Mille grazie Sicilia - Patricia Bastian-Geib - E-Book

Mille grazie Sicilia E-Book

Patricia Bastian-Geib

4,9

Beschreibung

Was so alles passieren kann, wenn man monatelang im Reisemobil auf Sizilien lebt, davon erzählt dieses Buch. Mit Feingefühl und wachem Blick spürt Patricia Bastian-Geib dem Zauber Siziliens nach. Sie erzählt von Naturgewalten und erfolgreicher Mäusejagd, vom Verkehrschaos in Palermo und einer sizilianischen Silvesterfeier. Sie führt dem Leser monumentale Tempel und eindrucksvolle Städte vor Augen, nimmt ihn mit auf den verschneiten Ätna und zu kilometerlangen Stränden. Unterhaltsam und sympathisch offen berichtet sie von ihren zum Teil abenteuerlichen Erlebnissen und menschlichen Begegnungen. Dabei verschweigt sie bei aller Leidenschaft für das Unterwegssein auch kritische Aspekte nicht. Ein sizilianisches Sprichwort sagt, Du bist erst dann wirklich daheim auf Sizilien, wenn du sieben Handvoll Salz zu dir genommen hast. "Da müssen wir wohl noch einige Male wiederkommen", meint die Autorin.

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Seitenzahl: 198

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Zur Autorin:

Ballast abwerfen.

Zu neuen Ufern aufbrechen.

Zeit haben.

Reisen.

Die Autorin und ihr Ehemann wagten es und tauschten ihren festen Wohnsitz gegen ein Nomadenleben. Sechs Jahre lang waren sie mit ihrem Reisemobil in Europa und Marokko unterwegs. Die Straße war ihr Zuhause. Heute leben sie in Idstein im Taunus, sind aber immer noch die meiste Zeit unterwegs.

Man merkt es den stimmungsvollen Berichten an, dass Patricia Bastian-Geib das Reisen liebt und sich Neugier und Offenheit bewahrt hat. Schon immer wollte sie wissen, wie es „woanders“ ist. Ihre Reiseeindrücke verarbeitet die Autorin in Erzählungen und in Multivisionsschauen, die sie gemeinsam mit ihrem Ehemann gestaltet und präsentiert.

Mehr erfahren Sie unter www.zweiaufachse.de

Dort gibt es auch weitere Leseproben.

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Der ganz normale tägliche Wahnsinn

Nostalgischer Abstecher

Immer Richtung Süden

Hauch der Ewigkeit

Bella Tropea

Neue Leichtigkeit

„Ups“, kein Platz mehr

Alltag

„Auteluke!“

Sätze ohne Fragezeichen

Frühlingsaufbruch

Sachzwänge

Welch eine Rückkehr!

Ein wenig wie „nach Hause kommen“

„Zugabe, Zugabe!“

„Can I help you?“

Die spröde Schöne

Sizilianische Logik

Auch das ist Natur!

Freiheit beginnt im Herzen

Schon wieder ein Jahr vorüber

Was für ein Theater!

Die Tage plätschern dahin

Mosaik- und Keramikkunst vom Feinsten

Das letzte Erdbeereis

Goldtupfen

Die dunklen Schleier reißen auf

Wellnesstag auf Sizilianisch

Etwas Polemik sei erlaubt

Und Mongibello raucht

Il mare secco und mächtige Felsen

Alltag, aber jeden Tag anders

Weltpolitische Brisanz

Meisterwerke

Zarte Mandelblüten vor mächtigen Tempeln

Der Gedanke ist verlockend!

Es wird Zeit aufzubrechen

Geisterstädte

Zwischen San Vito lo Capo und Scopello

Grazie, mille grazie

Neuorientierung

Nostalgische Rückkehr

„Oh, Mann, was für ein Tag!“

Prachtvolles Barock

Ausflüge mit der Piaggio

„Bella figura“, auch an Ostern

Zu schön, um abzureisen

Palazzi, Nymphen, Marionetten

Prolog

Wir haben unseren Traum wahr gemacht und unseren Alltag in Deutschland mit Haus und Garten samt beruflichem Stress gegen ein Nomadenleben getauscht. Bereut haben wir es nie. Seit sechs Jahren tingeln wir regelmäßig im Sommer durch den Norden und Osten Europas und verbringen den Winter in südlichen Regionen. Dabei haben wir festgestellt, dass wir nach Monaten des Reisens regelmäßig eine geistige Fastenzeit benötigen. Voller Eindrücke und neuer Erfahrungen freuen wir uns auf diese Ruhephasen, um nachzudenken und zu reflektieren. Für die Bilder im Kopf gilt nämlich das gleiche wie für die Fotos auf der Festplatte: Sie müssen sortiert und nachbearbeitet werden. Erst danach sind wir wieder offen für Neues. Daneben gibt es natürlich auch noch handfeste Gründe für eine Reisepause und einen längeren Aufenthalt an einem Ort: Reisemobilwartung, Recherche, Planung der nächsten Reise und die Arbeit an einer neuen Multivisionsschau.

Früher leisteten wir uns in der Monotonie des Alltags von Zeit zu Zeit den Luxus auszubrechen und neue Eindrücke in fernen Ländern zu suchen. Heute ist das täglich Neue unser Alltag, und wir gönnen uns im Winter den Luxus der Monotonie. Unser bevorzugtes Ziel für dieses eher „stationäre“ Reisen ist Sizilien. Die Insel eignet sich sehr gut zum Überwintern, wenn man sich von nassen und kälteren Witterungsperioden nicht abschrecken lässt. Denn immer mal wieder gibt es Tage, die an die regnerischen und trüben Winter in Deutschland erinnern. Der traumhafte, einsame Stellplatz in herrlicher Natur, die freundlichen Menschen, die – meistens – funktionierende Infrastruktur und das milde Klima geben uns die Muße, die wir brauchen. Ohne „Sight-seeing-Zwang“ und völlig entspannt. Monate verbringen wir dort und langweilen uns keinen einzigen Tag. Wir haben Zeit! Zeit zur Beobachtung. Zeit, um Dinge reifen zu lassen, abzuwarten. Zeit, um veränderte Lichtverhältnisse, den Gezeitenwechsel, das ständige Vergehen und Werden in der Natur wahrzunehmen. Natürlich liegt das Fernweh immer auf der Lauer. Wenn es ruft, schenken wir ihm Gehör und ziehen weiter.

In diesem Buch sind die Erfahrungen aus mehreren Jahren des Überwinterns auf Sizilien zusammengefasst. Die Erlebnisse der Zeiten „dazwischen“ sind im Buch „Wie Gott in Polen“ festgehalten oder schwirren noch als Idee in meinem Kopf.

Der ganz normale tägliche Wahnsinn

Unsere erste große Reise nach unserem Ausstieg liegt hinter uns. Sie war die Feuertaufe. Begeistert kehren wir aus Polen zurück. Keinen Augenblick haben wir uns nach unserem alten Leben gesehnt. Obwohl nicht immer alles glatt lief, sind wir uns einig: Uns gefällt das Nomadenleben, und wir machen weiter. Immer noch die idyllischen Seenlandschaften und die unaufgeregte Freundlichkeit der Polen in unseren Herzen, landen wir unsanft auf dem Boden deutscher Tatsachen. Staus, Schilderwald, riesige Einkaufszentren, Besserwisser, wiehernde Amtsschimmel, unfreundliche Verkäuferinnen und jede Menge Verbote. „Wir wollen nicht ungerecht sein, die Straßen sind hier eindeutig besser“, bemerke ich. Leise surren unsere Reifen über den ebenmäßigen Asphalt und Peter kämpft mit dem Schlaf. „Die polnischen Schlaglöcher haben mich wenigstens wachgehalten“, frotzelt er.

Die nächsten beiden Monate, Oktober und November, verbringen wir in Deutschland. Erledigungsmarathon! Zurück in Deutschland bedeutet auch zurück im Alltag: Probleme des Mieters mit der Heizungsanlage, Telefonate, Korrespondenz, Arzttermine, TÜV, Wohnmobil-Check, waschen, putzen, reparieren, einkaufen. Der ganz normale tägliche Wahnsinn eben. Dazu kommt der Stress, geeignete Stellplätze zu finden. Die Campingplätze in erreichbarer Nähe sind zu klein, und so übernachten wir zweckmäßig auf Parkplätzen von Restaurants, Schulen, Schwimmbädern oder Stadthallen. Obwohl wir darauf achten, niemanden zu beeinträchtigen, scheint allein die Größe unseres Fahrzeugs auf manche Zeitgenossen provokant zu wirken. Hin und wieder gibt es daher Ärger, und wir fühlen uns wie Ausgestoßene.

Mit Leidenschaft stürzen wir uns ins kulturelle Leben, glauben, alles nachholen zu müssen, was die letzten Monate vielleicht etwas zu kurz gekommen ist: Kabarett im Mainzer Unterhaus, Kino, Theater, Fototage in Eppstein. Im Laufe der späteren Jahre werden wir auch in diesem Punkt mehr Gelassenheit lernen. Gut tut das Wiedersehen mit der Familie und Freunden. Lachen, mitfühlen, reden, nur manchmal auf einer anderen Frequenz. Durch die Komprimierung der Kontakte auf wenige Wochen sind sie einerseits sehr intensiv, andererseits bringen sie uns auch an unsere emotionalen Grenzen.

Es wird immer herbstlicher. Kalt und trübe ist es jetzt, und ich bekomme den Herbstblues. Also höchste Zeit, Richtung Süden zu fahren! Neben Aufbruchstimmung und Freude schwingt auch Wehmut mit. Schon wieder ein Abschied. Alles kann man eben nicht haben!

Nostalgischer Abstecher

„Fuhren hier schon früher so viele LKW?“, frage ich Peter. „In Brunneck und Sankt Georgen ging es doch so beschaulich zu. Oder trügt mich da mein Gedächtnis?“ Trotz unserer momentan etwas labilen psychischen Verfassung muten wir uns einen nostalgischen Zwischenstopp in Südtirol zu. Zu „Drachenflugzeiten“ kamen wir unzählige Male hierher. Meist stiegen wir in der einfachen Privatpension von Irma und Kassian ab. Von hier waren mehrere Fluggebiete gut zu erreichen. In der Umgebung trafen wir immer Gleichgesinnte, mit denen wir abends in der Pizzeria fachsimpeln konnten. Wir waren jung, betrieben einen faszinierenden Sport und trafen außergewöhnliche Menschen. Dass bei einer Rückkehr nach fünfzehn Jahren Vergänglichkeit spürbar und Traurigkeit aufkommen würde, war uns eigentlich klar. Aber vielleicht braucht man das manchmal: sich ein wenig quälen, um sich innerlich zu reinigen.

„Hier gab es doch die leckere Pizza!“ Die Kirche, das Café, den Landeplatz und die Burg erkennen wir wieder. Alles andere ist uns fremd, und wir haben Schwierigkeiten, uns zu orientieren. Das Gewerbegebiet in Brunneck ist zu einem Industriezentrum gewachsen. Sogar vom mehrere Kilometer entfernten Garten der Frühstückspension sind die Riesengebäude noch zu sehen. Früher blickte man von hier über Wiesen und Berge. Und erst die Pension selbst! Das Wohnhaus im Südtiroler Stil wurde zum zweistöckigen Mehrfamiliengebäude mit begrüntem Flachdach in geschmackvollem Hellgelb und italienischem Design ausgebaut. Glücklicherweise scheinen wenigstens Kassian und Irma unverändert: Er, wie immer munter und gastfreundlich, sie, interessiert und sehr gepflegt. Irma wird man wohl nie im fleckigen T-Shirt und ungekämmt erwischen. Trotz der herzlichen Begrüßung gestehen wir uns beim Resümee am Abend ein: Besser ist es, neue Dinge zu entdecken. Und schnell sind wir uns einig: Nächstes Ziel ist der Gardasee, da waren wir nämlich noch nicht.

Aber zuerst bestehe ich noch auf meinem Wintererlebnis. Im idyllischen Reintal wollen wir Spaziergänge im Schnee machen. Wenig später befinden wir uns inmitten eines Wintermärchens. An Dächern, Balkonen und Zäunen hängen Schneegirlanden, der Schwerkraft trotzend. Das Weiß verändert Konturen, verdeckt oder akzentuiert sie. Jeder Pfahl trägt eine Husarenmütze, und in den Astgabeln liegen kleine Schneekugeln wie Wattebäusche. Auf den Wanderwegen sind wir ganz allein. Stille. Nur das Knirschen des feinen Pulverschnees unter unseren Stiefeln ist zu hören. Langlauf wäre mir ja lieber gewesen, aber aus Platzgründen haben wir die Ski nicht mitgenommen. „Die kann man doch überall leihen!“ Ein Trugschluss, nicht in der Vorsaison! Alle Verleihstuben sind noch geschlossen. Die meisten Restaurants und Jausenstationen ebenso. „Und ich hatte mich so auf eine Loipenmilch nach einer ausgedehnten Wanderung gefreut“, lamentiere ich. Also wird die zünftige Brotzeit mit Tiroler Speck und Käse sowie der heißen Milch mit Eierlikör ins Wohnmobil verlegt. Ich wäre gern noch ein paar Tage in dieser Idylle geblieben, aber die Angst, wir könnten einschneien, lässt uns weiterfahren in Richtung Süden.

Immer Richtung Süden

Von der Tuschezeichnung ins Aquarell. Am Gardasee ist alles noch grün! Olivenbäume, Lorbeer, Oleander, Pinien, Zypressen, Palmen. Wir finden einen Übernachtungsplatz in einem vom Tourismus weitgehend verschont gebliebenen Dorf direkt am See. Weiße Schaumkrönchen, Brandung. Auf der gegenüberliegenden Seite flackern die Lichter von Malcesine. In der Ortschaft winterliche Ruhe. Geschlossene Restaurants, der Lebensmittelladen nur nachmittags geöffnet. Verwitterte Hausfassaden. So sehen in Deutschland in Wischtechnik gestaltete italienische Restaurants aus. Abenteuerlich die Fahrt mit unserem Riesen auf der engen Bergstraße. Überhängende Felsen, enge Kurven und unzählige Tunnel. Manche sind nach oben eng gewölbt mit regelmäßigen Durchbrüchen zum See hin. Lichtkegel fallen ins Innere und lassen die Salpeterausblühungen auf den schwarzen Wänden leuchten.

Am Lago Trasimeno bei Castiglione sind es nur zwei Grad über Null. Augen für die traumhafte Landschaft und die pittoreske Altstadt haben wir zunächst nicht, denn unsere Gasanlage streikt. „Ein ernstes Problem“, meint Peter und schaut mich bekümmert an. „Wir können nicht heizen und nicht kochen, und wenn in der Nacht das Thermometer unter den Gefrierpunkt fällt, platzen unsere Leitungen.“ Er zieht den Blaumann über Jeans und dicken Sweater. „Ich muss sie wieder flott kriegen“, seufzt er. Die Anspannung ist ihm anzusehen. Draußen fegt ein kalter Nordwind über den Parkplatz, als Peter sich an die Arbeit macht. Bei engsten Verhältnissen im vorderen linken Radkasten – dahinter sitzt der Gastank – arbeitet er drei Stunden, bis die Anlage wieder läuft. Am Abend schlendern wir in die zu dieser Jahreszeit recht ausgestorbene Stadt und gönnen uns einen guten Roten und eine Pizza. Zum Aufwärmen muss es eine feurige „Diavolo“ sein. Jetzt können wir auch wieder scherzen. Weil Peter so beweglich wie eine Schlange an den Reifen vorbei geglitten ist, nenne ich ihn Snakey. „Anakonda, die gerade ein ausgewachsenes Wasserschwein verschluckt hat, passt wohl eher!“, meint er und reibt sich dabei behaglich seinen vollen Bauch.

Am nächsten Tag stürmt es so stark, dass Peter Mühe hat, unser Fahrzeug in der Spur zu halten. Nur langsam kommen wir voran. „Es ist schon später Nachmittag und wir haben noch keinen Übernachtungsplatz“, gebe ich zu bedenken. Peter antwortet nicht. Es regnet Bindfäden und die Sicht ist sehr schlecht. Schnell holt uns die Dunkelheit ein. Hügel rauf und runter, durch enge Dörfer. Schließlich landen wir in einer Sackgasse. Ausgeschildert war die nicht. „Wendemöglichkeit gibt es keine, also alles rückwärts“, stöhnt Peter. Hungrig und schlecht gelaunt beschließen wir, wieder auf die Autobahn zu fahren und an einem Rastplatz zu übernachten. Davor wird in jedem Stellplatzführer gewarnt! Doch wir haben keine Wahl, so übermüdet wie wir jetzt schon sind. Auf dem nur schwach beleuchteten Platz sehen wir drei PKW, um die einige Männer stehen. Ein schon etwas älterer Mann löst sich aus der Gruppe und kommt in unserem Scheinwerferlicht auf uns zu. Aus seinem Hosenlatz hängt sein Glied. „Ach du lieber Himmel, was ist denn hier los?“ Schnell springe ich auf und verriegele unsere Tür. Der Neugierige ist unterdessen zu seinen Kumpels zurückgekehrt. Zwischen ihren Fahrzeugen sind sie in der Dunkelheit kaum noch zu erkennen. Die Szenerie immer im Blick, fahren wir weiter. Beim Vorüberrollen sehen wir, dass einer der Männer gerade einen anderen oral befriedigt. „Das ist hier wohl der Schwulenstrich“, konstatiert Peter. Eine knappe halbe Stunde später finden wir doch noch einen ruhigen Parkplatz an einem Supermarkt. „Ich mach uns mal einen Gin-Tonic. Ich glaube, den brauchen wir heute“, meint Peter und grinst.

Glücklicherweise wird es mit jedem Kilometer gen Süden wärmer, und in Neapel scheint die Sonne bei angenehmen 12 Grad. Füße, Hände und Herz tauen auf. Spontan beschließen wir, das gute Wetter zu nutzen und auf den Vesuv zu fahren. Vorbei an der Frühstückspension Patricia führen enge Serpentinen nach oben. Jedes entgegenkommende Fahrzeug ist eine Herausforderung. Aber Peter kurvt, als sei er ein Busfahrer der neapolitanischen Verkehrsbetriebe, einschließlich des obligatorischen Hupens vor jeder Serpentine. Beeindruckend die vielfältige Vegetation, die mit Flechten überzogenen Lavafelder und die fröhlich leuchtenden Orangenhaine. Wieder mal sind wir geschockt angesichts des Mülls entlang der Straße. Obwohl wir es von unseren Reisen in den Süden ja schon kennen, macht es uns auch diesmal traurig, wie lieblos man hier mit der Umwelt umgeht. Wir werden wohl wieder zwei Wochen Training benötigen, um den „Müllausblendblick“ verinnerlicht zu haben. Oben angekommen, wandern wir zum riesigen Krater. Heiße stinkende Schwefelgase steigen auf. Grandioses Panorama auf die Bucht von Neapel und Salerno. Schnell noch ein paar handliche Lavasteine gesammelt, und dann geht es zurück ans Wohnmobil. Dort oben in Kraternähe, mit einem herrlichen Blick auf das hell erleuchtete nächtliche Neapel, verbringen wir die Nacht.

Hauch der Ewigkeit

Pompeji – jahrhundertelang unter sechs Meter Asche begraben. Konservierte Augenblicke des Lebens und des Todes. Der Ausbruch des Vesuvs im Jahre 79 n. Chr. kam für die Bewohner so überraschend, dass Flucht nicht möglich war. Stein- und Ascheregen prasselte auf die Stadt hernieder. Lavaströme näherten sich. Tödlicher Feuerhauch. Glutatem. Später wurden die durch Verwesung der Körper entstandenen Hohlräume mit Gips ausgegossen und verdeutlichen anschaulich, wie erschreckend schnell der Ascheregen über Pompeji niedergegangen ist. Hier liegt ein Mann am Boden, dort kauert ein anderer und hält die Hände schützend vors Gesicht. Aus den Löchern, die die Pflanzenwurzeln hinterlassen haben, konnte man sogar die Anlage der Beete rekonstruieren. Fast 2000 Jahre später! Diverse Tempel, die Therme, zwei Theater und ein Amphitheater. Die Basilika als Gerichtsort und Mittelpunkt des Wirtschaftslebens. Luxuriöse Villen mit kunstvollen Mosaikböden, erstaunlich gut erhaltenen Wandmalereien und bezaubernde Gärten. Sehr viele Tavernen, eine Bäckerei, breite Straßen mit „Zebrastreifen“ aus mächtigen Steinblöcken. Ein seltsames Gefühl, so weit zurück in die Vergangenheit blicken zu können, über Fahrrillen auf dem Pflaster zu gehen, die Wagen vor zweitausend Jahren gefurcht haben. All das lässt vor unserem inneren Auge das Bild einer pulsierenden Stadt entstehen: Wagen, voll beladen mit Waren, werden vom Hafen durch die Stadttore gerollt. Händler bieten ihre Produkte feil, Frauen transportieren Amphoren auf ihren Köpfen. Aus den Tavernen dringen laute Stimmen und verlockende Gerüche. Wir wüssten gern mehr über das alltägliche Leben der Menschen damals. Aber das steht in keinem Reiseführer. Was und wo haben die Kinder gespielt? Was gab es zu essen? Wo wurden die Pferde untergebracht?

Ein Zeiterleben anderer Art, die Tropfsteinhöhle Grotta di Pertosa. Wir wandern durch einen Tempel der Ewigkeit, mit mächtigen Säulen und Toren. Tropfsteinhöhlen begeistern uns schon immer, und wir lassen uns kaum eine entgehen, wenn sie auf unserem Weg liegt. 100 Jahre braucht ein Stalagmit, um 1 cm zu wachsen. „Hauch der Ewigkeit“, eine abgedroschene Formulierung, aber sie trifft unsere Empfindung sehr gut. Unser Führer heißt Giuseppe und hat vor zwanzig Jahren für kurze Zeit in Dillenburg an der Lahn gearbeitet. Mit einem Boot sind wir über den unterirdischen Fluss gefahren und spazieren anschließend durch die kilometerlange Höhle. Teile des Films „Phantom der Oper“ wurden hier gedreht. Märchenwelt. Überall lauern uns Fabelwesen und Tiere auf. Krokodile, Elefanten und Hexen. Dazwischen immer wieder Madonnen. Mit dem immer gleichen Kommentar „E Fantasia! Egale!“ macht Giuseppe uns auf sie aufmerksam. Außerdem zeigt er uns schlafende Fledermäuse und große spinnenartige Insekten, die sich vom Kot der Fledermäuse ernähren. Diese Tiere sind keine „Fantasia“, sondern erschreckend echt. Schließlich gibt er uns noch eine Kostprobe des phantastischen Echos der Höhle. In ihm muss ein Caruso oder Pavarotti schlummern. Oder ist es nur die gute Akustik der Grotte? Sein Lied lässt uns ergriffen erschauern. Noch lange hallt es von den Felswänden wider.

Wintereinbruch am Abend. Wir stehen auf einem Berg an einem Sportplatz. Heftige Sturmböen lassen uns die ganze Nacht nicht schlafen. Das Wohnmobil schaukelt und ächzt. Wird der hohe, marode Zaun aus Maschendraht, der das Gelände abgrenzt, standhalten oder uns um die Ohren fliegen? Am nächsten Morgen ist alles weiß verschneit, und das Thermometer zeigt minus drei Grad. „Wie sollen wir denn jetzt die steile, enge Bergstraße wieder hinunterkommen?“, frage ich ängstlich. „Ich fahre ganz vorsichtig“, beruhigt mich Peter liebevoll.

Der Reiseführer beschreibt das Kloster von Padula mit seinen Malereien, Intarsien, Stuck- und Mosaikarbeiten als sehr sehenswert. Außerdem soll es dort einen netten Stellplatz geben. „Das wäre doch ein interessanter Abstecher.“ Gedankenverloren kaue ich an dem Kugelschreiber, mit dem ich gerade um Padula einen Kreis gezogen habe. Es macht mir Spaß, Reiseführer zu lesen, Prospekte zu sichten, Landkarten zu studieren, Augen und Ohren offen zu halten. Höchster Lohn des oft stundenlangen Recherchierens ist Peters Lob: „Unglaublich, was du so alles entdeckst!“ Den Stellplatz im Schlosspark zum Beispiel oder das kleine Restaurant mit den roten Tischdecken und der gastfreundlichen Besitzerin. Oder die einsame Straße entlang der Rapsfelder, deren Neongelb ein Licht in unserem Innern anknipst. Noch heute erinnern wir uns an den stillen, verschwiegenen See, in dem wir im Dunkeln badeten. All diese Orte warten darauf, uns glücklich zu machen. Einige strecken uns aber auch schadenfroh die Zunge heraus. Der Stellplatz bei Padula gehört eindeutig auf diese Liste der Flops. Als wir am Kloster ankommen, folgen wir zunächst dem Wohnmobilzeichen. „Ist ja mal richtig gut ausgeschildert.“ Ich hätte es nicht loben sollen, denn die gewundene und immer enger werdende Straße mündet nach etwa einem halben Kilometer in einen Feldweg. Weit und breit kein Camp in Sicht. Wenden ist auf der schmalen Straße unmöglich, also fahren wir den schlammigen und holprigen Feldweg weiter. Endlich ein Bauernhaus. Peter manövriert das Fahrzeug mit eingeklappten Spiegeln rückwärts in die Einfahrt, nur wenige Zentimeter an den Mauern vorbei. Wütend bellt der Hofhund und versucht, in die Reifen des Wohnmobils zu beißen. Nach mehrmaligem Vor- und Zurücksetzen ist es endlich geschafft. Nun steuern wir den großen Parkplatz am Kloster an und fragen den Wächter zunächst auf Englisch, ob wir hier über Nacht stehen bleiben dürfen. „Non capisco.“ Verständnislos zuckt er mit den Schultern. Nächster Versuch auf Deutsch. Bedauernd schüttelt er den Kopf. Wir gestikulieren und erinnern uns an ein paar italienische Vokabeln. „Ah, capisco.“ Es folgt ein Redeschwall, begleitet von energischem Kopfschütteln. „Verstehst du, was er meint?“ „Nein, aber ich interpretiere es so, dass Übernachten verboten ist. Lass uns schauen, ob wir noch etwas anderes finden.“ Unser Reisemobil klettert die steile, kurvenreiche Straße zur Stadt hoch. Unruhig rutsche ich auf dem Sitz hin und her. Auf enge Altstadtgassen habe ich heute keine Lust mehr. „Da oben vor der Häuserzeile führt ein Weg links auf eine Wiese. Die schauen wir uns mal an. Muss eine schöne Aussicht von dort oben sein. Sicher ein toller Übernachtungsplatz.“ Bevor ich protestieren kann, ist Peter schon in den unbefestigten Weg eingebogen. Und tatsächlich präsentiert sich ein herrliches Panorama über das Tal im milchig gelben Abendlicht. Für unser Reisemobil ist die Wiese allerdings zu klein und vor allem zu weich. „Wenn wir hier länger stehen, sackt das Fahrzeug ein, und ich komme morgen nicht mehr raus.“ Peter legt den Rückwärtsgang ein. „Es wird schon dunkel. Jetzt fahren wir einfach zum Kloster, egal, was der Wächter uns erzählt. Er wird ja nicht gleich die Polizei holen“, schlage ich vor. Zu meiner Überraschung widerspricht Peter nicht und steuert den Parkplatz an. Die Schranke ist weit offen, das Pförtnerhäuschen abgeschlossen und der Wächter hat wahrscheinlich zu Hause schon die Füße hochgelegt.

Bella Tropea

„In Cosenza soll es einen großen Supermarkt geben, und der Parkplatz soll außerdem ideal zum Übernachten sein.“ „Okay, dein Wunsch ist mir Befehl.“ Munter fährt Peter die Abfahrt runter. Für das Weihnachtsmenü benötige ich noch ein paar Zutaten, und ich freue mich schon auf die italienischen Spezialitäten. Als wir nach längerem Suchen dort ankommen, herrscht reges Treiben. Familienausflug. Shopping als Event. Gereizt kämpfen wir uns durch die Menschenmassen. Entspanntes Einkaufen fühlt sich anders an. Egal, wir machen unsere Besorgungen und ziehen uns dann schnell ins Reisemobil zurück. Später, nach Geschäftsschluss um 21 Uhr, ein kurzes Chaos ausparkender Autos. Fahrzeuge kreuz und quer. Innerhalb von Minuten ist das Knäuel entwirrt, und wir sind allein.

Ein schnelles Frühstück am nächsten Morgen in der Bar am Supermarkteingang. Espresso und ein Cornetto, ein knuspriges, mit sahniger Creme gefülltes Hörnchen. Kalter Wind bläst durch die offene Tür. Auf den Bergen Kalabriens liegt Schnee. Mit hochgezogenen Schultern stehe ich am Tresen. „Auf unserem Thermometer waren es vorhin zwei Grad“ „Ja, lass uns weiterfahren. Vielleicht ist es in Tropea wärmer.“ Das Barockstädtchen gilt als die Perle der Westküste. Laut Reiseführer soll uns dort eine hübsche Altstadt mit malerischen Gässchen, Plätzen und Palästen erwarten. Wir wollen ein paar Tage bleiben, um Peters Geburtstag, der gleichzeitig unser Hochzeitstag ist, und Weihnachten zu feiern. Außerdem müssen wir unsere inneren Batterien aufladen. Momentan fühlen wir uns müde und angespannt. Lange schaue ich grübelnd in den Straßenatlas. Darauf schlängeln sich fast alle Straßen wie Darmwindungen hinunter zum Meer. „Auf der Karte sieht es so aus, als wäre die küstennahe Strecke, die mit den wenigsten Kurven und Ortsdurchfahrten. Also fahren wir am besten vor Pizzo von der Autobahn runter.“ „Jo! Ich mach´ doch alles, was die Reiseleitung sagt!“ Peter zwinkert mir zu, als würden wir ein Geheimnis miteinander teilen, und ich muss lachen. Aber die Karte hat offensichtlich ein halbes Dutzend Städtchen unterschlagen, und so quälen wir uns wieder mal durch enge Gassen und niedrige Torbögen und zwischen abenteuerlich geparkten Autos hindurch.

Nachmittags sitzen wir dann bei zwanzig Grad und strahlend blauem Himmel in Tropea auf einer Terrasse in der Sonne. Übermütig essen wir in einem Straßencafé einen Tartufo, eine riesige, mit Kakao überzogene Eiskugel, die tatsächlich wie ein Trüffel aussieht. Hinterher ist es uns trotz Sonne von innen heraus kalt, und wir ziehen fröstelnd unsere Jacken an. Reges Treiben auf dem Platz. Hupende Autos und knatternde Roller. An allen vier Ecken stehen Männer in Grüppchen zusammen und diskutieren mit kräftigen, lauten Stimmen. Aus dem Café dringen Fernsehgeräusche. Streunende Hunde, mager und struppig, schauen mit eingezogenem Schwanz gierig zu uns herüber. Lauern auf das Mitleid der Touristen, auf ein Stück Brötchen oder Hörnchen. Einer von ihnen hat kleine Falten über den samtbraunen Augen, was ihm ein fragendes Aussehen gibt. „Hast du einen Happen für mich?“ Ganz gefangengenommen von diesem Blick, habe ich gar nicht bemerkt, dass Peter schon gezahlt hat. „Wollen wir los?“, fragt er mich jetzt. „Ja, klar. Unten am Hafen soll es laut Stellplatzführer einen schönen Parkplatz geben.“

Wir folgen exakt der Beschreibung und stecken nach wenigen Minuten in einer engen Kehre fest. Vorsichtig rangiert Peter hin und her. Er ist hochkonzentriert, Schweiß läuft ihm die Schläfen hinunter. Weitere Fahrzeuge nähern sich von oben und von unten. Irgendwann sind es so viele, dass nichts mehr geht. Chaos. So scheint es zumindest. Aber Italiener bewahren in solchen Situationen Ruhe. Sie wissen, das Leben verläuft nicht immer gradlinig, und sind Meister im Improvisieren. Einer setzt zurück, der andere dreht in eine winzige Mauerlücke, ein Dritter fährt rückwärts wieder hoch. Nun ist dicht am Felsen genügend Platz für unser Fahrzeug, so dass die Autos passieren können. Freundliches Winken und Hupen. Innerhalb weni