Methoden der Kognitiven Umstrukturierung - Beate Wilken - E-Book

Methoden der Kognitiven Umstrukturierung E-Book

Beate Wilken

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Beschreibung

Cognitive restructuring methods represent a central element of therapy in the treatment of numerous psychological disturbances. In this practical guide, the author provides a systematic introduction to the specific procedure involved in cognitive restructuring. The basis for this is provided by the cognitive treatment approaches of A. Ellis, A.T. Beck and D.W. Meichenbaum, which are briefly outlined. Numerous suggested formulations and example cases from practical work make the book a valuable aid for therapists and an easily readable introduction for students and those attending further training courses.

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Inhalt

Cover

Titelei

Vorwort zur 9. Auflage

1 Einleitung: Zielsetzung des Leitfadens

2 Theoretische Grundlagen der Kognitiven Umstrukturierung: Die »Kognitiven Therapien« nach Ellis, Beck und Meichenbaum

3 Der Prozess der Kognitiven Umstrukturierung: Grundlegende Schritte und Vorgehensweisen (Leitfaden)

3.1 Schritt 1: Vermittlung des »Kognitiven Modells« an den Klienten

3.2 Schritt 2: Identifikation der dysfunktionalen Kognitionen

3.2.1 Exploration der auslösenden Situationen

3.2.2 Exploration der belastenden Gefühle und Verhaltensweisen

3.2.3 Exploration der konkreten Veränderungsziele

3.2.4 Exploration der dysfunktionalen Kognitionen

3.3 Schritt 3: Infragestellen der dysfunktionalen Kognitionen

3.3.1 Allgemeine Strategien innerhalb des sogenannten »Sokratischen Dialogs«

3.3.2 Spezifische Strategien zum Infragestellen bestimmter »Gruppen« von dysfunktionalen Kognitionen

3.4 Schritt 4: Erarbeiten funktionaler, zielführender Kognitionen

3.5 Schritt 5: Einüben der funktionalen, zielführenden Kognitionen

4 Einige Anmerkungen zur Umsetzung des Leitfadens

5 Gestaltung der Therapeut-Klient-Beziehung

6 Häufige Schwierigkeiten und Fehler bei der Kognitiven Umstrukturierung

7 Schlussbemerkung und Ausblick auf theoretische und methodische Weiterentwicklungen

Literatur

Anhang

Beispiele für Emotionswörter

Selbstbeobachtungs- und Selbsthilfeschema für Klienten

Selbsthilfe-Fragenkatalog für Klienten

Zusammenstellung der wichtigsten Fragen für den Therapeuten

Fallbeispiele: Herr T., Frau S.

Selbsthilfebücher zur Kognitiven Therapie/Kognitiven Verhaltenstherapie

Störungsspezifische Behandlungsprogramme aus dem Bereich der Kognitiven Verhaltenstherapie

Stichwortverzeichnis

Die Autorin

Beate Wilken, Dr. phil., Psychologische Psychotherapeutin. Nach dem Studium der Psychologie mehrjährige Tätigkeit als Wissenschaftliche Mitarbeiterin in Forschung, Lehre und Klinischer Praxis am Institut für Klinische Psychologie und an der Klinik für Psychiatrie der Universität Münster. Veröffentlichung zahlreicher Fachartikel und Buchbeiträge. Von der Psychotherapeutenkammer anerkannte Supervisorin für Verhaltenstherapie, Dozentin und Supervisorin an verschiedenen Ausbildungsinstituten, Qualitätszirkel-Moderatorin bei der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe, von der Deutschen Krebsgesellschaft zertifizierte Psychoonkologin. Seit vielen Jahren tätig in eigener Praxis mit den Schwerpunkten Kognitive Verhaltenstherapie und ihren Weiterentwicklungen (insbesondere bei Patient*innen mit Depressionen, Ängsten und sozialen Phobien); Psychoonkologie; Supervision und Coaching.

Im Sachbuch-Bereich des Kohlhammer-Verlags erschien außerdem von Beate Wilken: Burnout mit 25? Junge Erwachsene zwischen Optimierungsdruck, Dauerkrisen und Zukunftsangst.

www.dr-beate-wilken.de

Beate Wilken

Methoden der Kognitiven Umstrukturierung

Ein Leitfaden für diepsychotherapeutische Praxis

9., aktualisierte Auflage

Verlag W. Kohlhammer

Für Max, Anna und Leonard

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

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9., aktualisierte Auflage 2024

Alle Rechte vorbehalten© W. Kohlhammer GmbH, StuttgartGesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:ISBN 978-3-17-043589-6

E-Book-Formate:pdf:ISBN 978-3-17-043590-2epub:ISBN 978-3-17-043591-9

Vorwort zur 9. Auflage

Methoden der Kognitiven Umstrukturierung gehören zu den am häufigsten angewandten Vorgehensweisen in der psychotherapeutischen Praxis. Zahlreiche empirische Studien belegen eindrucksvoll ihre Wirksamkeit bei einem breiten Spektrum klinischer Störungsbilder.

Die Methoden beruhen auf den Kognitiven Therapieansätzen von Albert Ellis, Aaron Beck und Donald Meichenbaum. Die gemeinsame Annahme dieser Autoren ist, dass Menschen nicht direkt auf Ereignisse und Stimuli in ihrem Leben reagieren, sondern auf – bewusste oder unbewusste – Bedeutungen und Bewertungen, die sie diesen Ereignissen und Stimuli zuschreiben. Entsprechend geht es in der Therapie darum, Patient*innen darin zu unterstützen, nicht hilfreiche bzw. selbstschädigende Bedeutungs- und Bewertungszuschreibungen bei sich zu identifizieren und zu verändern.

In diesem praxisorientierten Leitfaden (der in seiner ersten Auflage bereits 1998 erschienen ist und seitdem mehrfach überarbeitet wurde) werden eine Fülle von Methoden und konkreten Anleitungen zur Modifikation solcher »dysfunktionalen« (= nicht hilfreichen) Kognitionen zusammengestellt. Ergänzt wird die Darstellung seit der 7. Auflage 2015 durch ein Kapitel zu den sog. »Dritte Welle«-Verfahren der Verhaltenstherapie (▸ Kap. 7: Schlussbemerkung und Ausblick auf theoretische und methodische Weiterentwicklungen).

Als Autorin freue ich mich natürlich sehr, dass dieser kleine Leitfaden in den vergangenen Jahren einen so großen Anklang gefunden hat, dass nun schon eine 9. Auflage notwendig geworden ist. Er gilt mittlerweile – wie eine Rezensentin schrieb – als »Klassiker« unter den Beschreibungen zum Vorgehen bei der Kognitiven Umstrukturierung und wurde seit seinem Erscheinen immer wieder hoch gelobt – sowohl von Teilnehmer*innen von Ausbildungslehrgängen zur Verhaltenstherapie als auch von bereits langjährig im Bereich der Kognitiven Verhaltenstherapie erfahrenen Kolleg*innen. Als ein solcher »Klassiker« ist er daher, wie ich beim erneuten Durchsehen festgestellt habe, allerdings auch bereits etwas »in die Jahre gekommen«. Insbesondere bitte ich auch die nicht gendergerechte Sprache, die bei der Erstveröffentlichung des Buches noch nicht üblich war, zu entschuldigen. Dennoch wird dieser Leitfaden immer noch nachgefragt und erfreut sich weiterhin großer Beliebtheit. Er scheint eine sinnvolle Ergänzung darzustellen zu den zahlreichen störungsspezifischen Manualen, die im Bereich der Kognitiven Verhaltenstherapie mittlerweile veröffentlicht wurden – vielleicht weil er störungsunabhängig ein grundlegendes Verständnis für den Prozess der Kognitiven Umstrukturierung vermittelt und sehr konkrete Anleitungen für das Vorgehen gibt: mit Formulierungsvorschlägen, der Erläuterung von Fragetechniken sowie mit Hinweisen auf mögliche »Stolpersteine« und »Fallen« für die Therapeut*innen. Auf der Grundlage eines solchen guten allgemeinen Verständnisses lässt sich m. E. das Vorgehen dann auch gut auf spezifische Störungen anwenden und auch gut mit neueren methodischen Konzepten und Methoden kombinieren.

Für die nun hier vorliegende 9. Auflage wurden lediglich einige Literaturangaben und die im Anhang befindlichen Tipps zum Weiterlesen aktualisiert. Der eigentliche Text des Leitfadens wurde (bis auf einige kleinere Anmerkungen) in seiner ursprünglichen Form beibehalten. Die Überlegung, das Buch komplett zu überarbeiten, schien mir nicht praktikabel (es wäre leichter, ein neues Buch zu schreiben!) und auch nicht zwingend notwendig. Das hier beschriebene »klassische« Vorgehen ist – wie oben bereits erwähnt – empirisch gut evaluiert und damit auch in seiner jetzigen Beschreibung weiterhin wertvoll. Mögliche Erweiterungen des Vorgehens durch neuere konzeptionelle und methodische Ideen habe ich in Kapitel 7 kurz benannt; eine ausführliche Darstellung dieser neueren Ansätze und deren spezifischer Indikation sei jedoch den entsprechenden Autor*innen vorbehalten.

Münster, im Februar 2024Beate Wilken

1 Einleitung: Zielsetzung des Leitfadens

Was dieser Leitfaden will: Er will

therapeutischen Anfängern (Verhaltenstherapeuten in ihrer Therapieausbildung, Psychologie- und Medizinstudenten im Studium) erste Einblicke in das faszinierende Gebiet der Kognitiven Therapien geben und deren wichtigste Prinzipien und Vorgehensweisen anhand von konkreten Beispielen vorstellen,

in der Praxis tätigen Psychotherapeuten (mit verhaltenstherapeutischer Grundausbildung) eine Fülle von konkreten Anleitungen und Materialien geben, um Methoden der Kognitiven Umstrukturierung wirkungsvoll in ihr therapeutisches Handeln integrieren zu können,

weiterhin Praktikern, die bereits mit Methoden der Kognitiven Umstrukturierung arbeiten, die Möglichkeit geben, ihren Umgang mit diesen Methoden anhand der im Buch aufgezeigten Fehlerquellen zu reflektieren und zu optimieren,

einige Missverständnisse gegenüber den Kognitiven Therapien abbauen und

die Kluft zwischen eher theoretisch orientierten Lehrbüchern der Kognitiven Therapie bzw. Kognitiven Verhaltenstherapie und praktisch-therapeutischem Handeln überbrücken helfen.

Der Leitfaden richtet sich also in erster Linie an Psychotherapeuten bzw. psychotherapeutisch interessierte Leser, und hier vor allem an solche, die bereits verhaltenstherapeutische Grundkenntnisse besitzen. Da die kognitiv-verhaltenstherapeutischen Konzepte jedoch auch sehr fruchtbar in Bereichen wie Gesundheitsförderung, Beratung und Training angewandt werden können, dürften auch in diesen Feldern tätige Personen von dem Leitfaden profitieren können.

Die Idee zu diesem Buch entstand bei der Durchführung von Workshops, Seminaren und fallbezogenen Supervisionen im Rahmen der Aus- und Weiterbildung von Psychotherapeuten Mitte der 1990er Jahre. Immer wieder begegnete mir bei diesen Tätigkeiten einerseits ein großes Interesse an den Methoden Kognitiver Therapien, andererseits aber – auch bei langjährig erfahrenen Praktikern – eine gewisse Hilflosigkeit bezüglich der konkreten Handhabung und Umsetzung kognitiver Interventionen und ein großes Bedürfnis nach konkreten Anleitungen. Diesem Bedürfnis sollte der vorliegende Leitfaden entgegenkommen und dabei nicht zuletzt auch Missverständnisse aufklären wie, unter »Kognitiver Umstrukturierung« sei lediglich ein emotionsfreies Sprechen über bestimmte Einstellungen des Patienten zu verstehen, es handle sich dabei um ein buchstäbliches »Auswechseln« negativer durch positive Gedanken, ohne dabei deren Kontext zu beachten, oder es sei so etwas Ähnliches wie »positives Denken« und lasse sich auf einige Standardfragen reduzieren wie: »Was ist denn so schlimm an Ihrem Problem?«.

Die in diesem Buch beschriebenen Methoden der Kognitiven Umstrukturierung wurden seit Ende der 1980er Jahre insbesondere von Verhaltenstherapeuten in ihr bis dahin im Wesentlichen von den Lerntheorien geprägtes Methodenrepertoire übernommen. Sie sind mittlerweile fester Bestandteil der sog. »Kognitiven Verhaltenstherapie«, die einen Haupttrend der modernen Psychotherapie darstellt und zu den einflussreichsten Therapiesystemen unserer Tage gehört. Methoden der Kognitiven Umstrukturierung haben als ein Behandlungsbaustein (neben andern) Eingang gefunden in eine Vielzahl von störungsspezifischen Therapieprogrammen, die in den letzten beiden Jahrzehnten im Bereich der Verhaltenstherapie entwickelt und erfolgreich wissenschaftlich evaluiert wurden. Erste Beispiele waren die Manuale von Margraf & Schneider (1989/2013) für den Bereich der Panikstörungen und Hautzinger (1989/2021) für den Bereich der Depressionen. Weitere in den folgenden Jahren vorgelegte Manuale zu verschiedenen Störungsbildern sind im Anhang aufgelistet. Das vorliegende Buch soll diese wichtigen, empirisch fundierten und für die Praxis hilfreichen Manuale nicht ersetzen, sondern ergänzen und untermauern. Es soll den Prozess der Kognitiven Umstrukturierung in seinen grundlegenden Schritten verständlich machen und Methoden zum Vorgehen innerhalb dieser einzelnen Schritte vorstellen. Ein Verstehen des grundlegenden Prozesses der Kognitiven Umstrukturierung ist m. E. Voraussetzung für den effektiven Einsatz der in diesem Prozess zur Anwendung gelangenden einzelnen methodischen Vorgehensweisen und für die Fähigkeit, sie auf den jeweiligen Klienten mit seiner spezifischen Problematik zu adaptieren.

Alle drei »Hauptströmungen« Kognitiver Therapien, aus denen die in diesem Buch vorgestellten methodischen Vorgehensweisen abgeleitet sind (die Rational-Emotive Therapie nach Albert Ellis, die Kognitive Therapie nach Aaron Beck und das Stressimpfungstraining nach Donald Meichenbaum), gehören nach Grawe, Donati & Bernauer (1994/2001) zu den »hochwirksamen« psychotherapeutischen Verfahren, die durch zahlreiche empirische Untersuchungen ihre Wirksamkeit nachzuweisen vermochten (für eine differenzierte Einschätzung des Forschungsstandes vgl. de Jong-Meyer 2009, S. 622 – 624). Alle drei ähneln sich in ihren Grundannahmen und grundsätzlichen therapeutischen Vorgehensweisen sehr stark, obwohl sie natürlich unterschiedliche Schwerpunkte setzen. Es schien daher beim Verfassen des Buches 1998 nicht sinnvoll und weiterführend, die einzelnen Ansätze mit ihren verschiedenen Begrifflichkeiten weiterhin in Konkurrenz und »nebeneinander« darzustellen (was bis dato in den entsprechenden Lehrbüchern meist der Fall war). Eher sollte der Versuch gewagt werden, die verschiedenen methodischen Vorgehensweisen, die aus diesen drei Ansätzen abgeleitet werden können, zusammenzustellen und zu erläutern, an welcher Stelle des Prozesses der Kognitiven Umstrukturierung sie sinnvoll zur Anwendung gelangen können.

Der Zielsetzung des Buches entsprechend wird im Folgenden nur recht kurz auf die drei theoretischen Ansätze eingegangen, auf die der Leitfaden Bezug nimmt: Kapitel 2 führt in die zentralen Annahmen, Begriffe und therapeutischen Vorgehensweisen der Therapiekonzeptionen von Ellis, Beck und Meichenbaum ein. Unterschiede und Gemeinsamkeiten werden benannt. Kapitel 3, das den Hauptteil des Buches ausmacht, umfasst dann den »eigentlichen« Leitfaden, in dem der Prozess der Kognitiven Umstrukturierung in fünf Schritte aufgeteilt wird und Methoden und Materialien zum Vorgehen innerhalb dieser fünf Schritte vorgestellt werden. Einige Anmerkungen zur konkreten Anwendung und Umsetzung des Leitfadens finden sich in Kapitel 4. In Kapitel 5 und 6 wird auf wesentliche Aspekte der Therapeut-Klient-Beziehung sowie auf häufige Schwierigkeiten und Fehler beim Erlernen und Anwenden von Verfahren der Kognitiven Umstrukturierung eingegangen. Im abschließenden Kapitel 7 werden noch einmal einige übergreifende Aspekte (wie die Förderung der Selbsthilfefähigkeiten des Klienten und die mögliche Verbindung symptombezogener und biographisch orientierter Arbeit in den Kognitiven Therapien) thematisiert. Zudem werden beispielhaft einige neuere theoretische und methodische Entwicklungen vorgestellt (Ansätze aus den Verfahren der sog. »Dritten Welle« der Verhaltenstherapie) und ihre Bezüge zum hier dargestellten Vorgehen kurz skizziert. Das ausführliche Literaturverzeichnis erleichtert die Suche nach weiterführender Literatur; im Anhang sind konkrete Materialien für den Therapeuten und zur Unterstützung der Selbsthilfepraxis des Klienten zusammengestellt.

2 Theoretische Grundlagen der Kognitiven Umstrukturierung:Die »Kognitiven Therapien« nach Ellis, Beck und Meichenbaum

Im Folgenden werden die drei Hauptströmungen der Kognitiven Therapie kurz vorgestellt: die Rational-Emotive Therapie nach Ellis, die Kognitive Therapie nach Beck und das Stressimpfungstraining nach Meichenbaum. Den Abschluss des Kapitels bildet eine Zusammenschau der drei Ansätze.

Da es sich bei dem vorliegenden Buch nicht um eine wissenschaftliche Abhandlung zum Vergleich der drei Ansätze handelt, sondern um den Versuch, aus den drei Ansätzen Hilfen für die psychotherapeutische Praxis abzuleiten, werden wissenschaftlich interessante Themen wie z. B. die verschiedenen Hypothesen zu den Beziehungen zwischen Kognitionen und Emotionen oder auch die bisher ungeklärte Frage der eigentlichen Wirkmechanismen bei der Kognitiven Umstrukturierung im Rahmen dieses Buches nicht diskutiert.

Betont sei schon vorab, dass alle drei Ansätze sich in ihrem praktisch-therapeutischen Vorgehen sehr ähneln. Die konzeptuellen Unterschiede zwischen den Ansätzen dürften innerhalb der klinischen Praxis teilweise kaum identifizierbar sein.

Das grundlegende theoretische Modell menschlichen Erlebens und Verhaltens und das damit verbundene Menschenbild ist für Vertreter aller drei Ansätze gleich verbindlich. Es besagt im Wesentlichen das, was bereits der römische Stoiker Epiktet (50 – 138 n. Chr.) formulierte: »Nicht die Dinge selbst beunruhigen die Menschen, sondern ihre Vorstellungen von den Dingen« (Epiktet 1984, S. 24), ein Satz, der in fast allen einführenden Lehrbüchern zur Kognitiven Therapie zitiert wird. Demnach kann der Mensch über seine »Vorstellungen« (Kognitionen) sein Erleben und Verhalten in entscheidendem Maße selbst bestimmen. Er ist also – im Gegensatz zu klassisch-behavioristischen Auffassungen – Umwelteinflüssen (bestimmten Stimuli, Verstärkern) nicht hilflos ausgeliefert und – im Gegensatz zu klassisch-psychoanalytischen Auffassungen – nicht passives Opfer seiner vergangenen Erfahrungen, sondern er kann, durch die Art und Weise, wie er die Ereignisse und Situationen in seinem Leben »kognitiv verarbeitet«, wie er sie interpretiert und bewertet, sein aktuelles Erleben und Verhalten selbst steuern bzw. zumindest beeinflussen – eine Auffassung, der sowohl die moderne Verhaltenstherapie als auch die moderne Psychoanalyse weitgehend zustimmen dürften, die aber so explizit zuerst von Vertretern Kognitiver Therapieverfahren formuliert wurde.

Sogenannte »dysfunktionale« Kognitionen tragen dabei aus Sicht der Kognitiven Therapien zu psychischen Störungen (emotionalen und Verhaltensstörungen) bei; in der Therapie geht es entsprechend darum, diese dysfunktionalen Kognitionen in Richtung »funktionaler« Kognitionen zu beeinflussen, um dadurch das damit verbundene psychische Leid zu verringern.

Kasten 1: Grundannahme Kognitiver Therapien

Situation

>

Kognitionen

>

Emotionen/‌Verhalten

Situation

>

»DysfunktionaleKognitionen«

>

Psychische Störungen(emotionale undVerhaltensstörungen)

Der Begriff der »Kognitionen« (bzw. dysfunktionalen Kognitionen) umfasst dabei so unterschiedliche Dinge wie Wahrnehmungen, Interpretationen und Bewertungen von Ereignissen, Annahmen und Hypothesen, Antizipationen und Erwartungen, Lebensregeln und Lebensphilosophien, Einstellungen, Überzeugungen, Grundhaltungen, inneres Sprechen, Selbstverbalisationen, Bewältigungssätze, Denkfehler u. ä. Er wird in den verschiedenen Ansätzen Kognitiver Therapien unterschiedlich spezifiziert (vgl. die Darstellung der Ansätze in den folgenden Abschnitten). Folgt man der in der modernen Emotionstheorie geläufigen Unterscheidung zwischen »kognitiven Inhalten«, »kognitiven Strukturen« und »kognitiven Prozessen«, so handelt es sich in allen drei Ansätzen um die Spezifizierung bestimmter kognitiver Inhalte (vgl. Schelp & Kemmler 1988, 1991). Im Folgenden wird jedoch – der Einfachheit halber – weiter von dem Oberbegriff der »Kognitionen« gesprochen (mit der Unterscheidung in funktionale und dysfunktionale Kognitionen).

Mit ihren Auffassungen bzw. Menschenbildannahmen waren bzw. sind Ellis, Beck und Meichenbaum Vorreiter und Vertreter der sog. »Kognitiven Wende«, die in den 1960er/1970er-Jahren die gesamte Psychologie erfasste: Das bis dahin vorherrschende »Behavioristische Forschungsparadigma«, geprägt durch Namen wie Pavlow und Skinner und durch die Begriffe des klassischen und operanten Konditionierens, wurde abgelöst durch das sog. »Kognitive Forschungsparadigma«, geprägt durch Namen wie Heider, Kelly, Bandura und – in der Klinischen Psychologie – neben Ellis, Beck und Meichenbaum vor allem auch Mahoney, Maultsby und A. Lazarus. Die Forschung wandte sich internen Prozessen wie Ursachenzuschreibungen, Erwartungen, Kontrollüberzeugungen u. ä. zu. Das Kognitive Forschungsparadigma sieht den Menschen als reflexives, ständig Hypothesen (über sich und seine Umwelt) generierendes und prüfendes Subjekt (»man as scientist«-Modell, vgl. Groeben & Scheele 1977). Die Verhaltenstherapie rezipierte Anfang der 1980er Jahre dies neue Modell weitgehend und erkannte zunehmend die Bedeutung von Kognitionen für die Entstehung, Aufrechterhaltung und Behandlung von psychischen Störungen (sog. »Kognitive Wende der Verhaltenstherapie«).

Die Rational-Emotive Therapie nach Ellis

Die Rational-Emotive Therapie (»RET«, seit 1993 auch als Rational-Emotive Verhaltenstherapie »REVT« bezeichnet) ist der älteste der drei kognitiv-psychologischen Behandlungsansätze und wurde in den 1950er-Jahren von dem amerikanischen Psychologen A. Ellis entwickelt. Wie bei vielen anderen neueren Richtungen der Psychotherapie war auch für die Entwicklung der RET die Auseinandersetzung mit der klassischen Psychoanalyse ein wichtiger Ausgangspunkt.

Albert Ellis (geb. am 27. 09. 1913) war erst mit 29 Jahren zum Psychologiestudium gekommen, nachdem er zunächst eine kaufmännische Ausbildung absolviert und mehrere Jahre als Kaufmann gearbeitet hatte. Nach seiner Promotion 1947 an der Columbia Universität in New York arbeitete er als leitender Psychologe mit abgeschlossener psychoanalytischer Ausbildung an verschiedenen klinischen und diagnostischen Institutionen in New Jersey. 1952 eröffnete er in New York als Psychoanalytiker seine eigene Praxis, setzte sich aber in verschiedenen Studien intensiv mit den Positionen der Psychoanalyse auseinander, die er zunehmend in Frage stellte. Bereits ab 1954 verstand er sich nicht mehr als Psychoanalytiker und begründete seinen eigenen psychotherapeutischen Ansatz, die Rational-Emotive Therapie, die er 1955 erstmals vorstellte und seitdem kontinuierlich weltweit propagierte und weiterentwickelte (vgl. zu diesen Ausführungen zur Person von A. Ellis Hoellen 1993). 1961 gründete er das Institut für Rational-Emotive Therapie in New York, dessen (aktiver) Präsident er bis zu seinem Tode am 24. 07. 2007 blieb. Obwohl er seinen Ansatz außerhalb der akademischen Psychologie (eher aus seiner praktischen psychotherapeutischen Tätigkeit heraus) entwickelte und Ellis für die wissenschaftliche Klinische Psychologie lange Zeit als nicht ernst zu nehmender und häufig auch provozierender Außenseiter galt, hielt er seinen Ansatz doch stets für eine wissenschaftlich-empirische Überprüfung offen. Ellis wird mittlerweile als »Grandfather« der Kognitiven Therapien gesehen; alle Autoren, die Arbeiten zur Kognitiven Umstrukturierung vorgelegt haben, nehmen zumindest unter anderem Bezug auf die RET von Ellis (vgl. Fliegel et al. 1998, S. 192).

Zentrale Annahmen und Begriffe

Wie bereits erwähnt, unterscheiden sich die verschiedenen Vertreter Kognitiver Therapieverfahren in ihrer Spezifizierung der sog. »dysfunktionalen« (unangemessenen, störungsgenerierenden) Kognitionen. Ellis beschäftigt sich in seinem Ansatz primär mit dem Einfluss, den Bewertungen bzw. Bewertungsmuster (»beliefs«, »belief systems«) für die Entstehung und Aufrechterhaltung von Emotionen und Verhaltensweisen haben; sog. irrationale Bewertungen werden als zentral für die Entstehung und Aufrechterhaltung psychischer (emotionaler und Verhaltens-)‌Störungen angesehen.

Die Begriffe »irrational« und »rational« werden in ihrer deutschen Übersetzung häufig missverstanden und führen daher nicht selten zu Fehleinschätzungen der RET (vgl. Schelp & Kemmler 1988, Wilken 1994). »Irrational« wird von Ellis – abweichend vom deutschen Sprachgebrauch – synonym mit »inappropriate« (unangemessen, nicht hilfreich, nicht zielführend, selbstschädigend) gebraucht. »Rational« hingegen hat nichts mit »gefühllos« oder »verkopft« zu tun, sondern wird synonym mit »appropriate« (angemessen, hilfreich, zielführend) verwandt.

Grundlegend für die RET ist die sog. ABC-Theorie (vgl. Ellis 1977/1982, 1979, 1998a). Sie wurde inzwischen mehrfach modifiziert und erweitert (vgl. z. B. Wessler & Wessler 1980; Ellis 1994, 1996, 1997/2008); die Grundbegriffe und Grundannahmen lassen sich in vereinfachter (und auch für Klienten leicht verständlicher) Form jedoch folgendermaßen beschreiben: Unter »A« (activating event) wird ein auslösendes Ereignis verstanden. Es kann sich dabei um ein äußeres oder innerpsychisches Ereignis handeln (z. B. Tod eines Familienangehörigen; Vorstellung des Scheiterns bei einer bevorstehenden Prüfung). Der Punkt »B« (beliefs, belief systems) bezeichnet die Bewertung des Ereignisses A. Sie erfolgt aufgrund bestimmter bewusster oder unbewusster Überzeugungen (Bewertungsmuster, Einstellungen oder Lebensregeln), die in der auslösenden Situation durch das Individuum aktiviert werden. »C« (consequence) kennzeichnet schließlich die emotionalen Reaktionen und Verhaltensweisen, die auf A folgen (z. B. Trauer oder Depression; Sorge oder Angst). Die zentrale Annahme lautet: Emotionale und Verhaltenskonsequenzen des Individuums (C) werden nicht direkt durch auslösende Ereignisse (A) verursacht; sie werden vielmehr in erster Linie durch die Art der Bewertung dieser Ereignisse (B) hervorgerufen. Dabei hebt Ellis hervor, dass A, B und C einander stets wechselseitig stark beeinflussen und insofern keine einfachen linearen Zusammenhänge postulierbar sind; als besonders bedeutsam für die Ausformung bestimmter Emotionen und Verhaltensweisen werden jedoch die Bewertungen unter Punkt B angesehen. (Die Bewertung eines Ereignisses als »irrelevant« führt zu keinen emotionalen Reaktionen, während die Bewertung als »günstig« zu positiven bzw. die Bewertung als »ungünstig« zu negativen Emotionen führt.)

Emotionale Störungen (damit sind in der RET sehr intensive und/oder langanhaltende negative Gefühle gemeint) und damit einhergehende unangepasste Verhaltensweisen sind nach Ellis in erster Linie durch in der Situation A aktivierte sog. »irrationale« Überzeugungen bzw. Bewertungsmuster (irrational beliefs) bedingt. Irrationale Überzeugungen sind operational dadurch definiert, dass sie zu »unangemessenen« Emotionen und Verhaltensweisen führen (wie z. B. starker Angst, Depression, massivem, quälenden Ärger, Vermeidungsverhalten, Abhängigkeiten), die das Individuum subjektiv belasten und die es an der Verwirklichung seiner persönlichen Lebensziele hindern (sind also »irrational« im Sinne von »selbstschädigend«, »nicht zielführend«). Meist widersprechen solche »irrationalen« Überzeugungen einer »wissenschaftlichen« Herangehensweise an die Realität, da sie z. B. in sich unlogisch sind (z. B. »Weil X mich nicht liebt, bin ich als Mensch wertlos.«) oder weil sich für sie in der Realität keine hinreichenden Belege finden lassen (z. B. »Ich bin in jeder Hinsicht ein Versager«); letztlich entscheidend für die Bestimmung des Begriffes »irrational« ist jedoch nicht die mangelnde Logik oder Realitätsnähe der Überzeugungen, sondern die Tatsache, dass das Individuum sie als belastend und hinderlich im Hinblick auf die Erreichung seiner eigenen Lebensziele erlebt (vgl. Ellis 1991, S. 203). Rationale Überzeugungen dagegen führen zu »angemessenen« (positiven oder negativen) Emotionen und Verhaltensweisen und helfen dem Menschen, seine selbstgewählten Ziele zu erreichen, sind also »rational« im Sinne von »hilfreich«, »zielführend«.

Nach Ellis werden Menschen bereits mit einer starken Disposition zu irrationalem (im Sinne von selbstschädigendem, nicht zielführendem) Denken geboren. Eine Indoktrination mit irrationalen Bewertungsmustern erfolgt zunächst in der Kindheit, z. B. durch Familie, Schule und Freundeskreis, wird jedoch auch während des gesamten weiteren Lebens, z. B. durch gesellschaftliche Institutionen und die Medien, fortgesetzt. In aktuell belastenden Lebenssituationen (z. B. Erfahrung von Zurückweisung, Misserfolg) werden solche irrationalen Bewertungsmuster aktiviert. Als letztlich verantwortlich für die Entstehung und Aufrechterhaltung psychischer Störungen wird die fortgesetzte »Selbstindoktrination« des Individuums mit diesen irrationalen Überzeugungen in Form innerer Selbstgespräche angesehen.

In verschiedenen Veröffentlichungen hat Ellis diejenigen irrationalen Überzeugungen, die seiner Meinung nach in der westlichen Welt bei psychisch gestörten Menschen am häufigsten anzutreffen sind, inhaltlich beschrieben (vgl. z. B. Ellis 2008). Bei Walen, DiGiuseppe & Wessler (2011) werden diese auf folgende vier Grundkategorien zurückgeführt:

Kasten 2: Vier Grundkategorien irrationaler Überzeugungen

1.

Absolute Forderungen (Muss-Gedanken oder »Mussturbationen«): Diese bilden die erste und übergeordnete Kategorie irrationaler Überzeugungen. Eigene Wünsche und Vorlieben werden hier zu absoluten Bedürfnissen und Notwendigkeiten eskaliert (»ich muss ...«, »die anderen müssen ...«, »meine Lebensbedingungen müssen ...«).

2.

Globale negative Selbst- und Fremdbewertungen: Statt einzelne Verhaltensweisen, Leistungen und Eigenschaften einzuschätzen, wird die ganze Person als unzulänglich und minderwertig bewertet (»ich tauge nichts/bin wertlos/ein Versager ...«; »der andere taugt nichts/ist ein verdammenswertes Subjekt ...«).

3.

Katastrophendenken: Katastrophengedanken verzerren die Bedeutsamkeit eines negativen (externen oder innerpsychischen) Ereignisses; negative Ereignisse werden in der subjektiven Bewertung einer Katastrophe gleichgesetzt (»es ist/wäre absolut schrecklich/fürchterlich, wenn ...«).

4.

Niedrige Frustrationstoleranz: Negative Ereignisse werden als»nicht aushaltbar«/»unerträglich« bewertet; die Person sieht sich als unfähig an, den befürchteten oder bereits eingetretenen Zustand zu ertragen (»ich kann/könnte es nicht aushalten/ertragen, wenn ...«).

Viele irrationale Überzeugungen lassen sich nach Ellis als Verknüpfung von absoluten Forderungen (Kategorie 1) einerseits mit Bewertungen der Kategorien 2 bis 4 andererseits auffassen. Dabei stellen im Sinne eines Syllogismus die absoluten Forderungen (»ich/die anderen/meine Lebensbedingungen müssen ...«) die Prämissen und die Bewertungen (als »wertlos«, »schrecklich« und »nicht auszuhalten«) die Konklusionen/Schlussfolgerungen bei Nichterfüllung dieser Forderungen dar. Ein Beispiel für eine solche irrationale Überzeugung wäre: »Ich muss stets von allen mir wichtigen Menschen anerkannt/gemocht werden. Andernfalls bin ich ein Nichts.«

Insbesondere die Selbstindoktrinationen des Individuums mit solchen, auf absoluten Forderungen an sich selbst, andere und die Welt (= Prämissen, Kategorie 1) beruhenden Bewertungsmustern bilden nach Ellis den Kern der meisten neurotischen und Persönlichkeitsstörungen (vgl. dazu im Übrigen auch K. Horney 1945/2007, auf die sich Ellis ausdrücklich bezieht). Verzerrte bzw. fehlerhafte Interpretationsprozesse, wie sie von Beck in seinem Ansatz betont werden (z. B. willkürliche Schlussfolgerungen, Übergeneralisierungen, dichotomes Denken etc.) sind nach Ellis Ableitungen und Folge derartiger grundlegender irrationaler (auf absolutistischen Forderungen beruhender) Bewertungsmuster. Wenn z. B. der Klient an einem Punkt A wahrnimmt: »Person X mag mich nicht« und daraus übergeneralisierend schlussfolgert »Keiner mag mich«, so liegt demnach Ellis mit hoher Wahrscheinlichkeit eine absolutistische Forderung als zentrale Lebensphilosophie (»demandingness«) zugrunde, die lauten könnte: »Ich muss von allen mir wichtigen Menschen gemocht werden. Andernfalls ist das schrecklich und beweist meine Wertlosigkeit.« Diese zentrale Lebensphilosophie steuert die Wahrnehmung, Interpretation und Bewertung künftiger auslösender Situationen A (vgl. Ellis 1996, S. 19, 25).

Irrationale Überzeugungen der oben beschriebenen Art bzw. Varianten und Kombinationen dieser Überzeugungen führen nach Ellis jeweils zu unterschiedlichen emotionalen und Verhaltensproblemen (vgl. dazu einführend: Wessler & Wessler 1980; Ellis & Bernard 1985, 2010; Crawford & Ellis 1989). Im Bereich der Emotionen differenzierte Ellis nach Art der beteiligten irrationalen Überzeugungen zwei grundlegende »Angstformen«, für die er neue Konzepte prägte (Ellis 1979, 1980): Unter Ego anxiety (Ich-Angst) versteht er eine Emotion, die entsteht, wenn eine Person ihr Selbst bzw. ihren Wert als Person bedroht sieht. Sie geht vor allem mit absoluten Forderungen an die eigene Person (»Ich muss mich immerzu als kompetent erweisen/von anderen anerkannt werden.«) und globalen negativen Selbstbewertungen einher (»Ich wäre ein Versager/wertloser Mensch, wenn mir das nicht gelänge.«). Mit Discomfortanxiety (Angst vor Unbehagen/Unangenehmen) hingegen bezeichnet er eine Emotion, die dann auftritt, wenn die eigene Bequemlichkeit bzw. das eigene Wohlergehen als gefährdet angesehen wird. Sie beruht im Wesentlichen auf absoluten Forderungen an andere bzw. die eigenen Lebensbedingungen (»Die anderen müssen sich so verhalten/die Welt muss so sein, wie ich es will.«) und Kognitionen der geringen Frustrationstoleranz (»Ich könnte es nicht ertragen/aushalten, wenn es nicht so wäre.«). Beide »Angstformen« treten nach Ellis bei vielen psychischen Störungen gemeinsam auf, fordern aber eine getrennte therapeutische Bearbeitung.

Ein weiteres, von Ellis neu geprägtes und für die RET wesentliches Konzept ist das des sog. »Symptomstresses«: Der Symptomstress bezeichnet die Fähigkeit von Klienten, sich darüber zu beunruhigen, dass sie bestimmte Symptome (selbstschädigende Emotionen und Verhaltensweisen) bei sich wahrnehmen. Er lässt sich in Form eines sog. »sekundären ABCs« darstellen, in dem eine bestimmte belastende Emotion oder Verhaltensweise (das C des sog. »primären ABCs«, z. B. Angst vor öffentlichem Reden) zum A einer neuen Kette wird, in der dann eine weitere irrationale Bewertung (z. B. »Es ist schrecklich, dass ich diese Angst habe. Ich müsste mich besser im Griff haben.«) zu einer weiteren belastenden Emotion oder Verhaltensweise (z. B. Ärger über die Angst) führt. Mit Hilfe dieser sekundären ABCs lässt sich nach Ellis erklären, wieso Klienten z. B. Ärger über ihre Angstsymptome, Angst vor ihrer Angst, Depressionen wegen ihrer Ängste, Depressionen über ihre Depressionen entwickeln und dadurch ihre primären Symptome noch verstärken bzw. neue hinzufügen. Da der Symptomstress die Auseinandersetzung mit dem Ausgangsproblem behindert, indem er den Klienten hindert, die primären Emotionen als Teil seines Erlebens anzuerkennen und zuzulassen, ist seine Bearbeitung in der Therapie der Bearbeitung des primären Problems vorgeschaltet (vgl. z. B. Ellis 1979).

Das therapeutische Vorgehen

Ausgehend von der »ABC-Theorie« psychischer Störungen ist es Ziel der RET, die irrationalen (selbstschädigenden/nicht zielführenden) Bewertungen, die der gegenwärtigen emotionalen und/oder Verhaltensstörung des Klienten zugrundeliegen, zu verändern und dabei insbesondere auch die als grundlegend betrachteten absoluten Forderungen (»Prämissen«) des Klienten zu bearbeiten. Ideales Ziel ist es dabei, dem Klienten zu einer insgesamt »rationaleren Lebensanschauung« zu verhelfen, die ihn dazu befähigt, nicht nur mit seinen aktuell belastenden Problemen, sondern auch mit zukünftigen Problemen »angemessen« (d. h. in einer für ihn nicht selbstschädigenden/zielführenden Art und Weise) umzugehen. Eine solche »rationalere Lebensanschauung« beinhaltet u. a. die Aufgabe von absolutistischen Forderungen an sich und andere, Selbstakzeptanz (auch der eigenen negativen Seiten) und Toleranz gegenüber anderen, die realistische Einschätzung der Bedeutung von Ereignissen und ein genügendes Maß an Frustrationstoleranz in dem Sinne, dass Ereignisse, die nicht veränderbar sind, als solche akzeptiert werden und dass kurzfristige Belohnungen zugunsten langfristiger Ziele zurückgestellt werden können.

Das Vorgehen zur Erreichung dieser Ziele lässt sich als ABCZD-Analyse bezeichnen und umfasst folgende Schritte: die Vermittlung des ABC-Modells an den Klienten (als vereinfachter Abbildung des Zusammenhangs zwischen auslösenden Situationen, Gedanken, Emotionen und Verhaltensweisen); die Exploration seiner emotionalen und/oder Verhaltensstörungen (C), der auslösenden Situationen (A) und seiner persönlichen Veränderungsziele (Z); die Exploration und Bewusstmachung zentraler irrationaler (d. h. selbstschädigender/nicht zielführender) Überzeugungen (B) (sowohl auf primärer als auch auf sekundärer Ebene; ausgehend von den verhaltenssteuernden und dem Bewusstsein leichter zugänglichen Gedanken in konkreten Situationen werden dabei die dahinterliegenden irrationalen Prämissen exploriert); das Infragestellen (die sog. »Disputation« D) der als »irrational« erkannten Überzeugungen (dabei Beginn mit der sekundären Ebene, »Symptomstress«); die Erarbeitung und das Einüben neuer, »rationalerer« (d. h. hilfreicher, zielführender) Überzeugungen.

Die eigentliche Veränderung bzw. Umstrukturierung der als irrational erkannten Überzeugungen (Disputation, D) erfolgt in der RET mit Hilfe eines breit gefächerten Methodeninventars von kognitiven, emotionsbezogenen sowie verhaltensorientierten Techniken. Die RET versteht sich insofern als integrativer, multimodaler psychotherapeutischer Behandlungsansatz. Die Anwendung von Interventionsverfahren auf den verschiedenen Ebenen (Kognition, Emotion, Verhalten) wird durch die Annahme begründet, dass Kognition, Emotion und Handeln einander stets transaktional beeinflussen und dass eine dauerhafte Kognitive Umstrukturierung nur durch Arbeit auf allen drei Ebenen erreicht werden kann. Zur genauen Beschreibung dieser Methoden wird an dieser Stelle auf den in Kapitel 3 folgenden Leitfaden verwiesen; hier sollen nur einige beispielhaft genannt sein:

Zu den kognitiven Disputationsmethoden zählt z. B. insbesondere die argumentative Gesprächsführung in Form des Sokratischen Dialogs, in dem die irrationalen Bewertungen immer wieder in Frage gestellt werden (z. B. durch Auseinandersetzung mit ihrer Zweckmäßigkeit im Hinblick auf die Erreichung der eigenen Ziele, ihrer Logik, ihrer empirischen Belegbarkeit). Dabei verwendet der Therapeut im Wesentlichen offene Fragen, um den Klienten dazu anzuleiten, eigene Widersprüchlichkeiten selbst zu erkennen. Einen wichtigen Stellenwert nehmen Bibliotherapie (das Lesen von Selbsthilfebüchern und Informationsmaterialien auf RET-Grundlage) und kognitive Hausaufgaben (schriftliche Trainingseinheiten zur Disputation der irrationalen Bewertungen mittels sog. ABC-Schemata) ein. Unter den emotiven Methoden der Disputation wird eine Gruppe heterogener Techniken zusammengefasst, die unmittelbarer als die zuvor genannten kognitiven Techniken auf der Gefühlsebene ansetzen. Bei den sog. »rational-emotiven Imaginationstechniken« (REI) handelt es sich z. B. um Vorstellungsübungen, in denen die negativen Gefühle evoziert und verändert werden. Beispiele für verhaltensorientierte Disputationsmethoden sind die von Ellis entwickelten »schamreduzierenden Mutproben«, in denen sich Klienten bewusst einer für sie peinlichen Situation aussetzen und dabei erfahren, dass die tatsächlichen Folgen ihrer Handlungen nicht ihren Befürchtungen entsprechen. Ebenso können alle Formen von in-vivo-Verhaltensübungen (insbesondere Reizkonfrontationsverfahren) sowie Rollenspiele dazu dienen, dem Patienten letztlich neue Erfahrungen zu vermitteln, die mit seinen irrationalen Überzeugungen nicht vereinbar sind, und ihn so von den Vorteilen der rationaleren Einstellungen überzeugen. Bei den Interventionen auf der Verhaltensebene kann der RET-Therapeut im Grunde auf das gesamte verhaltenstherapeutische Methodeninventar zurückgreifen. Auch z. B. Fertigkeitentrainings, operante Konditionierungsverfahren, Selbstkontrolltechniken werden von Ellis explizit empfohlen. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass diese Verfahren lediglich unterstützend und mit dem übergeordneten Ziel, eine Kognitive Umstrukturierung zu erreichen bzw. zu verfestigen, eingesetzt werden. Gleiches gilt für die Anwendung von Techniken aus anderen Psychotherapierichtungen (z. B. erlebnisaktivierenden Therapieverfahren), für die die RET ebenfalls offen ist; entscheidend ist auch hier das Ziel der Interventionen auf den verschiedenen Ebenen (Veränderung der irrationalen Bewertungen hin zu rationalerem Denken).

Die Kognitive Therapie nach Beck

Ähnlich wie A. Ellis erarbeitete A. T. Beck (geb. am 18. 07. 1921) seinen theoretischen Ansatz in der Auseinandersetzung mit den Positionen der klassischen Psychoanalyse. Auch Beck war – wie Ellis – zunächst selbst Psychoanalytiker, bevor er seinen Ansatz einer »Kognitiven Therapie« Ende der 1950er/Anfang der 1960er-Jahre vorstellte. Im Unterschied zu Ellis war er als in der Forschung tätiger Psychiater und späterer Professor für Psychiatrie primär der wissenschaftlichen Psychologie und Psychiatrie verpflichtet, kam aber interessanterweise aufgrund seiner empirischen Forschungsergebnisse zu sehr ähnlichen Hypothesen, wie Ellis sie aus seiner primär praktisch-psychotherapeutischen Tätigkeit außerhalb der Universität ableitete. Becks Arbeitsgruppe an der University of Pennsylvania, Philadelphia, befasste sich seit Ende der 1950er-Jahre speziell mit der Erforschung der Entstehung und Aufrechterhaltung von Depressionen. Seine Untersuchungen, zu Beginn von ihm als Versuch einer Bestätigung psychoanalytischer Theorien zu diesem Störungsbild angelegt, führten ihn in der Folge zur Ausarbeitung seines eigenen »Kognitiven Modells der Depression« (vgl. Beck 1967, 1970, 1974; Beck, Rush, Shaw & Emery 1981/2010). Die darin enthaltenen zentralen »kognitiven Hypothesen« wandte er in der Folgezeit auch auf einen weiteren Bereich psychischer Störungen an, z. B den Bereich der Angststörungen (vgl. Beck & Emery 1985/2005, Clark & Beck 2011), den der Persönlichkeitsstörungen (vgl. Beck & Freeman 1993/1999), sowie den der Süchte (vgl. Beck, Wright, Newman & Liese 1997). Mittlerweile wurden seine Konzepte für die Behandlung nahezu aller wichtigen klinischen Symptome nutzbar gemacht. A. T. Beck erhielt dafür zahlreiche wissenschaftliche Anerkennungen. Gemeinsam mit seiner Tochter Judith Beck gründete er 1994 das »Beck Institute for Cognitive Behavior Therapy« in Pennsylvania, in dem er trotz seines bereits hohen Alters noch viele Jahre in der Weiterbildung von Psychotherapeuten tätig war; er starb mit 100 Jahren am 01. 11. 2021. Bisher am differenziertesten entwickelt und am gründlichsten empirisch untermauert ist sein Modell der Depression und die von ihm entwickelte Kognitive Therapie der Depression. Im Folgenden sollen seine theoretischen Vorstellungen zur Entstehung und Veränderung von Depressionen, formuliert in dem Standardwerk »Kognitive Therapie der Depression« (deutsch: Beck, Rush, Shaw & Emery 1981/2010) kurz zusammengefasst werden (für eine Zusammenfassung der empirischen Belege für die Theorie vgl. Clark et al. 1999).

Zentrale Annahmen und Begriffe

Während Ellis Bewertungen bzw. Bewertungsmuster in den Mittelpunkt seiner Theorie und Therapie stellt, betont Beck in seinem Ansatz vor allem die Bedeutung einer verzerrten Sicht der Realität (fehlerhafter Wahrnehmungenund Interpretationen der Realität, sog. »antiempirical cognitions«) für die Entstehung und Aufrechterhaltung psychischer Störungen.

Nach Beck ist das Denken des depressiven Patienten inhaltlich vor allem durch eine verzerrt-negative Sicht seiner selbst, seiner Umwelt und seiner Zukunft gekennzeichnet (sog. »Kognitive Triade der Depression«). Der Depressive sieht sich selbst, die Umwelt und die Zukunft als negativ, hoffnungslos, voller Hindernisse usw.

Kasten 3: Die Kognitive Triade der Depression

Negative Sicht der eigenen Person(»Ich bin ein Versager,

minderwertig«)

Negative Sicht der Umwelt(»Keiner mag mich, alles richtet

sich gegen mich«)

Negative Sicht der Zukunft(»Es ist alles hoffnungslos,

es wird nie besser werden,

Schreckliches wird geschehen«)

Diese verzerrte Sicht der Realität bestätigt und festigt sich immer wieder durch eine ganze Reihe von typischen logischen Fehlern (»Denkfehlern«), die depressive Patienten begehen. Beck et al. (2010, S. 44 f.) benennen sechs Kategorien solcher Fehler bei der Informationsverarbeitung, wobei sich einige Fehler eher auf die Datensammlung an sich beziehen und andere eher das Schlussfolgern aus den gesammelten Daten betreffen (vgl. Walen et al. 2011, S. 208 f.).

Kasten 4: Typische systematische »Denkfehler« des depressiven Patienten

1.

Willkürliches SchlussfolgernUnter »willkürlichen Schlussfolgerungen« werden Schlussfolgerungen verstanden, die willkürlich, ohne jeden Beweis und oft sogar trotz gegenteiliger Erfahrungen aus alltäglichen Ereignissen gezogen werden. Beispiel: Ein Misserfolg im Leistungsbereich führt zu der Schlussfolgerung »Ich bin ein Versager«, ohne dass überprüft wird, ob die Aufgabe überhaupt lösbar war bzw. ob früher und in Zukunft immer Misserfolge eingetreten sind bzw. eintreten werden.

2.

Selektives VerallgemeinernMit »selektivem Verallgemeinern« wird die Tendenz bezeichnet, Einzelfakten aus dem Kontext zu nehmen und überzubewerten, wobei andere, bedeutsamere Merkmale der Situation ignoriert werden. Beispiel: Ein Klient interpretiert die Tatsache, dass die Kollegen ihn an einem Tag nicht mit in die Kantine nehmen, dahingehend, dass er denkt »Meine Kollegen mögen mich nicht«, obwohl ihn alle regelmäßig grüßen, zu Geburtstagen einladen, an anderen Aktivitäten beteiligen.

3.

ÜbergeneralisierenBei der »Übergeneralisierung« wird eine allgemeine Regel oder Schlussfolgerung auf der Grundlage eines oder mehrerer isoliert betrachteter Ereignisse gezogen und dann unterschiedslos auf ähnliche oder unähnliche Situationen übertragen. Beispiel: Der Tod eines Familienangehörigen durch einen Unfall führt zu der Befürchtung, dass alle geliebten Personen bald durch Unfälle sterben könnten.

4.

Maximieren und MinimierenBeim »Maximieren« und »Minimieren« wird die Bedeutung oder Größe eines Ereignisses deutlich über- oder unterschätzt. Beispiel: Das Ausbleiben einer erwarteten positiven Rückmeldung wird als höchst bedeutsam interpretiert, ein beträchtlicher beruflicher Erfolg als bedeutungslos.

5.

PersonalisierenEine »Personalisierung« liegt vor, wenn äußere Ereignisse extrem auf die eigene Person bezogen werden, ohne dass es dafür Belege gibt. Beispiel: Die Tatsache, dass der Partner einen Autounfall hatte, wird als Bestrafung für eine unmoralische Tat interpretiert.

6.

Verabsolutiertes, dichotomes DenkenBei dieser Art des Denkens (auch als »Schwarz-Weiß-Malerei« oder »Entweder-Oder-Denken« zu bezeichnen) werden alle Erfahrungen in zwei sich gegenseitig ausschließende Kategorien eingeordnet (z. B. makellos vs. mangelhaft, heilig oder sündhaft). Dazwischenliegende Abstufungen werden nicht mehr wahrgenommen. Wenn der depressive Klient sich selbst beschreibt, wählt er die negativen Klassifizierungen.

Nach Beck haben depressive Menschen bereits in ihrer Kindheit – zumeist über Prozesse sozialen Lernens – negative Konzepte über ihr Selbst, ihre Umwelt und ihre Zukunft erworben. Diese negativen Konzepte (»Schemata«), deren Grundlage also frühe lebensgeschichtliche Erfahrungen sind, bleiben als Prädisposition latent, bis sie durch spezifische Belastungen (z. B. Umstände, die denen ähneln, unter denen sie gebildet wurden) reaktiviert werden. So kann z. B. die Trennung vom Partner das Konzept vom »irreversiblen Verlust« reaktivieren, das mit dem Tod eines Elternteils in der Kindheit assoziiert war. Oder ein aktuelles Misserfolgserlebnis im beruflichen Bereich führt zur Neubelebung des Schemas der Selbstabwertung, das erstmals in der Kindheit durch schulisches Versagen und die darauffolgende Reaktion der Eltern geprägt wurde.

Die aktivierten negativen Schemata suchen sich in der Folge immer wieder selbst zu bestätigen durch die oben beschriebene fehlerhafte Informationsverarbeitung, die für das Denken des Depressiven charakteristisch ist: Es kommt zu einer Verengung des Denkens, zu einer deutlich verzerrten Sicht der Realität im Sinne der negativen Schemata (vgl. Beck et al. 2010, S. 47).

Für das emotionale Befinden und die depressiven Symptome des Patienten von zentraler Bedeutung sind nach Beck die sog. automatischen Gedanken. Hierunter versteht er »schnell ablaufende, reflexhaft auftretende und in der Situation subjektiv plausibel erscheinende Kognitionen, die zwischen einem Ereignis (externaler oder internaler Art) und einem emotionalen Erleben (Konsequenz) liegen« (Hautzinger 2003, S. 135). Bei depressiven Patienten sind sie im Sinne der obigen Theorie verzerrt und fehlerhaft. Diese sich automatisch aufdrängenden Gedanken sind dem Patienten meist zu Beginn einer Therapie nicht bewusst, können jedoch leicht bewusst gemacht werden und sind dadurch einer therapeutischen Bearbeitung zugänglich.

Diese »automatischen«, situationsspezifischen Gedanken liefern nach Beck eine Zugangsmöglichkeit zu den dahinterliegenden, grundlegenderen und situationsübergreifenden depressogenen Grundannahmen, d. h. jenen dysfunktionalen Überzeugungen, die den Betreffenden zur Depression prädisponieren. Diese sind nicht unmittelbar bewusst und können vom Patienten in der Regel »erst nach beträchtlicher Introspektion« artikuliert werden (vgl. Beck et al. 2010, S. 280). Sie sind weit schwieriger zu erkennen und zu bearbeiten als die automatischen Gedanken.1 Beck et al. (2010, S. 279) zählen einige der Grundannahmen auf, die zu starker Depression disponieren:

Kasten 5: Beispiele für depressogene Grundannahmen

1.

Um glücklich zu sein, muss ich bei allem, was ich unternehme, Erfolg haben.

2.

Um glücklich zu sein, muss ich immer von allen Menschen akzeptiert werden.

3.

Wenn ich Fehler mache, bedeutet das, dass ich unfähig bin.

4.

Ich kann ohne sie/ihn nicht leben.

5.

Wenn jemand anderer Meinung ist als ich, bedeutet das, dass er mich nicht mag.

6.

Mein Wert als Mensch hängt davon ab, was andere von mir denken.

Die Nähe zum Konzept der »irrationalen Überzeugungen« sensu Ellis ist dabei offensichtlich. Auch Beck beschreibt den absolutistischen Charakter einiger dieser Grundannahmen, die als Prämissen im Sinne eines Syllogismus aufgefasst werden können. Beispiel (nach Beck et al. 2010, S. 278):

Grundannahme/Prämisse, die meist unbewusst ist:»Wenn ich nicht von allen mir wichtigen Menschen geliebt werde, bin ich ein Nichts.«

Konkrete Beobachtung:»X liebt mich nicht.«

Schlussfolgerung/Konklusion, die als automatischer Gedanke eher bewusst ist:»Ich bin ein Nichts.«

Das therapeutische Vorgehen

Der Theorie entsprechend ist es Hauptziel der Kognitiven Therapie, die verzerrten, nicht realitätsgerechten Kognitionen, die der depressiven Störung des Klienten zugrunde liegen, zu verändern in Richtung auf eine realitätsadäquatere Wahrnehmung und Interpretation der Realität. Das depressive Denken, das als global, eindimensional, absolutistisch, irreversibel und bewertend beschrieben wird, soll hin zu einem differenzierten Denken mit den Attributen konkret, mehrdimensional, relativierend, reversibel und nicht wertend beeinflusst werden. Der Klient soll im Laufe der Therapie lernen, seine verzerrten, nicht realitätsgerechten Kognitionen selbstständig zu identifizieren und letztlich auch zu verändern.

Bevor der Teil der Behandlung, der im engeren Sinne als Kognitive Therapie zu bezeichnen ist, beginnen kann, werden in der Regel verhaltenstherapeutische Maßnahmen eingeleitet, um die Inaktivität des Klienten zu durchbrechen und ein adäquates Aktivitätsniveau zu erreichen (Aufzeichnen alltäglicher Aktivitäten; graduierte Aufgabenstellung; Planung von (erfreulichen) Aktivitäten; Erfolg-und-Vergnügen-Technik u. a., vgl. Beck et al. 2010, S. 157 f.). Mit der schrittweisen Aktivitätssteigerung und den damit einhergehenden Stimmungsveränderungen beim Klienten kann dann die Kognitive Therapie im engeren Sinne beginnen.

Das therapeutische Vorgehen ähnelt dabei im formalen Ablauf sehr stark dem Vorgehen von Ellis: Zunächst wird dem Klienten die Kognitive Theorie erklärt; dann werden die verzerrten, automatischen Gedanken und fehlerhaften Denkweisen herausgearbeitet und in einem weiteren Schritt auch die dahinterliegenden, allgemeineren Grundannahmen; schließlich werden diese mittels eines breit gefächerten Methodeninventars hinterfragt und verändert und neue, realitätsadäquatere Gedanken und Einstellungen erarbeitet.

Zentrale Methode der Gesprächsführung ist dabei – wie bei Ellis – der sog. »Sokratische Dialog«, mittels dessen der Klient angeleitet werden soll, eigene dysfunktionale Denkinhalte zu identifizieren und zu verändern. Kognitive Hausaufgaben (in Form von schriftlichen Trainingseinheiten, z. B. Spaltentechniken, Tagesprotokolle negativer Gedanken) kommen ebenfalls regelmäßig unterstützend zur Anwendung.

Kern der Technik von Beck ist die sog. Realitätsüberprüfung. Dabei geht es darum, die verzerrten Kognitionen des Klienten an der Realität zu testen, d. h. zu überprüfen, inwiefern die formulierten Wahrnehmungen und Interpretationen des Klienten empirisch belegbar sind und welche kognitiven Verzerrungen ihnen möglicherweise zugrunde liegen. Bei dieser Realitätsüberprüfung wird z. B. der depressive Klient, der sich nach einem kleineren beruflichen Misserfolg als »Versager auf der ganzen Linie« sieht (zugrunde liegender Denkfehler: willkürliches Schlussfolgern), dazu angeleitet, in seinem Alltag Beobachtungen zu sammeln, die dieser Interpretation bzw. Schlussfolgerung widersprechen. Eine Beschreibung dieser und weiterer wichtiger Techniken in der Kognitiven Therapie depressiver Patienten (wie z. B. der »Reattribuierung« und der »Suche nach Alternativen«) findet sich im in Kapitel 3 folgenden Leitfaden.

Neben den im engeren Sinne kognitiven Techniken kommen in der Beck'schen Depressionstherapie – wie in der RET – auch eine Vielzahl von verhaltensorientierten Techniken zum Einsatz, die letztlich ebenfalls dem übergeordneten Ziel dienen sollen, den Klienten zu einer realistischeren Sichtweise der Realität anzuleiten und dadurch zur Linderung seiner emotionalen und Verhaltensprobleme beizutragen.

Während zu Beginn der Beck'schen Depressionstherapie die »automatischen Gedanken« des Klienten (und die sich darin äußernden fehlerhaften Wahrnehmungen und Interpretationen der Realität) den Hauptansatzpunkt für die therapeutischen Interventionen bilden, werden mit zunehmendem Therapiefortschritt auch die diesen Gedanken zugrunde liegenden übergreifenden und zur Depression prädisponierenden Grundannahmen zum Thema gemacht. Sie müssen häufig aus in den automatischen Gedanken wiederkehrenden Themen erst erschlossen werden. Im Sinne eines Schutzes vor zukünftigen Rückfällen soll der Klient lernen, auch diese selbstständig zu identifizieren und zu verändern (vgl. Beck et al. 1981/2010). In späteren Veröffentlichungen der Arbeitsgruppe von Beck, die sich u. a. mit den Möglichkeiten der Kognitiven Therapie von Persönlichkeitsstörungen befassen, wird die Modifikation dieser Grundannahmen sogar als zentrales therapeutisches Ziel bezeichnet. Für jede Persönlichkeitsstörung wird ein entsprechendes »Set« von dysfunktionalen Grundannahmen beschrieben (vgl. Beck & Freeman 1993/1999).

Das Stressimpfungstraining nach Meichenbaum

Wie Beck war Meichenbaum (geb. am 10. 06. 1940) als Wissenschaftler primär der universitären Forschung verpflichtet. Er entwickelte seine Vorstellungen – geleitet und begleitet durch empirische Untersuchungen – Ende der 1960er/Anfang der 1970er Jahre als Klinischer Psychologe an der University of Waterloo, Ontario (Kanada) und arbeitete dort von 1974 bis 1998 als Professor für Psychologie.