Meine Berufung - Wolfgang Sauer - E-Book

Meine Berufung E-Book

Wolfgang Sauer

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Beschreibung

Wie findet man den Weg in den priesterlichen Dienst? Ist man von Gott "berufen"? Besteht durch die übertragene Verantwortung eine Gefahr des Machtmissbrauchs? Wie sollten Gläubige zu anderen Religionen und Konfessionen stehen? Mit diesen und vielen weiteren Fragen hat sich Monsignore Wolfgang Sauer im Laufe seiner 50 Jahren priesterlichen Dienst auseinandergesetzt und Antworten gefunden. Mit einem offenen Einblick in die kirchliche Sphäre will er zum Nachdenken einladen und Impulse zu aktuellen innerkirchlichen und gesamtgesellschaftlichen Diskussionen geben. Für wen die Kirche da sein sollte

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Wolfgang Sauer

Meine Berufung

Ein Priester über Gott und die Kirche

Inhalt

Vorwort

„Auf der Spur des Ewigen“

Die Frage nach Gott

„Wenn das alles wahr ist“

Die missionarische Seele des Christentums

„Für alle da“

Über die Universalität der Kirche

„Weil Gott es will?“

Überlegungen zum Thema „Berufung“

„Bei Euch soll es nicht so sein“

Gedanken über Macht und Dienen

„Auch dort würde Deine Hand mich leiten“

Seelsorge als Bordpfarrer und Pilgerbegleiter

„Missbrauchte Macht“

Gedanken zum Missbrauchsskandal

„Versöhnte Verschiedenheit“

Ökumene und Partnerschaft

„Komm herüber und hilf uns“

Betrachtungen über den Gehorsam

„In zerbrechlichen Gefäßen“

Über Grenzen und Grenzerfahrungen

Vorwort

Die Entstehung dieses Büchleins verdankt sich einem Datum in meiner persönlichen Biographie. Am 31. Mai 1973 zum Priester geweiht, kann ich im Jahr 2023 mein 50-jähriges Jubiläum feiern. Auch wenn ich in gläubiger Hoffnung darauf vertraue, in meinem Beruf über diesen Anlass hinaus noch weiterhin wirken zu dürfen, sehe ich in dieser Zäsur doch einen Augenblick des Innehaltens gekommen.

Ich darf in der Betrachtung der zurückliegenden fünf Jahrzehnte auf einen erfüllten und unverdient vielseitigen Einsatz schauen. Wenn ich in den folgenden Kapiteln darüber Rechenschaft ablege, verfolgt die damit verbundene Reflexion vor allem die Absicht, meinen Leserinnen und Lesern Anteil zu geben an der Fülle von Erfahrungen und Entdeckungen, die mir zuteilwurden.

Die Redlichkeit gebietet es festzustellen, dass nicht alles hier Dargelegte ausschließlich genuin und originell ist. Oft handelt es sich um Einsichten, die mir durch andere Menschen vermittelt und dann in eigener Reflexion konsolidiert wurden. Deswegen ist das Teilen und Weitersagen ein Akt der Gerechtigkeit, eine Ehrensache.

Natürlich sind meine Gedanken nicht exemplarisch, sondern sehr individuell. Sie geben meine Sicht der Dinge wieder und rufen in manchen Passagen bestimmt Kritik hervor: auch das Anstößige gehört zum Leben. Wenn es bei der Lektüre hier und da dann doch zu einer Kongruenz der Gedanken und innerer Zustimmung kommt, würde es mich glücklich machen.

Nach wie vor sind mir viele Möglichkeiten gegeben, meine geistlichen und religiösen Überzeugungen vorzutragen: in Gottesdiensten, Vorträgen und anderen öffentlichen Formen dessen, was der 1. Petrusbrief mit dem Wort „Gebt Rechenschaft von der Hoffnung, die Euch erfüllt“ (1 Petr 3,15) meint. Wenn ich mich der Mühe der schriftlichen Ausformulierung unterzogen habe, dann nutze ich damit die Möglichkeit, die jede derartige Publikation bietet: Ich kann Menschen erreichen, die mich nicht kennen und zugleich als Schwestern und Brüder unterwegs sind in der Gemeinschaft des Glaubens. Auch Freunde und Bekannte, die dieses Büchlein in die Hand nehmen, sollen wissen: „Ich habe es für Sie und Euch, für Dich geschrieben.“

In gegenwärtigen Zeiten, die theologisch oft vom spektakulären Diskurs geprägt sind („scandal sells“), ist es nicht leicht, einen Verleger zu finden, der sich auf das ökonomische Wagnis eines nicht an der Provokation interessierten Buches einlässt. Deswegen gilt mein herzlicher Dank dem Echter Verlag, der meinem Ansinnen Aufmerksamkeit geschenkt hat: seinem Verleger Thomas Häußner und seinem Lektor Reiner Bohlander. Dem Letztgenannten bin ich für seine aufmerksame Begleitung bei der Erstellung des Manuskripts zu besonderem Dank verpflichtet.

Vor allem danke ich den zahllosen Ungenannten und natürlich den namentlich erwähnten Personen, die ich vor Augen hatte und im Herzen spürte, als ich mich an Episoden und Anekdoten erinnerte und sie zu Buchstaben werden ließ. Manche werden sich bei der Lektüre wiedererkennen.

Niemand ist reicher als der, der zumindest einem Menschen in seinem Herzen Wohnung und Heimat geschenkt hat. Solche Heimat hat auch eine geistliche und spirituelle Dimension.

Freiburg, 9. Januar 2023

Wolfgang Sauer

„Auf der Spur des Ewigen“

Die Frage nach Gott

Es dürfte in meinem Abiturjahr (1966) gewesen sein. Da ich musikalisch nicht uninteressiert bin, und im Rastatter Studienheim diesbezüglich eine durchaus förderliche Atmosphäre herrschte, hatte ich während meiner Gymnasialzeit in meinem außerschulischen Stundenplan auch den Orgelunterricht. Mein Lehrer, der unlängst in hohem Alter verstorbene Richard Götz, hatte sicher früh erkannt, dass ich nicht sein begabtester Schüler war und keine solistische Karriere machen würde – umso mehr war er daran interessiert, welche anderen beruflichen Ziele ich im Sinn hatte. Da er mich diskreterweise nicht direkt mit seiner Neugier konfrontieren wollte, erkundigte er sich bei einem anderen Orgelschüler, ob denn schon bekannt sei, was ich nach dem Abitur vorhätte. Wahrheitsgemäß erteilte der ihm die Auskunft, „dass der Sauer eventuell Pfarrer werden wollte“. Was den Orgellehrer zu der spontanen Reaktion verleitete: „Wenn der so ein Pfarrer wird, wie er Orgel spielt, soll er’s lieber gleich bleiben lassen!“ Da mein Mitschüler mir postwendend von diesem deprimierenden Kommentar berichtete, wusste ich zumindest hinsichtlich meiner Zukunft als Organist endgültig Bescheid.

Wenn ich mir im Rückblick darüber Gedanken mache, was mich zum Theologiestudium motiviert hatte, muss ich einerseits bekennen, dass es nicht der Religionsunterricht war – womit ich den entsprechenden Lehrern kein Unrecht tun will. Nein, es war der Physik- und Mathematikunterricht, der in mir die Suche nach den bleibenden Wahrheiten weckte, und ich bin unserem Lehrer Ernst Hiller bis heute dankbar, dass er dieses mein Interesse erkannte und förderte. Der Buchpreis, der mir am Ende der 12. Klasse (Unterprima) zuerkannt wurde, war eine Publikation des Hamburger Physikers Pascal Jordan „Der Naturwissenschaftler vor der religiösen Frage“. Diese literarische Kost korrespondierte mit meinem seit den Tagen der Kindheit lebendigen Interesse an Astronomie. „Diesterwegs populäre Himmelkunde“ war ein Werk im Bücherschrank meines Vaters, das ich regelrecht verschlang, ohne freilich den Inhalt im Detail zu verstehen. Als dann zu Beginn des Studiums in Freiburg der Repetitor Rudolf Mosis uns die „Pensées“ von Blaise Pascal nahebrachte, war ich endgültig „Auf der Spur des Ewigen“ angelangt – um auf einen Buchtitel des von mir hochgeschätzten Freiburger Religionsphilosophen Bernhard Welte zu verweisen. Als in den Vorlesungen Thomas von Aquin mit seinem Werk „De ente et essentia“ auf dem Studienplan stand, hatte ich einen Zugang zur Gottesfrage erschlossen, der mich bis heute nicht mehr loslässt. Mehr und mehr durfte ich damals entdecken, dass es der besagte „göttliche Aquinat“ war, der wir mit seiner Aristotelesrezeption und dem Rekurs auf die arabische Philosophie eines Averroes die „Quinque viae“, die fünf Wege des Gotteserweises, erschloss und zu einer intellektuellen Freiheit des Denkens beitrug, die mir einen verantwortbaren und redlichen Umgang mit der Gottesfrage eröffnete. Bernhard Welte war es auch, der in nüchterner Kühnheit vom „Wesen und Unwesen der Religion“ sprach und auf die gefährliche Vereinnahmung des Glaubens durch politische Strategien aufmerksam machte. Mit Recht schütteln viele den Kopf, wenn der Patriarch von Moskau in ungebremster Linientreue die kriegerische Aggression gegen Russlands westlichen Nachbarn verteidigt. Auch die raffinierte Propaganda Hitlers machte sich das Argument einer göttlichen Vorsehung und Legitimierung seiner hemmungslosen Diktatur zu eigen. Es ist eine nüchterne historische Feststellung, dass er damit eine deutsche Nationalkirche anstrebte und die Macht des Religiösen auf sein Konto buchen wollte. Daran zu erinnern ist kein beleidigender Nazi-Vergleich.

Es ist hier nicht der Ort, mein Theologiestudium zu rekapitulieren. Aber das „fides quaerens intellectum“, also ein vor dem lauteren Nachdenken und der kritischen Vernunft verantworteter Glaube, ist und bleibt ein Prägemahl meiner beruflichen und spirituellen Existenz. „Prinzipiell“ gibt es keinen Glaubensinhalt, kein theologisches Dogma, die sich vor der Freiheit des Denkens abschotten müssten, um ihren Bestand zu retten. Die bisweilen ins Feld geführte Formel „Glaube beginnt da, wo das Wissen aufhört“ ist als unmenschlich und wenig intelligent zu entlarven. Der Glaube ist vernünftig, er besitzt jene „potentia oboedientialis“, Gottesahnung, von der Karl Rahner in seinem grundlegenden Werk „Hörer des Wortes“ berichtet.

Ich bin in meinem beruflichen Leben zu dem Schluss gekommen, dass es eher die kurzdenkenden Geister sind, die von der Wirklichkeit Gottes („Existenz“ wäre ein falscher Begriff) nichts wissen wollen. Wirklich große Denker und Wissenschaftler haben das Staunen neu entdeckt und scheuen sich nicht, auch das Meta-Physische als Wahrheit zu konstatieren. So gesehen ist es kein Fortschritt in der Evolution des Homo sapiens, dass die Frage nach Gott und die sich daraus ergebenden Konsequenzen verdunsten und ein praktischer, auf Wellnessformat reduzierter Atheismus unseren aus der Aufklärung hervorgegangenen Kulturkreis bestimmt.

Dieser Sachverhalt dürfte die eigentliche Krise des Christentums in unseren Breiten ausmachen. Als Reaktion macht es keinen Sinn, sich Unglücke herbeizuwünschen („Not lehrt beten!“) oder aber in einem falsch verstandenen Aggiornamento den gängigen gesellschaftlichen Standards nachzulaufen, um eine „zeitgemäße Kirche“ zu sein. Selbstverständlich gibt es vielfältigen Reformbedarf in der Kirche, aber es werden nicht die teuer eingekauften externen Berater sein, die das „System Kirche“ auf Kurs bringen. Bei der ersten Audienz nach seiner Papstwahl dankte Franziskus den anwesenden Journalistinnen und Journalisten für ihre Berichterstattung und ausdrücklich für die ganz besondere Leistung angesichts der speziellen Herausforderung, die Kirche als menschliche Institution mit göttlichem Ursprung zu begreifen. Dass manche Vorgänge im aktuellen Kirchenbetrieb unter der Maßgabe „etsi Deus non daretur“, als ob es Gott nicht gäbe, „funktionieren“, dürfte eher auf die noch vorhandenen ökonomischen Ressourcen zurückzuführen sein. Wenn nicht alles trügt, neigt sich diese Epoche kirchlicher Sozialgestalt definitiv dem Ende entgegen.

Ich rede übrigens ein Stück weit gegen mich selbst, in meiner Freude am digitalen Planen und Organisieren, wenn ich zu dem Schluss komme, dass nicht hochtechnisierte virtuelle Welten, sondern nur die persönliche Begegnung und das mit allen Sinnen erfahrbare zwischenmenschliche Zeugnis die sinnstiftenden Momente im Leben der Menschen hervorbringen. Dass die Zeuginnen und Zeugen dabei zugleich auch in ihrer bis zur Unglaubwürdigkeit verzerrten Begrenztheit hervortreten und die Wahrheit des Glaubens verdunkeln, hat Gott seit den Zeiten eines Petrus nicht davon abgehalten, das Feuer des Geistes „ohne Maß“ (Joh 3,34) zu verschenken.

In meinem ersten Kaplansjahr (1973) kam es zu jenem Ereignis, das seither unter dem Begriff „Ölkrise“ ins kollektive Gedächtnis unserer westlichen Gesellschaften eingegangen ist. An den vier Adventssonntagen waren Fahrverbote verhängt, die nur aus triftigem Grund aufgehoben wurden. Mit einer solchen Ausnahmegenehmigung machte ich mich am 2. Dezember mit meinem Fiat 127 von Mannheim aus auf den Weg nach Birkenheide in der Pfalz. Der dortige Seelsorger, Freund meines Pfarrers, war kurzfristig erkrankt und bat meinen Chef, ob er nicht seinen Kaplan zur Vertretung schicken könne. Es war eine in frühmorgendlicher Dunkelheit abenteuerliche Fahrt auf den vom frischen Schnee noch völlig ungeräumten Straßen, und mehr als einmal war ich nahe daran aufzugeben. Nach einer bangen Fahrstunde am Ziel angekommen, empfing mich in der kleinen Kapelle des Ortes eine Gruppe von adventlich gestimmten Christen, die liedersingend auf den angekündigten