Rosemary - Wege des Glücks - Margaret Kaine - E-Book

Rosemary - Wege des Glücks E-Book

Margaret Kaine

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Beschreibung

Sie suchte ihre Familie. Sie fand ein schreckliches Geheimnis. Und ihre große Liebe.

Als ihre Mutter bei einem tragischen Unfall ums Leben kommt, steht Rosemary vor dem Nichts. Doch dann erfährt sie, dass sie adoptiert wurde. In den Potteries im englischen North Staffordshire findet sie ihre wahre Familie und lernt ihre Mutter Beth und Großmutter Rose kennen. Damit beginnt für die junge Frau jedoch eine neue Reise ins Ungewisse. Denn auf der Suche nach sich selbst stößt sie auf ein dunkles Geheimnis ...

Mehr über das Leben und Lieben der Sherwin-Frauen erzählt Margaret Kaine in "Beth - Geheimnis des Herzens".

Dieser Roman ist in einer früheren Ausgabe unter dem Titel "Die verborgenen Wege des Glücks" erschienen.

eBooks von beHEARTBEAT - Herzklopfen garantiert.


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Seitenzahl: 612

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Inhalt

CoverWeitere Titel der AutorinÜber dieses BuchÜber die AutorinTitelImpressumWidmung/ZitatDANKSAGUNG1. KAPITEL2. KAPITEL3. KAPITEL4. KAPITEL5. KAPITEL6. KAPITEL7. KAPITEL8. KAPITEL9. KAPITEL10. KAPITEL11. KAPITEL12. KAPITEL13. KAPITEL14. KAPITEL15. KAPITEL16. KAPITEL17. KAPITEL18. KAPITEL19. KAPITEL20. KAPITEL21. KAPITEL22. KAPITEL23. KAPITEL24. KAPITEL25. KAPITEL26. KAPITEL27. KAPITEL28. KAPITEL29. KAPITEL30. KAPITEL31. KAPITEL32. KAPITEL33. KAPITEL34. KAPITEL35. KAPITEL36. KAPITEL37. KAPITEL38. KAPITEL39. KAPITEL40. KAPITEL41. KAPITEL42. KAPITEL43. KAPITEL44. KAPITEL

Weitere Titel der Autorin

Sagas über die Frauen aus den Potteries:

Beth – Geheimnis des Herzens

Maureen – Zeit der Sehnsucht

Rebecca – Entscheidung aus Liebe

Über dieses Buch

Sie suchte ihre Familie. Sie fand ein schreckliches Geheimnis. Und ihre große Liebe.

Als ihre Mutter bei einem tragischen Unfall ums Leben kommt, steht Rosemary vor dem Nichts. Doch dann erfährt sie, dass sie adoptiert wurde. In den Potteries im englischen North Staffordshire findet sie ihre wahre Familie und lernt ihre Mutter Beth und Großmutter Rose kennen. Damit beginnt für die junge Frau jedoch eine neue Reise ins Ungewisse. Denn auf der Suche nach sich selbst stößt sie auf ein dunkles Geheimnis …

Mehr über das Leben und Lieben der Sherwin-Frauen erzählt Margaret Kaine in »Beth – Geheimnis des Herzens«.

eBooks von beHEARTBEAT – Herzklopfen garantiert.

Über die Autorin

Margaret Kaine, geboren und aufgewachsen in »The Potteries«, in Mittelengland, lebt heute in Eastbourne. Ihre Karriere als Autorin startete sie mit Kurzgeschichten, die in mehreren Ländern veröffentlicht wurden. Anschließend erhielt sie für ihren Debütroman »Beth – Geheimnis des Herzens« gleich zwei literarische Preise. Seitdem schreibt sie mit großem Erfolg romantische Sagas, die vor dem Hintergrund der industriellen Entwicklung zwischen den 50er- und 70er-Jahren in ihrer Heimat spielen. Margaret Kaine ist verheiratet, hat zwei Kinder und zwei Enkelkinder.

Homepage der Autorin: https://margaretkaine.com/.

MARGARET KAINE

Rosemary

Wege des Glücks

Aus dem Englischen von Katharina Kramp

Digitale Erstausgabe

»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG

Für die Originalausgabe:

Copyright © 2003 by Margaret Kaine

Titel der irischen Originalausgabe: »Rosemary«

Originalverlag: Poolberg Press Ltd., Dublin

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2006/2020 by Bastei Lübbe AG, Köln

Titel der deutschsprachigen Erstausgabe: »Die verborgenen Wege des Glücks«

Textredaktion: Britta Siepmann

Covergestaltung: Guter Punkt, München unter Verwendung von Motiven © Nomad_Soul/Shutterstock © Maisna/Getty Images (Abo) © Fourleaflover/Getty Images (Abo)

eBook-Erstellung: hanseatenSatz-bremen, Bremen

ISBN 978-3-7325-9538-9

be-ebooks.de

lesejury.de

Für Phoebe und Luke,die mir so viel Freude gebracht haben

»Die grausamsten Lügen sind die,die man nicht ausspricht.«

Robert Louis Stevenson

DANKSAGUNG

Ich danke meinem Mann, der mich immer unterstützt hat, und meiner Tochter Jo für ihre wertvolle Mithilfe.

Mein Dank gilt ebenfalls meinem Bruder Graham Inskip, der mit mir sein Wissen über die Porzellanindustrie geteilt hat, genauso wie Gaye Shortland für ihr hervorragendes Lektorat.

Und ich danke allen ehemaligen und derzeitigen Mitgliedern des Writers’ Workshop am Mittwochvormittag in der Wellington Street, Leicester, für ihre Ermutigung und ihre konstruktive Kritik.

1. KAPITEL

Der dunkelbraune Fleck, den der Inhalt der Teekanne verursacht hatte, rann Ekel erregend die Küchentapete hinunter. Brenda Latham war hysterisch, außer Kontrolle, als sie mit verzerrten Gesichtszügen nach allem griff, was in ihrer Nähe stand, und es gegen die Tür schleuderte. Rosemary, die fast von der vorbeifliegenden Teekanne getroffen worden wäre, starrte ihre Mutter entsetzt an.

»Hey … pass doch auf, was du tust, verdammt noch mal!«

Sie wich den wild fuchtelnden Armen ihrer Mutter aus und rettete den Rest des Teeservices, das in bedrohlicher Nähe auf dem Küchentisch stand.

»Welchen Sinn hat es denn, Sachen zu zerschlagen?«, schrie sie. »Das bringt ihn auch nicht wieder zurück. Du hast gehört, was er gesagt hat. Er ist weg.«

Mit Tränen in ihren jungen Augen funkelte sie ihre Mutter an. Ihre Blicke trafen sich, schienen einen letzten Kampf der Willensstärke auszufechten, bevor Brenda in sich zusammensackte, schwer auf den Küchenstuhl sank und ihren aufgestauten Gefühlen freien Lauf ließ. Während ihre Mutter schluchzte, ließ Rosemary voller Verzweiflung die Schultern hängen.

Zitternd füllte sie den Wasserkessel und stellte ihn auf den Herd. Sie hatten sich vorher schon gestritten, schlimm gestritten. Es hatte tagelange Spannungen im Haus gegeben, die die Atmosphäre vergifteten. Aber ihr Vater hatte niemals zuvor damit gedroht, sie zu verlassen.

»Gibt es eine andere Frau?« Ihre Stimme brachte diese Frage nur zitternd hervor, und sie drehte Brenda den Rücken zu, während sie angespannt auf eine Antwort wartete.

»Was weißt du in deinem Alter von solchen Dingen?« Die Stimme ihrer Mutter, obwohl tränenerstickt, klang scharf und ließ Rosemary ärgerlich herumfahren.

»Du erlaubst vielleicht keine Zeitungen in diesem Haus, aber ein bisschen was von der Welt weiß ich trotzdem.«

Brenda putzte sich lautstark die Nase, stand auf und lief rastlos durch die Küche. Sie funkelte das schlanke vierzehnjährige Mädchen an, dessen leicht sommersprossiges, von unordentlichen dunklen Haaren umrahmtes Gesicht tränennass war.

»Ich will nicht darüber sprechen«, murmelte sie. Sie wischte sich mit einem feuchten Taschentuch über die geschwollenen Augen, ging zum Spülbecken und spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht.

Rebellisch machte Rosemary den Tee und gab zwei großzügige Löffel Zucker in jede Tasse.

»Wann wirst du endlich aufhören, mich wie ein Kind zu behandeln?«

»Manche Dinge sind nichts für junge Ohren!«, fuhr Brenda sie an.

»Mum – wir leben im Jahr 1970, um Himmels willen! Aber man würde wahrscheinlich nie erfahren, dass die antiautoritäre Gesellschaft überhaupt existiert, solange man in diesem Haus lebt.«

»Sei nicht so frech! Ihr jungen Leute von heute wisst zu viele Dinge zu früh.«

»Vielleicht, aber das ist allemal besser, als so unwissend aufzuwachsen wie deine Generation!«, erwiderte Rosemary vorwurfsvoll.

Brenda setzte sich wieder auf den Küchenstuhl und umklammerte die warme Tasse mit den Händen. Einen Streit mit ihrer pubertierenden Tochter konnte sie jetzt schon gar nicht gebrauchen. Sie war emotional am Ende, erschöpft von der gewaltsamen Auseinandersetzung mit Keith. Unglücklicherweise war Rosemary im Haus gewesen; die Wände waren so dünn, dass sie jedes Wort gehört haben musste. Müde schob sie sich ihre ergrauenden braunen Haare aus der Stirn und war überrascht, dass diese schweißnass waren.

»Reg dich bitte nicht auf. Es ist unser Problem, nicht deins.«

»Dafür ist es ein bisschen zu spät«, sagte Rosemary voller Bitterkeit. Ihr ganzes junges Leben lang, so lange sie zurückdenken konnte, hatte sie die Reibereien zwischen ihren Eltern miterlebt. Sie hatten ihre gegenseitige Abneigung kaum verhohlen, auch wenn sich ihre Feindseligkeit meistens in subtilen Andeutungen und spitzen Kommentaren geäußert hatte. Hatten sie geglaubt, ein Kind höre so etwas nicht? Als sie noch kleiner war, hatten sie sich auf brütendes Schweigen beschränkt. Mit den Jahren waren ihre Gefühle aber dann bei der kleinsten Provokation immer wieder aus ihnen herausgebrochen.

Also hatte ihr Vater sich eine neue Frau gesucht! Ihre Lippen verzogen sich verächtlich, als sie sich fragte, was das zum Henker für eine sein musste. Nicht, dass es ihr allzu viel ausmachte. Ihr Vater hatte sich nie besonders für sie interessiert. Sie hatte sich oft gefragt, ob ihn ihre Anwesenheit nicht generell ärgerte.

Rosemary blickte auf ihre Mutter, die zusammengesunken auf dem Küchenstuhl hockte und mit einer Hand in ihrer Handtasche nach einer Packung Zigaretten wühlte. Genau wie ihr Ehemann rauchte auch sie ununterbrochen. Das Haus stank immer nach Nikotin.

»Mum«, fragte sie mit gerunzelter Stirn, »glaubst du, dass er wirklich geht?«

Brenda sah zu ihr auf, während sie tief inhalierte, und stieß dann ein zitterndes Seufzen aus. »Das hat er gesagt.«

»Aber wenn er das tut, was geschieht dann mit uns? Ich meine, wie sollen wir das schaffen?«

Keith Latham hatte immer gearbeitet, aber sein Tabak- und Alkoholkonsum verhinderte regelmäßig, dass allzu viel von seinem Lohn übrig blieb. Früher einmal hatte er einen gut bezahlten Job als Vertreter gehabt, aber zu der Zeit war Rosemary noch ein Baby gewesen. Solange sie denken konnte, hatte er immer nur schnell von einem Job zum nächsten gewechselt. Zuletzt war er Barkeeper im »Dog and Gun« gewesen, einer beliebten Kneipe für Handelsreisende, die auf dem Weg zur dreißig Kilometer entfernten Küste in Westbourne waren.

»Weiß der Himmel!« Brenda starrte sie mit leerem Blick an.

»Könntest du nicht Father Kavanagh bitten, mit ihm zu reden?«

»Ha!«, schnaubte sie. »Was soll das denn bringen – er geht doch meistens überhaupt nicht zur Messe. Jedenfalls hält er Father Kavanagh für ein altes Weib.«

Rosemary biss sich auf die Lippe. »Du könntest dir vielleicht einen Job suchen. Und ich könnte das auch, sobald ich mit der Schule fertig bin. Ich muss nicht bis zum Abitur weitermachen.«

»Du tust nichts dergleichen!«, knurrte Brenda. »Du bist schließlich Klassenbeste. Und warum sollte ich arbeiten gehen? Als wir dich bekommen haben, sind wir übereingekommen, dass ich zu Hause bleiben würde, um dir eine gute Mutter sein zu können.« Sie sah ihre Tochter mit harter Miene an. »Wenn er mit seinem Flittchen zusammenleben will, dann lass ihn doch. Dann werden wir ja sehen, wie es ihm gefällt, für zwei Haushalte aufzukommen.«

Sie stand auf und klopfte die Zigarettenasche von ihrem Pullover, das dünne Gesicht blass und angespannt. »Komm schon, lass uns hier aufräumen, dann besorgst du uns Fisch und Chips. Aber nur für uns zwei, hörst du! Wenn er zurückkommt, kann er sich sein Essen verdammt noch mal selbst besorgen!«

Aber Keith Latham kam nicht zurück, und später am Abend lag Rosemary in ihrem schmalen Bett und starrte trübselig auf die grauen Risse in der verputzten Decke. Wie der Rest des Hauses hätte ihr billig eingerichtetes Zimmer dringend renoviert werden müssen, aber ihr Vater war ein Mann, der viel versprach und wenig tat. Oft, vor allem wenn sein derber Humor sie wieder einmal erschreckt hatte, konnte sie ihn nur anstarren und sich fragen, wie es nur kam, dass sie so verschieden waren.

Sie ähnelte auch ihrer Mutter nicht, aber zumindest hatte sie zu ihr eine Beziehung. Das kleine Reihenhaus mit den Erkerfenstern, das am Ende einer Sackgasse stand, war Brendas ganze Welt. Rosemary erinnerte sich, dass sie einmal gesagt hatte, ein schlechter Ehemann sei besser als gar keiner. Trotz ihrer aufgesetzten Tapferkeit würde Keiths Weggang sie hart treffen.

Rosemary drehte sich um und rückte sich die Kissen zurecht, die Schultern unter der Bettdecke unglücklich zusammengezogen. Eins war sicher, das Leben würde nie wieder so sein wie vorher.

Keith Latham tauchte drei Tage später wieder auf, allerdings nur, um heimlich seine Sachen zu holen. Er nutzte sein Wissen über den Tagesablauf seiner Frau und kam, während das Haus leer war. Als sie vom Einkaufen zurückkehrte, war jede Spur seiner Anwesenheit ausradiert. Kleiderschränke, Schubladen und Badezimmerschrank präsentierten ihre Leere, als wollten sie sich über sie lustig machen. Zum ersten Mal musste Brenda sich der demütigenden Realität stellen, dass Keith nicht mehr zurückkam. Nach zwanzig Jahren Ehe, zwanzig Jahren dessen, was sie als Dienstleistung betrachtete, ließ er sie wie eine heiße Kartoffel fallen. Sie würde zum Gespött der Leute werden, ein Objekt des Gekichers und der Neugier. Die Frau, deren Mann mit der Bardame durchgebrannt ist … Dicke Tränen des hoffnungslosen Selbstmitleids liefen ihr die Wangen hinunter. Sie taumelte die Treppenstufen hinunter, betrat das kalte Wohnzimmer, stellte das elektrische Kaminfeuer an und kauerte sich in einen Sessel.

Dort saß sie immer noch und rauchte Kette, das kantige Gesicht angespannt, als sie hörte, wie Rosemarys Schultasche geräuschvoll auf die Fliesen im Flur fiel.

Das Mädchen blieb in der Tür stehen, als es den leidenden Gesichtsausdruck seiner Mutter sah. »Was ist passiert? War er hier?«

Brenda wies mit dem Kopf zur Treppe. »Sieh dich oben um.«

Rosemary rannte schnell hinauf ins Schlafzimmer, und Brenda hörte das Geräusch von Schubladen, die geöffnet und wieder geschlossen wurden, und Schritte, die den Raum durchquerten. Es war unheimlich, aber es kam ihr so vor, als hätte sich das Haus bereits verändert, es erschien ihr mit einem Mal irgendwie leer.

Rosemary kam langsam hinunter ins Wohnzimmer, schob wütend Brendas sorgfältig arrangierte Kissen zur Seite und ließ sich auf die schwarze Vinylcouch fallen. »Das war’s dann wohl. Ich schätze, er hat keinen Zettel oder eine Nachricht für mich dagelassen?«

Brenda schüttelte den Kopf.

»Weißt du, wo er jetzt ist?«

»Da, wo er die ganze Woche gewesen ist, denke ich. Bei ihr!«

Rosemary sah zu Boden und fuhr mit den Füßen über den beigefarbenen Zottelteppich, der der ganze Stolz ihrer Mutter war. Sie hatte sich gefragt, warum ihr Vater nachgegeben und Brenda erlaubt hatte, ihn letztes Jahr zu Weihnachten auf Raten zu kaufen. Jetzt wusste sie es, sein schlechtes Gewissen war der Grund gewesen.

»Du scheinst nicht besonders wütend zu sein«, stellte sie fest.

»Ich bin jenseits von wütend«, erwiderte Brenda müde.

Rosemary blickte zu ihrer Mutter auf. Sie wusste, dass Brenda keine besonders praktisch veranlagte Person war. »Hat er dir Geld dagelassen?«

Brenda sah sie flüchtig an. »Ich habe keins gesehen.«

»Nein, das meine ich nicht. Hast du noch Geld? Du weißt schon, im Schließfach oder so.«

»Ich habe das Haushaltsgeld für diese Woche, aber dein Vater hat sich immer um alle Geldangelegenheiten gekümmert, das weißt du doch. Oh, und ich habe dreißig Pfund auf dem Christmas-Club-Sparbuch.«

Rosemary seufzte verzweifelt auf. Im Geschichtsunterricht nahmen sie gerade die Suffragetten-Bewegung durch. Während Emily Pankhurst schon damals für ein unabhängiges Leben gekämpft hatte, war ihre Mutter fünfzig Jahre später immer noch so auf ihren Mann angewiesen, als wäre von der Gleichberechtigung der Frau niemals die Rede gewesen.

»Was ist mit der Hypothek? Läuft die auf seinen Namen?«

»Natürlich.« Brenda sah sie überrascht an. Fragen stellte dieses Mädchen! Aber sie war schon immer ziemlich altklug gewesen. Manchmal fragte sie sich, wer von ihnen die Erwachsene war.

»Nun, er wird für meinen Unterhalt aufkommen müssen, zumindest bis ich die Schule verlasse.«

Brenda starrte sie an. »Woher weißt du das alles?«

»Eins der Mädchen aus meiner Klasse hat davon gesprochen. Ihre Eltern haben sich gerade scheiden lassen.«

»Ich weiß nicht, wohin das alles noch führen soll! Als ich ein Mädchen war, haben sich die Leute nie scheiden lassen.«

»Haben sie wohl. Was war zum Beispiel mit dieser Mrs. Simpson? Du weißt schon, die, für die der König abgedankt hat? Sie war geschieden.«

»Oh, ich meine nicht die Oberschicht, die hatte schon immer eine ziemlich windige Moral«, meinte Brenda verächtlich. »Ich meine einfache Leute wie uns. Ehepaare haben sich vielleicht getrennt, aber Scheidung – und damit meine ich auch nicht nur uns Katholiken – das war wirklich etwas, für das man sich schämen musste.«

Rosemary zögerte und erkundigte sich dann: »Was würdest du tun, wenn Dad die Scheidung will?«

»Da kann er lange warten«, meinte Brenda eisig. »Außerdem erlaubt die Kirche das nicht.«

Sie erlaubt auch keinen Ehebruch, dachte Rosemary, aber das hat ihn nicht davon abgehalten. Sie stand auf. »Ich verhungere gleich und ich wette, du hast nichts zu Mittag gegessen – du siehst schrecklich aus. Ich mache uns ein paar Bohnen auf Toast. Und, Mum …« Sie hielt inne und ihre lebendigen blauen Augen blickten in desillusionierte braune. Ihre Gefühle füreinander hatten sie niemals sehr demonstrativ zur Schau gestellt, aber jetzt beugte sich Rosemary hinunter und drückte verlegen einen Kuss auf die Wange ihrer Mutter. »Du hast immer noch mich, weißt du.«

Brendas Augen füllten sich mit Tränen und sie griff nach der Hand ihrer Tochter. »Ich weiß, Liebes, und dafür danke ich Gott jeden Tag meines Lebens.«

Mit einem Kloß im Hals ging Rosemary in die Küche und zog an der Schnur des an der Wand angebrachten elektrischen Kaminfeuers. Sie zitterte – man konnte die Winterkälte schon spüren, obwohl es erst Anfang Oktober war. Sie stellte den Ofen an und sah sich in der viereckigen Küche um. Sie blickte auf die braunen Marley-Fliesen auf dem Boden und die beigefarbenen Küchenschränke und verzog ihr Gesicht, weil sie so schäbig waren. Das Haus war neu gewesen, als Keith und Brenda es 1958 gekauft hatten, jetzt wirkte es schon beinahe heruntergekommen. Die Fassade hätte schon lange einen neuen Anstrich gebraucht, und auch die Farbe an den Fensterrahmen und der Haustür blätterte langsam ab. Während andere Häuser der Straße im Laufe der Zeit mit Außenlampen, Windfängen, Fensterläden und bleigefassten Fenstern geschmückt worden waren, stand das Haus der Lathams immer noch ohne all diese Errungenschaften da. Den kümmerlichen Grasfleck, der als Rasen ausgegeben wurde, mähte Keith während des Sommers nur widerwillig, und da er schon gar nicht bereit war, die Ränder zu trimmen, sah der Garten immer ungepflegt aus. In einer schmalen Rabatte an der Seite der kurzen, mit Platten ausgelegten Einfahrt wucherten ein paar armselige Herbstastern zwischen Unkraut.

Das Erscheinungsbild ihres Hauses spiegelte das Leben darin wider, dachte Rosemary – farblos und deprimierend. Als sie eine Scheibe Brot aus dem verbeulten Emaille-Brotkasten nahm, kam ihr eine Idee. Vielleicht sollte sie auf dem Markt ein paar Narzissenzwiebeln kaufen – das würde den Vorgarten im Frühling ein bisschen freundlicher machen.

Zumindest wäre es ein Anfang, denn wenn sie sich nicht sehr täuschte, würde sie diejenige sein, die von jetzt an die Entscheidungen traf.

2. KAPITEL

Ich finde immer noch, du hättest in die Schule gehen sollen«, protestierte Brenda, während sie die Waschmaschine unter der Arbeitsfläche hervorzog und vor die Spüle platzierte. Sie begradigte den Schlauch, schraubte ihn an den Heißwasser-Hahn und ließ dann Wasser in die Waschmaschine laufen.

Rosemary beugte sich hinunter, um die Wäsche in Haufen zu sortieren. Dann lehnte sie sich gegen den Ablauf. »Wir haben heute Morgen nur Sport und Hauswirtschaft. Vielleicht gehe ich heute Nachmittag hin – je nachdem, wie es dir geht.«

»Mir geht es gut, das habe ich dir doch gesagt.«

Rosemary musterte voller Skepsis das verhärmte Gesicht ihrer Mutter. Es war jetzt fünf Tage her, seit ihr Vater seine Sachen aus dem Haus geholt hatte. Sie war wie gewohnt zur Schule gegangen, hatte auch versucht, dem Unterricht zu folgen, aber es war hoffnungslos. Ihre Konzentrationsfähigkeit hatte sie verlassen. Sie saß nur mit einem sorgenvollen, flauen Gefühl im Magen in der Klasse und bekam nur wenig von dem mit, was um sie herum passierte. Sie hätte so gerne mit jemandem über die Sache gesprochen, aber ihr Stolz hielt sie davon ab, sich ihren Freundinnen anzuvertrauen. Als sie am vergangenen Tag nach Hause gekommen war und Brenda auf der Couch liegend fand, das Gesicht wieder einmal tränennass, hatte sie beschlossen, am nächsten Tag nicht zur Schule zu gehen und stattdessen zu versuchen, ihre Mutter aus ihrem Unglück zu reißen.

»Diese verdammten Sachen wirst du aber nicht waschen!« Rosemary zog ein paar Hemden aus dem Wäschehaufen, hob voller Abscheu ein paar Unterhosen und Socken auf und schmiss sie in die Ecke.

Brenda wandte sich um und wollte antworten, aber das Geräusch eines Schlüssels, der in der Haustür umgedreht wurde, ließ Mutter und Tochter Blicke voller Besorgnis und dunkler Vorahnung austauschen.

»Das ist er!«, zischte Brenda. Schnell drehte sie das heiße Wasser ab und trocknete sich mit dem Geschirrtuch die Hände.

»Ich weiß nicht, wie er es wagen kann, hier aufzutauchen!«, meinte Rosemary bitter. Sie wollte ihn nicht sehen, diesen Mann, der sie ablehnte, ohne jemals eine Wort der Erklärung darüber zu verlieren. Es war, als würde sie nicht existieren, seine einzige Tochter, die sein Leben vierzehn Jahre geteilt hatte. Es hatte sie überrascht, wie schmerzlich diese Erkenntnis gewesen war.

Brenda holte tief Luft und wollte gerade zur Küchentür gehen, als diese plötzlich geöffnet wurde.

Keith Lathman stand im Türrahmen. Sein Blick wanderte durch die Küche, streifte die Unordnung um die Spüle und die Haufen schmutziger Wäsche auf dem Boden.

Er sah Rosemary an. »Was macht sie hier?«, wollte er wissen. Seine blassblauen Augen richteten sich auf Brenda.

Rosemary starrte ihren Vater benommen an und fragte sich, was eine Frau an ihm finden konnte. Keith Lathams sowieso nicht allzu hübsches Gesicht war von zu viel Alkohol und Zigaretten permanent rot und aufgeschwemmt. Obwohl er erst Anfang vierzig war, hätte man meinen können, er ginge auf die sechzig zu. Mittelgroß, mit mausbraunem, schütteren Haar und einem deutlichen Bauchansatz, war er wohl kaum Gottes Geschenk an die Frauen. Seine Geliebte war wahrscheinlich zur Vernunft gekommen und hatte ihn rausgeworfen! War er deshalb aufgetaucht? Hoffte er, einfach wieder einziehen zu können, als sei nichts geschehen?

Brenda stammelte, als sie antwortete: »Sie … sie ist zu Hause geblieben, um mir Gesellschaft zu leisten.«

»Nun, dann kann sie jetzt abhauen und zur Schule gehen. Ich will mir dir reden.«

»Aber …«, wollte Rosemary protestieren, aber Keith ignorierte sie. Er ging in den Flur und holte eine Zeitung aus der Tasche seines nassen Regenmantels, der am Geländer hing.

»Brenda«, er hielt die Zeitung mit gestrecktem Arm wie einen Talisman. »Ich habe gesagt, ich will mit dir reden. Wenn du willst, dass das Mädchen bleibt …«

»Nein!« Brendas scharfer Tonfall ließ Rosemary erschreckt aufblicken.

»Es macht mir nichts aus, Mum, ich kann bleiben …« Sie wollte gerade beschützend auf sie zugehen, als Brenda abwehrend ihren Arm ausstreckte.

»Nein, dein Vater hat Recht, du solltest in der Schule sein. Geh und zieh dir deine Uniform an. Mach schon«, beharrte sie. »Du brauchst dir um mich keine Sorgen zu machen. Verheiratete Leute müssen manche Dinge unter sich besprechen.«

Rosemary starrte sie verwirrt an. Ihre Mutter, die vor wenigen Augenblicken noch eine niedergeschlagene, teilnahmslose Frau gewesen war, hatte sich verwandelt. Jetzt funkelten ihre Augen, und ihre Pupillen waren erweitert. Ihr eben noch stumpfer Blick war angespannt und wachsam. In ihre scharfen Gesichtszüge, obwohl immer noch schrecklich blass, war das Leben zurückgekehrt. Rosemary konnte die Angst ihrer Mutter beinahe körperlich spüren und sie blickte zwischen ihren Eltern hin und her.

»Bist du sicher?«

»Tu mir den Gefallen, Liebes. Bitte!« Brendas Augen flehten sie an, worauf Rosemary zögernd in ihr Zimmer hinaufging. Ihre Gedanken überschlugen sich, während sie schnell in ihre braungraue Uniform schlüpfte und ihre Schultasche aufhob. Was ging da vor? Warum wollten sie sie loswerden? Sie rannte die Treppe wieder hinunter und blieb besorgt an der Tür zum Wohnzimmer stehen.

Keith hockte auf der Kante des Sessels und war gerade dabei, sich eine Zigarette anzuzünden, während Brenda aufrecht auf dem Sofa saß, die Hände im Schoß zusammengepresst. Ganz offensichtlich warteten sie darauf, dass sie ging.

»Dann verabschiede ich mich mal.« Beunruhigt versuchte sie, Brendas Blick aufzufangen.

»Auf Wiedersehen«, meinte Keith barsch.

Rosemary warf ihm einen bösen Blick zu. Sie hasste ihren Vater für das, was er getan hatte – es war abstoßend, ein Mann in seinem Alter.

»Mum?«

»Geh ruhig, ich seh dich dann später.« Brenda brachte das Zerrbild eines Lächelns zu Stande, um sie zu beruhigen, wich ihrem Blick aber aus.

Nur widerwillig öffnete Rosemary die Haustür und ging langsam die kurze Einfahrt hinunter. Dann wandte sie sich mit klopfendem Herzen um und rannte den Seitenweg entlang zur Rückseite des Hauses. Leise drückte sie die Türklinke hinunter. Sie war verschlossen. Die Jalousien vor dem kleinen hinteren Fenster waren heruntergelassen, und während sie das Ohr gegen die Glasscheibe drückte, biss sie sich frustriert auf die Lippen. Keith hatte an alles gedacht.

Zögernd ging sie durch die Sackgasse bis zur Hauptstraße. Sie warf noch einen Blick auf das Doppelhaus mit dem leeren und verschlossenen Gesicht hinter den Netzgardinen und versuchte vergeblich, sich die Szene darin vorzustellen. Für einen Augenblick blieb sie am Bordstein stehen, dann überquerte sie dem Verkehr ausweichend die Straße und begann damit, sich eine plausible Entschuldigung für ihre späte Ankunft in der Schule auszudenken.

Keith wartete, bis er hörte, wie sich die Haustür schloss, dann drückte er mit Bedacht seine Zigarette aus, hob die Zeitung vom Boden neben seinem Sessel auf und legte sie, immer noch gefaltet, über seine Knie.

Brenda hielt die Augen auf ihn gerichtet, während ihr Nacken und ihre Schultern sich anspannten.

Schließlich sagte er in die angestrengte Stille: »Willst du gar nicht wissen, warum ich vorbeigekommen bin?«

Brendas Mund verzog sich. »Ich wusste, dass du früher oder später zurückkommen musst. Du kannst nicht einfach gehen und alles stehen und liegen lassen. Du hast Verpflichtungen. Was ist mit dem Haus und den Rechnungen, ganz zu schweigen von Rosemary? Ich habe kein eigenes Geld, wie du ganz genau weißt.« Ihre Stimme war belegt, sie schämte sich, nicht nur dafür, dass sie betteln musste, sondern auch, dass sie von ihrem Mann einfach wie ein altes Kleidungsstück abgelegt worden war.

»Ah ja, Rosemary.« Keith lehnte sich in seinem Sessel zurück, streckte seine Beine aus und legte sie an den Knöcheln bequem über Kreuz. Brenda fiel plötzlich auf, dass er eine neue Hose aus teurem Tweed trug. Ihre Lippen wurden schmal. Für sie war ausgeleierter grauer Flanell gut genug gewesen.

Mit wachsamen Augen wartete sie.

»Ich will die Scheidung.«

Brenda erstarrte. Voll ungläubigem Entsetzen starrte sie ihn an, während die schroffen Worte schwer in der Luft hingen. Dann, langsam, stieg Wut in ihr auf – sie konnte fühlen, wie eine Hitzewelle in ihr aufwallte und ihr Gesicht rot anlief.

Keith steckte sich gelassen noch eine Zigarette an. Er war total entspannt.

»Aber wir sind Katholiken!«, protestierte sie.

»Na und? Manche Leute verlieren ihren Glauben, weißt du.«

»Ich habe meinen Glauben nicht verloren.«

»Tja, das ist schön für dich, aber mir, ehrlich gesagt, ziemlich egal«, entgegnete er.

»Du vergisst da etwas. Ich bin nicht diejenige, die die Ehe gebrochen hat. Du kannst dich nicht von mir scheiden lassen, und ich werde mich ganz sicher niemals von dir scheiden lassen. Ich bin mit dir verheiratet, Keith Latham, bis dass der Tod uns scheidet, und genauso wird es bleiben. Also kannst du zu deiner …«, sie suchte nach einer passenden Bezeichnung, »Schlampe zurückgehen und ihr das mitteilen.«

Keith erwiderte nichts, und seine entspannte Haltung machte sie nur noch wütender.

»Wie kannst du mir das antun, nach all diesen Jahren? Ich habe das Haus immer für dich sauber gehalten, es stand immer eine warme Mahlzeit auf dem Tisch, wenn du nach Hause kamst.« Ihre Stimme wurde höher und höher. »Ich habe für dich gewaschen, gebügelt, sogar dein verdammtes Haar hab’ ich dir geschnitten! Was willst du denn noch?« Ihre Stimme brach, während gleichzeitig Tränen der Verzweiflung über ihr Gesicht strömten.

Keith betrachtete sie kalt.

»Willst du das wirklich wissen, Brenda? Es lag nicht an dem, was du getan hast, sondern an dem, was du nicht getan hast oder eher, zu was du offensichtlich nicht in der Lage bist. Ein Mann will mehr als eine Haushälterin, er will eine Frau, eine echte Frau, eine, die ihm das Bett nachts warm hält, ihm ein bisschen warmes Fleisch bietet, an das er sich schmiegen kann, ja, um ein bisschen Spaß zu haben. Aber du«, in seinen Augen flackerte Verachtung auf, während sie über den knochigen Körper seiner Frau glitten, »oh, nein, wir mussten ja Einzelbetten haben – ist hygienischer, hast du gesagt.«

»Geht es dir nur darum – Sex?« Brenda spuckte die Worte aus.

»Das Fehlen davon, meinst du wohl. Ich bin überrascht, dass du das Wort über die Lippen bringst, auf den Akt warst du jedenfalls nie besonders versessen!«

Brenda wandte den Blick ab und gab zurück: »Was ist mit Rosemary? Wie kannst du deine eigene Tochter im Stich lassen?«

»Rosemary.« Keith nahm einen letzten Zug von seiner Zigarette. »Ja. Lass uns über Rosemary reden.«

Er griff nach der Zeitung und faltete sie langsam auseinander. Brendas Magen zog sich zusammen und ihre Hände wurden auf einmal feucht. Ihre Augen suchten nervös die Titelseite nach dem Datum ab.

Er sah auf. »Oh, es ist eine neuere Ausgabe, tatsächlich sogar von gestern. Ist schon komisch, was man in der Zeitung so liest, nicht wahr? Nicht, dass ich es wüsste, nachdem du im letzten Jahr alle unsere Zeitungen abbestellt hast. Was hast du doch gleich gesagt? Rosemary wäre in einem Alter, in dem sie leicht zu beeindrucken ist, und du wolltest nicht, dass sie diese ganzen schmutzigen Artikel liest. Lass uns das Geld sparen, hast du gesagt, damit wir uns einen Farbfernseher leisten können, und dumm wie ich war, habe ich mich darauf eingelassen.«

Brenda befeuchtete die Lippen. »Ich verstehe immer noch nicht …«

»Oh, ich glaube, das tust du sehr wohl, Brenda.« Keith schlug die Zeitung auf und blätterte langsam die Seiten um.

»Seite siebenunddreißig, glaube ich. Ah, hier ist es. Ich lese es dir vor. Hörst du mir zu?

›SHERWIN, Rosemary. Wer etwas über den Verbleib von Rosemary Sherwin, geboren am 3. August 1956 in Westbourne, Hants, weiß, melde sich bitte bei …‹«

Er las eine Chiffrenummer und die Adresse der Zeitung vor, während Brenda ihn kaum hörte, weil sie in Gedanken hektisch versuchte, die Bedeutung von Keiths neu gewonnenem Wissen zu erfassen.

»Du wusstest es, stimmt’s?«, beschuldigte er sie.

Sie nickte. »Ich habe es eines Tages gesehen, kurz nach Rosemarys dreizehntem Geburtstag. Es war ein schrecklicher Schock.«

»Du hast keinen Kontakt mit ihnen aufgenommen?«

»Nein!« Ihre Stimme klang scharf, und sie funkelte ihn an, ihre braunen Augen voller Zorn. »Rosemary gehört mir«, schrie sie. »Sie ist meine Tochter!«

Keith schüttelte langsam den Kopf. »Das sagt alles. ›Rosemary gehört mir, sie ist meine Tochter‹, und so ist es immer gewesen, nicht wahr, von dem Moment an, als du diese bescheuerte Idee hattest? Bevor wir hierher gezogen sind, bist du mit einem Kissen unter dem Mantel rumgelaufen und hast so getan, als wärst du schwanger, und du hast dieses Spiel so lange weiter aufgeführt, bis wir sie bekommen haben. Zum Glück sind wir von einer Stadt in die nächste umgezogen, sonst wäre das die längste Schwangerschaft aller Zeiten gewesen.«

Brenda wurde rot und meinte: »Die Leute sollten nicht wissen, dass sie adoptiert ist.«

Er setzte die Füße wieder auf den Boden, schob sich vorsichtig die Hose hoch, um die scharfe Bügelfalte nicht zu zerdrücken, und beugte sich vor.

»Ich weiß, und ich habe dir den Gefallen getan, obwohl du Glück hattest, dass die Leute von der Adoptionsbehörde das nicht herausgefunden haben. Willst du wissen, warum ich überhaupt damit einverstanden war?«, fragte er. »Weil ich dachte, es würde dich ein bisschen weicher machen. Das zeigt nur, wie sehr man sich in einem Menschen täuschen kann. Gott, ich werde niemals diese ersten drei Monate vergessen, nachdem wir sie bekommen hatten. Es hieß immer ›Zieh dir die Schuhe aus, bevor du reinkommst, Keith. Trink kein Bier im Haus, Keith.‹ Du hast die verdammten Kissen sogar aufgeschüttelt, während ich im Sessel saß.«

»Ich musste das Haus bis zur Überprüfung durch das Jugendamt absolut sauber halten. Wenn der Bericht von denen schlecht ausgefallen wäre, hätten wir sie verlieren können.«

»Schade, dass es nicht so war«, murmelte er.

»Keith!« Angewidert und voller Entsetzen starrte Brenda ihren Mann an.

»Ich habe das Mädchen nie gemocht, habe mich in ihrer Nähe nie wohl gefühlt. Außerdem war ich für dich, nachdem du sie bekommen hattest, dann völlig abgeschrieben. Das ist nicht mehr normal, wie sehr du von diesem Kind besessen warst. Aber ich bin nicht hierher gekommen, um alte Geschichten aufzuwärmen. Hör zu, Brenda, ich habe es dir gesagt, ich will die Scheidung.«

»Und ich sage dir, nur über meine Leiche.«

»Oh, ich glaube nicht, dass es so weit kommen wird.« Keith nahm einen Stift aus der Innentasche seiner Jacke und malte schwungvoll einen großen Kreis um die Zeitungsnotiz.

»Das würdest du nicht tun!« Brendas Augen waren angsterfüllt und sie fühlte, wie ihr das Blut aus dem Gesicht wich. »Sie könnten sie mir sowieso nicht wegnehmen – wir haben sie ganz legal adoptiert und überhaupt …«

»Wegnehmen können sie sie dir vielleicht nicht, aber Rosemary könnte die Wahrheit herausfinden, nicht wahr? Woher willst du wissen, ob ihre richtige Mutter es ihr nicht sagt? Wenn sie erst einmal weiß, wo sie lebt, könnte sie sie an der Schule abpassen. Dann würden Anwälte eingeschaltet. Wie würde es aussehen, wenn ich in wilder Ehe mit einer anderen zusammenlebe? Aber wenn du das Risiko eingehen willst …« Er machte Anstalten, sich aus dem Sessel zu erheben.

»Nein!« Brenda, die wie ein hypnotisiertes Kaninchen auf dem Sofa gesessen hatte, sprang auf. »Warte, warte einen Moment.« Sie suchte in Gedanken verzweifelt nach einer Verzögerungstaktik, und nuschelte dann: »Hör zu, ich mache uns eine Tasse Tee, es dauert nur eine Minute.«

Sie flüchtete in die Küche, und während ihre zitternden Hände automatisch den Kessel füllten, den Tee in die Kanne löffelten und Milch in die Tassen gossen, kämpfte sie gegen die Panik an. Um jeden Preis musste sie ihre Beziehung zu Rosemary schützen. Es stimmte, was Keith gesagt hatte. Von dem Tag an, als sie sie nach Hause geholt hatte, war das Mädchen ihre brennende Leidenschaft gewesen, ihr ganzes Leben. Nichts und niemand durfte jemals zwischen ihnen stehen. Sie richtete sich auf. Ihr Entschluss war gefasst. Wenn ihr Einverständnis zu einer Scheidung von Keith der Preis war, den sie bezahlen musste, damit die Wahrheit nicht herauskam, dann war es eben so.

Sie schenke den Tee ein, stelle die Tassen auf ein Tablett und trug es ins Wohnzimmer.

»Also gut«, sagte sie ausdruckslos. »Was muss ich tun?«

Keith lehnte sich zufrieden im Sessel zurück.

»Das ist mein Mädchen. Ich wusste, dass du meinen Standpunkt verstehen würdest. Also gut, ich werde dir jetzt etwas erzählen, Brenda. Der wahre Grund, warum ich dich nicht schon früher verlassen habe, war das Geld. Shirl und ich haben schon seit Jahren etwas miteinander.«

Sie funkelte ihn an. »Du verdammter Heuchler! Und so einer wie du geht jeden Sonntag zur Messe. Die Kirche wird die Scheidung sowieso nicht anerkennen.«

»Wen stört das? Standesamtlich können Shirl und ich heiraten, das ist das Einzige, was mich interessiert.«

»Sie, meinst du wohl«, murmelte Brenda. Neugierig fragte sie: »Was ist denn jetzt anders?«

»Ich habe gewonnen, da staunst du, was?«, grinste er. »Vor ein paar Wochen. Ich habe die zweite Gewinnklasse beim Fußballtoto abgeräumt.« Als er bemerkte, dass Brenda die Augen aufriss, fügte er schnell hinzu: »Mach dir nicht zu große Hoffnungen – es war kein Vermögen, aber es ist genug, um endlich was zu ändern. Meine Bedingungen sind folgende. Ich bezahle die Hypothek ab und überschreibe dir das Haus. Dann zahle ich Unterhalt für dich und das Mädchen, aber nur bis sie fünfzehn ist, hörst du. Komm mir nicht damit, dass sie in der Schule bleiben und das Abitur machen soll.«

»Aber ihre Lehrer sagen, sie hätte das Zeug, zur Universität zu gehen«, protestierte Brenda.

»Tja, Pech, mehr kann ich mir nicht leisten. Shirl und ich werden auswandern, wir gehen nach Australien. Du hast mein Angebot gehört, Brenda, nimm es oder lass es bleiben. Du bist immer noch jung genug, um zu arbeiten. Rosemary kann auf eigenen Füßen stehen. Ich habe genug für sie getan.«

Er stürzte seinen Tee hinunter und stand auf.

»Warte einen Moment, Keith.« Brenda warf einen ängstlichen Blick auf die Zeitung. »Woher weiß ich, dass du dein Wort auch hältst?«

»So ein übler Kerl bin ich nun auch wieder nicht, weißt du. Ich werde dir ein bisschen Zeit geben, um über alles nachzudenken. Oh«, schon fast aus dem Zimmer, blieb er stehen und wandte sich noch einmal zu Brenda um, »und sorg dafür, dass Rosemary das nächste Mal nicht hier ist. Ich habe keine große Lust, sie zu sehen.«

3. KAPITEL

Ein unangenehmer Geruch nach Körperausdünstungen verbreitete sich in der Eingangshalle. Der Mann, dessen abgenutzter Anzug kaum den schmutzigen gestreiften Pyjama verdeckte, den er darunter trug, stand unsicher in der Tür des Gesundheitsamts von Staniforth.

Rosemary setzte einen freundlichen Gesichtsausdruck auf und versuchte, nicht zu atmen, als sie sich vorbeugte und durch das kleine Fenster des Empfangs rief: »Kann ich Ihnen helfen?«

Der Mann, der mittleren Alters war, schlurfte vorwärts. Seine nackten Füße steckten in einem Paar zu großer Schuhe.

»Ich komme wegen des Genesungsheims.« Er sah sie aus rot geränderten, blutunterlaufenen Augen unsicher an.

»Haben Sie ein ärztliches Attest?«

Er suchte in seinen zerrissenen Taschen, zog ein zerknittertes Stück Papier hervor und hielt es ihr mit zitternder Hand hin.

Schnell überflog Rosemary das Schreiben des Arztes. Wie sie erwartet hatte, war die Diagnose »Schlechter Allgemeinzustand«. Sie blickte auf, lächelte den Mann aufmunternd an und sagte sanft: »Ich sage schnell Miss Grocock Bescheid, dass Sie da sind. Möchten Sie nicht Platz nehmen?«

Sie deutete auf die Reihe schäbiger Holzstühle an der gegenüberliegenden Wand, aber er starrte sie nur mit leerem Blick an.

»Möchten Sie sich nicht setzen und warten?«, wiederholte sie mit lauterer Stimme.

Langsam dämmerte dem Mann, was Rosemary gesagt hatte. Er schlurfte voll müder Niedergeschlagenheit durch den Raum und ließ sich auf einen der Stühle fallen.

Rosemary hob den Hörer des internen Telefons ab und wählte die 12. »Jemand für das Genesungsheim, Miss Grocock.« Sie senkte die Stimme. »Ich glaube, es ist wieder einer aus dem Obdachlosenheim.«

»Oh Gott, und ich habe gerade zu Mittag gegessen!«

Rosemarys Lippen zuckten, als sie den Hörer zurück auf die Gabel legte. Old Grococks Witze mochten zwar vielleicht häufig zynisch erscheinen, aber ihr Verhalten gegenüber den Antragstellern war wunderbar. Einige waren postoperative Fälle, die meisten von ihnen jedoch Opfer großer Armut oder Überarbeitung. Die aus dem Obdachlosenheim waren die schlimmsten. »Schlechter Allgemeinzustand« sagte alles – selbst ihrer Körperpflege kamen sie nur selten nach. Rosemary spürte, dass der Geruch des Patienten Übelkeit in ihr aufsteigen ließ, und war erleichtert, als die pummelige, mütterliche Frau die Treppe hinunterkam und ihn in ein Nebenbüro begleitete.

Rosemary wirbelte auf ihrem Schreibtischstuhl herum und griff nach einer Flasche mit Lavendel-Lufterfrischer. Dann trat sie hinaus in die Empfangshalle und merkte in ihrem Bestreben, den üblen Gestank so schnell wie möglich zu vertreiben, nicht, dass sie das parfümierte Spray direkt in das Gesicht des Amtsarztes gesprüht hatte, der gerade durch die schwere Doppeltür hereinkam.

»Ups, Entschuldigung!« Ihr Gesicht lief rot an.

Er lächelte. »Macht nichts. Das ist besser als Fliegenspray.«

Sie grinste und warf ihm bewundernde Blicke nach, während er die Treppe hinaufstieg. In seinem Nadelstreifenanzug, mit der roten Nelke im Knopfloch des Jacketts, wirkte er ungemein elegant. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass er etwas mit einem Barmädchen namens Shirl anfangen und nach Australien abhauen würde!

Sie war dankbar gewesen, eine Stelle als Anlernkraft im Büro des Gesundheitsamts bekommen zu haben, als sie die Schule verlassen musste. Die Alternative wäre gewesen, bei Woolworth oder in der Keksfabrik zu arbeiten. Was für ein Pech für sie, dass die Regierung das Schulabgangsalter ausgerechnet ein Jahr später erhöht hatte.

Ich bin zu früh geboren worden, dachte sie niedergeschlagen.

Ihre Beförderung zur Empfangsdame hatte außerdem den Vorteil, dass sie jeden Dienstagmorgen von der Arbeit freigestellt war, um an der Höheren Handelsschule am Unterricht in Kurzschrift und Maschinenschreiben teilzunehmen. Die einzige Bedingung war, dass sie auch einmal die Woche die Abendschule besuchen musste, verbunden mit der Warnung, dass die Einhaltung dieser Pflicht streng kontrolliert würde. Sie hatte nicht eine einzige Stunde versäumt. Qualifikation bedeutete eine Gehaltserhöhung, und wenn es ihr Schicksal war, in einem Büro zu arbeiten, dann hatte sie vor, bis an die Spitze zu kommen.

»Haben Sie nichts zu tun?« Die Leiterin der Familienpflege hatte sich unbemerkt vor ihr aufgebaut und funkelte sie an.

Bei ihrem ätzenden Tonfall zuckte Rosemary schuldbewusst zusammen. »Tut mir Leid, Miss Pritchard.« Sie nahm aus ihrer ausgestreckten Hand einen Stapel Post entgegen, die abgeschickt werden musste, und fing an, die Umschläge durch die Frankiermaschine zu ziehen. Weil sie sich der ungeduldigen Überwachung ihrer Vorgesetzten bewusst war, stellte sie sich ein bisschen ungeschickt an und atmete erleichtert auf, als sich die grauhaarige Frau mit der äußerst aufrechten Haltung umdrehte und mit einem verächtlichen Schnauben ging. Frustrierte alte Schachtel! Es war schon komisch, dass alle leitenden Positionen in diesem Laden mit alten Jungfern besetzt waren!

Hoffnungsvoll blickte sie zur Uhr an der Wand.

»Ah, da beobachtet jemand wieder die Uhr – du wirst Ärger bekommen!« Lisa, die neue Büro-Anlernkraft, setzte sich auf Rosemarys Schreibtisch und biss in einen Apfel.

Rosemary grinste. Sie blickte auf Lisas lilafarbene Plateauschuhe. »Wie du es schaffst, in diesen Dingern zu laufen, ist mir ein Rätsel.«

»Ist ganz einfach. Man muss nur kleine Schritte machen.« Mit ihrem niedlichen blonden Bob, ihren klaren blauen Augen, die von einem dicken schwarzen Lidstrich betont wurden, und ihrem aufgekratzten Humor hatte Lisa richtig Leben in die Abteilung gebracht. »Kommst du heute Abend mit ins Palais?« Sie hob eine elegant gezupfte Augenbraue.

»Nein, ich kann nicht. Ich habe schon was vor«, wich Rosemary aus.

»Das sagst du immer.«

Weil sie sich der Neugier ihrer Kollegin bewusst war, wandte Rosemary sich ab und nahm einen steifen Pinsel und eine kleine Flasche mit Brennspiritus.

»Igitt, ich hasse den Geruch von diesem Zeug«, beschwerte sich Lisa. »Ich dachte, die Schreibmaschinen müssten immer nur montags, direkt am Morgen, gereinigt werden.«

»Das ist auch so, aber ich werde am Montag etwas später kommen.«

»Oh, warum?«

»Ein Arzttermin«, erklärte Rosemary kurz angebunden. Das war das Problem mit Lisa, sie war so mitteilsam und erwartete von jedem anderen die gleiche Offenheit. Inwieweit ihre eigene Zurückhaltung auf Brendas Warnung, niemandem von Privatangelegenheiten zu erzählen, zurückzuführen war, konnte Rosemary nicht mit Sicherheit sagen. Immerhin hatte ihr die Mutter das seit Kindheitstagen immer wieder gepredigt. Sie wusste nur, dass sie automatisch auswich, wenn ihr eine persönliche Frage gestellt wurde.

Eine Stunde später auf dem Heimweg saß sie in der vordersten Reihe des oberen Busedecks und starrte blicklos aus dem beschlagenen Fenster. Freitagabend, Zahltag, und was hielt er Besonderes für sie bereit? Sie würde Fisch und Chips essen und ihrer Mutter beim Fernsehen Gesellschaft leisten. Wenn sie versuchte, nach oben zu entkommen, um sich ihr David-Bowie-Album anzuhören, war Brenda beleidigt. Nur sie beide in der vom Zigarettenqualm stickigen Luft. Es empörte sie, dass sie so viel Geld für Brendas Kippen verprassen mussten.

Ich bin immer diejenige, die haushalten muss, dachte sie verbittert, aber für mich bleibt nie etwas übrig. Siebzehneinhalb, und sie war noch nie in einer richtigen Disco gewesen. Aber sie hätte sowieso nichts Anständiges zum Anziehen gehabt. Es war nie genügend Geld da, um es für die neueste Mode auszugeben. Sie hätte so gerne ein Paar Hotpants gehabt, aber ein billiger Kettengürtel vom Markt war das einzige modische Accessoire, auf das sie hoffen konnte. Ansonsten musste sie ›vernünftige‹ Sachen kaufen, die sie auch zur Arbeit tragen konnte.

»Ich bin hier drin«, rief Brenda zehn Minuten später, als Rosemary die Haustür aufschloss. »Ich habe den Kessel schon angestellt.«

Rosemary guckte in die Keksdose, griff nach dem letzten zerbrochenen Vollkornkeks und fragte dann, den Mund voller Krümel: »Wie geht es dir?«

Brenda drückte ihre Zigarette aus. »Ganz gut. Und du musst mich gar nicht so ansehen, ich versuche ja, weniger zu rauchen. Du verstehst das nicht, du hast nie geraucht.« Sie brach in einen Hustenanfall aus.

»Das ist auch gut so. Wenn ich mein Gehalt auch in Rauch aufgehen lassen würde, bekämen wir echte Schwierigkeiten«, fuhr Rosemary sie an, schämte sich aber schon einen Augenblick später für ihre Patzigkeit, als sie Brendas blasses Gesicht und die Schatten unter ihren Augen bemerkte. »Was ist los, Mum?«

Brenda lehnte sich schwer an den Küchentisch. »Mr. Walker war da. Sie haben eine andere in der Wäscherei fest angestellt. Er sagte, es tut ihm Leid, aber ich habe einfach zu oft gefehlt.«

Rosemary wurde das Herz schwer – sie hatte es kommen sehen. Jetzt würden sie allein von ihrem mageren Gehalt leben müssen. Sie setzte sich ihrer Mutter gegenüber und legte in einer seltenen Geste der Zuneigung die Hand auf ihre. »Du gehst ja am Montagmorgen zum Arzt. Er bringt dich wieder auf die Beine – sie werden Röntgenbilder machen und alles.«

»Vielleicht hätte ich diejenige sein sollen, die nach Australien geht, mit all dem Sonnenschein dort. Es war der Stress, weißt du, der Schock über diese ganze Angelegenheit. Das hat all das ausgelöst – seitdem bin ich einfach nie mehr richtig auf die Beine gekommen.«

Rosemary wandte den Blick verzweifelt zum Himmel. Sie hatte niemals verstanden, warum ihre Mutter plötzlich kapituliert und in die Scheidung eingewilligt hatte. Ihr eigener Protest, die Schule früher verlassen zu müssen, war ignoriert worden. Damals war sie verwirrt und verletzt gewesen. Mittlerweile stieg in ihr ein Gefühl trotziger Aufsässigkeit auf, wenn sie sich an die unerbittliche Kälte erinnerte, die ihre Mutter an den Tag gelegt hatte, als sie versucht hatte, ihr das Vorhaben auszureden.

Was ihren Vater anging, den konnte man als Vater vergessen, dachte sie bitter. Er hatte sich nicht von ihr verabschiedet, bevor er ausgewandert war, und jetzt kannten sie nicht einmal seine Adresse. Es war offensichtlich, dass sie und ihre Mutter Geschichte waren, soweit es Keith Latham betraf.

Sie bemerkte Brendas angestrengte Miene, und ein Gefühl von Trostlosigkeit überkam sie. Sie wusste nicht, wie sie es schaffen sollten. Hoffentlich würde es ihrer Mutter gesundheitlich bald wieder besser gehen, aber für eine Frau von fast fünfzig, die ihren letzten Job auf Grund vieler Fehltage verloren hatte, würde ein neuer Arbeitgeber nicht einfach zu finden sein.

Als hätte Brenda ihre Gedanken gelesen, sagte sie plötzlich: »Du bekommst eine saftige Gehaltserhöhung, wenn du achtzehn wirst, nicht wahr?«

»Und?«, erwiderte Rosemary unglücklich.

»Nun, das sollte uns helfen. Schließlich müssen wir nicht wie die meisten Leute eine Hypothek abzahlen.«

Nein, aber wir haben Schulden, und ich weiß, wem wir das zu verdanken haben, dachte Rosemary voller Bitterkeit. Er hatte ihnen vielleicht das Haus überlassen, aber sich keine Mühe gegeben, es in einem guten Zustand zu hinterlassen. Jahre der Vernachlässigung hatten dazu geführt, dass sie im vergangenen Jahr gezwungen waren, die Fensterrahmen an der Vorderseite des Hauses zu ersetzen, und wenn sie die nassen, faulen Stellen an den anderen nicht schnell ausbessern ließen, würden sie bald nicht mehr zu reparieren sein. Sie mussten die Reparaturen ratenweise abzahlen, was natürlich hohe Zinskosten bedeutete. Es war der Teufelskreis der Armut, wurde ihr mit plötzlicher Einsicht klar. Selbst etwas aus Mums Katalog auf Raten zu kaufen kostete mehr, als wenn man in der High Street nach Schnäppchen suchte. Brendas Umgang mit Geld war hoffnungslos – sie schien zu glauben, dass die Rechnungen sich von allein bezahlten.

Plötzlich fühlte sie zu ihrer Bestürzung Tränen des Selbstmitleids in ihren Augen brennen. Sie war jung, sie wollte sich gerne amüsieren, tanzen gehen, Geld für Make-up und die neusten Schallplatten haben. Sie sehnte sich danach, so sorglos und lebenslustig zu sein wie Lisa und die anderen Lehrmädchen. Sie hatte es so satt, vernünftig und praktisch zu sein, sich um die Haushaltsausgaben zu kümmern. Sie fühlte sich in letzter Zeit so rastlos und ungeduldig. Sie verspürte immer öfter das Bedürfnis, etwas zu erleben. Rosemary wusste nur, dass es eine andere Welt da draußen gab, eine Welt hinter dem schäbigen Doppelhaus in einem heruntergekommenen Vorort eines Provinznests.

»Ich habe Mrs. Lewis unten im Laden getroffen«, unterbrach Brenda ihre Grübeleien. »Du errätst nie, was sie mir erzählt hat.«

»Was?«, fragte Rosemary abwesend.

»Ihre Sheila muss heiraten!«

»Sheila Lewis?« Rosemarys Stimme kiekste vor Überraschung. Sie war in ihrem Jahrgang in der Schule gewesen, allerdings in einer Klasse für weniger begabte Schüler. Trotzdem musste Sheila zumindest einen Freund gehabt haben, was mehr war, als sie jemals gehabt hatte.

Brendas Augen glitzerten selbstzufrieden. Wenn Mrs. Lewis Sheila dieses Herumgetreibe nicht hätte durchgehen lassen, wäre dieses Malheur nicht passiert. Nur gut, dass bei ihnen die ständig leere Haushaltskasse verhinderte, dass Rosemary auf dumme Gedanken kam. Vielleicht hatte es am Ende doch Vorteile, arm zu sein.

Sie warf Rosemary einen Seitenblick zu und genoss den warmen Stolz, der beim Anblick ihrer Tochter grundsätzlich in ihr aufstieg. Sie war so ein ungewöhnliches Mädchen, nicht hübsch wie ein Abziehbild, aber faszinierend, ja, das war es, Rosemary war faszinierend. Der Anflug von Sommersprossen auf ihrer samtweichen Haut stand ihr. Mit ihrem dunklen, glänzenden Haar und den tiefblauen Augen war sie zu einem sehr attraktiven Mädchen herangewachsen.

Aber Brenda war nicht blind – sie merkte, dass Rosemary sich allmählich eingesperrt fühlte. Deshalb überfiel sie auch immer häufiger die Angst, dass ein rücksichtsloser Mann in ihr gemütliches Leben, das sie zusammen hatten, eindringen könnte. Bis jetzt hatte sie Glück gehabt, aber sie wusste, dass dieser Zustand nicht andauern konnte. Ihre Tochter wurde schnell erwachsen, ihr Körper der einer jungen Frau, kurvenreich und voller Versprechungen. Sie saß da und weidete sich an ihrem Werk, denn als solches betrachtete sie Rosemary, sog gierig jeden Gesichtsausdruck ihrer Tochter ein, während diese ihre Handtasche von alten Busfahrscheinen und den Trivialitäten der Woche befreite.

Dieses wunderbare Mädchen gehörte ihr, ihr allein. Sie war für ihre Entwicklung verantwortlich, und die Intensität ihrer besessenen Liebe brannte still und beständig in ihr. Aber sie würde vorsichtig sein müssen, denn Rosemary hatte einen Hang zur Unabhängigkeit und einen klugen Kopf. Das emotionale Abhängigkeitsverhältnis zwischen ihnen, das sie seit der Scheidung absichtlich forciert hatte, hielt Rosemary bis jetzt abends zu Hause, aber sie konnte spüren, dass das Mädchen sich zunehmend über die Beschränkungen ärgerte.

Rosemary klickte ihre Tasche zu und blickte ihre Mutter an. »Weißt du, Mum, ich habe nachgedacht. Wir sind nicht die einzigen Leute, die Dad weggeworfen hat wie alte Schuhe. Was ist mit seinen Eltern? Du hast mir nur erzählt, dass sie sich vor Jahren überworfen haben. Die Leute finden es komisch, dass ich sie nie kennen gelernt habe.«

»Du weißt so viel wie ich«, erklärte Brenda ihr. »Als ich das erste Mal nach London kam und deinen Vater traf, erzählte er mir, dass er nach einem schlimmen Streit von zuhause weggegangen ist, und soweit ich weiß, hat er seitdem nie wieder Kontakt zu seiner Familie aufgenommen. Das war wirklich schade, weil er ein Einzelkind war.«

»Also wissen seine Eltern nichts von uns beiden.« Es war eine Aussage voller Pathos, und Rosemary verzog die Lippen.

»Nein, ich weiß nicht mal, ob sie noch leben. Das war eine unserer wichtigsten Gemeinsamkeiten, wir waren beide auf uns allein gestellt. Er hatte niemanden, und, nun«, ihre Stimme wurde leise, »du weißt ja, wie ich aufgewachsen bin.«

»Ja.« Wie immer empfand Rosemary tiefes Mitleid bei dem Gedanken an Brendas traurige, einsame Kindheit in einem Waisenhaus in Mittelengland. Wenn sie sich von ihrem beengten Leben erdrückt fühlte und verbittert über die wachsende Abhängigkeit war, mit der ihre Mutter sie an sich band, musste sie sich nur daran erinnern, wie wenig Liebe es in Brendas Leben gegeben hatte.

Es war durchaus verständlich, dass sie besitzergreifend war, obwohl es Rosemary manchmal verrückt machte. Wehmütig dachte sie daran, wie anders ihre Kindheit gewesen wäre, wenn sie nicht nur einen Bruder oder eine Schwester, sondern auch Großeltern oder vielleicht eine Tante oder einen Onkel oder Cousins gehabt hätte. Sie konnte sich nicht erinnern, dass jemals Besuch bei ihnen im Haus gewesen wäre. Brenda legte großen Wert darauf, für sich zu bleiben, und hatte nie Interesse daran gehabt, Freunde zu finden. Und Keith war stolz darauf gewesen, ein ›männlicher Mann‹ zu sein, und war abends und am Wochenende nie da gewesen, weil er es vorzog, Dart zu spielen und die örtlichen Pubs aufzusuchen.

Rosemary, die es nicht wagte, Freunde mit nach Hause zu bringen, fand Trost im Lesen. Bücher eröffneten ihr eine Welt, von der sie nur träumen konnte. Oh, sie wusste, wie beengt ihr Leben war, wie sehr ihr Erfahrungen mit Leuten und Situationen fehlten!

»Was denkst du gerade?« Brenda musterte sie neugierig, woraufhin Rosemary sofort mit verschlossener Miene aufstand und die Frage lediglich mit einem Achselzucken beantwortete.

»Wieder das Übliche – Fisch, Chips und Erbsenmus?«, fragte sie, obwohl sie nicht verstand, wie ihre Mutter ständig diese ekelhafte grüne Pampe essen konnte. Warum konnten sie nicht zur Abwechslung mal etwas vom Chinesen holen? Aber sie hätte genauso gut vorschlagen können, zum Mond zu fliegen. Oh, warum musste das Leben in diesem Haus nur so langweilig sein!

»Ja, das Geld liegt auf dem Sideboard. Ich hole das Brot und die Butter und setze den Tee auf. Wir wollen doch nicht den Anfang von Coronation Street verpassen.« Brenda begann geschäftig, den Küchentisch zu decken, und Rosemary nahm sich eine Einkaufstasche und ging hinaus in den regnerischen Abend.

Sie trottete mit hochgezogenen Schultern in dem feuchten Wind die achthundert Meter zur Pommesbude. Ein vorbeifahrendes Auto kam mit den Rädern zu nah an den Bürgersteig und bespritzte ihre Beine mit schlammigen Tropfen, während sie das Licht des Ladenfensters sah und ihr der stechende Frittiergeruch in die Nase stieg. Sie blickte zu dem Schild auf, »The Wise Plaice«, und seufzte, bevor sie die Tür öffnete und in die Wärme trat. Eines Tages …

4. KAPITEL

Das Wartezimmer wirkte entmutigend, die Reihen von Stühlen in der Ambulanz waren voll besetzt mit Leuten, die auf den Facharzt des Krankenhauses warteten.

Rosemary drängte Brenda vorwärts, als sie zwei freie Stühle in der mittleren Reihe entdeckte, und sie zwängten sich auf die schmalen Sitze.

»Meine Güte, was für eine Schlange«, murrte Brenda und kramte in ihrer Tasche nach der Zigarettenpackung.

Rosemary stieß sie frustriert an und wies auf das »Rauchen verboten«-Schild. »Wir sind pünktlich, wir haben sogar noch etwas Zeit bis zu unserem Termin«, sagte sie.

»Und wann genau ist der Termin?«, wollte eine korpulente Frau wissen, deren Schulter sich gegen ihre drückte.

Rosemary drehte sich zu ihr um und sah sie an. »Zehn Uhr.«

Die Frau schnaufte und ihr rundes, gerötetes Gesicht verzog sich spöttisch. »Glaubst, du bist alleine, was? Ich wette, von den Leuten hat jeder Einzelne hier denselben Termin«, sie wies mit einem fetten Zeigefinger auf die anderen Wartenden, »jeder von denen hat zehn Uhr auf dem Terminzettel draufstehen.«

»Aber …«, Rosemary runzelte die Stirn.

»Erspart dem Arzt Wartezeit, nicht wahr? Kann doch nicht seine Zeit verschwenden. Der ist doch der Liebe Gott. Ich würde mich drauf einstellen, lange zu warten, Kleine. Zwei Stunden waren es, als ich das letzte Mal da war!« Ihr verschwitztes Gesicht kam noch näher. »Du hast denen am Tresen gesagt, dass ihr da seid?«

Rosemary nickte.

Brenda, die behandschuhten Hände im Schoß gefaltet, saß steif auf ihrem Stuhl und begann, unruhig zu werden. »Ich kann hier nicht zwei Stunden ohne eine Zigarette sitzen«, murmelte sie. »Ich bräuchte jetzt schon dringend eine.«

»Wollen Sie ’ne Kippe, ja?« Die Frau lehnte sich nach vorne und ihre üppigen Brüste pressten sich gegen Rosemarys Arm, während sie – offenbar kurzsichtig – versuchte, in Brendas Gesicht zu blicken. »Gehen Sie doch schnell draußen eine qualmen. Ich würde allerdings jetzt gehen, nur für den Fall, dass ein Wunder geschieht und Sie pünktlich aufgerufen werden«, drängte sie.

Brenda wich zurück. Sie sah die Frau voller Abscheu an und rümpfte die Nase über den starken Geruch von billigem Talkpuder. »Oh, natürlich.«

Mit einem entschuldigenden Blick zu Rosemary stand sie auf und lief zum Ausgang, während Rosemary ihre Tasche deutlich sichtbar auf den leeren Stuhl stellte und ihren Körper dem Gewicht entzog, das gegen sie drückte.

»Mrs. Latham?«

Erschrocken über den unerwarteten Aufruf sprang Rosemary auf und ging zum Tresen. »Meine Mutter ist nur für einen Moment vor die Tür gegangen.«

Die Empfangsdame übergab ihr einen Umschlag und sagte: »Das ist schon in Ordnung, meine Liebe. Könnten Sie ihr bitte sagen, dass sie zuerst zur Röntgenabteilung gehen, dort auf die Aufnahmen warten und sie dann mit zurückbringen möchte. Dann kann sie sie direkt zu Mr. Merton mitnehmen.«

Rosemary nickte, umklammerte den Umschlag und lief hinaus.

Brenda lehnte gegen eine Mauer und inhalierte tief.

»Mach die aus, Mum, du musst jetzt zum Röntgen.« Rosemary wartete ungeduldig, während Brenda noch einen hastigen Zug nahm, bevor sie den Zigarettenstummel auf den Asphalt fallen ließ und mit dem Schuhabsatz ausdrückte.

»Bist du sicher, dass dieses Röntgen nicht schädlich ist?«, fragte Brenda, während sie Rosemary zurück ins Krankenhaus folgte.

»Was? Nur, wenn es zu oft gemacht wird. Jetzt beeil dich mal ein bisschen, da steht, zur Röntgenabteilung geht’s nach links.«

Man hatte einfach einen Teil des Flurs zum Wartezimmer umfunktioniert, indem man an dessen Wand Stühle aufgestellt hatte. Sie gingen bis zum Ende der Stuhlreihe.

Ein junger Mann mit dem Arm in einer Schlinge grinste Rosemary an, als sie fast über einen Gehstock gestolpert wäre, bevor sie sich neben ihn setzte.

»Meine Güte, ganz schön voll hier.«

»Kann man wohl sagen.«

Rosemary sah ihn an. Sein Gesicht war blass und wirkte ein wenig abgespannt – die Schmerzen, vermutete sie, und sah mitleidig auf seinen Arm.

»Was haben Sie damit gemacht, gebrochen?«, fragte sie.

»Ich bin nicht sicher, bis es geröntgt ist, aber ich glaube schon. Ich bin vom Fahrrad gefallen, als ich vor einen Blumenkasten gefahren bin. Ich bin selbst schuld, ich habe zu dem Zeitpunkt einem hübschen Mädchen hinterhergeguckt!«

Er lächelte, und Rosemary registrierte, dass er trotz seiner Blässe extrem attraktiv war.

»Was fehlt Ihnen denn?«

»Oh, ich bin mit meiner Mutter hier, ihr Brustkorb soll geröntgt werden. Sie haben bestimmt Schwierigkeiten zurecht- zukommen, da es doch Ihr rechter Arm ist«, meinte sie und versuchte sich vorzustellen, wie es wäre, wenn sie ihren nicht mehr gebrauchen könnte.

»Da sagen Sie was. Ich weiß noch nicht, wie es weitergehen soll«, erwiderte er und legte seine Stirn in Falten. »Vor allem, weil ich alleine lebe.«

Rosemary sah ihn überrascht an. Er konnte nicht viel älter sein als sie, vielleicht einundzwanzig.

»Dann wohnen Sie nicht mehr bei Ihren Eltern?«, fragte sie zögernd.

»Ich habe gar keine. Ich bin in einem Kinderheim aufgewachsen. Das Problem ist, dass man auf die Straße gesetzt wird und sich um sich selbst kümmern muss, wenn man sechzehn ist. Nicht, dass ich mich beklagen will«, fügte er schnell hinzu. »Ich bin bis jetzt ganz gut klargekommen, aber wenn so etwas wie das hier passiert … Ich wäre wirklich froh, wenn ich ein schönes möbliertes Zimmer finden könnte. Ich sehe mich schon seit einer Weile um, aber …« Er brach ab, als der Radiologe erschien.

»Tony Bartram?«

»Ja! Auf Wiedersehen, viel Glück für Ihre Mutter.«

Nachdenklich beobachtete Rosemary, wie er dem weiß gekleideten Radiologen folgte. Eine Idee begann sich in ihrem Kopf zu formen. Warum eigentlich nicht? Selbst wenn er nicht interessiert war, dann würden sie vielleicht jemand anderen finden.

»Mum …«

»Oh, du hast dich daran erinnert, dass ich auch noch da bin!«, meinte Brenda beleidigt.

Rosemary rollte mit den Augen. Mein Güte, ihre Mutter ging ihr manchmal wirklich auf die Nerven. »Hör mal, was meinst du dazu? Ich hatte gerade eine Idee, wie wir unsere finanziellen Probleme lösen können!«

Brenda blickte sie misstrauisch an. »Na, sag schon.«

»Ich kam darauf, als der junge Mann gerade gesagt hat, dass er ein schönes möbliertes Zimmer sucht. Wir könnten uns doch einen Untermieter nehmen. Ich denke, das würde nicht besonders viel zusätzliche Arbeit machen. Ich kann ja auch beim Bügeln und Putzen helfen. Und man weiß ja nie, vielleicht kümmert er sich um den Garten … was meinst du?«

Brenda starrte sie an. »Du meinst, wir sollen einen völlig Fremden in unser Haus aufnehmen, jemanden, den du erst seit fünf Minuten kennst? Bist du denn von allen guten Geistern verlassen?«

»Oh, er müsste uns Referenzen zeigen«, beharrte Rosemary. »Ich will nur wissen, ob du die Idee prinzipiell gut findest? Ich persönlich halte sie für einen Geistesblitz!«

Brenda dachte nach. »Wie viel könnten wir dafür nehmen?«

»Ich bin nicht sicher, aber ich könnte mich beim Wohnungsaufsichtsamt erkundigen, wenn ich nachher zur Arbeit gehe. Dort weiß man bestimmt, wie hoch die Mieten zurzeit sind. Du solltest dich bald entscheiden. Es muss nicht er sein, aber ich könnte mit ihm sprechen, wenn er gleich geht, und eruieren, ob er interessiert ist.«

Brenda spitzte die Lippen, in ihrem Inneren rang Habgier mit Misstrauen und Angst. Das Mädchen hatte Recht, es würde ihnen helfen, ihre Probleme zu lösen, aber ein junger Mann? Hatte Rosemary Hintergedanken? Schließlich sollte sie auf gar keinen Fall in Versuchung geführt werden, und schon gar nicht in ihrem eigenen Haus. Sie sah ihre Tochter scharf an, aber Rosemary begegnete ihrem Blick ohne die geringste Arglist. Sie musste sich eingestehen, dass die Idee ihrer Tochter wirklich großartig war. Aber sie würde, falls sie sich tatsächlich einen Untermieter suchten, jedenfalls auf keinen Fall eine andere Frau im Haus wollen, die sich einmischte und wichtig machte. Der Gedanke an einen älteren Mann mit eingefahrenen Gewohnheiten, der wahrscheinlich laut und ungehobelt war, stieß sie allerdings auch ab. Zumindest konnte sie bei diesem jungen Mann dafür sorgen, dass er sich an die Regeln hielt. Denn da sollte er sich nicht vertun, ein falscher Schritt, was Rosemary anging, und er würde sofort rausfliegen!

»Entscheide dich – er muss jede Minute aus dem Sprechzimmer kommen«, murmelte Rosemary.

»Na dann, also gut.« Brenda presste die Lippen zusammen und ihr Herz schlug heftig, während sie Rosemary beobachtete, die ihre Adresse auf einen Zettel kritzelte.

»Vielleicht ist er ja auch gar nicht interessiert. Wir wohnen vielleicht in der falschen Gegend.«