Inhaltsverzeichnis
Impressum 2
Widmung 3
Objekt der Begierde 4
Baum des Lebens 9
Sternenstaub 12
Von Abschied und Vergessen 18
Inselhüpfen 21
Fluss des Lebens 26
Eis, so heiß 29
Ich hab dich gepflanzt 34
Zu lang, zu lange schon … 37
Haiku*-Variationen 43
Von Menschen und Monstern 47
Gemeinsam 55
Nur um die Ecke 58
Stiller Feind 66
Ich mag keine Märchen 70
An unsere Kinder 76
Wenn der Berg weint 80
Bedenkzeit 88
Impressum
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
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© 2021 novum publishing
ISBN Printausgabe: 978-3-903861-41-1
ISBN e-book:978-3-903861-42-8
Lektorat: Thomas Ladits
Umschlagfoto: Cristina Conti | Adobe Stock
Umschlaggestaltung, Layout & Satz: novum publishing gmbh
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Widmung
***
Für Euch
Amore mio
&
Priyatam (Darling) Daughter
as always
***
Objekt der Begierde
Was glauben Sie, werter Leser? Kann es so etwas wie eine sorglose, glückliche Kindheit geben? Ich habe da so meine Zweifel. Meist ist das, was wir als Kinder so erleben, kompliziert und verwirrend. Und können wir uns als Erwachsene überhaupt sicher sein, dass wir nicht, in Verklärung der Dinge, einer konstruierten Erinnerung nachhängen, die wenig mit der damaligen Wirklichkeit zu tun hat?
***
Da lag es nun vor mir, das Objekt der Begierde, das abgegriffene Portemonnaie meiner Mutter. Ein einfacher Geldbeutel aus rotem, speckigem Leder mit vergoldetem Klippverschluss. Und darin, eingebettet in ein zerschlissenes, weißes Stofffutter, ein paar Schillinge, die mir zu meiner allerersten Schokolade aus dem Tante-Emma-Laden von Zanettis verhelfen sollten – für uns Kinder aus mittellosen Verhältnissen damals ein schier unerreichbarer Schatz. Die Schublade des alten Küchentisches hatte sich schreiend wie ein störrischer Esel geöffnet, was mir, den erschwerenden Umständen geschuldet, das Blut in den Adern gefrieren ließ. Mit zitternden Fingern und immer mit der Angst im Nacken, auf frischer Tat ertappt zu werden, nahm ich die Geldbörse an mich und schlich als Dieb des schwer erarbeiteten Haushaltsgelds meiner Mutter aus dem Haus. Das ausgeräumte Portemonnaie warf ich kurzerhand in den Dorfbach. Nichts sollte mehr auffindbar sein, nichts mehr nachweisbar. In der Hoffnung, dass dann der Verdacht auf den fahrenden Scheren- und Messerschleifer fallen würde, der regelmäßig bei uns seine Dienste anbot. Er war mir sowieso nie sonderlich sympathisch gewesen! Den Erwerb der Schokolade verschob ich vorsichtshalber und vergrub das Geld unter unserer Baumhütte am Ufer der Bregenzer Ach. Als offensichtlich abgebrühter, professioneller Gauner wollte ich bei Zanettis mit meinem plötzlichen Reichtum keinen Verdacht schöpfen und daher abwarten, bis Gras über die Sache gewachsen war.
Was aber nun folgte, war eine seltsame und beunruhigende Erfahrung für ein Kind von zehn Jahren. Meine Eltern erwähnten mit keinem Wort den Verlust von einem, wie es mir schien, nicht geringen Anteil ihres Haushaltsgelds. Es herrschte keine Aufregung darüber, kein Jammern war zu hören und schon gar keine Verdachtsäußerung irgendjemandem gegenüber. Und damit begann für mich eine lange, qualvolle Leidensgeschichte. Von nun an stieß ich in den alleruntersten Katakomben des Schlafes, wo es immer kalt und feucht ist, wieder und wieder auf mein Verbrechen. Jahrelang wurde ich von Albträumen geplagt, erwartete jederzeit die Strafe Gottes oder zumindest die Exkommunikation, nachdem ich vor unserem Pfarrer die Beichte darüber abgelegt hatte. Ich wagte in der Folge nicht, meinen Schokoladetraum zu verwirklichen. Schlussendlich traute ich mich überhaupt nicht mehr, das Geld anzufassen, warf es schließlich Monate später in einem verzweifelten Anfall in den nebelverhangenen See. Doch damit war es nicht vorbei. Die Albträume blieben, flammten immer wieder auf. Und ich trug das Geheimnis mit mir herum wie einen verborgenen Makel, wie eine schwärende Wunde. Bis die Zeit dann doch gnädig den Mantel des Vergessens darüber ausbreitete und das Damals verblassen ließ. Schule, Studium, die ersten Liebschaften, Heirat und Kinder und die beruflichen Herausforderungen ließen immer weniger Zeit für Erinnerungen an etwas Dunkles in meiner Kindheit. Die Träume verzogen sich, wichen zurück.
Mit den Jahren nun passten sich mein Gesicht und meine Statur immer mehr dem in meinem Pass angegebenen Alter an, und ich vergaß dabei auch nicht, grau zu werden. Und plötzlich, im reifen Mannesalter, waren sie wieder da, die Albträume. Eine Mutter, die immerzu weint, ob ihres missratenen Sohnes. Schwestern, die hungern, weil ihr Bruder sie so hartherzig und kriminell um ihr tägliches Brot bringt. Aber immer, wenn ich schweißgebadet aus diesen Träumen aufgewacht bin, war ich mir nicht mehr sicher, ob sich wirklich alles so abgespielt hatte. Vierzig Jahre verdünnen die Erinnerung und sie können trügen. Hatte es sich wirklich so zugetragen oder hatte ich mir das alles nur eingebildet? Ist das, was wir als Wahrheit zu erkennen glauben, wirklich die Wahrheit, oder scheint es uns nur so? Warum sich also weiterhin von Träumen plagen lassen, wenn die Wahrheit vielleicht doch eine ganz andere sein könnte? Und sollte ich wirklich ein gemeiner Dieb gewesen sein, so konnte ich endlich bei meiner Mutter mein Verbrechen gestehen und mein Gewissen erleichtern.
Vorher wollte ich mich aber vergewissern und wer, wenn nicht meine Mutter selbst, konnte mir dabei helfen? Ein paar Jahre später und ihre aufziehende Alzheimer-Erkrankung hätte dies nicht mehr möglich gemacht. Aber noch war sie bei Sinnen, im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte. Sie saß am Küchentisch, als ihr Sohn erwartungsvoll den Raum betrat. Nach dem Tod unseres Vaters war sie merklich gealtert und ihr sprichwörtlicher Galgenhumor hatte sie für immer verlassen. Ich begann sofort mit dem unangenehmen Verhör: „Mama, kannst du dich noch erinnern? In unserer alten Küche… da war doch in der Tischschublade immer das rote Portemonnaie. Und… na ja, das ist doch mal weggekommen. Weißt du noch?“ Gespannte Stille. Ein Missklang hing für einige Sekunden im Raum. Und die Nervosität toste erst so richtig durch meinen Körper, als die Fragen raus waren. Sie sah mich mit ernsten Augen an: „Welches rote Portemonnaie? Ich weiß nicht, was du meinst.“ Pause. „Aber Mama… ist damals nicht das Haushaltsgeld geklaut worden?“ Kurzes Kopfschütteln: „Nein, davon weiß ich nichts. Aber warum fragst du sowas?“
Nach einigem Hin und Her beließ ich es einfach dabei. Ich hatte die Antwort bekommen, auf die ich gehofft hatte, war also unschuldig, hatte mir alles nur eingebildet. Meine Erinnerung hatte mir einen Streich gespielt, mir viele Jahre schlechten Gewissens beschert, für nichts und wieder nichts. Das rote Portemonnaie hatte es nie gegeben! Oder wollte sie mich einfach nur schonen und alles auf sich belassen? Schließlich war ja alles sozusagen schon verjährt. Oder hatte sie es einfach schlichtweg vergessen? Die leisen Zweifel blieben.