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Können machtvolle Psychedelika und andere psychotrope Substanzen das Alltagsbewusstsein optimieren? Lassen sich LSD, Psilocybin, DMT und Meskalin nutzen, um den Anforderungen des täglichen Lebens besser entsprechen zu können? Und können psychedelische Moleküle auch ausserhalb ihres visionären Potenzials tatsächlich der verbesserten Integration des Einzelnen ins gesellschaftliche Miteinander dienen? Anhänger einer immer populärer werdenden Praxis der Verwendung von Psychoaktiva behaupten das. Microdosing nennen sie diese Anwendung von Substanzen unterhalb der psychotropen Schwelle, und viele schwören darauf, dass diese Technik der Einnahme geringster Mengen psychotroper Stoffe die Konzentrationsfähigkeit, die physische Fitness und die Gesundheit im Allgemeinen verbessern kann. Im Licht der akademischen Forschung sieht das allerdings schon anders aus, denn die von Anwendern berichteten Effekte können in wissenschaftlichen Settings bislang nur schwer, zuweilen gar nicht nachvollzogen werden. Dieses Buch liefert eine Zusammenfassung der häufigsten Berichte zum Microdosing aus dem psychedelischen Untergrund wie auch über die bislang gewonnenen Erkenntnisse der Wissenschaft. Mit Beiträgen von Torsten Passie, Jochen Gartz, Linus Naumann und Frank Sembowski.
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Seitenzahl: 188
Markus Berger
Niedrig dosierte Psychoaktiva im Alltag
Markus Berger
Microdosing – Niedrig dosierte Psychoaktiva im Alltag
Nachtschatten Verlag
Kronengasse 11
CH-4500 Solothurn
www.nachtschatten.ch
© 2019 Nachtschatten Verlag
© 2019 Markus Berger und beitragende Autoren
Lektorat: Nina Seiler
Korrektorat: Albert Rutz
Layout: Nina Seiler
Umschlaggestaltung: Sven Sannwald
Druck und Herstellung: Druck und Verlag Steinmeier
ISBN: 978-3-03788-553-6
eISBN: 978-3-03788-586-4
Printed in Germany
Alle Rechte der Verbreitung durch Funk, Fernsehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger jeder Art, elektronische digitale Medien und auszugsweiser Nachdruck nur mit Genehmigung des Verlags erlaubt.
Vorwort
Teil 1: Einführung ins Microdosing
Was ist Microdosing?
Einige Gedanken zu Definition & Dosierung
Kurze Geschichte des Microdosings
Was ist mit der Toleranz?
Alles nur Placebo?
Microdosing mit »klassischen« Psychedelika
Nebenwirkungen & Kontraindikationen
Und was ist mit dem Gesetz?
Teil 2: Microdosing mit verschiedenen Substanzen
LSD
Pilze & Psilocybin
Meskalin
Dimethyltryptamine & Verwandte
MDMA
2C-B
Cannabis
Ketamin
Ethnobotanisches Microdosing
Ayahuasca
Iboga & Ibogain
Steppenraute
Kanna
Kratom
Andere Psychoaktiva in Mikrodosis
Microdosing und Mischkonsum
Teil 3: Materialien
Psychedelische Tryptamine in der subkulturellen Migräne- und Clusterkopfschmerz-Therapie
Markus Berger
Wissenschaftliche Studien zur Wirkung geringer und sehr geringer Dosen LSD
Torsten Passie
Microdosing – Eine historische Anmerkung
Jochen Gartz
Einfluss psilocybinhaltiger Pilze auf die Evolution des Menschen
Frank Sembowski
Substanz oder Placebo? Plausibilität von Mikrodosierungen im Licht der Wissenschaft
Linus Naumann
Anhang: Microdosing auf einen Blick
Effekte, Vorzüge und Ziele des Microdosings mit Psychedelika
Merkzettel Microdosing-Praxis
Literatur
Internet
Erowid-Ressourcen
Empfehlenswerte Videos zum Microdosing
Danksagung
Über den Autor
Die beitragenden Autoren
Bildquellen
»Zurzeit ist Microdosingdas heißeste Thema innerhalbder Psychedelik.«
JAMES OROC 2018: 354
Können machtvolle Psychedelika und andere psychotrope Substanzen das Alltagsbewusstsein optimieren? Lassen sich LSD, Psilocybin, DMT und Meskalin nutzen, um den Anforderungen des täglichen Lebens noch besser entsprechen zu können? Und können psychedelische Moleküle auch außerhalb ihres visionären Potenzials tatsächlich der verbesserten Integration des Einzelnen ins gesellschaftliche Miteinander dienen?
Anhänger einer immer populärer werdenden Praxis der Verwendung von Psychoaktiva behaupten das. Microdosing nennen sie diese Anwendung von Substanzen unterhalb der psychotropen Schwelle – die Rede ist also von subperzeptuellen Dosierungen, die das Alltagsbewusstsein und unsere Fähigkeit, individuell und sozial zu funktionieren, nicht beeinträchtigen, sondern in besonderer Weise veredeln sollen. Das passt nicht jedem. Denn immerhin wird hier der Gebrauch gesellschaftlich geächteter – verbotener! – Moleküle propagiert, um sich dem destruktiven Lebensstil der »zivilisierten Welt« noch besser anpassen zu können und gleichzeitig den verblendeten Machthabern noch mehr in die Arme zu spielen. Das genaue Gegenteil, nämlich die Verweigerung gegenüber solchen Tendenzen, war eigentlich stets die Haltung der Gebraucher psychedelischer Katalysatoren – und so sollte es meiner Ansicht nach auch bleiben.
Der Schweizer Psychiater und Psychotherapeut Peter Gasser aus Solothurn, der legal mit LSD an terminal erkrankten Patienten forscht, ist von dieser Vereinnahmung der Psychedelika und Entaktogene für solche gewöhnlichen Zwecke ebenfalls gar nicht angetan und sagt ganz zu Recht: »LSD hat sich immer diesem Optimierungsgedanken verschlossen. Dass es nun auch diesem Dogma unterworfen wird, beunruhigt mich« (Schrader 2016). Trotzdem: Das Phänomen ist nun einmal in der Gesellschaft zum Thema geworden, und wir müssen irgendwie damit umgehen.
Dieses Buch stellt eine initiale kleine Materialsammlung dar, die auf Erfahrungen von Praktikern beruht. Im Rahmen meiner täglichen Arbeit als Drogenforscher und -publizist erreichen mich immer wieder Erfahrungsberichte zu unterschiedlichsten Microdosing-Anwendungen sowie Anfragen aus der psychedelischen Szene und von anderen Menschen, die sich für die Praxis des Konsums von mikrodosierten Psychoaktiva interessieren. Dabei fällt auf, dass heutzutage längst nicht mehr nur »psychedelische Freaks« mit psychoaktiven Substanzen ihr Leben bereichern, sondern dass darüber hinaus ganz »neue« Gesellschaftsschichten ein gesteigertes Interesse am Thema entwickeln. Manche vermuten, dass die mitunter leistungssteigernde Anwendung von mikrodosierten Drogen den eher exzessiven oder auch den tiefgehenden Umgang mit Psychedelika & Co. ablösen wird – eine Vermutung, die meines Erachtens nicht realistisch ist. Durch Microdosing werden die bislang als »verrucht« wahrgenommenen Stoffe zwar in gewisser Hinsicht gesellschaftskompatibel. Die echte psychonautische Praxis ist davon jedoch nicht behelligt – genauso wenig wie ein Missbrauch der Substanzen.
Obwohl Microdosing in innersten Zirkeln seit Jahrzehnten am Rande praktiziert und erprobt wird, stehen die wissenschaftlichen Erkenntnisse dazu noch ganz am Anfang. Wissenschaftliche Studien, die sich speziell mit dem Thema Microdosing beschäftigen, werden gerade erst forciert, und zurzeit können nur wenige echte Erkenntnisse, die unter Labor- oder Praxisbedingungen gewonnen wurden, abgerufen werden. Das wird sicherlich in einigen Jahren ganz anders aussehen, weil das Interesse an dieser speziellen Disziplin gerade erst so richtig aufkommt.
Bis dahin wollen wir uns anschauen, welche Vorzüge die praktizierenden User mit winzigen Mengen psychoaktiver Substanzen zu erlangen imstande sind oder zu erlangen meinen – und welche Schlüsse sie daraus ziehen. Vom exakt wissenschaftlichen Standpunkt aus lässt sich durchaus anzweifeln, dass man zum Beispiel Migräne, Clusterkopfschmerzen, normale Kopfschmerzen und Menstruationsbeschwerden mit kleinsten Dosierungen von Tryptamin- und Phenethylamin-Psychoaktiva lindern oder aufheben kann. Die Praxis der Gebraucher solcher Drogenanwendungen spricht hingegen eine andere Sprache. Allen Usern, die heilsame Erfahrungswerte sammeln, zu unterstellen, dass sie sich die Verbesserung ihrer Symptome nur einbilden, wäre doch arg ignorant und ganz offensichtlich fern jeder Realität.
Ein Großteil der über die Jahre an mich herangetragenen Mitteilungen und Erfahrungsberichte basiert auf der praktischen Erprobung von mikrodosierten Substanzen aus dem psychedelischen Untergrund, häufig – aber nicht immer – auch ungeplanter Natur, sodass in einer Vielzahl der Fälle keine wirklichen Dosierungsangaben gemacht werden konnten. Stets ging es mehr oder weniger um winzige Minimengen, die kaum sichtbar oder der Rede wert waren. Ich habe versucht, solche Berichte zusammenzufassen, auszuwerten und in die Übersicht dieses Büchleins aufzunehmen, sofern sie glaubhaft, interessant und authentisch erscheinen.
Manches Mal erzählten die Experimentatoren von Versuchen mit Dosierungen, die eher dem Minidosing zuzurechnen sind, beispielsweise wenn es sich um Experimente handelte, in denen mindestens 30 Gamma LSD, 8 bis 10 Milligramm Psilocybin/Psilocin oder ab 100 Milligramm Meskalin eingenommen wurden. Diese Berichte habe ich im vorliegenden Band weitgehend außer Acht gelassen, denn sie bilden in meinen Augen ein eigenständiges Themenfeld, eben das Feld des Minidosings, und das zeitigt gewöhnlich andere Effekte als klassisches Microdosing, dessen Wirkungen sich eher unterhalb der direkt perzeptuellen Schwelle ansiedeln lassen. Ich habe mich für dieses Vorgehen entschieden, weil man schlichtweg irgendwo eine Grenze ziehen muss, um zu gewährleisten, dass der Fokus auf das Thema Microdosing nicht überschritten wird. Die Grenzen zwischen »echten« Microdosing-Effekten (was ist das überhaupt?) und der Induktion einer deutlichen Wahrnehmungsveränderung sind ohnehin fließend. Der Grund dafür liegt vor allem in einem der Probleme bei der Abgrenzung von echtem Microdosing gegenüber Minidosing: der individuellen Empfänglichkeit der Probanden und der darauf basierenden differenten Schwellendosen psychoaktiver Substanzen. So mancher User erlebt beispielsweise mit nur 50 Mikrogramm LSD bereits erste visionäre Bewusstseinsveränderungen; auch Albert Hofmann befand diese eher niedrige Dosis als praktikable Menge für eine LSD-Erfahrung. So bemerkte er nach seinem ersten bewusst durchgeführten Selbstversuch mit 250 Mikrogramm, dass dies bereits die fünffache Dosis und sogar eine Überdosierung sei. Auch später verwendete Albert Hofmann für LSD-Sitzungen des Öfteren Dosierungen von 50 Gamma.
Auf der Grundlage meiner Korrespondenz mit Lesern und Zuschauern zum Thema Microdosing hatte ich noch eine Hürde zu nehmen, die sich auf das zuvor besprochene Problem bezieht: Wenn es sich zum Beispiel um Microdosing-Experimente mit Psilocybin handelt, verfügen die meisten User natürlich nicht über die Reinsubstanzen Psilocybin oder Psilocin, sondern lediglich über getrocknete Fruchtkörper unterschiedlicher Pilzarten. Von denen verwendeten die Probanden entweder abgewogene Portionen oder nur zweifelhaft quantifizierte Mengen wie etwa »ein winziges Stengelstück« oder »ein kleines Stückchen vom Hut in der Größe eines halben Fingernagels«. Das sind Angaben, die zwar mutmaßlich in den Bereich des Microdosings fallen, mit denen man im Zweifel jedoch nicht viel anfangen kann, denn es bleibt vollkommen unklar, welche tatsächlichen Dosierungen des Wirkstoffs in den spezifischen Fällen zur Anwendung kamen. Deshalb habe ich nur Erfahrungsberichte von Korrespondenten verwerten können, die erstens offenkundig erfahren im Umgang mit psychotropen Stoffen waren und zweitens explizit angaben, während der Microdosing-Phase keine psychoaktiven Wirkungen mit der präferierten Substanz provoziert zu haben (abgesehen von Trial-and-Error-Versuchen in der Phase der Dosisfindung).
Nicht zuletzt basiert dieses Buch auch auf meinen eigenen Erfahrungen, die ich im Lauf der Jahrzehnte im Umgang mit psychoaktiven Substanzen aller Art sammeln durfte, und zudem auf zahlreichen Erfahrungen einer großen Zahl von Personen aus meinem direkten Umfeld. Die Berichte von Rezipienten meiner Bücher und anderen Medien über deren Erfahrungen vervollständigen die Palette der gewonnenen Erkenntnisse.
Für Leser mit exaktwissenschaftlichem Anspruch mag dies nicht ausreichend erscheinen, um sich ein abschließendes Urteil zu bilden. Dies ist aber auch gar nicht Sinn und Zweck der vorliegenden Abhandlung. Sie soll vielmehr zusammenfassen, was an Erfahrungen in der Bewegung gesammelt wurde und wird und welche potenziellen Möglichkeiten sich mit Microdosing von psychoaktiven Substanzen noch eröffnen können. Dem Wissenschaftler und Forscher bietet das Buch diverse Ansatzpunkte, sich in Teilgebiete der Materie zu vertiefen und eigene Arbeiten anzustoßen. Torsten Passie hat in seinem Beitrag ab Seite 83 überdies eine konzise Übersicht über die wissenschaftlichen Arbeiten zum Microdosing mit LSD zusammengetragen. Er hat zu diesem Thema ein hervorragendes Buch auf Englisch veröffentlicht (siehe u.a. Bibliografie am Ende des Buchs), dessen Inhalt er dankenswerterweise hier partiell auf Deutsch zusammenfasst.
Ich erhebe mit dieser Materialsammlung keinen Anspruch auf Vollständigkeit (was bei der Fülle an Internetbeiträgen, die annähernd täglich neu zum Thema erscheinen, auch ein langwieriges Unterfangen wäre), sondern möchte einen Einblick in ein Themenfeld gewähren, das auf der einen Seite zwar nicht besonders häufig, aber dafür schon recht lange innerhalb der psychedelischen Bewegung praktiziert wird, andererseits aber gerade in den letzten paar Jahren an Aufwind gewinnt und immer populärer wird.
Das heißt im Klartext: Ich habe darauf verzichtet, das gesamte in jüngster Zeit publizierte Material zu rezipieren, auszuwerten und in diese Abhandlung aufzunehmen. Vieles, das zum Thema ans Licht der Öffentlichkeit gelangt, befindet sich noch im Stadium experimenteller Versuche und häufig wird in Sachen Microdosing eher spekuliert, als dass Wissen aus belastbaren Quellen herangezogen werden kann. Die Praxis des Microdosings ist auf dem weiten Feld der Psychoaktiva-Kunde ein noch weitgehend unbearbeiteter Abschnitt und hält für Forscher (ob akademisch oder privat) sicherlich so manche Überraschung bereit, die ihrer Entdeckung harrt. Langweilig wird es uns also so schnell nicht werden.
Markus Berger, März 2019
Die Praxis des Microdosings – die Einnahme von winzigen, unterhalb der regulären Wahrnehmungsgrenze liegenden Dosierungen LSD als mentales Tonikum – ist der letzte Schrei in der Tech-Gemeinde.
MICHAEL POLLAN 2018: 175
Allerorten ist von Microdosing die Rede. Man hört das Schlagwort im Gespräch zwischen Freunden psychoaktiver Substanzen, liest in Fachzeitschriften für Drogenkunde davon, inzwischen findet man aber auch in renommierten Mainstream-Magazinen Abhandlungen über diese Modeerscheinung, über die wir noch so wenig wissen, weil sie in der öffentlichen Wahrnehmung noch so jung ist (obwohl die Praxis, winzige Mengen Psychedelika zu nehmen, seit vielen Jahrzehnten punktuell erprobt ist).
Microdosing, zu Deutsch: Mikrodosierung, ist eine Form der Einnahme kleinster oder geringer Mengen psychoaktiver Moleküle, die zurzeit immer mehr im Trend liegt. Zahlreiche Psychonauten, aber auch nicht drogenaffine »ganz normale« Leute beschäftigen sich mit Microdosing, also dem zielorientierten Konsum von minimalen Dosierungen psychoaktiver Substanzen, deren pharmakologische Effekte und Wirkungen häufig nichts mit den klassischen Wirkweisen der verwendeten Substanzen zu tun haben.
Wieso aber praktizieren immer mehr Menschen diese mikrodosierte Applikation von Psychedelika? Die Antwort ist einfach: Weil sie nach Einschätzung der User zahlreiche Vorteile bietet, die auch und gerade im Alltag von großem Nutzen sein können, wie zum Beispiel die Verbesserung der Konzentrationsfähigkeit und Wahrnehmung, antidepressive Effekte, Leistungssteigerung im Sport, auch Doping und so weiter. Diese Vorzüge werden jedenfalls von Anwendern regelmäßig beschrieben – in vielen Fällen kann aktuell allerdings niemand belegen, dass es sich bei den wahrgenommenen Veränderungen nicht um Placebo-Effekte handelt. Diesen Punkt werden wir im Verlauf des Buchs noch behandeln.
Das Zauberwort im Zusammenhang mit Microdosing heißt Optimierung oder Leistungssteigerung. Nicht ohne Grund wird das Mikrodosieren von Psychedelika in Büchern und Artikeln immer wieder mit den Tech-Nerds des Silicon Valley (in der südlichen San Francisco Bay Area) in Verbindung gebracht. Die dort ansässigen Macher und Visionäre verwenden Psychedelika ohnehin fürs Hirndoping und als Inspiratoren; auch die Anwendung von Mikrodosen psychoaktiver Drogen gehört zum Alltag des Silicon Valley. Es existieren darüber hinaus »inoffizielle Berichte von erfahrenen Leistungssportlern, die Mikrodosen [LSD] beim Klettern, Skifahren, Fallschirmspringen oder Tauchen einnehmen. Dies könnte ein Gebiet sein, das in naher Zukunft weitere Anwendungen finden wird« (METZNER 2017: 81).
Das Microdosing mit LSD hat niemand Geringeres als der Entdecker des Acid selbst schon praktiziert. Der Naturstoffchemiker Albert Hofmann aus der Schweiz hat nach Aussage von diversen Zeitgenossen öfters mikrodosiertes LSD eingenommen, um, wie er sagte, besser denken zu können. Mike Jay, ein US-amerikanischer Historiker, veröffentlichte 2018 Informationen über gering dosierte LSD-Versuche von Albert Hofmann, die er im persönlichen Archiv des Schweizer Chemikers entdeckt hatte. »Das Archiv enthält unbekannte Berichte über eine Reihe von Trips, die Hofmann zwischen 1943 und 1946 unternommen hat, über die er aber später nie geschrieben hatte« (JAY 2018). In den Unterlagen fand Jay die Reports von gering dosierten LSD-Experimenten, so zum Beispiel einen Erfahrungsbericht aus der Zeit, in der Hofmann seinen Wehrdienst ableistete und einmal 20 Mikrogramm Acid in der Kaserne genommen hatte. Unter der Dosierung zog er sich fast vollständig in sich selbst zurück, war »in meine eigenen Gedanken« versunken und ging ins Bett mit »warmen, behaglichen Gefühlen« und bunten Bildern hinter den geschlossenen Lidern. Ein später durchgeführter Versuch mit derselben Dosis verlief hingegen mit »verstörenden Träumen« von einer »verrückten verstümmelten Frau mit abgeschnittenen Armen und ausgebrannten Augen«.
Albert Hofmann im Labor (1945)
Mit einer LSD-Dosis von 30 Mikrogramm spürte Albert Hofmann eine »leichte Benommenheit, Schüttelfrost, Übelkeit, einen schwachen metallischen Geschmack im Mund« und eine »Stimulation im Genitalbereich« sowie »verstörende, unheimliche Phantasmen« und »teils sinnliche Visionen«. Bei einem anderen Versuch mit 30 Gamma LSD im Jahr 1946 war Hofmann »beeindruckt von den schönen Farben der Tischplatte … den wunderbar warmen Tönen, die von orange über blutrot bis violett wechselten« und hatte »großen Spaß mit Rorschach-Bildern« (ebd.).
Microdosing mit Psychedelika wurde bereits seit den 40er Jahren ausprobiert, meist im Rahmen wissenschaftlicher Untersuchungen von bewusstseinsverändernden Stoffen (bei denen mikrodosierte Moleküle beispielsweise als »aktive Placebos« im Vergleich zu normal dosierten Substanzen eingesetzt wurden); flächendeckend etabliert hat es sich dabei offensichtlich jedoch nicht.
Erst Ende der 90er, Anfang der 2000er Jahre (mit der Welle von Patienten, die das Microdosing zur Behandlung von Migräne und Clusterkopfschmerz entdeckten) und vor allem in den 2010er Jahren kam die Praxis der mikrodosierten Anwendung von LSD und anderen Psychoaktiva in der Szene vermehrt auf, insbesondere durch die Arbeit des US-amerikanischen Psychologen, Psychedelika-Forschers, Autors und Microdosing-Pioniers James Fadiman, der 2011 sein beeindruckendes Werk The Psychedelics Explorer's Guide (Park Street Press) herausgab und darin über sub-psychoaktive Dosierungen von Psychedelika berichtete (im Kapitel »Can Sub-Perceptual Doses of Psychedelics Improve Normal Functioning?«).
Seitdem haben sich zahlreiche Eingeweihte an Versuche mit Minimaldosierungen von LSD und anderen Psychedelika oder Psychoaktiva gewagt und zum Teil Positives berichtet. Nachdem Fadiman 2015 in einem US-Podcast des Autors und Unternehmers Tim Ferriss erstmals öffentlich über mikrodosierte Psychedelika gesprochen hatte, vervielfachte sich in den Vereinigten Staaten das Interesse an der Konsumform schlagartig.
»Mikrodosierung ist ein Konzept, über das in der Pharmakologie seit über einem Jahrzehnt gesprochen wird. Es wurde die Auffassung vertreten, dass Vorstudien der Phase I mit sehr niedrigen und damit ungiftigen sowie unterhalb des Schwellenwerts für die pharmakologische Aktivität liegenden Dosierungen am Menschen durchgeführt werden könnten, um Wirkstoffkandidaten in einem frühen Entwicklungsstadium zu testen und damit Kosten, Zeit und Aufwand zu sparen.«
(PASSIE 2019)
»There is no peak and no comedown …«
VIRGINA HAZE ET K. MANDRAKE, 2016: 332
Microdosing ist nicht gleich Microdosing. Es gibt zwar die Faustformel für mikrodosiertes LSD und andere Psychedelika, jeweils 10 (bis 20) Prozent der psychoaktiv wirksamen Menge zu verwenden. Jeder muss aber dennoch – wie bei psychoaktiven Substanzen üblich – seine individuelle Dosis finden. Wenn eine Person bereits mit 5 Mikrogramm LSD erreicht, was sie sich wünscht, muss eine andere eventuell schon bis zu 20 Mikrogramm einnehmen, um die erwünschten Effekte herbeizuführen. Schon wenige Gamma mehr können, je nach Empfänglichkeit des Gebrauchers, die Wirkung potenzieren und einen psychoaktiven Schleier aufs Bewusstsein legen. Dann ist eine Alltagstauglichkeit eventuell nicht mehr gegeben – und das Ziel des Microdosings vereitelt.
In diesem Buch sollen nur wirkliche Mikrodosierungen von Psychoaktiva besprochen werden, da das Feld des Minidosings ein weites Spektrum aufweist und bereits in Richtung der veränderten Bewusstseinszustände geht. Zwar können die durch Microdosing herbeigeführten Vorzüge auch als wahrnehmungs- oder bewusstseinsverändernd bezeichnet werden, jedoch auf einer anderen Ebene, nämlich auf einer Ebene der Optimierung des gewöhnlichen Alltagsbewusstseins.
Durchschnittsmenge für das Microdosing Viele Microdoser bevorzugen – wenn wir in diesem Falle LSD, Psilocybin oder Meskalin als Referenzsubstanzen nehmen – 5 bis 10 beziehungsweise 15 bis 20 Prozent der visionären Menge als durchschnittliche Dosis, zum Beispiel 10 bis 15 Mikrogramm LSD. Jeder Anwender muss aber seine individuelle Dosis für die bevorzugte Substanz selbst herausfinden.
Im Allgemeinen ist die Angabe einer Faustregel von 10 bis 20 (oder Fadiman folgend 10 bis 16) Prozent einer Substanz eine eher ungenaue Definition. Wenn eine Person beispielsweise durchschnittlich 500 Gamma für eine vollwertige LSD-Erfahrung wählt, weil sie meint, dass dies ihre individuelle entheogene Schwelle darstellte, so würde eine entsprechende Mikrodosierung nach der Faustformel »10 bis 20 Prozent« 50 bis 100 Gamma entsprechen. Das kann dann aber beileibe kein Microdosing mehr sein, da ab etwa 50 Gamma die psychoaktiven Effekte des LSD bei den meisten Anwendern bereits deutlich einsetzen. Diverse Kollegen (zum Beispiel Daniel Trachsel und Alexander Shulgin) sehen für LSD eine ED-50 von 50 bzw. 60 Mikrogramm und eine DD-50 von 200 Mikrogramm. Ethnopharmakologe Jonathan Ott geht (wie gewohnt) weiter und veranschlagt die Werte auf 50 bis 500 Gamma (METZNER 2018: 80).
Die ED-50 bezeichnet die Schwellendosis eines Stoffes, bei der 50 Prozent der Probanden initiale, aber deutliche psychoaktive Wirkungen einer Substanz verspüren. Die DD-50 hingegen markiert laut Ralph Metzner die Dosierung, bei der 50 Prozent der Anwender dissoziative oder dysphorische Effekte erleben, also schlichtweg zuviel des Guten abbekommen haben.
In der nachfolgenden Übersicht ist festgehalten, welche Dosierungen James Fadiman für die einzelnen Substanzen empfiehlt.
Mikrodosierungen von Psychedelika (nach Fadiman)
Substanz
Dosierung
LSD
8 bis 10 Mikrogramm
1P-LSD
10 bis 15 Mikrogramm
Psilocybin
0,5 bis 2 Milligramm
Pilze (diverse Arten)
0,2 bis 0,5 Gramm (trocken), etwa 7 Gramm (frisch), 1 bis 2 Gramm Sklerotien (»Trüffel«)
Ibogain
4 bis 6 Milligramm
Die Angaben für die Pilzarten sind allerdings eher «schwammig», weil die Psilocybe-Spezies doch recht unterschiedliche Wirkstoffkonzentrationen aufweisen; man vergleiche nur beispielsweise den potenten Psilocybe azurescens mit dem vergleichsweise eher wirkstoffarmen Psilocybe cubensis. Zudem unterliegen frische wie getrocknete Fruchtkörper der Pilze (auch abhängig von der Lagerung etc.) zuweilen enormen Wirkstoffschwankungen, weshalb hier nur wiederholt werden kann, wie wichtig es ist, eine individuelle Dosis zu ermitteln. Zu ergänzen ist noch die Dosierung von Meskalin, das einigen Kopfschmerzpatienten, besonders denen mit Migräne, in einer Menge zwischen 10 (!) und 60 Milligramm hilfreiche Dienste erweisen kann.
Wie sehr auch innerhalb der psychedelischen Gemeinde die Ansichten zur perfekten Mikrodosis schwanken können, belegt ein Zitat von Ralph Metzner: »Eine interessante Form der Anwendung, die in den letzten 10 bis 15 Jahren aufgekommen ist, ist der Einsatz von Mikro-Dosierungen des LSD im Bereich von 50 μg oder weniger (40, 30, 20)« (METZNER 2017: 81). Wie oben bereits besprochen, dürfte für die allermeisten User mit 50 Gamma die Schwelle des Microdosings bereits lange überschritten sein. Zum Vergleich: Albert Hofmann hatte in LSD – Mein Sorgenkind postuliert, dass 25 Mikrogramm LSD für ihn »einer noch deutlich wirksamen LSD-Dosis« entsprächen (HOFMANN 1993: 42). Wenn überhaupt, wäre für LSD-Dosierungen zwischen 20 und 40 Gamma eine Klassifikation als »Minidosing« (siehe Kasten) eher angebracht. Ab 50 bis 60 Mikrogramm erleben viele Anwender bereits eindeutige psychoaktive Effekte. Ich selbst bin der Ansicht, dass in dem Augenblick, da die Einnahme einer Substanz deutlich spürbare psychotrope Effekte bewirkt, schon kein Microdosing mehr vorliegt. Die Definition ist hier aber durchaus individuell.
Torsten Passie gibt in seinem englischen Microdosing-Buch (PASSIE 2019) die Definition wieder, wie sie sich in der Fachliteratur etabliert hat:
1. Niedrige Dosis eines Psychedelikums mit einigen nachweisbaren Effekten (zum Beispiel 25–50 μg LSD)
2. Niedrige Dosis ohne nachweisbare Wirkung (zum Beispiel 10–20 μg LSD)
Im ersten Fall handelt es sich, wie oben ausgeführt, nicht mehr um klassisches Microdosing, sondern bereits um Formen des Minidosings. Im zweiten Fall handelt es sich um klassisches Microdosing, jedoch können verschiedene Experimentatoren bei manchen Mikrodosierungen durchaus gewisse Wirkungen feststellen, und seien es nur die angestrebten Optimierungen des Alltagsbewusstseins: Die zweite Definition »entspricht dem, was Fadimans erste Probanden ihm über die Mikrodosierung erzählten. In diesem Dosisbereich ist es wissenschaftlich erwiesen, dass normale Probanden keine erkennbaren Effekte wahrnehmen […]. Es gibt jedoch Berichte, nach denen einige Probanden in der Lage sein könnten, eine Wirkung zu verspüren […], doch dies muss in einer placebokontrollierten Studie nachgewiesen werden. Wenn es um objektivere physiologische Messungen geht, haben Greiner et al. (1958) gezeigt, dass mit 7–10 mcg LSD keine subjektiven Effekte festgestellt werden, sondern lediglich Veränderungen der Pupillengröße und eine Veränderung der galvanischen Hautreaktion des menschlichen Organismus« (PASSIE 2019).
Mini- und Mididosing
Im Unterschied zu Microdosing-Anwendungen verwenden vor allem erfahrenere Psychedeliker häufig kleine bis mittlere Dosierungen psychoaktiver Substanzen – nicht etwa, um das Alltagsbewusstsein zu optimieren, sondern durchaus für psychonautische Sitzungen oder Aktivitäten. So fällt vielen Anwendern interessanterweise auf, dass sie offenbar mit zunehmendem Alter immer weniger Substanz benötigen, um gleiche oder ähnliche Effekte herbeizuführen wie früher bei einer höheren Dosierung. So genügt manchen Usern bereits die Hälfte der gewohnten Dosis einer Substanz (das können Phenethylamine, Tryptamine, aber auch alle anderen Stoffe sein), um die gewünschten Wirkungen zu induzieren.
Zuweilen werden auch Mini- oder Midiportionen verwendet, um sich nur ein wenig zu psychedelisieren, zum Beispiel beim Musikhören oder -machen, beim Malen, Lesen, Schreiben oder beim Liebesakt sowie im Mischkonsum mit anderen Substanzen.
Aber Vorsicht: Manche klagen bei Einnahme von etwa der Hälfte einer visionären Dosis Psychedelika auch über unschöne Episoden mit dysphorischen Reaktionen, Unruhe usw., zum Beispiel über ein »Steckenbleiben im psychedelischen Geburtskanal«, wie es der Ethnopharmakologe Christian Rätsch einmal so schön formulierte (persönliche Mitteilung).
Falls es doch einmal so weit kommt, hat der psychedelische Pionier Myron Stolaroff (1920–2013) einen Tipp, damit umzugehen: »Wenn du unbequeme Erfahrungen mit niedrig dosierten Psychedelika hast, dann akzeptiere sie einfach, konzentriere dich auf sie, atme durch sie hindurch, und wenn du ihnen deine Aufmerksamkeit schenkst und bei ihnen bleibst, werden sie sich von selbst auflösen« (STOLAROFF 1997).