Mein Stern - Christian Ferch - E-Book

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Christian Ferch

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Beschreibung

An der einst so geliebten FU Berlin trifft ein Dr. der Philosophie auf einen Kriegsveteranen, einem Panzerfachgehilfen. Beim Lesen vor der Philologischen Bibliothek ertappt Christoph Fuchs den Panzerveteranen Friedhelm Willenstein. Dieser verspricht durch sein Äußeres und seine Versunkenheit in Goethes "Faust" einen interessanten Geist. Gespräche tiefsinniger Art zwischen einem Zeitsoldaten und einem Dr. phil.

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Seitenzahl: 46

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Für

Frau Iris Bussler

und

Frau

Uschi Reifenberg

Werden sie Menschen sein?

Diogenes von Sinope

ging bei Tage mit einer Laterne

auf den Marktplatz

und antwortete auf die Frage, was

er mache:

"Ich suche einen Menschen."

Als ich ein kleiner Junge war, war alles anders.

Die Eltern hatten Arbeit, und konnten uns behüten. Wir: Das sind mein Bruder und ich. Wir haben am gleichen Tag Geburtstag, doch ist er ein Jahr älter als ich. Als Jugendlicher hatte ich nie eine Geburtstagsfeier für mich allein. Er jedoch auch nicht. Das wurde mir erst später klar. Wir bewohnten seit kurz vor unserer gemeinsamen Einschulung Anfang September 1972 ein Einfamilienhaus in einer kleinen Stadt nahe Bad Segeberg, Wahlstedt. Unser Einzug in den Stieglitzweg 15 fand am Buß- und Bettag 1971 statt. Vater hatte Tuberkulose gehabt, und man hatte ihm empfohlen, aufs Land zu ziehen. Seine Verbeamtung war daher nicht ohne Schwierigkeiten verlaufen. Mutter war auch Beamtin. Auch als Lehrer. Die beiden hatten Mathematik studiert. Und Sport. An der pädagogischen Hochschule Kiel. Nun waren sie Beamte. Lehrer eben, vom Land angestellt. Das gab Sicherheit. Zumindest finanziell. So konnten mein Bruder und ich behütet aufwachsen, und unsere Kindergeburtstage feiern. Die Gästeliste wurde gemeinsam besprochen.

Für die Großmutter mütterlicherseits sowie deren Tochter wurde in der Kleinstadt eine Wohnung gesucht. Das war ein Geben und Nehmen: Die beiden Frauen hatten familiären Anschluss und ein wenig Gesellschaft, und unsere Eltern, die beide länger in der Schule waren als mein Bruder und ich, wurden entlastet von Kinderbetreuung und Zubereitung der Mittagsspeise. Oft gab es Kohlrouladen, doch der Kohl meines Bruders landete regelmäßig auf meinem Teller, da er ihm nicht mundete. Einzig das Hackfleisch mit Reis hatte es ihm angetan. Manchmal gab es auch Spaghetti Bolognese. Ein Kindergericht. Ich verfeinerte es mit geriebenem Parmesan. Mein Bruder ergriff die Flucht in ein Nebenzimmer, da er den Käse - oder mich - nicht riechen konnte. Die Nervenzellen seines Gesichtserkers waren zwar intakt, doch scheinbar etwas überempfindlich. Käse mag er bis heute nicht, nur auf Pizza. -

Wer nun der kleine oder der große Bruder ist (178 cm gegen 184 cm), wissen wir immer noch nicht, und das wird wohl so bleiben. Wahrscheinlich ist das gut so.

Der Kindergeburtstag Ende August sollte für unsere Gäste und uns etwas Besonderes sein: Wir dachten uns verschiedene Wettspiele aus, um neben Kaffee und Kuchen und dem üblichen Topfschlagen keine Langeweile aufkommen zu lassen. So wurde nach Zeit einmal ums Haus gerannt, ein weiteres Mal mit einem ausrangiertem Autoreifen um den Hals als Handicap. Die mechanische Stoppuhr, mit der die Zeit genommen wurde, war normalerweise ein Privileg der Sportlehrer an den Schulen. Und wir hatten eine! Beim Kirschkernweitspucken oder Tischfußball hingegen war keine Zeitmessung vonnöten... -

Keiner wird gewinnen. -

Der Großteil der Geburtstagsgäste hatte die Herausforderung der wettbewerbsähnlichen Spiele erfreut angenommen, doch gab es Ausnahmen. Ein bestimmter Gast, welcher den anderen in Talent und Sportlichkeit etwas nachstand, konnte nicht so recht Freude finden an unserer leistungsorientierten Feier. Bei der Verteilung der aus Pappe selbstgebastelten, dann mit Modellbaufarben in Gold, Silber und Bronze bemalten kleinen Pokale ging er leer aus. Der Verzweiflung nahe, rang er mit Tränen: »Ich gewinne ja doch nie!«

Heute ist er Ingenieur.

Unser Vater schwärmte von Heinrich von Kleist: Michael Kohlhaas war sein Lieblingsbuch. »Gebt mir meine Rappen wieder!«, war der kraftvolle Kernsatz dieser Schrift.

„[...] kurz, die Welt würde sein Andenken haben segnen müssen, wenn er in einer Tugend nicht ausgeschweift hätte. Das Rechtsgefühl aber machte ihn zum Räuber und Mörder.„

Michael Kohlhaas. Aufrecht bis in den Tod. - Die Gerechtigkeits-Philosophie Heinrich von Kleists hatte es Vater derart angetan, dass er vermeinte, nichts Weiteres lesen zu müssen.

Wer macht den ersten Fehler?

Den ersten Fehler machte mein Bruder. Auf dem Tennisplatz. Beim Aufschlag. Dann der zweite Versuch. Wieder daneben. Doppelfehler. Seiner Unterlegenheit auf dem Tennisplatz einsichtig, machte er einen anderen Aufschlag: Er schlug Bücher auf, Schachbücher. Er studierte Eröffnungen (so nennt man die ersten Züge auf dem Spielbrett), deren unterschiedliche Varianten mit Nationaladjektiven bezeichnet werden: Spanisch, Englisch, Französisch, Russisch usw. Weiter: Den richtigen Zeitpunkt für eine Rochade sowie Sinn und Funktion eines Gambits. Das ist ein Bauernopfer zu Beginn einer Partie, um den Weg frei zu machen für den richtigen Angriff.

Die Mutter hatte mehr gelesen: Günther Grass, Die Blechtrommel, Der Butt, Kopfgeburten. Und Heinrich Böll: Billard um Halbzehn, Ende einer Dienstfahrt, Gruppenbild mit Dame, Ansichten eines Clowns.

Und natürlich Ernest Hemmingway: Tod am Nachmittag. Hintergründe zur grande corrida, welcher wir in Südfrankreich des Öfteren beiwohnten. Geschichten von Matadoren, ihrem Stolz und Temperament. Capa, Muleta, der Picador zu Pferde usw. ... -

Derart gewappnet mit Fachwissen sowie durch kontinuierliches Training im örtlichen Schachverein, getraute er es sich, anzutreten bei den Landesmeisterschaften in Schleswig-Holstein. Somit hatte er meinen Respekt zurückgewonnen, neu erworben, sich erkämpft, wenn auch nicht in sportlichen Gefilden. Doch ist nicht Denksport auch Sport?

Die Reisen der Familie waren unser ganzer Stolz: Im Sommer fuhren wir vier Wochen nach Südeuropa, meistens nach Frankreich an den Atlantik, zum Campen auf einem riesigen Campingplatz unter Pinien. Das sind Kiefern, ungefähr 15 bis 20 Meter hoch. Im Winter zum Skilaufen in die Alpen: Des Öfteren Österreich oder Südtirol: Sölden und Badgastein, in Österreich, Selva Gardena (Wolkenstein), Campitello, Corvara und Cortina D'Ampezzo in Südtirol, Italien. Hier in Ladinien – so wurde dieser Landstrich auch genannt – sprachen die Einheimischen akzentfreies Deutsch. Dreimal hatte ich Gelegenheit, die Skipisten Corvaras zu erkunden. Nur ein Tal weiter, in Cortina, niente Tedesco, solo Italiano.

Parlamos?