zum ersten Mal. Er lehnte an einer Säule und beobachtete die Tänzer, oder eher – wie sie vermutete – die Beine der Mädchen, deren lange Röcke flogen, während sie herumwirbelten und sich drehten. Er war groß und dünn, in Blazer und Flanellhose gekleidet und wirkte irgendwie distanziert, wie ein Zuschauer bei einem Theaterstück. Heimlich beobachtete sie ihn, bemerkte, wie ordentlich sein blondes Haar von der Stirn nach hinten schwang. Er sah aus wie eine jüngere Version dieses Filmstars, wie hieß er noch gleich? Leslie irgendwas – er hatte in Vom Winde verweht mitgespielt. Leslie Howard, genau, so hieß er. Plötzlich blickte er in ihre Richtung, und sie wandte den Kopf ab und versuchte, möglichst gleichgültig zu wirken, als würde sie auf jemanden warten. Auf keinen Fall sollte er sie für ein Mauerblümchen halten.

Aber sie hätte sich deswegen keine Sorgen machen müssen, denn in diesem Moment hörte die Band auf zu spielen, und die Tänzer strömten erhitzt und schwitzend von der Tanzfläche.

Carol kam als Erste zurück, dicht gefolgt von Elaine, die sich beschwerte:

»Hast du keinen Tisch finden können?«

»Da ist einer«, zeigte Maureen, und die drei Mädchen besetzten ihn schnell, indem sie ihre kleinen Abendhandtaschen darauf legten.

»Okay«, meinte Maureen, »ich hole die Getränke.«

Ein paar Minuten später kam sie mit drei Gläsern Limonade zurück.

Carol wies mit dem Kopf in Richtung Säule. »Der sieht aber ziemlich gut aus.«

»Hände weg«, warnte Maureen. »Ich hab ihn zuerst gesehen.«

»Hey, er kommt hier rüber«, zischte Elaine, und alle drei Mädchen schauten sofort in eine andere Richtung und gaben sich kühl und desinteressiert.

Während die Band zu einem Walzer aufspielte, kam er direkt auf Maureen zu. Sie blickte auf und schenkte ihm ihr strahlendstes Lächeln – das sie stundenlang vor dem Spiegel geübt hatte.

»Darf ich um diesen Tanz bitten?« Seine Stimme klang kühl, selbstsicher.

»Natürlich«, antwortete sie leichthin, und er trat beiseite, als sie schwungvoll an ihm vorbeiging und ihren Freundinnen einen triumphierenden Blick zuwarf.

»Softly, softly«, schmachtete die Sängerin in einer Imitation von Ruby Murray, und Maureen, die von ihrem Partner jetzt fest im Arm gehalten wurde, trat anmutig zurück.

Trevor erzählte ihr, nachdem sie ihre Namen ausgetauscht hatten, dass er sich in der Ausbildung zum Wirtschaftsprüfer befand.

»Was machst du?«, fragte er.

»Ich bin Versicherungsangestellte.«

»Ah«, murmelte er ihr ins Ohr, während er nach einem Platz in der Menge der Tänzer suchte, »also haben wir etwas gemeinsam.«

»Und was ist das?«

»Einen logischen und geordneten Verstand.«

Maureen, die von Sekunde zu Sekunde beeindruckter war, lächelte zu ihm auf und dachte, dass er völlig anders war als alle Kerle, die sie in der Vergangenheit kennen gelernt hatte. Sie versuchte, sein Alter abzuschätzen: Er war bestimmt mindestens einundzwanzig, vielleicht älter.

Das Stück endete, und als sie sich voneinander lösten, warf Maureen ihm unsicher einen verstohlenen Blick zu und hoffte, er würde sie nicht sofort von der Tanzfläche führen. Doch zu ihrer Erleichterung lächelte Trevor nur, und als die Band einen langsamen Foxtrott zu spielen begann, zog er sie wieder in seine Arme.

Und so blieb es den ganzen Abend. Sie sah Elaine und Carol kaum, während sie mit Trevor tanzte, an einem der Seitentische mit ihm zusammensaß und fasziniert jedem seiner Worte lauschte. Nach dem letzten Walzer schlenderten sie Hand in Hand den von Bäumen gesäumten Weg zum Eingangstor entlang, während ihre Freundinnen taktvoll vorausgingen. Obwohl sie enttäuscht war, überraschte es Maureen nicht, dass Trevor ihr keinen Abschiedskuss gab, bevor sie in den Bus stieg. Es zeigte seinen Respekt, sagte sie sich, während sie sich gedankenversunken hinter Elaine und Carol setzte.

Oakvale, das Gebiet in der Nähe von Stoke, in dem Maureen wohnte, war eigentlich nur ein Stadtbezirk und kein eigenständiger Ort. Der Weg war kurz, und als sie beim Fahrer an der Tür stand und durch die Windschutzscheibe blickte, konnte sie Frank schon an der Bushaltestelle stehen sehen.

»Du hast Glück«, murmelte Elaine. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass mein Dad aufbleiben würde, um mich abzuholen und nach Hause zu begleiten.«

Maureen warf ihr einen mitfühlenden Blick zu und wusste, dass sie Recht hatte. Elaines Vater hatte den Abend vermutlich im Pub verbracht, war dann wahrscheinlich nach Hause gewankt und hatte dabei eine Opernarie zum Besten gegeben. Und, wie Beryl immer betonte, er war kein Mario Lanza.

Auf Carol wartete auch niemand an der Haltestelle. Ihre Mutter war Witwe, weil ihr Mann in Dünkirchen gefallen war.

»Na, Mädchen«, meinte Frank, als sie aus dem Bus ausstiegen. »Habt ihr euch denn gut amüsiert?«

»Ja, vielen Dank, Mr. Matthews.«

»Maureen bestimmt«, meinte Carol mit einem verstohlenen Seitenblick auf ihre Freundin.

»Na, ich bin sicher, sie wird es uns erzählen.«

Bald bogen sie von der Hauptstraße ab und liefen dann den steilen Hügel hinauf. Frank und Maureen warteten, bis beide Mädchen sicher in ihren Häusern waren, bevor sie zu ihrem eigenen Haus gingen, das ein Stück weiter die Straße hinunter lag.

Beryl saß in ihrem Lehnstuhl und trug bereits ihr Nachthemd. Eine Platte mit belegten Broten und eine Kanne Tee standen bereit.

»Ich gehe dann hoch«, meinte Frank, nachdem er seine Mütze auf den Haken neben der Tür gehängt hatte. »Ich lasse euch beide allein.«

»Gute Nacht, Dad. Danke, dass du mich abgeholt hast.« Maureen stellte sich auf Zehenspitzen, um ihm einen Kuss auf die Wange zu geben, und nahm sich dann ein Schinkenbrot.

»Und, hast du jemanden kennen gelernt?«, erkundigte sich Beryl.

Maureen nickte und sagte zwischen zwei Bissen: »Er hat mich gefragt, ob ich am Montag mit ihm ins Kino gehe.«

»Er? Das sagt mir nicht besonders viel.«

»Okay, sein Name ist Trevor, er kommt aus Hanford und macht gerade eine Ausbildung zum Wirtschaftsprüfer.«

»Würde also zu dir passen.«

Maureen kicherte. »Das hat er auch gesagt, na ja, irgendwie.«

»Hanford liegt auf unserer Busroute, also wäre das kein Problem.« Beryl sah ihre Tochter scharf an. »Wie alt ist er?«

»Also wirklich, in diesem Haus wird man ja regelrecht ins Kreuzverhör genommen. Ich weiß es wirklich nicht. Einundzwanzig, schätze ich.«

»Dann finde es am Montag heraus. Du bist erst siebzehn, vergiss das nicht.«

»Oh Mum, ich kann schon auf mich aufpassen!«

»Das sagen sie alle«, murmelte Beryl, stand dann auf und ging in Richtung Treppe. »Ich gehe jetzt ins Bett. Denk daran, das Licht auszumachen, bevor du nach oben kommst.«

Aber Maureen hatte andere Sachen als die Stromrechnung im Kopf. Sie dachte an Trevors blonden Schopf nahe an ihrem, an den schwachen Geruch von Zigarettenrauch an seiner Jacke und wie es sich angefühlt hatte, mit ihm zu tanzen, wie ihre zwei Körper sich im Gleichklang bewegt hatten. Sie merkte, wie sie bei diesen Gedanken errötete, schüttelte über sich selbst grinsend den Kopf und trug dann das Tablett in die Küche. Sie spülte schnell die Tassen, Untertassen und Teller ab. Voller Vorfreude auf ihre kommende Verabredung goss sie lächelnd den Rest Tee aus der Kanne in die Spüle und steckte, nachdem sie das kalte Wasser aufgedreht hatte, so lange den Finger in den nassen Haufen, der sich um den Abfluss gebildet hatte, bis alle Teeblätter verschwunden waren.

Dann lief sie in sehnsüchtiger Erwartung, den Abend noch einmal ausführlich Revue passieren zu lassen, die Treppe hinauf in ihr Zimmer. Es war immer noch ungewohnt, ein Zimmer für sich allein zu haben. Obwohl sie Sarah irgendwie vermisste, war es schon schön, sich ohne das störende Geschnatter ihrer älteren Schwester in den eigenen Gedanken verlieren und träumen zu können.

Ich muss nur noch den Sonntag überstehen, dachte sie, als ihr schließlich die Augen zufielen, und dann sehe ich ihn wieder.

* * *

Die Sonntage folgten bei den Matthews immer einem bestimmten Muster. Nachdem er seine Eier mit Schinken und jede Menge Haferkekse gegessen hatte, entspannte sich Frank in seinem Stuhl und las die News of the World, während sich Beryl, die ihm mit ihrer zweiten Tasse Tee gegenübersaß, in die Sunday People vertiefte. Maureen durfte ausschlafen.

»Diese Haferkekse waren nicht so gut wie sonst«, murrte Frank, als er seine Pfeife am Kamin ausklopfte.

»Ja, das fand ich auch. Ich habe sie vom Markt«, meinte Beryl. Sie blickte auf. »Ist schon komisch, nicht, dass man die Haferkekse nirgends sonst kaufen kann, nur hier in dieser Gegend, oder?«

»Stimmt. Der Erste, der in Blackpool einen Haferkeks-Laden eröffnet, wird ein Vermögen machen.«

»Vielleicht wenn die Porzellanarbeiter dort Urlaub machen, aber im Winter verhungern sie dann.«

Einige Minuten saßen sie schweigend da und lasen, dann blickte Frank von seiner Zeitung auf. »Weißt du, ich glaube, bald wird es in Suez Ärger geben.«

»Du meinst doch nicht einen neuen Krieg?« Beryl wurde blass.

»Könnte sein.«

Beryl sah erschrocken auf das grimmige Gesicht ihres Mannes. »Du würdest nicht gehen müssen, oder?«

»Glaub nicht, nicht dieses Mal. Eigentlich müssten sie die normalen Soldaten hinschicken. Aber ich will nicht, dass irgendjemand gehen muss. Dieses Land hat genug junge Männer verloren.« Frank hatte als Wehrpflichtiger den Zweiten Weltkrieg miterlebt und wusste, wie viel Glück er gehabt hatte, unversehrt aus dem aktiven Dienst zurückgekehrt zu sein.

»Würden Frauen die Welt regieren, gäbe es keine Kriege mehr«, erklärte Beryl.

»Das sagt ihr alle. Aber es geht einfach um das Zeigen von Macht, verstehst du? Und ich glaube, Frauen können, was das betrifft, genauso erbarmungslos sein wie Männer.«

»Ich bezweifle, dass wir das je herausfinden werden. Ich meine, kannst du dir vorstellen, dass bei uns jemals eine Frau Premierministerin wird?«, neckte sie ihn.

Frank grinste. »Nein, aber das ist auch besser so, da sie wahrscheinlich jeden Monat irgendjemandem den Krieg erklären würde – du weißt ja, wie du während deiner Tage immer bist.«

»Ach, hör schon auf!«

* * *

Beryl vertiefte sich wieder in ihre Zeitung, Frank dagegen starrte ins Leere. Er dachte daran, welche Folgen es haben könnte, dass Präsident Nasser den Suezkanal verstaatlicht hatte. Dann zuckte er innerlich seufzend die Achseln. Es lag in den Händen der Politiker; es gab nichts, was er hätte tun können.

Eine halbe Stunde später stand Beryl auf, ging in die Spülküche und schob den Nackenbraten in den bereits heißen Ofen. Dann ging sie zum Fuß der Treppe und rief: »Maureen! Wenn du um elf Uhr in die Messe gehen willst, solltest du dich jetzt besser beeilen!«

Oben stöhnte Maureen und steckte den Kopf unter die Bettdecke. Niemand sonst musste sonntags in die Kirche gehen. Bald würde sie ihren Vater damit konfrontieren, ihm sagen, dass sie nicht zur Messe gehen wollte. Das ist doch völlig sinnlos, dachte sie, wenn ich sowieso nur die ganze Zeit vor mich hin träume. Es war etwas anderes gewesen, als sie noch zur Schule ging; sie hätte es nicht gewag zu fehlen, weil sie wusste, dass es Bemerkungen über ihre Abwesenheit gegeben hätte.

»Maureen!« Beryls Stimme klang jetzt lauter und drängender.

»Schon gut, ich komme!« Widerwillig schwang sie die Beine aus dem Bett und stellte ihre nackten Füße auf den weichen Bettvorleger. Er war ein Weihnachtsgeschenk von Gran und hatte den gleichen pinkfarbenen Ton wie der Rüschenrock, der auf der nierenförmigen Frisierkommode lag.

Sonntage waren langweilig. Sie wusste genau, was passieren würde. Wenn sie mit ihrem Vater aus der Kirche zurück war, würde er eine Flasche Davenport-Bier öffnen und sich hinsetzen und Zeitung lesen. Mum würde damit beschäftigt sein, ihren Yorkshire-Pudding vorzubereiten, und sie selbst würde Staub wischen müssen. Sie hasste Staubwischen.

»Ich nehme an, Gran und Tante Vera kommen zum Tee?«

»Tun sie das nicht immer?«, erwiderte Beryl.

Maureen seufzte. Es war nicht so, dass sie nicht wollte, dass sie kamen, aber mussten Sonntage denn immer so schrecklich vorhersehbar sein? All das Herumsitzen und Teetrinken und Tratschen. Und das Essen schien niemals zu enden. Zuerst machten sich alle über ein üppiges warmes Mittagessen her, anschließend gab es Reispudding, dann öffnete Beryl zum Tee nicht nur eine Dose Lachs, sondern tischte auch noch eingelegte Pfirsiche mit Kondensmilch auf. Darüber hinaus brachte Gran immer ein selbst gebackenes Früchtebrot mit.

Allerdings war es mit Tante Vera wenigstens immer sehr lustig. Eigentlich war sie ihre Großtante, weil sie Grans Schwester war. Sie war eine alte Jungfer, die ihre einzige Chance auf eine Heirat im Ersten Weltkrieg verloren hatte, aber Maureen kannte niemanden, der seine Meinung so unumwunden aussprach wie sie. Takt, Diplomatie und sogar gute Manieren schienen ihr vollkommen fremd zu sein.

Ihre laut schallende Stimme dröhnte, sobald sie durch die Haustür trat.

»Ha, heute Morgen konnte ich endlich wieder zum Klo, Beryl. Und es kam ziemlich viel.«

Frank und Maureen grinsten sich an. Bitte nicht jetzt schon Einzelheiten über ihre Verdauung!

»Das ist gut, Vera«, meinte Beryl mit einem warnenden Blick auf die beiden.

»Jetzt geht es mir schon viel besser, kann ich dir sagen. Drei Tage musste ich warten.« Sie setzte sich auf einen harten Stuhl an den Tisch. Klein und hager, mit stahlgrauem Haar, das zu einem strengen Knoten nach hinten zusammengebunden war, setzte sich Tante Vera niemals in einen Sessel, weil das ihrer Meinung nach schädlich für den Rücken war. Und als sie sah, wie kerzengerade sie sich hielt, dachte Maureen, dass sie wahrscheinlich Recht hatte.

»Und was hast du so getrieben, junge Dame?«

»Ach, nichts.«

»Doch, hat sie«, widersprach Beryl. »Sie hat einen jungen Mann kennen gelernt, Vera, einen Wirtschaftsprüfer.«

Vera zeigte eine angemessen beeindruckte Miene, und Beryl wandte sich an ihre Mutter und hob die Stimme. »Hast du das gehört, Gran?«

»Mmh? Was hast du gesagt?«

»Stell dein Hörgerät an. Also wirklich«, beschwerte sich Beryl bei den anderen, »ich glaube, sie macht das absichtlich.«

Maureen hatte nie verstanden, warum Beryl ihre eigene Mutter »Gran« nannte; es war, als hätte die ältere Frau ihre Identität verloren, nachdem Sandra und sie geboren worden waren.

»Nein, das tut sie nicht, sie vergisst es einfach, nicht wahr?«, rief Vera. Sie gestikulierte ihrer Schwester, und sofort war ein fiependes Geräusch aus dem quadratischen Kasten zu hören, der vor Nellies üppiger Brust hing.

»Ich habe gesagt, dass unsere Maureen einen jungen Mann kennen gelernt hat. Er wird mal Wirtschaftsprüfer!«, wiederholte Beryl laut.

»Du musst nicht so schreien, ich kann dich hören!« Nellie blickte zu ihrem Schwiegersohn hinüber. »Stoke hat gestern gut gespielt, Frank. Ich nehme an, du warst da?«

»Natürlich. Drei zu eins gegen Leicester. Nicht schlecht, was?«

»Nun, ich hoffe, sie spielen in dieser Saison besser als in der letzten«, murrte sie.

»Tun wir das nicht alle!« Er betrachtete die vier Frauen. »So, es wird Zeit für mein kleines Nickerchen. Vergesst nicht, mich zu rufen, wenn der Tee fertig ist.« Er stieg schwerfällig die Treppe hinauf.

Vera meinte: »Er hat ganz schön zugenommen. Du setzt ihn besser auf Diät, Beryl.«

»Dad ist nicht dick«, verteidigte Maureen ihn.

»Dünn ist er aber auch nicht«, fuhr Vera sie an.

»Ich finde, es steht ihm, ein bisschen runder zu sein«, mischte sich Nellie ein, und Maureen sah sie dankbar an.

»Wie geht es dir denn, Gran?«

»Ganz gut, nur meine Beine machen mir ein bisschen zu schaffen.«

Maureen saß da und ertrug das Gerede eine Stunde lang, und dann, als ihre Pflicht erfüllt war, floh sie hinauf in ihr Zimmer. Sie legte die ›Heartbreak Hotel‹-Platte auf ihren tragbaren Plattenspieler und drehte die Lautstärke herunter, um Frank nicht zu stören. Zuerst lag sie auf ihrem Bett und träumte vor sich hin, dann blätterte sie die neueste Ausgabe des Picturegoer durch. Nachher würde sie nach unten gehen und sich Sunday Night at the London Palladium ansehen. Danach war es dann fast schon Montag – sie konnte es gar nicht erwarten, Trevor wiederzusehen!

3. KAPITEL

Maureen war schon vor der verabredeten Zeit da. Sie stand in ihrem geblümten Reifrock und der weißen Bluse mit dem hochgestellten Kragen vor dem Majestic-Kino in Stoke und wartete. An diesem Abend lief Die Glenn Miller Story mit James Stewart, und sie sah sich die bunten Werbebilder an, die in einem Schaukasten in der Nähe des Eingangs hingen. Es wartete noch jemand dort, ein Teddyboy, ziemlich aufgemotzt in seiner Samtjacke, dem schwarzen Schnürbandschlips und der Röhrenhose. Sie blickte voller Abscheu auf die dicke Kreppsohle unter seinen schwarzen Wildlederschuhen. Carol und Elaine waren beide schon mit Teddyboys ausgegangen, aber Maureen fand sie vulgär.

Dann sah sie plötzlich Trevor auf sich zukommen. Wieder trug er einen Blazer und eine Flanellhose, diesmal mit einem blassblauen Hemd und einem gestreiften Schlips. Er schien etwas älter zu sein, als er im schummrigen Licht des Tanzsaales gewirkt hatte, und sie war ein bisschen verunsichert, bis er sie anlächelte und voller Anerkennung meinte: »Du bist sehr pünktlich.«

Anders als andere Jungen, mit denen sie im Kino gewesen war, fragte Trevor sie nicht, wo sie sitzen wollte, sondern kaufte einfach zwei Karten für den ersten Rang, dann legte er ihr die Hand auf den Rücken und schob sie in Richtung Treppe. Maureen fühlte sich mit einem Mal viel erwachsener und hatte den merkwürdigen Eindruck, irgendwie eine Grenze überschritten zu haben. Das hier war nicht so wie die wenigen Kinoverabredungen, die sie mit Jungen aus dem Jugendclub gehabt hatte. Ihr Gefühl wurde verstärkt, als Trevor sich nicht sofort auf zwei Plätze in der letzten Reihe stürzte, sondern einfach der Platzanweiserin folgte, bis sie mit ihrer Taschenlampe auf zwei Plätze in der dritten Reihe von vorne deutete.

»Ich bin ein großer Fan von Glen Miller, und du?«, fragte Trevor, als sie sich gesetzt hatten.

»Oh ja, ich auch«, sagte Maureen, »vor allem von ›String of Pearls‹.«

Das schrille Krähen eines Hahns kündigte die Pathé News an, und erst, als sie vorbei waren und der Vorspann des Films lief, nahm Trevor ihre Hand und umschloss sie fest mit seiner. Der Film war nicht sehr gut, und Maureen fiel es schwer, sich auf die Handlung zu konzentrieren, weil sie Trevors Nähe nur zu deutlich spürte. Sein warmer Schenkel berührte manchmal ihren, und sie wünschte sich sehnlichst, er möge wie die anderen Jungen sein, mit denen sie ausgegangen war, und seinen Arm beiläufig über ihre Rücklehne legen, bevor er sie küsste. Bis jetzt hatte sie diese Tricks als lästig empfunden, besonders wenn sie mit einer Liebesszene auf der Leinwand zusammenfielen. Aber es war allgemein üblich, dass ein Junge das Recht auf ein bisschen Rumknutschen in der hintersten Reihe hatte, wenn er ein Mädchen ins Kino einlud. Aber während sie neben Trevor saß, der diskret mit ihr Händchen hielt und keine weiteren Annährungsversuche unternahm, kam Maureen wieder zu dem Schluss, dass diese Verabredung anders war.

Sobald der Film zu Ende war und die Lichter angingen, fragte Trevor: »Hättest du gerne ein Eis?«

»Ja, bitte.«

»Eiskonfekt oder einen Becher?«

Sie überlegte schnell. Sie hätte wirklich gerne Eiskonfekt genommen, aber bestimmt würde sie es schaffen, ein großes Stück des Schokoladenüberzugs vorne auf ihre Bluse fallen zu lassen.

»Einen Becher, bitte.«

Sie beobachtete ihn, wie er die Treppe hinunter zur Platzanweiserin ging, und sah, wie die hinter ihrem schweren Tablett zu ihm auflächelte. Er war so attraktiv.

Als der Hauptfilm begann, tauchte Trevor genauso in den Film ein wie sie. Es gab kein ablenkendes Gefummel, und er flüsterte ihr auch keine dummen Witzchen ins Ohr. Tatsächlich war er der perfekte Begleiter, denn an den wirklich interessanten Stellen vergaß sie fast, dass er da war. Als sie sich schließlich zur Nationalhymne erhoben, war Maureen verwirrt. Sie war immer noch ganz beeindruckt von den traurigen Szenen am Ende des Films und erfüllt von der aufwühlenden Musik.

Trevor schwieg ebenfalls, fragte nur, als sie der Menge die Treppe hinunter nach draußen folgten: »Hat es dir gefallen?«

»Es war wundervoll.«

Trotz der Dunkelheit war die Nachtluft immer noch warm, und als Trevor anbot, sie nach Hause zu begleiten, meinte sie: »Wir können laufen, es ist nicht weit.«

Hand in Hand liefen sie die inzwischen ruhige Hauptstraße hinunter, dann blieb Trevor nach einigen Minuten stehen und zog sie in den Eingang eines Geschäfts, wo man sie nicht sehen konnte. »Ich wollte dich schon den ganzen Abend küssen.«

»Ich werde dich nicht aufhalten«, lächelte sie und hob ihre Lippen seinen entgegen.

Trevors Kuss war fest, wenn auch enttäuschend kurz, aber Maureen tröstete sich damit, dass Trevor zumindest keine merkwürdigen Experimente veranstaltete. Sie hatte durchaus schon anderes erlebt, wie die viel zu feuchten Küsse von ungeschickten Jungen, wenn sie versuchten, ihre Zungen in ihren Mund zu schieben. Französisches Küssen nannten sie es, aber ihrer Meinung nach konnte das ruhig den Franzosen vorbehalten bleiben, obwohl Carol meinte, es läge daran, dass sie es nicht richtig machten.

»Würdest du am Samstag gerne tanzen gehen?«, fragte er, nachdem er sie am Ende ihrer Straße noch einmal geküsst hatte.

»Sehr gerne.«

Er wartete, bis sie die Haustür geöffnet hatte, dann war er verschwunden.

* * *

Sie gingen danach regelmäßig miteinander aus, zweimal oder sogar dreimal die Woche. Normalerweise ins Kino oder zum Tanzen, aber einmal lud Trevor zu einem Konzert des Hall-Orchesters ein. Maureen hörte zum ersten Mal ein klassisches Konzert, und zu ihrer Überraschung war es eine berauschende Erfahrung für sie.

Als sie Trevor davon vorschwärmte, innerlich noch ganz erfüllt von The Dream of Olwen, hatte er in scharfem Tonfall erwidert: »Natürlich hat es dir gefallen, nur einem Schwachsinnigen würde es nicht gefallen. Du weißt doch sicher, dass die Akustik in der Victoria Hall zu den besten im ganzen Land gehört?«

Unsicher hatte Maureen geschwiegen.

Als sie Trevor sechs Wochen kannte, begann Fran sich Sorgen zu machen. »Es wird langsam Zeit, dass wir ihn kennen lernen, Maureen.«

»Ja. Du bittest ihn besser am Sonntag zum Tee«, hatte Beryl sofort zugestimmt, und Maureen wusste, dass ihre Eltern über diese Sache gesprochen hatten.

»Aber dann werden Gran und Tante Vera hier sein!«

»Na und?«

»Ich verstehe, was sie meint, Liebes. Du weiß, wie Vera sein kann. Sie ist ein bisschen gewöhnungsbedürftig!« Frank zog an der Spitze seiner Pfeife und zwinkerte Maureen zu.

»Nun, das kann ich nicht ändern«, erwiderte Beryl verärgert.

»Sieh es einfach als Feuertaufe«, meinte Frank und grinste seine Tochter an.

Bei ihrem nächsten Treffen mit Trevor schnitt Maureen das Thema ziemlich nervös an. Jeder wusste, dass es auch noch etwas anderes implizierte, wenn man seinen Freund zu sich nach Hause einlud.

Aber zu ihrer Erleichterung sagte Trevor sofort zu. Er hatte ihr wenig von seiner eigenen Familie erzählt, nur dass er ein Einzelkind war. Sie wusste lediglich, dass sein Vater Lehrer war und dass seine Mutter nicht arbeitete. Er hatte zwar ihre diesbezüglichen Fragen beantwortet, erwähnte seine Eltern aber sonst nie.

Am Sonntagnachmittag lag Maureen auf dem Bett im Zimmer ihrer Eltern, während sich Beryl, erhitzt vom Tischdecken und vom Bügeln ihrer besten Kleider, Cremepuder auf die Wangen tupfte. Sie legte Wert auf ihr Äußeres und bestand auf das, was sie »einen gewissen Standard halten« nannte. Obwohl sie nicht Maureens auffällige Schönheit besaß, war sie trotzdem für ihr Alter immer noch eine attraktive Frau.

»Ich muss mir noch mal eine Dauerwelle legen«, meinte sie, während sie sich kritisch im Spiegel betrachtete.

»Dann besorg eine, und ich mache sie dir irgendwann nächste Woche.« Maureen, die hinter ihr auf dem Bett saß, blickte auf das hellbraune Haar ihrer Mutter. »Zumindest wirst du noch nicht grau. Du hast Glück, Elaines Mutter muss sich die Haare färben.«

»Bei dem Mann würde ich auch graue Haare kriegen.« Beryl drehte sich abrupt um und blickte ihre Tochter an. »Du hast diesen Trevor ziemlich gerne, nicht wahr?«

Maureen nickte.

»Dann ist es gut, dass wir ihn jetzt endlich mal kennen lernen.«

Sie hatte Trevor für halb vier Uhr eingeladen, mit dem Argument, dass sie dann zumindest noch eine halbe Stunde für sich hatten, bevor Vera kommen würde. Er war pünktlich, und obwohl es sehr heiß war, trug er ein Jackett, ein Hemd und einen Schlips. Beryl, froh darüber, dass sie Frank dazu überredet hatte, sich in seinen Sonntagsanzug zu werfen, streckte die Hand aus, als Maureen ihn vorstellte.

»Hallo Trevor. Ich habe schon viel von Ihnen gehört.«

»Nur Gutes, hoffe ich«, entgegnete er lächelnd.

Beryl konnte schon in diesem Augenblick nachvollziehen, warum Maureen ihn attraktiv fand. Was sein Äußeres betraf, ähnelte er mehr einem Filmstar als irgendjemand, dem sie jemals außerhalb des Kinos begegnet war. Sie wussten jetzt, dass er dreiundzwanzig war, also ein bisschen älter, als ihr lieb war, aber sie musste zugeben, dass das junge Paar gut zusammenpasste.

»Trevor.« Frank schüttelte die Hand des jungen Mannes, während er ihn einer sehr genauen Musterung unterzog.

Alle vier setzten sich ins Wohnzimmer, Maureen neben Trevor auf die selten benutzte dreiteilige rostfarbene Mokett-Polstergarnitur. Beryl und Frank nahmen ihnen gegenüber in den Sesseln Platz.

Es entstand ein kurzes Schweigen, dann meinte Frank: »Ich habe gehört, Ihr Vater ist Lehrer, Trevor.«

»Ja, das ist er.«

»An welcher Schule unterrichtet er denn?«

Maureen rutschte unbehaglich auf dem Sofa herum, während Frank und Beryl versuchten, »Trevor auszuhorchen«, wie sie es nennen würden. Dann, um Punkt vier Uhr, öffnete sich die Tür, und Tante Vera marschierte herein, gefolgt von Nellie.

»Was ist das denn?«, bellte sie. »Warum sitzt ihr denn alle in der guten Stube? Ist die Queen zum Tee gekommen oder was?«

Beryl wurde rot vor Verlegenheit, während Frank erklärte: »Das ist Maureens Freund, Vera. Wir haben dir doch erzählt, dass er kommt.«

»Ja, das habt ihr. Obwohl mir schleierhaft ist, warum Nellie sich deshalb in ihr bestes Korsett zwingen musste!« Sie sah sich in dem kleinen Zimmer um. »Und wo soll ich sitzen?«

Trevor erhob sich, um ihr seinen Platz anzubieten, aber Maureen hielt ihn am Arm fest.

»Das ist schon in Ordnung, sie sitzt lieber auf harten Stühlen.«

Frank holte ihr einen aus der Küche, während Beryl ihren Sessel frei machte und sagte: »Du setzt dich hierher, Gran. Ich muss sowieso langsam den Tee aufsetzen.«

Maureen lächelte ihre Großmutter an, die ihre schönste Perlenkette angelegt hatte, beugte sich vor und sagte laut und deutlich: »Das ist Trevor, Gran.«

Nellie richtete ihr Hörgerät, lächelte ihn an und sagte: »Freut mich, Sie kennen zu lernen, Trevor.«

»Und das ist meine Tante Vera.«

Vera, die ein neues Paar Schuhe trug und das bereits bereute, nickte knapp und funkelte ihn an. »Ich habe gehört, Sie machen eine Ausbildung zum Wirtschaftsprüfer. Oder ist das nur ein sehr großes Wort für einen besseren Angestellten?«

Maureen zuckte zusammen.

»Nein, es bedeutet, was es ausdrückt«, antwortete Trevor knapp.

»Also haben Sie Ihren Wehrdienst noch nicht abgeleistet?«

»Ich wurde zurückgestellt.«

»Für wie lange?«, fragte Frank.

»Bis ich mit der Ausbildung fertig bin. Ich mache meine Abschlussprüfung im nächsten Jahr.«

»Was würden Sie denn bevorzugen: die Army, die Navy oder die Air Force? Ich selbst war im North Staffordshire-Regiment.«

»Oh, ich denke die Royal Air Force.«

»Dachte ich mir. Die haben ja auch die hübscheren Uniformen«, meinte Vera verächtlich.

»Oh, beachten Sie sie gar nicht«, meinte Nellie. »Nun, also, Maureen hat uns erzählt, dass Ihr Nachname Mountford ist. Ich kannte mal ein Mädchen, das Ida Mountford hieß. Sie ist nicht zufällig eine Verwandte von Ihnen?«

Und so ging es weiter. Sie tranken vornehm Tee, wobei sie nicht nur Beryls wertvolles Royal Doulton-Teeservice benutzten, sondern sogar Papierservietten. Zu Maureens Erleichterung drehte sich die Unterhaltung allmählich um allgemeinere Themen, und etwa eine halbe Stunde später wandte Trevor sich an sie und meinte: »Es ist so ein schöner Abend – sollen wir ein bisschen spazieren gehen?«

Bevor Maureen antworten konnte, sagte Nellie: »Ja, geht ihr jungen Leute nur. Ihr wollt doch sicher nicht hier mit uns eingesperrt sein.«

Maureen blickte ihre Mutter an. »Was ist mit dem Abwasch?«

»Mach dir darüber keine Sorgen«, erwiderte Beryl. »Deine Tante Vera wird mir dabei helfen.«

»Ich bin aber auch nicht völlig nutzlos, weißt du«, empörte sich Nellie.

Sobald sich die Haustür hinter ihnen geschlossen hatte, lockerte Frank seinen Schlips und öffnete seinen Kragen. »Ich dachte, ich muss bei dieser Hitze ersticken«, murrte er.

»Jetzt vergiss mal dein persönliches Befinden«, tadelte Beryl. »Was hältst du von ihm?«

»Er ist nett und höflich«, mischte sich Nellie ein. »Ich mochte ihn.«

»Oh, du siehst in allen immer nur das Gute. Du würdest Hitler mögen, wenn er hier säße und nett zu dir wäre«, fuhr Vera sie an.

»Frank?« Beryl blickte ihren schwitzenden Mann an.

»Na ja, er ist sicherlich den meisten Jungs hier überlegen. Aber er hat sich nie richtig geöffnet, nicht einmal. Und er ist ein Port Vale-Fan, obwohl ich schätze, dass ich ihm das nicht übel nehmen kann. Trotzdem möchte ich mir jetzt noch kein Urteil über ihn bilden.«

Beryl runzelte die Stirn. »Ich kann verstehen, was sie in ihm sieht – er sieht jedenfalls sehr gut aus.«

»Tja, aber Schönheit muss von innen kommen«, meinte Vera.

»Dann mochtest du ihn nicht, Vera?«

»Das habe ich nicht gesagt. Ich mache es wie Frank und warte erst mal ab. Eins steht aber wohl fest, unsere Maureen himmelt ihn wirklich an.«

»Das war ganz offensichtlich«, pflichtete Beryl ihr trocken bei.

Maureen fand, dass der Nachmittag gut verlaufen war, allerdings war Trevor sogar noch schweigsamer als gewöhnlich, während sie die Straße entlanggingen.

»Wohin sollen wir gehen?«, fragte Maureen.

»Ist mir egal. Ich wollte nur da raus.«

Seine Stimme klang kalt, und Maureen blickte ihn schockiert an.

»Warum? Was ist denn los?«

»Deine Leute haben mich ja quasi die ganze Zeit mit Fragen bombardiert.«

Maureen starrte ihn an und fragte sich, warum er so reagierte. Sicher war seine Familie doch nicht so viel anders als andere?

»Ich habe dich wegen Tante Vera gewarnt.«

Als er ihren trotzigen Gesichtsausdruck bemerkte, meinte Trevor schnell: »Oh, das war es gar nicht. So bin ich eben. Ich hasse es, über mich selbst zu sprechen.«

Sie schob ihre Hand unter seinen Arm.

»Mach dir nichts draus. Du hast es jetzt hinter dir. Ich muss die Inquisition noch über mich ergehen lassen, wenn ich deine Eltern kennen lerne.«

Trevor reagierte zunächst nicht darauf, dann meinte er schließlich. »Oh, das hat noch Zeit.«

Sie wussten nicht, was sie sonst machen sollten, also gingen sie im Pub um die Ecke etwas trinken, was ihre Mutter, wie Maureen sehr wohl wusste, schockiert hätte, weil Sonntag war. Trevor fand jedoch nichts dabei.

»Zumindest war ich heute Morgen in der Kirche«, neckte sie ihn. »Ich wette, du nicht.«

»Die Kirche von England ist nicht wie deine, weißt du«, meinte er. »Bei uns gibt es keine Gehirnwäschen, dass wir alle in die Hölle kommen, wenn wir nicht jede Woche in die Messe gehen!«

Betroffen versuchte Maureen, diese Spitze als Scherz zu verstehen. »Immer noch besser als bei euch – Ostern, Weihnachten, Hochzeiten und Beerdigungen!« Sie lächelte zu ihm auf und hoffte, seine Stimmung würde sich ein bisschen aufhellen.

Er sah sie an, und dann entspannten sich seine Gesichtszüge plötzlich. »Du hast die Taufen vergessen!«

Erleichtert fischte sie die Kirsche aus ihrem Martini, steckte sie sich in den Mund und genoss den leicht bitteren Geschmack auf ihrer Zunge.

Trevor lächelte sie an und hob sein Glas, um mit ihr anzustoßen. »Du bist wirklich hübsch, weißt du das eigentlich?«

Maureen wurde rot. Trevor hatte diese wirklich merkwürdige Angewohnheit, sie zuerst mit einer schroffen Bemerkung zu verunsichern, um ihr gleich darauf ein wirklich romantisches Kompliment zu machen.

»Na, wenn das nicht das verliebte Pärchen ist!«

Sie blickten beide auf und erkannten Elaine, die in Begleitung eines groß gewachsenen, dünnen jungen Mannes war. Sie gaben ein merkwürdiges Paar ab, schon weil Elaine, wie Maureen bemerkte, in den letzten Wochen noch rundlicher geworden war.

»Lange nicht gesehen! Habt ihr was dagegen, wenn wir uns zu euch setzen?«, fragte Elaine, zog sich aber, ohne auf eine Antwort zu warten, schon einen Stuhl heran. Sie blickte zu ihrem Begleiter, als dieser sich ebenfalls setzte. »Das sind Maureen und Trevor, erinnerst du dich, ich habe dir schon von ihnen erzählt.«

»Oh ja«, grinste er, und sein Gesicht hellte sich auf. »Nett, euch kennen zu lernen – ich bin Brian!«

»Kann ich euch etwas zu trinken holen?«, fragte Trevor, obwohl Maureen spürte, dass er nicht besonders erfreut über die unerwartete Störung war.

»Vielen Dank, Kumpel. Ich komme mit. Für dich einen Sekt, Elaine?«

»Gerne.«

Als sie allein waren, beugte sich Elaine zu Maureen und meinte: »Oh, er geht mir wirklich unter die Haut, dieser Kerl! Ich bin jetzt schon seit drei Wochen mit ihm zusammen. Was ist mit dir und Trevor, ist es was Ernstes?«

Maureen meinte vorsichtig: »Könnte sein.«

»Hat er schon deine Mum und deinen Dad kennen gelernt?«

»Ja, heute. Er war zum Tee da.«

»Was hältst du von Brian?«, erkundigte Elaine sich grinsend.

Maureen blickte zur Bar hinüber, an der Brian offenbar etwas Witziges zur Barkeeperin gesagt hatte, da diese lachte. Dann schenkte sie Trevor einen koketten Augenaufschlag, der aber nicht reagierte, sondern weiter mit ernster Miene in seiner Geldbörse kramte. Der Kontrast zwischen den beiden Männern war immens. Der eine groß und gut aussehend, der andere so gewöhnlich, dass man sich nicht an ihn erinnern würde, wenn er einem auf der Straße begegnete.

Sie wandte sich wieder Elaine zu. »Ich finde, er ist sehr nett.«

»Das ist er, und so unkompliziert. Bei Brian bekommt man das, was man sieht.«

Und während der nächsten Monate ertappte sich Maureen mehrmals bei dem Wunsch, dasselbe auch über Trevor sagen zu können.

4. KAPITEL

Heiraten! Aber du kennst ihn doch erst seit einem Jahr!«

Sandra reagierte genauso, wie Maureen befürchtet hatte. Sie blickte auf das schockierte Gesicht ihrer Schwester und erklärte hastig: »Es ist wegen des Geldes. Trevor meint, dass er eine Zulage bekommt, wenn wir heiraten, bevor er seinen Wehrdienst anfängt. Wenn wir die sparen, können wir ein Haus anzahlen, wenn er zurückkommt.«

»Aber …!«

Maureen, die wusste, dass ein Streit in der Luft lag, sagte schnell: »Lass die Neuigkeit doch erst mal ein bisschen sinken, während ich mein Bad nehme.« Sie griff nach der Einkaufstasche, die sie mitgebracht hatte. »Bist du sicher, dass Johns Eltern nicht zurückkommen werden?«

Mit immer noch gerunzelter Stirn erwiderte Sandra: »Nein, ich habe dir doch gesagt, dass sie beim Bingo sind.«

Maureen lief schnell zur Treppe. Sie kam nicht allzu oft herüber, um ein Bad zu nehmen, weil sie ein schlechtes Gewissen hatte, anderer Leute heißes Wasser zu verschwenden. Aber, oh, es war einfach himmlisch, wenn man die Hähne aufdrehen und dann so lange im Wasser sitzen bleiben und sich einseifen konnte, wie man wollte. Sie krümelte einen »Lily of the Valley«-Badewürfel ins Wasser und begann sich auszuziehen. Zu Hause musste sie meistens damit auskommen, sich gründlich zu waschen. Sie hatten natürlich eine Zinkwanne, die Frank auch immer bereitwillig in die Küche trug. Aber das war alles so ein Aufwand, nicht nur, sie zu füllen und zu leeren, sondern auch zu wissen, dass sie sich beeilen musste, weil ihr Dad ungeduldig darauf wartete, wieder hereinzukommen, vor allem da sie jetzt sie einen Fernseher besaßen. Sie nahm ein gestreiftes Handtuch aus der Tasche und genoss seine Weichheit. Verheiratet! Sie würde Maureen Mountford sein – und dennoch ihre Initialen behalten!

Dann, als sie sich in dem weichen, parfümierten Wasser bequem zurückgelehnt hatte, galoppierten ihre Gedanken mit ihr davon. Sie begann Pläne zu schmieden, wie ihre Hochzeit gefeiert werden sollte. Sie würde natürlich in Weiß heiraten, und dabei würde sie auch allen in die Augen schauen können, anders als die arme Elaine, die erst vor ein paar Wochen heiraten musste.

»Brian hat mich so gedrängt«, hatte sie weinend erklärt, als sie es Maureen ängstlich und beschämt gestanden hatte. »Er meinte, es wäre wirklich schlimm und frustrierend für einen Mann, immer nur vertröstet zu werden.«

Zuerst waren die Gerüchte hochgekocht, doch als sich das Getratsche gelegt hatte, überwog das Mitleid mit ihrer Mutter. So sagte Beryl: »Die arme Frau hat schon genug Probleme, ohne dass ihre Tochter sie so enttäuscht.«

In dieser Hinsicht gab es mit Trevor keine Probleme! Er hatte sich strikt an ihre Regel gehalten, dass nur Berührungen erlaubt waren, und zwar oberhalb der Hüfte, aber sie wusste einfach, dass er ein wundervoller Liebhaber sein würde, wenn sie erst verheiratet waren. Sie legte ihre Zehen um den Heißwasserkran, und es gelang ihr, ihn aufzudrehen und mehr heißes Wasser einlaufen zu lassen. Das war ein recht hübsches Badezimmer, dachte sie, aber wenn sie erst ihr eigenes Haus hatte, würden in ihrem richtige Fliesen an die Wände kommen, nicht diese imitierten Platten. Vielleicht in Pink mit einer passenden Muscheltapete … Sie gab sich ihren Tagträumen hin und stellte sich vor, wie wundervoll es sein würde, ihr eigenes Haus einzurichten.

Währenddessen machte sich Sandra, die versuchte, Maureens überraschende Ankündigung zu verdauen, nachdenklich eine Tasse Tee.

John war zum Dartspielen gegangen, deshalb hatten Maureen und sie das Haus für sich. Einen flüchtigen Moment lang versetzte es ihr einen neidischen Stich. Maureens Andeutungen entnahm sie, dass Trevor nicht die Absicht hatte, in einer Sozialwohnung zu enden. Das war wohl auch kaum zu erwarten, da er jetzt ja ein amtlich zugelassener Wirtschaftsprüfer war. Und John und sie saßen immer noch hier bei seinen Eltern. Sie versuchten verzweifelt, ein Kind zu bekommen, denn zu wenig Platz war ein ganz sicherer Weg, ganz oben auf die Liste für zu vergebende Sozialwohnungen zu gelangen. Sandra hatte zaghaft vorgeschlagen, ein Haus zu kaufen, aber selbst wenn sie genug Geld für eine kleine Anzahlung zusammensparen könnten, wollte sich John nicht gerne mit einer Hypothek belasten. Seine Arbeit war teilweise saisonabhängig, und wenn man in einer Sozialwohnung lebte, betonte er, musste man sich nicht um die Instandhaltung kümmern. Aber obwohl sie seine Eltern mochte, sehnte sich Sandra doch immer stärker nach einem eigenen Zuhause und versuchte, diese Sehnsucht dadurch zu befriedigen, jede Woche etwas für ihr zukünftiges Heim zu kaufen.

»Uns könnte jederzeit ein Haus zugewiesen werden«, erklärte sie John, während sie etwas auf den Stapel mit den ungeöffneten Hochzeitsgeschenken in einer Ecke ihres Schlafzimmers legte. »Überleg doch mal, wie aufgeschmissen wir ohne eine Grundausstattung wären.«

Sie seufzte, während sie mit schlechtem Gewissen einen Schokoladenkeks aus der Keksdose fischte, und beneidete Maureen um ihre schlanke Figur. Und diese Beine! Jedes Mal, wenn sie auf ihre Knöchel hinunterschaute, musste sie an die ihrer Schwester denken und eine Grimasse schneiden. Aber sie hätte Maureen deshalb niemals böse sein können. Sie hatte sie vom ersten Moment an vergöttert. Sandra, die erst fünf Jahre alt gewesen war, als Maureen geboren wurde, konnte sich immer noch an das Wunder erinnern, diese winzige geballte Faust in ihrer Hand zu halten.