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Als in Edinburgh bei Bauarbeiten in einem Keller eine alte Ziegelmauer zum Vorschein kommt, auf der die Jahreszahl 1647 prangt, ahnt noch niemand, welch unheimliche Entdeckung sich dahinter verbergen und welch unglaubliche Geschichte aufgedeckt werden soll. Denn etwas lauert dort seit vielen Jahren. »… Ich bete, dass man uns vergibt, was wir im Begriff sind zu tun. Neunundvierzig arme Seelen leben noch in Clootie Close, nichts ahnend von dem fürchterlichen Schicksal, dem man sie anheimgeben wird.« (Aus dem Tagebuch des Pestarztes George Rae)
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Seitenzahl: 85
Edition
Moonflower
Band 8
MIASMA -
Das Geheimnis von
Clootie Close
Von P. J. Hill
Alle Rechte, insbesondere auf digitale
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Die Handlungen sind frei erfunden.
Evtl. Handlungsähnlichkeiten sind zufällig.
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Erste Auflage 2024
© P. J. Hill
© Coverbilder: depositphotos olegkrugllyak,
Iniraswork, Bombey17, mary-king-shop
Covergestaltung: © Shadodex – Verlag der Schatten
© Bilder Innenteil: depositphotos wiro.klyngz(S. 1), olegkrugllyak (Nebel),
mary-king-shop (Clootie Close)
P.J. Hill (Autorenfoto), Shadodex (Vorschau)
Lektorat: Shadodex – Verlag der Schatten
© Edition Moonflower, eine Novellen-Reihe des
Shadodex – Verlag der Schatten,
Bettina Ickelsheimer-Förster, Ruhefeld 16/1,
74594 Kreßberg-Mariäkappel
ISBN: 978-3-98528-315-6
Inhalt
ERSTER TEIL
ZWEITER TEIL
DRITTER TEIL
VIERTER TEIL
Über die Autorin
Vorschau
Als in Edinburgh bei Bauarbeiten in einem Keller eine alte Ziegelmauer zum Vorschein kommt, auf der die Jahreszahl 1647 prangt, ahnt noch niemand, welch unheimliche Entdeckung sich dahinter verbergen und welch unglaubliche Geschichte aufgedeckt werden soll. Denn etwas lauert dort seit vielen Jahren.
»… Ich bete, dass man uns vergibt, was wir im Begriff sind zu tun. Neunundvierzig arme Seelen leben noch in Clootie Close, nichts ahnend von dem fürchterlichen Schicksal, dem man sie anheimgeben wird.«
(Aus dem Tagebuch des Pestarztes George Rae)
1
Prolog
Edinburgh, 1647
Er hätte gerne noch einmal die Sonne gesehen, so gerne noch einmal ihre warmen Strahlen auf seiner Haut gespürt. Den kühlen Ostwind auf seinem Gesicht. Den feinen Nieselregen. Oder saftiges, grünes Gras unter den bloßen Füßen.
So viele Dinge, die früher selbstverständlich gewesen waren und die er niemals wieder spüren würde.
Am meisten fehlte ihm jedoch die Sonne. Das einzige Licht in dem dunklen Raum, in dem er sich befand, kam von der flackernden Flamme einer Kerze auf dem Schemel neben ihm.
Kurz verschwamm der orangegoldene Schein vor seinen Augen, als ihm die Hoffnungslosigkeit seiner Situation einmal mehr schmerzhaft bewusst wurde.
Er legte mit einem Seufzen den Kopf in den Nacken. Früher hatte er nicht oft an das Ende gedacht, hatte sich nie vorgestellt, wie er sterben würde. Doch selbst in seinen wildesten Albträumen hätte er sich das nicht ausgemalt: eingemauert in seinem eigenen Heim mit seiner toten Familie im Nebenzimmer und keinem anderen Trost außer einem Heiligenbildchen und einem Rosenkranz auf dem Schoß.
Erschöpft von seiner Trauer und der Seuche, die sich gnadenlos durch seinen Körper fraß, ließ er den Blick durch das stille, dunkle Zimmer wandern. Er versuchte sich an bessere Tage zu erinnern, doch es gelang ihm nicht. Immer wieder kehrten seine Gedanken zu seinem nahenden Ende zurück und zu der Seuche, die seine Lieben – einen nach dem anderen – das Leben gekostet hatte.
Lange hatte er im Schlafzimmer an ihrer Seite gesessen. Die einzige Totenwache, der einzige letzte Respekt, der ihnen allen vergönnt gewesen war. Doch irgendwann hatte er es nicht mehr ausgehalten.
Als er den Anblick der Verstorbenen nicht mehr ertrug, hatte er sich hierhergeschleppt, zur Tür seiner Werkstatt, um dort allein auf den Tod zu warten. Er war ein Leben lang ein Kämpfer gewesen, doch diesen Kampf würde er verlieren.
Etwas über sechs Fuß groß und ausgestattet mit einer guten Portion Grips und Charme war es dem einfachen Handwerkersohn aus dem Dorf Costorphine gelungen, sich in der Hauptstadt einen gut gehenden Schuhmacherladen aufzubauen. Es war kein großes Geschäft, sicher nicht, aber eines, das ihn, seine Ehefrau, den Vater, die Schwiegermutter, vier Söhne und zwei Töchter ernährte und der Familie ein angenehmes Leben in der schönsten Stadt des Landes bescherte. Dabei war das Stadtleben ihm nicht immer leichtgefallen. Edinburgh mit seinen atemberaubend hohen Häusern, manche zwölf, dreizehn oder gar vierzehn Stockwerke hoch, blieb für ihn ein Leben lang ein fremdes Universum: Viel zu viele Menschen auf viel zu wenig Raum und Gebäude, die gewöhnliche Straßen in tiefe, dunkle Schluchten verwandelten. Für einen einfachen Jungen vom Land war das eine gruselige neue Welt. Zu Hause in einer kleinen, abschüssigen Seitenstraße namens Clootie Close, die nach weniger als hundert Metern an einer harten Wand aus Basaltgestein endete (demselben undurchdringlichen Fels, auf dem auch Edinburgh Castle thront), hatte er immer eine gewisse Beklemmung gespürt. Der Junge vom Land war wohl immer ein Junge vom Land geblieben, skeptisch gegenüber dieser brodelnden Stadt, in der seine Kinder sich so wohlfühlten.
Die kleine Gasse, in der er lebte und arbeitete, war unter einem dicken, steinernen Gewölbe verschwunden, lange bevor er sich hier mit seinem kleinen Schuhmacherladen niedergelassen hatte. Erst wurde eine Brücke darüber gebaut, damit die königliche Kalesche keinen Umweg mehr fahren musste. Dann wurde eine zweite errichtet, weil die erste nicht breit genug war für den brodelnden Hauptstadtverkehr. Und schließlich, als der König Edinburgh den Rücken kehrte, um stattdessen im fernen London zu residieren, wurden beide Brücken zu einem rechteckigen Platz verbunden, auf dem die Oberschicht im Sonnenschein flanierte. Die Bewohner darunter hatten sich notgedrungen damit arrangiert, denn der schicke neue Platz lockte zugleich auch immer wieder Kundschaft hinunter in die Close und ließ das Geschäft blühen.
Doch innerhalb weniger Monate war alles vorbei. »Die Pest ist in Edinburgh«, wurde zunächst bange geflüstert. »Sie wütet in Leith. Lasst uns beten, dass sie nicht auch hierherkommt!«
Doch alles Beten und alles Hoffen hatte nichts genützt. Rasch hatten die ersten Gerüchte über Kranke und Tote in Stockbridge die Runde gemacht, dann in Broughton, schließlich in Holyrood und dann in Canongate. Die Einschläge kamen immer näher. Nur eine Frage der Zeit, bis auch die ersten Bewohner von Clootie Close betroffen wären.
Von einer dunklen Vorahnung getrieben hatte er im Herbst 1646 all sein Erspartes zusammengenommen und seine älteste Tochter mit seinen beiden jüngsten Söhnen nach Costorphine zu seinem Bruder geschickt. Hoffentlich in Sicherheit. Gott allein wusste, wie es den drei erging, denn seit Wochen hatte kein Brief, keine Nachricht in irgendeiner Form, mehr den Weg hinunter in die kleine Close gefunden. Alles, was er tun konnte, war für seine drei Kinder zu beten, solange er noch Kraft hatte, die Hände zu falten.
Ihm fielen die Augen zu, während seine Gedanken immer mehr abdrifteten. Die Erinnerung an die vielen Toten machte ihm das Herz schwer. Die an Bekannte, Nachbarn und Freunde, welche die Seuche gnadenlos dahingerafft hatte. An seinen Vater, an seine Schwiegermutter, an seine Frau und seine Kinder, die in Edinburgh bleiben mussten und das mit ihren jungen Leben bezahlten.
Vor fünf Tagen hatten sie den Eingang seiner Werkstatt zugemauert und vor zwei war sein ältester Sohn fast friedlich in seinen zitternden Armen eingeschlafen und nicht wieder aufgewacht. Das kraftlose Röcheln war verstummt, die schmale Knabenbrust hatte aufgehört, sich zu heben und zu senken. Dann nichts mehr. Seitdem herrschte in den einst so fröhlichen vier Wänden buchstäblich Totenstille.
Sein stockender Atemzug ging in einem halblauten Schluchzen unter. Tränen liefen ihm über die Wangen. Dass er ebenfalls sterben würde, stand fest. Ob an Hunger, Durst oder an dem Fieber, das ihn seit Tagen quälte, spielte keine Rolle.
Sein nächster Schluchzer blieb ihm im Halse stecken, als ihm ein Duft in die Nase stieg wie von Honig und Kräutern, würzig und fast ekelerregend süß.
Er hatte diesen Geruch viel zu oft wahrnehmen müssen in den letzten Tagen, um nicht zu wissen, was er bedeutete: Miasma.
Es war hier.
Er musste den Kopf nicht wenden, um zu wissen, dass die Kreatur in einer Ecke des Zimmers lauerte und ihn mit ihren widerlichen schwarzen Augen anstarrte.
Er starrte zurück und legte allen Hass in seine Augen, den er in seinem geschwächten Zustand aufbringen konnte.
Das finstere Wesen mit dem langen, schwarzen Schnabel und den dürren, klauenförmigen Fingern erwiderte seinen Blick regungslos. Es saß nur da und labte sich an dem Elend, das es brachte.
Der Schuhmacher wünschte, er hätte noch genug Kraft in den ausgezehrten Gliedern, um den Kerzenständer nach dem Ding zu werfen, als die Kreatur sich aus der Dunkelheit schälte und einen Schritt in seine Richtung machte. Doch er konnte kaum mehr die Finger krümmen, geschweige denn sich wehren.
Seine Kehle schnürte sich beim Anblick der kalten, schwarzen Augen zusammen.
Dann machte das Wesen einen weiteren Schritt. Dann noch einen. Und noch einen.
Lautlos.
Ohne besondere Eile.
Und durch und durch bedrohlich.
Er weigerte sich, dem Ding seine Angst zu zeigen, und krampfte die Finger um den raschelnden Rosenkranz.
Die Flamme der fast heruntergebrannten Kerze tanzte hektisch, als das Wesen an ihr vorüberging. Mit ihrem letzten Aufflackern nahm er seinen letzten Atemzug.
Sekunden später erlosch sie und Finsternis umschloss ihn. Sein letzter Gedanke galt noch einmal der wärmenden Sonne, dann war da nichts mehr.
2
Edinburgh, heute
Es war früh am Morgen, als Dougal MacFaolan die Royal Mile entlanglief, die mittelalterliche Prachtstraße, die von Edinburgh Castle zum Holyrood Palace führt. Das Straßenpflaster war nass vom Regen der vorigen Nacht und die Morgensonne kämpfte verbissen gegen tiefe, dunkle Augustwolken. Ein frischer Wind aus Richtung Schloss ließ ihn die Jacke enger um die Schultern ziehen.
Wie sagte man so schön: »Ich mag den Sommer in Schottland – dieses Jahr fällt er auf einen Samstag.«
Er marschierte grinsend an den vielen kleinen Touristenfallen vorbei, die sich an das ausgetretene Kopfsteinpflaster der Royal Mile schmiegten. Urlauber aus der ganzen Welt deckten sich hier mit überteuertem Shortbread, karierten Wollschals, bunten Kühlschrankmagneten und billigen Kugelschreibern ein, um den wertlosen Plunder schließlich in die weite Welt hinauszutragen. Die meisten Ladenbesitzer hatten die Auslagen schon für den täglichen Ansturm vorbereitet und gönnten sich noch einen kurzen Moment der Ruhe, bevor die ersten Besucher durch die Türen drängten. Und Besucher gab es zu dieser Zeit wahrlich in rauen Massen. Der August war die Zeit des »Festival Fringe« und versetzte die Stadt Jahr um Jahr in den Ausnahmezustand. Immer um diese Zeit zog das größte Kulturfestival der Welt Hunderttausende von Touristen in die Stadt. Unzählige Künstler, Musiker, Tänzer und Kabarettisten mit Weltklasseshows stürmten die großen und kleinen Bühnen in der ganzen Stadt, nicht wenige von ihnen traten kostenlos auf. Werbung für ihre Auftritte