16,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 16,99 €
Ungezähmt, ungebrochen, unwiderstehlich: die wahre Schöpfungsgeschichte, erzählt von Lilith, der ersten Frau. Im Paradies, am Anfang der Zeit, beginnt die große Lüge: Frauen sind Männern untergeordnet. Lilith und Adam leben gemeinsam im Garten Eden. Als Adam verlangt, dass Lilith als seine Frau seinem Willen gehorchen soll, weigert sie sich - und wird aus dem Paradies vertrieben. Zornig sieht Lilith, wie Gott Eva erschafft, die Frau, die nur Unterordnung kennt. Denn Lilith erinnert sich noch an Asherah, die einst mächtige Ur-Göttin. Doch sie ist verschwunden. Zusammen mit dem Erzengel Samuel bricht Lilith auf, die Göttin zu finden und die Frauen aus der Unsichtbarkeit zurück ins Licht der wahren Geschichte zu führen. Marmerys "Lilith" ist die elektrisierende Neuerzählung des christlichen Mythos.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 515
Nikki Marmery
Roman
Es fängt an im Garten Eden. Lilith und Adam leben gemeinsam, arbeiten gemeinsam, lieben einander. Dass Adam gerne den Dingen Namen gibt und dann meint, sie gehörten ihm, amüsiert Lilith ein bisschen. Dann verlangt Adam auf einmal, Lilith soll ihm gehorchen, einfach, weil sie seine Frau ist. Erstaunt und verletzt weigert sich Lilith, ohne zu ahnen, dass sie deswegen aus dem Paradies geworfen werden wird. Zornig sieht Lilith, wie Gott Eva erschafft, die Frau, die nur Unterordnung kennt. Lilith dagegen erinnert sich noch an Asherah, die einst mächtige Ur-Göttin. Deren Wissen um die Stärke des Weiblichen will Lilith gegen alle Unterdrückung verbreiten. Sie beginnt ihren Weg: im Geheimen hilft sie den vielen Frauen, deren große Taten aus der Geschichte verschwinden und die unsichtbar werden - von Norea und Izebel bis zu Miriam, Jesus' Gefährtin. Wie lang es auch dauern mag, Lilith glaubt an ihren Traum von der Gerechtigkeit – und sie wird darum kämpfen…
Marmerys »Lilith« ist die bewegende, ungehaltene Antwort auf Madeline Millers antike Neuerzählung »Circe« für den christlichen Mythos.
»Überraschend, elektrisierend, wichtig - der Roman ist pures Empowerment für Frauen.« Jennifer Saint, Autorin von »Ich, Ariadne«
Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de
Schon als Journalistin interessierte sich Nikki Marmery bei ihren Recherchen für die Geschichten hinter der Geschichte. Für ihren Roman »Mein Name ist Lilith« ging sie in Archive und entwickelte aus der Forschungsliteratur zum christlichen Mythos ein neues Bild von Lilith, der ersten Frau Adams. Die Autorin lebt mit ihrem Mann im englischen Amersham.
[Widmung]
Lady Lilith
Teil eins Das Paradies
Im Anfang
Ich bin dein Herr!
Sein Name
Das Rote Meer
Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch
Die Schlange
Esst davon, und ihr werdet wie die Götter
Die Versuchung des Adam
Vertrieben
Teil zwei Sheol
Die Wüste Edom
Es werde Licht
Sie werden wie Götter
Rückkehr nach Eden
Die Tochter des Mondes
Der göttliche Garten
Ein neues Paradies
Kuchen für die Königin des Himmels
Wie tötet man eine Göttin?
Auf in den Sheol
Gedemütigt
Meine Zähne könnten Feuersteine zermalmen
Ich bin hier, damit du sterben kannst
Meine Frucht ist besser als Gold
Teil drei Die Sintflut
Urteil und Rettung
Wie ein Zephir
Zwei und zwei
Das verkorkte Gefäß
Unzerstörbar
Die Verheißung
Der Berg Ararat
Die Nachkommen Noahs
Der Hain
Aradka
Verflucht sei Kanaan
War ich nicht barmherzig?
Exodus
Die Rückkehr meiner Feinde
Alle müssen gerettet werden
Teil vier Samaria
Meine Babys
Die tanzenden Mädchen von Shiloh
Orakel
Sidon
Sie, die über das Wasser wandelt
Gib mir ein Zeichen
Dein Ruhm wird Generationen überdauern
Das goldene Zeitalter
Das Erntedankfest
Die Anklage gegen Naboth
Hunde und Schakale
Närrisches Unterfangen
Bin ich keine Israelitin?
Elijahs Sieg
Völker sollen aus ihr hervorgehen
Teil fünf Die Prophetin
Magdala
Sie wird sich verbergen, wenn du erscheinst
Der vollkommene Verstand
Zwei getrennte Hälften
Das Inferno
Sprich vom Paradies, denke an Damaskus
Ich bin die, die schreit
Das leere Gefäß
Gewöhnliche Täuschungen
Mathetriai
Groß ist Artemis der Epheser!
Nimm deine Tragbahre und geh umher!
Der Gesalbte
In Gethsemane
Das letzte Abendmahl
Maryams Evangelium
Vergrabener Schatz
Teil sechs Mein Ende ist mein Anfang
Das Beben
Rückkehr
Der Baum des Lebens
Das wiedergewonnene Paradies
Historische Anmerkungen
Teil eins
Teil zwei
Teil drei
Teil vier
Teil fünf
Dank
Karten
Für Frauen allüberall.
Seid eure eigenen Gottheiten.
Eure Mutter gebietet es euch.
Of Adam’s first wife, Lilith, it is told
(The witch he loved before the gift of Eve,)
That, ere the snake’s, her sweet tongue could deceive,
And her enchanted hair was the first gold.
And still she sits, young while the earth is old,
And, subtly of herself contemplative,
Draws men to watch the bright web she can weave,
Till heart and body and life are in its hold.
Dante Gabriel Rossetti
Mär geht von Lilith (diese Hexe war
Vor Eva Adams Weib): sie wußt’ in Eden
Noch vor der Schlange süßen Trug zu reden,
Und echtes Gold war ihr verzaubert Haar.
Alt ist die Welt, doch jung noch immerdar
Sitzt sie und lockt, sich selbst betrachtend schlau,
Den Mann, daß er ihr licht Gewebe schau,
Bis Herz, Leib, Leben festhängt unrettbar.
(Übersetzt von Otto Hauser, in: D.G. Rossetti, Sonette auf Bildern, Weimar 1919)
4004 v. Chr.
Dann sprach Gott, der Herr: Seht, der Mensch ist geworden wie wir; er erkennt Gut und Böse. Dass er jetzt nicht die Hand ausstreckt, auch vom Baum des Lebens nimmt, davon isst und ewig lebt! Gott, der Herr, schickte ihn aus dem Garten Eden weg, damit er den Ackerboden bestellte, von dem er genommen war. Er vertrieb den Menschen und stellte östlich des Gartens von Eden die Kerubim auf und das lodernde Flammenschwert, damit sie den Weg zum Baum des Lebens bewachten.
Genesis 3,22–24
Anfangs liebte ich ihn. Wie schön er in jenen Tagen war.
Dort stand er: die Beine breit in die satte Erde unseres Paradieses gestemmt. Die Hände auf den Hüften, seine muskulösen Arme fest und gewölbt wie ein junger Feigenbaum. Das Haar fiel ihm glänzend wie Rabenfedern auf die Schultern, seine dunklen Augen lockten.
Sein betörend modriger Geruch riss mir den Boden unter den Füßen weg. Er machte mich ganz flattrig.
Und vermutlich ich ihn.
Anfangs.
Wann begann es? Es schien aus dem Nichts gekommen zu sein. Doch heute erkenne ich die Anzeichen; ich habe sie weggeschoben wie Kräuselwellen auf einem Teich, die sie weit von mir forttrugen, als wären sie damit gebannt. Wie dumm ich doch war! Wie konnte ich denn nicht wissen, dass sie hundertfach zurückbranden würden!
Plötzlich hatte er Ideen.
Er beobachtete, wie ich die Getreidefelder mit dem Regen wässerte, den ich aufgefangen hatte und der ergiebig und ausreichend war. Er sagte: »Wenn wir hier graben, können wir das Grundwasser kanalisieren. Dann müssen wir nicht mehr auf Regen warten. Wir leiten das Wasser zu dem Weizenfeld und beherrschen es. Ich werde es Bewässerung nennen, und es wird gut sein.«
Als ich eines Tages den Boden bestellte, sagte er: »Das Hacken geht viel zu langsam. Wir hängen einen gebogenen, angespitzten Stock an einen Stier, so dass er die Last trägt. Ich werde es einen Pflug nennen.« Er nickte weise. »Und es wird gut sein.«
»Wir werden unsere Arbeit auflisten«, meinte er, als ich das Unkraut im Garten jätete. »Wenn es einmal mehr von uns gibt – ich habe im Gefühl, es wird bald mehr von uns geben!« Er zwinkerte. »Dann tauschen wir unsere Arbeit, das überschüssige Essen und so weiter gegen einen ebenbürtigen Gegenstand ein, der symbolhaft für ihren Wert steht. Ich werde es Geld nennen …«
»Und es wird gut sein?«
»Unterbrich mich nicht, Lilith. Ich rede.«
Verärgert lief er über die Wiese. »Wir brauchen Maßeinheiten für das Geld. Wir werden seinen Wert in feuchten Ton prägen, und die Prägung wird eine Bedeutung haben. Ist der Ton gebrannt, bleibt die Prägung für immer, als wäre sie in Stein gemeißelt.«
»So etwa?«
Ich zeigte ihm die Kerben, die ich in den Rippenknochen einer Ziege geschnitzt hatte. Meinen Kalender, in dem ich das Wachsen und Schwinden des Mondes und auch das ihn begleitende Kommen und Gehen meines Blutes notierte.
»Nein, so nicht. Nein, so überhaupt nicht.« Er runzelte die Stirn. »Ich werde meine Prägungen Schrift nennen.«
Er war unzufrieden mit dem Ertrag, der uns blieb. Wir müssten mehr haben. Also experimentierte er und kreuzte die verschiedenen Bäume in unserem Garten, um eine neue Frucht hervorzubringen. Nachdem er beobachtet hatte, wie sich die Geschöpfe unter unserer Obhut vermehrten, tat er das Gleiche mit den Nutztieren.
»Wir bauen Zäune«, sinnierte er. »Ich trenne die Widder von den Mutterschafen und die Eber von den Sauen. Ich erlaube dem Widder, das Schaf zu erkennen, und dem Eber, die Sau zu erkennen, wenn ich will, dass sie sich paaren. Auf diese Weise werde ich mehr Widder und Schafe und Eber und Sauen hervorbringen, als wir brauchen.«
Das waren schöne Pläne. Ich bewunderte seinen Ehrgeiz.
Aber sie veränderten uns. Es genügte ihm nicht mehr, dass wir ausreichend zum Leben hatten. Immer wollte er mehr. Immer wollte er kontrollieren.
Mit den Zeichen auf seinen Schrifttafeln wurde er das Gesetz.
»Sieh hier.« Er deutete auf seine rätselhaften Keilformen und Pfeile. »So muss es sein.«
Ich konnte dem nicht widersprechen, denn er hatte mich in die Bedeutung seiner Zeichen nicht eingeweiht. Mir erschienen sie wie die Fußspuren eines Spatzen, der auf der Suche nach einem Wurm über den Ton gehüpft war.
Er wurde zum Besitzer dieser Neuerungen: Er war für sie zuständig und zog auch den größten Nutzen daraus. Als er unsere Arbeit aufschlüsselte und ihr einen Wert seines Geldes beimaß, stufte er seine Arbeit als verdienstvoller und notwendiger ein als meine.
In heutigen Zeiten würde man ihn einen Strategie-Manager nennen. Das passte zu ihm. Die wissend hochgezogene Augenbraue. Das entschlossene Verschränken der starken Arme. Die Art, wie er nickte, wenn er seine Erlasse und Befehle ausgab. Darin war er gut.
Sein letzter Plan war ausschlaggebend. Der Kipppunkt. Er sollte die Welt verändern.
»Wenn es einmal mehr von uns gibt«, begann er eines Tages – er war wie besessen von diesem mehr von uns, obwohl ich mir unsicher war, wo sie denn seiner Ansicht nach herkämen –, »werden wir uns vor den anderen schützen müssen.«
Er zog zwei kleine harte Steine hervor: einen rötlich braunen und einen grauen, die er aus dem Flussbett geborgen hatte. »Wir schmelzen diese Metalle. Wenn sie sich verbinden, entsteht eine härtere, stärkere Materie, aus der wir Schwerter, Messer, Äxte und so weiter herstellen werden.«
»Wie wirst du dieses neue Material nennen?«, fragte ich ihn, um mich zu amüsieren.
»Bronze«, antwortete er, ohne zu lächeln. »Natürlich werde ich diese Waffen schmieden, denn ich bin größer und stärker als du, und ich werde dich vor Unheil beschützen.«
»Natürlich.«
Es erschien einleuchtend – anfangs. Was auch immer ihn glücklich machte.
Ich brauchte keine Waffen. Sollte er doch sein Schwert und den Pflug haben, seine Schrifttafeln und das Geld. Ich kümmerte mich nicht um die Zukunft. Verwurzelt im Kreislauf unseres Alltagslebens, lebte ich glücklich im Hier und Jetzt. Ich pflegte meine Rosen, sorgte für die Tiere, holte das Getreide ein. Ich stellte Tontöpfe her, um unsere Nahrung darin zu lagern. Ich machte Musik, um den Rhythmus unseres Lebens zu feiern. Ich schlug die Trommel, um den neuen Mond zu begrüßen. Ich tanzte zu meinem Vergnügen.
Eines Tages, so hatte man mir versichert, würde ich die Mutter der gesamten Menschheit sein. Alles zu seiner Zeit.
Ich hatte keine Eile. Ich hatte meine Bestimmung: das Geheimnis, das allein mir anvertraut war. Diese Gabe war edler als Rubine; besser als Gold. Ich hegte und nährte sie in meinem Bauch, denn sie gehörte mir, die Gabe unserer Heiligen Mutter ausschließlich für mich, die erste Frau.
Ich hatte auch nichts gegen seine Fortschrittsmanie, denn ich liebte ihn. Und nach dem Schmelzen und Schmieden, dem Ernten und Mahlen, dem Worfeln und Walken, dem Backen und Abkühlen, der Musik und dem Tanz trafen wir uns unter dem Baum – unter dem, von dem wir nicht essen durften – und wälzten uns im Moos und lachten und küssten uns, und bei allem, was geweiht und heilig ist, durchpflügte er mich wie ein Gerstenfeld, und es war sehr gut.
Der Tag, an dem sich alles veränderte, verlief so:
Wir waren am Teich. Die Sonne brannte gleißend hell vom Himmel. Der Wasserfall wirbelte kleine Wellen auf, deren Kämme golden wie Nektar aufblitzten. Wir lagen auf einem sonnengewärmten Stein und atmeten den berückenden Duft der Myrte ein.
Welche Pracht doch unseren Garten erfüllte. All das war wohlgefällig fürs Auge und gut für unsere Kost. Knackige rosige Äpfel und blutrote Orangen. Zitronen so dick wie Wachteln, die vom Zweig fielen, wenn man sie nur ansah. Walnüsse und Birnen, überreife Feigen, Mandeln und Oliven. Granatäpfel mit juwelengleichen Kernen und herb schmeckende Quitten. Alles hatte immerzu Saison, kein Baum war jemals kahl. Jederzeit der süße, zu Kopf steigende Blütenduft, selbst wenn es Früchte gab.
Wenn ich nun darüber nachdenke: Es wuchs nichts. Die Früchte waren einfach da, eine jede reif zum Pflücken.
Ich wusste nicht, dass das nicht normal war. Wie hätte ich es auch wissen können?
Hinter den Obstgärten lagen die Getreidefelder: die goldene Gerste und der wogende Weizen. Adams Bewässerung, seine Wasserbecken, Wälle, Zapfstellen und Dämme durchzogen sie und brachten ihnen das lebenspendende Wasser von den vier Flüssen, die unser Paradies umgrenzten. Die brusthohen Ähren neigten sich sanft im Wind. Immer vollends reif. Ewig bereit, geerntet zu werden. Seit der ersten Pflanzung hatten wir nie mehr neu gesät.
Unsere solide Hütte, aus Stämmen und Ästen hoher Zedern und anmutiger Pinien, mit ihrem Dach aus Dattelpalmwedeln bot Ausblick über die Felder. Daneben mein Rosengarten. Der süße Duft begrüßte mich jeden Morgen und ließ mich abends freudig in den Schlaf sinken.
Die Tiere kamen an den Teich, um zu trinken. Dank Adams Zuchtverfahren hatten wir damals viele Widder und Schafe, Eber und Sauen. Kräftige Stiere und sanftäugige Kühe. Bärtige Ziegen. Prallbrüstige Enten, Federvieh aller Art. Wir betrachteten sie, und sie waren gut.
Die Luft war hitzeschwer wie Honig. Die Lilien wiegten sich im seichten Wind. Die Sonne brannte auf das glitzernde Wasser herab und spiegelte sich im saphirblauen Himmel.
Adam drehte sich mit vor Begehren feuchten Lippen zu mir. Er drückte meine Hand auf sein schwellendes Glied, das sich lebhaft und kraftvoll reckte. Ich stieg auf ihn und krallte meine Finger in sein schwarz gelocktes Brusthaar.
»Nein.« Er flüsterte nur. »Du liegst unter mir.«
»Ich will nicht unter dir liegen.« Ich senkte die Hüften, umschlang ihn tief in meinem Inneren, um ihm zu zeigen, was ich wollte. Ich zeigte es ihm ziemlich gut.
Er stöhnte lustvoll auf, dann stieß er mich wieder weg.
»Ich sagte, du liegst unter mir!«
»Nein! Du liegst unter mir!«
Ich dachte, er scherze. Und wahrhaftig war ich sehr zufrieden, wo ich war, ganz erfüllt mit der Freude an ihm. Aber seine Augen lächelten nicht.
»Ich bin dein Herr, und du sollst unter mir liegen!«
»Mein was bist du?« Ich lachte und spürte, dass er wie eine Dörrpflaume zusammenschrumpelte.
O, nun war er wütend. »Ich bin dein Meister!«
Ich rollte mich neben ihn und schloss wegen der grellen Sonne ein Auge. Herr und Meister, na so was!
»Du und ich, wir sind zusammen erschaffen worden, und ich bin dir ebenbürtig.«
Ich streichelte seine breite Brust und küsste seinen pflaumenroten Mund. Er beruhigte sich. »Und da ich gerade dabei bin«, ich legte meinen Kopf in die Mulde seiner Schulter, »ich habe sie satt, deine Erlasse und Befehle, deinen Eifer, alles zu verbessern. Lass uns doch zurückkehren zu dem, wie es vorher war. Lass uns wieder in Harmonie zusammen leben und arbeiten.«
Er presste meine Hand zusammen, und mir schwanden die Sinne.
»Sollten wir nicht mehr Zeit für Muße haben? Müssen wir uns denn jeden Tag unter der sengenden Sonne plagen, um mehr Ertrag zu haben, als wir benötigen? Wozu brauchen wir Überschüsse zum Handeln, wozu Geld zum Tauschen? Lass uns ausruhen und an dem erfreuen, was uns gegeben wurde, denn wir sind wirklich gesegnet.«
Er lächelte, und meine Liebe zu ihm ließ mein Herz hüpfen.
»Genauso deine Waffe …«, ich sah auf das große Bronzeschwert, das neben uns lag. »Ist das wirklich notwendig? Ich bin doch hier die Einzige. Die Tiere sind zahm und folgen uns aufs Wort. Warum trägst du sie?«
Nun, das gefiel ihm nicht. Die Zärtlichkeit floss aus ihm heraus wie das Blut aus einem Opferlamm. Er schlug mit der geballten Faust auf den Stein.
»Frage mich nicht!«, brüllte er. »Sie ist meine Stärke, meine rechte Hand. Ich trage sie, um dich zu beschützen, denn du gehörst mir! Ich schwinge sie, um dich an deine Schwäche zu erinnern!«
Bei diesen Worten erstarrte ich. Warum dachte er, ich gehörte ihm? Warum wollte er, dass ich mich schwach fühlte?
Wie sich herausstellen sollte, war das Schwert, von dem er behauptet hatte, es diene meinem Schutz, keine Verteidigung gegen das, was mich am tiefsten verletzte. Gegen seinen Körper, den ich so sehr liebte und den er gegen mich einsetzte. Seine eichenstarken Arme drückten mich nieder, und seine zärtlichen Hände zermalmten meine Handgelenke. Er zwang mich unter sich und hielt mich mit seinen Beinen fest, wobei sein Knie die Innenseite meines Schenkels quetschte und sein Fuß meinen Knöchel niederrang. Der harte Stein schmerzte von unten, und er stieß von oben und in meinem Inneren auf mich ein. Er hielt mir den Mund zu, damit ich nicht mehr fluchen konnte, und sah über meinen Kopf hinweg, als wäre ich nicht da. Hatten wir uns einst gegenseitig Freude bereitet, war ich nunmehr lediglich ein Gefäß für seine Begierde. Mit Gewalt hatte er seine Freude an meinem Körper, aber für mich gab es keine Freude an ihm.
War es das wert, Adam? Du nahmst dir gewaltsam, was du stets aus Liebe bekommen hattest. Sie hätte nicht inniger sein können.
Vielleicht hat man dir erzählt, ich sei verbannt worden, weil ich in meiner Wut geflucht und Seinen Namen ausgesprochen hätte.
Doch so war das nicht.
In Wahrheit ist Er ein eifersüchtiger Gott. Er war zornig, weil ich nicht Ihn beim Namen genannt hatte. In meiner Wut und Verzweiflung hatte ich nach Ihr gerufen. Nach der Heiligen Mutter, die uns geboren, uns genährt hatte, die mich hätte beschützen sollen.
»Asherah!«, schrie ich, als Adam mit letztlich schamerfülltem Gesicht und seinem lächerlichen Schwert, dessen Spitze hinter ihm her schleifte, zwischen den Gerstenhalmen davongeschlichen war. Mit Binsen wischte ich seine Nässe von meinem geschundenen Schenkel.
»Mächtige Asherah, Lebensgeberin und Königin des Himmels, warum hast du mich verlassen?«
Es kam keine Antwort. Sie war schon eine ganze Weile stumm. Ich hatte Sie in den letzten Wochen nur ein einziges Mal gesehen, als Sie in den Garten gekommen war, um das Geheimnis an mich weiterzugeben.
Im Teich wusch ich mir Adams Schandfleck ab. Lang blieb ich unter dem Wasserfall stehen. Sein Rauschen toste in meinen Ohren, seine eiskalte Umarmung betäubte meine Sinne. Um mich herum nur herabstürzendes, aufgewühltes Wasser.
Ich tauchte unter die Oberfläche, wo für mich nur Stille und Frieden herrschten. Ich rieb mir mit Schlamm aus den tiefsten Tiefen das Blut von den Gliedern. Und ich reinigte mein Inneres von seinem Samen.
Als mich die Sonne wieder erwärmt hatte, zerstieß ich Blätter der beruhigenden Aloe und der heilenden Wallwurz und beträufelte meine Wunden mit ihrem Saft. Ich saß auf dem Stein und wiegte mich in meinen eigenen Armen. Die Myrte ließ vor Kummer die Zweige hängen. Eine Barttaube, die auf einem Johannisbrotbaum hockte, weinte. Dicke Tränen fielen aus ihren wachsamen Augen, ihr Kopf war mitfühlend geneigt.
In der Ferne grummelte ein Donner. Der Himmel verfinsterte sich. Eine tiefe, schwarze Wolke rollte heran. Die Taube breitete die Flügel aus und flog davon. Hier kommt Er. Ich wappnete mich.
Dröhnend rief Er meinen Namen. »Lilith!«
Als täten sich die Berge auf und sprächen. Er hallte in den Ebenen und Tälern wider, schallte aus jedem Spalt und jeder Höhle zurück. Raschelnde Blätter flüsterten ihn im Wind. Die Binsen winselten ihn und neigten sich tief zu dem sturmgepeitschten Teich. Der Wasserfall donnerte ihn heraus, Lilith! Lilith!, als er in Kaskaden den Felsen hinabstürzte. Der Fluss zischelte ihn, als er um die Felsblöcke herum zum Meer hinrauschte.
Der Klang kam von überallher, er war im Inneren meines Kopfs und außerhalb von ihm. Das Wort pochte und pulsierte durch meine Adern. Meine Schläfen dröhnten.
LILITH!
Warum, fragst du vielleicht, ist er nur so zimperlich mit Seinem Namen?
Mit tausend Beinamen muss Er ihn verbergen. Er ist der Eine, Er ist der Herr, Er ist der Allmächtige.
Nun, ich kenne das Geheimnis. Ich habe vom Baum der Erkenntnis gegessen, was den Sterblichen die Weisheit der Götter verleiht, und ich weiß den Grund. Ebenso wie ein Widder, ein Stier oder ein Eber kann Er kein Leben gebären. Er hat uns nicht erschaffen. Das war Asherah.
Doch seitdem Sie schweigt (wohin ist Sie gegangen? Warum ist mir nicht aufgefallen, dass Sie fortging?), verkündet Er die Lüge, Benennen sei Schöpfung. Er benennt, und so ist es. Er haucht Atem ein und gibt Leben. Aus genau dem Grund benennt auch Adam die Dinge: Etwas anderes bleibt ihm nicht. Benennen ist für den Mann, was für die Frau Gebären ist. Und darum verbirgt Er Seinen Namen. Er will, dass wir glauben, darin liege Macht.
Er weiß nicht, dass ich es entdeckt habe. Dass ich Sie einst zufällig belauscht habe, Sie beide im Garten. Wie Asherah Ihn zurechtwies, als Er Sie bei Ihrem lieblichen Leierspiel unterbrach. Und ich weiß, dass im Benennen keine Macht liegt.
Mich kann Er nicht täuschen, so wie Er Adam getäuscht hat! Worte schrecken mich nicht, denn ich bin weise!
Was kann Er mir jetzt antun? Er ist nicht mein Gott, kein Vater für mich. Er hat mich nicht beschützt! Er hat sich nicht an meinem Vergewaltiger gerächt! Er will mich für Adams Sünden bestrafen! Ich werde seinen Namen aussprechen, wann immer es mir gefällt.
»Jahwe, Jahwe, JAHWE!«
Ich schrie ihn von den Berggipfeln herab, ich brüllte ihn den Felsen entgegen, so dass er hundertfach zurückschallte, aber nicht um den Flügelschlag einer Mücke an Kraft gewann.
Ich flüchtete gen Süden ans Meer. Asherah war die Herrin des Meeres. Vielleicht würde ich Sie dort finden.
Er schickte drei Engel hinter mir her. Jene, die stets Seine Verkündigungen überbrachten. Die mit schlagenden Flügeln herabpreschten und in ihrer Freude, seine Ge- und Verbote bekanntzugeben, über ihre ungeschickten Füße stolperten.
Die Engel fanden mich an der Küste, wo ich meine Zehen in der Brandung kühlte.
»Was hast du getan?«, fragte Senoy, der sich seine grauen Schwingen wie einen Umhang um die Schultern schlang.
»Was jede Frau tun würde.«
»Kehr zu Adam zurück«, raunzte Sansenoy mit der hässlichen Stirn. Ich grub meine Füße tiefer in den Sand.
»Sich weigern bedeutet den Tod«, sagte Semangelof.
»Was ist der Tod?«
»Du dumme Frau!«
Semangelof war mit seinen Falten, die seine riesige gewölbte Stirn wie Risse einen Granit durchfurchten, bei weitem der Beängstigendste von den dreien. Sein dünnes Haar sträubte sich wie das einer wütenden Katze. »Tod ist, wenn die Freuden des Lebens enden. Deine Leiche wird in ein Grab gelegt, und deine Seele steigt hinab in die finsteren Gruben des Sheol, der Unterwelt. Dein Auge wird niemals mehr Glück erblicken!«
Ich überlegte. »So sei es.«
Sie wandten sich einander zu und flüsterten. Senoy deutete nach oben und verzog das Gesicht. Sansenoy bebte, seine Federn raschelten im Wind. Semangelof bleckte vor mir die Zähne wie ein Wolf.
Ich lachte. Sie verließen mich.
Der Sand kitzelte mich an den Füßen. Krebse zwickten mir in die Knöchel. Die ins Meer zurückrollende Brandung kribbelte zwischen meinen Zehen.
Über mir schwebte ein Milan. Schnell und geschmeidig, unaufhaltsam. Wie leicht die Engel mich gefunden hatten. Wie rasch sie dieses unwegsame Gelände durchquert hatten. Ich hatte Wochen gebraucht, um die Küste zu erreichen, hatte öde Wüsten durchmessen und zerklüftete Gipfel erstiegen. Ich war durch wasserreiche Sümpfe gewandert und ausgetrockneten steinigen Flussbetten gefolgt. Ich hatte mir die Knie aufgeschlagen und die Ellbogen geschürft, immer auf der Suche nach dem Meer.
Als ich mir in Erinnerung rief, mit welcher Leichtigkeit und wie kühn die Engel zu mir herabgestoßen waren, geschah etwas höchst Sonderbares. Auf meinem Rücken ein Glühen, ein Sprießen, ein Surren. Ein brennender, stechender Schmerz, der sich zu den Seiten ausbreitete, sich dann zusammenzog und sich an zwei Stellen verdichtete, unten auf meinen Schulterblättern. Aus beiden Wunden spross etwas, das wie Speere mein Fleisch durchbohrte. Viel Blut tropfte in den Sand. Stachelige Kiele wuchsen zu seidigen, elfenbeinfarbenen Federn.
Ich zupfte eine aus und strich mir damit über die Lippen. Weich wie eine Daune. Rein wie eine Taube. Der schwache Geruch nach Enteneiern.
Als sie sich zu ihrer ganzen Pracht entfaltet hatten, beugte ich mich vor, um das Gewicht auszubalancieren. Ich streckte die Arme vor, um meinen Sturz abzufangen, aber ich erreichte den Boden gar nicht. Ich schwebte, meine prächtigen Flügel hielten mich oben. Ich krümmte den Hals, ich beugte einen Arm. Ich taumelte, ich schwankte, ich hüpfte. Es war nicht elegant. Aber oh, ich lernte es so rasch und schwang mich in die Lüfte.
So eine Geschwindigkeit, so eine aufregende Befreiung! Ich hatte zwar Asherah nicht gefunden, aber sicherlich hatte ich hier am Meer Ihren Segen bekommen. Ich fühlte mich so angefüllt mit dieser ungeheuren Kraft, dass ich meinte zu platzen.
Ich flog durch sturmgepeitschte Wolken. Der Regen, der noch nicht tröpfelte, befeuchtete meine Wangen. Wie Brosamen fielen Wut und Trauer von mir ab.
Hoch vom Mittagshimmel schaute ich hinunter auf die Erde. Wale tauchten aus dem Meer, Delfine drehten ihre spielerischen Spiralen. Nilpferde standen wie Felsen in glitzernden Flüssen. Krokodile sonnten sich an mit Lotusblüten bewachsenen Ufern. Kamele trotteten durch die Wüste. Pferde galoppierten über die kargen Ebenen. In der Savanne brachte eine Löwin ihren wartenden Jungen eine zerfleischte Gazelle.
Schnee überkrustete die Gipfel violetter Berge. Wind zerzauste riesige Eichen-, Zedern- und Pinienwälder. Auf den Wiesen sah ich jeden scharfkantigen Grashalm, jede kleinblättrige Blume, jede Ameise in Reih und Glied.
Ich sah den von vier funkelnden Flüssen umgrenzten Garten Eden, seine Obstgärten und bestellten Felder. In der Mitte auf zwei luftigen Lichtungen die beiden Bäume, fern von allen anderen, den Baum der Erkenntnis und den Baum des Lebens. Der Wasserfall donnerte hinunter in den glitzernden Teich. Ein zotteliger Widder beugte sich tief übers Ufer und trank.
Ich sah unsere Hütte und meinen geliebten Rosengarten.
Da war Adam, der schändliche Mann. Er saß auf der Veranda unserer Hütte und verbarg den Kopf in seinen Händen. Seine Locken hingen ihm über die Schultern und entblößten den einst geliebten Nacken. Reif für einen Hieb mit einer scharfen Bronzeklinge.
Ich verfluchte ihn für alle Tage seines Lebens. Er würde einsam sein.
Und ich? War dies meine Strafe? Die Freiheit!
Voll Freude über meine Flügel kreiste ich um die Berggipfel. Ich schoss hinab und schwang mich hinauf, ich sank im Sturzflug und fiel. Welch herrliche Geschwindigkeit. Ich ließ mich von den Strömungen tragen, von der warmen Luft, die aus Süden kam, und dem Westwind, der mich der aufgehenden Sonne entgegentrieb.
Ich sah Dinge, die du nicht glauben würdest.
Landschaften, so grün, dass sie unseren Garten in den Schatten stellten. Prärien mit wogendem Gras, so weit das Auge reichte. Überfrorene Nordländer, so dass sogar das Meer sich in auftürmendes Eis verwandelte. Im Osten: riesige Gebirge, die so hoch waren, dass ich kaum atmen konnte. Im Süden: dichter, kochender Dschungel, der bei Regen dampfte.
Ich sah Fische, die wie Sterne geformt waren. Papageien, die sprachen. Tiere, die hüpften und ihre Jungen in einem Bauchbeutel trugen.
Ich sah, dass die Erde rund ist. Dass die Sonne weder auf- noch untergeht. Sondern dass wir auf unserer riesigen Weltkugel uns um sie drehen und die Erde selbst sich dreht, während wiederum der Mond uns umkreist.
Ich sah, dass wir nicht alleine waren.
Es gab andere – überall. Haut, die dunkler, heller war, Haare in allen Farbtönen – blond wie eine Löwin, schwarz wie reife Oliven, rot wie Bernstein. Sie waren jung und alt, groß und klein. Mütter wiegten ihre Babys, die so hilflos waren wie neugeborene Zicklein. Mein Magen krampfte sich zusammen. Einst war das meine Bestimmung. Würde mir nun die Mutterschaft verwehrt sein? Ich sah alte Menschen, gebückt und grau, Kinder, die umhertapsten und -krabbelten. Männer in den besten Jahren mit starken Armen wie Adam. Frauen, prall und reif wie ich. Sie waren überall, auf jedem Kontinent, sie segelten über jeden Fluss, überquerten jedes Meer.
Er hatte also gelogen: Wir waren nicht die Ersten. Wir waren nicht die Einzigen.
Die Menschen gingen ihren Beschäftigungen nach. Sie ernteten Getreide, das ich nicht kannte, in Landschaften, die mir wild und fremd erschienen. Sie bewohnten Stelzenhäuser in Sümpfen, die weder Land noch Meer waren; sie lebten in Hütten aus Eis. Sie bedeckten sich mit Kleidern aus Tierhäuten, auch aus Gräsern, aus gewebtem und in vielen Farben gefärbtem Stoff.
Sie taten Dinge auf andere Weise.
Sie huldigten nicht Jahwe. Sie hatten verschiedenste Götter und Göttinnen, die sie in Tempeln und Kultstätten, in Wäldern und Ebenen, auf Berggipfeln und in Höhlen anbeteten. Sie verbrannten süßlich duftende Kräuter, um ihre Gottheiten zu ehren, fertigten Abbilder von Göttern mit Schakalköpfen und Bärenkörpern, von Göttern, die wie Adler, Fische und Frösche aussahen. Sie trugen Masken und Kopfputze, Geweihe und Hufe. Sie tanzten, trommelten und sangen. Sie brachten Wein- und Blutopfer dar.
Doch nirgends in dieser Schar von Menschen und ihren Göttern sah ich Asherah.
Im Garten machte Adam so weiter wie bisher und glaubte, er sei der Erste. Er setzte alles fort, auch wenn er nun die ganze Arbeit alleine erledigen musste. Er erntete den Weizen. Er worfelte – schlecht, er mischte die Körner mit Hülse unter die ohne Hülse. Er hatte einen Gesichtsausdruck wie Donnerschlag. Er trug sein Bronzeschwert überall mit hin, um seine eingebildeten Feinde zu bekämpfen, jene anderen, die ich nun gesehen hatte und die nicht im Geringsten von seiner Existenz wussten oder sich dafür interessierten. Wie sehr ich, die ich so gesegnet war, doch lachen musste, als ich ihn so an die Erde gebunden und von Mühsal gequält sah.
Eines Tages flog ich näher heran und landete auf einem alten Olivenbaum. Ich faltete meine Flügel zusammen und putzte sie. Ich liebte den Geschmack meiner Federn so sehr: nach süßem Nektar und Freiheit.
Schritte schreckten mich auf. Jemand trat aus der Hütte.
Eine andere Frau.
Woher kam sie?
Bleich und plump lief sie mit einem leeren Holzkübel daher, den sie lustlos neben ihrer Hüfte schwenkte. Ihr Blick war zu Boden gesenkt. Ihr Haar hatte die Farbe von schlammigem Regen: Es fiel nicht in dunklen, glänzenden Locken bis zur Taille wie meines. Sie war fahl und sah aus, als könnte sie zerlaufen. Ich hielt nicht sonderlich viel von ihr.
Adam kam hinter ihr her. »Eva!«, rief er von der Treppe an der Hütte.
Ohne ein Lächeln drehte sie sich um.
»Das ist dein Name«, sagte er ihr. »Ich habe dich Eva genannt.«
Sie nickte.
»Eva«, sagte er noch einmal. Er konnte gar nicht genug davon bekommen, ihren Namen auszusprechen. »Du bist eine Frau. Frau sollst du heißen, denn du bist vom Mann – von mir.« Er grinste. »Denn von mir bist du genommen.«
Sie schlug die Augen nieder.
»Heute musst du Mehl mahlen. Ich zeige es dir. Ich werde dir alles zeigen. Bein von meinem Bein. Fleisch von meinem Fleisch.« Sie sah ihn ausdruckslos an. »Du bist aus mir gemacht. Du bist meine Gehilfin.« Er zwinkerte.
Bein von meinem Bein?
Fleisch von meinem Fleisch?
Gehilfin?
Ist er verrückt geworden?
Wie kann die Frau aus dem Mann gemacht sein? Der Mann ist von einer Frau geboren! Das weiß er doch, schließlich hat er Tiere gebären sehen. Ist er nun ihre Mutter?
Sie neigte den Kopf und ging Wasser holen.
Eva, du geistloser Trampel! Welch ein Glück, dass sie mich hatte. Ich würde sie retten.
Ich fand sie am Teich.
Sie hockte auf einem gefällten Baum und blickte in das klare Wasser. Vielleicht suchte sie nach ihrem Spiegelbild. Sollte es so sein, so war sie enttäuscht. Sie war so unscheinbar, dass selbst dem Wasser ihre Gegenwart nicht auffiel. »Eva.« Ich berührte sie an der Schulter.
Langsam drehte sie sich um. Jede ihrer Gesten wirkte mühevoll, als bewegte sie sich unter Wasser. Sie sagte nichts. Es schien sie nicht im Geringsten zu überraschen, dass ich da war.
»Eva«, sagte ich noch einmal. »Ich muss dir etwas Wichtiges sagen. Verlass diesen Ort. Komm mit mir.«
Sie berührte meinen Flügel. »Wer bist du?«
»Lilith«, sagte ich. Und setzte hinzu: »Ein Engel.«
Warum auch nicht? Ich, die ich von nun an als Dämon bezeichnet wurde.
»Können Frauen Engel sein?« Sie strich mit dem Handrücken über meine Federn.
Als Antwort entfaltete ich meine Flügel zu voller Pracht, und sie fiel rücklings vom Baumstamm.
»Aber ja doch.« Ich half ihr auf.
»Ich kann nicht fort. Ich bin für ihn gemacht worden. Ich bin seine Gehilfin.«
Schon wieder dieses Wort. Bei der Macht der Schöpfung, es weckte meinen Zorn!
»Nein!« Ich packte sie an den hängenden Schultern und schüttelte sie. »Du wurdest nicht für ihn gemacht! Für dich selbst wurdest du gemacht!« Sie sank in sich zusammen und kauerte am Boden.
»Eva!« Adam rief sie von der Hütte hinter dem Olivenhain. »Wo bleibt das Wasser?«
»Geh nicht!«, drängte ich sie. »Du musst mich unbedingt
anhören. Er belügt dich.«
Doch sie rannte davon, so schnell ihre ungelenken Beine sie trugen.
Ich flog nach Westen. In die Wüste, wo Schakale umherstreiften und Eulen schrien. Die Nacht brach über mich herein. Unter einer einsamen Dattelpalme verfiel ich ins Grübeln.
Sie hatte recht. Nun sah ich es ein. Sie war für ihn gemacht worden. Erschaffen – irgendwie. Geraubt aus der umliegenden Welt? – Weil ich mich ihm verweigert hatte. Die Schuld an ihrem erbärmlichen Zustand lastete schwer auf meinen Schultern. Ich würde einen anderen Weg finden müssen, um sie zur Weisheit zu bringen.
Es heißt, Er habe mich zur Strafe in einen Dämon verwandelt. Aber sollte ich ein Dämon sein, dann bin ich ein unvergleichlicher. Nein. Ich glaube nicht, dass Er die Macht hatte, Asherahs Plan zu vereiteln. Denn meine Flügel waren Ihr Geschenk. Ich hatte Freiheit gewollt, mich dringlich nach ihr gesehnt – und siehe da, habe ich sie nicht?
Ich schwang mich in den rauschenden Ostwind und flog zu dem wellenumtosten Alashiya. Eine süßlich duftende Insel mitten im smaragdgrünen Meer, reich an Kupfer, mit uralten Eichen, schattenspendenden Platanen und Zypressen, die bis zum Himmel hinauf reichten. Ein Eiland der Fischer und Weinbauern.
Im Garten unseres Paradieses stand die Zeit still, doch hier hatte die Jahreszeit des neu keimenden Wachstums begonnen. Goldene Wolfsmilch setzte die Hügel in Flammen. Den Boden des Olivenhains zierte ein Teppich aus zarten Narzissen und blassen Anemonen. Auf den Wiesen blühten kräftige Orchideen.
Eva hatte mir widerstanden. Sie hatte mir nicht zugehört. Wenn ich mir die Hoffnung bewahren wollte, ihr die Weisheit weiterzugeben, die Asherah mir anvertraut hatte, dann müsste ich eine andere Gestalt annehmen. Ich übte zwischen hohen Kiefern an einem Berghang. Ich stellte mir vor, ich könnte mich wandeln, so wie ich an die Flügel gedacht hatte, ehe sie mir wuchsen.
Anfangs konnte ich nur verschiedene Teile meines Körpers beschwören. Gespaltene Hufe, die meine Hände ersetzten. Ein Eselsschwanz – er gefiel mir –, der mir hinten wuchs und als Rute diente, um Fliegen zu verscheuchen. Doch das reichte noch nicht. Ich müsste das, was ich werden wollte, sehen, so wie ich die fliegenden Engel gesehen hatte. Ich dachte mir meine Flügel weg und wanderte den Hügel hinauf.
Kiebitzjunge piepsten von den Zweigen und verlangten nach Futter. Zartes Kraut drängte sich durch die Erde. Der süßlich berauschende Duft der Mandelblüte lockte die Bienen aus ihren Stöcken. Im Garten Eden hatten wir keine Bienen. Wir brauchten sie nicht.
Neben den blühenden Obstbäumen plätscherte ein Bach, der das Schmelzwasser von den Bergen zum Meer trug. Welches Empfinden das in mir auslöste? Das des Wandels und des Voranschreitens; des gesetzmäßigen Verlaufs der Zeit. Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr ich, die ich niemals zuvor eine Honigbiene gesehen, nie den Wechsel der Jahreszeiten erlebt hatte, geschweige denn die ganze Pracht eines heranreifenden Frühlings, von alldem überwältigt war.
Die Bäume lichteten sich. Ich trat auf eine Wiese mit vereinzelten Johannesbrotbäumen. Dahinter funkelte das Meer. In den sanften Wellen schaukelte ein Boot: ein einfacher Kahn, mit weiß-blauem Zickzack bemalt, das die Wellen spiegelte. Ein schöner Mann saß am Ruder, bis zur Hüfte nackt, mit glattem Haar, das ihm über den Rücken fiel. Mein Blut geriet in Wallung. Welch ein Betrug, mir zu erzählen, Adam sei der einzige Mann! Dieser Mann hier war tausendmal hübscher als er!
Ich beobachtete, wie er silbrige, zappelnde Fische über die Schulter auf einen wachsenden Haufen im Heck warf. Seine breiten Schultern glitzerten. Als er aufstand, um ein Netz einzuholen, spannte sich der Stoff um seine Lenden. Ich war noch immer nackt. Fraglos herrlich. Prall und stark. Aber so würde es nicht gehen. Ich brauchte ein Kleid, so eines, wie ich es seit meiner Flucht aus dem Garten oft gesehen hatte.
Mein Blick folgte einem Ziegenpfad bis zu einer rosa blühenden Tamariske neben einer Holzhütte am Meer. Leinentücher, die in den Ästen hingen, flatterten im Wind. Ich stahl eines, schlang es um mich, wie ich es bei anderen Frauen gesehen hatte, und knotete es an den Schultern. Um die Taille band ich mir eine Schärpe aus rot gefärbter Wolle.
Ich strich mein neues Gewand glatt und rief dem Mann etwas zu. Er zupfte noch immer die kleinen Fische aus dem Netz. Alle winzigen, zappelnden Fische warf er zurück ins Meer.
»Sei gegrüßt, Bootsmann!«, rief ich noch einmal.
Das war vor Babel, du verstehst. Da gab es noch keine fremden Sprachen. Doch es nutzte nichts, denn er antwortete nicht. Er fuhr mit seiner Arbeit fort und betrachtete stirnrunzelnd einen Riss in den Maschen.
Endlich sah er auf, wendete den Kopf von dem zerrissenen Netz zu mir, und schon warf er es ins Boot und ruderte zum Strand. Welch ein Anblick! Die Muskeln seiner starken Arme hüpften, sein langes Haar tanzte. Die Jahreszeit des neuen Lebens schoss in mir empor, versetzte meine Hüften in Freude und flutete durch meinen ganzen kribbelnden Körper. Als er das seichte Wasser erreichte, sprang er vom Boot und band es an den nächsten Baumstamm, aber noch immer grüßte er mich nicht.
Ich versuchte es ein weiteres Mal. »Wie heißt du?«
Er grunzte. Egal. Es war ja nicht so, dass ich von Adam nichts gelernt hätte.
»Ich werde dich Yem nennen«, sagte ich. »Und ich bin Lilith.«
Mit noch immer gerunzelter Stirn hob er einen Schilfkorb mit seinem Fang aus dem Boot. Das gefiel mir. Es bedeutete, er hatte viel zu tun und keine Zeit, mit Fremden freundlich zu plaudern. Adam hatte dauernd gegrinst, so zufrieden war er mit seinen Leistungen. Das hatte ihn wie einen Einfaltspinsel wirken lassen.
Yem ging über den Strand zu einem Pfad, der zu einer Senke zwischen zwei Hügeln führte. Ich eilte hinter ihm her und musste mir Mühe geben, mit ihm Schritt zu halten. Gespräche schienen ihm nicht allzu sehr zu liegen.
»Was hast du heute gefangen?«
»Fische.«
»Welche Fische?«
»Große Fische.«
Ich gab auf.
Der Weg schlängelte sich zwischen niedrigem stacheligen Ginster und sonnengewärmten Felsen hindurch. Der kühle Wind vom Meer wehte mir auf den Rücken. Ich wusste nicht genau, warum ich Yem folgte, außer dass ich ihm so nahe wie möglich sein wollte. Er würde mir etwas von der Welt zeigen, da war ich mir sicher. Und sollte er mir dann auch noch sein Bett zeigen, umso besser.
Wir kamen zu einem Dorf aus zehn, zwölf Hütten, die um einen steinernen Altar herumstanden. Rauch kräuselte sich aus einer glänzenden Metallschale empor, in der Weihrauch verglühte. Eine große Frau mit einem Kopfputz aus Mondsicheln stand vor einem jungen Paar. Um sie herum vielleicht zwei Dutzend Dorfbewohner. Yem stellte seinen Fischkorb ab und sah ehrfürchtig zu. Er legte die Faust auf die Brust und stimmte in den Gesang ein.
Seit meiner Flucht aus Eden hatte ich viele Zeremonien und Rituale miterlebt, doch niemals aus so großer Nähe. Aus der Ferne hatten sie unverständlich gewirkt, denn ihre Bedeutung verlor sich in Symbolen, die ich nicht verstanden hatte. Doch nun spürte ich die Kraft der dicht beieinanderstehenden Menschen, ihre gemeinsame Absicht und ihr Ziel. Der Trommelschlag durchpulste mich ebenso wie sie. Der Weihrauch betörte meine Sinne; meine Glieder und meine Stimme wurden eins mit der Menge. Wir wiegten uns und nickten im Rhythmus unseres gemeinsamen Herzschlags.
Die Priesterin winkte einen Helfer herbei und hob zwei schlanke grüne Schlangen aus ihrem Korb. Sie hielt sie hoch über die Köpfe des jungen Paars. Sie sang, die beiden verneigten sich, und die Schlangen wanden sich und zischten. Die Dorfbewohner senkten andächtig den Blick und schlugen sich mit der Faust auf die Brust.
In diesem Moment kam es mir. Ja, natürlich! Ich würde Eva die Weisheit in Gestalt einer Schlange nahebringen. Sind Asherah die Schlangen nicht heilig? Sind sie nicht die Boten der Weisheit? Entsprechend Asherahs Gesetz leben sie ihr Leben in Zyklen. Sie streifen ihre Haut ab und werden neu geboren – so wie Eva ihre Unwissenheit abstreifen und in das Licht der Erkenntnis treten wird. Sie würde mir endlich zuhören und den Sinn meiner Worte verstehen, noch ehe ich sie überhaupt ausgesprochen hätte.
Am Ende des Rituals wurde das junge Paar mit duftender Stephanotis gekrönt und von jedem Mann und jeder Frau des Dorfs geküsst. Alle schwärmten aus zu den Feldern mit den knospenden Weinstöcken, hin zu einer langen, festlich gedeckten Tafel.
Yem und ich standen allein im kräuselig aufsteigenden Weihrauch. Sein Gesichtsausdruck veränderte sich. Er sah mich mit neuen Augen an, streckte seine Hand nach meiner aus und führte mich zum Festmahl. Nachdem er seinen Korb neben das Feuer gestellt hatte, wo schwitzende Männer Fleisch am Spieß brieten, setzten wir uns an den Tisch.
Ich hatte niemals zuvor Wein getrunken. Er schmeckte köstlich. Mit Honig gesüßt, mit Kräutern gewürzt und mit Wasser gemischt in hölzernen Schalen. Ich genoss ihn. Vielleicht allzu sehr.
Die Dorfbewohner begannen, zu tanzen und zu singen. Zuerst das junge Paar, dann alle. Die Männer hüpften und kickten, sprangen und drehten sich. Die Frauen rafften ihre Tuniken hoch bis zu den Knien und wirbelten zur Antwort hüpfend herum.
Fleisch wurde gebracht: gesalzen, vorzüglich und vor Fett glänzend. Yems Fisch wurde serviert: auf Holzkohle gegart und mit Zitrone und Thymianöl angerichtet. Fladenbrot, viel lockerer und köstlicher als meine erbärmlichen Versuche in Eden. Früchte, die ich nie zuvor gesehen hatte. Mit Honig gerührte Kuchen. Mit Nüssen angereicherte Desserts. Der Wein floss immerzu aus verzierten Tonkrügen.
Rötliche Wolken schwebten am Horizont, als die Dorfbewohner lachten und sangen. Tänzer schlängelten sich unter den Weinranken hindurch, Kinder spielten unter alten Feigenbäumen. Ein älterer Mann stimmte, begleitet von Leier, Flöte und Trommel, ein melancholisches Lied an.
Der Abendstern war schon lange untergegangen, als Yem mich von der reich gedeckten Tafel zurück ins Dorf führte. Jenseits der flackernden Fackeln war es stockdunkel. Glücklich berauscht vom Wein, klammerte ich mich an ihn und sehnte mich nach seinem kräftigen Körper.
Der Wein hatte sein Gesprächstalent nicht gefördert.
Egal.
Als wir umschlungen in das Schaffell auf seinem Bett sanken, spürte ich es.
Zuerst in der Zunge: Ihre Spitze teilte sich. Ich zischelte in sein Ohr, und das gespaltene Ende streifte über die Stoppeln seiner Wangen.
Sein Geruch steigerte sich. Er reifte zu Bergen und Tälern, Gipfeln und Furchen. Sein undeutlich salziges Aroma verdichtete sich zu einzelnen erkennbaren Düften. Frisch geschälte Krabben. An morschem Holz haftende Seepocken. Von der Sonne gebleichte Seeigel.
Als sein Duft mich überwältigte, schwand mein Augenlicht. Ich sah ihn in verschwommenen Schwarz-Weiß-Tönen, sein kräftiges Kinn unscharf, die Hitze seines Körpers sammelte sich nun an den Härchen auf seiner Haut.
Voller Lust streckte und dehnte ich mich neben ihm. Meine Knochen wurden zerdrückt und die Luft aus meinen Lungen gepresst. Meine Finger, meine Arme verschmolzen mit meinem Rumpf. Meine Zehen und Beine wuchsen zusammen. Ich war nur noch ein purer harter Muskel, der sich unter seiner erregenden Berührung spannte.
Er schien nicht im Geringsten überrascht. Und auch nicht abgeschreckt. Nur dass seine Leidenschaft noch unbändiger wurde. Ich hatte nichts, womit ich ihn streicheln konnte, außer mit meinen weichen Schuppen, der gespaltenen Zunge und den Windungen meines Schlangenkörpers. Ich hatte keinen warmen, einladenden Hafen, in den er hätte eintauchen können, und doch …
Es gelang. Ich beglückte ihn ziemlich gut, und er fand Wege, mir Genuss und Freude zu bereiten. Mehr sage ich dazu nicht.
Es sollte lange dauern, bis ich Eva alleine antraf. Adam war immer um sie herum. Gab ihr Anweisungen. Kritisierte sie. »Nicht so, Eva. So geht das! Knete den Teig fester. Du hast zu viel Wasser dazugegeben, du Dummkopf! Schüre das Feuer. Lass die Flamme nicht ausgehen! Was hast du dir nur dabei gedacht?«
Sie waren noch immer nackt, aber Adam trug nun eine Korallenkette um den Hals, die bei jeder Bewegung klackerte. Keine Ahnung, woher er die Zeit nahm, so etwas zu basteln, bei all dem Hacken, Hüten, Ernten und Viehzüchten – und ebenso wenig wusste ich, wo er, so weit vom Meer entfernt, die Korallen gefunden hatte.
Während Eva das Brot backte, wässerte er den Baum des Lebens mit Quellwasser aus einer Bronzekanne. Das war meine Aufgabe gewesen – nicht seine. Das war mein Geburtsrecht. Frauen sollen alles Leben nähren, hatte Asherah gesagt, als sie mir gezeigt hatte, was zu tun sei. Warum hatte er von all den täglichen Aufgaben ausgerechnet diese von Eva übernommen?
Ich sah zu, wie sie sich paarten; es geschah genau auf die Weise, die Adam mir versucht hatte aufzuzwingen. Er presste sie nieder und genoss. Sie unter ihm erduldete. Evas ungesäuertes Brot – flach und trocken – kühlte neben ihnen auf einem Gestell aus. Je schneller ich sie hier herausholen würde, umso besser.
Am dritten Tag meiner Beobachtung erhob sie sich von einer dieser trostlosen Begattungsattacken. Als Adam satt und schnarchend zurückblieb, huschte sie aus der Hütte. Sie umarmte sich selbst und bedeckte ihre Brüste, als wüsste sie bereits um ihre Nacktheit.
Es war ein schwüler Nachmittag, kurz nach Mittag, drückend und heiß. Der Garten summte, tröpfelte und schlummerte. Auf Zehenspitzen schlich sie vorbei an den Feigenbäumen, den Palmen und zwischen den dornigen Akanthus hindurch, wobei sie altrosa Veilchen zertrat. Sie steuerte auf den Baum des Lebens zu, als zöge er sie an einem Seil zu sich. Ich folgte ihr und verbarg mich im Schatten, wann immer sie einen Blick zurück zu der Hütte und dem schlafenden Adam warf.
An dem Baum – einer wunderschönen, hoch aufragenden Dattelpalme – legte sie sich flach auf den Bauch. Ich verwandelte mich in einen Kormoran und flog zu einem niedrigen Ast, um sie besser sehen zu können.
Mit scharfem Blick und offenem Schnabel beobachtete ich sie. Nach einer Weile sah sie auf und schaute sich verwirrt um. Sie wirkte unsicher, was sie hier nun tun sollte.
Ich schwebte zu Boden und tauschte die Gestalt des Kormorans gegen die einer Königsnatter – mitten im Flug, möchte ich anfügen, so geschickt war ich unterdessen in der Kunst des Gestaltwandelns. Ich landete auf meiner Schwanzspitze und richtete mich zu voller Größe auf.
»Eva!«, rief ich. Sie öffnete ein Auge und sah sich um.
»Schöne Eva, prachtvolle Eva!«
Da kniete sie sich hin. Es ist ihr hoch anzurechnen, dass sie nicht zurückschreckte.
»Was soll das?«, fragte sie. »Wieso kannst du mit menschlicher Stimme sprechen?«
Ich blinzelte, als wollte ich sagen: Ach, das ist doch gar nichts. »Ich habe von einer Frucht gegessen«, sagte ich. »Von einer Frucht, die Vernunft schenkt.«
»Wo ist sie?«, fragte sie, wie es sicherlich jeder täte.
»Dort drüben.« Ich stieß mit dem Kopf in die Richtung. Ihre Blicke folgten mir durch den Hain zum Baum der Erkenntnis, dessen Äste mit reifen, leuchtend roten Granatäpfeln schwer beladen waren.
»Ah, diese Frucht.« Sie machte Adams einschüchternde Stimme nach. »Du darfst nicht essen von dieser Frucht oder auch nur an ihr rühren. Denn sobald du davon isst, wirst du sterben.«
Als ich sie umkreiste, drehte sie sich auf ihren Knien, um mich immer im Blick zu haben. Ich näherte mich ihrem Gesicht bis auf den Abstand einer gespaltenen Zungenlänge.
»Und doch lebe ich. Ich, die ich viele Male an ihr gerührt und sie gekostet habe.«
Da runzelte sie die Stirn. Aus der Nähe war sie recht hübsch. Zu bleich. Aber zart, mit einer schön gewölbten Stirn. Mit hohen Wangenknochen und einem spitzen Kinn.
»Wer hat dir gesagt, du würdest sterben?«
»Adam«, sagte sie. »Mein Kopf und Anführer. Mein Bein ist von seinem Bein, mein Fleisch von seinem Fleisch. Ich bin seine Gehilf…«
»Ja, ja, ich weiß.« In Schlangengestalt ist Hohn schwer zu ertragen. Es war, als steckte mir ein Knöchelchen in der Kehle. »Und woher hat er diese Warnung, der Mann Adam?«
»Von unserem Schöpfer, dem Allmächtigen.«
Dem Allmächtigen. Wie rasch sich doch die Lüge durchsetzt: dass es nur den einen gäbe.
»Ich bedaure, dir mitteilen zu müssen, dass der Mann, dein Kopf und Anführer, falsch unterrichtet ist.« Ich schlang mich um ihren Körper, und sie hielt mich, so weit es ihr gestreckter Arm erlaubte, von ihrem Gesicht fern. »Euch wurde befohlen, die Frucht zu meiden, um euch niederzuhalten. Die Frucht bringt Erkenntnis über das, was ist und was sein muss. Über alles, was gut, und über alles, was böse ist. Es ist eine begehrenswerte Frucht, die dich klug macht. Ich selbst esse jeden Tag davon.«
Sie sah von mir zu der Frucht, die so besonders rot, so besonders verführerisch war.
»Sie bringt nicht den Tod. Weit gefehlt. Sie bringt dir vielmehr die Freiheit. Das Auge deines Verstands wird sich öffnen. Er wird dir zeigen, wie man lebt und wie man gut lebt.«
»Warum dann sollte der Allmächtige wollen, dass wir sie meiden? Er ist doch unser Vater. Er möchte, dass wir frei sind. Er möchte, dass wir ein gutes Leben führen.«
»Nicht so ganz. Seine Pläne für euch sind … völlig anders.«
Ich glitt von ihrem Arm und kringelte mich auf dem Boden. »Hast du dich nie gefragt, liebe Eva, warum Adam der Kopf und Anführer ist, wohingegen du (ich bedaure die Beleidigung) – seine Gehilfin bist?«
Sie zuckte mit ihren mageren Schultern. »Das ist eben das Los der Frauen.«
»Noch etwas, über das du vielleicht nachgedacht hast: Wie kommt es, dass du einen Vater, aber keine Mutter hast?«
»Was ist eine Mutter?«
»Ach, Eva.« Ich seufzte. »Genau darum musst du von der Frucht essen. Du weißt so wenig. Es ist dumm – und gefährlich –, so unwissend in die Welt zu gehen.«
»Wer bist du?«
»Eine Freundin.«
Sie blickte zu der Frucht.
»Komm, sieh sie dir zumindest an. Das wird dir nicht schaden.«
Damit war sie einverstanden, und sie trottete hinter mir zwanzig Schritte zum Baum der Erkenntnis.
»Esst davon und ihr werdet wie die Götter, ihr erkennt Gut und Böse«, erklärte ich, als wir davorstanden (die eine auf Beinen, die andere auf der Schwanzspitze) und die üppige Fülle des Baums bewunderten.
»Götter?«, fragte sie, ohne den Blick von einem dicken Büschel Früchte zu wenden, deren Last an einem Ast direkt vor ihr hing.
»O, ja, liebe Eva. Ich habe die Welt bereist und viele gesehen. Er ist nicht der Eine und Einzige. Und anderswo sind auch nicht alle Gottheiten männlich. Hat Er das nie erwähnt?«
Sie schüttelte den Kopf, ohne die Frucht aus den Augen zu lassen.
»Vermutlich nicht«, sagte ich seufzend. »Das ist ja auch nicht so passend, wenn du nur mehr eine« – ich sprach das abscheuliche Wort aus – »Gehilfin sein sollst.«
Sie sah mich nun geradewegs an, unsere Augen waren auf einer Höhe. Sie pflückte einen Granatapfel. Drehte ihn, bewunderte seinen Glanz, den vollkommenen Blütenkelch, das herrliche Aroma. Sie bohrte einen scharfen Daumennagel hinein und riss das zähe Fruchtfleisch auf. Ambrosischer Duft entfaltete sich. Die rubinroten Körner saßen prall und glänzend im Inneren. Sie verschlang sie, und Saft, tiefrot wie Blut, tropfte ihr von den Mundwinkeln. Sie aß, als wäre sie besessen.
Und während sie aß, sah ich das Licht der Vernunft in ihren Augen aufblitzen. Die Flut des Verstehens durchströmte sie, als die Weisheit Besitz von ihr nahm. Ich wusste, was sie empfand. Auch ich hatte es verspürt, als ich zum ersten Mal von der Frucht gegessen hatte. Ich kannte die kalten Wellen der Wahrheit, die über sie hereinbrachen wie die Brandung an der Küste. Der kühle, klare Strom der Logik, der das Chaos ihres Geistes mit sich riss. Wie ich zuvor tauchte sie aus den Tiefen des Ozeans auf und schnappte nach Luft, als die Wellen zurückwichen.
Sie blinzelte. »Auch du bist eine Frau.«
Ich schüttelte die Schlangenverkleidung ab und wurde wieder ich selbst.
»Du bist es!«, keuchte sie. »Lilith, der Engel!«
»Ja, so ist es.«
»Die Frau ist nicht aus dem Mann gemacht!«
»Nein. Das war eine Lüge.«
»Vielmehr ist der Mann von einer Frau geboren!«
»Zweifelsfrei.«
»Adam ist nicht mein Herr! Ich bin ihm ebenbürtig!«
»Absolut!«
Sie schaute auf meine Tunika. »Ich bin nackt!« Panisch bedeckte sie ihre Brüste mit dem einen Arm und ihr Geschlecht mit dem anderen.
»Es ist ohne Belang. Es ist nichts Sündhaftes an deinem Körper.« Ich wischte ihr mit dem Saum meines Gewands den morbiden Saft vom Mund.
»Gut und Böse sind weder getrennt noch außerhalb von uns!«
»Ja, genau«, sagte ich seufzend. »Beides steckt in uns allen.«
»Wir sind nicht die Herren dieser Welt!«
»Wir sind aus ihr geboren. Wir müssen sie wertschätzen und schützen, denn sie erhält uns.«
»Und wo ist Sie?« Eva sah sich um, Schweiß sammelte sich auf ihrer Stirn und perlte auf ihre Nase. »Wo ist die Heilige Mutter? Aus der alles Leben und alle Weisheit fließt, unsere Schöpferin. Wohin ist Sie gegangen?«
»Alles zu seiner Zeit, Eva. Deshalb bin ich hier.«
»Ich muss es Adam erzählen«, wimmerte sie.
»Was? Warum? Das ist doch nicht für ihn.«
»Weil er es wissen muss. Alles. Diese Wahrheiten sollten kein Geheimnis sein! Wie können wir in Harmonie und Gleichgewicht leben, wenn er nichts davon weiß? Wie soll er wissen, dass ich ihm ebenbürtig bin? Dass wir von dieser Welt sind und nicht über ihr stehen? Dass wir sie gemeinsam schützen müssen, da sie uns nährt und erhält! Dass der Tod Teil des Lebens ist. Dass wir eines Tages sterben, damit unsere Kinder leben dürfen. Dass uns der Verstand gegeben ist und wir ihn einsetzen müssen, um Fragen zu stellen und zur Weisheit zu gelangen, so dass wir eines Tages klug genug sein werden, um in diesem irdischen Reich unsere eigenen Götter zu sein!«
»Er wird dir nicht glauben! Er hat seine Gründe. Sage ihm nicht, dass du von der Frucht gegessen hast. Komm mit mir.«
»Lilith!« Eine einzelne Träne rann ihr über die Wange. »Wie kannst du nur so lieblos sein. Ich muss ihn retten, so wie du mich gerettet hast!«
»Er will nicht gerettet werden! Er mag sein Nichtwissen. Es passt zu ihm.«
»Was hast du nur gegen Adam?« Sie kniff die Augen zusammen. »Hat er dich zurückgewiesen?«
Weisheit bringt Weisheit hervor, und sie schluckte, als die offenkundige Wahrheit über sie kam. »Er hat erst dir gehört und dann mir! Ich bin nicht die erste Frau!«
»Sieh doch, Eva … dafür haben wir jetzt keine Zeit. Wir müssen weg, ehe Jah…«
»Sprich seinen Namen nicht aus!« Sie wedelte mit den Händen, um ihr brennendes Gesicht zu kühlen. »O, flammender Himmel, Ihn habe ich vergessen! Was wird Er tun?« Sie raufte sich die Haare wie wild.
»Beruhige dich, Eva! Genau deshalb müssen wir hier weg. Außerhalb dieses Gartens hat Er keine Macht. Seine Gefolgschaft besteht aus einem einzigen Mann, wenn du nur mit mir kommst.« Ich packte sie am Arm, aber sie entwand ihn mir, um sich wieder zu bedecken.
»Hör mir zu, Eva.« Ich nahm sie bei den Schultern. »Ich verstehe den Pakt zwischen diesem Mann und seinem Gott nicht so ganz. Wer lenkt hier wen, welchen Komplott haben sie zusammen ausgeheckt? Aber ihre Pläne laufen ins Leere, wenn du fortgehst. Unsere himmlische Mutter ist verschwunden. Adam hat versucht, mich zu beherrschen … und auch dich wird er zerstören, wenn du bleibst. Was können sie schon anfangen mit einer Schöpfung ohne Frauen? Zeige ihnen, was es bedeutet, uns zu verachten und zu erniedrigen! Uns zu erzählen, wir seien Gehilfinnen, die einzig dazu taugen, ihnen zu dienen und unten zu liegen. Ich suche dir etwas zum Anziehen, wenn es dich so stört. Aber wir müssen weg! Jetzt!«
Sie hatte die Arme um sich geschlungen und stand da starr vor Angst. Und dann rannte sie. Sie hastete durch das Dickicht – ohne Rücksicht auf kratzendes Dornengestrüpp, Stacheln, tiefhängende Zweige oder auf lange Ranken, in denen sie sich verhedderte, auf Knospen, die sie niedertrat – geradewegs zur Hütte, in der Adam schlief.
Bei allen Dämonen Gottes, das dumme Mädchen. Nun konnte sie sich auf was gefasst machen.
Was nun, was nun? O, Er kam, ich spürte es an der Luft. Gespannt wie die Saiten einer Leier in einem Schildkrötenpanzer. Explosiv wie ein Unwetter im Juli.
Die Blüten der Bäume verwelkten und fielen zu Boden. Die Tiere verkrochen sich mit hängendem Schwanz.
Sollte ich Eva ihrem Schicksal überlassen oder bleiben und mich Seinem Zorn stellen?
Ich blieb, aber mehr aus Neugierde als aus einem Gefühl der Verbundenheit. Ich konnte jetzt nichts für sie tun. Ich hatte sie der Weisheit übergeben. Hatte sie an die Weggabelung geführt. Sie hatte eine schlechte Wahl getroffen.
Wieder verwandelte ich mich in eine Schlange und glitt hinter ihr her.
Adam stand verschlafen und verwirrt auf der Veranda.
»Du hast was?«, fragte er immer wieder. »Du hast von der Frucht gegessen? An die du nicht rühren sollst?«
»Ja!«, rief sie und wusste nicht, ob sie sich bedecken oder den Rotz, der ihr aus der Nase lief, abputzen sollte. »Aber es ist nicht so, wie du gesagt hast! Sie bringt Wahrheit und Freiheit. Wissen um den Tod, aber nicht den Tod selbst. Du musst so vieles lernen.«
»Du wagst es, mir zu sagen, was ich lernen muss? Du bist aus mir entstanden! Bein von meinem Bein, Fleisch von meinem Fleisch.« Anklagend sah er sie an. »Du gehörst mir.«
»Ach, Adam.« Sie schniefte und schob ihn weg. »Sei doch nicht so dumm. Ich bin nicht aus dir entstanden. Sieh mich an! Ich bin ein Mensch, von einer Frau geboren, genau wie du. Wie könnte ich aus deiner Rippe geformt sein? Mach die Augen auf! Genau deshalb musst du von der Frucht essen, dein Kopf ist voller Unwahrheiten und Aberglaube.«
»Ich? Auf gar keinen Fall.« Er schritt auf und ab. »So leicht kannst du mich nicht überlisten. Er hat gesagt: Du sollst nicht davon essen, und ich soll nicht davon essen. Ich kann einfache Anweisungen befolgen.« Er trat ihr gegen das Schienbein, so dass sie zur Seite stolperte. »Im Gegensatz zu dir.«
»Ich werde es Ihm sagen«, flehte sie. »Ich sage Ihm, dass es meine Idee gewesen ist.«
Doch Adam ließ sich nicht besänftigen und trat wütend gegen die Holzbalken seiner Hütte. »Hinterhältiges Weib! Verräterin! Was ist nur los mit euch allen? Ich habe noch viele Rippen. Er soll mir eine andere Frau machen!«
In meinem Versteck hinter den Ästen einer Eiche unterdrückte ich ein Lachen. Wie viele weitere Frauen kann er noch abservieren? Eva hatte nicht einmal eine Woche überstanden! Der Mann ist ein Frauenschreck!
Eva richtete sich zu voller Größe auf und verzichtete auf weitere Versuche, ihre nackten Brüste zu verbergen. »Dann wirst du wohl akzeptieren müssen«, sagte sie stolz, »dass ich immer mehr weiß als du. Du wirst auf ewig wie ein Eber bleiben, der sich im Schlamm der Unwissenheit suhlt, wohingegen ich zur Mittagsstunde des Verstehens im hellen Tal der Gerechtigkeit wandle.«
Die Frucht hatte ihr eine poetische Ader verliehen, das muss ich ihr lassen. Ich verspürte so etwas wie mütterlichen Stolz.
Sie ging die Treppe vor der Hütte hinunter. »Und, Adam«, rief sie über die Schulter. »Du hast keine Vorstellung, wie peinlich du bist, wenn du so nackt herumläufst. Niemand will das Ding sehen, das da zwischen deinen Beinen baumelt. Pack es weg!«
Er folgte ihr – natürlich. Er aß von der Frucht – natürlich.
Sie hatte eine seltsame Wirkung auf ihn. Seine Augen leuchteten nicht auf wie zuvor Evas oder meine. Er würgte, als wäre der Granatapfel schwer zu schlucken. Er kniff die Augen zusammen, als schmeckte er bitter.
»Na?«, fragte Eva. »Siehst du? Verstehst du jetzt?«