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Marie Loth

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Beschreibung

In einer typischen Cinderellastory lernt die von der Liebe und dem Leben enttäuschte Samantha Henry kennen. Sie geht davon aus, dass Männer entweder gutaussehend sind oder ein Herz haben, aber nie beides. Und dieser reiche Schnösel ist verdammt sexy. Doch Henry ist anders und das will er ihr mit nur drei Dates beweisen. Zwischen ihnen entsteht ein Spiel, in dem sie sich mit Märchenfiguren vergleichen. Samantha ist Rumpelstilzchen und Henry die Prinzessin. Wird er es schaffen, ihr Herz zu erobern?

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KAPITEL 1
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KAPITEL 6
KAPITEL 7
KAPITEL 8
KAPITEL 9
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KAPITEL 18
KAPITEL 19
KAPITEL 20
KAPITEL 21
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KAPITEL 24
KAPITEL 25
KAPITEL 26
KAPITEL 27
KAPITEL 28
KAPITEL 29
KAPITEL 30
KAPITEL 31
KAPITEL 32

Maybe not you

Marie Loth

Maybe

Not you

Band 1

Marie Loth

Nebelherz Verlag

© 2024 Marie Loth

Band 1 Maybe Not You

ISBN:

E-Book: 978-3-384-38815-5

Softcover: 978-3-384-38814-8

1. Edition, 2024

© 2024 all Rights reserved Nebelherz Verlag

Weißenstädter Str. 53

95158 Kirchenlamitz

Nebelherz Verlag, Kirchenlamitz

[email protected]

www.nebelherz-verlag.de

Coverdesign: Stefanie Gerken

www.StefanieGerken.com

Buchsatz: Stefanie Gerken

Lektorat / Korrektorat: Sandra Oertel

Distribution im Auftrag des Verlags.

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist die Autorin verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne die Zustimmung der Autorin unzulässig.

Buchbeschreibung:

In einer typischen Cinderellastory lernt die von der Liebe und dem Leben enttäuschte Samantha Henry kennen. Sie geht davon aus, dass Männer entweder gutaussehend sind oder ein Herz haben, aber nie beides.

Und dieser reiche Schnösel ist verdammt sexy.

Doch Henry ist anders und das will er ihr mit nur drei Dates beweisen.

Zwischen ihnen entsteht ein Spiel, in dem sie sich mit Märchenfiguren vergleichen.

Samantha ist Rumpelstilzchen und Henry die Prinzessin.

Wird er es schaffen, ihr Herz zu erobern?

KAPITEL 1

Samantha

Verdammt, wieder verschlafen! Wann bringe ich mein Leben endlich in Ordnung? Anderen gelingt das doch auch. Aber nein, mir fällt es schon schwer, morgens pünktlich zur Arbeit zu erscheinen. Hektisch schlüpfe ich in die Jeans, die am Boden liegt, und schnappe eins der unzähligen rot-schwarzen Arbeitsshirts. Es ist zwar nicht frisch, den Geruchstest besteht es. Am Wochenende muss ich mir einen Tag Zeit für die Wäsche nehmen, sonst laufe ich herum wie der letzte Penner. Meine Spaghettilocken fasse ich zu einem schlichten Zopf zusammen. Zu mehr taugen sie ohnehin nicht.

Innerhalb von zehn Minuten habe ich es geschafft, angezogen vor dem Auto zu stehen. Das ist neuer Rekord! Mir ist klar, dass das nichts ist, wofür man einen Orden verdient hätte, dennoch schmunzle ich über mich.

Normalerweise habe ich mein Leben besser im Griff. Aber jetzt kommt die Weihnachtszeit. Seit letztem Jahr schaffe ich es nicht mehr, dieser vorgetäuschten Glückseligkeit etwas abzugewinnen. Jedem ist klar, dass sich die bucklige Verwandtschaft verstellt, und trotzdem lachst du deinen Geschwistern oder der Schwiegertante scheinheilig ins Gesicht und fragst artig nach, ob noch etwas Nachschlag gewünscht ist. Alle tragen eine Maske, keiner ist ehrlich. Das Weihnachtsfest mit der Familie ist das größte Lügenmärchen, das wir uns auftischen.

Verdammt ist das eiskalt. Mein Atem bildet Wolken und die eisige Luft schleicht sich durch die Ritzen des Wintermantels. Ich zittere am ganzen Körper, ob es an der Kälte liegt, oder am fehlenden Schlaf ist schwer auszumachen.

Es ist Ende November. Bisher habe ich diese Jahreszeit mit ihrer träumerischen Stimmung und der kitschigen Deko an den Häusern und Schaufenstern geliebt, doch dieses Jahr stellt sich bei den alljährlich wiederkehrenden Klängen im Radio keine Weihnachtsstimmung ein. Vielleicht liegt es an der Tatsache, dass ich das erste Mal seit drei Jahren Single bin.

Hektisch linse ich auf die Uhr und erschrecke. Trotz meiner unschlagbaren Leistung beim Anziehen habe ich es noch lange nicht geschafft. Mir bleiben exakt fünfzehn Minuten, um im Möbelhaus zu stehen. Bei leeren Straßen und einer grünen Welle schaffe ich es mit Glück in zehn.

Nur heute nicht. Verdammt! Jedes Mal, wenn ich es eilig habe! Wieso passiert das ständig mir? Und ausgerechnet dann habe ich, um der Sache die Krone aufzusetzen, einen Schleicher vor mir. Mit Sicherheit sitzt da wieder einer dieser entspannten ‚Alles-richtig-Macher‘ drin. Einer, der sein Leben voll im Griff hat und tagtäglich eine halbe Stunde zu früh auf Arbeit erscheint. Gott, ich könnte kotzen!

Hektisch rücke ich näher an das Lenkrad heran, drücke aufs Gas und fahre dichter auf als zugelassen. Am liebsten würde ich den Wagen vor mir anschubsen. Hoffentlich fährt er endlich, ich bin wirklich in Eile! Aber ich muss scharf bremsen, denn die Schnarchnase fährt nicht weiter.

Rums – ich werde nach vorn geschleudert und pralle mit dem Kopf auf dem Lenkrad auf. Mit zittrigen Fingern sitze ich hinter dem Steuer und versuche, zu verstehen, was passiert ist. Wieso ist der verdammte Airbag nicht aufgegangen?

Es ist zum Heulen. Mein Tag ist keine Stunde alt und alles gerät außer Kontrolle. Am besten drehe ich um und lege mich zurück ins Bett. Der Tag ist scheiße! Kann ich den bitte umtauschen?

Es klopft an der Scheibe und ich werde aus der Lethargie gerissen.

Neben meinem Fenster baut sich ein abstoßend gutaussehender Kerl auf, der geschätzt im selben Alter ist. Geschlecktes, kurzgeschnittenes Haar, glattrasiertes Gesicht mit klaren Zügen, markantes Kinn und die schokoladigsten Augen, die ich je gesehen habe. Ich blicke auf und erkenne, dass ich nicht gegen das Auto vor mir geprallt bin, sondern mein Hintermann gegen mich. Hinter meiner Schrottkarre steht eine etwas verbeulte und teuer wirkende Luxuskarre. Na klar, wer so einen Schlitten fährt, sieht aus wie aus dem Ei gepellt. Noch so einer!

»Sag mal, spinnst du?«, schreit mich der Kerl durch die Scheibe an.

Ach ja, der Unfall, den hätte ich am liebsten verdrängt. Wieso lädt der Typ mich nicht zum Kaffee ein? Ist wesentlich entspannter, ich spreche aus Erfahrung. Mit zittrigen Händen löse ich den Gurt und dränge den Schönling neben der Tür beiseite. Mit Glück ist der Schaden nicht zu groß und die alte Klapperkiste schafft es bis zur Arbeit.

»Wenn es hinten kracht, gibt es vorne Geld!«, komme ich ihm mit derselben Freundlichkeit entgegen, die er mir zuteilwerden lässt.

Mein Blick hält seinen gefangen. Er zögert einen Moment und starrt mich aus zusammengekniffenen Augen an. In meinem Kopf dreht sich alles.

»Wo hast du denn deinen Führerschein gemacht?«, platzt es verspätet aus ihm heraus. »Im Lotto gewonnen?«

Inzwischen geht er mir gehörig auf die Nerven. Ich habe keine Zeit für so einen Blödsinn und schon gar nicht, um mit ihm zu plaudern. Tief atme ich einmal ein und wieder aus, ehe ich mich von ihm wegdrehe, meine Sicht verschwimmt und sich in Dunkelheit hüllt.

Als ich zu mir komme, liege ich auf dem Boden. Der Kerl ist über mich gebeugt und leitet Wiederbelebungsmaßnahmen ein? Spinnt er? Jemand hält mir dabei die Beine hoch. Was wollen die denn alle von mir?

»He, lass das, ich atme noch!«, pruste ich los und versuche, mich aufzurichten.

Erst nach dem zweiten Mal gelingt es mir und ich hangle mich mit wackeligen Knien am Auto entlang.

»Oh, entschuldige«, erwidert er dezent sarkastisch, hat dabei aber ein spitzbübisches Lächeln im Gesicht. »Du siehst nach wie vor aus wie ein Zombie.«

Der aufgeblasene Schönling richtet sich auf, streicht sich den Mantel glatt und schließt die Knöpfe.

Wie bitte? Ich glaube, mich verhört zu haben.

»Du kannst froh sein, dass ich dich nicht gebissen habe«, keife ich zurück.

Wie lange war ich bewusstlos? Seinetwegen komme ich völlig zu spät zur Arbeit, falls mein Wagen überhaupt fährt. Ein Blick auf das Heck zeigt eine eingedrückte Stoßstange. Nichts, was die Klapperkiste meiner Meinung nach daran hindert, weiterzufahren.

»Wieso bist du so zynisch?«, frage ich den Kerl. »Du bist mir ins Auto gefahren und nicht umgekehrt.«

Anstatt einer Antwort kommt er einen Schritt auf mich zu. Dabei hält er meinen Blick weiter gefangen. In seinen Augen blitzt es. Macht er sich lustig über mich?

»Ich glaube, du hast dir dein Köpfchen ein wenig zu fest gestoßen!«, raunt er mit tiefer, energischer Stimme, die mir einen Schauer den Rücken hinunter jagt. »Erst wie bekloppt Gas geben und dann abbremsen.« Er schnalzt dreimal mit der Zunge und schüttelt dabei den Kopf. »Macht man denn so was?«

Liegt der Fehler bei mir? Der Kerl strahlt eine Autorität aus, dass ich ihm alles abkaufen würde. Würde er mir erzählen, dass ich von Aliens entführt worden bin, ich würde ihm das Abnehmen. – Nein! Würde ich nicht! Der spinnt doch! Ich würde … wobei – so genau erinnere ich mich nicht mehr daran. Die Minuten direkt vor dem Unfall hüllen sich in dichten Nebel.

Ich versuche, mich an den Vorfall zu erinnern, aber alles, was ich bekomme, sind Kopfschmerzen! Das, was mir wieder einfällt, ist, dass ich verschlafen habe und schleunigst zur Arbeit muss. Scheiße!

»Ich rufe dir einen Krankenwagen.«

Der Fremde kramt sein Handy aus der Tasche. Ich will nicht ins Krankenhaus!

»Nein«, platzt es aus mir heraus. »Ich komme zurecht. Mir ... mir gehts gut, ich muss zur Arbeit.«

Er presst die Lippen aufeinander und ich werfe ihm einen Blick zu, der keine Widerworte duldet. Zu meiner Erleichterung nickt er und streckt mir einen Zettel entgegen.

»Deine Entscheidung. Hier hast du meine Nummer. Ich bin in Eile, du hast mich lange genug aufgehalten, ich komme zu spät zu meinem Meeting. Wir klären das mit dem Unfall ein andermal. Ruf mich an!«

Er kommt zu spät? Dass ich nicht lache!

Bevor ich geistig in der Lage bin, etwas zu erwidern, ist der Kerl in seinem Auto verschwunden.

Ein wenig benommen greife ich nach dem Zettel, den er mir selbstgefällig an den Scheibenwischern geklemmt hat. Henry, so heißt der Kerl. Na, der kann was erleben!

***

Als ich bei der Arbeit ankomme, erwartet mich mein Kollege Matteo aufgeregt.

»Sam, wo warst du? Ich konnte deine Verspätung diesmal nicht verheimlichen. Der Chef hat heute Morgen alle zu sich bestellt.«

Na wunderbar, das hat mir noch gefehlt. Der Tag ist dafür nominiert, um in den Top Ten meiner Dreckstage zu landen.

Dicht gefolgt von Elanors fünfundfünfzigstem Geburtstag. Elanor ist meine Adoptivmutter. Doch das ist eine andere Geschichte.

»Was ist mit dir passiert?«, fragt Matteo. Mit besorgtem Blick mustert er mich von oben bis unten.

»Unfall, frag nicht«, ist das einzige Wort, das ich zustande bekomme.

Der Kopf brummt und ich bin mir nicht sicher, ob sich das Zimmer dreht.

»Du blutest ja!«, stellt er fest.

Ich wage einen Blick in den Spiegel und erkenne erst jetzt die dicke Platzwunde an meiner Stirn. Das Blut um die Wundränder ist getrocknet und zieht sich als rote Spur bis über meine Wange. Das sieht übel aus.

»Ich entschuldige dich beim Chef und fahre dich ins Krankenhaus. Es ist besser, wenn sich das ein Arzt anschaut.«

In dem Moment, in dem Matteo das Wort Krank… Krank… – ich schaffe es nicht einmal das Wort zu Ende zu denken. Nadeln und fies verhüllte Gestalten schwirren mir vor dem inneren Auge herum und ich spüre, wie ich noch blasser werde.

»Nur über meine Leiche!«

»Sorry, aber so siehst du aus«, beharrt Matteo. Nachdem ich ihn mit einem bitterbösen Blick fixiere, lenkt er ein. »Dann lass es mich zumindest verarzten. Das sieht übel aus.«

»Okay, wenn du meinst«, brummle ich und plumpse auf einen der unbequemen Holzstühle.

Matteo macht sich daran, die Wunde zu säubern, und klebt provisorisch ein Pflaster darüber.

»Was?«, blöke ich ihn schärfer an als beabsichtigt. »Warum siehst du mich so an?«

Matteo ist, seit ungefähr einem Jahr mein bester Freund und kennt mich und meine Launen.

»Der Chef will dich sehen.«

»Was will der denn?«

Ich will nicht in den Turm steigen. Die Büroräume sind im obersten Stockwerk und natürlich ist der Aufzug nur für Führungskräfte.

»Wie es aussieht, steht das Möbelhaus kurz vor der Insolvenz.«

»Ist das ein Wunder. Mr. Falkner hat ein Talent für Misswirtschaft.«

Er beäugt nochmals kritisch sein Werk, dabei ist es mir egal, ob ich damit bei einem Schönheitswettbewerb gewinne. Die Beule schmerzt mit Pflaster genauso wie ohne.

»Wem sagst du das, aber das würde der Sturkopf niemals zugeben.«

Erst der Unfall und im Anschluss direkt beim Filialleiter antanzen. Das ist ein Tag!

Die braunen Augen von Henry blitzen in meinen Gedanken auf. Sie waren das einzig Schöne, was ich heute gesehen habe. Auch wenn er mit einem Knall in mein Leben getreten ist.

Seine Begeisterung mir gegenüber hält sich mit Sicherheit in Grenzen. Allein die Erinnerung an den Kratzer an der Stoßstange seines Wagens treibt mir die Schamesröte ins Gesicht. Dabei war er schuld und nicht ich, oder?

Vor dem Büro von Mr. Falkner atme ich nochmal tief durch, ehe ich anklopfe, und eintrete, nachdem er mich hereinbittet.

»Entschuldigung«, stammle ich und betrete das Zimmer.

Mein Chef sitzt, wie sonst, hinter seinem Schreibtisch. Er scheint sich nicht für mich zu interessieren und starrt weiter auf den Bildschirm. Wenn man ihn so betrachtet, könnte man meinen, er sei schwer beschäftigt, dabei spielt er gerade ein langweiliges Kartenspiel.

»Ach, auch endlich da«, stellt er eher beiläufig fest.

Er sieht zu mir auf und für einen kurzen Augenblick bleibt ihm der Mund offenstehen.

»Ja, ich hatte einen Unfall«, versuche ich mich zu rechtfertigen, obwohl mir klar ist, dass bei meinem kaltherzigen Chef nicht mal ein gebrochenes Bein zählt.

Ich habe nur eine Platzwunde am Kopf und bin in seinen Augen voll einsatzfähig.

»Das sehe ich«, erwidert er trocken. »Löblich, dass Sie trotz alledem zur Arbeit erschienen sind. Allerdings halte ich es heute für klüger, Sie tauschen Ihre Schicht mit Matteo und helfen im Lager aus. Wir wollen die Kunden nicht verschrecken.«

Mr. Falkner steht auf und sieht mich mit seinem durchdringenden Blick an. Ich bekomme Gänsehaut. So hat er mich bisher nie angesehen.

»Kommen wir zum eigentlichen Thema. Sie werden nicht mehr lange in dieser Firma arbeiten.«

Wie? Was? Da habe ich mich doch verhört, oder? Mein Kopf braucht ein klein wenig Zeit, um diese Information zu verarbeiten.

Mein Chef steht auf, kommt um den Schreibtisch herum auf mich zu. Die ganze Zeit über behält er mich im Auge. Liest jede Regung von mir, lauert wie ein Raubtier auf seine Beute. Mich wie eine Maus in die Ecke gedrängt zu sehen, scheint ihm Freude zu bereiten. Dieser … dieser … Mein Kopf tut weh!

»Wie Sie sicher mitbekommen haben, hat Knight Industries das Möbelhaus aufgekauft. Die Vorstandsgruppe, zu der ich bald dazugehöre, berät darüber wie sie mit dem Unternehmen weiterverfahren. Bisher sind sie zu keinem Ergebnis gekommen. Was feststeht, ist, dass es Entlassungen gibt.«

Mir fehlen die Worte. Das macht er mit Absicht. Wie ich ihn kenne, füllt er höchstpersönlich meine Entlassungspapiere aus.

Auf einmal kommt mir mein Verhalten in der Vergangenheit peinlich und unangemessen vor. Warum habe ich nicht wie alle anderen den Mund gehalten?

Nein, ich Gutmensch, wie Matteo mich liebevoll betitelt, wollte Mr. Falkner helfen. Wie oft bin ich wie ein aufgeregtes dreijähriges Kind zu ihm gerannt und habe von einer meiner neuen Ideen berichtet. Meine Vorschläge waren ausnahmslos zu innovativ und aufwändig und passten nicht in seine von Tradition geprägte Wirtschaftspolitik. Ich nenne es geradezu altmodisch, aber wer fragt mich? Anstatt des verdienten Ordens droht mir nun die Kündigung.

»Das war alles, Sie können gehen!«

Hinter mir schließt sich die Tür und ich schmecke Galle. Ich werde meinen Job verlieren, dafür sorgt dieses Arschloch höchstpersönlich. Das ist zu viel. Es fühlt sich an, als ob ein Elefant auf meinem Brustkorb sitzt und mein Kopf gleichzeitig Karussell fährt.

Über Matteo lasse ich ausrichten, dass ich wieder gegangen bin, da ich mich nicht wohlfühle. Zu Hause kuschle ich mich in mein Bett und schlafe.

KAPITEL 2

Henry

Was für ein Mist. Der Unfall hat mich aufgehalten und ich komme zu spät. Das passt mir nicht in den Kram.

Eilig tippe ich auf dem Bordcomputer herum und rufe Rachel, meine Sekretärin, an.

»Ja, Mr. Knight was kann ich für sie tun?«, erklingt ihre Stimme aus den Lautsprechern.

»Bitte vereinbaren Sie einen Termin für meinen Wagen in der Werkstatt, ich hatte soeben einen kleineren Unfall.«

Ich höre, wie sie erschrocken die Luft einzieht.

»Ist Ihnen etwas passiert?«, erkundigt sie sich und ich unterdrücke ein Stöhnen.

»Nein, danke der Nachfrage. Alles in Ordnung. Es ist ausschließlich eine verbeulte Stoßstange und ein kaputter Scheinwerfer. Ich komme mit dem Schaden bis zum Möbelhaus, aber verkehrstauglich ist der Wagen nicht mehr.«

Es war schwer zu übersehen, dass der Scheinwerfer so schief in der Halterung hing, dass er die anderen Verkehrsteilnehmer blendet. Damit weiter zu fahren als nötig, wäre unverantwortlich.

»Verstehe. Ich rufe in der Werkstatt an. Gehe ich recht in der Annahme, dass Sie einen Hol- und Bringservice wünschen?«

Sie kennt mich und hat gleich in der ersten Woche verinnerlicht, auf was ich Wert lege. Dafür bezahle ich sie. Ich gestehe, Rachel macht ihre Arbeit ausgezeichnet.

»Ich schicke Ihnen im Anschluss die Bilanzen vom letzten Monat und ihre Termine für den heutigen Tag per E-Mail. Bitte vergessen Sie nicht, das Telefonmeeting mit ihrem Vater um vierzehn Uhr.«

Das Telefonat mit ihm schiebe ich seit Tagen vor mir her, auch heute hätte ich am liebsten darauf verzichtet. Am Ende hält er mir wieder einen seiner typischen Vorträge, in denen er versucht, mir klarzumachen, wie wichtig die Firma ist und was ich ihr und ihm alles zu verdanken habe.

»Vielen Dank, Rachel und nein, werde ich nicht«, sage ich und lege auf.

Ich setze den Blinker. Meine Gedanken gleiten zurück zu dem Unfall und dem Mädchen, in das ich hineingerast bin. Sie saß so verloren hinter dem Steuer, als ich aufgebracht gegen die Scheibe geklopft habe.

Himmel!

Sie sah zerbrechlich aus und als sie vor mir zusammengebrochen ist, ist mein Herz für einen kurzen Augenblick stehen geblieben. Ihre fast bernsteinbraunen Augen starrten mich verwirrt und erschüttert an. Auf ihrer Stirn prangte eine Platzwunde und die Haut ihrer Wangen war so bleich wie das neue Porzellan meiner Stiefmutter.

Knight du Idiot! Du hättest sie in ein Krankenhaus fahren müssen anstatt deinem Ärger, um das demolierte Auto Luft zu machen!

Aber sie wollte nicht. Warum? Ich kann es nicht ausstehen, wenn Menschen ihr Leben nicht im Griff haben, und das Mädchen vorhin hatte nicht den Eindruck erweckt, dass sie Herr über ihr Schicksal wäre. Sie sah aus, als sei sie vor fünf Minuten aus dem Bett gekrochen. Die wirr, zu einem bescheidenen Zopf zusammengebundenen Haare und die minimal geschwollene Augenpartie waren Indizien genug. Und trotzdem hatte sie eine unwiderstehliche Ausstrahlung. Ob es daran lag, dass mich ihre Bad-Hair-Day-Frisur an zerwühlte Bettlaken erinnert hat?

Trotz ihrer zierlichen Gestalt, die ich ohne Zweifel unter dem dicken Daunenmantel ausgemacht habe, strahlte sie eine innere Stärke aus, die mir nicht alle Tage begegnet.

Und Himmel!

Sie hat Haare auf den Zähnen. Da können sich einige dieser Speichellecker, die mir tagtäglich Honig ums Maul schmieren, eine große Scheibe von ihr abschneiden. Mit ihrem Konter auf den Vergleich mit einem Zombie hat sie mich für einen Augenblick entwaffnet. Ich hätte nichts dagegen, von ihr gebissen zu werden.

Herrgott, wohin driften deine Gedanken ab?

Das ist mir lange nicht mehr passiert. Mein Glück war, dass sie zu sehr mit sich beschäftigt war, um meine kurzzeitige Verwirrung nicht zu bemerken. Ich habe sie gar nicht nach ihrem Namen gefragt.

***

Ich halte vor dem Gebäude, das für die nächsten Monate meine Arbeitsstelle ist. Ein Möbelhaus. Mein Vater hat mich damit beauftragt, herauszufinden, ob sich die Übernahme durch unsere Firma lohnt oder ob es klüger wäre, die Möbelkette zu zerschlagen und alles gewinnbringend zu verkaufen.

Fakt ist, die Zahlen sind seit Monaten im roten Bereich. Obwohl die Verkaufszahlen ordentlich sind, schaffen sie es nicht, auf die Beine zu kommen. Mein Vater hält mich für einen Spinner und meint, ich verrenne mich in etwas, aber irgendetwas stimmt hier nicht. Und ich werde herausfinden, was es ist.

Den Wagen parke ich auf dem Parkplatz und betrete das Möbelhaus. Die Schiebetüren öffnen sich und sofort werde ich von dem Geruch von Textilien und Leder empfangen. Es riecht neu und sauber, so wie ich es liebe.

Um einen ersten Eindruck zu gewinnen, schlendere ich einmal quer durch die Hallen, begutachte die ausgestellte Ware und die Auswahl der Möbelstücke.

Es ist früher Morgen und die Hauptfiliale hat vor ein paar Minuten geöffnet. Ich bin allein und entdecke nur selten einen Mitarbeiter an den Infotheken der einzelnen Abteilungen. Alles sieht aus wie in jedem anderen Möbelhaus und hebt sich nicht von der breiten Masse ab. Die Wohnzimmerabteilung reiht sich an die Küchenabteilung, darauf folgt die Büro- Kinderzimmer- und Schlafzimmerabteilung. Nichts Besonderes, das mich vom Hocker reißt. Die Abteilung für Deko und Krimskrams erinnert an einen vollgestopften Lagerraum ohne erkennbares Konzept. Vasen stehen neben Teeservice und zwischen den Bilderrahmen finde ich Lampenschirme und Glühbirnen. Obendrein riecht es hier nach billigen Duftkerzen und künstlichen Raumspray. Die Mischung ist dermaßen dominant, dass sich mir der Kopf dreht.

Eine von drei Kassen ist besetzt und ich gehe hindurch, ohne dass der Kassierer zu mir aufsieht. Unter dem Tisch spielt sie mit dem Handy.

Das muss sich ändern! Höflichkeit ist das Mindestmaß an Anstand und zumindest ein »Guten Tag«, oder »Hatten Sie einen angenehmen Aufenthalt«, gehört ein Kunde am Ende des Einkaufes gefragt, selbst wenn er nichts gekauft hat.

Auch in den Abteilungen ist es wichtig, dass die Mitarbeiter präsent sind. Wer verkaufen will, muss auf die Kunden zugehen, sich mit ihnen unterhalten und herausfinden auf was sie Wert legen. Das ist das A und O!

Mit einem tiefen Atemzug zwinge ich meinen aufgebrachten Puls nieder. Es ist dein erster Tag Henry, erwarte nicht ständig, dass andere auf dem Standard sind, wie du! Ich bin hier, um das zu ändern, sofern das Unternehmen zu retten ist.

»Guten Tag, mein Name ist Henry Knight. Ich habe einen Termin mit dem Filialleiter«, stelle ich mich an der Infostation am Eingang vor.

Der Blondschopf hinter dem Tresen hebt den Kopf und ihre Augen weiten sich, nachdem sie mich entdeckt. Sie blinzelt dreimal und leckt sich über die Lippen, ehe sie ihre Sprache wiederfindet.

Meine Wirkung auf das weibliche Geschlecht ist mir bewusst und je nach Laune setze ich sie gezielt ein, wenn ich Gesellschaft wünsche, doch ich bin hier, um zu arbeiten. Außerdem wäre das Mädchen eine zu leichte Beute. Mir sind Frauen, die sich mir an den Hals werfen, zu Genüge bekannt. Sie wissen fast immer haargenau, wer ich bin, und haben im Internet recherchiert. Hoffen, dass ich mich unsterblich in sie verliebe, damit sie an mein Geld herankommen. So, wie in dem Film »Millionär gesucht«. Als ob ich ein Prinz in schimmernder Rüstung wäre, der kommt, um die Jungfrau in Nöten zu retten. Wenn ich eines gelernt habe, dann, dass die Frau von heute zu ihrer Emanzipation steht. Ein Märchenprinz, der erscheint, um sie zu erlösen passt nicht in dieses Konzept.

»Ach Mr. Knight, richtig?«, piepst Amelie West, wie ich auf ihrem Namenschild lese.

Ich nicke und schenke ihr ein müdes Lächeln. Sofort werde ich mit einer mir allzu vertrauten Geste konfrontiert. Sie streicht sich verlegen das Haar zurück und senkt die Lider. Ganz im Gegenteil zu dem Mädchen von heute Morgen. Ihr Blick hat mich schier vom Hocker gehauen.

Sie geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Ihre Augen und die Blitze, die sie auf mich abgeschossen hat, kribbeln weiterhin unter meine Haut nach.

»Richtig« bestätige ich Amelie.

»Kommen Sie, Mr. Falkner erwartet Sie bereits in seinem Büro.«

Die Blondine steht auf, stöckelt auf ihren Pfennigabsätzen um den Tresen herum und bemüht sich, lasziv mit ihren Hüften zu schwingen.

Noch etwas, was sich ändern wird. Richtiges Schuhwerk am Arbeitsplatz. Die Dinger, die sie trägt, sind absolut ungeeignet und die Verletzungs- und Stolpergefahr ist zu hoch.

Mit gerunzelter Stirn folge ich ihr erneut durch den Verkaufsraum der Sofas, bis wir durch eine versteckte Nische in die Bettenabteilung huschen. Im Treppenhaus müssen wir bis ganz nach oben, um zu den Büroräumen zu gelangen. Dort durchqueren wir einen weiteren langen Gang und erreichen das Büro der Filialleitung. Mit fetten Buchstaben steht »Mr. Falkner« auf der Tür, darunter in dickerer Schrift: GESCHÄFTSLEITUNG. Amelie klopft und kündigt mich an.

»Sehr gut, ich habe bereits auf ihn gewartet. Danke Amelie, schicke ihn zu mir rein.«

Ich warte nicht, bis das Mädchen mir ausrichtet, was ihr Chef gesagt hat, und trete durch die Tür. Amelie verschwindet lautlos, aber nicht, ohne mir einen letzten, verträumten Augenaufschlag zuzuwerfen. Mit verklärtem Blick schließt sie die Tür hinter sich.

»Guten Tag Mr. Knight, ich habe Sie bereits erwartet. Bitten setzen Sie sich«, begrüßt mich Mr. Falkner und deutet mit der Hand auf einen der freien Sessel vor seinem Schreibtisch.

Ich ziehe den Mantel aus und lege ihn über die zweite Stuhllehne. Mein Blick schweift prüfend durch den Raum. Er ist überladen und in gedeckten Farben gehalten. Die Einrichtung stammt, wie es aussieht, aus der Gründungszeit der Filiale. Außerdem erschlagen mich die wuchtigen Regale, die vollgestellt sind mit Aktenordnern. Der alte, schwere Holzschreibtisch ist das einzige Schmuckstück in diesem Zimmer. Ich ziehe den Stuhl zurück und erkenne, dass das Leder an einigen Stellen aufgeplatzt ist.

»Wollen Sie etwas zu trinken? Einen Kaffee?«, erkundigt sich Falkner und setzt sich ebenfalls.

Mit wachen Augen mustert er mich. Ist er aufgeregt? Dabei hat er nichts zu befürchten, schließlich ist er ab nächsten Monat Teil der Knight Industries Familie.

Sobald er von der Übernahme erfahren hat, bat er um eine Versetzung, die ihm mein Vater allzu gern genehmigt hatte.

Oder verheimlicht er etwas? Es ist allseits bekannt, dass Ratten das sinkende Schiff zuerst verlassen. Hat er Angst davor, dass ich ein Geheimnis aufdecke, das ihm am Ende schadet? Bisher hatte er die Leitung und unter seiner Führung laufen die Geschäfte in der Filiale miserabel. So viel steht fest.

»Nein, kommen wir gleich zum Geschäftlichen. Ich bin nicht hier, um Kaffeeklatsch zu halten.«

»Natürlich, natürlich.«

Falkner schluckt und presst die Lippen aufeinander. Er verheimlicht mir etwas, da bin ich mir sicher. Und doch rechne ich es ihm hoch an, dass er freiwillig die Bühne räumt und mir das Steuer überlässt. Er ist ein kluger Mann.

Falkner steht auf und holt aus dem Aktenschrank hinter sich einen dicken Ordner heraus. »Die Zahlen kennen Sie, nehme ich an?«

»Ich bin damit vertraut und sie sehen nicht rosig aus. Was mich mehr interessiert sind die Mitarbeiterakten. Haben Sie sie hergerichtet, wie in meiner E-Mail angekündigt?«

Ich bin vorbereitet und habe mich bestens eingelesen. Auch die spärlichen Akten, in die Falkner uns Einsicht gewährt hat, habe ich gesichtet.

»Natürlich, ich habe alles, wie von Ihnen gewünscht herausgesucht. Außerdem habe ich eine persönliche Anmerkung zu jedem Mitarbeiter geschrieben. Ihre Stärken und Schwächen aufgezählt.«

Er reicht mir den Ordner. Ist das sein Ernst? Er hat keine digitalen Akten?

Ich greife nach dem Handy und wähle die Kurzwahl, mit der ich meine Sekretärin direkt in die Leitung bekomme.

»Rachel, bitte komme ab morgen in das Möbelhaus zum Arbeiten, ich brauche dich hier dringend. Ach, und bring ein oder zwei von den Praktikanten mit.«

Falkners fragenden Gesichtsausdruck übergehe ich und öffne mit gerunzelter Stirn die dicke Mappe. Entsprechend dem Register fehlen fünf Akten in der Auflistung. Den Informationen nach zu urteilen, die ich von meinem Vater habe, beschäftigt diese Filiale achtundvierzig Mitarbeiter und hier sind dreiundvierzig aufgelistet.

»Was ist mit dem Rest?«

Falkner räuspert sich und rutscht hektisch auf seinem Stuhl herum. »Das waren Leute, die nicht mehr tragbar für die Firma waren. Alles notorische Zuspätkommer, Besserwisser oder Querulanten, die das Betriebsklima vergiften. Nachdem ohnehin Kündigungen anstehen, war ich so frei und habe eine Vorauswahl für Sie getroffen.«

Er dreht sich nochmals um und befördert einen zweiten, dünneren Ordner auf den Tisch. »Hier sind die Akten der Mitarbeiter, die Sie bedenkenlos entlassen können.«

Versucht er, mir gerade zu erklären, wie ich meinen Job zu machen habe? Auch wenn er um einiges Älter ist, weiß ich, worin meine Aufgaben liegen.

»Vielen Dank, ich entscheide selbst, wen ich für untragbar halte, und wen nicht. Sie können gehen!«

Falkner schnappt nach Luft, seine Lippen öffnen sich, doch er schluckt die Erwiderung hinunter. Kluger Mann, er weiß, wann er zu schweigen hat.

Ohne ein weiteres Wort steht er auf und überlässt mir sein Büro. Ich wechsle auf den Stuhl hinter den Schreibtisch, der nicht viel bequemer ist als die beiden ausgedienten Sessel davor. Für ein Möbelhaus ist das keine gute Visitenkarte.

Schauen wir nach, was er an diesen von ihm ausgewählten Mitarbeitern auszusetzen hat. Neugierig schlage ich den Ordner auf und blättere die Akten durch. Bei zweien der fünf gebe ich Falkner recht, sie haben mehrere Abmahnungen wegen zu spät Kommens. Das ist ein Unding. Wer nicht pünktlich auf der Arbeit erscheint, besitzt wenig Loyalität dem Unternehmen gegenüber. Über meinen Laptop weise ich Rachel an, ihre Kündigungen fertigzumachen. Der dritte untragbare Mitarbeiter ist durch rücksichtsloses Verhalten im Umgang mit Kunden aufgefallen. Sogar eine schriftliche Stellungnahme eines Geschädigten ist abgeheftet. Er erhält ebenfalls eine Kündigung.

Bei den Übrigen bin ich skeptisch. Eine Samantha Thomson fällt, Falkners Schilderungen zufolge, immer wieder unangenehm auf, weil sie sich über seine Anweisungen hinwegsetzt oder seinen Ausführungen nach versucht, Strukturen vorzugeben.

Ich mustere das Personalbild genauer und lehne mich mit einem Schmunzeln zurück. Die kleine Kratzbürste vom Unfall arbeitet hier im Möbelhaus und mischt den Landen genauso auf, wie mich.

Das wird interessant! Meine Neugierde ist geweckt und ich blättere die Akte genauer durch. Laut Falkners Schilderungen hat sie sich wegen der Pausenzeiten beschwert, mischt sich in die Arbeitsbedingungen im Lager ein und fordert unangemessene Hilfsmittel, die sich die Firma nicht leisten kann. Und dann steht hier noch, dass sie Falkner ständig belehrt, wie er seinen Job zu machen hätte. Natürlich nicht in den Worten. Er schreibt, dass sie ständig alles besser weiß. Ich kichere in mich hinein und in meinem Kopf spielt sich die Szene lebhaft ab.

Der zweite, bei dem ich mir unschlüssig bin, ist ein gewisser Matteo. Falkner ist der Meinung, dass der junge Mann aufgrund seines Auftretens nicht in die Belegschaft passt.

Gegen Mittag verlasse ich das Büro und stromer ein wenig durch die Hallen. Das lange Sitzen vor dem Schreibtisch ermüdet mich.

Ich beobachte die Mitarbeiter und werde wahrgenommen, aber keiner von ihnen spricht mich an. Es herrscht im Allgemeinen eine seltsame unterkühlte, regelrecht ängstliche Stimmung vor. Trotzdem vernehme ich das Tuscheln hinter meinem Rücken. Die Angestellten fragen sich, wer ich bin und was ich hier suche. Ich lasse sie weiter rätseln, die Wahrheit erblickt früh genug das Licht.

»Was soll das, was hast du dir dabei gedacht?«, höre ich Falkners Stimme.

Ich bleibe an einer Ecke stehen und beobachte die Szene. Vor ihm steht eine Verkäuferin mit hochgezogenen Schultern. In den Händen hält sie zwei entstellt aussehende Weihnachtswichtel.

»Ich habe dir gesagt, dass ich die beiden vorne in unserem Schaufenster haben will und nicht in der letzten Ecke des Ladens!«, herrscht er das Mädchen vor sich an.

Sie ist blutjung und deutlich eingeschüchtert von seinem dominanten Verhalten. Der Kerl wird mir zunehmend unsympathischer. Erneut schreibt er anderen vor, wie sie ihre Arbeit zu erledigen haben. Er hat die Leute eingestellt, er weiß, zu was sie fähig sind, also sollte er sie handeln lassen und sich auf seine Aufgaben konzentrieren.

»Aber ich dachte ...«

»Sie werden nicht fürs Denken bezahlt, sondern fürs Arbeiten. Los räumen Sie die beiden Elfen dorthin, wo sie immer stehen«, keift er weiter.

Das war unprofessionell. Die Angestellte nickt Ergeben und ihr Kopf und ihre Schultern sacken nach unten. Kein Wunder, dass das Geschäft rote Zahlen schreibt, wenn er mehr damit beschäftigt ist, die Mitarbeiter zu kontrollieren als sich darum zu kümmern, wie er die Umsätze steigert. Was auffällt ist, dass er exakt das Verhalten aufzeigt, dass er bei Samantha bemängelt.

Es reicht!

Ein leises Knurren rollt über meine Lippen. Keiner hört es. Ich trete hervor und gebe mich zu erkennen.

»Gibt es ein Problem?«, mische ich mich ein.

Falkner zuckt kaum sichtbar zusammen und dreht sich mit einem aufgesetzten Lächeln zu mir um. Die Augen der jungen Frau weiten sich noch mehr. Der erschrockene Ausdruck in seinem Gesicht entschädigt mich minimal. Ich habe ihn unterbrochen und damit seine Autorität infrage gestellt.

»Ach, mal wieder Ärger mit den Angestellten. Manche hier im Haus sind der Meinung, sie wüssten besser, wie ein Laden zu führen ist und brauchen eine strengere Führung als andere.«

Er legt die Hand auf meinen Rücken und versucht, mich aus der Situation zu drängen. Nicht mit mir mein Freund.

»Ich habe die Sache geregelt. Eine klare Ansage und Tessa erledigt ihre Aufgaben gewissenhaft.«

Geschickt entwende ich mich seines Griffes und drehe mich erneut dem Mädchen zu.

Sieh zu und lerne, wie man sein Personal für Dinge begeistert und ihren Arbeitswillen und damit die Produktion steigert.

»Und das wäre?«, erkundige ich mich, allerdings nicht an Falkner gerichtet, sondern direkt an Tessa.

Dem Mädchen rinnt jegliche Farbe aus dem Gesicht und ich befürchte, dass sie jeden Augenblick umkippt.

»Tessa richtig?« Sie nickt. »Nehmen Sie diese entstellten Figuren und werfen Sie die auf den Müll.«

Falkner schnappt nach Luft, wie ein Karpfen auf dem Trockenen und ehe er es schafft etwas zu erwidern, falle ich ihm ins Wort.

»Das Möbelhaus braucht eine bessere Außenwirkung und diese verstaubten alten Dinger, ich erkenne nicht mal, was sie genau darstellen, sind ein miserables Aushängeschild. Danke Mr. Falkner, Sie können gehen.«

Tessas Gesichtsfarbe verbessert sich und ich stelle fest, wie sie ein Grinsen unterdrückt. Dass jemand dem Filialleiter dermaßen über den Mund fährt, ist sie nicht gewohnt.

Falkner streckt mir aufgebracht den Zeigefinger entgegen. Ich hebe angesichts des läppischen Versuches, mir zu drohen, eine Augenbraue.

»Sie ruinieren mit Ihren Neuerungen und Ideen diese Filiale komplett. Gut, dass ich nur bis zum Ende des Monats hier arbeite. Dann ist es nicht meine Schuld, wenn der Laden den Bach runter schippert. Ich habe diese Bruchbude hier aufgebaut und am Leben gehalten, da haben Sie noch in den Windeln gesteckt.«

So sieht sie auch aus!

Mit jedem Wort, das er sagt, wird er lauter. Er versucht, mich zu reizen, mir eine Reaktion abzuringen, aber den Gefallen erweise ich ihm nicht. Zugegeben er sorgt dafür, dass mein Puls sich erhöht und es dauert nicht mehr lange, bis ich die Geduld mit ihm verliere, aber ich verliere vor ihm nicht das Gesicht.

Er ist deinen Ärger nicht wert, rede ich mir ein und zwinge die aufkeimende Wut in mir nieder.

»Danke Mr. Falkner, Sie dürfen gehen. Ich komme zurecht«, weise ich ihn subtil in seine Schranken.

Die Zahlen, dieses Zusammentreffen und sein Umgang mit dem Personal sprechen nicht für ihn. Aufgebracht stapft er davon und ich hoffe für ihn, dass er nicht in sein Büro verschwindet. Es gehört jetzt mir.

»Tess«, wende ich mich erneut an das Mädchen. Sie bleibt stehen und dreht sich nochmals zu mir um. »Bitte dekoriere das große Schaufenster im Eingangsbereich für mich um. Es sieht nicht einladend aus.«

»Aber ich bin nur Praktikantin und habe erst mit der Ausbildung angefangen.«

Noch schlimmer, dass Falkner sie so angemacht hat. Mit solch einem Verhalten verscheucht er die Arbeitskräfte von morgen. In meiner Hosentasche balle ich die Hand zur Faust.

»In Ordnung. Dann such dir einen Mitarbeiter, von dem du glaubst, es am ehesten zu lernen. Er oder sie soll dich anleiten, das Fenster zu gestalten.«

Tess nickt eifrig und ihre Augen strahlen. Mit einem scheuen Lächeln verabschiedet sie sich, die beiden grotesken Figuren mit den Elfenohren fest umklammert.

***

Zurück im Büro telefoniere ich zuerst mit meinem Vater und schildere ihm die Ereignisse des Tages. Den Crash von heute Morgen erwähne ich nicht. Er hätte ohnehin kein Ohr dafür.

Seit dem Tod meiner Mutter verkriecht er sich in der Arbeit. Es gibt nichts Wichtigeres mehr als das Geschäft. Für den Schein einer intakten Familie und, um das Bild einer Vorzeigefamilie zu erfüllen, hat er erneut geheiratet. Doch Carol war nie in der Lage das Loch zu schließen, dass der Tod seiner Frau und meiner Mutter in unser Leben gerissen hat.

Vater hört sich geduldig meinen Bericht an, pocht aber weiterhin darauf, dass ich eher die Zerschlagung des Möbelhauses vorbereite, als die Rettungsleine aufzuwickeln. Er habe es oft miterlebt, wenn ein Unternehmen dem Untergang geweiht war. Ich würde das Unvermeidliche nur hinauszögern. Doch ich bin mir da nicht sicher.

Im Anschluss gehe ich die restlichen Personalakten durch und verschaffe mir einen Überblick.

Personalgespräche sind in den vergangenen Jahren keine geführt worden und ich bin auf die Schilderungen meines Vorgängers angewiesen. Aus seinen Mitschriften lese ich heraus, dass er im Allgemeinen nichts von seinem Personal hält und ihnen wenig bis kein Mitspracherecht gewährt. Er hat viele innovative Vorschläge im Keim erstickt und sich auf das Altbewährte verlassen.

Der Kerl lebt in der Steinzeit.

Es klopft und ich bitte denjenigen, der vor der Tür steht herein, ohne von den Notizen aufzublicken.

»Entschuldigen Sie, es ist kurz vor zwanzig Uhr. Das Möbelhaus schließt in ein paar Augenblicken«, ertönt Falkners Stimme.

Mein Blick wandert zu der Uhr an meinem Handgelenk. Er hat recht und draußen ist es bereits dunkel.

»Übergeben Sie mir die Schlüssel, ich schließe ab«, weise ich ihn an. Er versucht zu protestieren, doch ich falle ihm sofort ins Wort. »Nehmen Sie sich die restlichen Tage des Monats frei, ich schaffe das hier ohne Sie. Dann haben sie ein wenig Auszeit, bis sie übernächste Woche in der Firma meines Vaters starten.«

Meine Stimme klingt keineswegs freundlich und Falkner versteht es so, wie ich es gemeint habe. Als Aufforderung, die Filiale auf dem schnellsten Weg zu verlassen. Ich brauche ihn nicht.

Das, was ich aus den Akten heraus über ihn erfahren habe, reicht mir. Er ist ungerecht und mit Sicherheit sind die Zahlen ebenfalls gefälscht. Ich würde mich nicht wundern, wenn der Kerl sich in die eigene Tasche wirtschaftet. Auch wenn er vorbereitet war und genügend Zeit hatte, um seine Spuren zu verwischen, ich werde den einen winzigen Hinweis finden. Den Punkt, den er übersehen hat, und dann verlässt er nicht nur diese Filiale, sondern die Firma.

»Aber Mr. Knight, wollen Sie nicht, dass ich Ihnen morgen noch das Unternehmen zeige? Sie wissen doch ...«

»Danke Mr. Falkner, wie bereits erwähnt, werde ich mir selbst ein Bild der Lage verschaffen. Ich danke Ihnen für Ihr Engagement. Auf Wiedersehen.«

Mit jedem Wort, das ich an ihn richte, wird meine Stimme bestimmter und Falkners Wangen rot vor unterdrückter Wut. Er presst die Lippen aufeinander und fieselt den Hauptschlüssel vom Bund, um ihn mir auf den Tisch zu knallen. Im Anschluss rauscht er aus dem Zimmer und schlägt die Tür hinter sich ins Schloss.

Ich kreise mit den Schultern und dehne die steifen Knochen. Einen ganzen Tag am Schreibtisch zehrt an den Nerven. Nicht mal zum Mittagessen bin ich aus dem Büro gekommen. Mein einziger Snack war das belegte Sandwich, das mir Helga meine Haushälterin in der Früh in die Tasche geschmuggelt hat.

Mit einem Stöhnen schiebe ich den Schreibtischstuhl zurück und gehe zum Fenster. Die Laternen erleuchten den Parkplatz notdürftig. Vereinzelt stehen noch ein paar Autos da. Vermutlich gehört der ein oder andere Wagen einem der Mitarbeiter.

Den ganzen Tag war ich abgelenkt und habe nicht länger über die Begegnung von heute Morgen nachgedacht, doch jetzt kreisen sie ohne Umwege zurück zu dem Unfall.

Das Mädchen, diese Augen und ihr freches Mundwerk. Wann war ich das letzte Mal von einem Menschen derart beeindruckt?

Gedankenversunken beobachte ich, wie ein paar der Angestellten den Parkplatz überqueren. Ein Mann und eine Frau. In dem Licht sind sie schwer zu erkennen. Nur bei dem hemmungslos gestikulierenden Kerl, der den beiden folgt, bin ich mir sicher, dass es Falkner ist.

KAPITEL 3

Samantha

Ich habe den Freitag und das Wochenende genutzt, um mich auszukurieren. Trotzdem plagen mich, während ich mich am Montag für die Arbeit fertig mache, weiterhin stechende Kopfschmerzen. Mein Nacken ist hart wie ein Block Granitstein. Auch ohne Arzt ist mir klar, dass ich eine ordentliche Gehirnerschütterung habe.

Da mir mein Gedankenkarussell, seit Tagen den Schlaf raubt, bin ich zu früh dran. Ich habe Zeit, um mir an der Tankstelle in aller Ruhe einen Kaffee und eine Brotzeit zu kaufen.

Am Freitag war ich nach der Arbeit in der Werkstatt, um den Schaden begutachten zu lassen, und der Mechaniker hat mit mir geschimpft, warum ich mich nach dem Crash hinters Steuer gesetzt habe. Er sagte, es müsse sofort repariert werden, aber das übersteigt meine aktuellen Rücklagen und ich bin auf das Fahrrad angewiesen. Ich habe mich noch nicht bei Henry gemeldet, da ich mir nicht sicher bin, ob nicht doch ich schuld an dem Unfall habe. Er hat recht, ich habe scharf abgebremst. Zum Glück hat er nicht auf die Polizei bestanden, die hätte am Ende mir die Schuld in die Schuhe geschoben. Und die Reparatur von zwei Autos wäre mein Ruin.

Ich puste in die behandschuhten Finger und genieße das Gefühl der Wärme, das sich durch die Wolle hindurch ausbreitet. In Überlegungen vertieft, werfe ich dem Kassierer das abgezählte Geld hin und sehe zu, wie er meine Sachen zusammenpackt. Wenn ich Glück habe, schaffe ich es, den alten Falkner von mir zu überzeugen, und er kündigt mich nicht. Meine Verkaufsquote ist nicht viel niedriger als die der anderen und ich bin gewillt, in Zukunft die Klappe zu halten.

„Achtung!“, brummt eine kratzige Stimme.

Vor Schreck rinnt es mir eiskalt den Rücken herunter. Um ein Haar wäre ich mit der Person, die hinter mir stand, zusammengestoßen. Skeptisch hebe ich den Kopf und verschlucke den Kloß im Hals. Vor mir steht ein älterer Mann in abgetragenen Klamotten. Nicht viel und mein Kaffee wäre auf seiner Jacke gelandet.

„Hätten Sie vielleicht einen Euro für mich?“

Unbeabsichtigt wandert meine Hand in die Jackentasche und die acht übrig gebliebenen Zehn-Cent-Münzen streifen durch meine Finger. Der Mann starrt mich weiter fragend an. So wie er aussieht, kauft er sich am Ende eine Flasche Bier von dem erbettelten Geld. Dabei würde ihm ein Stück Brot eher helfen.

„Wissen Sie was, ich gebe Ihnen mein Sandwich“, platzt es aus mir heraus, bevor ich nachgedacht habe.

Der Alte sieht mich mit glänzenden Augen an, schnappt sich die Bäckertüte und tapst mit meinem Frühstück davon. Da habe ich mich wohl in ihm getäuscht. Wie es aussieht, hat er tatsächlich Hunger. Das war wieder ein klarer Fall von Plappern, ohne darüber nachzudenken! Dann stehe ich den Tag ohne Brotzeit durch, wäre nicht das erste Mal.

An meinem Kaffee nippend verlasse ich die Tankstelle. Mein Fahrrad habe ich an der Seite abgestellt. Gerade will ich aufsteigen, da fällt mir ein Zettel an der Klingel auf.

Bleifuß und ein Herz für Bedürftige. Wie passt das denn zusammen?

Du hast meine Nummer, melde dich bei mir. Gruß Henry

Hektisch schaue ich mich um, doch weder die Luxuskarre noch der selbstgefällige Kerl sind zu sehen. Was will der von mir?

»Den Kaffee, zu dem du mich hättest einladen sollen, habe ich mir selbst gekauft!«, schreie ich einem imaginären Schnösel hinterher und komme mir im nächsten Augenblick blöd vor.

Der Kerl ist längst über alle Berge. Es bringt nichts, weiter darüber nachzudenken, denn ich muss zur Arbeit. Mit Kaffeebecher in der einen Hand und dem Fahrrad in der anderen stiefle ich los.

Eilig, weil ich durch unsinniges Trödeln, erneut zu spät dran bin, stelle ich meinen Drahtesel vorne am Eingang ab. Mr. Falkner betont immer wieder, dass die Parkplätze am Hof den Kunden vorbehalten sind, und dazu zählt er ebenfalls die Fahrradständer. Nur ich bezweifle, dass auch nur ein zahlender Kunde mit dem Fahrrad und darüber hinaus im Winter zu einem Möbelhaus fährt.

Es ist eiskalt und eine dünne Eisschicht überzieht den Weg zum Eingang des Möbelhauses. Da muss ich später streuen, denke ich und schaue auf.

Was ist das? Das Schaufenster sieht anders aus. Modern und elegant eingerichtet. Obendrein fehlen Bernd und Berte die hässlichen Weihnachtselfen, die Falkner heiß und innig liebt. Oh weh, das gibt Ärger. Egal, wer das veranstaltet hat, er wird nicht mehr lange bei uns arbeiten.

»Matteo, wer hat denn das Schaufenster dekoriert?«, frage ich, als ich den Personalraum betrete.

Er wartet wie jeden Morgen, bis ich komme. Dafür liebe ich ihn. Seine Brust hebt sich vor Stolz und der Glanz in seinen Augen spricht Bände. Mir rinnt buchstäblich die Farbe aus dem Gesicht und ich sehe einer Zukunft ohne ihm entgegen. Was stelle ich hier auf Arbeit, ohne meinen besten Freund an? Da muss mich Falkner nicht mehr rauswerfen, wenn Matteo rausfliegt, kündige ich ebenfalls!

»Das war ich«, verkündet er mit fester Stimme und nickt mit geschlossenen Augen. Mir bleibt das Herz stehen.

»Der neue Chef hat Tess damit beauftragt sich jemanden zu suchen, mit dem sie das Schaufenster neu und modern dekoriert. Er hat uns freie Hand gelassen, und gesagt, es sei unser Aushängeschild. Irgendwas von Außenwirkung hat er auch noch gefaselt, frag mich nicht. Wie findest du es?«

»Wie ich es finde?«, meine Stimme klingt selbst in meinen Ohren schrill.

Vor Erleichterung fallen mir tausend Wackersteine vom Herzen. Matteo bleibt und ich bin nicht gezwungen, mich nach etwas Neuem umzusehen. Welch ein Glück.

»Es ist wunderschön und sticht sofort ins Auge. Sogar mir!«

Und das heißt was, oft renne ich blind wie ein Maulwurf durchs Leben. Das stinkt Falkner gewaltig, dass der neue Chef seine innig geliebten Gruselelfen abgesägt hat. Geschieht ihm recht. Die Dinger haben die Kunden abgeschreckt, aber auf dem Ohr war er ständig taub.

»Wie ist der Neue?«, flüstere ich hinter vorgehaltener Hand und schließe den Spind ab.

Wir verlassen den Personalraum und schlagen den Weg zu unseren jeweiligen Abteilungen ein. Ich bin in der Bettenabteilung tätig, während Matteo aushilft, wo gerade jemand fehlt. Er ist das Mädchen für alles. Damit ziehe ich ihn ständig auf, aber ihm scheint das zu gefallen.

»Ich habe ihn bisher nicht gesehen, den Gerüchten zufolge hat er den alten Falkner ordentlich in die Schranken gewiesen und wenn man den Schilderungen von Amelie glaubt, ist er ein richtiges Sahneschnittchen.«

»Aha«, ist das Einzige, was mir über die Lippen rutscht.

Amelie glotzt jedem zweiten männlichen Kunden hinterher, das hat nichts zu sagen. Ich bange um meinen Job und das, was für Matteo zählt, ist, dass der neue Chef zum Anbeißen aussieht.

»Ach ja und er hat für die kommenden Wochen verpflichtende Mitarbeitergespräche angeordnet.«

Der Tag wird immer besser. Bei dem Wort stellen sich mir die Nackenhaare auf. Hat unser neuer Chef eine sadistische Ader und will den Leuten, die er entlässt, zuvor in die Augen sehen, um die zerstörte Hoffnung darin voll auszukosten?

»Ich glaube, ich kündige!«, platzt es aus mir heraus, bevor ich darüber nachgedacht habe.

Matteo zieht erschrocken die Luft ein. »Nein Liebes. Ich warne dich! Mit wem soll ich denn sonst über die anderen lästern?«

»Ich mache mir nichts vor. Mr. Falkner hat mich auf dem Kicker. Ich verwette meine linke Niere, dass er jede Auseinandersetzung, die er mit mir hatte, feinsäuberlich dokumentiert hat. Und es wird Kündigungen geben, die gibt es immer, wenn ein Neuer das Ruder übernimmt. Das ist die Gelegenheit, diejenigen loszuwerden, die ohnehin ständig anecken.«

Matteo schnauft tief durch und zieht mich in eine Umarmung. Ich lasse es zu, aber nur, weil wir Freunde sind.

»Sei nicht immer so pessimistisch! Es legt sich alles und kommt, wie es kommt. Wenn du gefeuert wirst, kündige ich auch. Wer weiß, vielleicht ist der Neue ja ganz nett.«

»Pfff« Ich werfe Matteo einen fragenden Blick aus den Augenwinkeln zu. »Ein Mann kann nicht nett und hübsch zugleich sein. Entweder-oder. Ich sag nur Daniel.«

Daniel ist mein Ex, ein Typ vor der Sorte Supermodel mit wenig Hirn dafür Muskeln wie ein Schrank. Mir ist klar, das sind Klischees, aber ich bin immer noch sauer auf ihn und habe jedes Recht darauf ihn auf diese Kleinigkeiten zu reduzieren.

Er hat mich von hinten bis vorn ausgenutzt und betrogen. Hat auf meine Kosten gelebt und mich in unserem Bett mit einer anderen betrogen! Auch wenn Matteo die Dornen, die durch seine Verletzungen zurückgeblieben sind, aus meinem Körper gezogen hat, ist ein winziger Stachel im Herzen übergeblieben.

Und der eitert und vergiftet es unaufhörlich. Manchmal hasse ich mich deswegen. Und doch bin ich machtlos gegen das Gefühl nicht würdig zu sein. Und die Unsicherheit, die seinetwegen ständig in mir aufkocht, treibt mich in den Wahnsinn. Doch das ist in Ordnung. Dieser eine Dorn bleibt, wo er ist, und warnt mich davor, nie wieder eine solche Dummheit zu begehen!

Matteo stemmt protestierend beide Hände in die Hüften und plustert die Backen auf. Ich liebe es, ihn zu necken.

»Und was ist mit mir? Ich bin nett und hübsch zugleich.« Mit den Händen fährt er einmal durch seine Locken, bevor er die Augen aufreißt und mir den Zeigefinger vor die Nase hält. »Sag jetzt nichts Falsches!«, warnt er mich.

»Du bist die einzige schillernde Ausnahme«, gestehe ich ihm zu.

»Und was ist mit Falkner? Der ist keins von beidem. Er ist weder hübsch, noch ist er nett zu uns Angestellten. Was ist, wenn es bei dem Neuen umgekehrt ist.«

Ich murre zustimmend. In diesem Punkt hat er recht. Falkner hat nichts von beidem und trotzdem überzeugt er mich mit der Argumentation nicht.

»Im Übrigen, wer dich kennt, der muss dich einfach lieben. Du setzt dich für deine Mitmenschen ein, bist immer für sie da und hast bei weitem bessere Ideen, an die Kunden ranzukommen, als der alte Sack. Das gehört belohnt. Und egal, was Falkner aufgeschrieben hat, es war Unrecht, von ihm die Pausenzeiten zu verkürzen. Dafür gibt es Richtlinien, an die er sich zu halten hat.«

Allein für diesen Satz könnte ich meinen Freund küssen und das mache ich auch. Er erntet einen dicken Knutscher auf die Wange.

»Ihhhhh Sam, das ist eklig. Du weißt, dass du nicht mein Typ bist.«

»Ist mir egal, ich liebe dich trotzdem!«, kontere ich und watschle Richtung Bettenabteilung.