Minimalismus Mom - Anne Löwen - E-Book

Minimalismus Mom E-Book

Anne Löwen

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Beschreibung

Heulend sitze ich auf dem Stuhl und bin einfach nur überfordert. Berge von Aufgaben und To-dos schreien nach mir. Die Wäsche stapelt sich vor der Waschmaschine wie die dreckigen Kochtöpfe in der Spüle. Die Unordnung belastet mich. Wo soll ich nur anfangen? Irgendwie habe ich das Gefühl, nie fertig zu sein. Es gibt immer noch mehr zu tun. Wird es jemals einen Ausweg aus dieser Mühle geben? Trotz der Fülle und einer wunderbaren Familie ist Anne Löwen oft frustriert und geschafft. Zeit für das, was ihr wirklich wichtig ist? Fehlanzeige! Dann lernt sie den Lifestyle des Minimalismus kennen. Mit jedem Karton an überflüssigen Dingen, der ihr Zuhause verlässt, fällt eine Last von ihr ab. Sie fühlt eine ungeahnte Leichtigkeit und Ruhe. Im Haushalt ist weniger zu tun und auch die Kinder können entspannter spielen. Mehr und mehr erkennt Anne: Wahrer Reichtum ist nicht in mehr, sondern in weniger zu finden. Denn dadurch wird Raum frei für ein Leben, in dem Träume sich erfüllen. Welche Träume liegen unter deinem ganzen Kram vergraben? Komm mit und starte deine eigene Minimalismus-Reise …

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Seitenzahl: 198

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ANNE LÖWEN

MINIMALISMUS

Mom

Wie weniger deinen Familienalltag bereichert

Bibelzitate folgen, wo nicht anders angegeben, dem Bibeltext der Neuen Genfer Übersetzung – Neues Testament und Psalmen. Copyright © 2011 Genfer Bibelgesellschaft. Wiedergegeben mit freundlicher Genehmigung. Alle Rechte vorbehalten.

Ferner wurden verwendet und wie folgt gekennzeichnet:

Hfa – Hoffnung für alle®, Copyright © 1983, 1996, 2002 by Biblica, Inc.®. Verwendet mit freundlicher Genehmigung von Fontis – Brunnen Basel.

NL – Neues Leben. Die Bibel © 2002 und 2006 SCM-Verlag GmbH & Co. KG, Witten.

Dieses E-Book basiert auf der 2. Auflage 2023.

© 2021 Brunnen Verlag GmbH Gießen

www.brunnen-verlag.de

Lektorat: Konstanze von der Pahlen

Gestaltung: Daniela Sprenger

Coverbild: Stocksy / Alina Hvostikova

Fotos: Anne Löwen privat: S. 74, 110, 116, 123, 147, 149, 160, 165, 198, 205

Alle übrigen: AdobeStock

ISBN Buch 978-3-7655-2111-9

ISBN E-Book 978-3-7655-7586-0

Für Nikolai

Danke, dass du mich immer so sehr unterstütztund mir hilfst, wo du nur kannst.Du bist meine starke Schulter zum Anlehnenund mein Fels in der Brandung.Ich liebe dich.

Deine Anne

INHALT

KAPITEL 1 |ZU VOLL UND ZU VIEL

Überfordert von all meinem Kram

Ein Hauch von Leichtigkeit

Ich muss das nicht besitzen

Das Notzeiten-Mindset in der Überflussgesellschaft

Was ist Minimalismus?

Ein befreiender Lebensstil

KAPITEL 2 |EROBERE DIR DEIN LEBEN ZURÜCK

Gottes Plan für dich: eine Handvoll Ruhe

Was dich von einem Leben in Freiheit abhält

Das Schokoladen-Prinzip

Blühe auf!

Starte einen einfacheren Lifestyle

KAPITEL 3 |WIE KANNST DU STARTEN?

Das richtige Mindset

Die goldene Regel des Ausmistens

Wie kann ich meinen Mann für Minimalismus begeistern?

Kein schlechtes Gewissen beim Aussortieren

Der Wert des freien Raumes

Megatool: die Vielleichtkiste

Kleine Schritte sind der Weg zum Erfolg

Minimalismus in einer Familie sieht anders aus als …

Mama Minimalismus Love

Du bist nicht, was du hast

KAPITEL 4 |BEFREIE DICH VON ZU VIEL

Hilfreiche Ausmistmethoden

Kleidung

Apropos: Unser Konsumverhalten

Schlafzimmer

Büro/Papierkram

Wohnzimmer

Apropos: Keller & Speicher

Küche

Bad

Deko

Apropos: Darf man als Minimalist überhaupt noch etwas kaufen?

Geliebte Erinnerungsstücke

Gewohnheitssache

KAPITEL 5 |NIMM DEINE KINDER MIT

Minimalismus tut Kindern so gut

Kinderzimmer

Geschenke

KAPITEL 6 |WOHIN MIT DEM GANZEN KRAM?

Segne andere mit deinem Überfluss!

Wo kannst du deine aussortierten Sachen abgeben?

Pass auf, dass sich nicht alles wieder füllt!

KAPITEL 7 |GANZHEITLICHER MINIMALISMUS

Slow Living

Nachhaltigkeit

Achtsamkeit

Berufung leben

NACHWORT

STAY CONNECTED

KAPITEL 1

ZU VOLL UND ZU VIEL

ÜBERFORDERT VON ALL MEINEM KRAM

Heulend sitze ich auf dem Stuhl und bin einfach nur überfordert. Wo soll ich nur anfangen? Berge von Aufgaben und To-dos schreien nach mir. Die Unordnung belastet mich. Wann habe ich eigentlich das letzte Mal Fenster geputzt? Ich kann mich schon nicht mal mehr daran erinnern. Den Patschehändchenabdrücken nach zu urteilen, haben sie es auf jeden Fall dringend mal wieder nötig. Aber wann soll ich das denn auch noch schaffen?

Die Wäsche stapelt sich vor der Waschmaschine wie die dreckigen Kochtöpfe in der Spüle. Kurz überlege ich, ob ich sie noch abwaschen soll und dann darin schnell eine Packung Spaghetti für das Mittagessen koche oder den Spülberg lieber ignoriere und einfach einen neuen Topf aus dem Schrank hole. Der Blick auf die Uhr ist die Antwort. Schnell stehe ich auf und greife zum sauberen Topf. So wächst der Stapel von dreckigem Geschirr zwar noch weiter, aber darauf kommt es jetzt auch nicht mehr an. Außerdem müsste der Große gleich aus der Schule kommen.

Während ich das Wasser in den Topf laufen lasse (was in der vollgestellten Spüle gar nicht so leicht ist), kommen meine zwei Mittleren wütend und kreischend in die Küche gerannt. Schon wieder ein Streit um diesen Stoffhund? Im Ernst? „Habt ihr nicht genug Spielsachen? Wieso könnt ihr nicht einfach mal friedlich damit spielen, ohne euch ständig um die Sachen zu streiten?“, fauche ich meine Kinder an.

Als ich ihre ängstlich aufgerissenen Augen sehe, fühle ich mich plötzlich noch schlechter. Sofort tut mir mein harscher Ton leid. Warum bin ich gleich auf hundertachtzig? Eigentlich will ich meine Kinder doch überhaupt nicht anschreien. Ein angenehmer Umgangston ist mir doch immer so wichtig gewesen.

Aber gerade platzt mein ganzer Frust einfach so aus mir heraus. Irgendwie fühlt sich alles zu viel an. Ich merke, wie die Tränen erneut hochkommen wollen. Ein Gebet blitzt durch meinen Kopf: Gott, es tut mir so leid. Ich möchte so gerne liebevoll sein, aber gerade bin ich zu erschöpft dafür.

Aus dem Kinderzimmer höre ich Babyweinen und werde so aus meinen deprimierenden Gedanken gerissen. Schnell wische ich mir mit dem Handrücken die Tränen aus dem Gesicht, bitte Jesus um Kraft für die nächste Runde, entschuldige mich bei meinen Kleinen für meinen harten Ton („Tut mir leid, dass ich gerade so laut geworden bin. Mami ist einfach müde. Bitte entschuldigt euch auch beieinander und streitet euch nicht länger um diesen Hund“) und mache mich auf in Richtung Kinderzimmer, um nach meinem Babysohn zu schauen.

Seufzend öffne ich die Tür und kann nicht anders, als mich zu fragen, ob es jemals einen Ausweg aus dieser Mühle geben kann. Wird es immer so weitergehen müssen, dass ich ständig das Gefühl habe hinterherzuhinken? Wird es mir niemals gelingen, Ordnung in unser Chaos zu bringen? Irgendwie habe ich nie das Gefühl, fertig zu sein. Es gibt immer noch mehr zu tun.

Ich sehne mich so sehr danach, Zeit zu haben. Zeit für das, was mir wichtig ist: etwas Schönes mit meinen Kindern zu unternehmen, einen Kaffee und ein tiefes Gespräch mit meiner Freundin zu genießen oder mal wieder meinem alten Hobby nachzugehen. Wann hatte ich eigentlich das letzte Mal einen Freiraum dafür? Es scheint mir, als ob all meine Zeit nur noch für den Haushalt draufgeht. Glücklich bin ich damit nicht.

Vorsichtig hebe ich meinen Süßen aus seinem kleinen Bett. Seine schnuckeligen Ärmchen zappeln wild auf und ab, den Mund hat er schon weit aufgerissen und er sucht ungeduldig nach seiner Milchquelle. „Ist ja gut, mein Kleiner. Gleich gibt’s endlich etwas zu trinken.“ Gemütlich kuschle ich mich mit ihm zusammen aufs Sofa und lasse ihn trinken. Die beiden Mittleren haben sich inzwischen wieder versöhnt und spielen halbwegs friedlich mit den Bausteinen.

Diese plötzliche Ruhe auf einmal – himmlisch. Wird es sich in mir auch irgendwann wieder so ruhig anfühlen? Meistens sind meine Gedanken alles andere als ruhig. Sie wirbeln herum wie aufgescheuchte Hühner. Gleich muss ich noch Essen kochen. Heute Nachmittag steht noch der Musikunterricht an (für den wir die ganze Woche nicht ein Mal geübt haben … Oh Mann, wird das wieder peinlich). Die Wäscheberge sind immer noch da und die Waschmaschine piepst seit Stunden, dass die Wäsche fertig ist.

DIE LISTE AN AUFGABEN SCHEINT EINFACH KEIN ENDE ZU NEHMEN. ICH KANN ABER NICHT NOCH MEHR SCHAFFEN UND BIN JETZT SCHON TOTAL ERLEDIGT.

Oft bin ich eher wie mein hungriges Baby. Aufgescheucht und mit den Armen zappelnd renne ich von einer Aufgabe zur nächsten durch das Haus in der Hoffnung, irgendwie Herr über das Chaos zu werden. Wie mein Sohn sich nach seiner Milch sehnt, um satt zu werden und Zufriedenheit zu erleben, bin ich immer wieder auf der Suche nach Organisationstipps und Lifehacks. Verzweifelt wünsche ich mir, dass es stimmt, was sie versprechen: dass endlich alles übersichtlicher und ruhiger wird, wenn ich sie nur richtig umsetze.

Aber entweder ich mache irgendetwas falsch oder diese Orga-Inspirationen funktionieren nicht so, wie ich es mir erhofft habe. Obwohl ich so motiviert bin und endlos viele Stunden in all diese Sortierungs- und Aufbewahrungssysteme gesteckt habe, sitze ich immer noch hier in meiner Überforderung und kämpfe mit den Tränen. Die Liste an Aufgaben scheint einfach nie ein Ende zu nehmen. Ich kann aber nicht noch mehr schaffen und bin ja jetzt schon total erledigt.

Irgendwie ahne ich langsam, dass das Chaos und die Überforderung und die vielen To-dos vielleicht daher rühren, dass unser Zuhause einfach viel zu voll ist. Ja, mir ist klar, dass eine Mama viel zu tun hat (ganz besonders, wenn man wie wir vier Kinder hat), aber trotzdem: Wenn ich genau darüber nachdenke, dreht sich ein Großteil meiner Arbeit, die mich so auf Trab hält, eigentlich mehr um Dinge als um meine Kinder. Klar, ich versorge sie, indem ich für Essen auf dem Tisch und saubere Kleidung im Schrank sorge, aber eigentlich dürfte das ja nicht so zeitfressend sein. Ich bin ständig in Bewegung, räume dies nach hier und jenes nach da, suche etwas dort und finde es nachher doch wo ganz anders (falls ich es überhaupt finde …).

Ich habe so viel. Und trotzdem bin ich nicht glücklich – mit meiner randvollen Spüle mit dem dreckigen Geschirr und tausend anderen To-dos im Kopf, die ich eigentlich lieber gestern als heute hätte erledigen sollen. Glücklich bin ich nicht, dass ich anfange, meine Kinder anzuschreien, weil ich gerade das Gefühl habe, in Aufgaben und Arbeit zu versinken, und mir alles zu viel wird. Und glücklich bin ich auch nicht, wenn ich daran denke, dass morgen Besuch kommt und ich es bis dahin doch wenigstens noch schaffen wollte, das Bad zu putzen und den Boden von den unzähligen Krümeln und kleinen Spielsachen zu befreien.

Wieso kann ich mich nicht so richtig über unsere Fülle freuen? Ich bin doch umgeben von Reichtum und sollte die glücklichste Frau auf dieser Erde sein! Durch einen Auslandseinsatz, den ich mit zwanzig Jahren machen durfte, weiß ich aus erster Hand, wie arm andere Menschen leben müssen. Dass sie über die Maßen jubeln würden, wenn sie meine Vorratsschränke mit Lebensmitteln oder meinen vollgepackten Kleiderschrank zur Verfügung hätten.

Wenn ich mir vorstelle, was die Kinder, die ich an diesem verarmten Ort kennenlernen durfte, für freudige Augen bekommen würden, wenn sie die Spielsachen nutzen dürften, die meine Kinder haben – ich glaube, sie könnten ihr Glück kaum fassen! Meine Kinder dagegen gehen in ihren Spielbergen unter und scheinen – genau wie ich – nicht so glücklich, wie sie es doch eigentlich sein müssten.

Manchmal kommt es mir so vor, als ob gerade die Menge ihrer Spielsachen sie oftmals überfordert. Dabei dachten wir, wir würden ihnen eine Freude machen, als wir ihnen diese Sachen geschenkt haben. Ist nicht eigentlich die große Auswahl an Dingen gut? Besonders dann müssten doch eigentlich weniger Streitigkeiten unter den Geschwistern da sein. Warum bekommen sie sich trotzdem immer wieder in die Haare und zerren zeternd zu zweit an genau diesem einen Stoffhund, wo sie doch eine ganze Kiste mit anderen Kuscheltieren haben?

EIGENTLICH MÜSSTE AUCH ICH SATT UND ZUFRIEDEN SEIN BEI ALL DEM, WAS ICH BESITZEN DARF. WARUM SEHNE ICH MICH TROTZDEM NACH NOCH MEHR UND BIN EHER HUNGRIG ALS SATT?

Was ist bloß los mit uns?

Mein Blick fällt auf meinen kleinen Sohn in meinen Armen. Seine Augen sind geschlossen, die Gesichtsmuskeln entspannt. Ein kleiner Tropfen Milch kullert langsam von seinen Lippen die Wange hinunter. Er ist satt und zufrieden. Eigentlich müsste doch auch ich satt und zufrieden sein bei all dem, was ich besitzen darf. Warum sehne ich mich trotzdem nach noch mehr und bin eher hungrig als satt? Das „noch mehr“ kann doch nicht die Lösung sein, oder?

EIN HAUCH VON LEICHTIGKEIT

Vielleicht ist es ja sogar das Gegenteil? Vielleicht ist ja alles deshalb so überfordernd, weil es nicht nur viel, sondern sogar zu viel ist? Zu viele Spielsachen, zu viele Möbel, zu viel Kleidung, zu viele Gegenstände. Und deshalb zu viele Reize und zu viel zu tun. Vielleicht wäre alles einfacher, wenn es von all diesen Dingen weniger in unserem Haus geben würde? Wenn ich nur zwei Töpfe im Schrank hätte, dann könnten sich nicht fünf jetzt in der Spüle stapeln. Wenn jeder nur eine Jacke hätte, dann wäre auf einmal die Garderobe übersichtlicher und keiner würde mehr ständig nach seinen Sachen suchen.

Vielleicht liegt die Lösung tatsächlich im Weniger? Vielleicht haben wir einfach zu viel?

Diese Gedanken, dass „weniger“ mein „mehr“ sein könnte, sind noch ganz neu für mich. Aber ich merke, dass sie in mir eine lang vermisste Hoffnung wecken und ungeahnte Kräfte freisetzen. Was, wenn das wirklich wahr ist? Wenn Veränderung möglich ist und ich nicht länger im Überlebensmodus sein muss, sondern auf Lebensmodus wechseln kann? Aber wie kann ich bloß dahin kommen?

Plötzlich denke ich: Ich könnte mal aussortieren – und irgendwie kommt mir als Allererstes der Keller in den Sinn. Dort stapelt sich wirklich alles. Bestimmt auch ziemlich viele Sachen, die wir wahrscheinlich gar nicht mehr brauchen. Vielleicht sollte ich einfach mal dort anfangen?

In der Hoffnung, erste Schritte auf meinem Weg zu weniger Dingen und zu mehr Ordnung gehen zu können, mache ich mich auf, um mir einen Überblick über unseren Keller zu verschaffen. Das ist eindeutig der schlimmste Raum in unserem Haus und bisher habe ich es immer vermieden, ihn zu betreten. Vielleicht würde ich mich etwas besser fühlen, wenn ich hier mehr Ordnung reinbringen könnte?

In einem ruhigen Moment nehme ich allen Mut zusammen und trete vor die Kellertür. Allein der Blick, der mich hinter dieser Tür erwartet, wird mich an meine Grenzen bringen. So viel steht fest.

Also wappne ich mich, atme einmal tief durch, drücke die Klinke nach unten und schiebe die Tür auf. Puhhh. Die Tränen wollen mir schon wieder vor lauter Überforderung in die Augen schießen. Ich sehe Arbeit, Arbeit und noch mal Arbeit vor mir. Es wird wahrscheinlich ewig dauern, Ordnung in diesen Raum zu bringen. Wie soll ich das bloß schaffen? Kisten türmen sich übereinander. Die Regale sind vollgestopft bis zum Überquellen. Der Boden ist übersät mit kleinen und großen Kartons. Wie um alles in der Welt soll ich hier jemals den Überblick zurückbekommen? Inmitten dieses riesengroßen Chaos fühle ich mich einfach nur klein.

Doch aufgeben, bevor ich überhaupt angefangen habe, kommt für mich nicht infrage. Also bahne ich mir vorsichtig einen Weg zur ersten Kiste und öffne sie. Eine Staubschicht wirbelt auf, als ich die Laschen des Kartons aufziehe. Ach du liebe Zeit, wann hab ich den eigentlich das letzte Mal geöffnet? Wenn ich ehrlich bin, habe ich keine Ahnung, was sich darin überhaupt befindet. Mir wird bewusst, dass einige dieser Kisten hier sogar schon zwei Umzüge mitgemacht haben, ohne nur ein einziges Mal geöffnet worden zu sein. So verpackt, wie sie waren, wurden sie vom Umzugsauto irgendwo im neuen Keller abgestellt, bis sie einige Jahre später wieder herausgekramt wurden, um erneut in ein Umzugsauto verladen zu werden.

In diesem Moment dämmert mir auf einmal: Zeug, das ich in den letzten Jahren nicht gebraucht habe und das ich nicht einmal mehr kenne, werde ich nie mehr brauchen. Ich habe es bisher nicht vermisst, dann werde ich es auch in Zukunft nicht vermissen. Am liebsten würde ich all diese Kisten auf der Stelle entsorgen. Aber so richtig traue ich mich dann doch nicht, so einen radikalen Schritt zu gehen.

Mühevoll nehme ich also jedes einzelne Teil, was in den Tiefen dieser Kartons schlummert, in die Hand. Ich bin selbst überrascht – aber bis auf die Sachen, die meinem Mann gehören, wandert schließlich doch alles in die Tonne. Unglaublich, was für einen Ramsch ich da von Wohnung zu Wohnung mit mir herumgeschleppt habe. Ramsch, den ich weder brauche noch haben möchte.

Langsam, aber sicher arbeite ich mich von Kiste zu Kiste durch. Direkt neben mir eine große Mülltüte, die sich in rasantem Tempo füllt, und ein großer Pappkarton, in den alle Teile wandern, die noch gut weiterzugeben sind. Und während die Umzugskisten vor mir immer leerer und die Mülltüten und Weitergebekartons immer zahlreicher und voller werden, fühle ich etwas Neues: einen Hauch von Leichtigkeit.

ICH MUSS DAS NICHT BESITZEN

Leichtigkeit. Ist das nicht ein wundervolles Wort? Irgendwie fühle ich mich gleich fünf Kilo leichter, wenn ich mir nur das Wort auf der Zunge zergehen lasse. Leichtigkeit. Ein Wort, das ich mir eigentlich so für mein Leben wünsche. Ich möchte leicht durchs Leben gehen. Frei sein für all das, was Gott für mich vorbereitet hat, und nicht beladen und überlastet, erdrückt von so vielen Dingen.

Und irgendwie findet ein ganz neuer Gedanke auf einmal seinen Weg in meine innere Überforderung: Ich muss das nicht besitzen.

Ich muss das nicht besitzen. Eigentlich logisch, oder? Wer zwingt mich schon dazu, Sachen zu horten? Natürlich macht das keiner! Und trotzdem hatte ich irgendwie immer das Gefühl, diese Sachen nicht einfach loswerden zu können. Seltsamerweise fühlte ich mich verpflichtet, alles in meinen Wohnräumen zu verstauen, was sich im Lauf der Jahre so angesammelt hatte: eigene Käufe, Geschenke von anderen, Geerbtes und was sich sonst irgendwie in mein Zuhause geschlichen hatte.

Der Gedanke, dass ich all diesen Kram nicht besitzen muss, sondern darf, verändert mich plötzlich. Gott beschenkt mich mit vielen wundervollen Dingen, die ich gebrauchen und lieben darf (DANKE, Herr, für meine Waschmaschine!!!), aber er bürdet mir keine Last mit all diesem Besitz auf. Die Dinge in meinem Zuhause sollen mein Leben bereichern und erleichtern, aber nicht verkomplizieren und beschweren. Ich bin frei, diese Dinge loszuwerden.

Was für wundervolle Gedanken. Ich genieße diese neu erkannte Wahrheit einmal ganz bewusst, als würde ich auf einen gemütlichen Sessel sinken: Ich muss all das Zeug, was sich in meinem Zuhause befindet, nicht besitzen. Ich muss den Kram, den ich in all diesen Kistchen, Taschen und Schubladen verstaut habe, nicht besitzen. Ich darf. Und darin liegt der entscheidende Unterschied. Wenn ich etwas muss, dann habe ich keine freie Wahl. Ich bin nicht mein eigener Herr, sondern werde von Verpflichtungen, Versprechen oder anderen Menschen bestimmt. Wenn ich hingegen etwas darf, kann ich selbstbestimmt sein und Entscheidungen so treffen, wie ich sie für richtig halte. Ich bin eigenverantwortlich und kann meinen Weg selber kreativ gestalten.

AUF EINMAL FINDET EIN GANZ NEUER GEDANKE SEINEN WEG IN MEINE INNERE ÜBERFORDERUNG: ICH MUSS DAS NICHT BESITZEN.

Auf einmal wird mir bewusst, was dieser kleine Unterschied von dürfen und müssen für mein Zuhause und mein ganzes Leben bedeuten könnte. Ich darf meine Sachen besitzen, aber ich muss nicht. Obwohl diese Erkenntnis eigentlich so selbstverständlich ist, begeistert sie mich total und öffnet mit einem Mal Türen, die mir bislang verschlossen zu sein schienen.

Bislang habe ich mich nicht so frei gefühlt, hier einen eigenen Weg einzuschlagen. Etwas hat mich daran gehindert, diese Freiheit ganz unbekümmert auszukosten, und auch jetzt plagen mich Gewissensbisse: Ich komme mir irgendwie undankbar vor, wenn ich mir eingestehe, etwas gar nicht haben zu wollen. Woher kommt das eigentlich?

DAS NOTZEITEN-MINDSET IN DER ÜBERFLUSSGESELLSCHAFT

Ich glaube, dass das ganz viel mit unserer Prägung und Erziehung zusammenhängt. Die meisten von uns sind mit Eltern oder Großeltern aufgewachsen, die noch die Kriegs- und Nachkriegsjahre und damit bittere Armut und Existenznot miterleben mussten. Ist ja klar, dass wir dadurch von klein auf Dinge gelernt haben, die unseren Blick für Besitz geprägt haben. Manches bewusst, aber vieles auch unbewusst.

Mir wurde zum Beispiel immer und immer wieder beigebracht, dass ich für alles, was ich haben kann, dankbar sein muss. Es war egal, ob ich das geschenkte Kuscheltier superschön fand oder nicht, ich musste mich doch freuen, weil ich so privilegiert war, überhaupt eins haben zu können. Schließlich hatte Oma als Kind praktisch gar keine Spielsachen besessen und auch Papa musste sich mit ganz wenigen Habseligkeiten zufriedengeben, die er sein Eigen nennen durfte. Wenn ich mich nicht wirklich für dieses Geschenk begeistern konnte und es vielleicht gar nicht haben wollte, hieß es, ich sei undankbar oder verwöhnt.

Mir ist vollkommen bewusst, dass das etwas hart klingt und dass diese Art zu denken absolut angebracht und auch überlebenswichtig ist, wenn man sich in Notzeiten befindet. Wenn ich bitterste Armut leiden würde, wäre es nicht nur undankbar, sondern sogar bedrohlich für meine Existenz und die meiner Familie, wenn ich ein barmherziges Geschenk ablehnen würde.

Genauso herzlos wäre es, wenn ich meinem Kind nicht erlauben würde, diesen einzigen Teddy zu behalten, den es angeboten bekommt. In so einer Situation wäre es ganz und gar unwichtig, ob der Teddy nun besonders schön oder eher kratzig ist. Oder ob das einzige Paar Schuhe, das ich haben darf, meine Lieblingsfarbe hat oder nicht. Wenn ich ums Überleben kämpfe, sind Dinge wie persönlicher Geschmack einfach absolut egal. Wen interessiert schon, ob die Jacke hübsch aussieht, wenn sie das Einzige ist, was mein Kleines vor dem Erfrieren retten kann?

Es ist also total verständlich, dass unsere Großeltern, die furchtbare Dinge erleben mussten, dieses „Überlebens-Mindset“ entwickelt und mehr oder weniger für den Rest ihres Lebens behalten haben. Nichts durfte weggeschmissen werden, und zu wählerisch zu sein, ging gar nicht. Ist ja klar, wenn man das Mindset aus Notzeiten weiterlebt. Ich kann mehr als gut verstehen, dass die Kriegsgenerationen von ihren Erfahrungen so stark geprägt wurden, dass sie bis ans Ende ihres Lebens so gedacht und gelebt haben.

BEIDES TUT UNS MENSCHEN NICHT GUT: ZU VIEL UND ZU WENIG. WIR BRAUCHEN DIE MITTE.

Wahrscheinlich würde jeder von uns das genauso tun, wenn wir echte Armut erlebt hätten. Und damit wird auch klar, warum wir als Kinder vielleicht vorschnell als verwöhnt oder undankbar abgestempelt wurden. Weil wir das auch gewesen wären, wenn wir dieses Geschenk in Zeiten von existenzieller Not nicht hätten haben wollen. Der entscheidende Unterschied liegt aber darin, dass wir glücklicherweise nicht in Notzeiten leben. Wir sind durch Gottes Gnade tatsächlich so privilegiert, dass wir eine Wahl haben. Wir müssen nicht alles nehmen, was uns angeboten wird, weil wir nicht auf Überlebens-Mindset schalten müssen.

Und genau hier finden wir auch den Knackpunkt für das Problem des schlechten Gewissens, wenn wir uns von unserem Kram so überfordert fühlen und meinen, ihn nicht loswerden zu dürfen: Wir sind wahrscheinlich vom Notzeiten-Mindset unserer Großeltern geprägt und haben das Gefühl, auch noch danach handeln und leben zu müssen – obwohl wir nicht in Notzeiten leben, sondern in einer Überflussgesellschaft.

Es ist also wichtig, dass wir unsere innere Haltung und unsere Überzeugungen unserer Lebenssituation anpassen. Ein Überlebens-Mindset brauche ich dann, wenn ich ums Überleben kämpfe. Dann ist es gut und hilfreich. Wenn ich aber dasselbe Mindset lebe, wenn ich in einer Überflussgesellschaft lebe, ist es auf einmal gar nicht mehr gut und hilfreich, sondern sogar sehr kontraproduktiv.

Es wird noch einleuchtender, wenn man sich das Ganze wie eine mathematische Gleichung vorstellt:

Das Problem unserer Generation ist, dass wir von Menschen erzogen wurden, die in Notzeiten leben mussten und uns dementsprechend geprägt haben; wir selbst leben aber im Überfluss. Und das wird schwierig. Ein Notzeiten-Mindset ergibt nur in Notzeiten Sinn und ein Überfluss-Mindset nur in Überflusszeiten. Wenn ich nichts habe, muss ich auch nichts loswerden. Aber wenn ich zu viel habe, darf ich nicht unreflektiert sammeln. Ich muss meine innere Haltung meinen Lebensumständen anpassen.

Beides tut uns Menschen nicht gut: zu viel und zu wenig. Wir brauchen die Mitte.

Ich glaube, dass die Prägung unserer Großeltern und Eltern der Grund ist, warum wir uns so schwer damit tun, Dinge loszuwerden. Uns hängt einfach das Gefühl nach, doch nicht so undankbar für diesen Extrasessel sein zu dürfen, den Opa uns vererbt hat, den wir aber eigentlich gar nicht haben wollen, weil er in unseren Augen nicht schön ist mit seinem kratzigen, grünen Stoff und den Quasten am unteren Saum. Obwohl wir dieses Ding überhaupt nicht brauchen (weil wir schon eine wunderschöne Couch haben), meinen wir, es nicht ablehnen zu können. Schließlich war das der erste Sessel, den Opa sich nach dem Krieg hatte leisten können, sodass die Familie endlich wieder ein Plätzchen zum Kuscheln und für Gemütlichkeit hatte.