Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
»Max und Moritz - die Streiche kenn ich doch!« - Von wegen! Die Wahrheit ist eine völlig andere. Als die beiden Jungs verschwinden, reisen Kommissar Mütze und Karl-Dieter in das verschlafene Kaff und beginnen undercover zu ermitteln. Welche Rolle spielt Witwe Bolte, ihre Wirtin? Weshalb verhält sich der Spitz so seltsam? Was mahlt der Müller nächtens in seiner Mühle? Warum gibt es in der Dorfkneipe immer Hühnerfrikassee? Und was treibt man bei Schneider Böck? Mütze gerät in einen Sündenpfuhl.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 234
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Johannes Wilkes
Max und Moritz - Was wirklich geschah
Kriminalroman
Böse Buben Tante Dörte ist in größter Sorge. Max und Moritz, ihre Lieblingsneffen, sind verschwunden. In ihrer Not wendet sie sich an Karl-Dieter und Mütze, den knallharten Kommissar. Die beiden Freunde brechen auf, um sich in Finsterfelde, einem verschlafenen Kaff, auf Spurensuche zu begeben. Schnell stoßen sie auf allerlei Merkwürdigkeiten. Das Dorf ist eine verschworene Gemeinschaft, jeder Fremde wird misstrauisch beäugt. Schneider Böck und seine Frau, Lehrer Lämpel, Onkel Fritz, der Müller – keiner rückt mit der Sprache heraus. Auf welche Weise ist der Vater von Max und Moritz, der Mann von Witwe Bolte, verstorben? Tatsächlich an einem Herzinfarkt? Und Witwe Boltes Hühner? Sind sie wirklich von Max und Moritz gemeuchelt worden? Und was sollen die merkwürdigen Bildergeschichten am Friedhof, die sich über die verschwundenen Jungen lustig machen? Wer steckt dahinter? Max und Moritz – Mützes verzwicktester Fall.
Johannes Wilkes, Jahrgang 1961, lebt in Berlin und Bayern. Der Autor von Romanen, Krimis und Reisebüchern ist mit zahlreichen Literaturpreisen ausgezeichnet worden, seine Bücher wurden in mehrere Sprachen übersetzt.
Personen und Handlung sind frei erfunden.
Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen
sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Immer informiert
Spannung pur – mit unserem Newsletter informieren wir Sie regelmäßig über Wissenswertes aus unserer Bücherwelt.
Gefällt mir!
Facebook: @Gmeiner.Verlag
Instagram: @gmeinerverlag
Twitter: @GmeinerVerlag
Besuchen Sie uns im Internet:
www.gmeiner-verlag.de
© 2021 – Gmeiner-Verlag GmbH
Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch
Telefon 0 75 75 / 20 95 - 0
Alle Rechte vorbehalten
Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt
Herstellung: Julia Franze
E-Book: Mirjam Hecht
Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart
unter Verwendung eines Fotos von: © https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Max_und_Moritz_(Busch)_001.png
ISBN 978-3-8392-6934-3
Wehe, wehe, wenn ich auf das Ende sehe!
Wilhelm Busch
»Ne, komm, das ist nicht dein Ernst!«
»Mensch, Mütze, das ist ein Notfall!«
Dieser denkwürdige Dialog war genau drei Tage alt, als Mütze und Karl-Dieter vor der Pension Zum ewigen Frieden vorfuhren. Mützes Laune hatte sich um keinen Deut verbessert. Was für ein Schwachsinn! Zwei kostbare Urlaubswochen dafür zu verschwenden, zwei entlaufene Bengel wieder einzufangen. Als knallharter Mordkommissar hatte er für solch eine Aktion nur ein schlappes Lächeln übrig.
»Sie sind nicht entlaufen, da muss etwas passiert sein!«
»Ich weiß schon, Tante Dörte …«
»Hat Tante Dörte mich jemals mit etwas belästigt? Wenn sie uns um Hilfe bittet, dann brennt’s.«
Die Pension Zum ewigen Frieden kam in keinem Buchungsportal vor und vermutlich hätte sich selbst das windigste aller Buchungsportale geweigert, dieses Etablissement zu listen. Man hätte die Hütte locker in ein Freilichtmuseum versetzen lassen können, in die Abteilung »Schlichte Beherbergungsbetriebe der ostdeutschen Nachkriegszeit«, wo sie die Leute zu Tränen rühren würde. Nicht die kleinste Veränderung bräuchte man vorzunehmen, die Pension befand sich noch im Originalzustand. Die Häkelgardinen vor den Fenstern waren, soweit nicht von Eumeln angefressen, in Würde ergraut, die Sukkulenten auf den Marmorfensterbrettern zu solchen Monstern angewachsen, dass es kaum mehr ein Sonnenstrahl in den Frühstücksraum mit seinen Resopaltischen schaffte, die niedrigen Zimmerdecken waren zu allem Überfluss mit ausgeblichenen Brettern vertäfelt. In der Ecke der Rezeption schaukelte eine klebrige Fliegenfalle, und über der Eingangstür hing noch das Reklameschild einer längst erloschenen Biermarke.
»VEB Adler-Brauerei«, grinste Mütze, »ein wilder Vogel, schau, wie er sein rotes Gefieder spreizt!«
»Denk daran, wir sind inkognito«, sagte Karl-Dieter, als er die Klingel drückte.
»Aye-Aye, Chef.«
Es bellte. Laut und hart, wie Hunde bellen, deren einzige Waffe ihre Stimme ist: »Rawau! Rawau!« Heftig fing eine heisere Frauenstimme an zu schimpfen, das Bellen verstummte schüchtern und ging in ein Winseln über, dann wurde die Tür geöffnet. Nicht nur die Pension, auch die Wirtin schien aus der Zeit gefallen. Ganz in Schwarz gekleidet, mit einem schleifenbesetzten Kapotthütchen auf dem grau melierten Haar, begrüßte sie ihre Gäste mit einem Gesicht, als ob ihr diese die Pest ins Haus trügen. Misstrauisch blinzelten ihre Augen unter den hängenden Lidern hervor, nur mit Mühe gelang es ihr, an der ausladenden Knubbelnase vorbeizuschielen.
Nachdem die Wirtin die Hausregeln heruntergeleiert hatte, händigte sie Karl-Dieter einen Holzanhänger aus, an dem die Schlüssel baumelten. Dick wie eine Billardkugel war das Ding, wohl, damit es kein Gast bei der Abreise versehentlich einsteckte.
»Punkt 22 Uhr herrscht Hausruhe«, brummte die Alte, »und keine Damenbesuche auf dem Zimmer!« Darauf zog sie sich schlurfend in ihre Privaträumlichkeiten zurück.
»Autsch!« Mütze schrie auf und zog die Hände aus dem Waschbecken zurück. Glühend heiß war es ihm über die Finger gelaufen.
»Du musst beide Hähne aufdrehen«, lachte Karl-Dieter, »links kommt das kalte Wasser heraus.«
Mit Sorgenfalten hingegen betrachtete Karl-Dieter die Zimmermöblierung, Gut, dass er das Sagrotanspray mitgenommen hatte! Bevor er ihre Kleider in den furnierten Kleiderschrank legte, sprühte er die Fachträger tüchtig ein und wischte mit den Einmaltüchern hinterher. Sicher ist sicher. Wer weiß, wo sich die Bettwanzen tagsüber versteckt hielten? Mütze würde natürlich nie auf die Idee kommen, Sagrotanspray mit auf Reisen zu nehmen. Wie lange waren sie nun schon verpartnert? 20 Jahre? Ein Spray nahm Mütze höchstens in der Hand, um die Alcantara Sitze seines Opel Mantas zu reinigen.
»Und dann die Wirtin! Die alte Schachtel, die ist doch ebenfalls museumsreif! Hast du den schwarzen Vorhang gesehen, der ihr von ihrem albernen Hut übers Gesicht fällt?«
»Psst! Was redest du, Mütze? Sei froh, dass sie uns übernachten lässt. Schließlich trauert die Ärmste. Deshalb die Kleidung.«
»Du meinst …«
»Genau. Wenn du mir zugehört hättest, wüsstest du’s noch. Es handelt sich um die Witwe von Erwin Bolte.«
»Die Mutter der beiden entlaufenen Teenies?«
»Die Stiefmutter von Max und Moritz, genau.«
»Erwin Bolte hat die beiden Bengel mit in die Ehe gebracht?«
»Du sagst es.«
»Dann wundert mich gar nichts mehr.«
»Wieso?«
»Der Dame wäre ich auch davongelaufen.«
»Mensch, Mütze! Noch mal von vorne. Max und Moritz haben nicht bei ihren Eltern gelebt, die beiden waren im Spreewald untergebracht, im Knabeninternat Cool-Kids, der vormaligen Besserungsanstalt Doktor Göbel.«
»Und was suchen wir dann hier?«
»Tante Dörte sagt, als sie Nachricht vom Tode ihres Vaters mitgeteilt bekamen, seien sie aus dem Internat getürmt und hierher nach Finsterfelde gefahren, weißt schon, zur Beerdigung. Dann aber verläuft sich ihre Spur. Die Wirtin hat eine Vermisstenmeldung aufgegeben, das war’s, niemand will sie wieder gesehen haben.«
Nicht, dass Mütze etwas dagegen hätte, im Urlaub auf Verbrecherjagd zu gehen. Ganz im Gegenteil! Aber das hier war doch kein Verbrechen, das war ein schlichtes Familiendrama. Dafür war das Jugendamt zuständig und nicht die Kripo, fertig aus. Was sollte zwei jugendlichen Bengeln denn schon zugestoßen sein? Die beiden hatten sich, geschockt vom Tod ihres Vaters, mit ihrer Stiefmutter gestritten und waren auf in die große weite Welt.
»Vielleicht nach Neuseeland, da wollen sie doch jetzt alle hin, wegen dieser Orks und dem Herrn der Ringe.«
»Wegen des Herrn der Ringe.«
»Wie bitte?«
»Aber Mütze«, sagte Karl-Dieter, ohne weiter auf grammatische Finessen einzugehen, »wie sollten die beiden denn an Flugtickets gelangen? Die Zwillinge werden doch erst nächstes Jahr 18.«
Mütze zog die Stirn kraus und ein Foto aus seiner Schimanskijacke: »Zwillinge? Sehen sich doch gar nicht ähnlich. Die Gesichter, die Frisur.«
»Schon mal was von zweieiigen Zwillingen gehört?«
Während Karl-Dieter die Sagrotanbehandlung im angrenzenden Bad fortsetzte – je älter er wurde, desto größeren Wert legte er auf Hygiene – griff Mütze zu seinem Feldstecher und spähte aus dem Fenster. Von ihrem Zimmer sah man über den verwilderten Garten der Pension und die benachbarten Felder, am Horizont begrenzte ein Wäldchen den Blick. Wenn man sich weit nach rechts lehnte, tauchte ein Flügel der alten Windmühle auf. Die Windmühle war der ganze Stolz von Finsterfelde, ihr allein war es zu danken, dass sich hin und wieder ein paar Touristen in dem Kaff verirrten, ansonsten hatte Finsterfelde nur Schlagzeilen bei der letzten Landtagswahl gemacht. Nirgendwo sonst hatten die Alten Naiven für Deutschland ein solches Ergebnis eingefahren, 88,9 Prozent. Über die Gründe hatte sogar Die Zeit gerätselt und ein Reporterteam hinausgesandt, niemand der Befragten aber kannte jemanden, der die ANfD gewählt hatte, sodass vermutlich ein Irrtum bei der Auszählung an dem Phänomen schuld sein musste.
Mütze richtete den Feldstecher nun auf einen alten Apfelbaum, der in der Mitte des Gartens stand.
»Seltsam«, brummte er und drehte an dem Rädchen.
»Was ist?«, rief Karl-Dieter, während er die Zahnputzbecher kritisch inspizierte.
»Da hängt so komisches Lametta in den Zweigen, sieht aus wie abgeschnittene Bindfäden.«
Mütze suchte die nähere Umgebung ab.
»Und das da, unter dem Baum, was haben all die zerbrochenen Eierschalen dort zu suchen?«
»Wir kriegen zum Frühstück Eier von hauseigenen Hühnern«, rief Karl-Dieter, während er sicherheitshalber auch den abgewetzten Teppichboden des Zimmers mit Sagrotan bedampfte, litt er doch seit einiger Zeit unter einer ausgeprägten Fußpilzphobie. »Hab’s auf der Schiefertafel gelesen, die in der Rezeption hing.«
»Rezeption?« Mütze lachte auf. Die verstaubte Theke hatte mit einer Rezeption ungefähr so viel zu tun wie Herne-West mit der deutschen Meisterschaft.
Der Abend war gekommen, zu Essen gab’s im Ewigen Frieden nichts. Das Haus war eine reine Frühstückspension. Im Dorf gebe es eine Kneipe mit Abendkarte, hatte die Wirtin gemurmelt.
»Also was ist, gehen wir?«
»Nur noch die Türklinke«, sagte Karl-Dieter und ließ die Sagrotanflasche ein letztes Mal aufstauben.
Von einem Ortskern zu sprechen, war die reinste Übertreibung. Finsterfelde gehörte zu den Dörfern, in die man nur zwei Schritte tun konnte: einen hinein und einen hinaus. Fontane hatte in seinen Wanderungen durch die Mark Brandenburg Finsterfeldes Übersichtlichkeit gelobt, für ironische Kommentare schien es kein dankbareres Kaff zu geben.
»Warum ist er dann überhaupt hierhergekommen?«, wollte Mütze wissen.
»Er wollte eigentlich nur durchfahren, da brach der Kutsche ein Rad.«
Karl-Dieter war das wandelnde Fontanelexikon.
»Und wie hat er sich die Zeit vertrieben?«
»Er ist hinüber zur Windmühle, um sich einen Überblick über die Landschaft zu verschaffen.«
»Und? Hat sie ihm gefallen?«
»Ich glaub, nicht besonders. Zu viel Landschaft, das war nichts für Fontane.«
Die beiden Freunde hatten ihre Jacken im Zimmer gelassen. Der Juni war heiß, die Tage lang. Mützes Magen knurrte wie ein Löwe beim Anblick einer Gazelle. Hoffentlich gab es was Vernünftiges auf die Gabel. Am liebsten ein saftiges Eisbein oder ein argentinisches T-Bone-Steak. Mann, er hatte Urlaub! Brötchendiät war was für andere, nicht für einen durchtrainierten Kriminalkommissar.
»Und warum zum Teufel dürfen wir der Wirtin nicht verraten, was wir hier suchen?«, fragte er Karl-Dieter, als sie die staubige Dorfstraße entlanggingen. »Ich mein, sie hat doch die Vermisstenanzeige gestellt, sie dürfte doch froh sein, wenn wir uns kümmern.«
»Tante Dörte hat gemeint, wir sollten vorsichtig sein und zunächst undercover ermitteln.«
Tante Dörte! Das Wort seiner Ziehmutter war Karl-Dieter heilig. Mit Max und Moritz war die Tante weitläufig verwandt, so viel hatte Mütze verstanden. Der verstorbene Vater der Zwillinge, Erwin Bolte, sei Tante Dörtes Schwippcousin gewesen, was immer ein Schwippcousin auch war. Nach dem frühen Tod ihrer Mutter habe sie die Jungen in den Ferien immer mal wieder bei sich in Dortmund-Dorstfeld zu Gast gehabt, ganz bezaubernde Jungs, wie sie stets betonte. Und Max und Moritz müssen sich bei ihr pudelwohl gefühlt haben, ja es hätte stets Tränen gegeben, wenn der Abschied nahte, wusste Karl-Dieter. Nach Ablauf des Trauerjahres habe Erwin Bolte erneut geheiratet, die Wirtin des Ewigen Friedens aus Finsterfelde. Mit ihrer Stiefmutter aber hätten sich die Jungs überhaupt nicht verstanden, deshalb das Internat im Spreewald.
»Aber warum eine Besserungsanstalt? Sind die beiden denn solche Strolche gewesen?«
»I wo! Tante Dörte hat stets von ihnen geschwärmt, ich weiß auch nicht, warum es der Spreewald sein musste.«
»Und warum die Undercover-Geschichte? Hat Tante Dörte dir gegenüber einen Verdacht geäußert? Traut sie der Wirtin nicht?«
»So direkt hat sie das nicht gesagt.«
Mütze schüttelte leise den Kopf und verzog das Gesicht. Solche Zeugen liebte er. Andeutungen machen, aber nicht mit der Sprache rausrücken. Glaubte Tante Dörte allen Ernstes, die Wirtin habe ihre beiden Stiefsöhne um die Ecke gebracht?
Die Kneipe Zum Großen Kurfürst war so heruntergekommen wie alles in Finsterfelde. Ein bärtiger Mann mit Hut saß einsam an der Theke und schien damit beschäftigt, etwas aufs Papier zu kritzeln, am Tisch im Eck saßen drei Männer und spielten Skat. Einer von ihnen, ein Schmachtlappen mit altertümlichem Zwicker auf der entzündeten Nase, schniefte ständig, sein Nachbar zur Rechten, ein älterer Mann mit gerötetem, ungesund nacktem Mondgesicht ohne Wimpern und Augenbrauen, schien die Intelligenz zu verkörpern, der dritte der Herren war deutlich zu breit für den schmalen Stuhl, zudem war er seltsam weiß bestäubt, sah fast aus wie ein Schneemann. Schwarz war nur seine Augenklappe, die ihm ein leicht verwegenes Äußeres verlieh. So saßen sie kartendreschend über ihrem Bier und sahen misstrauisch auf, als Mütze und Karl-Dieter den Raum betraten. Der Wirt, ein Mann mit verschmutzter Schürze und gemütlichem Gesicht, begrüßte die beiden Gäste.
»Gibt’s noch was Warmes?«, fragte Mütze.
»Hühnerfrikassee.«
Mütze sah Karl-Dieter an. Karl-Dieter nickte. Hühnerfrikassee, warum nicht? Hatte es früher bei Tante Dörte an manchen Sonntagen gegeben. Mit frischen Champignons, Kapern und gebuttertem Reis ein Gedicht. Sie setzten sich, und Mütze bestellte sich ein Bier. Karl-Dieter hingegen fiel die Wahl schwerer, obwohl oder gerade weil die Auswahl an alkoholfreien Getränken sehr übersichtlich war. »Eine Apfelsaftschorle, bitte!«, sagte er nach langem Zögern.
Die Stammtischbrüder hatten die Karten beiseitegelegt, steckten die Köpfe zusammen und tuschelten. Zu Mützes Ärger hatte der Wirt das Radio lauter gedreht, sodass vor lauter Helene-Fischer-Gedudel nicht zu verstehen war, worüber sich die drei unterhielten. Auf einmal stehst du da und lachst mich an, in meinem Kopf ist eine Achterbahn … Mütze hasste es, inkognito unterwegs zu sein. Üblicherweise hätte er jetzt lässig seinen Dienstausweis gezückt. Schwungvoll hätte er sodann das Foto von Max und Moritz auf den Skattisch geknallt und die drei Herren gefragt, wer die beiden Jungen zuletzt gesehen hatte. Aber wenn Tante Dörte meinte …
Der Wirt brachte die Getränke und zwei dampfende Teller.
»Biofleisch«, sagte er mit geheimnisvollem Lächeln, als würde er Karl-Dieters Vorlieben erahnen.
Karl-Dieter war überrascht. Biofleisch! Nie im Leben hätte er das erwartet, nicht in Finsterfelde, nicht in diesem Lokal.
»Von welchem Hühnerhof?«, wollte er wissen.
»Von hier natürlich, aus unserem schönen Finsterfelde«, bekam er zur Antwort, was ihn noch mehr erstaunte.
Karl-Dieter griff hungrig zu. Gar nicht mal so schlecht, das Frikassee. Nicht wie bei Tante Dörte mit Kapern und Champignons, sondern mit Spargel und Erbsen. Nur etwas zu viele Zwiebeln für seinen Geschmack, unauffällig schob er sie an den Rand, von dort löffelte sie Mütze entschlossen auf seinen Teller. Kein T-Bone-Steak, kein Eisbein, dann eben ein Frikassee.
»Es ist eigentlich gar kein Frikassee«, sagte Karl-Dieter, während er prüfend die Augen schloss.
»Was dann?«
»Es ist nach Art eines Blanketts zubereitet, anderes Garverfahren, andere Bindung.«
Mütze staunte wieder einmal. Karl-Dieter, das Schleckermäulchen. Nichts entging seiner Zunge. Auch die Damen vom Erlanger Hausfrauenbund, bei denen Karl-Dieter Kochkurse belegte, gerieten regelmäßig in Verzückung über Karl-Dieters sensorische Fähigkeiten. Während der Kommissar sein Frikassee oder auch Blankett verputzte, sah er immer wieder unauffällig zum Nachbartisch hinüber. Man hatte das Bier ausgetrunken und war zum Wein übergegangen. Täuschte er sich oder feixte man dort drüben? Dieses Grinsen auf dem Mondgesicht und das fröhliche Niesen des Schmachtlappens, hatte das mit ihnen zu tun?
Auf dem Weg zurück, die Sonne kratzte schon über den Horizont, kamen die Freunde am Friedhof vorbei.
»Schau!«, sagte Mütze und blieb überrascht stehen.
Über den niedrigen Steinwall hinweg sah man neben einem frischen Grab eine Frau in Schwarz stehen. Sie schien damit beschäftigt, die Grabstätte mit Blumen zu bepflanzen.
»Witwe Bolte«, flüsterte Karl-Dieter.
Unwillkürlich traten die beiden hinter eine verrostete Tafel, auf der die Gemeinde Veranstaltungen und Beschlüsse bekanntmachte. Was nicht zu den offiziellen Verlautbarungen passte, war ein handgeschriebener Zettel, in aller Hast schien ihn jemand mit Tesafilm befestigt zu haben. Karl-Dieter las den Text und erbleichte.
Ach, was muss man oft von bösen
Kindern hören oder lesen!
Wie zum Beispiel hier von diesen
Welche Max und Moritz hießen.
Die, anstatt durch weise Lehren
Sich zum Guten zu bekehren,
Oftmals noch darüber lachten
Und sich heimlich lustig machten.
Ja, zur Übeltätigkeit,
Ja, dazu ist man bereit!
Menschen necken, Tiere quälen,
Äpfel, Birnen, Zwetschgen stehlen
Das ist freilich angenehmer
Und dazu auch viel bequemer,
Als in Kirche oder Schule
Festzusitzen auf dem Stuhle.
Aber wehe, wehe, wehe,
Wenn ich auf das Ende sehe!
Ach, das war ein schlimmes Ding,
Wie es Max und Moritz ging.
»Wahnsinn!«, entfuhr es Karl-Dieter.
Mütze hingegen pfiff durch die Zähne. Dann zog er sein Smartphone aus der Hosentasche und schoss ein Foto.
»Was für eine Frechheit!« Karl-Dieter schüttelte den Kopf, als sie Richtung Mühle weitergingen. »Die armen Waisenkinder so zu verhöhnen, noch dazu in vierhebigen Trochäen.«
»Vierhebige was?«
»Ach, egal, das Geschmier ärgert mich total.«
»Was ärgert dich daran? Dass du dein Bild von den ach so braven Jungs korrigieren musst? Vielleicht ist deine liebe Tante Dörte doch etwas blauäugig gewesen. ›Menschen necken, Tiere quälen, Äpfel, Birnen, Zwetschgen stehlen‹, das klingt ja doch etwas anders, das klingt nach echten Flegeln.«
»Rufmord ist das, wenn du mich fragst, nichts weiter. Und die beiden können sich noch nicht mal dagegen wehren, jetzt, wo sie weg sind.«
»Rufmord fällt nicht in mein Ressort«, grinste Mütze.
Als sie den Ewigen Frieden erreichten und die Tür aufsperrten, hörten sie den Spitz knurren.
»Der will sich doch nur wichtigmachen«, sagte Mütze – und tatsächlich, als sie in den Flur traten, machte sich der Spitz winselnd aus dem Staube.
»Wir scheinen die einzigen Gäste zu sein.« Karl-Dieter betrachtete das Schüsselbrett, an dem nur ihr Schlüssel fehlte.
»Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht.«
»Wieso?«
»Hast du den Käfer draußen nicht gesehen, das Cabrio?«
»Und wenn er der Witwe gehört?«
»Würde mich doch sehr wundern«, sagte Mütze und blickte sich um, »steh mal kurz Schmiere.«
»Was hast du vor?«
»Will mich nur mal kurz umschauen.«
Knarrend öffnete er eine Brettertür, hinter der eine schmale halb gewendelte Treppe zum Keller hinabführte.
»Ich bin dann mal weg!«
Während Mützes Schritte im Keller verklangen, sah Karl-Dieter unruhig zum Fenster hinaus. Bestimmt kam die Witwe jeden Augenblick vom Friedhof zurück. Hoffentlich beeilte Mütze sich. Das seltsame Gedicht, es hatte Karl-Dieter verunsichert. »Wehe, wehe, wehe, wenn ich auf das Ende sehe!« Was hatte das zu bedeuten? Was war denn das, das Ende? Was sollte diese merkwürdige Anspielung? Wer hatte das geschrieben? Wer erdreistete sich, sich in dieser miesen Art über die beiden verschwundenen Schüler lustig zu machen, wer erlaubte sich, so zu tun, als ob die beiden die schlimmsten Verbrecher wären? Karl-Dieter glaubte weiter Tante Dörte. Tante Dörte konnte sich nicht täuschen. Wen sie ins Herz geschlossen hatte, der war ein anständiger Mensch. Punkt. In diesem Augenblick sah Karl-Dieter eine dunkle Gestalt um die Ecke biegen, rasch näherte sie sich dem Haus. Die Witwe!
»Mütze!«, rief er in den dunklen Keller hinab. Da klackerte es schon an der Haustür, die Wirtin trat ein.
Schnaufend ließ sich Karl-Dieter auf das Bett fallen. Im letzten Moment hatte er die Kellertür schließen können. Was aber, wenn die Wirtin das Knarren gehört hatte, wenn sie einen prüfenden Gang in den Keller machte und Mütze entdeckte? Dann war Schluss mit inkognito, dann würde ihr klar werden, welches Spiel hier gespielt wurde. Und wenn Witwe Bolte tatsächlich Dreck am Stecken hatte, wie es Tante Dörte vermutete, dann konnten sie gleich ihre Koffer packen.
Zäh verrannen die Minuten. Atemlos lauschte Karl-Dieter in die Dunkelheit. Was mochte Mütze im Keller finden? Es würden doch nicht … Nein, Karl-Dieter verbot sich, daran zu denken, dennoch drängte sich ihm der Gedanke auf, wieder und wieder. Zugegeben, Tante Dörte schien der Witwe manches zuzutrauen, aber dass diese die beiden Jungs … Bislang hatte Karl-Dieter es nicht für möglich gehalten, jetzt aber, wo er mit klopfendem Herzen allein im Zimmer wartete, sah er vor seinem Auge Max und Moritz plötzlich vor sich, sah sie tot im Kartoffelkeller liegen, vergiftet von ihrer bösen Stiefmutter. Karl-Dieter setzte sich auf und lauschte. Wann kam Mütze endlich zurück? Hin und wieder drang ein Geräusch an sein Ohr, ein Klackern und leises Stühlerücken, das musste die Wirtin sein, sie schien im Gastraum beschäftigt. Hoffentlich ging sie nicht in den Keller. Was aber, wenn doch? Wenn sie die Brettertür öffnete und die Treppe hinunterging, hinunter in den Keller? Und wenn sie dort tatsächlich Max und Moritz … Was würde sie dann mit Mütze machen? Ob sie bewaffnet war? Ob sie eine Knarre besaß? Karl-Dieter sprang auf, öffnete die Zimmertür einen Spalt und spähte ins dunkle Treppenhaus hinunter. Unten war nichts mehr zu hören, nicht das kleinste Geräusch drang an sein Ohr. Nur noch seinen eigenen Herzschlag, den hörte er pochen. Musste er nicht nachsehen, musste er nicht ebenfalls hinunter in den Keller? Er wollte gerade los, da klang in die Stille hinein ein diskretes Knarren aus dem Treppenhaus, Sekunden später tauchte eine Gestalt aus dem Dunkeln auf. Karl-Dieter plumpste ein Stein vom Herzen. Es war Mütze.
»Und?«, fragte Karl-Dieter atemlos.
»Eine Mausefalle und ein dickes Fass.«
»Ein Fass? Was für ein Fass?«
»Ein Fass voller Sauerkraut.«
Mitten in der Nacht erwachte Karl-Dieter. Wie spät mochte es sein? 2 Uhr, 3 Uhr? Und was war es, das ihn geweckt hatte? Ist es der Wind gewesen, der aufgekommen war und nun ums Haus heulte? Nein, es ist nicht der Wind gewesen, auch nicht dessen Pfeifen im Kamin, es war ein anderes Geräusch, ein ächzendes Klappern und Knarren, das sich zu einem immer schnelleren Rhythmus aufschwang. Karl-Dieter trat ans Fenster und schob die vergilbte Gardine beiseite. Die Windmühle! Das Geräusch kam von der Windmühle. Sie hatte sich in Gang gesetzt. Die schwarzen Schatten ihrer Flügel schwangen durch die Nacht wie Fallbeile, es war, als wollten sie die Dunkelheit zerhacken, dazu stöhnten Holz und Sparren zum Gotterbarmen. War das üblich? Mitten in der Nacht zu mahlen?
Karl-Dieter blickte eine Weile in die Nacht hinaus. Wo nur mochten Max und Moritz stecken? Waren sie hier in Finsterfelde? Hielt man sie irgendwo versteckt, in einem Verlies als Kellerkinder, so wie einst Kaspar Hauser? Er wollte die Gardine schon wieder zurückgleiten lassen, da sah er eine Person um die Ecke biegen. Sie hatte sich in ein Tuch verhüllt und eilte durch den Garten zu einem der rückwärtigen Fenster, das einen Spalt weit offen stand. Karl-Dieter bekam große Augen. Die dunkle Person hielt inne, zog etwas Weißes aus der Tasche und warf es durch den Fensterspalt ins Zimmer hinein.
Jetzt erst löste sich Karl-Dieter aus der Erstarrung. Rasch weckte er Mütze, der sofort zum Fenster lief. Gemeinsam starrten sie hinaus in die Nacht. Nichts war zu sehen. Nur die Schatten der Windmühlenflügel durchschnitten die Dunkelheit, wieder und wieder, dazu stöhnte und ächzte es wie unter einer großen Last.
Denn hinderlich, wie überall. Ist hier der eigne Todesfall.
Wilhelm Busch
»Du wirst es dir eingebildet haben.«
»Habe ich nicht!«
»Es wird ein Schatten der Windmühle gewesen sein.«
»War es nicht.«
Die Freunde saßen alleine im Eck des Frühstückszimmers. Über ihnen an der Wand hing eine goldblechgerahmte Autogrammkarte mit dem verblichenen Foto eines fröhlichen Schlagerpaars. »Danke für die Gastfreundlichkeit, Dagmar Frederic und Siegfried Uhlenbrock«, stand mit schwarzem Filzstift darauf geschrieben. Lange her. Niemand anderes schien mehr auf die Idee zu kommen, in diesem gottverlassenen Nest Urlaub zu machen, geschweige denn, ein Konzert zu geben. Das Frühstück hätten frühere Generationen lächelnd als frugal bezeichnet, Mütze sagte einfach nur Frechheit dazu. Nicht mal ein Frühstücksei gab es, trotz der vollmundigen Ankündigung auf der Schiefertafel. Obwohl, jetzt erst fiel Mütze auf, dass der Spruch »Eier von hauseigenen Hühnern« weggewischt worden war. »Aus gegebenem Anlass keine Eier mehr«, war dort nun zu lesen. »Aus gegebenem Anlass …«, die Freunde rätselten, was das bloß zu sagen hatte. Aber selbst mit Eiern hätte das Frühstück nicht mal den Jugendherbergsmindeststandard erreicht. Die vier Aldi-Brötchen in dem Plastikkorb waren sicher im Ofen aufgebacken, den Marmeladenglibber musste man aus kleinen Aufziehaluschälchen kratzen, die Butter war kühlschrankhart, und die bräunliche Plörre, die ihnen Witwe Bolte als Kaffee verkaufen wollte, war ungenießbar.
Verdrossen biss Mütze in ein trockenes Brötchen. Nicht nur das Frühstück verdarb ihm die Laune. Was sollten sie hier länger? Wenn die Bengel wirklich in Finsterfelde waren, wo sollten sie anfangen zu suchen? Und warum durften sie mit niemandem darüber sprechen, warum sie hier waren? Was sollte die verdammte Geheimnistuerei?
»Tante Dörte …«
»Jetzt hör mit Tante Dörte auf!«
»Sie hat ihre Gründe.«
»Und welche, bitte schön?«
Karl-Dieter senkte den Blick und mühte sich krampfhaft, mit dem Messer etwas von dem Buttereisklotz zu kratzen.
»Würdest du mir bitte antworten, Knuffi?«
»Ich sag’s dir nur, wenn du mich nicht auslachst.«
»Hab ich dich schon mal ausgelacht?«
»Also gut.«
Karl-Dieter machte eine kurze Pause. Die Wirtin kam um die Ecke gebogen, in der Hand eine Porzellanschale, in der zwei Döschen Kaffeesahne kreiselten. Alles war offensichtlich genau abgezählt, bloß die Gäste nicht zu sehr verwöhnen! Als sie die Porzellanschale auf den Tisch stellen wollte, stürzten von der Zimmerdecke plötzlich zwei Schatten herab, zwei dicke Käfer, die anfingen, die Wirtin brummend zu umschwirren. In aggressiven Kurven setzten sie zum Angriff an, umsurrten Kopf und Nase der Alten in immer dichteren Attacken. Klirrend ließ die Witwe die Porzellanschale fallen, schrie auf und schlug heftig nach den Tierchen.
»Ich erschlag euch, ihr Mistkäfer«, rief sie kreischend und wedelte wie verrückt mit den Armen.
»Aber nicht doch«, rief Karl-Dieter, »das sind doch Maikäfer!«
Rasch sprang er auf und fing die Brummer geschickt mit der Serviette ein, um sie aus dem geöffneten Fenster ins Freie zu entlassen.
»Dass es noch Maikäfer gibt«, sagte er mit verwundertem Lächeln, die Witwe aber lief schimpfend davon. Die Freunde waren wieder allein.
»Nun?«, sagte Mütze, »was ist, was wolltest du mir sagen?«
Statt zu antworten, zog Karl-Dieter sein Handy hervor. Schnell wischte er eine WhatsApp herbei, die ein eigentümliches Foto zeigte.
»Was soll das sein?«, fragte Mütze knurrend.
»Dortmund-Dorstfeld. Der Weg zwischen Tante Dörtes Salatbeeten.«
»Willst du mich auf den Arm nehmen?«
»Du musst genau hinschauen.«
Karl-Dieter spreizte das Bild etwas, sodass es sich vergrößerte. Zu sehen war ein sorgfältig geharkter Sandweg.
»Erkennst du’s jetzt?«
Er vergrößerte es weiter, bis die Körner des geharkten Weges zu unterscheiden waren. An einer Stelle aber waren die parallelen Linien durchbrochen.
»Da hat ein Vogel im Sand gescharrt.«
»Richtig«, flüsterte Karl-Dieter, »es könnte ein Vogel gewesen sein, ein Himmelsbote. Dann muss es aber ein besonderer Vogel gewesen sein, ein recht gebildeter. Schau doch, da hat doch jemand was in den Sand geschrieben.«
Karl-Dieter vergrößerte das Foto noch ein wenig.
»Ich sehe nichts«, sagte Mütze.
»Man muss sich etwas einsehen«, sagte Karl-Dieter, »da oben, erkennst du’s? Da steht doch das Wort Erwin.«
Mütze blickte auf die Stelle. Hm. Mit etwas Fantasie konnte man sich tatsächlich einbilden, den Namen Erwin in dem Gekritzel zu erkennen.
»Okay«, sagte Karl-Dieter erleichtert, »und nun das Wort darunter.«
Mütze schob die Lesebrille weit auf seine Nasenspitze und buchstabierte, was mit krakeligen Vogelkrallen auf den Weg geschrieben zu sein schien: »M – O – R – D«.
»Mord!«, sagte Karl-Dieter und schwieg bedeutungsschwer.
Stinksauer war kein Ausdruck. Wutschnaubend warf Mütze seine Sachen in den Koffer. Keine Sekunde länger würde er mehr in diesem Kaff bleiben. Auf was für einen Irrsinn hatte er sich da eingelassen. Mensch, Karl-Dieter! Dass Tante Dörte zu spinnen begann, geschenkt, sie war nicht mehr die Jüngste. Dass sich jedoch Karl-Dieter von der Spinnerei anstecken ließ, machte ihn einfach nur sprachlos.
»Jetzt warte doch mal eine Sekunde«, sagte Karl-Dieter.
Die Art, wie Mütze die von ihm so sorgfältig zusammengelegten Hemden einfach in den Koffer stopfte, verursachte ihm körperliches Unwohlsein.
»Lass mich doch erklären. Nachdem Tante Dörte die Botschaft gelesen hat, hat sie sogleich versucht, die Söhne von Erwin Bolte zu erreichen. Max und Moritz sind doch unmittelbar nach Eintreffen der Todesnachricht aus dem Internat geflohen und nach Finsterfelde gefahren. Am Tag nach der Beerdigung hat Tante Dörte die Botschaft auf ihrem Gartenweg entdeckt und sogleich versucht, die Jungs zu erreichen. Vergebens. Beide Handys tot! Daraufhin hat Tante Dörte bei Witwe Bolte angerufen. Die Jungen seien auf und davon, hat die Wirtin ihr erzählt, keiner wüsste, wohin.«
»Vielleicht sind sie zurück ins Internat, um noch ihre Sachen zu holen.«
»Eben nicht! Schlimmer noch, welcher Halbwüchsige kann auch nur einen Tag ohne sein Handy leben?«