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»Früh – eigentlich sobald ich es in der Schule erlernt hatte - gehörte das Schreiben zu mir und in mein Leben. In meiner elterlichen Wohnung besaß ich kein eigenes Zimmer. Jedoch gab es eine kleine Veranda, in die ich in den sommerlichen Monaten ausweichen konnte. Ein Bett, ein Tisch und ein Stuhl hatten darin Platz. Und hier schrieb ich kleine Geschichten, Gedichte – und bereits Lieder.
Dieses Buch nun enthält eine Auswahl meiner in den vergangenen Jahrzehnten entstandenen Lieder. Es sind solche, die für mich selbst, für eine Zeit, für ein Erleben Bedeutung erlangt haben – und die sich andererseits auch niedergeschrieben sehen lassen können.« Erika Pluhar
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Seitenzahl: 77
Erika Pluhar
MEINE LIEDER
Insel Verlag
Ich war etwa dreizehn Jahre alt. In meiner elterlichen Wohnung besaß ich kein eigenes Zimmer, wir schliefen alle zusammen in einem Raum. Jedoch gab es eine kleine Veranda, in die ich in den sommerlichen Monaten ausweichen konnte. Ein Bett, ein Tisch und ein Stuhl hatten darin Platz. Und hier schrieb ich, mit Blick in das Laub einer großen Linde, die erstaunlicherweise hinter dem Wohnhaus in einer Vorstadt Wiens hatte hochwachsen dürfen. Früh, eigentlich sobald ich es in der Schule erlernt hatte, gehörte das Schreiben zu mir und in mein Leben. Kleine Geschichten schrieb ich. Und Gedichte. Und als ich eines Nachts die dünne Sichel des Mondes hinter den Blättern des Lindenbaumes erblickte, und ich, das Mädchen, plötzlich ahnte, wie es sein würde, mich zu verlieben, entstand dieses Lied. Zu welcher Melodie ich es sang, ist verweht …
Kleiner dünner Silbermond
über meinem Dach,
sag mir, wo mein Liebster wohnt.
Ist er auch schon wach?
Sag ihm einen Gruß von mir
daß ich auch schon lebe
und mein Augʼ wie er zu dir,
kleiner Mond, erhebe.
Daß ich warte, bis er kommt,
unterm Abendflieder.
Dort an seiner starken Hand,
Mond, seh ich dich wieder.
Seither sind Jahrzehnte vergangen und über 200 Liedtexte entstanden. Sogar, als ich noch nicht öffentlich sang, noch ehe ich neben der Schauspielerei auch als Sängerin einen gewissen Bekanntheitsgrad erlangt hatte, schrieb ich bereits Lieder. Dabei immer wieder betonend, daß ein Lied ein Lied ist und gesungen werden muß. Singbar sein muß. Daß Lieder nur selten auch zu Lyrik werden.
Dieses Buch nun enthält eine Auswahl meiner Lieder. Es sind solche, die für mich selbst, für eine Zeit, für ein Erleben Bedeutung erlangt haben und mich nach wie vor begleiten.
Erika Pluhar
Das Licht klebt wie Honig
der Morgen hebt an
in meinem Haus, da wohn ich
es riecht nach Thymian
Das Haus in seiner Tiefe
ist schattig wie ein Baum
bitter wie die Olive
einsam wie ein Zwischenraum
Ich setz mich vor das Fenster
und seh die Blätter an
vertreibe die Gespenster
und lösche den Vulkan
Und male die Dämonen
auf meine Höhlenwand
als blaue Anemonen
oder schwarzer Elefant
Aus den Sternen stürzen Winde
am Dach nagt der Regen
da lauf ich geschwinde
meinem Liebsten entgegen
Und das Haus hebt an zu fliegen
hinaus ins Firmament
wo die Wolken sich wiegen
und der Mond sanft verbrennt
Und die Sterne bauen Girlanden
über Fenster und Tür
unser Blut tanzt Sarabanden
die Herzen stehn Spalier
Und das Haus dreht sich leise
zur Erde zurück
wir beschließen die Reise
wir enden das Glück
Das Licht klebt wie Honig
der Morgen hebt an
in meinem Haus, da wohn ich
es riecht nach Thymian
Erwachsen geworden und junge Schauspielerin, gehörte diese lyrische Beschreibung eines Hauses zu meinen ersten Versuchen, einen Text für ein Lied zu finden. Und sie entsprang auch meiner Sehnsucht, ein ganzes Haus zu bewohnen. Bei aller Liebe zu Mutter und Vater sehnte ich mich danach, die Enge meiner elterlichen Wohnung hinter mir lassen zu können.
Ein eigenes Haus. Eine eigene Liebe. Ein eigenes Leben.
Deshalb diese Zeilen.
Mein Tisch ist staubig
meine Seele liegt brach
langsam so glaub ich
war es dein Tod, der mich erstach
Dein Tod, der hat mich gut gekannt
der traf mich tief ins Herz
Nichts ist neu und ungeahnt
außer dem Schmerz
Mein Käfig ist leer
mein Vogel entflogen
ich bin schon so schwer
halb in die Tiefe gezogen
Meine Hände halt ich noch am Rand
daß ich mein Leben nicht verscherz
Aber nichts ist neu und ungeahnt
außer dem Schmerz
Meine Träume sind bitter
meine Tage voll Angst
komm und zwäng dich durch die Gitter
wenn du das noch kannst
Unser Leben fließt davon wie Sand
und wir treiben damit Scherz
Und nichts ist neu und ungeahnt
außer dem Schmerz
Der erste schwere Verlust eines geliebten Menschen führte zu diesem Text. Ich sang ihn zu einer sehr einfachen, in mir selbst entstandenen Melodie. Und wußte damals dennoch nicht, wieviel Vorausschau für mein weiteres Leben dieses Lied barg.
Die Heckenstutzer
und Grasabschneider
die Unkrautvertilger
und Baumfäller
die Mörder – die Mörder
hausten in den Gärten
Die Blätterschleppen
die Wiesenblumen
die Kräuterbestände
und Laubtürme
getötet – getötet
starben in den Gärten
Da brach sie aus, die Revolte der Gärten
Sie wuchsen und wuchsen und blühten sich wild
Sie verschlangen Haus um Haus
während sie sich ungestüm vermehrten
und wuchsen und wuchsen und blühten sich wild
sie begruben die Städte als Raub
unter Blätterbächen
und wuchsen und wuchsen und blühten sich wild
eine Sturzflut von Gras und Laub
so brachen sie herein, um sich zu rächen
und wuchsen und wuchsen und blühten sich wild
Die Heckenstutzer
und Grasabschneider
die Unkrautvertilger
und Baumfäller
die Mörder – die Mörder
flohen aus den Gärten
Die Blätterschleppen
die Wiesenblumen
die Kräuterbestände
und Laubtürme
die Kraft vieler Sommer
siegte in den Gärten
Mit meinem geliebten alten Vater, der bis zu seinem Tod, er wurde 95, in meinem Haus lebte, gab es eine immer wieder aufflammende Unstimmigkeit. Er liebte es, im Garten jegliches ein wenig ›zurechtzuschneiden‹, während ich mir dort einen Bereich nur ganz zart gebändigter Natur erschaffen hatte und möglichst wenig gärtnerische Gestaltung zuließ.
Als ich eines Nachmittags zufällig aus meinem Fenster blickte und den Vater erspähte, wie er gebückt und heimlich an Sträuchern herumschnitt und sie zu stutzen versuchte, in der Annahme, ich sähe es nicht – da kam es zu einem Eklat! Ich brüllte, und er fühlte sich beschämt ertappt.
Dieser Streit währte jedoch nicht lang, ganz rasch waren wir wieder versöhnt, herrschte wieder unsere Eintracht.
Was aber entstand, und womit ich mir Luft machen mußte, war dieses Lied!
(für Anna)
Schau dir das hingespuckte Stück Leben an
vom Geborenwerden bis hin zu einem Tod
wie das nur weh tut und uns quält
und müde macht das Suchen nach dem Glück
Trotzdem kämpfen wir
trotzdem glauben wir
trotzdem lieben wir
trotzdem
Schau dir all die verbrauchten Gesichter an
die sich selbst verloren haben vor der Zeit
wie man sie gebrochen hat mit System
und weil die Angst so sehr gefügig macht
Trotzdem kämpfen wir
trotzdem glauben wir
trotzdem lieben wir
trotzdem
Schau dir die Welt und ihre Kriege an
dieses endlose Morden, die Zerstörungen ohne Sinn
und wie man unseren Stern verdirbt und langsam schleift
nur weil das Geld die Welt regiert
Trotzdem kämpfen wir
trotzdem glauben wir
trotzdem lieben wir
trotzdem
Und schau dir den Baum vor deinem Fenster an
seine Blätter im Regen, seine Blätter im Licht
wie er sich aufrecht hält wie ein Wort
und nicht schweigen will
bis man ihn fällt
Trotzdem kämpfen wir
trotzdem glauben wir
trotzdem lieben wir
trotzdem
Sehr bald wurde mir der Begriff ›Trotzdem‹ zu einem Energiespender und Lebensantrieb. Besser: Überlebens-Antrieb. Nicht nur ein Trotzdem-Lied schrieb ich. Dieses erste entstand, als ich das Wort ›Trotzdem‹ noch jugendlich kämpferisch empfand. Ich glaubte damals an die aufrechte Haltung aller denkenden Menschen, glaubte daran, daß nur böse politische Systeme uns Menschen korrumpieren, und ich glaubte damals auch noch daran, daß diese ermüdende Suche nach dem Glück uns irgendeinmal Glück finden läßt. Mein Lied erhob sich aus ersten politischen Ahnungen, die keinem fundierten politischen Wissen entsprangen, aus ersten menschlichen Enttäuschungen, die mir die Hoffnung noch nicht getrübt und Illusionen noch nicht zerstört, und aus ersten kritischen Zweifeln, die jedoch meinen Glauben an den Sieg der gerechten Wahrheit noch nicht ins Wanken gebracht hatten. Hierzulande und in der damaligen DDR schmetterte ich dieses Lied von den Bühnen herab, fest davon überzeugt, Menschen damit erreichen und wandeln zu können. Und ich widmete es meiner heranwachsenden Tochter Anna.
Immer schon hatte ich den Wunsch
mich an eine starke Schulter zu lehnen
aber tat ich es, wurde diese plötzlich schwach
kippte um – und er machte mir Szenen
Immer schon hatte ich den Wunsch
nach einer Zweisamkeit ganz ohne Zwang
aber ließ ich mich drauf ein, wurde es plötzlich eng
zum Ersticken, ein fensterloser Gang
Frau, lauf weg
nimm dich selbst bei der Hand
Frau, lauf weg
gebrauche deinen Verstand
Schau dich um in deinem Land
sei dein eigner Musikant
und nie mehr dein eigner Denunziant
Frau, lauf weg
Immer schon hatte ich Schuld
an allem, was um mich mißraten war
bei meiner Nase fing es an, die nicht fein genug
nichts war schön genug, nicht mal mein Haar
Immer schon hatte ich Schuld
wenn er trank, wenn er weinte, wenn er ging
ich war schuld, daß ich zweisam verlassen war
ein nutzloses, einsames Ding
Frau, lauf weg …
Immer schon wußte ich genau
daß ich längst verkauft und verraten war
doch jetzt will ich mir erklären und mir eingestehn
ohne Angst wird mein Wissen endlich klar
Immer schon wußte ich genau
daß da alles gespielt wurde ohne mich
doch jetzt schau ich mir das falsche Spiel genauer an
werde stark und groß und sommerlich
Frau, lauf weg …
Niemals wieder geben wir das auf
unter Schmerzen gesucht und schwer gefunden
die Täuschungen zerbrochen, die Lügen geklärt
und langsam heilen die Wunden
Niemals wieder geben wir das auf
Wunsch, Schuld und Wissen selbst zu wählen
Menschen zu sein, nicht weniger, nicht mehr
mit Leibern, Köpfen und Seelen
Frau, sei Frau