Minnelied - Margarethe Alb - E-Book

Minnelied E-Book

Margarethe Alb

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Beschreibung

Anna Mälzer wohnte schon so lange in einem der ältesten Häuser unterhalb der Ruine der Hallenburg, dass sich selbst die ältesten Steinbacher nicht besinnen konnten, wann sie in das Haus am Stadtrand gezogen war. Die alte Dame war für ihr Alter aber wirklich noch rüstig und ein Quell für alte Geschichten und Sagen rund um die Hallenburg und das gesamte Tal. Daher ist es nicht verwunderlich, dass man sie zum Burgfest bittet, eines der Märchen aus rauer Vorzeit zu erzählen. Und sie erzählt. Von Marie, der Tochter des Reginald von der Hallenburg, die vor ungefähr achthundert Jahren dort oben lebte. Vielleicht waren es aber auch hundert Lenze mehr oder weniger. Egal. Maries Mär zählt zu jenen, die nach Annas Meinung unbedingt berichtet werden muss. Aber Achtung! Die Zeiten waren rau und auch so manche Sitte. Daher ist Annas Erzählung vielleicht nicht für zu zart besaitete Gemüter zu empfehlen!

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Wer gap dir, Minne, den gewalt, daz dû doch sô gewaltic bist? dû twingest beide junc und alt: dâ für kan nieman keinen list. nû lobe ich got, sit dîniu bant mich sulen twingen, deich sô rehte hân erkant, wâ dienest werdeclîchen lît. dâ von enkume ich niemer: gnâde, küniginne, lâ mich dir leben mîne zît!

Wer gab dir, Minne, die Gewalt, Daß du so allgewaltig bist? Du zwingest beide, jung und alt, Dagegen gibt es keine List. Ich lobe Gott, seit deine Band Mich sollen fesseln, seit so recht ich hab erkannt Wo treuer Dienst sei an der Zeit, Da weich ich niemals ab: O Gnade, Königinne, Laß sein mein Leben dir geweiht!

Walther von der Vogelweide

Inhalt

So klingt es doch harmlos, oder?

Märchenoma

Burgfräuleins Tagwerk

Diesmal ein feines Burgfräulein

Hoher Besuch. Wie langweilig

Nachtleben

Rettet, was zu retten ist!

Schon wieder Gäste

Bericht von allerlei Durcheinander

Weihrauch und Himbeerblätter

Ein überraschender Ritt

Gastgebende vom Heiligen Kreuz

Über leere Flaschen und geistige Getränke

Zu früh geboren

Magie nach Art eines Flaschengeistes

Blondes Gift

Ehe oder nicht Ehe, oder was war nochmal die Frage?

Röslein, Röslein, Röslein rot

Märchenomagedanken

Gibt es ein Leben vor Kaffee? Ne

Zaubertränke. Und Kaffee. Viel Kaffee

Kaffeeknast

Von der Gewalt alter Zauber

Alte Baumeister wussten es ja doch. Mist

Kaffee und ein Gin-Dschinn

Was die alten Bücher so berichten

Ich hätte da noch was zu sagen

Das Spinnennetzgespenst

Kristallklare Ewigkeit

Die falschen Taler

So klingt es doch harmlos, oder?

ODER?

Anna Mälzer wohnte schon so lange in einem der ältesten Häuser unterhalb der Ruine der Hallenburg, dass sich selbst die ältesten Steinbacher nicht besinnen konnten, wann sie in das Haus am Stadtrand gezogen war. Die alte Dame war für ihr Alter aber wirklich noch rüstig und ein Quell für alte Geschichten und Sagen rund um die Hallenburg und das gesamte Tal. Daher ist es nicht verwunderlich, dass man sie zum Burgfest bittet, eines der Märchen aus rauer Vorzeit zu erzählen. Und sie erzählt. Von Marie, der Tochter des Reginald von der Hallenburg, die vor ungefähr achthundert Jahren dort oben lebte. Vielleicht waren es aber auch hundert Lenze mehr oder weniger. Egal. Maries Mär zählt zu jenen, die nach Annas Meinung unbedingt berichtet werden muss.

Aber Achtung! Die Zeiten waren rau und auch so manche Sitte. Daher ist Annas Erzählung vielleicht nicht für zu zart besaitete Gemüter zu empfehlen!

Märchenoma

Anna Mälzer war für ihr Alter echt noch gut drauf. Das hatte ihr zumindest einer ihrer Enkel bescheinigt. Sie zählte immerhin weit über neunzig Lenze.

Anna genoss das Mittelalterspektakel, welches das Burgfest auf der Spielwiese nahe der Ruine der altehrwürdigen Hallenburg ausmachte, in vollen Zügen. Ihr schneeweißes, hüftlanges Haar bildete einen herrlichen Kontrast zu ihrem blutroten Kleid, dessen Schnitt an das angelehnt war, dass heute als „mittelalterlich“ galt. Wobei sie diese modernen Versionen der Mittelalterklamotten super gern trug. Waren doch die verwendeten Materialien viel weicher und pflegeleichter als es die Originale je gewesen sein konnten. Davon abgesehen waren die Farben leuchtender, die Muster feiner gestaltet, und zwar ohne, dass sich eine Näherin die Finger beim Besticken blutig stechen musste. Oder gar sie selber mit der Nadel zu hantieren gezwungen war. Davon abgesehen hatte frau für anfallende Näharbeiten ja diverse technische Helferlein. Ihre schicke, sauteure Nähmaschine erledigte anfallende Arbeiten fast von allein. Sogar sticken konnte das Teil. Was sie in letzter Zeit ausführlich getestet hatte.

Anna nahm einen Becher aus glasierter Keramik von der Besitzerin des Kaffees, die heute auch einen mittelalterlich anmutenden Stand betrieb, entgegen.

Sie sog den Duft des frisch gebrühten Kaffees genießerisch tief in ihre Lungen. Der erste Schuck des fast noch kochend heißen Gebräus verbrannte ihr zwar die Zunge, aber das nahm sie nur zu gern in Kauf. Wer brauchte schon so viele Geschmacksknospen.

Schwarzer, starker Kaffee war etwas Feines. Es war ihr ganz persönliches Lebenselixier. Was sogar wortwörtlich zu nehmen war, war sie doch morgens, wenn die Maschine noch nichts von der bitteren Flüssigkeit ausgespuckt hatte, kaum anzusehen. Nicht, dass es nicht vielen anderen Menschen genauso ging, aber Anna war der Meinung, dass es bei ihr besonders schlimm war.

Genüsslich an ihrem Kaffee schlürfend, schlenderte sie an den hölzernen Händlerbuden und auch den Zelten der, für das Fest hier lagernden, Mittelaltervereine vorbei. Sie betrachtete die Auslagen der Handwerksleute, die lauter nützliche und dekorative Dinge mitgebracht hatten. Manche Sachen waren natürlich unbrauchbar, aber wer dachte da an solch einem Tag schon genauer darüber nach. Die Handwerker jedenfalls behaupteten, dass man ohne ihre Produkte nicht mehr auskommen könne. Oder so.

Lautstark boten einige von ihnen ihre Waren an, während andere es vorzogen, mit den Besuchern fröhlich zu schwatzen.

Hier kannte fast jeder jeden. Und wer sich nicht kannte, der lernte sich kennen. Oder kannte jemanden, den der andere auch kannte.

Anna begrüßte einige von ihnen, bevor sie am Stand des Schmiedes ein neues Messer für die Küche erstand. Handgearbeitete Klingen blieben einfach länger scharf und lagen sowieso besser in der Hand. Auch wenn im Hause Mälzer nicht sie die Köchin war und der Kochende eigentlich eher auf Klingen aus dem fernen Osten stand.

Wenn man an den Teufel dachte. Das laute Lachen war nicht zu verkennen. Murat, Annas Mitbewohner, verführte offenbar gerade wieder Leute mit seinen Zaubertränken. Der Meister des gepflegten Alkohols ließ es sich nicht nehmen, die Besucher höchstpersönlich in die Kunst des Mixens mit seinem geliebten Gin einzuführen. Er bot für Gäste, die noch fahren mussten, sogar eine alkoholfreie Variante an.

Der Gin-Dschinn war eine lokale Institution und nicht von derartigen Festen wegzudenken.

Sie trat näher und ließ sich gerade einen Gin-Tonic mixen, als ihr eine kleine Faust am Rock zupfte. Eigentlich zerrte der kleine Schwerenöter sogar ziemlich kräftig daran.

Gut, dass das Kleid maschinengenäht war, sonst hätte sie eventuell die Leute unfreiwillig mit ihrem Unterhöschen belustigt. Und wer wollte schon den Hintern einer so alten Schachtel, wie Anna es war, sehen? Niemand, so hoffte sie.

„Oma Anna, darf ich ein Schwert haben?“

Niklas, der jüngste einer Kinderschar, für die sie als Oma ehrenhalber fungierte, zupfte ihr am Ärmel. Anna hockte sich vor den Knirps.

„Bist du denn schon groß genug, eines ganz allein zu halten?“ Der Kleine nickte, dass seine rotblonden Löckchen nur so flogen.

„Da drüben gibt es sooo tolle Schwerter. Und Schilde und Helme auch.“ Ah ja. Anna schmunzelte.

Da wünschte sich jemand also eine Komplettausstattung. Sie ließ sich zu einem Stand ziehen, wo es unter anderem wunderbare Gürteltaschen aus feinstem Leder gab. Und eben die perfekte Ausrüstung für den Jungritter. In der Hoffnung, dass Niklas‘ Mutter nichts dagegen einzuwenden hatte, erwarben sie einen Helm aus bedruckter Pappe, ein echtes Holzschwert und einen bemalten Schild. Nachdem sie vorhin erst seiner Zwillingsschwester ein Steckenpferd spendiert hatte, erschien ihr das alles nur recht und billig. Außerdem stand es einer Großmutter ehrenhalber sowieso zu, die Kinder zu verwöhnen.

Der Miniaturritter sprang kurz darauf johlend davon, auf der Suche nach Feinden, vor denen er seine Schwester beschützen konnte. Oder nach der Schwester, um diese zu ärgern.

Was wahrscheinlicher war.

Anna holte sich ein Eis mit Cappuccinogeschmack und ließ sich auf einer der zahlreichen Bänke nieder, um den sahnigen Geschmack auf der Zunge zu genießen. Außerdem wollten dann doch noch die verbrannten Stellen gekühlt werden, die der heiße Kaffee vorhin hinterlassen hatte.

„Na, hast du die Gauner wieder zufriedengestellt?“ Maria, die Mutter der Zwillinge warf sich neben ihr auf die Bank und schlüpfte aus den Schuhen. Sie wackelte mit den Zehen und stöhnte.

„Das tut gut. Sag mir doch bitte mal, wer die Schuhe erfunden hat und warum?“ Anna grinste breit.

„Tut mir leid, das war vor meiner Zeit. Aber winters barfuß unterwegs zu sein ist nicht wirklich ein Genuss, Liebes. Und der Boden, auf dem wir heutzutage von Ort zu Ort eilen, ist auch nicht wirklich fußfreundlich. All der Beton und Asphalt. Früher waren wir auf Waldwegen und Wiesen unterwegs. Das war schön.“ Und viel zu lange her, da Anna zwischendrin ewig nichts davon unter den Füßen gespürt hatte.

Eine Maid in guter, handgearbeiteter Gewandung setzte sich zu ihnen. Anna bewunderte die Fingerfertigkeit der jungen Leute, die sich in ihr Mittelalterhobby so richtig reinknieten. Aber für sie wäre das nichts mehr. Ein Hoch auf Nähmaschine, Waschmaschine und Wäschetrockner. Jawoll.

Die junge Frau wrang überzogen theatralisch die Hände und warf Anna einen bettelnden Augenaufschlag zu.

„Anna. Du bist genau die Frau, die ich gesucht habe und hoffentlich meine Rettung. Die Märchenerzählerin ist ausgefallen. Sie hockt auf der Toilette. Hat sich den Magen verdorben. Sie schiebt es auf den Gin-Dschinn. Was meiner Meinung nach absoluter Blödsinn ist, aber sei‘s drum. Kannst du für sie einspringen? Bitte.“ Maria kicherte neben ihr in ihren Becher mit heißem Apfelmost.

„Das kommt jetzt sooo unerwartet. Warum habt ihr sie nicht von vornherein gefragt?“ Die Maid verdrehte die Augen.

„Das frage ich mich gerade auch. Anna, hilfst du uns aus?“ Anna warf Maria einen strengen Blick zu. Immerhin wusste Maria, ganz genau, worüber Anna da erzählte, wenn sie die „Märchenoma“ gab. Denn Maria war einer der ganz wenigen Menschen, die die Wahrheit hinter Anna Mälzers Dasein kannten. Aber was sollte es. Wenn sie schonmal da war, dann konnte sie auch aushelfen. Sie zerbröselte die leere Eiswaffel und warf diese den Spatzen, die bereits gierig tschilpend darauf warteten, zu. Ein Blick über die Gästeschar zeigte, dass sie sich nicht unbedingt an eine zarter gewobene Kindergeschichte halten musste.

Das Märchen, welches sie den versammelten Gästen nämlich stattdessen jetzt gleich erzählen würde, war das von einer Marie. Es berichtete von einer wunderbaren und selbstbewussten Jungfrau, der Tochter des Burgherren Reginald von der Hallenburg. Und diese spezielle Geschichte kannte sie in- und auswendig.

Burgfräuleins Tagwerk

In einer fernen Zeit, als die Welt noch ein Ort voller Magie und Märchen war, lebte auf der recht neuen und modern eingerichteten Hallenburg, oberhalb des heutigen Steinbach-Hallenbergs die Tochter des Reginald von den Hallenburgern, eine gar liebliche Jungfrau des Namens Marie.

Na gut, lieblich erschien sie im Augenblick nicht unbedingt, jagte sie doch gerade die versammelte Hundemeute der Burg aus der Küche.

Und fluchen konnte sie zweifellos. Kein Hund wagte es, langsamer zu werden, bevor er sich nicht in sicherer Entfernung zur Hausherrin befand. Lieber ließen sie sich von den Jägern anketten, als es zu wagen, zurück zur Küche zu strolchen. Obwohl es dort so unglaublich verführerisch nach Fleisch und Knochen duftete.

Grinsend schob Marie das Törchen zu, welches den inneren Hof vom Küchengarten und den Hundezwingern trennte. Als Tochter des Hausherrn oblagen ihr tagtäglich viele Pflichten, die sie allerdings fast alle wirklich gern übernommen hatte. Nach dem viel zu frühen Tod der Mutter war sie in ihre Rolle einfach so hineingeschlittert. Aber was hätte sie auch tun sollen? Jammern und Klagen? Das lag ihr nicht. Klar hätte sie den Vater einfach bitten können, eine Frau für diese Arbeiten einzustellen, aber warum?

Marie saß ungern herum, da konnte sie auch gleich mithelfen und die Alltagsgeschäfte übernehmen. Außerdem hatte die Mutter das auch alles selber erledigt. Und nur in der eigenen Kammer herum zu hocken, damit konnte sie sich, wie gesagt, überhaupt nicht anfreunden.

An diesem Nachmittag im späten Frühjahr war in der Küche die übliche Hölle los. Dichter Rauch stieg weithin sichtbar aus dem Kamin auf, da einer der Küchenjungen eben frisches Holz nachgelegt hatte. Die Luft im Inneren des Küchenbaus war geschwängert von Wasserdampf und den Gerüchen nach Brühe, reifen Frühäpfeln und frischem Brot.

Marie war wie üblich mit den Küchenmägden und dem Koch beschäftigt, alle Speisen und Gerichte für den Abend sowie den folgenden Tag vorzubereiten. Wenn nicht gerade die Hunde wieder hinter dem zum Braten vorbereiteten Rehrücken her waren.

Sie liebte es, dem Koch Arbeit abzunehmen und das Brot zu backen sowie eigenhändig zu brutzeln und zu garen. Für die Burgleute war es wichtig, gut zu essen. Wer satt und zufrieden war, erledigte seine Aufgaben auch gleich viel besser gelaunt.

Ein lauter Schrei schreckte alle auf. Eine hohe Stimme begann, jemanden unflätig anzukeifen und etwas landete laut klappernd an der Außenwand der Küche.

„Nicht schon wieder.“ Marie sprang auf und flitzte an der Seite des Kochs raus auf den Hof.

Wie es aussah, würde es abends keinen Kuchen und auch keine Eiergerichte geben, denn die dürre Liese, eine junge Magd mit strohblonden Zöpfen, sammelte gerade die Eierschalen vom Boden auf. Ein dicker Kater schlabberte bereits an den Resten der guten Hühnereier herum. Einer ihrer Holzpantoffeln lag neben der Küchentür. Der Schuh war zum Glück auf trockenem Boden gelandet. Hätte aber auch schief gehen können, denn gleich damit befand sich die Stelle, an der die Mägde oftmals das gebrauchte Wasser ausgossen. Auch, wenn sie dieses eigentlich unter die Obstbäume zu gießen angehalten waren.

„Der Griebel wars!“ Liese deutete auf den Ziegenbock, der mit unschuldiger Miene am Zaun zum Kräutergarten stand. Marie verkniff sich ein Grinsen. Der alte Bock wußte nur zu genau, wie er die Mägde triezen konnte und nutzte es gnadenlos aus, wenn jemand es vergaß, das Törchen abzusperren.

„Hättest ihn eben vorher wegsperren sollen.“ Der Koch schüttelte den Kopf.

Der Bock war nun einmal in den Augen des Gesindes ein boshaftes Vieh. Der Leibhaftige in Person, wie der Geistliche, der hin und wieder auf die Burg kam, nicht zu erwähnen müde wurde.

Und er liebte es, gerade die Liese zu erschrecken. Niemand sprang vor Schreck so herrlich hoch, wie die junge Frau. Der Koch zuckte mit den Schultern und wandte sich zurück in sein Reich.

Marie hingegen, schnappte das Biest bei den Hörnern und schob ihn in den Verschlag, der für die Ziegen errichtet worden war. Immerhin vermutete sie, dass sie diejenige nur zu gut kannte, die vergessen hatte, das Tor zu schließen. Wer hatte denn soeben die Hunde da durch gescheucht? An die eigene Nase fassen, das musste sie sich. Marie wandte sich zur Liese um.

„Geh schauen, ob du vielleicht noch ein paar Eier in den Nestern findest. Wenn nicht, geh ins Dorf herunter und frag bei einer der Bäuerinnen nach. Nimm als Gegenleistung Korn für die Hühner mit.“

Sie beobachtete, wie Liese im Hühnerstall verschwand und trat zurück zur Küchentür.

Die Küche befand sich, wie üblich, in einem extra Gebäude, da die Gefahr, dass eine Burganlage abbrannte, wenn in den Hauptgebäuden gekocht wurde, doch seit jeher sehr groß war.

Vor ihr herrschte das tägliche Gewimmel. Zwei der älteren Frauen stritten sich lauthals um ein Kräuterbund und etwas Gemüse. Die ältere der beiden fuchtelte mit einem Bund Möhren vor der Nase der anderen Magd herum, um ihre Aussagen zu unterstreichen. Der Junge, der den Bratspieß drehte, pfiff dazu die Melodie eines frechen Liedchens, welches ihm erst letztens ein reisender Barde beigebracht hatte.

Eine der leicht schrumpeligen Karotten löste sich vom Kraut. Wie ein Geschoß flog sie ausgerechnet durch die Tür bis in den Hof, wo sich Olina, die dicke Muttersau, noch im selben Augenblick darauf stürzte.

Marie wich dem Schwein gerade noch aus und lehnte sich in den Türrahmen.

„Mein Mädchen.“ Der wohlbeleibte Koch trat zu ihr und umarmte sie kurz.