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Ein paar Tage vor der Aufführung von Shakespeares Macbeth steht der renommierte Intendant Max Borges, der in Barcelona eine kleine exzentrische Theatergruppe leitet, kurz vor dem Zusammenbruch. Bei dem Stück, das sein größter Erfolg werden sollte, scheint alles schief zu gehen: Die Hexen sind zu schön oder wegen Schwangerschaft ausgefallen, König Duncans Krone ist zerbrochen, und sein Macbeth riecht verdächtig nach schottischem Whisky. Glücklicherweise gibt es Elsa, die Max in solchen Momenten – egal, was passiert – immer daran erinnert: The Show must go on. Seit die elfenhafte junge Frau mit den roten Haaren ihm einige Jahre zuvor an der Uni über den Weg gelaufen ist – am schwärzesten aller Tage, als seine Frau gerade mit dem Oberon aus dem Sommernachtstraum durchgebrannt war –, ist sie die Glücksfee des Theater-Ensembles und Max Borges' Assistentin. Doch mehr ist sie nicht. Oder doch? Als die Aufführung wider Erwarten ein voller Erfolg wird und Max und seine Truppe eine Einladung zum berühmten Edinburgh Fringe Festival erhalten, erwartet sie eine Stadt voller magischer Sommernächte, durch deren Gassen der Geist von Shakespeare zu wehen scheint. Doch am Abend der Premiere ist Elsa plötzlich verschwunden, und als der Vorhang fällt, werden Liebe und Freundschaft plötzlich zu den wahren Protagonisten der Geschichte …
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Aus dem Spanischen übersetzt von Anja Rüdiger
© 2021 by Mónica Gutiérrez
© 2021 by Penguin Random House Grupo Editorial, Barcelona
Titel der spanischen Originalausgabe: Sueño de una noche de teatro
© 2024 für die deutschsprachige Ausgabe
Thiele Verlag in der Thiele & Brandstätter Verlag GmbH, Wien
Covergestaltung: Christina Krutz, Biebesheim a. R.
Coverbild: Rawpixel
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Cover & Impressum
Disclaimer
Zitate
DRAMATIS PERSONAE
Teil 1 – BARCELONA
1 – Der Fluch der Hexen
2 – Mr. Biorgis träumt von London
3 – Die Prinzessin im Regen
4 – Die Ängste der Diva
5 – Kurzsichtige Pinguine sind gefährlich
6 – Bibliotheken und Limonaden
7 – Schwarze Weihnacht
8 – Die unbegrenzten Möglichkeiten des Theaters
9 – Premiere
10 – Die Diva auf der Flucht
11 – Tee im Ritz
Teil 2 – SCHOTTLAND
12 – Edinburgh
13 – Wo wir sind, drohn Dolche
14 – Hic Sunt Dracones
15 – Wassailing
16 – Abtritt
17 – Tee, Kirschkuchen und Zuckerstangen
18 – Die Einsamkeit des Regisseurs
19 – Floras Refugium
20 – Tee mit dem Premierminister
21 – Der letzte Akt im Garten
Inhaltsübersicht
Cover
Textanfang
Impressum
Auch wenn die Geografie dieses Romans in einigen Fällen der Realität entspricht und viele der beschriebenen Orte wirklich existieren, so trifft das nicht auf die Personen zu. Alle Figuren in dieser Geschichte sind Fantasieprodukte der Autorin, abgesehen von Mr. David Cameron, dem ehemaligen Premierminister Großbritanniens, der – in dem sehr unwahrscheinlichen Fall, dass er diesen Roman liest – jede mir möglicherweise unterlaufene Ungehörigkeit verzeihen möge, denn es lag nicht in der Absicht der Verfasserin, ihm in welcher Form auch immer zu nahe zu treten.
Es gibt wenige Herzen, die sich nicht mit einer Tasse
heißer Schokolade reparieren ließen.
LEA VÉLEZ
Fasst frischen Mut; so lang ist keine Nacht,
dass endlich nicht der helle Morgen lacht.
WILLIAM SHAKESPEARE, Macbeth
MAX BORGES – berühmter Theaterregisseur, verantwortlich für den Macbeth, um den es geht
ELSA SOLER – rothaarige Regieassistentin von Max Borges
ENZO POOH – von William Shakespeare besessener Dramaturg
AURORA TOMÁS – Kostümbildnerin, Schneiderin, verantwortlich für die Garderobe
QUINTÍN LÓPEZ – Beleuchter
ROBERT PASQUAL – Szenograf
MARIO ROZ – Musik und Ton
DERECK B. PLUM – Theaterregisseur aus London, Erzrivale von Max Borges
PERE RICART – Schauspieler mit Alkoholproblem in der Rolle des Macbeth
RAMÓN SOLSONÈS – Schauspieler in der Rolle von König Duncan
MARGOT DEGARD – göttliche Diva, spielt Lady Macbeth
SEÑOR DEGARD – der beflissene Ehemann der Diva
MIQUEL – Philosoph und Faktotum in der Eislaufhalle von Barcelona
CLARA LUQUE – Professorin für Mediävistik, Elsas Mutter
FRANCESC SOLER – Ingenieur im Ruhestand, Elsas Vater
ANNA LÓPEZ – leicht tollpatschige Schauspielerin, spielt die Lady Macduff
ALEXANDER MAC RAITH – Gespenst von Dunvegan Castle
DUNCAN – Rezeptionist im Flodigarry
MRS. UND MR. LOWELL – Gäste im Flodigarry
MARBELIS und die beiden Nichten von MARGOT DEGARD – die drei schönen Hexen
Wann treffen wir drei uns das nächste Mal
bei Regen, Donner, Wetterstrahl?
Macbeth, 1. Akt, 1. Szene
Nur zwei Monate vor der Premiere von Macbeth im Teatre Nacional de Catalunya saß der berühmte Theaterregisseur Max Borges im Halbdunkel der ersten Zuschauerreihe und blinzelte ungläubig, weil er nicht glauben konnte, was er auf der Bühne sah. Doch auch nachdem er sich die Augen gerieben hatte, standen die drei Hexen aus dem Wald von Birnam immer noch da und rezitierten die erste Szene im ersten Akt.
»Noch vor Untergang der Sonnen«, sagte eine der schönen Nymphen mit kristallklarer Stimme.
»Wo der Ort«, fuhr ihre hübsche Kollegin fort.
Max setzte seine, wie er hoffte, überzeugendste enttäuschte Miene auf und wandte sich seiner Assistentin Elsa zu.
Elsa, die ihren Chef kannte, konnte sich annähernd vorstellen, was er von den drei Hexen hielt, und wagte nicht, ihn anzusehen, sondern hielt den Blick fest auf die Bühne gerichtet.
»Schön ist wüst, und wüst ist schön«, zwitscherte das Trio der glücklichen Najaden im Chor.
Max hatte den Eindruck, dass einer von ihnen nach diesem Satz ein unkeusches Kichern entwischte.
»Wir werden sie schminken«, flüsterte Elsa, immer noch ohne Max anzusehen. »Und Auroras Kostüme werden alles andere vergessen lassen. Hast du die Kostüme gesehen? Sie sind großartig.«
»Wo sind meine Hexen?«, fragte der Regisseur, ebenfalls im Flüsterton. »Die ursprünglichen, meine ich?«
»Marisa ist kurz vor der Entbindung, Marta hat sich letzte Woche verabschiedet, und Marbelis steht, obwohl sie schwanger ist, auf der Bühne und spielt die erste Hexe.«
Max beschloss, dass er gar nicht wissen wollte, warum, verdammt noch mal, alle drei Schauspielerinnen irgendwas mit Mar hießen, warum zwei von ihnen gleichzeitig schwanger waren und die dritte ausgerechnet diese Phase übermäßiger Fruchtbarkeit genutzt hatte, um klammheimlich zu verschwinden.
»Ich bin ein Spielball des Schicksals«, beschwerte er sich.
»Alles wird gut.«
»Wie denn? Die Hexen spielen in dem Stück eine fundamentale Rolle als Unheilverkünderinnen … Wie war das noch? Lass es dir von Enzo erklären, dann wirst du verstehen, dass sie von entscheidender Bedeutung sind.«
Elsa, die wie der gesamte Stab, Techniker, Bühnenbildner, Beleuchter, Kostümbildnerin, Musiker, Produzent, Inspizient und Ensemble, eine Woche vor Probenbeginn den pausenlosen vierstündigen Vortrag des Dramaturgen Enzo Pooh über sich ergehen lassen musste, dachte, dass sie lieber barfuß zum Grab von König Duncan pilgern wollte, als noch ein einziges weiteres Wort über die tragische Ironie in den Weissagungen der Hexen zu hören.
Die drei Schauspielerinnen, die ihren kurzen Einsatz in der ersten Szene des ersten Aktes rings um einen enormen Zinnkessel beendet hatten, blickten nun lächelnd in die erste Stuhlreihe. Die Lichtproben, die ein Techniker unter den Anweisungen des Beleuchters ausführte, behinderten – in diesem Moment zum Glück – die Sicht auf die düstere Miene ihres Regisseurs, sodass die drei auf ein Zeichen der Zustimmung oder eine Anweisung warteten, bevor sie König Duncan und seinen Soldaten die Bühne überließen.
»Gib ihnen eine Chance. Ihr Englisch klingt zumindest ganz passabel.«
»Alles in Ordnung, Señor Borges?«, fragte Marbelis, die, vom Licht geblendet, ein wenig vortrat, um den Wortwechsel zwischen dem Regisseur und seiner Assistentin zu verstehen.
»Natürlich«, versicherte Elsa eilig, da Max wie versteinert dasaß. »Morgen machen wir mit den anderen Szenen weiter. Bitte schaut heute Nachmittag bei der Kostümbildnerin vorbei.«
Die drei hübschen, blutjungen Waldhexen verabschiedeten sich mit glockenhellem Gelächter und huschten von der Bühne. Elfengleich schwebten sie davon und schienen die Bretter, die die Welt bedeuten, kaum mit den Zehenspitzen zu berühren. Elsa musste zugeben, dass sie nicht im Geringsten wie Hexen aussahen, und schielte besorgt zu Max hinüber. Doch der sah schon gar nicht mehr hin.
»Das wird eine Katastrophe«, klagte er. »Mir wäre Hamlet sowieso lieber gewesen.«
»Alles wird gut«, meinte Elsa beschwichtigend. Max Borges genoss einen ausgezeichneten Ruf als Theaterregisseur, seit seine Inszenierung von Ein Sommernachtstraum im Teatro Municipal von Manresa von der Kritik einmütig als ebenso brillant wie außergewöhnlich gefeiert worden war. Dabei hatte Borges sich nicht nur an der traditionellsten Shakespeare-Version und den ältesten bekannten Quellen orientiert, vielmehr waren auch die Darbietung des Textes und die Inszenierung herausragend gewesen. Obwohl die Schauspieler keine Vollprofis waren und man nur über ein geringes Budget verfügte, war es dem damals noch nicht einmal vierzigjährigen Regisseur gelungen, mit Wahrhaftigkeit und Herzblut das Publikum zu beeindrucken. Und auch wenn später einige neidische Stimmen behaupteten, dass sich Max damals auf Theaterfestivals minderer Güte seine ersten Lorbeeren verdient hätte, waren die Kritiker sich doch einig, dass von diesem begabten Regisseur fortan noch Großes zu erwarten war, wenn es um die Inszenierungen der Theaterstücke des Barden aus Stratford-upon-Avon ging.
Leider konnte man nicht behaupten, dass das Ansehen des jungen Regisseurs seit jener umjubelten Aufführung in Manresa rasant gestiegen war. Er besaß zwar Talent und ein kolossales Durchhaltevermögen, doch hatten auch die Sympathie der Kritiker, die Sorgfalt, mit der er sein Ensemble auswählte, und – insbesondere – sein Geschick beim Eintreiben von Subventionen zu seinem unaufhaltsamen Aufstieg in den Theaterolymp beigetragen.
Nun, da Max auf die fünfzig zuging und sein dunkles Haar an den Schläfen grau zu werden begann, war seine Karriere an einem Punkt, ab dem man nicht mehr als vielversprechend gelten konnte, sondern entweder wirklich berühmt wurde oder krachend scheiterte und in der Versenkung verschwand. Groß und von kräftiger Statur, war er mit seinem exakt gezogenen Seitenscheitel, mit dem er sein volles Haar zu bändigen versuchte, seiner langen, markanten Nase und dem Grübchen am Kinn eine imposante Erscheinung mit einer tiefen Stimme und dem prüfenden Blick seiner kastanienbraunen Augen entging nichts. Vielleicht weil er von Natur aus eher schweigsam war oder wegen der Autorität seiner knappen, klaren und entschiedenen Sätze, war er keinen Widerspruch gewohnt, und in der Theaterbranche ging das Gerücht um, dass er niemals lächelte. Doch aller legendären Übertreibungen zum Trotz und obwohl er sich tatsächlich selten eine große Gefühlsäußerung erlaubte – dafür waren ja die Schauspieler da –, hatte Elsa ihren Chef bei einigen Gelegenheiten durchaus lächeln sehen. Und hätte sich jemand die Mühe gemacht, die Regieassistentin zu befragen, hätte sie sicher geantwortet, dieses rätselhafte Lächeln erinnere sie an Gregory Peck in der Rolle des Atticus Finch. Da Elsa Fremden gegenüber jedoch von Natur aus schüchtern war und nicht gewusst hätte, wie sie diesen Vergleich erklären sollte, ohne unerträglich kitschig zu klingen, war sie froh, dass niemand sie auf die Mimik ihres Chefs ansprach.
Der hatte in diesem Moment genug von dem Halbdunkel, stand auf und brüllte, in der Hoffnung, den Beleuchter und seine Techniker gehörig zu erschrecken, zu den Scheinwerfern hinauf:
»Licht! Sofort! Damit ich diesen verdammten Saal verlassen kann, ohne über meine eigenen Füße zu stolpern.«
Von der Lichtbühne kam kein Lebenszeichen, doch einen Augenblick später erhellte ein sanfter Schein das dunkle Meer der Stuhlreihen des Teatre Nacional de Catalunya. Und obwohl Elsa bereits in einigen der berühmtesten Theater Europas gearbeitet hatte, beeindruckte die Erhabenheit dieses imposanten leeren Raumes sie einmal mehr.
Max, dessen schlechte Laune das Ende des Halbdunkels überdauert hatte, legte das Schreibzeug zur Seite – er pflegte seine Textbücher von oben bis unten mit Notizen zu bekritzeln –, zog den Mantel über das Jackett mit den Lederflicken im Stil eines Oxford-Professors und brummte einen Abschiedsgruß. Bei jedem anderen hätte Max es bei diesem Brummen belassen, da Elsa aber nicht irgendjemand war, wandte er den Kopf, glättete die gerunzelten Augenbrauen ein wenig und fügte entschuldigend hinzu:
»Ich bin mit den Anwälten der Produzenten zum Essen verabredet.«
Wenn Elsa verwundert war, dass er sie nicht aufforderte, ihn zu begleiten, ließ sie es sich jedenfalls nicht anmerken. Max hatte einen schlechten Tag, und in diesem Fall war das Vermeiden überflüssiger Gespräche ein wirksames Gegenmittel.
Max Borges’ Abgang sorgte für Bewegung hinter den Kulissen. Quintín López und Robert Pasqual, ihres Zeichens Beleuchter und Bühnenbildner, trauten sich hinunter auf die Bühne und verstrickten sich in eine angeregte Diskussion über die Düsterkeit des Schlachtfeldes und den triumphalen Rotton des Blutes. Elsa nickte ihnen zu und überließ sie ihrer morbiden Welt, um die Kostümbildnerin Aurora Tomás zu suchen.
Aurora hielt sich nicht in ihrem Reich auf, einem riesigen Anproberaum, der sich nach und nach mit den schönsten Kostümen gefüllt hatte. Von den begnadeten Händen der Kostümbildnerin entworfen und genäht, war jedes von ihnen die perfekte Inkarnation einer bestimmten Figur.
Elsa nahm ein Kleid, das Lady Macbeth im zweiten Akt tragen würde, vom Bügel, hielt es sich selbst an und betrachtete sich im Spiegel. Ihre für eine Rothaarige typische helle Haut bildete einen lebhaften Kontrast zu dem Rubinrot des perlenbesetzten Kleides. Die schönen grauen Augen der Regieassistentin leuchteten.
Sie verließ die Werkstatt und versuchte ihr Glück in der Garderobe von König Duncan. Ramón Solsonès, der veterane Schauspieler, der die Rolle des unglücklichen schottischen Monarchen verkörperte, war nicht da. Elsa dachte, dass sich der König vermutlich bei seinem Heerführer Macbeth aufhielt, doch als sie nach einem energischen Klopfen die Tür mit dem Namensschild Pere Ricart öffnete, lag der Raum dahinter im Dunkeln. Es roch nach Wein wie in einer römischen Taverne zuzeiten von Marius’ Legionären, nach ranzigem Pyrenäenkäse und alten Socken. Im Licht ihres Handys entdeckte Elsa den Schauspieler, der am Nachmittag die Rolle des Macbeth spielen sollte, schließlich zugedeckt mit einem halben Dutzend schottischer Kilts, schlafend auf dem Divan. Sein Haar war strähnig und ungewaschen, sein Bart mindestens eine Woche nicht rasiert, und er schnarchte in einer Lautstärke, wie man sie nur nach einem beachtlichen Alkoholrausch erreicht.
Entmutigt von ihrer erfolglosen Suche nach dem Personal, mit dem sie sich über die Erfordernisse der Nachmittagsproben hätte austauschen können, beschloss Elsa, ihr Mittagessen zu Hause einzunehmen. Sie ging kurz im Büro vorbei, um ihre Sachen zu holen, und verließ das Theater durch eine Seitentür des Verwaltungstrakts. Draußen goss es wie aus Eimern.
Will das Schicksal mich
als König, nun, mag mich das Schicksal krönen,
tu ich auch nichts.
Macbeth, 1. Akt, 3. Szene
Im Jahr zuvor hatte sich der Direktor der Society of London Theatre, kurz SOLT mit Elsa in Verbindung gesetzt, um einen Termin mit Borges zu vereinbaren. Einige Mitglieder der ehrwürdigen Society hatten die Absicht gehabt, ein paar Tage in Barcelona zu verbringen, um an der jährlichen Gala des Teatre de Catalunya teilzunehmen. Diesen Aufenthalt wollte man für ein Treffen mit Max Borges nutzen und ihm ein Angebot unterbreiten, das den talentierten Theaterregisseur hoffentlich in Entzücken versetzen würde.
Wie ihm die fünf Mitglieder der SOLT, die am Vorabend der Gala in Barcelona eintrafen, ohne lange Vorreden erklärten, verfolgten sie bereits seit einiger Zeit mit Interesse die Karriere des angesagten Theaterregisseurs und wollten in Erfahrung bringen, was Señor Borges – Mister Biorgis, wie sie es in ihrem englischen Akzent aussprachen – über das britische Theater dachte und ob er bereit wäre, den Ärmelkanal zu überqueren, um vielleicht – wenn er wirklich gut und diszipliniert war und der englischen Sprache mächtig – die Bühnen im Londoner West End zu erobern.
Max, der mit einem gewissen Dünkel einen irrationalen Hass auf Musicals pflegte, wurde regelmäßig von Albträumen heimgesucht, in denen er Mamma Mia! inszenieren musste, was jedes Mal dazu führte, dass er, stöhnend und in Schweiß gebadet, mitten in der Nacht aufwachte. Aber da bekanntermaßen nur diejenigen unter Albträumen leiden, die zu träumen in der Lage sind, nährte Max als glühender Shakespeare-Verehrer auch die heimliche Sehnsucht, einmal im Leben im Royal Opera House Hamlet aufzuführen, wenn möglich in Anwesenheit von Ihrer Majestät Elizabeth II. am Abend vor der Verleihung des Laurence Olivier Award für die beste Regie. Niemand wusste von seinen Albträumen und seinen theatralischen Ambitionen – abgesehen von Elsa, die ihren Chef besser als jeder andere kannte. Doch sie hüllte sich respektvoll in Schweigen, wenn es um seine Musical-Phobie ging, und sah in seiner Vorliebe für anglophile Theaterstücke eine permanente Hommage an den Schöpfer von Romeo und Julia.
Im Laufe jener Woche, in der der hohe Besuch in Barcelona weilte, gelang es Max, den erlauchten Teeliebhabern der SOLT einen Vertrag abzuringen, der ihm zugestand, für das berühmte Fringe Festival in Edinburgh ein Stück seiner Wahl zu inszenieren. Und je nachdem, wie die Kritiken ausfielen, würde man dem spanischen Regisseur anschließend die Bühne des berühmten Theaters in Londons Covent Garden für die gesamte Wintersaison zur Verfügung stellen.
In der Überzeugung, dass das einzige Werk, das ihm den Zugang zum Olymp ermöglichen würde, Hamlet war, skizzierte Max auf seinem Laptop rasch in groben Zügen die nötigen Voraussetzungen. Hamlet war sein erstes Stück im Teatre Nacional de Catalunya gewesen. Hamlet hatte ihm Lobeshymnen in den Feuilletons der französischen Tageszeitungen eingebracht, als er damit an der Comédie-Française und am Odéon-Théâtre gastierte. Hamlet hatte das anspruchsvolle Publikum des Theaterfestivals von Avignon zu Begeisterungsstürmen hingerissen. Hamlet mit seinem gequälten Prinzen, den umherirrenden Geistern in elisabethanischen Gewändern, der verrückten Ophelia, dem Totenkopf aus der Requisitenkammer und den klangvollen Monologen war die Panazee jedes Theaterregisseurs. Hamlet war sein Glücksbringer. Und der unglückliche Prinz von Dänemark würde auch in Edinburgh eine gute Figur machen und das glorreiche Entrée für seiner Londoner Karriere sein.
Max konferierte mit den üblichen Produzenten und deren Anwälten, um die Finanzierung zu sichern, denn die Briten hatten ihn zwar zum Fringe Festival nach Edinburgh eingeladen, aber nicht einen Penny dafür lockergemacht. Letztendlich gelang es ihm, die nötigen Kapitalspritzen und öffentlichen Subventionen zu ergattern, um seinen Hamlet so auf die Bühne zu bringen, wie es sich gehörte – unter der Bedingung, dass die Premiere des Stücks vor der Reise nach Schottland im Teatre Nacional de Catalunya stattfinden und dort über die drei Monate der Frühjahrssaison auf dem Spielplan sein würde. Diese Komplikation führte dazu, dass ein komplett zweisprachiges Ensemble sowie regelmäßige Proben auf Katalanisch und Englisch vonnöten wurden. Denn in Edinburgh sollte das Stück natürlich in der makellosen Sprache William Shakespeares aufgeführt werden.
Doch kaum hatte Max zusammen mit Elsa alle notwendigen Schritte geplant, als das vorläufige Programm des Festivals von Edinburgh bekannt wurde: Der von der britischen Kritik hoch geschätzte Theaterregisseur Dereck B. Plum würde die Ehre haben, das Stück zur Eröffnung des Theaterfestes in der schönen schottischen Stadt zu inszenieren. Und zum Entsetzen von Señor Borges (der nicht nur Musicals abgrundtief hasste, sondern auch Dereck B. Plum, den er als seinen größten Rivalen sah) hatte sich sein Konkurrent dafür ausgerechnet Hamlet ausgesucht.