Mechanismen der Ökonomisierung - Thorsten Peetz - E-Book

Mechanismen der Ökonomisierung E-Book

Thorsten Peetz

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Beschreibung

Spätestens seit den 1980er-Jahren vollzieht sich ein gesellschaftlicher Entwicklungsprozess, der in den Sozialwissenschaften rege aufgegriffen wurde: die gesellschaftsweite Ausbreitung des Marktes und ökonomischer Logiken. Viel diskutiert ist dieser Prozess, doch soziologisch noch unverstanden. Weder ist klar, wie er begrifflich-theoretisch zu fassen ist, noch sind die Mechanismen identifiziert, die ihn umSetzen. An diesen Schwachstellen Setzt die Studie von Thorsten Peetz an. In AuseinanderSetzung mit zentralen Ansätzen der soziologischen Differenzierungstheorie zeigt er zunächst, dass es nicht die üblichen Verdächtigen sind, die ein adäquates theoretisches Vokabular zur Analyse von Ökonomisierung bereitstellen. Stattdessen findet er in der Systemtheorie Niklas Luhmanns passende Werkzeuge, um einen differenzierten Begriff gesellschaftlicher und organisationaler Ökonomisierung zu entwickeln. Derart konzeptuell gerüstet sucht die Studie die AuseinanderSetzung mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Sie zeigt am Beispiel des Bildungssystems, dass man in Schulen tatsächlich Prozesse der Ökonomisierung identifizieren kann. Die eigentliche Leistung der Arbeit besteht aber darin, dass sie nicht bei theoretischer Reflexion und empirischer Beschreibung stehen bleibt, sondern Mechanismen modelliert, die Ökonomisierungsprozesse in Schulen soziologisch erklären. Mit den Mechanismen der 'Schulentwicklung' und der 'Quantifizierung' werden so die sozialen Beziehungen beschrieben, durch die ökonomische Logiken in Schulen an Bedeutung gewinnen.

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Inhalt

Einleitung

1 Ökonomisierung – Diagnosen und Begriffe

1.1 Diagnose: „Neoliberalismus“

1.2 Konzepte: Kommodifizierung, Vermarktlichung, Ökonomisierung

1.3 Forschung: Ökonomisierung als Gegenstand der Soziologie.....

1.4 Kriterien eines Begriffs der Ökonomisierung

2 Ökonomisierung – Ein theoretischer Überblick

2.1 Wertsphären und Bürokratie

2.2 Felder und Praxis

2.3 Rechtfertigung und Kritik

2.4 System und Umwelt

3 Schulen im Umbruch

3.1 Bildungssystem und Bildungsorganisationen

3.2 Bildung unter Druck: PISA und die Folgen

3.3 Bildungsorganisationen im Wandel

3.4 Internationale Vergleichsperspektiven

4 Mechanismen der Ökonomisierung in Schulen

4.1 Was sind „Mechanismen“?

4.2 Wie findet man Mechanismen der Ökonomisierung?

4.3 Der Mechanismus der „Schulentwicklung“

4.4 Der Mechanismus der „Quantifizierung“

4.5 Alternativen? „Schulprogramme“ und „Evaluationen“

4.6 Diskussion

Fazit

Literatur

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Formen der Ökonomisierung von Organisationen

Abbildung 2: Formen der Ökonomisierung des Bildungssystems

Abbildung 3: Formen der Ökonomisierung der Schule

Abbildung 4: Ökonomisierung der Schule – Ergebnisse

Abbildung 5: Überblick über die geführten Interviews

Abbildung 6: Der Mechanismus der „Schulentwicklung“

Abbildung 7: Der Mechanismus der „Quantifizierung“

Danksagung

Es gibt nicht nur „art worlds“ (Becker 1982), sondern auch Wissenschaftswelten. An der Entstehung dieser Arbeit war entsprechend nicht nur der Autor, sondern noch eine ganze Reihe anderer Personen beteiligt. Dazu gehört zunächst mein langjähriges Arbeitsumfeld an der Humboldt-Universität zu Berlin, mit Karin Lohr als Erstbetreuerin, wie ich sie mir besser nicht hätte wünschen können, und Leiterin des Projektes „Bildungsarbeit im Umbruch?“, in dessen Rahmen ich die Arbeit angefertigt habe. Fast zehn Jahre habe ich von ihrem Erfahrungsreichtum, ihrem Rat und ihrer Bereitschaft, sich auf Argumente einzulassen, die erst im Verlauf unserer Diskussionen an Klarheit gewinnen und sich in empirisch spannende Fragen übersetzen lassen, profitiert. Zum Projektteam gehörten außerdem meine Kollegin Romy Hilbrich, mit der zusammenzuarbeiten eine Freude war, sowie Mirka Brüggemann, Lisa Carstensen, Daniel Kubiak und Jenni Struhkamp als engagierte studentische Mitarbeiterinnen bzw. Mitarbeiter. Einen wichtigen Anteil an der Untersuchung hatten die Beschäftigten in Bildungsorganisationen sowie die Expertinnen und Experten aus deren Umwelt, die sich für Interviews zur Verfügung gestellt und ihre Erfahrungen mit der Reorganisation von Schule mit uns geteilt haben. Angesiedelt war das Projekt am Lehrbereich „Soziologie der Arbeit und der Geschlechterverhältnisse“ von Hildegard Maria Nickel, die das Projekt mit konstruktiver Kritik begleitet hat. An der Humboldt-Universität hat Hans-Peter Müller die Arbeit als Zweitbetreuer begleitet und in zahlreichen Diskussionen mit analytischer Schärfe wichtige theoretische Weichen gestellt. Jürgen Mackert hat mich mit der Debatte über „soziale Mechanismen“ in Berührung und als Mitglied der Promotionskommission zu meinem Vergnügen Feuer in die Diskussion gebracht.

Zu den Personen gehören außerdem diejenigen, die Foren organisiert haben, in denen ich das Projekt vorstellen durfte, sowie diejenigen, die dort die Gelegenheit ergriffen haben, Kritik zu üben. Möglichkeiten dazu gab es unter anderem im Kolloquium des Lehrbereichs Schulpädagogik und Schulentwicklungsforschung an der Freien Universität Berlin bei Felicitas Thiel; im von Karl-Siegbert Rehberg, Stephan Lessenich und Carlo Mongardini organisierten Kolloquium „Wirtschaft und Gesellschaft – heute“, das im anregenden Umfeld der Villa Vigoni stattfand; bei der von Sighard Neckel organisierten „Marie Jahoda Summer School“ an der Universität Wien, wo Uwe Schimank als Kommentator hilfreiche Anmerkungen machte; sowie regelmäßig im Kolloquium des Lehrbereichs Allgemeine Soziologie der Humboldt-Universität zu Berlin bei Hans-Peter Müller.

Wichtige Unterstützung bot mir die Dissertationsgruppe mit Sören Carlson, Inga Haese und Karen Schierhorn, in der wir die Ergebnisse unserer Textproduktion diskutiert, methodische Probleme beraten und uns über die Widrigkeiten ausgetauscht haben, mit denen das promovierende Selbst zu kämpfen hat. Mit Manuel Winkelkotte verbindet mich eine langjährige Co-Leserschaft, die sich von sozialanthropologischen und theoretischen Texten auf unsere eigenen ausgedehnt hat. Sue Braun, Alexander Brunke, Roberto Dutra Torres Jr., Pascal Geißler, Lena Pelull, Stefan Peetz, Jochen Steinbicker und Julia Teschlade haben sich die Mühe gemacht, einzelne Ausschnitte dieser Arbeit kritisch zu lesen und zu kommentieren. Auch und gerade dann, wenn ich mich nicht allzu schnell von ihnen überzeugen ließ, hat die Langzeitwirkung ihrer Anmerkungen den Text besser gemacht. Henri Band hat umsichtig die letzten Korrekturen besorgt. Loni Peetz und Klaus Peetz schließlich haben mich lange Zeit unterstützt und mir dadurch die Freiräume eröffnet, in denen sich dieser Text gebildet hat.

Allen, die sich so in das Netz dieser Arbeit eingewoben haben, danke ich herzlich. Ohne sie wäre dieses Buch nicht in der vorliegenden Form erschienen. Für alle verbliebenen Ungereimtheiten, Argumentationslücken und Fehler übernimmt mein psychisches System die volle Verantwortung.

Einleitung

„Hast du schon, hast du schon gehört? Das ist das Ende, das Ende vom Kapitalismus – jetzt isser endlich vorbei.“

PeterLicht, Lied vom Ende des Kapitalismus

Die gegenwärtige Lage des Kapitalismus scheint kritisch. Großbanken und ganze Volkswirtschaften kollabieren, können nur durch enorme politische Anstrengungen und den Einsatz finanzieller Ressourcen, deren Umfang jede Vorstellungskraft sprengt, „gerettet“ werden. Abseits der Spielplätze der Finanzindustrie, in den sozialen Räumen derer, die nicht „systemrelevant“ oder „too big to fail“ sind, zeigt sich ein anderes Bild: Hier herrscht ein Diktat der Knappheit, werden Etats zurechtgestutzt, Prozesse „optimiert“, Ansprüche gekürzt. Das Lied vom Ende des Kapitalismus, es liegt wieder einmal auf den Lippen, wird hier und da angestimmt, geht im Raunen der Märkte und Mächtigen aber gleich wieder unter. Paradoxerweise führt die Dauerkrise der Ökonomie nicht zur Diskreditierung kapitalistischer Orientierungen, Leitbilder, Strukturmodelle und Koordinationsmechanismen, sondern fördert ganz im Gegenteil ihre Intensivierung und Verbreitung. Damit verschärft sich ein Trend, der spätestens seit den 1980er Jahren weltweit um sich greift und zur Transformation verschiedenster gesellschaftlicher Bereiche, von der Krankenbehandlung bis zur staatlichen Verwaltung, geführt hat.

Mit der Krise des Kapitalismus müsste eigentlich auch die Stunde der Soziologie, der Krisenwissenschaft der Moderne schlagen. Und an Beschreibungen der gegenwärtigen Lage mangelt es sicher nicht. Vielen Beobachtern, so Jürgen Kaube (2012: 331), drängt sich dabei der Eindruck auf, „dass der Kapitalismus keine Wirtschaftsform ist, sondern derjenige Teil der Gesellschaft, der alle anderen Teile und damit das Ganze dominiert. Der Schlüsselbegriff dafür lautet ‚Ökonomisierung‘.“ Mit dieser Einschätzung scheint es allerdings nicht weit her zu sein, denn „[i]nsgesamt wirkt das Konzept der Ökonomisierung aller Lebensbereiche [...] noch nicht gut durchdacht“, so etwa dann, wenn „auch die Zunahme von paarweisen Restaurantbesuchen gegenüber eigenem Kochen als Indiz für die Vermarktlichung der Liebe gedeutet wird“ (ebd.).

Der gegenwärtige gesellschaftliche Umbruch, so kann man die beiden vorangegangenen Beobachtungen zusammenführen, stößt auf ein Beobachtungsdefizit der Soziologie. Dieses Defizit zu bearbeiten, ist Absicht der vorliegenden Arbeit. Es wird ein soziologischer Begriff der Ökonomisierung entwickelt, mit dessen Hilfe ein klar umrissener Bereich – der Wandel der Bildungsorganisation Schule – auf Anzeichen für Ökonomisierungsprozesse untersucht wird. Darauf aufbauend modelliere ich erklärende Mechanismen der Ökonomisierung von Schulen. Mit Organisationen wird dabei eine zentrale Einrichtung moderner Gesellschaften, deren Stellenwert für das Verständnis der Gegenwart über theoretische Grenzen hinweg unstrittig ist (Coleman 1979, 1992; Luhmann 1998; Türk/Lemke/Bruch 2006; Weber 1922), fokussiert, mit Bildung ein gegenwärtig lebhaft diskutiertes Thema aufgegriffen. In einer Gesellschaft, die gleichzeitig als „Organisationsgesellschaft“ (Jäger/Schimank 2005) und als „Wissensgesellschaft“ (Jakobi 2007; Stehr 1999, 2001; Stichweh 2004; Willke 2001) beschrieben wird, in der dem Schulbesuch eine so große Bedeutung zugeschrieben wird, dass ihre Mitglieder im Zweifelsfall mit Polizeigewalt der Organisation Schule zugeführt werden, ist die Analyse der Veränderungsprozesse innerhalb dieser Organisation eine zentrale Aufgabe soziologischer Forschung. Im Folgenden gebe ich einen kurzen Überblick über die Argumentation.

Das erste Kapitel dient der theoretischen und empirischen Annäherung an das Phänomen der Ökonomisierung und kann auch als ein Überblick über die einschlägige Literatur gelesen werden. Im kritischen Diskurs über die gegenwärtigen gesellschaftlichen Veränderungen nimmt die Diskussion eines intellektuellen und politischen Projektes, das ausgehend vom angloamerikanischen Sprachraum die Welt erobert hat, eine zentrale Position ein: das Projekt des Neoliberalismus. Obwohl über dessen genaue Bestimmung noch keine Übereinkunft erzielt wurde, kann man als Kern des intellektuellen Projektes den mit starken individualistischen Positionen kombinierten Glauben an die Überlegenheit des Marktes identifizieren. Politisch wird dieser Glaube in Reformen übersetzt, die auf Deregulierung und Privatisierung setzen. Als zentrale Konsequenz wird die Ausweitung wirtschaftlicher Logiken in der modernen Gesellschaft identifiziert. Andere, nicht-ökonomische Logiken werden verdrängt, die Grenzen des Marktes immer weiter verschoben.

Um diese „Grenzverschiebungen“ oder auch „Grenzverletzungen“ auf den Begriff zu bringen, wird eine ganze Reihe von Begriffen vorgeschlagen. Neben dem schon von Kaube angeführten Begriff der Ökonomisierung, den ich im Weiteren dieser Arbeit zugrunde legen werde, diskutiere ich mit den Begriffen der Kommodifizierung und der Vermarktlichung die beiden meines Erachtens konkurrenzfähigsten Alternativen. In der Diskussion wird deutlich, warum der Begriff der Ökonomisierung vorzuziehen ist, daneben aber auch, dass er selbst noch nicht hinreichend spezifiziert worden ist.

Hier Abhilfe zu schaffen, ist dringend nötig. Ich gebe deshalb zunächst einen Überblick über empirische Forschungen zur Verschiebung ökonomischer Grenzen. Schon die Vielfalt der Bereiche, in denen Ökonomisierungsprozesse identifiziert werden, ist bemerkenswert. Ob es um die moderne Massenkultur oder den Tod, um Wissenschaft, Universitäten, Krankenhäuser geht, überall scheint die Ökonomie auf dem Vormarsch zu sein. Auffallend ist dabei, dass sich die Diskussion vor allem auf zwei Phänomene konzentriert. Zum einen wird die Ökonomisierung großer gesellschaftlicher Bereiche wie etwa der Kultur oder der Wissenschaft thematisiert, zum anderen die ökonomisch motivierte Restrukturierung von Organisationen wie eben Krankenhäusern oder Universitäten. Auf dieser Grundlage können die Kriterien entwickelt werden, denen ein soziologischer Begriff der Ökonomisierung genügen muss. Ich schlage vor, dass es genau drei solcher Bedingungen gibt: Ohne einen differenzierungstheoretischen Rahmen, ohne eine entwickelte Soziologie der Ökonomie und schließlich – aufgrund der gesellschaftlichen Bedeutung von Organisationen – ohne eine entwickelte Theorie der Organisation bleibt der Begriff der Ökonomisierung leer.

In der Basisdefinition von Uwe Schimank und Ute Volkmann (2008: 382) bezeichnet Ökonomisierung den Vorgang, bei dem Strukturen und Orientierungen der kapitalistischen Wirtschaft „gesellschaftlich wirkmächtiger“ werden. Will man ausgehend von dieser Definition eine Theorie der Ökonomisierung entwickeln, dann muss man sie sozial- und gesellschaftstheoretisch einbetten, die Frage beantworten, was man sich unter Orientierungen, Strukturen, Wirtschaft und Gesellschaft vorzustellen hat. Im zweiten Kapitel begebe ich mich deshalb auf einen theoretischen Rundgang, auf dem ich auf der Grundlage der im ersten Kapitel entwickelten Kriterien relevante sozialtheoretische Entwürfe auf ihre Eignung für eine Theorie der Ökonomisierung hin abklopfe. Die Soziologie bietet eine ganze Reihe von Ansätzen, die entsprechende Potenziale bereitstellen: Max Weber etwa mit seiner differenzierungstheoretischen Figur kultureller Wertsphären, der Bürokratietheorie und den Beschreibungen der modernen, kapitalistischen Wirtschaft; Pierre Bourdieu vor allem über seine Feldtheorie, die die Auseinandersetzungen in und zwischen den Feldern hervorhebt; schließlich Luc Boltanski und Laurent Thévenot, die eine Theorie pluraler Rechtfertigungsordnungen und entsprechender sozialer Welten entwickeln, die zur Koordination in Krisensituationen herangezogen werden. Während mit diesen Autoren zentrale Aspekte von Ökonomisierungsprozessen in den Blick kommen, haben sie doch auch eine Reihe von Defiziten, die weitere Suchbewegungen rechtfertigen. Mal sind ihre Konzepte zu nah an die Ökonomie angelehnt (Weber, Bourdieu), mal verfügen sie über keine ausgebaute Soziologie der Wirtschaft (Bourdieu) oder der Organisation (Bourdieu, Boltanski und Thévenot).

In der Variante der soziologischen Systemtheorie, die Niklas Luhmann entwickelt hat, findet man meines Erachtens dann eine Theorie, die allen an eine Theorie der Ökonomisierung gerichteten Anforderungen genügt. Sie verfügt zunächst über eine Theorie der Gesellschaft, die die Moderne als eine funktional differenzierte Gesellschaft beschreibt. Zudem stellt sie eine Theorie der modernen Wirtschaft sowie eine ausgearbeitete Organisationstheorie zur Verfügung. Der aus ihr entwickelte Begriff der Ökonomisierung unterscheidet Ökonomisierung mit der Systemreferenz Gesellschaft als der Steigerung der Relevanz ökonomischer Probleme, Codes, Programme und Medien gegenüber anderen Funktionssystemen der modernen Gesellschaft von Ökonomisierung mit der Systemreferenz Organisation als der Verschiebung der Gesellschaftsreferenzen organisationaler Strukturen hin zur Ökonomie.

Die theoretische Vorarbeit ist Bedingung jeglicher Analyse von Ökonomisierungsprozessen. Sie klärt auf über das, was man zu erwarten hat, wenn man nach Prozessen der Ökonomisierung sucht. Ausgestattet mit diesen Begriffen tappt man nicht mehr blind durch die gesellschaftliche Wirklichkeit, sie eröffnen theoretisch kontrollierte Einblicke in die Welt. Dieser Schritt in die „Wirklichkeit“ muss dann aber auch gegangen werden – andernfalls bleiben die Begriffe leer. Das dritte Kapitel reichert sie deshalb mit Beschreibungen von Transformationsprozessen des Bildungssystems an, dabei den Schwerpunkt auf den Wandel von Bildungsorganisationen legend. Hier stelle ich die Frage, inwiefern es überhaupt zu Ökonomisierungsprozessen von Schulen kommt.

Um diese Frage bearbeiten zu können, muss zunächst die systemtheoretische Vorfrage geklärt werden, wie das Bildungssystem eigentlich ausgestaltet ist, welches Problem, welcher Code, welche Programme und Medien es auszeichnen, und im Anschluss daran, welche traditionelle Strukturkonfiguration bei Bildungsorganisationen, besonders bei Schulen, zu erwarten ist. Daran anschließend skizziere ich den Wandel, der sich im deutschen Bildungssystem als Reaktion auf den sogenannten „PISA-Schock“ eingestellt hat: die Etablierung eines quantitativen Verständnisses der „Qualität“ von Bildung sowie der zu erwerbenden „Kompetenzen“, verbunden mit Prozessen der Standardisierung und den sich hinter dem Begriff der „Accountability“ verbergenden Kontrollmechanismen. Diese Veränderungen stellen einen relevanten Aspekt der Umwelt der Bildungsorganisation Schule dar, deren eigenen Wandel ich unter Berücksichtigung der Schulentwicklungsforschung auf der Grundlage der Ergebnisse des Forschungsprojektes „Bildungsarbeit im Umbruch?“ (vgl. Lohr/Peetz/Hilbrich 2013) beschreibe.1 Nach dem Überblick über die Veränderungen in den Organisationsstrukturen wird deutlich, dass man keinesfalls bereits von einer ökonomisierten Schule, von der Schule als Unternehmen sprechen kann. Dennoch kann man vereinzelt ökonomisierte Elemente identifizieren und auf dieser Basis die Frage nach existierenden Prozessen der Ökonomisierung und entsprechenden Entwicklungstendenzen stellen. Ein vergleichender Blick in den angloamerikanischen Raum zeigt dann die Richtung, in die sich Schule auch in Deutschland entwickeln könnte.

Nach Begriffsarbeit und Beschreibung des Phänomens steht eine soziologische Analyse vor der Aufgabe der Erklärung (Weber 1980). Diesem Erklärungsanspruch komme ich im vierten Kapitel durch die Modellierung von Mechanismen der Ökonomisierung nach. Mechanismen bestehen aus Komponenten und Relationen, deren Beschreibung die Frage klärt, wie es in einem System zu der Produktion von spezifischen Effekten – im gegebenen Fall: zur Verschiebung der Gesellschaftsreferenzen von Schulen – kommt. Ich identifiziere zwei Mechanismen, die schwache Effekte der Ökonomisierung produzieren: erstens, den Mechanismus der Schulentwicklung, der zu einer Verbreitung ökonomisierter Erwartungen von Schulleitungen an Schulen führen kann, und zweitens den Mechanismus der Quantifizierung, der durch die Kombination der Produktion von vergleichbaren Daten mit den Erwartungen von Schülerinnen2 und den professionellen Orientierungen von Lehrern zur Annahme quantifizierter Logiken durch das Lehrpersonal führt. Diskussionen alternativer, nicht in Prozesse der Ökonomisierung einbezogener Kandidaten für Mechanismen sowie der Ergebnisse im Allgemeinen schließen dieses Kapitel ab.

1 Im Rahmen dieses Forschungsprojektes, das von der Hans-Böckler-Stiftung finanziert wurde, habe ich die Gelegenheit bekommen, die vorliegende Arbeit anzufertigen. Die empirische Beschreibung in Kapitel 3.3 referiert die zentralen Ergebnisse des Projektes. Die Identifikation von Mechanismen der Ökonomisierung im vierten Kapitel beruht auf meiner eigenständigen Sekundäranalyse der dort erhobenen Daten.

2 Ich verwende die weibliche und die männliche Form alternierend.

1 Ökonomisierung – Diagnosen und Begriffe

Die uneinheitliche Verwendung von Begriffen ist ein weit verbreitetes Problem innerhalb der Sozialwissenschaften. Sie ist als Problem aber auch nicht überzubewerten, zumindest dann nicht, wenn man sich von der Suche nach der einen, großen, absoluten Erzählung, die heute und für alle Zeit klärt, was das denn ist, „Gesellschaft“, abgewendet hat. In manchen Fällen ist die Begriffsverwirrung aber dann doch zu groß. Das gilt z.B. für das Verständnis von „Ökonomisierung“. Das liegt nicht nur daran, dass eine Vielzahl funktional äquivalenter Konzepte im Angebot ist, die mal mehr, mal weniger schillern: „Kommodifizierung“, „Vermarktlichung“, „Kommerzialisierung“, „Monetarisierung“, „Privatisierung“ usw. Begriffspluralismus als solcher ist kein Hindernis, sondern eher eine Einladung zu präziser Begriffsverwendung. Aber wenn diese Begriffe nicht kontrolliert eingesetzt werden, dann verschwimmt hinter terminologischen Verschiebungen die Einheit des Phänomens selbst.

Die präzise Verwendung von Begriffen ist eine Funktion von theoretischer und empirischer Arbeit. Zuerst sorgt die Ausarbeitung eines Begriffs innerhalb eines theoretischen Rahmens für Genauigkeit, da sie gewisse Verwendungen ausschließt, Relationen zu anderen Begriffen herstellt und so ein Vokabular zur Verfügung stellt, das nicht beliebig austauschbar ist. Im Anschluss daran wirft die empirische Arbeit nicht nur Licht auf die sogenannte Wirklichkeit, sondern stellt vor allem ein Hindernis dar, einen Widerstand für allzu einfache theoretische Manöver, Glättungen, Spekulationen oder angebliche begriffliche Innovationen.

In diesem Kapitel geht es darum, einen ersten Schritt in Richtung Begriffskontrolle zu unternehmen und zu überlegen, welchen Kriterien ein inhaltlich reicher Begriff der Ökonomisierung entsprechen sollte. Ich beginne mit einem Überblick über Zeitdiagnosen, die in der Transformation der Gesellschaft den „Neoliberalismus“ am Werk sehen. Die Literatur zum Thema beschreibt sich selbst überwiegend als kritisch und hat das Verdienst, dass sie einen gesellschaftlichen Sachverhalt deutlich benennt: Die Verschiebung oder Ausweitung der Grenzen der Ökonomie gegenüber dem Rest der Gesellschaft. Was das theoretisch und empirisch bedeutet, bleibt aber im Dunkeln.

Im Anschluss daran diskutiere ich die drei prominentesten Konzepte, die diese Grenzverschiebungen begrifflich fassen sollen: Kommodifizierung, Vermarktlichung und Ökonomisierung. In der Diskussion wird klar, dass es sinnvoll ist, vom Begriff der Ökonomisierung auszugehen. Sobald die Entscheidung für den Begriff gefallen ist, wird der Raum sondiert, auf den er sich bezieht. Welche gesellschaftlichen Phänomene werden mit Hilfe der Konzepte beschrieben? Schließlich schlage ich drei Kriterien vor, denen ein soziologischer Begriff der Ökonomisierung entsprechen sollte. Damit leite ich zum zweiten Schritt der Begriffskontrolle über, der Entwicklung eines gesellschaftstheoretisch eingebetteten Begriffs der Ökonomisierung, die Gegenstand des nächsten Kapitels sein wird.

1.1 Diagnose: „Neoliberalismus“

Die Diagnose „Neoliberalismus“ gehört zum Standardrepertoire kritischer Kritiker der gegenwärtigen Gesellschaft. Im Allgemeinen wird der Begriff verwendet, um eine spezifische Etappe in der historischen Entwicklung kapitalistischer Gesellschaften zu bezeichnen. Nach der durch primäre Akkumulation gekennzeichneten frühkapitalistischen Phase (Bechtle/Sauer 2003: 38ff.; Dörre 2009a: 36ff.), der Etablierung und Festigung kapitalistischer Herrschaft im Zeitalter der Industrialisierung und dem weit in die 1960er Jahre hineinreichenden Spätkapitalismus bzw. Fordismus, der durch tayloristische Massenproduktion und die korporatistisch organisierte Einhegung und Absicherung der Kapitallogik gekennzeichnet war (vgl. Hirsch/Roth 1986; Lüscher o.J. [1988]), zeichnet sich seit geraumer Zeit erneut ein gesellschaftlicher Umbruch ab. Für die Kennzeichnung der nun heraufziehenden Phase des Kapitalismus zirkulieren eine ganze Reihe von Begriffen. Mal wird die Differenz zur (mehr oder weniger) vergangenen Phase des Fordismus betont und der Postfordismus ausgerufen (vgl. Lipietz 1997), mal die Bedeutung der Finanzmärkte für die neue Gesellschaftsformation hervorgehoben und vom „Finanzmarkt-Kapitalismus“ gesprochen (Dörre/Brinkmann 2005; Windolf 2005), dann aber auch und vor allem vom Neoliberalismus.

Da der Begriff „[a]llzuhäufig [...] weniger analytisch als vielmehr als bloßes Etikett benutzt [wird], um [...] ‚das Böse‘ in der Sozialpolitik sprachlich dingfest zu machen“, ist bei seiner Verwendung Vorsicht angebracht, denn das „Verdikt des ‚Neoliberalismus‘ verkommt dann leicht zu einer ritualhaft in Anspruch genommenen Chiffre für ‚sozialstaatsfeindliche‘ Umtriebe aller Art, und nicht selten operieren entsprechende Diskurse [...] am Rande des Verschwörungstheoretischen“ (Lessenich 2008: 13). Man kann also leicht aus dem wissenschaftlichen Diskurs rutschen, wenn man das Konzept benutzt. Man kann aber auch versuchen, genauer hinzusehen und herauszufinden, was hier festgestellt wird. Was ist also Neoliberalismus?3

Bernd Röttger (2008: 91) charakterisiert den Prozess der Neoliberalisierung als einen „Modus der Transformation der kapitalistischen Produktionsweise, die sich durch ökonomische, soziokulturelle und arbeitspolitische Regulationsverhältnisse hindurch organisiert und reproduziert“. Er mündet in eine „Kommodifizierung von gesellschaftlichen Bereichen, die bisher nicht oder nicht in diesem Ausmaß dem Kapitalverhältnis unterworfen, also nach Prinzipien der Warenförmigkeit organisiert waren“ (Resch/Steinert 2009: 274). Generell kann man dabei zwischen zwei Parallelbewegungen unterscheiden. Zum einen ist da das ideologische Projekt des Neoliberalismus, in dem eine spezifische Vorstellung von Gesellschaft entwickelt und auf unterschiedlichen Wegen mehr oder weniger aggressiv vertreten wird. Daneben und mit dem intellektuellen Projekt verknüpft gibt es aber zum anderen auch ein politisches Projekt, das ausgehend vom angloamerikanischen Raum über den Planeten wuchert. „Neoliberalization has in effect swept across the world like a vast tidal wave of institutional reform and discursive adjustment.“ (Harvey 2007: 23)

Die intellektuellen Quellen der neoliberalen Ideologie liegen sowohl in Europa als auch in den Vereinigten Staaten (vgl. z.B. Ptak 2009; Walpen 2000); den Ausgangspunkt der weltweiten Expansion stellt aber das Department of Economics an der University of Chicago dar (vgl. Horn/Mirowski 2009). Die politischen und ökonomischen Ideen, die mit dem Etikett des Neoliberalismus belegt werden, – etwa die des deutschen Ordoliberalismus, Hayeks, von Mises’ oder Friedmanns (vgl. Ptak 2008) – sind nicht einheitlich, es gibt Fraktionen und Strömungen innerhalb dieses Diskurses, eine generelle Stoßrichtung ist aber dennoch identifizierbar. Neoliberales Denken propagiert die Ausweitung der ökonomischen Rationalität auf alle Lebensbereiche, basiert auf einem radikalen Individualismus, predigt den Markt als „ethisches Prinzip“ (ebd.: 26ff., hier: 31) und fordert entsprechend, die Staatstätigkeit zu minimieren (vgl. Thorsen 2010: 203f.).4

Ideen spielen in der Entwicklung und Verbreitung des Neoliberalismus eine zentrale, wenn nicht entscheidende Rolle (Hall/Lamont 2013; Somers/Block 2005). Neben ideologischen Faktoren sind aber ebenso „real-world events“, vor allem Finanzkrisen und historische Muster der Bearbeitung gesellschaftlicher Konflikte, von Bedeutung (vgl. Fourcade-Gournichas/Babb 2002: 569). Generell wird der Ölkrise von 1973, die dem wirtschaftlichen Aufschwung der Nachkriegszeit ein Ende gesetzt hat und im Rahmen der damals gängigen keynesianischen Wirtschaftspolitik nicht mehr bearbeitet werden konnte, eine Schlüsselstellung zugeschrieben (vgl. Crouch 2011: 34; Evans/Sewell 2013: 41ff.; Harvey 2005: Kapitel 1). Das neoliberale Realexperiment in der Diktatur Pinochets diente aufgrund anfänglicher Erfolge als Vorbild für andere Staaten (Harvey 2007: 26). Mit dem wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Schwenk, den das Vereinigte Königreich und die Vereinigten Staaten unter Margaret Thatcher bzw. Ronald Reagan vollzogen, war dann der „kritische Moment“ (Centeno/Cohen 2012: 324) erreicht, der zum realpolitischen Durchbruch des Neoliberalismus führen sollte. Um der Wachstumskrise der Realökonomie zu begegnen, wurden zunächst die internationalen Finanzmärkte liberalisiert (Deutschmann 2011: 354). Neoliberale Politiken etablierten außerdem „taxation structures that favour capital accumulation over income redistribution, industrial policies that minimize the presence of the state in private industry, and retrenchment in welfare spending“ (Prasad 2006: 4f.). Das Projekt des Rückzugs des Staates wird unter anderem über die Privatisierung öffentlicher Einrichtungen angegangen. Privatisierung verspricht in den Augen ihrer Befürworter neben einer „Entlastung des Staatshaushalts“ vor allem auch eine „höhere Qualität“ der Leistungserstellung (Engartner 2008: 97).

Die Diffusionsprozesse, die zu einer weltweiten Verbreitung neoliberalen Denkens und neoliberaler Politiken führen, werden durch nationale Institutionen gebrochen (vgl. Fourcade-Gournichas/Babb 2002; Evans/Sewell 2013: 48ff.).5 Im Fall der Bundesrepublik Deutschland muss man deshalb die spezifischen historischen und institutionellen Voraussetzungen berücksichtigen. Rückblickend kann man feststellen, dass die Einbindung der deutschen Wirtschaft in Globalisierungsprozesse sowie der Institutionentransfer im Zuge der Deutschen Einheit das traditionelle Modell des koordinierten Kapitalismus in Deutschland unter Druck gesetzt haben (Streeck 1997: 43ff.). Es war aber nicht die konservative Regierung Kohl, die die Türen zum Neoliberalismus aufstieß. Trotz einschlägiger Versuche waren die Institutionen des Korporatismus hier noch zu stabil, sodass „many free market reforms were suggested and attempted [...], very few were implemented“ (Prasad 2006: 232; vgl. Menz 2005: 41ff.).6 Das geschah eigentlich erst in der Zeit der ersten rot-grünen Bundesregierung und hier vor allem durch den Umbau wohlfahrtsstaatlicher Institutionen, die mit dem Namen Peter Hartz’ verbunden werden (Bernhard/Münch 2011: 177ff.). Im Zuge der Finanzkrise von 2008 und der Rettung angeschlagener, „systemrelevanter“ Banken hat sich die Situation in der Bundesrepublik erneut verschärft, da sie zu einem Anstieg der Staatsverschuldung geführt und damit den politisch verfügbaren Anteil des Staatshaushalts weiter gesenkt hat (Streeck 2010).

Der neoliberale Staat zieht sich also aus der Finanzierung ehemals öffentlicher Leistungen zurück, kürzt Sozialausgaben und unterwirft sich der Ideologie des Marktes. Er nimmt so eine aktive Rolle in einem Prozess ein, der in die „Angleichung von privatem und öffentlichem Sektor“ mündet (Le Galès/Scott 2009: 9). In diesem Prozess werden Begrenzungen, die wirtschaftlichen Überlegungen und Praktiken gezogen wurden, verschoben, untergraben oder aufgelöst. Es sind diese Grenzverletzungen, die von vielen Beobachtern als skandalös oder zumindest als kritikwürdig betrachtet werden. Die Voraussetzung einer solchen Diagnose besteht in der Annahme unterschiedlicher gesellschaftlicher Bereiche, deren Beziehungen durch den Prozess der Neoliberalisierung verändert werden.7 Eine (kritische) Soziologie der gegenwärtigen Gesellschaft kann an diese Beschreibungen anschließen, darf hier aber noch nicht stehen bleiben. Die Rolle des Staates bei diesen gesellschaftlichen Veränderungsprozessen zu betonen, ist zwar von großer Bedeutung, spielt er doch eine entscheidende Rolle in der Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums. Außerdem setzt er durch kollektiv bindende Entscheidungen den Rahmen für die vielfältigsten Versuche, diese Gesellschaft einzurichten. Das Auflösungsvermögen dieser Analyse ist jedoch begrenzt. Dies liegt vor allem daran, dass mit relativ einfachen Unterscheidungen wie privat/öffentlich oder Staat/Wirtschaft/Gesellschaft gearbeitet wird. Man kann mit Hilfe dieser Unterscheidungen zwar feststellen, dass es zu sozialen Grenzverschiebungen kommt, wird aber über die Spezifik der Veränderungsprozesse in unterschiedlichen Kontexten im Unklaren gelassen. Um den Sachverhalt weiter aufzuklären, gehe ich daher einen Schritt weiter und diskutiere die Begriffe, die zur Bezeichnung der hier interessierenden Grenzverschiebung benutzt werden. Im Anschluss daran kann man mit einem Blick auf die empirische Forschung genauer eingrenzen, was Gegenstand der Untersuchung werden soll.

3 Diese Frage stellen auch Mudge (2008) und Thorsen (2010).

4 Loïc Wacquant (2010, 2012) kritisiert wirtschaftszentrierte Definitionen des Neoliberalismus. Er betont, dass die wirtschaftliche Zurückhaltung des Staates von verstärkter Regulierung im Bereich der Wohlfahrt sowie einem Ausbau des Strafapparates begleitet wird. Dass es nicht sinnvoll ist, den Neoliberalismus mit dem politischen Liberalismus zu identifizieren, betont auch Wendy Brown (2006: 695); auf postdemokratische Zustände weist Colin Crouch (2008) hin, und Wolfgang Streeck (2013) sieht in der von der Europäischen Union vorangetriebenen Liberalisierung der Märkte den Wandel vom Steuer- über den Schulden- zum Konsolidierungsstaat, in dem der Staatsbürger seine Souveränität an den Marktbürger abtritt.

5 Vgl. allgemein zur Verbreitung liberaler Ideen besonders seit den 1980er Jahren Simmons et al. (2006).

6 Unter die durchgesetzten Vorhaben fallen allerdings die Privatisierung der Post (1995) und der Deutschen Bahn (1994). Vgl. zu den Privatisierungen in der Bundesrepublik den Überblick bei Engartner (2008: 108ff.).

1.2 Konzepte: Kommodifizierung, Vermarktlichung, Ökonomisierung

Wenn man das Verhältnis der Ökonomie zum Rest der Gesellschaft thematisieren und sich dabei auf genau die Prozesse konzentrieren will, die zu der Verschiebung wirtschaftlicher Grenzen führen, kann man auf ein umfangreiches theoretisches Vokabular zurückgreifen. Ich werde im Folgenden drei Begriffe diskutieren: „Kommodifizierung“, „Vermarktlichung“ und schließlich „Ökonomisierung“. Sie haben gegenüber den durch diese Auswahl ausgeschlossenen Alternativen8 den Vorteil, dass sie in den aktuellen Debatten relativ häufig verwendet werden und sich gesellschaftstheoretische Anschlussmöglichkeiten erahnen lassen.

Kommodifizierung

„Kommodifizierung“ wird als Schlagwort in vielfältigen Kontexten verwendet: zum Beispiel im Umweltrecht (Salzmann/Ruhl 2000), dem Management von Universitäten (Willmott 1995) oder mit Bezug auf die kommerzielle Nutzung des Körpers und seiner Einzelteile (Sharp 2000). Besonders prominent ist der Begriff im sozialpolitischen Diskurs, dort vor allem bei Gøsta Esping-Andersen, der die de-kommodifizierende Funktion des Wohlfahrtsstaates, der die Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums von individuellem Erfolg am Arbeitsmarkt teilweise entkoppelt, hervorgehoben hat (vgl. Esping-Andersen 1998). Immer geht es dabei darum, dass Dinge, Leistungen oder Beziehungen zur Ware gemacht werden. Klingt einfach, ist es aber nicht, denn hier liegen verborgene metaphorische Fallstricke. Man kann zum Beispiel relativ sorglos von der Kommodifizierung von Intimbeziehungen sprechen, aber „[s]chon der selbstverständlich daherkommende Begriff ‚Partnerwahl‘ kann in tiefes Nachdenken stürzen. Waren, die sich gegenseitig kaufen, sind ökonomisch ebenso bemerkenswert wie es soziologisch die Berechenbarkeit erotischer Kapitalverzinsung wäre, ganz abgesehen von der Schwierigkeit, in Intimbeziehungen ungleichen Tausch zu vermeiden“ (Kaube 2012: 331).

Ein guter Ausgangspunkt für die Diskussion ist die Definition des Begriffs der Ware, die der Kulturanthropologe Arjun Appadurai (1986: 9, Herv. weggel.) vorgeschlagen hat, der zufolge eine Ware jegliches Ding ist, das „is [...] intended for exchange“.9 Wim van Binsbergen (2005: 46) schließt direkt an diese Formulierung an, wenn er Kommodifizierung als den Vorgang begreift, bei dem ein Objekt „becomes a commodity, is commoditized, through ‚exchange‘, i.e. through a process of detachment, in space and time, from the immediacy and multiplex nature of the total network of social relations in which a person’s specific form of access to a specific item in the surrounding world is generally embedded – replacing such access by generalized exchangeability and convertibility.“ Dabei geht es nicht lediglich um die bloße Weitergabe von Dingen, sondern um eine spezifische Form, in der dieser Austausch stattfindet. Dinge werden erst zu Waren durch ihren Austausch auf Märkten, die von der Rücksichtnahme auf direkte soziale Beziehungen befreit sind, d.h. auf entbetteten Märkten (vgl. Polanyi 1944: 87ff.). Wenn von Kommodifizierung die Rede ist, dann geht es also darum, dass eine spezifische Form wirtschaftlichen Handelns, nämlich Markttausch, in neuen Bereichen angewendet wird.

Eine erste Form von Kommodifizierung findet dann statt, wenn Dinge, die nicht für den Austausch selbst produziert wurden, als „fiktive Waren“ zum Verkauf angeboten werden (vgl. ebd.: 102ff.). Dieser erste Kommodifizierungsschub ist identisch mit dem Prozess der Herausbildung der sogenannten „Marktgesellschaft“, die „alle Elemente wirtschaftlicher Tätigkeit, einschließlich Arbeit, Boden und Geld, umfassen“ muss, wobei ursprünglich „[k]einer dieser Faktoren [...] produziert [wird], um verkauft zu werden“ (ebd.: 106, 108). Von hier ausgehend ist es möglich, die Ausbreitung der Marktgesellschaft über Kommodifizierungsprozesse zu verfolgen, zum Beispiel über die Einbeziehung kultureller Produkte in die „Kulturindustrie“ (Horkheimer/Adorno 1944). Fluchtpunkt dieser Entwicklung wäre eine Gesellschaft, in der die Warenform konstitutiv für alle zwischenmenschlichen Beziehungen ist – für Georg Lukács (1968) war das bereits im Kapitalismus der Fall. Ob dem tatsächlich so ist, ist allerdings fraglich, da es auch heute noch viel Raum für anders geformte, nicht marktförmige und geldvermittelte Beziehungen gibt (vgl. Williams 2002, 2004).

Aber ganz abgesehen von der empirischen Frage, wie weit es mit der Kommmodifizierung tatsächlich schon gekommen ist, kann man auch die eher theoretisch-konzeptuelle Frage nach dem Stellenwert des Begriffs in der Analyse wirtschaftlicher Grenzverschiebungen aufwerfen. Sicher ist es mit seiner Hilfe möglich, ein bedeutendes Element von wirtschaftlichen Prozessen – die Ausbreitung der Warenform – zu untersuchen. Aus soziologischer Perspektive könnte es aber sinnvoll sein, den Begriff der Vermarktlichung vorzuziehen.10 Analytisch scheint er ohnehin vorgängig zu sein: Waren wurden definiert als Produkte, die für den geldvermittelten Markttausch produziert werden. Ohne Waren sind zwar keine Märkte vorstellbar; die Existenz eines Koordinationsmechanismus, der Dinge mit Preisen belegt und sie so in ein Wertverhältnis zueinander bringt, ist aber eine notwendige Voraussetzung der Orientierung der Produktion auf Warenproduktion (vgl. Marx 1998: 51). Folgt man diesem Argument, dann könnte man unter Vermarktlichung die Ausweitung des tauschwirtschaftlichen Strukturprinzips auf immer neue Bereiche verstehen und Kommodifizierung als die Konsequenz dieser Transformation für Objekte auffassen.

Vermarktlichung

In der sozialwissenschaftlichen Diskussion bezeichnet der Begriff der Vermarktlichung einen doppelten Vorgang: einerseits die Verbreitung von Semantiken, die den Glauben, „that markets are of superior efficiency for the allocation of goods and resources“, propagieren, andererseits aber auch die Transformation gesellschaftlicher Strukturen durch „policies fostering the emergence and development of markets and weakening, in parallel, alternative institutional arrangements“ (Djelic 2006: 53). Der Prozess der Vermarktlichung hat damit sowohl kulturelle bzw. semantische als auch strukturelle und politische Dimensionen. In der Analyse von Vermarktlichungsprozessen muss man deshalb neben der Analyse von Semantiken wie der sich ausbreitenden Ideologie des Neoliberalismus auch die politischen Prozesse der Institutionenbildung berücksichtigen sowie die Rolle, die spezifische politische Akteure in ihnen spielen (Czada 2003) – und das gilt nicht nur für nationalstaatliche Institutionen, sondern auch für die Mikropolitik in Organisationen. Der Begriff der Vermarktlichung wird in der deutschen Arbeitssoziologie vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Globalisierung und zunehmender Konkurrenz – zwischen Nationalstaaten aber auch zwischen einzelnen Unternehmen – diskutiert. Auf diese Auseinandersetzungen werde ich mich im Folgenden konzentrieren.

Mit Blick auf die Seite der Kultur wurde festgestellt, dass „die Umbrüche in der Arbeitswelt nur verständlich [werden] vor dem Hintergrund einer sich ausbreitenden ‚Kultur des Marktes‘, mit der quasi Bedürfnisse von unten in spezifischer Art und Weise inwertgesetzt werden“ (Candeias 2001: 169). Diese Kultur ist geprägt vom „Neoliberalismus als Ideologie“, dessen „Hegemonie“ von einem „[i]mmer ausgedehntere[n] Konsumismus und de[m] Fetisch der neuen Technologien befestig[t]“ wird (ebd.: 171). Der Fokus der Diskussion liegt allerdings eher auf der Frage, wie die strukturellen Veränderungen in der Arbeitswelt zu interpretieren sind. Hier ist bemerkenswert, dass „der Markt“ zwar immer wieder auftaucht, ja geradezu beschworen, aber selten expliziert wird. In den empirischen Analysen wird er als mehr oder weniger gegeben und unproblematisch vorausgesetzt (vgl. z.B. Sauer 2005; Sauer/Döhl 1997). Eine theoretische Auseinandersetzung, zum Beispiel mit Bezug auf relevante Diskussionen innerhalb der Wirtschaftssoziologie, findet kaum statt.11 Generell geht es in der Debatte darum, dass neuere Organisationskonzepte darauf abzielen, „den Markt zum Motor der permanenten Reorganisation der Binnenstrukturen“ (Sauer/Boes/Kratzer 2005: 324) von Unternehmen zu machen – der Fokus wird also auf Wirtschaftsorganisationen gerichtet, die stärker als bisher den Dynamiken von interorganisationalen Märkten ausgesetzt sind und als Reaktion darauf ihre Strukturen mit marktförmigen Steuerungsmechanismen ausstatten. Als ein Beispiel für die Verwendung des Konzepts in der Forschung mag die empirische Studie von Kira Marrs zur Steuerung von Dienstleistungsarbeit dienen, die die Einführung eines marktzentrierten Kontrollmodus mit Bezug auf Sauer und Döhl (1997) über die „verstärkte Ausrichtung an Märkten“, „Zentralisierung strategischer Entscheidungen“ und „Dezentralisierung operativer Entscheidungen“ fasst (Marrs 2008: 25f.). Dabei bleibt der Begriff des Marktes aber seltsam vage: Er wird entweder als Orientierungspunkt schlicht vorausgesetzt oder mit dem Verweis der Doppelbewegung von Entscheidungszentralisierung bzw. -dezentralisierung in seiner Funktionsweise unterbestimmt. Ein weiteres Beispiel ist die Studie von Hildegard Maria Nickel et al. (2008: 31ff.) zu Subjektivierung und Unsicherheit in der Deutschen Bahn AG, die mit Bezug auf Lehndorff und Voss-Dahm (2006) die Verstärkung von externen und internen Konkurrenzbeziehungen, Kennziffernvorgaben und der direkten Konfrontation mit Kunden als Kennzeichen der Vermarktlichung ausweist. Auch wenn dies alles zutrifft, Personen in Unternehmen also tatsächlich verstärkt mit Kunden, Kennziffern und Konkurrenz konfrontiert werden, kann man sich fragen, ob es wirklich sinnvoll ist, den Begriff der Vermarktlichung hierfür zu bemühen. Für diese Zweifel gibt es mindestens zwei Gründe.

Als erstes kann man daran zweifeln, ob es sich bei den skizzierten Phänomenen wirklich um Prozesse der Vermarktlichung handelt, ob also tatsächlich soziale Koordination über Marktmechanismen stattfindet oder nicht vielleicht doch über alternative Koordinationsmodi. Informativ ist in diesem Zusammenhang die Debatte um soziale Koordinationsmechanismen, in der zum Beispiel Helmut Wiesenthal (1999, 2000) den Markt von den funktionalen Äquivalenten Gemeinschaft und Organisation (gemeint ist: Hierarchie) unterscheidet.12 Im Anschluss daran kann man die Funktionsweise der einzelnen „Koordinationsmedien“ charakterisieren und ihre Besonderheiten herausarbeiten. Wiesenthal (1999) spricht vom Markt als einem „Wettbewerb um Tauschgelegenheiten“ – aber auch hier gibt es natürlich Alternativen.13 Wichtig ist hier nur, dass der Bezug auf die Literatur zu Koordinationsmedien Kriterien an die Hand gibt, um Prozesse der Vermarktlichung von anderen sozialen Veränderungen zu unterscheiden. Die Zentralisierung von Entscheidungsgewalt im Fall von strategischen Entscheidungen kann man zum Beispiel eher mit Alternativen wie „Hierarchie“ oder „Organisation“ in Verbindung bringen. Die Dezentralisierung von Entscheidungskompetenzen ist ihrerseits nicht eindeutig dem Begriff der Vermarktlichung zuzuordnen, da dezentrale Entscheidungen nicht zwingend über Wettbewerb (oder dessen begriffliche Alternativen bei anderen Autoren) koordiniert werden müssen, sondern auch auf gemeinschaftliche Koordination hinauslaufen können. Und die Konfrontation von Personen oder Unternehmenseinheiten mit Kennziffern durch Vorgesetzte ist nichts anderes als eine Art hierarchischer Anweisung, wenig detailliert und an Vergleichspreisen orientiert, aber eben doch eine Anweisung.

Der zweite Zweifel an der Tauglichkeit des Begriffs der Vermarktlichung für die weitere Analyse bezieht sich auf die Frage, ob sich mit ihm das Problem der Grenzverschiebung hinreichend genau und umfassend bezeichnen lässt. Die Begriffe, die bisher zur Charakterisierung des Marktbegriffs verwendet wurden – Wettbewerb, Konkurrenz, Tausch – sind nämlich in gewisser Weise unterbestimmt. So argumentiert zum Beispiel Hartmut Rosa (2006: 103), dass Wettbewerb ein durchaus vielfältiges Phänomen ist, und „Kriterien, die den Zielsetzungsentscheidungen in den einzelnen Sozialsphären zugrundegelegt“ werden, vom Wettbewerb nicht zwingend beeinträchtigt werden müssten. Mit ähnlichen Konsequenzen wird der Begriff der Konkurrenz von Georg Simmel (1995b) als ein relativ allgemeiner Mechanismus des indirekten Kampfes beschrieben, was es auch ermöglicht, ihm eine „konstitutive[] Bedeutung“ (Mannheim 1964: 566, Herv. weggel.) für kulturelle Sachverhalte zuzuschreiben. Es muss sich bei dem Markt also um eine besondere Form der Konkurrenz oder des Wettbewerbs handeln. Nur um welche?

Dass der Begriff des Austauschs nicht ausreicht, um den Begriff der Kommodifizierung zu bestimmen, wurde oben festgestellt. Deshalb wurde der Umweg über den Begriff des Marktes eingeschlagen. Das führt zwar weiter, begrifflich aber auch in eine Sackgasse: Konkurrenz und Wettbewerb sind keine genuin wirtschaftlichen Phänomene und tragen deshalb wenig zur Aufklärung wirtschaftlicher Grenzverschiebungen bei. Man müsste also versuchen, den Sinn des Marktes noch einmal genauer zu fassen. Und das kann man tun, indem man ihn nicht als ein allgemeines soziales Phänomen ausweist, sondern inhaltlich als ein wirtschaftliches Phänomen bestimmt. Prozesse der Vermarktlichung wie auch der Kommodifizierung wären damit wirtschaftliche Prozesse, also Prozesse der Ökonomisierung.

Ökonomisierung

Damit bin ich beim dritten und umfassendsten Begriff angekommen, dem Begriff der Ökonomisierung. Auch dieser Begriff ist schwammig, seine „Klärungsbedürftigkeit“ (Manzeschke 2011) ist bekannt. Zusätzlich steht er unter Tautologieverdacht: Was kann man gewinnen, wenn man die Verschiebung der Grenzen der Ökonomie, die in der Diskussion um den Neoliberalismus als ein problematisches und zu erklärendes soziales Phänomen identifiziert wurde, als Ökonomisierung beschreibt?

Die Begriffsgeschichte macht von Mill über Marx bis Mises das Thema der Produktivitätssteigerung als zentrales Moment des Konzepts aus (Manzeschke 2011). So bestimmt ist der Begriff allerdings, wie die am Austausch orientierte Konzeptualisierung von „Kommodifizierung“, zu unspezifisch, um das hier interessierende Phänomen zu fassen. Eine Alternative dazu wird von Matthias Kettner (2011: 8) vorgeschlagen, der neben einem auf Effizienzsteigerung abstellenden allgemeinen Begriff der Ökonomisierung einen spezifischen Begriff der „Kommerzialisierung“ verwendet, der jene Produktivitätssteigerung bezeichnet, die auf „einen monetären Geschäftsgewinn“ zielt. Ähnlich argumentiert Rick Vogel (2007: 157), der drauf hinweist, dass die Optimierung von Zweck-Mittel-Relationen allein nicht als Ökonomisierung verstanden werden kann. Er empfiehlt, die Orientierung an Geld als ein zusätzliches Kriterium zu betrachten, denn die „spezifisch ökonomische Bewertungseinheit von Zwecken und Mitteln ist die des Geldes“ (ebd.). Ökonomisierung wäre damit gleich Monetarisierung.14

Einen Schritt über diese Arbeiten hinaus geht der Versuch von Michel Callon, mit dem Begriff der Ökonomisierung die performative Hervorbringung des Ökonomischen auf den Begriff zu bringen. Der Begriff „is used to denote the processes that constitute the behaviours, organizations, institutions and, more generally, the objects in a particular society which are tentatively and often controversially qualified, by scholars and/or lay people, as ‚economic‘“ (Çalişkan/Callon 2009: 370). Wie Callon (1998) schon mit Bezug auf den Begriff des Marktes gezeigt hatte, ist die Wirtschaft nicht unabhängig von der Leistung der Akteure zu denken, die in Netzwerken an der Herstellung der strukturellen Organisation des Marktes, marktlicher Akteure sowie marktlicher Prozesse arbeiten. Es geht hier also darum, wie die Wirtschaft als ein unterscheidbarer gesellschaftlicher Bereich in und durch die Praktiken der Akteure hergestellt wird. Das Geld spielt auch hier eine zentrale Rolle, denn „it provides the currency, the standard, the common language which enables us to reduce heterogeneity, to construct an equivalence and to create a translation“ zwischen heterogenen Elementen (Callon 1998: 21f.).

Daneben versuchen einige Autoren, auch das Potential von gesellschaftstheoretischen Überlegungen zur Konzeptualisierung des Begriffs zu nutzen. So spricht zum Beispiel Sighard Neckel in Anlehnung an Max Weber von Ökonomisierung als dem „Einbruch jeglicher Sphärentrennung“ (Neckel 2010: 12) und sieht sie dann für gegeben an, wenn „die Eigensinnigkeit zweckrationaler Erwerbskalküle“ (Neckel 2001: 253) die Eigenlogik von Wertsphären unterminiert. So ist der Begriff der Ökonomisierung allerdings noch zu eng an den Begriff der Zweckrationalität gebunden, dem – darauf hat Rick Vogel (2007: 156) hingewiesen – „das spezifisch Ökonomische abgeht“.15

Einige Autoren schließen an die Gesellschaftstheorie Niklas Luhmanns an, um Ordnung in das Wirrwarr um den Ökonomisierungsbegriff zu bringen. Franz Kasper Krönig (2007) argumentiert, dass man den Begriff der Ökonomisierung aus einer systemtheoretischen Perspektive nicht als Grenzüberschreitung interpretieren kann, sondern systemintern konzeptualisieren muss. Sein Vorschlag dazu lautet, Ökonomisierung als eine Form der Nebencodierung und Nebencodierung als Umwandlung von analogem Rauschen in digitale Informationen zu denken (ebd.: 29ff.). Während dieser Entwurf Orthodoxie und begriffliche Spekulation verbindet, versuchen andere Autoren die Integration konkurrierender Theorien in einen systemtheoretischen Rahmen. So Peter Richter, der die Webersche Rationalisierungstheorie und Elemente der Ungleichheitssoziologie Bourdieus mit Luhmanns Theorie der funktional differenzierten Gesellschaft verbindet. Er beschreitet in diesem Zusammenhang einen „Analysepfad über Organisationen der Gesellschaft“ und versteht entsprechend gesellschaftliche Ökonomisierung „als Ökonomisierung von, in und zwischen Organisationen sowie von organisationalen Feldern“ (Richter, P. 2009: 46), baut sein Argument dann aber doch zu nah am Konzept der Zweckrationalität (ebd.: 57).16 Einen weiteren interessanten Versuch hat Bob Jessop (2011) vorgelegt, der entgegen allen gängigen Erwartungen von Freunden und Feinden des historischen Materialismus und der Systemtheorie zeigt, dass beide durchaus gut miteinander auskommen könnten. Dabei verwendet er den Begriff der „ecological dominance“ und bezieht sich damit auf die „capacity of a given system in a self-organising ecology of self-organising systems to imprint its logic on other systems’ operations [...] to a greater extent than other systems can impose their respective logics on that system“ (Jessop 2012: 14). Mit Bezug auf Luhmann sowie auf den Begriff der fiktiven Ware von Karl Polanyi versucht er damit, das marxistische Konzept der letztendlichen ökonomischen Bestimmung gesellschaftlicher Sachverhalte zu konzeptualisieren, ohne dabei einem ökonomistischen Determinismus zu verfallen.

Uwe Schimank hat in Zusammenarbeit mit Ute Volkmann das bislang überzeugendste theoretische Konzept der Ökonomisierung vorgelegt. Sie bezeichnen mit „Ökonomisierung [...] den Vorgang, durch den Strukturen, Prozesse, Orientierungen und Effekte, die man gemeinhin mit einer modernen kapitalistischen Wirtschaft verbindet, gesellschaftlich wirkmächtiger werden“ (Schimank/Volkmann 2008: 382). Im Anschluss an diese Charakterisierung unterscheiden sie auf der „Makroebene“ – auf der sie gesellschaftliche Funktionssysteme (Luhmann) bipolar, mit einem autonomen und einen weltlichen Pol (Bourdieu) ausgestattet, denken – Grade der Ökonomisierung je nach der Orientierung gesellschaftlicher Codes und Programme an Kosten bzw. Gewinn. Sie verfolgen die Prozesse zudem auf der „Mesoebene“ der Organisationen sowie auf der „Mikroebene“, auf der Ökonomisierung zu „veränderten Handlungsergebnissen“ (ebd.: 389) führt.17 Entsprechend dieser Konzeptualisierung ist die funktional differenzierte Gesellschaft, über die Luhmann spricht, für Uwe Schimank als eine kapitalistische Gesellschaft zu verstehen (Schimank 2009a), in der die Geldabhängigkeit der Arbeitsorganisationen eine zentrale Bedeutung für den Stellenwert der Ökonomie im Gesamtzusammenhang einnimmt (Schimank 2010a: 41). In der Analyse werden die unterschiedlichen Ebenen allerdings nicht immer klar voneinander getrennt und deshalb Phänomene der Ökonomisierung von Organisationen der Gesellschaft zugeschlagen (vgl. z.B. Schimank 2008).18

Der theoretische Überblick hat ausgehend vom Begriff der Kommodifizierung über den der Vermarktlichung bis hin zum Begriff der Ökonomisierung ein Begriffsfeld eröffnet und dann auch gleich wieder versucht, es einzuschränken. Ging es zu Beginn noch recht allgemein um die Orientierung der Produktion von Objekten am Austausch, so wurde im Anschluss daran zunächst das Verständnis des Marktes präzisiert, dieser dann aber auch wieder als ein spezifischer Aspekt der Wirtschaft charakterisiert. Die Verwandlung von Dingen und Leistungen in Waren und die Einführung von Märkten in vorher marktfreien Bereichen, Kommodifizierung und Vermarktlichung, müssen als ökonomische Prozesse bzw. als Prozesse der Ökonomisierung analysiert werden. In der Diskussion des Begriffs der Ökonomisierung wurde zunächst die Bedeutung des Geldes von den Autoren hervorgehoben, bevor mit dem Beitrag von Schimank und Volkmann eine zugleich präzise und hinreichend offene Fassung des Begriffs vorlag. Die Begriffsarbeit kann hier allerdings noch nicht stehen bleiben. Denn was man unter der „kapitalistischen Wirtschaft“ bzw. der „Ökonomie“, was man unter Strukturen, Prozessen und Effekten verstehen soll, ist abhängig vom theoretischen Rahmen, innerhalb dessen diese Begriffe verwendet werden. Die Hinweise auf die Systemtheorie Luhmanns sowie die Feldtheorie Bourdieus sind in diesem Kontext zwar hilfreich, müssten aber entsprechend ausgeführt werden. Im zweiten Kapitel dieser Arbeit werde ich ein relativ breites Spektrum soziologischer Theorien vor dem Hintergrund der Frage diskutieren, welchen Beitrag sie zu einer Theorie der Ökonomisierung leisten können. Ob deren Möglichkeiten jeweils ausreichen, um entsprechende Phänomene der soziologischen Beschreibung zugänglich zu machen, ist allerdings nicht allein auf der Grundlage theoretischer Spekulation klärbar. Deshalb werde ich in einem nächsten Schritt den Blick von der Theorie zur Empirie wenden. Ziel dieser Übung ist es, die Kriterien zu gewinnen, denen eine soziologische Theorie der Ökonomisierung genügen muss.

7 Die Diskussion von empirischen Studien zu Prozessen der Ökonomisierung in Kapitel 1.3 wird nahelegen, dass der Begriff der Ökonomisierung in einen differenzierungstheoretischen Rahmen einzubetten ist, der gesellschaftliche Bereiche systematisch voneinander unterscheidet. Hier geht es zunächst darum, das Problem zu identifizieren, um über die begriffliche Annäherung im nächsten Abschnitt einen Ausgangspunkt für die theoretische Konzeptualisierung des Phänomens zu gewinnen.

8 Zu diesen Alternativen: Der Begriff der Privatisierung zielt auf einen Rechts- und Eigentümerstatus. Die Rechtsform hat dann zwar Konsequenzen für die Möglichkeiten der Verschiebung wirtschaftlicher Grenzen, schreibt diese aber nicht zwingend vor. Monetarisierung, also der Wandel von Beziehungen, die ohne das Medium des Geldes auskommen, in solche, die auf Geld angewiesen sind, wird weiter unten als eine Möglichkeit auftauchen, den Begriff der Ökonomisierung zu konkretisieren. Für sich allein tritt er relativ selten auf und hat wohl auch ein eingeschränktes theoretisches Potenzial. Der Begriff der Kommerzialisierung wird zwar in der sozialwissenschaftlichen Debatte verwendet, zum Beispiel von Colin Crouch (2011) oder von Arlie Hochschild (1983), ist aber ebenfalls gesellschaftstheoretisch schlecht anschlussfähig.

9 So natürlich auch schon Marx (1998: 49ff.).

10 Ohnehin werden die beiden Begriffe teilweise als austauschbar betrachtet; vgl. z.B. Williams (2004: 438).

11 So auch Hans Pongratz in seinem Vortrag „Arbeit und Markt – gesellschaftstheoretische Perspektiven“ am 12. Mai 2011 auf der Frühjahrstagung der Sektion Arbeitssoziologie der DGS „Theoretische Perspektiven der Arbeits- und Industriesoziologie: Traditionslinien und Herausforderungen“ in Kassel.

12 Andere Vorschläge kommen von Paul Adler (2001), der Markt, Hierarchie und Vertrauen unterscheidet. Ähnlich Bradach/Eccles (1989). Claus Offe (2000) spricht von Staat, Markt und Gemeinschaft, Wiliam Ouchi (1980) von Märkten, Bürokratien und Clans.

13 Vgl. neben den genannten nur Heinemann (1976), der auf formale Rationalität und Interessenausgleich abstellt, Vanberg (1987), der die Bedeutung des Austauschs hervorhebt oder White (1981), der wechselseitige Beobachtung über Preise als Charakteristikum nennt. Generell kann man festhalten, dass der Markt sowohl in der Soziologie als auch in den Wirtschaftswissenschaften lange Zeit relativ wenig Beachtung fand. So zumindest das Ergebnis des Überblicks von Richard Swedberg (1994), der selbst Märkte im Anschluss an Weber über Austausch und Konkurrenzbeziehungen bestimmt.

14 Vgl. ähnlich auch Kirchgässner (1997), der Ökonomisierung als Formalisierung von Tauschbeziehungen und deren Vermittlung über das Medium Geld fasst.

15 Das gilt auch für „Erwerben“. Max Weber (1980: 48) sah sich entsprechend in den „Grundkategorien des Wirtschaftens“ dazu gezwungen, „wirtschaftliches Erwerben“ als Sonderform des Erwerbens auszuweisen.

16 Mein weiter unten entwickeltes Verständnis von Ökonomisierung ähnelt dem Richters in gewisser Weise, stellt aber stärker auf die Unterscheidung der Systemtypen Interaktion, Organisation und Gesellschaft ab und versucht, den Rahmen der Luhmannschen Theorie nicht zu weit zu verlassen.

17 An dieser Stelle wird eine weitere Abweichung Schimanks von Luhmann deutlich, da er sich dezidiert nicht als System-, sondern als Handlungstheoretiker versteht. Entsprechend konzeptualisiert er soziale Systeme als Fiktionen, die individuelle Akteure, die in Akteurskonstellationen situiert sind, orientieren (Schimank 2010, 2002). Ob es sich hier um eine sinnvolle Opposition handelt, ist aber fraglich. Vgl. zu dieser Frage Heidenescher (1992) oder auch Stichweh (2000a).

18 Vgl. jetzt auch die Analyse von Schimank/Volkmann (2012) zu Wissenschaftsverlagen, in der sie zeigen, wie sich Wirtschaftsorganisationen in ihren Operationen auf wissenschaftliche Rationalitäten einstellen müssen, und der Organisationsbezug deutlich ausgewiesen wird.

1.3 Forschung: Ökonomisierung als Gegenstand der Soziologie

An empirischen Studien, die sich auf die eine oder andere Weise mit Ökonomisierung auseinandersetzen, mangelt es nicht. Diese Studien beziehen sich auf unterschiedlichste soziale Gegenstände: auf das Selbst, den Körper, die Familie, auf Krankenhäuser, Schulen, Universitäten, die Bundeswehr, soziale Arbeit, NGOs, die Verwaltung, die Sozialpolitik, die Wissenschaft etc. Sogar der Tod kann in die Fänge der Wirtschaft geraten (vgl. Thomes et al. 2010). Ich werde nun zunächst einen Überblick über zentrale Forschungsfelder und -ergebnisse geben – mit Ausnahme der Ökonomisierung der Schule, mit der ich mich im dritten Kapitel eingehend auseinandersetze. Schon ein flüchtiger Durchgang durch die relevanten Publikationen zeigt dabei, dass die Ökonomisierung vor allem in zwei Feldern zuzuschlagen scheint: in unterschiedlichen Organisationstypen und in darüber hinausgehenden gesellschaftlichen Zusammenhängen.19

Ökonomisierung gesellschaftlicher Bereiche

Wenn man sich die vorhandenen Studien zum Thema Ökonomisierung ansieht, dann fällt als erstes die Diagnose der Veränderung übergreifender gesellschaftlicher Bereiche auf. So spricht zum Beispiel Hans Graßl (2008) von einer „Ökonomisierung der Bildungsproduktion“ und zeichnet Tendenzen der Privatisierung der Leistungserbringung im Bildungssystem nach. Auf einer ähnlichen Ebene, vielleicht noch ein wenig abstrakter angelegt, spricht Michael Makropoulos (2008: 101, 103) in seiner „Theorie der Massenkultur“ von Ökonomisierung als der „Etablierung einer neuen Realität strukturierenden Matrix“, die als „spezifisch moderner Prozeß [...] die prinzipielle artifizielle Neustrukturierung des wirtschaftlichen Handelns“ hervorbringt. Es ist seiner Ansicht nach ein Kennzeichen der modernen Massenkultur, dass sie – anders als die bürgerliche Kunst – über Wettbewerbsmärkte vermittelt wird.

Umfangreiche Debatten gibt es außerdem zum Bereich der Wissenschaft. Klassisch ist die Diskussion des „academic capitalism“ (Slaughter/Leslie 1997: 11; siehe auch 2001), die einen Wandel der Organisation von Wissenschaft sowie von wissenschaftlicher Arbeit aufgrund von Finanzierungsproblemen diagnostiziert.20 Dieser Wandel führe letztlich auch zu inhaltlichen Veränderungen, etwa zur Konzentration auf „technoscience“ und marktnahe Forschungsthemen (Slaughter/Leslie 1997: 36f.). Daraus können Probleme für die Wahrheitsorientierung und Interessenunabhängigkeit der Wissenschaft entstehen und die für die wissenschaftliche Forschung notwendige „vorbehaltlose[] Kommunikation in der Forschung und Lehre“ beeinträchtigt werden (Weingart 2008: 480). Ein weiteres, vor allem in der Bundesrepublik viel diskutiertes Feld ist die zunehmende wettbewerbsmäßige Vergabe von Forschungsmitteln, zum Beispiel im Zusammenhang mit der Exzellenzinitiative. Kritische Stimmen zu diesem Reforminstrument mahnen an, dass es dabei weniger um die Installation eines Wettbewerbs von Forschungszusammenhängen und Universitäten gehe, sondern vielmehr um die Herstellung einer Hierarchie zwischen einzelnen Einrichtungen, die selbst erst durch die Messinstrumente hervorgebracht wird (vgl. Barlösius 2008; Hartmann 2006). Richard Münch (2007: 57) spricht in diesem Zusammenhang von einem „Pseudowettbewerb“, der letzten Endes zur Bildung wissenschaftlicher Monopole führe.

Neben diesen Vorgängen in kulturellen Feldern finden Prozesse der Ökonomisierung aber auch innerhalb der Ökonomie statt. Im Fokus steht hier ein Wandel wirtschaftlicher Strukturen hin zum sogenannten „Finanzmarkt-Kapitalismus“ (Dörre/Brinkmann 2005; Windolf 2005). Traditionell war das deutsche Modell des Kapitalismus durch eine starke Verflechtung der Eigentumsstrukturen charakterisiert, in der vor allem die Beteiligung der Banken von großer Bedeutung war. Seit einer Reihe von Jahren verändert sich dieses Modell der „corporate governance“, lösen sich Unternehmensverflechtungen auf, gewinnen institutionelle Investoren an Bedeutung und orientieren sich Unternehmen zunehmend am „shareholder value“ (vgl. Beyer 2003; Höpner 2003; Windolf 1994, 2005). Als Konsequenz dieses Orientierungswandels verschiebt sich der Zeithorizont von Unternehmen. Kurzfristige Profite gewinnen genauso an Bedeutung wie das aktienkurswirksame Image des Unternehmens.

Ökonomisierung von Organisationen

Die Veränderungen innerhalb der Wirtschaft wie auch der Wissenschaft, die ich als Beispiele für Prozesse der Ökonomisierung gesellschaftlicher Bereiche genannt habe, beziehen sich vor allem auf institutionelle Veränderungen. Darüber hinaus kann man Forschungen identifizieren, die den Blick stärker auf den Wandel von Organisationen richten. Sie fokussieren die Transformation organisationaler Strukturen, die sich in Aufbau und Abläufen zunehmend an den organisationalen Formen von Unternehmen orientieren. Das gilt vor allem für die Verwaltung, der mit dem Konzept des „New Public Managements“ eine Vorreiterrolle zukommt, dann aber auch für eine Reihe anderer öffentlicher Organisationen wie Krankenhäuser, Universitäten, Schulen usw. Wie die Debatte über die Vermarktlichung von Unternehmen nahelegt, bezieht sich Ökonomisierung zudem auch auf die Ökonomie, werden Unternehmen ökonomisiert.