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Sommerferien in Salztal. Inmitten der schönsten Zeit des Jahres führt eine alte Geschichte Mika und Finn in den naheliegenden Steinbruch, wo ihre Neugierde Unglaubliches zu Tage fördert. Im Schiefergestein, tief vor den Augen der Welt verborgen, schlummern nicht nur goldglänzende Ammoniten, sondern auch andere bislang unentdeckte Geheimnisse. Aber das ist noch längst nicht alles.
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Seitenzahl: 152
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Für Mika und Jasmin.
Ich liebe euch.
Für alle Abenteurer dieser Welt.
Endlich Ferien
Lagerfeuergeschichten
Das Galgenwäldchen
Der Steinbruch
Im Stadtarchiv
Fossilienschatztruhe
Artensterben
Blitz und Donner
Noch mehr Ammoniten
Der Sensationsfund
Reporteransturm
Interviewmarathon
Goldraub
Sommerferienende
Über den Autor
Mika erwachte schweißgebadet. Sein Wecker zeigte in großen weißen Ziffern 4:55 Uhr an. Er zog sich die Bettdecke bis knapp unter die Augen und blieb regungslos liegen. Seine Atmung ging schnell und flach. Da war es wieder. Durch sein Fenster flackerte Licht schummrig in sein Zimmer. Schatten warfen sich an die Wände und wirbelten wild umher. Mika zögerte erst und bewegte seine Hand dann millimeterweise unter der Decke hervor und in Richtung des Lichtschalters seiner Nachttischlampe. Er knipste das Licht an.
Augenblicklich waren alle Schatten wie von Zauberhand verschwunden. Er wartete einige Sekunden und stieg dann, noch immer etwas schlaftrunken und wackelig auf den Beinen, aus seinem Bett. Ein paar Schritte später stand er am Fenster und blickte in die beginnende morgendliche Dämmerung. Beim Blick in den Garten konnte er nichts Ungewöhnliches feststellen. Er musste geträumt haben. Zum Glück.
Als etwa eine Stunde später sein Wecker klingelte, fühlte sich Mika wie gerädert. Er ging unter die Dusche und das heiße Wasser brachte die Lebensgeister langsam zurück. Letzter Schultag, dachte er bei sich und vollführte ein kurzes Freudentänzchen.
Sechs Wochen frei und keine nervigen Hausaufgaben. Abends so lange aufbleiben wie er wollte und morgens einfach ausschlafen. Das Leben, wie es immer sein sollte. Mika trocknete sich rasch ab, zog sein Lieblingsshirt und eine kurze Hose an und checkte kurz den Rucksack für die Schule. Alles drin. Er ging in die Küche, aß ein Müsli und machte sich auf den Weg. Der letzte Tag des Schuljahres war auch immer der beste Tag des Schuljahres und selbst alle Lehrer zu sehen, fühlte sich nur halb so schlimm an wie sonst.
Der Vormittag verging wie im Flug, denn kein Lehrer machte auch nur ansatzweise Anstalten, als wollte er noch ernsthaft Wissen vermitteln. So verbrachten sie die Schulstunden mit Filmen oder Gesprächen darüber, wer welche Pläne für die Sommerferien hatte oder wohin der Urlaub in diesem Sommer führen würde. Als die Schulglocke das Ende der letzten Stunde verkündete, sprangen alle Kinder von ihren Stühlen auf, packten ihre Rucksäcke und verließen eiligen Schrittes das Schulgebäude. Gemeinsam mit seinen besten Freunden Finn, Jule, Benni und Bela durchquerte Mika den langen Gang. Sie traten hinaus ins Freie und staunten nicht schlecht, als Herr Portmann, der allseits beliebte Hausmeister der Schule, dort bereits auf sie wartete.
„Da seid ihr ja endlich“, rief er freudig.
„Ich dachte schon, ihr hättet den Hinterausgang genommen. Obwohl, das geht ja gar nicht. Den habe ich ja extra abgeschlossen.“
Herr Portmann lachte, während er den Basketball unentwegt und ohne ihn auch nur eines Blickes zu würdigen prellte.
„Echt jetzt? Muss das sein?“, rief Mika gespielt gelangweilt in Richtung des Hausmeisters, obwohl er sich insgeheim über das jährliche Abschlussritual mit ihm freute.
„Was muss, muss!“, folgte als knappe Antwort.
Mika lief die Treppe hinunter, ging zur Tischtennisplatte und warf seinen Rucksack darauf. Seine Freunde folgten ihm und als er sie so betrachtete, kam ihm eine bessere Idee.
„Ich mag unser Spielchen, aber wie wäre es in diesem Jahr mit einer Regeländerung? Wir sind zu sechst. Wie wäre es also einfach mit drei gegen drei? Fünfzehn Minuten Powerbasketball.“
Herr Portmann grübelte kurz darüber nach und nickte dann zustimmend. Kurzerhand rekrutierte er Frau Kohlfeldt als Schiedsrichterin, die eher zufällig in diesem Augenblick vorbeikam.
Sie war die Klassenlehrerin von Mika und wollte eigentlich gerade nach Hause gehen, doch so unmittelbar vor den Ferien war sogar die sonst eher strenge Lehrerin für einen Spaß zu haben. Und so kam es, dass sich unter den Anfeuerungsrufen einer Handvoll Schüler Herr Portmann, Jule und Bela ein Duell auf Augenhöhe mit Mika, Finn und Benni lieferten, bis Frau Kohlfeldt das Spiel fünfzehn Minuten später und bei Unentschieden für beendet erklärte.
Mika stand nach vorne gebeugt, die Hände knapp oberhalb der Knie auf die Oberschenkel gestützt und keuchte ein „gut gespielt“ in Richtung des Hausmeisters. Der antwortete stumm mit einem Daumen hoch. Damit schien alles gesagt zu sein.
Nachdem alle wieder zu Luft und Kräften gekommen waren, zerstreute sich die kleine Gruppe und Mika machte sich mit Finn und Jule auf den Heimweg.
„Treffen wir uns heute Abend für ein Lagerfeuer mit Stockbrot am Strand?“, fragte Jule, nur um sich zu vergewissern, dass die Tradition der letzten Jahre beibehalten würde.
„Logisch! Wo sonst?“, folgte als gemeinschaftliche Antwort.
Jule, Bela und Benni nahmen ihre Fahrräder und machten sich auf den Weg nach Hause, während Mika und Finn zu Fuß gingen.
„Ich kündige es schon einmal vorsichtshalber an. Diese Sommerferien machen wir eine Abenteuerpause. Es gibt nur Sonne, Meer und Strand. Chillen ist angesagt“, startete Finn, nachdem niemand eine Weile etwas gesagt hatte und sie in die Bäckergasse eintraten.
„Hhm. Ja. Warum nicht. Klingt irgendwie ganz vernünftig“, antwortete Mika kurz und knapp.
„Was ist los? Was hast du?“
„Ich muss dir etwas erzählen, aber versprich mir, dass du nicht lachst!“, sagte Mika und blickte sich prüfend um, bevor er weitersprach.
„Ich hatte einen voll gruseligen Traum heute Nacht. Ich lag in meinem Bett, als mich ein Geräusch aufweckte. Erst wusste ich nicht, was es war. Ich hörte nur das Heulen des Windes und Schatten warfen sich an die Wände in meinem Zimmer. Doch dann hörte ich etwas meinen Namen rufen. Ich ging zum Fenster und da blickte mich etwas an. Ich kann es gar nicht genau beschreiben, aber es war, als hätte sich ein Riese groß wie ein Berg nach unten gebückt, um in mein Fenster zu schauen. Er hatte ein knorriges, fast felsiges Gesicht und auf dem Rücken trug er Bäume und Sträucher, die sich unentwegt im Wind bewegten und er blickte mich an und sagte dann, dass ich ihm folgen soll.“
Mika machte eine Pause.
„Und dann? Was ist dann passiert?“, fragte ein aufgeregter Finn.
„Nichts. Ich bin aufgewacht.“
„Alter! Das ist aber mal eine Geschichte für das Lagerfeuer.“
Während seiner Erzählung bemerkte Mika, dass ihm der Schrecken noch immer tief in den Knochen saß. Für eine Weile liefen die beiden Freunde schweigend nebeneinander her.
Sie überquerten die Kreuzung Bäckergasse und Kirchgasse und warfen dabei einen Blick nach links. Am unteren Ende, direkt unterhalb der Hafenstraße, schloss sich der Strand an und dort lag der Ort sommerlicher Sehnsüchte. Das Meer!
Wenige Augenblicke später bog Finn in der Gerbergasse augenzwinkernd zu seiner Oma ab und Mika musterte ausgiebig ihr Klingelschild, auf dem der Name ‚von Drachenstein‘ stand.
„Von Drachenstein. So würde ich auch gerne heißen“, murmelte Mika vor sich hin.
Er lief weiter und streifte beim Überqueren des Sternplatzes die Rinde der riesigen Linde, die schon ewig dort stand und auf den Namen stiller Sven hörte, wie Mika im letzten Sommer erfahren hatte. Wenig später stand er bereits vor seinem Zuhause in der Charles-Darwin-Straße 38, einem dreistöckigen Eckhaus mit blauen Fensterläden und einem kleinen Vorgarten vor und einem größeren Garten hinter dem Haus.
Mika schloss die Tür auf. Er rief ins Haus hinein, aber niemand antwortete. Nur das gleichmäßige Ticken der Pendeluhr im Wohnzimmer begrüßte ihn. Am Kühlschrank hing ein Zettel, auf dem geschrieben stand, dass seine Eltern unterwegs waren und Besorgungen machten und noch kalte Nudeln vom Vortag auf ihn warteten. Er nahm sich eine Pfanne, machte etwas Öl heiß und warf die Nudeln gemeinsam mit zwei Eiern hinein. Als alles fertig war, schüttete Mika die Nudeln auf einen Teller und ertränkte sie mit Ketchup. Er nahm sich ein Glas Leitungswasser und setzte sich zum Essen auf die Hollywoodschaukel.
„Auf die Sommerferien!“, prostete er sich zu und startete den Angriff auf den Nudelteller.
Als Mika zum Strand kam, knisterte das Lagerfeuer bereits und schleuderte Funken wie goldene Glühwürmchen in den Abendhimmel. Jule, Finn, Benni und Bela begrüßten ihn und vertieften sich sofort wieder ins Umwickeln ihrer Stöcke mit Teig für das traditionelle Stockbrot. Wenig später hielten sie ihre Stöcke bereits über das Feuer und waren voller Vorfreude. Finn zwinkerte Mika verschwörerisch zu.
„Wolltest du nicht etwas erzählen?“, flüsterte Finn und alle Blicke richteten sich sofort auf Mika.
„Ich weiß nicht. Wollte ich? Passt mal lieber auf euer Stockbrot auf! Sonst habt ihr am Ende Stockkohle.“
Mika konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen, bevor er weiterredete.
„Okay. Ich erzähle euch von meinem Traum von letzter Nacht, weil Finn meint, dass der gut zum Lagerfeuer passen würde.“
Er machte eine Pause, um die Spannung noch weiter zu steigern. Alle Augen waren gebannt auf ihn gerichtet und jeder wartete, was Mika wohl zu erzählen hatte. Die nächste Viertelstunde erzählte er in aller Ausführlichkeit von seinem Traum und ließ kein Detail aus. Vor allem den Riesen und dessen knorriges Gesicht beschrieb Mika genauestens und mit allen Details. Als er seine Ausführungen beendet hatte, herrschte erst einmal Schweigen.
Benni runzelte die Stirn.
„Irgendwie kommt mir der Riese aus deiner Beschreibung bekannt vor. Das klingt fast so, als würdest du das Galgenwäldchen beschreiben.“
Alle schauten auf Benni.
„Das Galgenwäldchen? Was oder wo ist das denn?“,
fragte Jule und Finn ergänzte:
„Der Name klingt ja vielleicht gruselig.
Galgenwäldchen. Da schauert es mich schon beim Namen. Erzähl, Benni! Was weißt du darüber?“
„Eigentlich nicht viel. Ich kenne es eher zufällig. Wenn man an der alten Minna entlang durch das Klagetor geht und dann der Straße nach links folgt, kommt irgendwann eine Erhebung. Sie sieht aus wie der Rücken von einem buckligen Riesen, der sich dort schlafen gelegt hat. Auf seinem Rücken stehen Bäume und Sträucher, aber wenn man die Erhebung unten entlang bis zum alten Steinbruch umrundet und dann auf der anderen Seite steht, da sieht der Fels aus wie ein Gesicht mit einer riesigen knorrigen Nase.“
„Und warum heißt der Hügel Galgenwäldchen?“, fragte Bela in die Runde.
„Der Name ist Programm. Früher hat man dort angeblich Verbrecher gehängt. Das wollte man nämlich nicht in der Stadt machen. In der Stadt wollte man zeigen, wie zivilisiert man schon war. Außerhalb der Mauern der Stadt galten dann andere Regeln“, antwortete Benni.
„Was du alles weißt. Ich weiß nicht, vor wem ich mehr Angst haben sollte. Vor dir oder vor dem Galgenwäldchen“, schüttelte sich Mika etwas gekünstelt.
Eine Weile herrschte Schweigen, dann sagte Finn:
„Damit ist doch alles klar. Wir machen morgen einen Ausflug zum Galgenwäldchen.“
Mika sah Finn entgeistert an, doch nach einer Weile fasste auch er sich ein Herz.
„Na gut. Gebongt. Ich bin dabei.“
„Ich auch. Ihr braucht doch leckere Schokocroissants“, rief Jule lachend in die Runde.
„So ein Mist! Benni und ich fahren beide in den Urlaub.
Macht echt keinen Scheiß. Ich will nicht schon wieder zurückkommen und erfahren, dass ihr ein Megaabenteuer ohne uns erlebt habt“, echauffierte sich Bela.
„Nee, versprochen. Kein Abenteuer in diesen Sommerferien!“, konterte Finn und alle mussten lachen.
Als Jule am nächsten Tag am Burgturm ankam, der sich an das Wohnhaus von Finn von Drachenstein anschloss, saßen Mika und Finn bereits auf der Streusalzkiste, die direkt am Burgturm stand und ließen sich von der Sommersonne grillen.
„Ich hoffe, ihr habt euch mit Sonnencreme eingecremt!“, begrüßte Jule die beiden Jungs, noch bevor sie vom Fahrrad abgestiegen war.
„Hallo Jule. Dir auch einen schönen Tag“, antwortete Finn und zwinkerte ihr zu.
„Mach dir keinen Kopf um uns. Wir sind immer bestens vorbereitet und natürlich zählt dazu auch ein ausreichender Sonnenschutz“, ergänzte Mika und warf ihr einen Apfel zu.
„Hier, fang!“
Jule fing den Apfel betont lässig, rieb ihn kurz an ihrem Shirt und biss genüsslich hinein.
„Und Jungs? Irgendwelche neuen Erkenntnisse über das Galgenwäldchen seit gestern Abend?“
„Nicht wirklich. Mein Vater hat mir erzählt, dass dort noch bis Anfang des 20. Jahrhunderts verurteilte Verbrecher gehängt oder erschossen wurden. Der ein oder andere in Salztal glaubt immer noch, dass es dort spukt und nachts die ruhelosen Seelen umherwandern, was natürlich Quatsch ist, wenn ihr mich fragt.“
Jule und Mika sahen Finn mit großen Augen an.
„Was schaut ihr mich so an? Scheint doch ein cooler Ort für eine Radtour zu sein oder etwa nicht?“
Mit einen Satz sprang Finn von der Streusalzkiste, lief zu seinem Mountainbike und stieg auf.
„Sattelt die Hühner! Es geht los“, rief er augenzwinkernd.
Jule und Mika folgten ihm stumm.
Sie fuhren den Weg entlang der alten Minna, dem Flüsschen der Stadt, das wie immer bei Sonnenschein wie eine Schatztruhe aus Edelsteinen glitzerte. Bei diesem Anblick musste Mika unwillkürlich an die Abenteuer des letzten Sommers denken. Bei einer Bootsexpedition hatten sie eine Reihe wichtiger Erkenntnisse gesammelt. Sie fanden heraus, dass es viel Mikroplastik in der Bucht von Salztal gab, aber dafür gleichzeitig zu wenige Fische. Sie retteten einem Walkalb, das sich in einem alten Fischernetz verheddert hatte, das Leben und stießen im Laufe ihrer Nachforschungen sowohl auf den Verantwortlichen, als auch auf eine alte Geschichte um einen Piratenschatz.
Und sogar dieses Rätsel entschlüsselten sie. Am Ende fanden sie eine sagenumwobene Schatztruhe mit einhundert Münzen aus purem Gold.
All das ging Mika entlang der glitzernden, alten Minna im Kopf herum. Die Wildnis entlang des Flüsschens wiederum summte und brummte nur so vor Leben.
Käfer, Bienen und Schmetterlinge hatten hier ihr Zuhause gefunden und sorgten dafür, dass dieses Biotop nur so vor Leben strotzte.
Bereits wenig später passierten sie das Klagetor und hielten sich stadtauswärts links. Die Straße verlief gerade und parallel zum Waldrand und so kamen sie gut voran.
Mika schaute während der Fahrt immer wieder abwechselnd nach links und dann nach rechts. Der Kontrast faszinierte ihn. War links die Landschaft offen und sonnendurchflutet, wirkte der Wald auf der anderen Seite düster und undurchdringlich. Als er seinen Blick wieder nach vorne richtete, konnte er in der Ferne bereits eine bucklige und bewaldete Erhöhung erkennen.
„Ist das da vorne das Galgenwäldchen?“, fragte er in Richtung seiner vorausfahrenden Mitstreiter.
„Gut möglich“, erwiderte Finn kurz und knapp.
Mika blickte gebannt auf die bucklige Erscheinung, der er mit jeder Umdrehung seiner Reifen näherkam und die vor ihm immer größer wurde. Er musste an die Worte von Benni vom Vorabend denken und tatsächlich sah der Hügel einem schlafenden Riesen ähnlich, auf dessen Rücken es sich die Natur mit Bäumen und Sträuchern bequem gemacht hatte.
Mit einer Vollbremsung hielten sie an.
„Sie haben ihren Bestimmungsort erreicht“, rief Finn lächelnd in die Runde.
Er schob sein Fahrrad an die ersten Bäume des Hügels und kettete es an. Jule und Mika taten es ihm gleich.
Sie hatten ihre Fahrräder gerade angeschlossen, als ein böiger Wind aufkam und mit einem Heulen durch das Wäldchen blies. Alle drei zuckten zusammen.
„Das ist ja mal eine Begrüßung, aber wenn du glaubst, dass uns das Angst macht, hast du dich geirrt“, rief Finn halbstark in das Wäldchen.
Der Blätterwald antwortete mit lautem Blätterrascheln.
Finn blickte sich um, zuckte mit den Schultern und beschritt dann mit festen Schritten das Wäldchen, während sich Mika die Umgebung genauer anschaute.
Der Hügel war weitgehend gemischt bewaldet.
Zwischen vereinzelten Nadelbäumen blitzten die hellen Stämme von Birken auf, die zumeist aufrecht, zum Teil aber auch gebeugt eine merkwürdige Szenerie abgaben.
Dazwischen wuchsen Sträucher unterschiedlichster Art.
Der Boden wiederum war mit Gräsern, Kräutern und Wildblumen bedeckt und hier und da konnte man nacktes Gestein ausmachen.
„Ist doch eigentlich ganz schön hier“, versuchte Jule die Stille aufzulösen.
„Das stimmt wohl, aber irgendwie hat der Ort mit seiner Geschichte auch etwas Gruseliges. Meinst du nicht auch?“, erwiderte Mika, griff Jules Hand und zog sie im Schlepptau in das Wäldchen hinein.
Sie erklommen gemeinsam den buckligen Hügel und machten dann eine kurze Pause. Mika wollte Jules Hand eigentlich wieder loslassen und im Rucksack nach seiner Trinkflasche suchen, doch Jule hielt seine Hand fest.
Zum Erstaunen von Mika fühlte sich die Berührung im selben Moment vertraut, neu, warm, aufregend, aufwühlend, irritierend, komisch und wunderschön an.
Noch während er versuchte seine Gedanken zu sortieren, wurde das Wirrwarr in seinem Kopf von Finns Stimme durchdrungen.
„Was steht ihr da herum wie angewurzelt? Kommt ihr endlich? Ihr seht ja aus wie zwei Verliebte.“ Beide ließen einander fast gleichzeitig los und während Jule leichtfüßig nach vorne sprang, folgte ihr Mika fast zögerlich. Als er irgendwann doch zu ihr aufgeschlossen hatte, gingen sie gemeinsam bis zum Ende des Hügels.
Dort, kurz bevor der Hügel schroff abfiel, gab es keine Bäume mehr, sondern nur ein kleines Plateau. Von hier aus hatte man einen guten Blick über die offene Landschaft mit ihren Wiesen und Feldern. Selbst Salztal mit seinen Türmen war von hier aus gut zu erkennen.
„Meint ihr, dies hier ist der Ort, an dem man die Leute gehängt hat?“, fragte Jule nach einer Weile zögerlich.
„Ich weiß es nicht. Könnte aber gut möglich sein. Der Ausblick ist wirklich wunderschön, auch wenn das an einem solchen Ort irgendwie merkwürdig klingen mag“, erwiderte Finn und lief bis ans Ende des Plateaus. Er blickte hinunter und musste plötzlich lachen.
„Schaut mal den krummen Vorsprung da unten an! Das sieht ja wirklich wie eine schiefe Nase aus. Genau wie Benni es beschrieben hat. Und da ist auch der alte Steinbruch. Schaut doch!“
Jule und Mika liefen nach vorne, schauten nach unten und nickten dann zustimmend.
Für eine kurze Pause hielten die Freunde schweigend inne. Die Sonne schien warm vom makellosen blauen Himmel herab und die Vögel um sie herum zwitscherten ihre Lieder.
Mika setzte sich an den Abgrund, ließ seine Beine baumeln und kramte eine Wasserflasche und drei Äpfel aus seinem Rucksack hervor. Er zwinkerte Jule und Finn zu und warf ihnen gleichzeitig jeweils einen Apfel entgegen. Beide taten es ihm gleich und setzten sich neben ihn. Der Stein unter ihnen war durch die Sonne aufgeheizt und gab eine angenehme Wärme ab.
„Ist es nicht voll schön hier? Nur wir und sonst niemand und die gesamte Schönheit der Natur liegt uns zu Füßen“, unterbrach Mika die Stille nach einer Weile.
Zustimmendes Brummen folgte.
„Manchmal frage ich mich, wie es mit der Erde wohl weitergehen wird? Wie wird wohl alles in hundert oder tausend Jahren aussehen oder vielleicht in hunderttausend Jahren? Können wir dann überhaupt noch auf der Erde leben und gibt es überhaupt noch Leben auf der Erde? Wird die Menschheit die Kurve gekriegt haben oder hat sie alles zerstört?“