SeelenMeer - Arno A. Gander - E-Book

SeelenMeer E-Book

Arno A. Gander

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Beschreibung

Arno A. Ganders Erzählungen sind achtsam komponierte Eindrücke des menschlichen Lebens. Sie blicken auf das jeweils eigene Schicksal ihrer Protagonisten, dem letztlich doch keiner von ihnen entkommen kann - weder der vom Vietnamkrieg gezeichnete Heimkehrer noch die beiden Freunde, die auf dem eisigen Bodensee ihrem Verhängnis entgegengehen. Oder der Mann, der drei Tode sterben muss, um in die Annalen des großen Weltenbrands einzugehen. Das menschliche Dasein ist eine vielschichtige Angelegenheit, solange es eben andauert, doch eines ist gewiss: Niemand kommt lebend aus der Sache heraus …

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Seitenzahl: 67

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Inhalt

Impressum

Widmung

Inhaltsverzeichnis

Ho-Chi-Minh im Big Apple

Mordsgeschichte

Seelenfrost

Weg sein

Nicht alles Gold, was glänzt

Mondansichten

Seegfrörne

Es werde Licht

Miniaturen

Die drei Tode des Meredith Bevan

Szenen einer Ehe

Angst im Kopf

Aus dem Leben einer Schwiegermama

Trennung

Fabulierversuche

Märchen für Populisten

Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie­.

Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fern­sehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und ­auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.

© 2019 novum Verlag

ISBN Printausgabe: 978-3-903271-19-7

ISBN e-book: 978-3-903271-20-3

Lektorat: Philine Ternes

Umschlagfoto: © cristina_contii | Adobe Stock

Umschlaggestaltung, Layout & Satz: novum publishing gmbh

Innenabbildungen: Bild 1: © Flybynight | Adobe Stock, Bild 2: © pigdevilphoto | Adobe Stock, Bild 3: © Creaturart | Adobe Stock, Bild 4: © TPhotography | Adobe Stock, Bild 5: © Harald Jahn | Adobe Stock, Bild 6: © suppakij1017 | Adobe Stock, Bild 7: © W. Stuhler – Captured from a view Table; Darstellung auf einer Ansichtstafel am Lindauer Hafen: Eislandung im Hafenbecken von Lindau während der Seegfrörne 1963, Aufnahme von W. Stuhler, Bild 8: © yorkzel | Adobe Stock, Bild 9: © belamy | Adobe Stock, Bild 10: © WoGi | Adobe Stock, Bild 11: © busch30 | Adobe Stock, Bild 12: © foto_tech | Adobe Stock, Bild 13: © Leonid Eremeychuk | Adobe Stock, Bild 14: © malcev852 | Adobe Stock, Bild 15: © Archivist | Adobe Stock, Bild 16: © lom 123 | Adobe Stock

www.novumverlag.com

Widmung

Für Euch

Amore mio

&

Priyatam (Darling) Daughter

as always

Inhaltsverzeichnis

… Ho-Chi-Minh im Big Apple …

… Mordsgeschichte …

… Seelenfrost …

… Weg sein …

… Nicht alles Gold, was glänzt …

… Mondansichten …

… Seegfrörne …

… Es werde Licht …

… Miniaturen …

… Die drei Tode des Meredith Bevan …

… Szenen einer Ehe …

… Angst im Kopf …

… Trennung …

… Fabulierversuche …

… Märchen für Populisten …

Ho-Chi-Minh im Big Apple

Mein Ho-Chi-Minh-Trail. Von der Grand Central direkt die 42. entlang zum Times Square – Angriff aufs Trommelfell. Der Lärm der Straße, wie das Donnern der Granatwerfer vor Khe Sanh. Reifen, die quietschen, vor roten Ampeln. Hupendes Getöse, wie auf dem Stützpunkt bei Thuy Phuong während der Tet-Offensive. Go Army. Rekrutierungsbüros alle paar Kilometer. Gute Jungs, die anstehen. Aber nicht den blassesten Schimmer haben. Von der Hölle, die auf sie wartet. Von Search and Destroy. Ich zucke zusammen. Blaulicht und Sirenen. Alle paar Minuten rasen Einsatzfahrzeuge an mir vorbei. Habe das Bedürfnis, nachzulaufen, zu helfen. Aber vergiss es. Hier ist nicht Vietnam. Halt dich raus. Hier helfen andere. Meine Sinne nehmen Geräusche, Gerüche, Bilder wahr, vergleichen sie. Sind für immer und ewig in mein Gehirn gebrannt. Vor allem das Schluchzen und Schreien in diesem unglücklichen Weiler namens My Lai.

Ein Mann kommt mir entgegen. „Hey, hast du was für mich?“ Ist hochgradig high. Ich kann das Marihuana riechen. Mensch, hier musst du doch nicht. Wir mussten, aus Angst. Ein Haufen elender GIs zwischen den Kampfeinsätzen. Ich schüttle den Kopf und drücke ihm ein paar Dollar meines kargen Solds in die Hand. Blutgeld. Kauf dir was. Stimmen und Geschrei um mich herum. Auf dem Gehsteig herrscht rücksichtsloses Gedränge. Ich werde angerempelt und übersehen, nicht beachtet. Ich, der für euch die Drecksarbeit da drüben erledigt hat. Und von der Erinnerung daran krank geworden bin. Dung Lai, Dung Lai (Halt, Halt). Wo wollt ihr alle hin? Um mich herum sind Menschen am Laufen. Auch wir sind ständig gelaufen. So wie unsere Moral, die uns aber immer mehr davonlief.

Ich biege in eine Querstraße ein. Warum? Ich weiß es nicht. Vielleicht, weil es mir auf der 42. zu eng, zu hektisch geworden ist. Aber hier pralle ich gegen eine Mauer aus Gestank. Von Urin, vermodernden Abfällen, Hundekot. Irgendwie vertraut. In den Camps entlang des Mekong das normale Begleit-Odeur der gemeinen Fußsoldaten. Vermischt mit dem süßlichen Geruch herumliegender Leichen. Dort zieht man den tiefschwarzen Modergeruch Vietnams direkt in die Lunge. Aber hier? In der Stadt meiner Träume, meiner Sehnsucht? Mein Magen rebelliert. Ich kehre um. Menge mich wieder in den Strom der Menschen. Die nicht wissen, wo ihre Söhne gerade kämpfen. Ich stolpere über einen Bettler, an eine Wand gelehnt. Er hat Glück hier. Man wird ihm geben. Anders als in den Straßen von Saigon. Am Times Square. Leuchtreklamen brechen über mich herein. Grelle Lichtblitze peinigen meine Netzhaut. Formen sie zu Bildern, die ich nicht sehen will. Funken wirbeln in die Nacht. Brennende Hütten, deren Ausgänge verbarrikadiert wurden. Mein Herz krampft sich zusammen, pocht in meinen Schläfen. Beruhige dich. Es ist nur die Werbung der Heimat: Marlboro-Country. NYC Stock Exchange. Coca-Cola.

Du bist zuhause, alles gut. Es regnet und ich seh den Himmel nicht mehr vor lauter Regenschirmen. Gänzlich hinderlich und überflüssig hier. Das bisschen Nieseln ist doch nichts gegen sechs Tage Dschungelregen am Stück. Egel und Moskitos als Draufgabe. Oh, wie war ich müde gewesen. In den Sümpfen Vietnams stehend aufgewacht. Das Wasser bis an die Brust. Eine Hölle aus Schlamm und Regen. Und die Menschen hier? Nicht alle scheinen glücklich. Aber nirgendwo „Cafard“, diese Krankheit Indochinas. Mit gelegentlichen Depressionen und einer unüberwindbaren Müdigkeit. Resultat der gnadenlosen Hitze, des tagelangen Nichtstuns. Nur der starre Blick auf eine fremde Landschaft, auf ein dich erschlagendes Grün. Keine andere Farbe, die einen Kontrast bilden könnte. Grün, die Farbe der Hoffnung und der Jugend. Ich kann sie nicht mehr ertragen. Grüne Reisfelder, grüne Berge, grüne Hügel, grüne Uniformen. Hellgrün, Dunkelgrün, Olivgrün.

Am Times Square ist eine Bühne aufgestellt. Eine bunt zusammengewürfelte Band spielt aktuelle Hits. Bei „Lemon Tree“ zucke ich zusammen. Ich höre Jensen dieses Lied singen. Während wir beide übriggebliebene Körperteile von einem Baum werfen. Ein Junge aus Minnesota, von einer Miene zerrissen. Aber hier ist Big Apple, und das Lied hat eine andere Bedeutung. Neben mir trottet ein Farbiger die Straße entlang. Um seinen Hals eine auffällige Schmuckkette. Wie die von Lieutenant Caputo. Nur war die mit Trophäen behangen. Abgeschnittene Vietcong-Ohren, die wie verschrumpelte, kleine Aprikosen ausgesehen haben. Irgendwann hat es mich dann erwischt.

Wir nannten es „the home shot“, der uns vom Lazarett direkt nach Hause katapultiert hat. Aber wo ist zu Hause? Zu meinem Erschrecken ist mir das erschreckend fremd geworden. Stößt mich ab, lässt mich nicht an sich heran. Und ich ertappe mich. Sehne mich wieder nach dem Moder Vietnams, nach der Farbe Grün, nach meinen durchgeknallten Trophäensammlern. Was tue ich eigentlich hier?

†††

Mordsgeschichte

Liviu S. war gut. Eigentlich war er der Beste, wenn es darum ging, in anderer Leute Häuser und Wohnungen einzubrechen. Unter den Rumänen Wiens hatte er einen fast schon legendären Ruf und das kam nicht von ungefähr. Er nahm einfach seine Profession sehr ernst. So auch an diesem Morgen, als er am Tresen seines Stamm-Beisls auf der Hütteldorferstraße stand und aufmerksam die Todesanzeigen der Kronenzeitung studierte. Eine Tätigkeit, der er, wenn er nicht gerade einen Rausch ausschlief, jeden Tag mit vorbildlichem Eifer nachging. Schließlich waren Begräbnistermine auch ideale Einbruchstermine. Man konnte davon ausgehen, dass für eine bestimmte Zeit die Zielobjekte leer standen. Während er seine Augen über die Anzeigen huschen ließ, schlürfte er genüsslich seinen lieb gewonnenen Pharisäer. Dieser Kaffee mit viel Rum und Obers hatte es ihm besonders angetan und er ließ sich dabei vortrefflich mit einem Schluck aus dem Flachmann in seiner Manteltasche strecken.

Sein Blick fiel auf eine Anzeige in der linken oberen Ecke. Überrascht pfiff er durch die Zähne. Das bekannte Gesicht einer Frau blickte ihm entgegen, letzte Woche noch hier in diesem Beisl kennengelernt. Hatte sich mit ihren geschätzten fünfzig Lebensjahren an ihn, einen Landsmann herangemacht. Dabei war sie so professionell vorgegangen, dass er dahinter gleich einschlägige Erfahrungen im Rotlichtmilieu vermutete. Sie hatte ihm eine ganze Stunde lange von abenteuerlichen Zeiten in Thailand erzählt und dass sie dort in knapp zehn Jahren mehr Geld verprasst hätte, als andere in ihrem ganzen Leben verdienen würden. Und sie hatte den Fehler begangen, ihm zu erzählen, wo sie wohnte.