Mehr als Liebe? Die besondere Bindung zwischen Eltern und ihren Kindern - Carolin Büdel - E-Book

Mehr als Liebe? Die besondere Bindung zwischen Eltern und ihren Kindern E-Book

Carolin Büdel

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Beschreibung

Nichts ist stärker als die Beziehung zwischen Eltern und ihren Kindern. Aber was macht diese Bindung so besonders? Als Bezugspersonen nehmen Mutter und Vater ab dem Zeitpunkt der Geburt eine wichtige Rolle im Leben des Kindes ein, die bis ins Erwachsenenalter prägend ist. Dieses Fachbuch gibt einen ausführlichen Einblick in diese besondere Beziehung. Neben einem allgemeinen Überblick über das Bindungsverhalten von Kleinkindern stehen die Beziehungen Mutter-Kind und Vater-Kind sowie deren Bedeutung und Einfluss auf das zukünftige Leben des Kindes im Mittelpunkt. Aus dem Inhalt: Grundlagen des Bindungsverhaltens im Kleinkindalter und ihre Auswirkungen Bindung zwischen Kindern und Eltern und ihre Folgen für die Entwicklung Die Entwicklung der frühen Mutter-Kind-Bindung Mutter-Kind-Bindung und ihr Einfluss auf partnerschaftliche Beziehungen im Erwachsenenalter Die Bedeutung des Vaters als Bindungsperson

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Seitenzahl: 134

Veröffentlichungsjahr: 2015

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Impressum:

Lektorat: Theresa Fischer

Copyright © 2015 ScienceFactory

Ein Imprint der GRIN Verlags GmbH

Druck und Bindung: Books on Demand GmbH, Norderstedt, Germany

Mehr als Liebe?

Inhalt

Grundlagen des Bindungsverhaltens im Kleinkindalter und ihre Auswirkungen auf die weitere Entwicklung

1.Einleitung

2.Bindungstheoretische Grundüberlegungen

3.Auswirkungen der Bindungserfahrung

4.Berücksichtung der Bindungsforschung in der Fremdbetreuung

5.Abschluss

Literaturverzeichnis

Die Rolle von Bindung zwischen Kindern und Eltern und ihre Folgen für die lebenslange Entwicklung

1.Einleitung

2.Definition des Bindungsbegriff

3.Diskussion zur These

4.Schlussbetrachtung

5.Literaturverzeichnis

Die Entwicklung der frühen Mutter-Kind-Beziehung

1.Einleitung:

2.Entwicklung der Bindungsqualität

3.Hauptbindungsmuster und Beziehungsformen

4.Anwendung und Umsetzung der Bindungstheorie

5.Erfassung der Bindungsqualität

7.Literatur:

Mutter-Kind-Bindung und ihr Einfluss auf die partnerschaftlichen Beziehungen im Erwachsenenalter

1.Einleitung

2.Grundlagen der Bindungstheorie

3.Frühe Bindung des Kleinkindes

4.Bindung und Partnerschaft im Erwachsenenalter

5.Schluss

Literaturverzeichnis

Bindungstheorie und Bindungsforschung: Bedeutung der Väter als Bindungsperson

1.Einleitung

2.Grundlagen der Bindungstheorie

3.Aktuelle Bindungsforschung

4.Bedeutung der Väter als Bindungspersonen

5.Schlussbetrachtung

Quellenangaben

Kinder brauchen Väter. Die Bedeutung des Vaters bei der Sozialisation des Kindes

Eva Nitschke

Grundlagen des Bindungsverhaltens im Kleinkindalter und ihre Auswirkungen auf die weitere Entwicklung

2008

1.      Einleitung

Jeder Mensch hat ein Grundbedürfnis nach menschlicher Nähe und Zuwendung, also nach Bindung. Dieses Bedürfnis ist von Geburt an vorhanden.

Lange Zeit wurde der Bindung als grundlegende Basis der zwischenmenschlichen und psychischen Befindlichkeit eines Menschen kaum Beachtung geschenkt.

Erst mit Einführung der Bindungstheorie in die wissenschaftliche Psychologie durch John Bowlby und Mary Ainsworth fand eine Veränderung statt.

So ist es heute unvorstellbar, Kleinstkindern im Krankenhaus den Kontakt mit ihren Eltern zu verwehren, wie es früher aus Angst vor Infektionen und der folgenden schwierigen Trennungssituation üblich war.

Brazelton und Greenspan formulierten 7 Grundbedürfnisse von Kindern. Diese lauten:[1]

-Bedürfnis nach Liebe, Geborgenheit, Zuwendung, Unterstützung und beständiger Erziehung

-Bedürfnis nach körperlicher Unversehrtheit und Sicherheit

-Bedürfnis nach neuen und entwicklungsgerechten Erfahrungen

-Bedürfnis nach Lob und (adäquater) Anerkennung

-Bedürfnis nach Verantwortung und Selbständigkeit

-Bedürfnis nach Übersicht und Zusammenhang, nach stabilen und unterstützenden Gemeinschaften sowie nach einer sicheren Zukunft

-Bedürfnis nach Orientierung, Strukturen, Regeln und Grenzen

Diese 7 Grundbedürfnisse scheinen den Grundstein für eine positive Entwicklung zu legen. Alle diese Punkte lassen sich in die Bindungstheorie einordnen bzw. werden von ihr berücksichtigt.

Im ersten Teil meiner Arbeit werde ich spezifisch auf die bindungstheoretischen Grundlagen eingehen und diese erläutern, um dann im zweiten Teil auf die Auswirkungen des Bindungsverhaltens in der weiteren psychischen Entwicklung einzugehen.

Kenntnisse der Bindungsforschung sollten nicht nur auf das erste Lebensjahr bezogen sein, sondern ihre weit reichenden erwiesenen Folgen in der politischen Diskussion um Kindererziehung und Fremdbetreuung berücksichtigt werden.      

2.      Bindungstheoretische Grundüberlegungen

Jeder Mensch hat also ein Grundbedürfnis nach tiefen emotionalen Beziehungen.

Das Baby, das von der Oma betreut wird, spielt vielleicht friedlich mit ihr, ohne die Mutter[2] sonderlich zu vermissen, bis es ins Bett muss. Dann fängt es an zu weinen und nach der Mutter zu rufen, bis es von der Oma beruhigt einschlafen kann.

Aber auch die Mutter, die ihr Kind zum ersten Mal alleine bei einer anderen Betreuungsperson lässt, um sich einen Film im Kino anzusehen, wird ständig daran denken, wie es ihrem Kind wohl gehen mag  und kann sich kaum auf den Film konzentrieren.

Diese so genannte Bindung ist ein Teil des komplexen Systems der Beziehung.[3] Doch wie entstehen solche Bindungen überhaupt, und wie genau sind sie gekennzeichnet?

2.1      Die Bindungstheorie

Bindung ist die Bezeichnung für eine enge emotionale Beziehung zwischen Menschen.

Der britische Psychoanalytiker John Bowlby (1907-1990) gilt als Begründer der Bindungsforschung. Bowlby vermutete eine angeborene Fähigkeit von Neugeborenen Bindungen herzustellen. Er kam zu der Annahme, ein Kleinkind verfüge über ein motivationales System, was es dazu befähigt Zuwendung, Schutz oder Beruhigung bei seinen Bezugspersonen einzufordern, um sein Überleben zu sichern[4], ihm andererseits aber auch die nötige Auseinandersetzung mit der Umwelt ermöglicht (Exploration).

Demnach betrachtet Bowlby Mutter und Kind als „Teilnehmer in einem sich wechselseitig bedingenden und selbst regulierenden System“.[5]

Seine Theorie gründete Bowlby zum Teil auf den Erkenntnissen der Ethologie in den 1960er Jahren.

So erwies sich aus dem Naturverhalten von Tieren, dass Bindung von der Fütterung losgelöst ist. Diese These gründet sich auf 2 Beobachtungen in der Natur: Zum einen beschrieb Lorenz[6] das Verhalten von kleinen Gänschen, die offensichtlich eine starke Bindung zu ihrer Mutter haben, obwohl sie von ihr nicht direkt mit Nahrung versorgt werden. Der umgekehrte Fall zeigte sich in einem Versuch von Harlow[7] mit Rhesusaffen, die nach der Geburt von ihrer Mutter getrennt wurden. Diese kleinen Äffchen hatten die Wahl zwischen einer „Drahtmutter“, von der sie Nahrung bekamen, und einer mit Frottee bezogenen „Mutter“, die aber keine Nahrung abgab. Nach dieser Studie zeigten die Äffchen eine klare Präferenz für die „kuschelige“ Variante. So bewies Bowlby, dass Bindung von der Fütterung unabhängig ist und unterstrich somit seine Kritik an der Psychoanalyse. Bowlby wehrte sich gegen die Vorstellung Freuds, dass Bindung rein aus triebtheoretischen Ansätzen zu interpretieren sei.

Zusammengefasst lässt sich die Bindungstheorie so erklären: Normalerweise fördert die bloße Anwesenheit der Bezugsperson eines Kindes die Exploration, es spielt und erkundet seine Umwelt. Sobald es jedoch Gefahr spürt, sucht es die Nähe dieser Person, um dort Schutz zu finden und wieder ins Gleichgewicht zu kommen. Dies wurde von Mahler[8] auch als „emotionales Auftanken des Säuglings“ bezeichnet.

Das zugehörige Bindungsverhalten zeigt sich durch beobachtbare Verhaltensweisen wie Blickkontakt, Lächeln, Weinen, Klammern usw.

2.2      Bindungstypen

Bindung wird hauptsächlich dann ersichtlich, wenn sich ein Kind bedroht fühlt. Dies ist zum Beispiel in Trennungssituationen der Fall. Mary Ainsworth[9] hat diese Situation für ihre Idee einer standardisierten Beobachtungssituation genutzt.

Dies ist der so genannte „Fremde Situation-Test“, in dem Kinder im Alter von 12-20 Monaten zweimal kurz von ihrer Mutter getrennt werden. Der Test untergliedert sich in folgende Schritte:

Zuerst betreten Mutter und Kind ein ihnen unbekanntes Spielzimmer. Sie können sich nun an den Raum gewöhnen, das Kind kann die Umgebung mit den bereitgestellten Spielsachen erkunden, das Verhalten der Mutter ist frei gestellt. Nun kommt eine fremde Person ins Zimmer, nimmt jedoch erst nach 2 Minuten Kontakt mit der Mutter auf. Während des kurzen entstehenden Dialogs reagieren die meisten Kinder mit Neugier oder etwas Angst und verringern den Abstand zur Mutter. Danach versucht die Person, Kontakt mit dem Kind aufzunehmen, indem sie an sein Spiel anknüpft. Auf ein Kopfzeichen hin verabschiedet sich die Mutter mit wenigen Worten von ihrem Kind und verlässt den Raum. Nun aktiviert sich das Bindungssystem des Kindes; es reagiert auf die Trennung, indem es der Mutter nach schaut oder schon anfängt zu weinen. Die fremde Person versucht, das Kind zu trösten oder mit einem Spiel abzulenken. Nach circa drei Minuten kehrt die Mutter zurück und nimmt es auf den Arm, bis es sich wieder sicher beruhigt hat. Aus diesem Wiedervereinigungsverhalten können wesentliche Rückschlüsse über den Bindungstyp getroffen werden.

Während die Mutter ihr Kind tröstet, verlässt die fremde Person den Raum. Sobald das Kind sich wieder sicher genug fühlt, um losgelöst von der Mutter zu spielen, also zu explorieren, verlässt die Mutter auch wieder den Raum, so dass das Kind ganz alleine ist. In der Regel zeigt das Kind nun eine stärkere Trennungsreaktion mit deutlichem Bindungsverhalten; es weint und versucht der Mutter zu folgen.

Nun betritt die fremde Person den Raum und versucht erneut, das Kind zu trösten oder abzulenken. Dies ist eine weitere wichtige diagnostische Phase.

Zum Schluss findet nochmals die Wiedervereinigung von Mutter und Kind statt, in der die fremde Person den Raum verlässt.[10]

Aufgrund der Beobachtungen mehrerer hundert Kinder in diesem standardisierten Verfahren konnte Mary Ainsworth 3 verschiedene Bindungstypen definieren: die unsicher-vermeidend gebundenen Kinder, die sicher gebundenen und die unsicher-ambivalent gebundenen Kinder. Später wurde noch eine vierte Klassifikation eingeführt: die Kinder mit desorganisiertem Verhaltensmuster. Mary Main[11], die auch Erwachsene mit dem AAI (Adult Attachement Interview) untersuchte, führte diese Klassifikation ein. Es gab immer auch Kinder, deren Verhalten sich nicht eindeutig in eine der drei Hauptreaktionsschemata einordnen ließen.

Im Folgenden möchte ich die verschiedenen Bindungstypen erläutern:[12]

2.2.1 Unsicher-vermeidend gebunden (A)

Diese Kinder zeigen während der Trennung kaum Anzeichen von Belastung. In der Regel bleiben sie an ihrem Platz und spielen weiter, wobei sie weniger Ausdauer oder Interesse dabei zeigen. Sie verfolgen allerdings teilweise das Verschwinden der Mutter mit den Augen. Auf die Rückkehr der Mutter reagieren sie eher mit Ablehnung, sie vermeiden und ignorieren sie aktiv. In der Regel kommt es auch zu keinem Körperkontakt.

Während der ganzen Situation wenden sie ihre Aufmerksamkeit stark den Spielsachen oder anderen Objekten zu.

Auf Außenstehende wirken unsicher-vermeidend gebunden Kinder eher unauffällig. Dennoch leiden sie heftiger unter der Trennung von der Bezugsperson als sicher gebundene Kinder.

Physiologische Untersuchungen ergaben, dass der Herzschlag sich erhöht und der Cortisolspiegel steigt, was auf Stress schließen lässt.

Die Erklärung für dieses Verhalten liegt in der Erfahrung, die diese Kinder bereits gemacht haben. Sie wurden mehrfach bei Kummer oder Ängsten von der Bezugsperson zurückgewiesen. Infolgedessen haben sie eine Strategie der Vermeidung entwickelt und zeigen ihre Ängste nicht mehr. Dadurch verringert sich ihr Risiko der Zurückweisung.[13]

In den Längsschnittstudien wurden ca. 30-40% der Kinder in dieser Kategorie eingestuft.[14]

2.2.2 Sicher gebunden (B)

Etwas mehr als die Hälfte aller Kinder konnte als sicher gebunden klassifiziert werden.

Diese Kinder zeigen deutliche Anzeichen dafür, dass sie ihre Bezugsperson während der Abwesenheit vermissen. Sie rufen nach ihr, versuchen, ihr zu folgen, und suchen sie auch über längere Zeit hinweg. Teilweise lassen sie sich von der fremden Person trösten. Bei der Wiedervereinigung suchten sie Nähe und Kontakt, sie lassen sich trösten und zeigen Freude über das Wiedersehen. Dann lassen sie sich jedoch schnell beruhigen und können wieder zu ihrem Spiel zurückkehren.

Die Kinder halten also eine angemessene Balance zwischen Nähe zur Bezugsperson und explorativem Verhalten und zeigen deutlich ihre Gefühle.

Die sicher gebundenen Kinder haben die Erfahrung gemacht, dass sie auf die elterliche Zuverlässigkeit vertrauen können und ihre Interaktion funktioniert. Somit konnten sie eine große Zuversichtlichkeit in Bezug auf die Verfügbarkeit der Bindungsperson entwickeln.

2.2.3 Unsicher-ambivalent gebunden (C)

Diese Gruppe macht ungefähr 10-20 Prozent der getesteten Kinder aus.

Hier zeigen die Kinder schon vor der Trennung deutlich ängstliches Verhalten, so dass sie sich kaum von der Mutter lösen können. Die Exploration ist also sehr eingeschränkt. Während der Trennungsphase sind sie ständig damit beschäftigt herauszufinden, wo die Bezugsperson sich aufhält oder was sie tut. Sie fürchten sich vor der fremden Person und sind unfähig, sich zu beruhigen.

Bei der Wiedervereinigung verhalten sich die Kinder ambivalent: einerseits wollen sie die Nähe zur Mutter, andererseits zeigen sie offenen Ärger wie Strampeln, Schlagen oder sich Abwenden. Selbst nach längerer Zeit sind sie oft nicht in der Lage, sich wieder zu beruhigen.

Das ängstliche Verhalten schon vor der Trennung wird durch das unvorhersehbare Verhalten der Mutter hervorgerufen. Dies hat zur Folge, dass das Bindungssystem dieser Kinder ständig aktiviert ist; sie versuchen permanent herauszufinden, in welcher Stimmung sich die Bezugsperson gerade befindet, um sich anpassen zu können. Dies schränkt das Explorationssystem stark ein.

2.2.4 Unsicher-desorganisiert / desorientiert gebunden (D)

Diese Kinder zeigen Kombinationen aus verschiedenen Bindungstypen und unvorhersehbaren Verhaltensweisen wieStereotypienund unvollendete oder unvollständigeBewegungsmuster, Erstarren (Freezing) oder Erschrecken bei Rückkehr der Mutter.

Sie zeigen Zeichen der Desorganisation: so rufen sie nach der Mutter, aber wenden sich ab, wenn sie wieder erscheint.

Erklärt wird dieses Verhalten damit, dass die Kinder keine einheitliche Strategie entwickeln konnten. Dies passiert, wenn die Bindungsperson, die ja Schutz und Trost bieten soll, selbst der Auslöser für das Bindungsverhalten – also die Bedrohung – ist. Dies geschieht zum Beispiel, wenn das Kind misshandelt wird, oder aber bei nicht verarbeiteten Traumata der Eltern.

Dadurch bricht die kindliche Verhaltensorganisation zusammen und die Kinder können keine Strategie entwickeln, um mit bindungsrelevantem Stress umgehen zu können.[15]

Das Bindungsverhalten der Kinder in der „Fremden Situation“ steht in engem Zusammenhang zur Feinfühligkeit der Bezugsperson, wie in Kapitel 3.1. beschrieben.

2.3      Entwicklung der Bindung im ersten Lebensjahr

Das Bindungsverhalten entwickelt sich bereits im ersten Lebensjahr und wird von Ainsworth[16] in vier Phasen unterteilt:

In der ersten Phase (0-3 Monate) zeigt der Säugling noch keine Unterscheidung der Bezugspersonen. Allerdings kann er wie oben beschrieben ein Lächeln auf dem Gesicht der Mutter hervorrufen; dies gibt ihm ein Gefühl der Handlungsfähigkeit. Die reflexionsartige Antwort ist „das erste Bindeglied zwischen dem, was dort draußen wahrgenommen wird und dem, was hier drinnen verspürt wird“.[17]

Die Differenzierung der Personen beginnt in der zweiten Phase (3-6 Monate). Nun beginnt das Baby, anders auf die Stimme der Mutter zu reagieren und weint anders, wenn diese weg geht. Beide zeigen gegenseitiges „Kennen“, was das Zeichen für eine sichere Mutter-Kind-Bindung ist.

In der dritten Phase (6-9 Monate) beginnt das Baby sich fortzubewegen und benötigt daher ein viel komplexeres Kommunikationssystem, um den Kontakt zur Mutter zu gewährleisten. Die Mutter muss wissen, dass ihr Kind zu ihr kommt, wenn es ihrer Nähe bedarf; das Kind wiederum muss bei Bedarf der Mutter Protest oder Kummer zeigen können. In dieser Phase zeigt das Kind eine auffallend starke Bindung zur Mutter, das so genannte „Fremdeln“ entsteht.

In der vierten Phase (8-12 Monate) schließlich, die oft mit der dritten Phase überlappt, wird die Bindung auf mehrere Personen ausgeweitet. Die Voraussetzung für die Bindung an andere Personen ist also eine sichere Bindung zur Mutter, da diese als „Modell“ dient. Zeitgleich, wie die Bindung zur Mutter in Tiefe und Intensität wächst, wird die generelle Bindungsfähigkeit des Kindes umfassender.[18]

Jedoch bleiben die verschiedenen Bindungen stets hierarchisch geordnet.

2.4      Besonderheiten der Mutter-Kind-Bindung

Die Mutter-Kind-Bindung wird schon vor der Geburt durch biologische, neurobiologische und physiologische Prozesse angebahnt.[19] Somit verfügt der Säugling über ein angeborenes Verhaltenssystem, das es ihm ermöglicht, aktiv die Mutter-Kind-Bindung zu gestalten.

Zu den Interaktions-Mechanismen des Babys Bindung herzustellen, gehören folgende Momente: Das Stillen, der Körperkontakt, das Weinen, die Babysprache, Dialoge und das Kindchenschema.[20]

Das Stillen stellt einerseits die lebenserhaltende Nahrungsaufnahme dar, andererseits ist es aber auch ein Akt der Beruhigung und der körperlichen Nähe. Das Neugeborene kann bereits nach 2 Tagen den Geruch der mütterlichen Brust erkennen.[21] Das Saugen an sich „stillt“ das Kind bereits, beruhigt es also. Das Stillen verbindet Mutter und Kind zwangsläufig in der ersten Zeit.

Durch Körperkontakt können Säuglinge die Nähe, Wärme und den Geruch der Mutter empfinden und somit die Mutter als wirkliche, körperliche „Basis“ erfahren.

Selbst bei Erwachsenen kann man die beruhigende Funktion von Körperkontakt beobachten.

Das Weinen ist die bisweilen durchdringendste Möglichkeit des Säuglings, emotionale Zuwendung einzufordern. Dies „funktioniert“ oft sogar bei Personen, die keine persönliche Beziehung zu dem Kind haben. Das Weinen ruft automatisch tröstende Verhaltensmuster hervor wie auf-den-Arm-nehmen, Schaukeln, beruhigend sprechen oder Stillen.

Wenn die Bezugsperson mit dem Kind spricht, verändert sich ihre Stimme: sie wird ungefähr eine Oktave höher und die Intonation wird vergrößert. Diese so genannte „Babysprache“ findet sich in nahezu allen Kulturen.[22] So wird die Aufmerksamkeit des Säuglings erregt.

Durch die bisher angesprochenen Interaktionsmuster kommt es zu Dialogen zwischen Mutter und Kind, die wechselseitig erfolgen, wobei die Mutter anfangs stärker steuert.

Ein deutlicher Dialog ist zu sehen, wenn das Kind schon als Neugeborenes das Gesicht der Mutter fixiert, was von dieser als Kommunikationsversuch interpretiert wird und somit sofortige Zuwendung hervorruft.[23]

Nicht zuletzt ruft der Säugling durch sein Erscheinungsbild zugewandtes Verhalten hervor. Dieses so genannte „Kindchen-Schema“ wurde von Konrad Lorenz entdeckt. Es besagt, dass Kinder im Vergleich zu Erwachsenen einen größeren Kopf und einen kleineren Körper haben; dadurch wirken die Augen sehr groß. Bei jungen Säugetieren sind diese Merkmale ebenfalls zu finden. Durch das Kindchen-Schema wird beim Erwachsenen emotionale Zuwendung hervorgerufen und Aggressionen werden verhindert.[24]

2.4.1 Feinfühligkeit

Die mütterliche Reaktionsfähigkeit ist ein entscheidender Faktor der Bindungsqualität im weiteren Verlauf der Entwicklung.[25]

Dies wird als die so genannte Feinfühligkeit der Bezugsperson bezeichnet. Mary Ainsworth entwickelte dieses Konzept auf der Grundlage von Verhaltensbeobachtungen in Uganda.



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