Migrationsbedingte Vielfalt in der Kita - Miriam Morgan - E-Book

Migrationsbedingte Vielfalt in der Kita E-Book

Miriam Morgan

0,0

Beschreibung

Migrationsbedingte Vielfalt wird mehr und mehr zur Normalität in deutschen Kindertageseinrichtungen. Dennoch wirft sie noch immer viele Fragen auf, führt zu Missverständnissen und Irritationen. Das Buch behandelt Chancen und Herausforderungen migrationsbedingter Vielfalt auf drei Ebenen: 1. Zusammenarbeit mit Eltern mit Migrationshintergrund, 2. Zusammenarbeit in kulturell diversen Fachkräfteteams und 3. Arbeit mit Kindern in einer diversen Gesellschaft. Die wissenschaftlich fundierten, aber praxisnah aufbereiteten Inhalte werden durch Fallbeispiele, Reflexionsfragen sowie praktische Tipps für den pädagogischen Alltag ergänzt.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 247

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Die Autorin

Prof. Dr. Miriam Morgan ist Professorin und hat die deutschlandweite Leitung der Studiengänge »Sozialpädagogik & Management« sowie »Sozialpädagogik, Management & Coaching« an der internationalen Berufsakademie (iba).

Miriam Morgan

Migrationsbedingte Vielfalt in der Kita

Pädagogische Arbeit mit Eltern, Kindern und im Team

Verlag W. Kohlhammer

Für Mike, ohne dessen konsequentes Ignorieren

genderstereotyper Vorstellungen dieses

Buch nicht möglich gewesen wäre

Für Ben & Philipp

 

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Die Wiedergabe von Warenbezeichnungen, Handelsnamen und sonstigen Kennzeichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass diese von jedermann frei benutzt werden dürfen. Vielmehr kann es sich auch dann um eingetragene Warenzeichen oder sonstige geschützte Kennzeichen handeln, wenn sie nicht eigens als solche gekennzeichnet sind.

Es konnten nicht alle Rechtsinhaber von Abbildungen ermittelt werden. Sollte dem Verlag gegenüber der Nachweis der Rechtsinhaberschaft geführt werden, wird das branchenübliche Honorar nachträglich gezahlt.

Dieses Werk enthält Hinweise/Links zu externen Websites Dritter, auf deren Inhalt der Verlag keinen Einfluss hat und die der Haftung der jeweiligen Seitenanbieter oder -betreiber unterliegen. Zum Zeitpunkt der Verlinkung wurden die externen Websites auf mögliche Rechtsverstöße überprüft und dabei keine Rechtsverletzung festgestellt. Ohne konkrete Hinweise auf eine solche Rechtsverletzung ist eine permanente inhaltliche Kontrolle der verlinkten Seiten nicht zumutbar. Sollten jedoch Rechtsverletzungen bekannt werden, werden die betroffenen externen Links soweit möglich unverzüglich entfernt.

 

 

 

1. Auflage 2022

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-036672-5

E-Book-Formate:

pdf:      ISBN 978-3-17-036673-2

epub:   ISBN 978-3-17-036674-9

Inhaltsverzeichnis

 

 

1    Einleitung

2    Grundlagen

2.1    Umgang mit migrationsbedingter Vielfalt in Pädagogik und Gesellschaft

2.1.1    Umgang mit migrationsbedingter Vielfalt in der Pädagogik – ein historischer Überblick

2.1.2    Integration, Inklusion und Interkulturelle Öffnung

2.2    Interkulturelle Kompetenz von pädagogischen Fachkräften

2.2.1    Definition und Modelle interkultureller Kompetenz

2.2.2    Die Bedeutung von Machtasymmetrien, Fremdbildern und Diskriminierungserfahrungen

2.2.3    Die besondere Rolle der Reflexionskompetenz

2.3    Kultur

2.3.1    Sechs wichtige Fakten zum Thema Kultur

2.3.2    Potenzial und Gefahr des Kulturbegriffs

2.3.3    Umgang mit Kultur in diesem Buch

2.4    Weitere Einflussfaktoren in interkulturellen Situationen

2.5    Checkliste

3    Zusammenarbeit mit Eltern mit Migrationshintergrund

3.1    Das Konzept der Bildungs- und Erziehungspartnerschaft

3.2    Herausforderungen und Chancen in der Zusammenarbeit mit Eltern mit Migrationshintergrund

3.3    Eltern mit Migrationshintergrund – eine diverse Personengruppe

3.4    Kulturell bedingte Unterschiede zwischen Bildungs- und Erziehungskonzepten von Eltern mit Migrationshintergrund und pädagogischen Fachkräften

3.4.1    Arten von Bildungs- und Erziehungsdifferenzen

3.4.2    Selbstständigkeit

3.4.3    Spielen und Lernen

3.4.4    Umgang mit Autorität

3.4.5    Bindung

3.4.6    Rollen von Kita und Familie

3.5    Checkliste

4    Zusammenarbeit in kulturell diversen Fachkräfte-Teams

4.1    Chancen und Herausforderungen kulturell diverser Teams

4.1.1    Chancen

4.1.2    Herausforderungen

4.1.3    Erfolgsfaktoren

4.2    Pädagogische Fachkräfte mit Migrationshintergrund

4.2.1    Zahlen und Fakten

4.2.2    Besondere Herausforderungen

4.3    Kulturelle Unterschiede in diversen Fachkräfteteams

4.3.1    Exkurs: Dimensionsmodelle von Kultur

4.3.2    Küssen, Kuscheln, Körperkontakt

4.3.3    Umgang mit Zeit

4.3.4    Kommunikation

4.3.5    Gestaltung von Angeboten

4.4    Checkliste

5    Arbeit mit Kindern in einer kulturell diversen Gesellschaft

5.1    Vorurteile in der frühen Kindheit

5.1.1    Stereotype – Vorurteile – Diskriminierung

5.1.2    Vorurteilsentwicklung im frühen Kindesalter

5.1.3    Konsequenzen für die Frühe Bildung

5.2    Aktuelle Ansätze interkulturellen Lernens in Praxis und Theorie

5.2.1    Interkulturelle Arbeit in der aktuellen Kita-Praxis

5.2.2    Landeskundliches vs. interkulturelles Lernen

5.2.3    Theoretische Ansätze interkulturellen Lernens

5.3    Interkulturelles Lernen als Vermittlung von Vielfaltskompetenz

5.4    Methoden der Vermittlung von Vielfaltskompetenz in der Kita

5.4.1    Vielfältige Alltagspraxen aufgreifen

5.4.2    Materialien nutzen, die das vielfältige Aussehen von Menschen widerspiegeln

5.4.3    Geschichten, Lieder und Beispiele bewusst auswählen

5.4.4    Die eigene Sprache reflektiert und bewusst einsetzen

5.4.5    Mehrsprachigkeit wertschätzen

5.4.6    Sich einsetzen gegen Diskriminierung und Stereotypisierung

5.4.7    Vorbild sein

5.5    Interkulturelles Lernen in homogenen Kindergruppen

5.6    Checkliste

6    Techniken zum Umgang mit (potenziellen) kulturellen Unterschieden

6.1    Der Eisberg-Check

6.2    Die Fünf-Finger-Regel

6.3    Der Vorteil-Nachteil-Check

6.4    Der Einflüsse-Check

6.5    Checkliste

7    Fazit: Migrationssensible Zusammenarbeit mit Eltern, Kindern und im Team

Literatur

1

Einleitung

Zwei kleine Jungen, John und Ali1, spielen in der Bauecke. Beide sind erst vor wenigen Wochen mit ihren Familien als Geflüchtete nach Deutschland gekommen. Ali stammt aus Afghanistan, John aus Nigeria. Während des Spiels fällt der dreijährige Ali etwas ungeschickt auf einen Baustein und beginnt zu weinen. Eine Pädagogin kommt, um ihn zu trösten. Doch der Junge, der noch kaum ein Wort Deutsch spricht, weint weiter. Die Pädagogin nimmt ihn auf den Schoß und redet beruhigend auf ihn ein. Der vierjährige John ist währenddessen eng an die beiden herangerückt und sagt immer wieder: »Sorry, Ali! I’m so sorry.« Die Pädagogin fragt John sichtlich irritiert: »Warum entschuldigst du dich denn? Du warst doch gar nicht schuld!« Doch John lässt sich nicht beirren und wiederholt immer wieder: »Sorry, I’m sorry.« Nach einer Weile ist die Pädagogin sichtlich verärgert, dass neben den anderen spielenden Kindern und dem weinenden Ali nun auch noch John (scheinbar) ihre Aufmerksamkeit einfordern will und gibt ihm schließlich in barschem Ton zu verstehen, dass er woanders spielen und sie nicht weiter stören soll.

In diversen Gesellschaften wie der deutschen kommt es im Kita-Alltag immer wieder zu Situationen dieser Art. Obwohl die Pädagogin keinem der Kinder Unrecht tun will, interpretiert sie Johns Verhalten aufgrund ihres fehlenden Einblicks in sprachliche und kulturelle Unterschiede als unangemessenen Versuch, ihre Aufmerksamkeit zu erlangen. John hingegen möchte in Wirklichkeit lediglich sein Mitgefühl für Ali ausdrücken und zeigt damit ein Handeln, das eigentlich ihre Anerkennung verdient hätte.

Aktuell (Stand 31.12.2019) haben 26 Prozent der in Deutschland lebenden Menschen einen Migrationshintergrund2. Unter den null- bis fünfjährigen Kindern sind es durchschnittlich 40 Prozent (Statistisches Bundesamt et al., 2021, S. 68), in vielen Einrichtungen der Ballungsräume liegt der Anteil sogar bei rund 80 Prozent. Knapp acht Millionen der Menschen mit Migrationshintergrund sind bereits in Deutschland geboren, etwa 14 Millionen sind erst im Laufe ihres Lebens nach Deutschland immigriert (Statistisches Bundesamt et al., 2021, S. 31). 1,8 Millionen von ihnen sind als Schutzsuchende in Deutschland registriert (Statistisches Bundesamt et al., 2021, S. 42).

Menschen mit Migrationshintergrund tragen jedoch nicht nur durch andere Sprachen, Kulturen und Erfahrungen zur Diversität der deutschen Gesellschaft bei, sondern sind auch innerhalb der Gruppe äußerst divers. Sie haben unterschiedliche Bildungshintergründe3, sprechen verschiedene Sprachen, üben verschiedene Berufe aus, gehören unterschiedlichen Religionen an. Ihr Weg nach Deutschland variiert von einer komfortablen Arbeitsmigration hochqualifizierter Fachkräfte bis hin zu höchst traumatischen Fluchterfahrungen. Es finden sich unterschiedliche Familienformen, Familienkulturen, sexuelle Orientierungen, Fähigkeiten/Beeinträchtigungen und nicht zuletzt Persönlichkeiten.

Die Folge ist eine große Diversität unter den Menschen, mit denen pädagogische Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen tagtäglich zusammenarbeiten. Diese Diversität birgt viel Potenzial, kann aber auch zu Missverständnissen, Frustration und Konflikten führen. Die Herausforderung besteht daher nicht nur darin, einen neuen Faktor (Migration) in der pädagogischen Arbeit zu beachten, sondern auch darin, mit einer großen Komplexität umzugehen, in der einfache Einordnungen nach dem Schema »Türkische Familien sind so, deutsche Familien sind so« nicht greifen können.

Ziel dieses Buches ist es, eine Einführung zu geben in die Besonderheiten der pädagogischen Arbeit von Kindertageseinrichtungen in einer Migrationsgesellschaft. Dabei wird einerseits relevantes theoretisches Wissen vermittelt, andererseits aber auch mithilfe von Reflexionsfragen, Fallbeispielen sowie konkreten Tipps und Methoden der Weg für den Transfer in die Praxis geebnet. Eine zentrale Frage, die die Ausführungen dieses Buches dabei begleitet, ist die Frage, wie migrationsbedingte (und zum Teil andere) Quellen von Vielfalt in der pädagogischen Arbeit ernst genommen werden können, ohne in ein einfaches Schubladendenken zu verfallen.

Migrationsbedingte Diversität begegnet pädagogischen Fachkräften in Kindertageseinrichtungen insbesondere auf drei Ebenen (vgl. Abbildung 1.1):

1.  Die Zusammenarbeit zwischen Fachkräften und Eltern mit Migrationshintergrund

2.  Die Zusammenarbeit in (kulturell diversen) Fachkräfteteams

3.  Die Arbeit mit Kindern in einer diversen Gesellschaft

Abb. 1.1: Drei zentrale Ebenen, auf denen kulturelle Diversität im Kita-Alltag relevant wird.

Die Thematisierung dieser drei Ebenen bildet den Kern dieses Buches. Dieser vorangestellt führt Kapitel 2 ( Kap. 2) in einige grundlegende Themen und Fragen ein und stellt insofern das Fundament für die weiteren Ausführungen dar. Es befasst sich mit der Frage des Umgangs mit kultureller Diversität in Pädagogik und Gesellschaft, der interkulturellen Kompetenz pädagogischer Fachkräfte sowie dem wichtigen und zugleich schwierigen Begriff der Kultur. Aber auch andere Faktoren, die interkulturelle Situationen beeinflussen können, werden beleuchtet.

Anschließend nimmt Kapitel 3 ( Kap. 3) die erste der oben genannten Ebenen in den Blick: die Zusammenarbeit mit Eltern mit Migrationshintergrund. Eingegangen wird auf das Konzept der Bildungs- und Erziehungspartnerschaft sowie die speziellen Chancen und Herausforderungen, die sich in der Zusammenarbeit mit Eltern mit Migrationshintergrund ergeben. Auch Unterschiede zwischen Bildungs- und Erziehungskonzepten von Fachkräften und Eltern werden thematisiert sowie Lösungsansätze für mögliche Missverständnisse und Irritationen aufgezeigt.

Kapitel 4 ( Kap. 4) legt den Fokus auf die Zusammenarbeit in kulturell diversen Fachkräfteteams. Diese stellen zunehmend die Realität in deutschen Kindertageseinrichtungen dar, finden in der Literatur bislang aber noch wenig Beachtung. Folglich werden die besondere Situation dieser Gruppe und ihre speziellen Herausforderungen dargelegt, die sich ihr im Berufsalltag stellen. Anschließend werden Chancen und Herausforderungen kulturell diverser Teams beleuchtet. Schließlich wird auch in diesem Kapitel mithilfe von Fallbeispielen für mögliche Irritationen und Missverständnisse sensibilisiert, die auf kulturelle Unterschiede zurückgeführt werden können. Dabei werden auch hier Wege aufgezeigt, wie in diesen und ähnlichen Situationen konstruktiv und diversitätsbewusst agiert werden kann.

Der dritten wichtigen Ebene widmet sich Kapitel 5 ( Kap. 5): der Arbeit mit Kindern in einer kulturell diversen Gesellschaft. Im Fokus stehen dabei nicht speziell Kinder mit Migrationshintergrund, sondern vielmehr alle Kinder. Es wird argumentiert, dass die Arbeit mit jungen Kindern die besondere Chance bietet, ihnen bereits in den ersten Lebensjahren eine Wahrnehmung von Diversität im Sinne einer selbstverständlichen Normalität zu vermitteln. Da interkulturelles Lernen in Gesetzen und Bildungsplänen zur frühkindlichen Bildung zwar explizit gefordert wird, aber die vorliegenden Ideen und Konzepte zur konkreten Umsetzung zu einem großen Teil als oberflächlich oder stereotypisierend kritisiert werden können, wird in diesem Buch ein neues Konzept interkulturellen Lernens vorgestellt. Dieses ist speziell auf das frühe Kindesalter zugeschnitten und konzipiert interkulturelles Lernen als die Vermittlung von Vielfaltskompetenz. Nach einem Einblick in die Erkenntnisse zur Entwicklung von Vorurteilen in der frühen Kindheit sowie einem Überblick über vorliegende Ansätze interkulturellen Lernens werden die zentralen Ziele interkulturellen Lernens, im Sinne seines Verständnisses als Vielfaltslernen, vorgestellt. Um die Umsetzung dieser Ideen in der Praxis zu ermöglichen, schließt das Kapitel mit einer umfangreichen Sammlung von Tipps und Methoden für den Kita-Alltag.

Kapitel 6 ( Kap. 6) ergänzt die Ausführungen zur Zusammenarbeit mit Eltern, Kindern und im Fachkräfte-Team durch ein Thema, deren Relevanz sich auf alle drei dieser Ebenen erstreckt. Vor dem Hintergrund der großen gesellschaftlichen Diversität, die sich nicht nur durch Migration, sondern auch durch deren Überlappung mit anderen Faktoren ergibt, werden vier konkrete Techniken vorgestellt, die ermöglichen, dieser Diversität in adäquater Weise zu begegnen. Sie zeigen Wege auf, wie mit potenziellen kulturellen Unterschieden in einer hochkomplexen Gesellschaft konstruktiv umgegangen werden kann und ermutigen zu Selbstreflexion und Dialog.

1     Bei dieser Schilderung handelt es sich um eine wahre Begebenheit, die Namen der Kinder wurden jedoch abgeändert.

2     Der Begriff »Migrationshintergrund« findet in der amtlichen Statistik seit 2005 Verwendung. Er »umfasst Menschen, die entweder selbst nicht mit deutscher Staatsbürgerschaft geboren wurden oder aber mindestens einen Elternteil haben, der nicht mit deutscher Staatsbürgerschaft geboren wurde. Das betrifft alle Ausländerinnen und Ausländer, alle Eingebürgerten, alle (Spät-)Aussiedlerinnen und (Spät-)Aussiedler, alle Personen, die die deutsche Staatsbürgerschaft durch Adoption erhalten haben, sowie die mit deutscher Staatsangehörigkeit geborenen Kinder dieser vier Gruppen« (Statistisches Bundesamt et al., 2021, S. 30).

3     Mit ca. 28 Prozent ist der Anteil der 18–24-Jährigen mit (Fach-)Hochschulabschluss zwar ebenso hoch wie unter der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund, allerdings ist der Anteil von Menschen ohne Schulabschluss, Erwerbslosen und der armutsgefährdeten Erwerbstätigen in der Bevölkerung mit Migrationshintergrund deutlich erhöht (Statistisches Bundesamt et al., 2021, S. 36 ff.).

2

Grundlagen

Der Umgang mit migrationsbedingter Diversität wird in Deutschland seit Mitte des 20. Jahrhunderts intensiv und zum Teil auch sehr kontrovers in Wissenschaft und Gesellschaft diskutiert. Bevor in den Kapiteln 3 bis 5 spezifisch auf die verschiedene Personengruppen eingegangen wird, mit denen pädagogische Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen zusammenarbeiten, werden in diesem folgenden Kapitel einige grundlegende Themen behandelt, die als Basis für die Ausführungen der weiteren Kapitel dienen.

Kapitel 2.1 ( Kap. 2.1) befasst sich mit der Frage des Umgangs mit kultureller Vielfalt in Pädagogik und Gesellschaft. Es gibt einen historischen Überblick über die Diskussion dieser Frage in der Pädagogik, wodurch auch die heutigen Foki im Umgang mit migrationsbedingter Vielfalt im Bildungsbereich besser verstehbar werden. Anschließend werden die Konzepte der Integration, Inklusion und interkulturellen Öffnung beleuchtet. Kapitel 2.2 ( Kap. 2.2) diskutiert, welches Wissen und welche speziellen Fähigkeiten Pädagog:innen dabei unterstützen, in einer Migrationsgesellschaft konstruktiv und diversitätsbewusst ihrer Arbeit nachzugehen. Kapitel 2.3 ( Kap. 2.3) widmet sich dem wichtigen, aber auch schwierigen Begriff der Kultur und stellt unter anderem dar, wie in diesem Buch versucht wird, die Chancen des Begriffs zu nutzen und gleichzeitig die mit ihm verbundenen Gefahren zu meiden. Anschließend kommen in Kapitel 2.4 ( Kap. 2.4) weitere Faktoren zur Sprache, die interkulturelle Situationen potenziell beeinflussen. Wie auch die übrigen Kapitel wird dieses Kapitel 2 mit einer Checkliste abgeschlossen, die hilft, den eigenen Wissensstand über das Gelesene zu überprüfen ( Kap. 2.5).

2.1       Umgang mit migrationsbedingter Vielfalt in Pädagogik und Gesellschaft

2.1.1     Umgang mit migrationsbedingter Vielfalt in der Pädagogik – ein historischer Überblick

Bis in die 1970er Jahre hinein wird das Thema Migration und Bildung in Deutschland – in der Politik ebenso wie in der Wissenschaft – wenig reflektiert. Lediglich die Schulpflicht wird sukzessive auch auf ausländische Kinder ausgeweitet. Erst in den 1970er Jahren, als zunehmend mehr so genannte »Gastarbeiterkinder« das deutsche Bildungssystem besuchen, beginnt sich die so genannte Ausländerpädagogik zu entwickeln. Ihr Fokus liegt primär auf der Förderung der deutschen Sprachkenntnisse. Darüber hinaus orientiert man sich an der, von der Kultusministerkonferenz 1964 vorgegebenen, so genannten »Doppelstrategie«: Einerseits wird die schulische Integration (z. B. durch Sprachförderung) unterstützt, andererseits wird Wert darauf gelegt, die »kulturelle Identität« der Kinder und damit ihre »Rückkehrfähigkeit« zu erhalten. Hintergrund dieses Vorgehens ist die Annahme, dass der Aufenthalt der Gastarbeiter:innen in Deutschland zeitlich begrenzt sein werde und sie und ihre Familien früher oder später in ihr Herkunftsland zurückkehren würden.

Um 1980 beginnt sich gegenüber der Ausländerpädagogik starke Kritik zu regen. Diese fokussiert sich insbesondere auf drei Punkte. Als besonders problematisch wird erstens die Defizitperspektive der Ausländerpädagogik angesehen: Ausländische Kinder würden darin als »Mängelwesen« angesehen, denen aufgrund ihrer eingeschränkten Kenntnisse der deutschen Sprache kompensatorische Hilfen zugeteilt werden müssten. Anstoß erregt zweitens die Stigmatisierung der »Ausländerkinder« dadurch, dass ihnen durch den Fokus der Bemühungen auf ihre spezifische Zielgruppe eine besondere Bedürftigkeit unterstellt würde. Drittens richtet sich die Kritik darauf, dass die soziostrukturellen Ursachen für Benachteiligung von »Gastarbeiterkindern« unbeachtet blieben (vgl. z. B. Hamburger et al., 1984).

Aus dieser Kritik gehen Mitte der 1980er Jahre zwei Richtungen hervor. Eine Gruppe von Wissenschaftler:innen nimmt an, dass Diskriminierung insbesondere durch die Befähigung zum interkulturellen Verstehen abgebaut werden könne. Es entstehen Konzepte der so genannten »interkulturellen Erziehung«. Die Defizitperspektive der Ausländerpädagogik wird durch eine Differenzperspektive abgelöst. Gefordert wird nun nicht mehr die Assimilation, das heißt Anpassung der Kinder mit Migrationshintergrund an die deutsche Kultur und Sprache, sondern vielmehr die Anerkennung von kultureller Vielfalt. So verschiebt sich auch die Zielgruppe der pädagogischen Aktivitäten. Im Fokus stehen nun nicht mehr nur die ausländischen, sondern alle Kinder. Auch die Konzentration der Ausländerpädagogik auf Sprache öffnet sich und wird durch einen Fokus auf Identität abgelöst. Der bekannteste Vertreter dieser interkulturellen Erziehung ist der Erziehungswissenschaftler Georg Auernheimer (z. B. Auernheimer, 1990).

Eine zweite Gruppe von Wissenschaftler:innen sieht die Ursache der Herausforderungen von Ausländer:innen vor allem in ihrer rechtlichen und sozialen Diskriminierung. Sie geht davon aus, dass Benachteiligungen durch bessere strukturelle und soziale Integration ausgeglichen werden sollten (z. B. Hamburger, 1984; Radtke, 1995). Ab Anfang der 1990er Jahre werden zunehmend Rassismustheorien und antirassistische Konzepte aus Großbritannien, Frankreich und den Niederlanden in die deutsche Diskussion eingebracht. Statt der Anerkennung von kulturellen Differenzen wie in der interkulturellen Erziehung der 1980er Jahre liegt der Fokus dieser antirassistischen Pädagogik darauf, Ursachen von Diskriminierung zu identifizieren und Strategien zu entwickeln, um diese zu verhindern.

Aber noch eine weitere Entwicklung kennzeichnet die 1990er Jahre. So findet in der wissenschaftlichen Diskussion ein Perspektivenwechsel statt. Unter dem Stichwort »interkulturelle Öffnung« verschiebt sich der Fokus weg von ausländischen und inländischen Kindern und Jugendlichen hin zu den Einrichtungen und Institutionen, in denen diese betreut werden (Barwig & Hinz-Rommel, 1995). Es wird folglich nicht mehr (nur) gefragt, wie eine Pädagogik für Kinder und Jugendliche in einer durch Migration geprägten Gesellschaft gestaltet sein muss. Vielmehr liegt der Fokus auf der Frage, wie sich die Einrichtungen und Institutionen ändern müssen, um dieser Situation gerecht zu werden ( Kap. 2.1.2). Parallel setzt eine Diskussion ein, die unter dem Begriff der »interkulturellen Kompetenz« den Blick auf die notwendigen Kompetenzen und Voraussetzungen der Pädagog:innen in einer Migrationsgesellschaft richtet (Hinz-Rommel, 1994) ( Kap. 2.2).

Die 2000er Jahre sind geprägt durch den zunehmenden Einfluss von Diversity-Konzepten (z. B. Leiprecht, 2008). Statt den Blick nur auf eine Form von Differenz zu richten (z. B. Migration) verknüpfen diese verschiedene Heterogenitätsdimensionen miteinander. Dies sind beispielsweise Alter, Geschlecht, Migrationsgeschichte, Behinderung oder sozioökonomischer Status4 (Gramelt, 2021, S. 17). Diversity ist dabei kein rein deskriptiver Begriff, sondern »zielt auf die Wertschätzung sozialer Gruppenmerkmale bzw. -identitäten […]. Das pädagogische Ziel ist der positive Umgang mit Diversity sowie die Entwicklung von Diversity-Kompetenzen« (Walgenbach, 2017, S. 92). Unter dem Begriff der der Intersektionalität (Crenshaw, 1989) wird zudem darauf hingewiesen, dass verschiedene Heterogenitätsdimensionen »nicht isoliert voneinander analysiert werden können, um die Hintergründe sozialer Ungleichheit zu verstehen. Vielmehr geht es um Verwobenheit und Überkreuzungen mehrerer Kategorien – sprich Intersektionen – mit gesellschaftlichen Strukturen und Verhältnissen in Wirtschaft, Politik, Kultur etc.« (Bronner & Paulus, 2017, S. 11, Hervorhebung im Original).

Uneinigkeit herrscht in der wissenschaftlichen Community jedoch darüber, ob die Diversity-Perspektive bisherige Foki (etwa auf Migration, Gender oder Behinderung) ersetzen oder lediglich ergänzen sollte. Aus Sicht Auernheimers (2016, S. 45) etwa sollte die Diversity-Perspektive »nicht mit Erwartungen überfrachtet« werden. Sie solle vielmehr als »eine Art Meta-Perspektive« betrachtet werden, die allerdings weder die interkulturelle Pädagogik noch andere »Sonderpädagogiken« ersetzt.

Generell ist zu beachten, dass die dargestellten Ansätze und Schwerpunkte in Bezug auf die Frage des Umfangs mit migrationsbedingter Vielfalt in der Pädagogik zwar zeitlich unterschiedlich verortet werden können, sich aber nicht vollständig gegenseitig abgelöst haben. »Es besteht ein Nebeneinander bereits etablierter Arbeitsansätze [… sowie] neueren Entwicklungen« (Gögercin, 2018, S. 39).

Unter den konkreten Einzelansätzen, die seit der Jahrtausendwende großen Einfluss ausüben, gilt es insbesondere die Migrationspädagogik zu nennen (Mecheril, 2004; Mecheril et al., 2010; Mecheril, 2016). Diese zeichnet ein Gegenmodell zur interkulturellen Pädagogik der 1980er Jahre. Sie kritisiert die Fokussierung auf den Faktor Kultur und argumentiert vielmehr, dass erst durch die Thematisierung kultureller Unterschiede kulturell »Andere« erzeugt werden und es dadurch zu Ab- und Ausgrenzung kommen kann. Aufgabe der Migrationspädagogik sei es daher, zu untersuchen, »wie der/dieAndere unter Bedingungen von Migration erzeugt wird und welchen Beitrag pädagogische Diskurse und pädagogische Praxen hierzu leisten« (Mecheril, 2010, 15 f., Hervorhebung im Original). Starke Kritik äußert die Migrationspädagogik an Ansätzen, die nationale und kulturelle Zugehörigkeiten gleichsetzen. Sie selbst verwendet statt dessen den Begriff der »natio-ethno-kulturellen Zugehörigkeit« (Mecheril, 2003, S. 118 ff.).

»[Der Begriff natio-ethno-kulturell] ruft in Erinnerung, dass die sozialen Zugehörigkeitsordnungen, für die Phänomene der Migration bedeutsam sind, von einer diffusen, auf Fantasie basierenden, unbestimmten und mehrwertigen »Wir«-Einheit strukturiert werden« (Mecheril, 2010, S. 14).

Speziell im frühkindlichen Bereich haben darüber hinaus die Anti-Bias-Education (in Deutschland auch unter dem Begriff »vorurteilsbewusste Bildung und Erziehung« ( Kap. 5.2.3) bekannt) und die kultursensitive Frühpädagogik ( Kap. 5.2.3) bedeutenden Einfluss. Aber auch die Pädagogik der Vielfalt nach Annedore Prengel ist weiterhin von Bedeutung ( Kap. 5.2.3). Da diese in späteren Kapiteln diskutiert werden, wird an dieser Stelle nicht näher auf sie eingegangen.

2.1.2     Integration, Inklusion und Interkulturelle Öffnung

Im aktuellen Diskurs über den Umgang mit migrationsbedingter (und anderer) Vielfalt in Gesellschaft und Bildungseinrichtungen sind einige Begriffe von großer Relevanz, die bislang nur beiläufig Erwähnung gefunden haben. Dazu gehören insbesondere Integration, Inklusion und interkulturelle Öffnung. In den folgenden Ausführungen werden das Begriffspaar Integration – Inklusion sowie der Begriff der interkulturellen Öffnung und die mit ihnen verbundenen Konzepte vorgestellt. Im Hintergrund steht dabei stets die Frage, wie auf einer strukturellen bzw. institutionellen Ebene mit migrationsbedingter Diversität in Gesellschaft und Bildungseinrichtungen umgegangen werden muss, um eine friedliche und gerechte Gesellschaft zu ermöglichen.

1              Integration

Der Begriff der »Integration« ist nicht eindeutig definiert. Süleyman Gögercin (2018, S. 173) beschreibt ihn als »mehrdeutig« und »mit facettenreichen Implikationen« einhergehend. Viola Georgi und Filiz Keküllüoğlu (2018, S. 41) ergänzen, der Begriff werde »entweder als Prozess, als Funktion oder als Ziel verstanden«. Besonders schwierig ist die Definition aber auch aufgrund seiner kontroversen und unklaren Verwendung im öffentlichen Diskurs:

»Auch wenn es im wissenschaftlichen Kontext präzise Definitionen von ›Integration‹ gibt, wird der Begriff mehrheitlich vor allem mit den kontroversen öffentlichen Diskursen assoziiert, so dass es kaum möglich ist, die wissenschaftliche Verwendung des Begriffs von seiner Rezeption in Politik, Medien und Öffentlichkeit zu trennen« (Gögercin, 2018, S. 173 f.).

Zudem finden sich mehrere verwandte Begriffe (Assimilation, Akkulturation, Inklusion, Eingliederung oder Akkommodation), die sich mit dem Begriff der Integration überschneiden oder – je nach Definition des Integrationsbegriffs – sogar weitgehend identisch in ihrer Bedeutung sind. Als gemeinsamer Nenner kann jedoch folgende Definition gelten:

»Integration wird […] als ein Prozess verstanden, in dem die Eingewanderten und ihre Nachkommen zu integralen Bestandteilen der Gesellschaft des Landes werden sollen, in das sie migriert sind« (Georgi & Keküllüoğlu, 2018, S. 41).

In Bezug auf die Arbeit in Kindertageseinrichtungen stellt sich daher vor allem die Frage, wie dieser Prozess gestaltet werden kann, damit immigrierte Menschen und ihre Nachkommen integraler Bestandteil der deutschen Gesellschaft (und in kleinerem Rahmen auch integraler Teil der »Kita-Familie«) werden. Eine präzise Ausdifferenzierung, auf welche Weise Integration5 stattfinden kann, stammt von John W. Berry (2006)6. Abhängig davon, inwieweit die Angehörigen einer Minderheit einerseits (Herkunfts-)Kultur und -identität aufrechterhalten und andererseits Beziehungen zur Mehrheitsgesellschaft suchen, ergeben sich vier Strategien ( Abb. 2.1).

Abb. 2.1: Akkulturationsstrategien nach John W. Berry (2006, S. 23; eigene Darstellung)

Wenn sich Angehörige von Minderheiten von Herkunftskultur und -identität abwenden und gleichzeitig keine sozialen Kontakte zur Mehrheitsgesellschaft unterhalten, wird dies als Marginalisation bezeichnet. Zu Separation kommt es, wenn Angehörige von Minderheiten Herkunftskultur und -identität aufrechterhalten, aber keine oder kaum Beziehungen zur Mehrheitsgesellschaft unterhalten. Unter Assimilation versteht Berry die Aufgabe von Herkunftskultur und -identität bei gleichzeitiger starker sozialer Eingliederung in die Mehrheitsgesellschaft. Die eigentliche Integration in Berrys Sinne findet dagegen statt, wenn es Angehörigen von Minderheiten gelingt, einerseits Herkunftskultur und -identität aufrecht zu erhalten, aber gleichzeitig soziale Beziehungen zur Mehrheitsgesellschaft einzugehen.

Zum Nachdenken

 

Welche der vier Strategien finden Sie am sinnvollsten? Weshalb?

Integration stellt nach Berry diejenige Strategie dar, die mit dem geringsten Stresslevel verbunden ist, während Marginalisation die problematischste der beschriebenen Strategien darstellt (Berry, 2006, S. 31). Diese Ansicht findet im wissenschaftlichen Diskurs breite Anerkennung. Vielfach betont wird dabei auch, dass Integration nicht lediglich als Aufgabe der Minderheitsangehörigen, sondern ebenso Aufgabe der Mehrheitsgesellschaft anzusehen ist:

»Integration kann nicht nur einseitig als Aufgabe der (zu integrierenden) Individuen verstanden werden und die Verantwortung an sie delegiert werden, sondern ist als reziprokes Verhältnis zu betrachten. Integration heißt hier von Seiten der (Mehrheits-)Gesellschaft, die entsprechenden strukturellen, rechtlichen und sozialen Voraussetzungen zu schaffen, so dass die (integrierenden) Subjekte aktiv gesellschaftlich partizipieren und mitgestalten können« (Riegel, 2009, S. 37).

Zu beachten ist auch, dass es nicht allein in der Verantwortung und den Möglichkeiten der Minderheiten liegt, die für sie passende Strategie auszuwählen. Vielmehr kann Integration als Strategie nur dann gewählt werden, wenn in der Mehrheitsgesellschaft eine offene und inklusive Haltung gegenüber kultureller Diversität zu finden ist (Berry, 2006, S. 24).

2              Inklusion

Einige Wissenschaftler:innen kritisieren am Konzept der Integration jedoch die ihm zugrunde liegende »Zwei-Gruppen-Theorie« (Hinz, 2002, S. 359). Denn bei der Diskussion über Integration werden zwangsläufig zwei Gruppen (z. B. Menschen mit und ohne Migrationshintergrund oder Menschen mit und ohne Behinderung) voneinander unterschieden. Diese Kritik aufgreifend hat sich in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend der Begriff der »Inklusion« durchgesetzt. Ursprünglich wurde der Begriff primär auf die Eingliederung von Menschen mit Behinderung bezogen. Im Vorwort der deutschen Version der UN-Behindertenrechtskonvention, die 2001 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen beschlossen wurde, schreibt die Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen:

»Das Leitbild der Behindertenrechtskonvention ist »Inklusion«. Es geht also nicht darum, dass sich der oder die Einzelne anpassen muss, um teilhaben und selbst gestalten zu können.

Es geht darum, dass sich unsere Gesellschaft öffnet, dass Vielfalt unser selbstverständliches Leitbild wird. Es geht um eine tolerante Gesellschaft, in der alle mit ihren jeweiligen Fähigkeiten und Voraussetzungen wertvoll sind« (Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen, 2017, S. 3).

Mittlerweile findet der Inklusions-Begriff jedoch auch in Bezug auf andere Diversitätsdimensionen Verwendung und hat den Begriff der Integration einigen Bereichen sogar abgelöst.

Georgi und Keküllüoğlu (2018, S. 44) bezeichnen Inklusion als »optimierte, erweiterte oder gar visionäre Version von Integration«. Im Unterschied zum Integrationsbegriff sieht Inklusion soziale Gruppen grundsätzlich als heterogen und als zusammengesetzt aus zahlreichen verschiedenen Mehr- und Minderheiten an. Im Fokus steht daher nicht mehr die Eingliederung einer Gruppe von Menschen in eine andere, sondern das Zusammenleben aller Menschen bei gleichzeitiger Anerkennung von Diversität gleich welcher Form ( Abb. 2.2).7

Abb. 2.2: Exklusion – Integration – Inklusion (Aktion Mensch, o.J.)

3              Interkulturelle Öffnung

Eng verbunden mit dem Gedanken, dass Integration nicht nur in der Verantwortung der Angehörigen von Minderheiten, sondern auch der Mehrheitsgesellschaft liegt, ist die Idee der interkulturellen Öffnung. Entscheidenden Anstoß für die deutsche Diskussion gab das 1995 publizierte Werk von Klaus Barwig und Wolfgang Hinz-Rommel (1995) »Die interkulturelle Öffnung sozialer Dienste«. Seither erfährt die interkulturelle Öffnung wachsende Beachtung in der deutschen Gesellschaft und ist mittlerweile zu einem »Postulat der sozialen Gerechtigkeit« (Schröer, 2018, S. 774 f.) geworden, das sich an die Gesellschaft insgesamt, aber auch an ihre Institutionen richtet.

»Der Begriff der interkulturellen Öffnung basiert auf einem weiten Kulturverständnis und bezieht sich als solches nicht nur auf unterschiedliche Sichtweisen auf Basis von Kultur, sondern betrifft auch das Verhältnis der Geschlechter, zwischen Generationen oder Menschen mit unterschiedlichen körperlichen und geistigen Fähigkeiten« (Schröer, 2018, S. 775).

Interkulturelle Öffnung bezieht sich auf die strategische Ausrichtung von Organisationen, die sich etwa in Organisations-, Personal- oder Qualitätsentwicklung niederschlägt. Eine besondere Beachtung erfährt dabei der Abbau von Zugangsbarrieren (Mayer & Vanderheiden, 2014, S. 35; Schröer, 2018, S. 776). Definieren lässt sich der Begriff daher folgendermaßen:

»Interkulturelle Öffnung kann zusammenfassend verstanden werden als ein bewusst gestalteter Prozess, der (selbst-)reflexive Lern- und Veränderungsprozesse von und zwischen unterschiedlichen Menschen, Lebensweisen und Organisationsformen ermöglicht, wodurch Zugangsbarrieren und Abgrenzungsmechanismen in den zu öffnenden Organisationen abgebaut werden und Anerkennung ermöglicht wird« (Schröer, 2007, S. 83).

Die Basis interkultureller Öffnung ist nach Hubertus Schröer eine interkulturelle Orientierung. Diese zielt auf Anerkennung von Menschen in ihrer Diversität.

»[Sie bildet] die Grundlage dafür, dass Gruppen und Individuen ihre jeweiligen Interessen vertreten, dass die Beteiligten eine selbstreflexive Haltung gegenüber der eigenen Kultur einnehmen können und dass dadurch eine gleichberechtigte Begegnung ermöglicht wird. Auf dieser Basis bietet interkulturelle Orientierung die Chance, das Verhältnis zwischen Mehrheit und Minderheit und die damit verbundene Definitionsmacht und die ungleiche Verteilung von Ressourcen zum Thema zu machen« (Schröer, 2018, S. 776).

Im Bereich von Kindertageseinrichtungen sind es nach Otto Filtzinger (2014, S. 211 ff.) insbesondere die folgenden Elemente, die im Zentrum interkultureller Öffnungsprozesse stehen (sollten): Die Interkulturelle Dimension in der Konzeption, interkulturelle Teamfortbildungen und kollegiale Beratung, Beschäftigung von multikulturellem Fachpersonal, interkulturelle Elternpartnerschaft und Elternpartizipation, Beseitigung von Zugangsbarrieren, Kommunikations- und Sprachenvielfalt sowie die regelmäßige Überprüfung der Interkulturalität.

2.2       Interkulturelle Kompetenz von pädagogischen Fachkräften

Wie bereits dargelegt, ist es in Bezug auf die Frage nach dem Umgang mit migrationsbedingter Vielfalt in Kindertageeinrichtungen sinnvoll, die Ausrichtung pädagogischer Institutionen und Angebote zu reflektieren und gegebenenfalls anzupassen ( Kap. 2.1.). Eine mindestens ebenso große Bedeutung kommt jedoch den pädagogischen Fachkräften selbst, ihrem Wissen, ihren Fähigkeiten und ihren Einstellungen zu. Ihnen wird sich das nun folgende Kapitel zuwenden.

In Kapitel 2.2.1 ( Kap. 2.2.1) werden Definitionen und Modelle interkultureller Kompetenz vorgestellt. Kapitel 2.2.2 ( Kap. 2.2.2) fokussiert sich auf die Bedeutung des Wissens über Machtasymmetrien, Diskriminierung und Fremdbildern. Anschließend geht Kapitel 2.2.3 ( Kap. 2.2.3) auf eine Fähigkeit ein, die durch die große Komplexität und umfassende Diversität aktueller Migrationsgesellschaften an besonderer Bedeutung gewinnt: der Reflexionskompetenz.

2.2.1     Definition und Modelle interkultureller Kompetenz

Interkulturelle Kompetenz gilt bereichsübergreifend – sei es in der Wirtschaft, in der Pflege, im Privaten oder in der Pädagogik – als »Schlüsselqualifikation« des 21. Jahrhunderts (Schondelmayer, 2018). Der interkulturellen Kompetenz von Kita-Fachkräften kommt dabei jedoch eine doppelte Bedeutung zu. Einerseits wird sie benötigt, damit pädagogische Fachkräfte selbst gut in interkulturellen Situationen mit Eltern, Kindern, Kolleg:innen, Trägern etc. agieren können. Andererseits ist die interkulturelle Kompetenz der pädagogischen Fachkräfte unabdingbare Voraussetzung dafür, das interkulturelle Lernen der ihnen anvertrauten Kinder zu fördern, wie es zahlreiche Bildungspläne fordern ( Kap. 5). Entsprechend werden auch in den Bildungsplänen der Länder »›kulturelle und soziale Kompetenzen‹ sehr häufig als grundlegende Fähigkeiten pädagogischer Fachkräfte definiert« (Borke, 2017, S. 113). Offen bleibt jedoch nicht selten, was damit genau bezeichnet wird.

Eine weithin anerkannte Definition interkultureller Kompetenz beschreibt diese als die »Fähigkeit, effektiv und angemessen in interkulturellen Situationen zu kommunizieren« (Deardorff, 2006, S. 15). Überträgt man diese Definition auf den frühpädagogischen Bereich, erscheint die starke Orientierung an Effizienz und der Durchsetzung von Zielen für diesen Bereich jedoch nur eingeschränkt geeignet. Gleichzeitig bleiben viele Aspekte unerwähnt, die für das Arbeitsfeld Kita von großer Bedeutung sind. Es bedarf folglich einer an das Handlungsfeld Kita angepassten, Definition (Herzog, 2003, S. 179; vgl. Leenen et al., 2013, S. 116; Moosmüller, 2000, S. 25 ff.).

Für die Soziale Arbeit schlagen Rainer Leenen und Kollegen, etwas allgemeiner formuliert, die folgende Definition vor:

»Interkulturelle Kompetenz besteht […] in einem Bündel von Fähigkeiten, die einen produktiven Umgang mit der Komplexität kultureller Überschneidungssituationen erlauben« (Leenen et al., 2013, S. 114).

Die Autoren verweisen damit auf so genannte Listen- oder Strukturmodelle8 interkultureller Kompetenz, welche interkulturelle Kompetenz als Konglomerat mehrerer Einzelkompetenzen definieren. Meist wird dabei zwischen affektiven, kognitiven und verhaltensbezogenen Kompetenzen unterschieden (vgl. z. B. Auernheimer, 2016, S. 20; Bolten, 2006; für einen Überblick über verschiedene Modelle zur interkulturellen Kompetenz vgl. Bolten, 2020; Petra Wagner, 2017, S. 263; Spitzberg & Changnon, 2009). Leenen und Kollegen unterscheiden dagegen »Interkulturell relevante allg. Persönlichkeitseigenschaften«, »Interkulturell relevante soziale Kompetenzen«, »spezifische Kulturkompetenzen« und »kulturallgemeine Kompetenzen« ( Tab. 2.1