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Ellie Carr ist siebenundzwanzig und weiß alles über Kekse. Menschen hingegen liegen ihr überhaupt nicht. Denn Ellie ist Autistin. Als Ellies Mutter nach einem Schlaganfall im Krankenhaus liegt, muss die junge Frau erstmals ihr Schneckenhaus verlassen und selbst für sich sorgen. Sieben selbsterstellte »Regeln für den Umgang mit Menschen« helfen ihr dabei. Doch leider lassen sich die Menschen nicht so einfach in Schachteln ordnen wie Ellies heißgeliebte Kekse ...
Bereits erschienen unter dem Titel »Wie Ellie Carr zu leben lernt«.
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Seitenzahl: 524
Buch
Ellie Carr ist siebenundzwanzig und weiß alles über Kekse. Menschen hingegen liegen ihr überhaupt nicht. Denn Ellie ist Autistin. Als Ellies Mutter nach einem Schlaganfall im Krankenhaus liegt, muss die junge Frau erstmals ihr Schneckenhaus verlassen und selbst für sich sorgen. Sieben selbsterstellte »Regeln für den Umgang mit Menschen« helfen ihr dabei. Doch leider lassen sich die Menschen nicht so einfach in Schachteln ordnen wie Ellies heißgeliebte Kekse ...
Autorin
Frances Maynard ist Englischlehrerin an einer Förderschule für Erwachsene mit Lernbehinderungen. Sie ist verheiratet, hat eine erwachsene Tochter und lebt in Dorset. »Miss Ellie meistert das Leben« ist ihr erster Roman.
Frances Maynard
Miss Ellie meistert das Leben
Roman
Aus dem Englischen von Marie-Luise Bezzenberger
Die Originalausgabe ist 2017 unter dem Titel »The Seven Imperfect Rules of Elvira Carr« bei Mantle, an imprint of Pan Macmillan, London erschienen.
Auf deutsch unter dem Titel »Wie Ellie Carr zu leben lernt« im Wunderraum Verlag erschienen.
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1. Auflage
Taschenbuchausgabe Mai 2019
Copyright © der Originalausgabe 2017 by Frances Maynard
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2017 by Wilhelm Goldmann Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München
Umschlaggestaltung: Uno Werbeagentur, München
Umschlagmotiv: Rekha Garton/Alamy Stock Photo; Natalie Ganelin/Arcangel
mb · Herstellung: kw
Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling
ISBN: 978-3-641-24662-4V001
www.goldmann-verlag.de
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1.»Bereit sein, Elvira, ist alles.«
Agnes Carr (Mutter)
Ich schrubbte gerade Kartoffeln, als es passierte.
Mutter mochte es, wenn man die Schale dranließ wegen der Vitamine, aber ich musste dafür sorgen, dass alle kleinen Flecken oder Keime herausgeschnitten waren. Ich wollte mir eben die Hausschuhe ausziehen, um mir die schmerzenden Füße zu reiben, als aus dem Wohnzimmer ein Krachen und ein Stöhnen zu hören waren. Mein Herz klopfte heftig. Ich wusste, dass so etwas vorkam, weil ich es bei Casualty gesehen hatte. Alte Menschen brachen oft zusammen, aber ich hätte niemals gedacht, dass Mutter das passieren würde. Ich war überrascht, dass sie es zuließ.
Ich wünschte, sie wäre in ihrem Opernunterricht umgefallen oder bei ihrem Bridge-Nachmittag, wo die Leute wussten, was zu tun war. Mit schmerzenden Füßen ging ich ins Wohnzimmer. Sie lag neben ihrem Sessel auf dem Boden und versuchte sich hochzuziehen.
»Alles in Ordnung?«, fragte ich. In so einer Situation war ich noch nie gewesen, ich wusste also nicht, was ich sonst sagen sollte.
Ich rollte den Saum meiner Schürze auf – es war die mit den »Hunderassen der Welt« – und betrachtete sie. Wenn Mutter sah, dass ich das tat, brüllte sie normalerweise »Schürze!« oder »Pullover!«, je nachdem, was ich gerade anhatte, diesmal jedoch sah sie mich gar nicht an. Sie sagte auch nichts, und das war ungewöhnlich. Die Geräusche, die sie von sich gab, klangen wie die der Affen in David Attenboroughs Naturdokumentation. Keine richtigen Worte, nur Stöhnen und Japsen.
Ich versuchte sie hochzuziehen. Mutter war ziemlich dünn, anders als ich, aber ich konnte sie nicht wieder aufrichten. Ihre linke Hand war ganz weiß, als sie sich damit am Sesselbein festklammerte.
Ich hatte selber Mühe, Worte hervorzubringen. »Hast du … dir die Hüfte gebrochen, Mutter?«, erkundigte ich mich. Das passierte alten Leuten doch oft. Älteren Leuten. (»Nein,einfach nur Leuten«, sagte Mutter immer finster. Sie behauptete, sie habe vorzeitig Falten bekommen, weil sie ihr Gesicht ständig zu Mienen verziehen müsse, die für mich verständlich waren.)
Mein Herz pochte immer noch. Ich konnte nicht klar denken, weil das alles so plötzlich gekommen war. Mutter stöhnte wieder, und ich glaubte, ein vertrautes Wort herauszuhören: »unnütz«.
»Soll ich den Arzt rufen, Mutter? Äh … oder soll ich nach drüben gehen, Trevor und Sylvia holen? Was soll ich tun?« Mutters Stöhnen wurde lauter. Sie hob den Kopf ein wenig. Das Haar hing ihr übers Gesicht wie bei der Verrückten in dem Horrorfilmklassiker, den ich mit Vater gesehen hatte, als Mutter »verreist« war. Ihr Mund hing ganz schief. Leute, die im Fernsehen Schlaganfälle hatten, fielen hin und waren auf einer Seite gelähmt, und bei denen war der Mund auch schief. »Hast du einen Schlaganfall gehabt, Mutter?«, fragte ich und bückte mich. Sie schnaubte. Krankenwagen, dachte ich. So machten andere Leute das.
Der Krankenwagen kam sehr schnell, mit zwei Männern – »Rettungshelfer« war das richtige Wort –, die jung und stark aussahen. Sie liefen herum, als wären sie es gewohnt, dass die Leute Schlaganfälle hatten, und sie machten viele Witze. Ich wusste, dass es Witze waren, weil der, der den Witz machte, dabei den anderen ansah und dann beide lachten. Ich rede nicht gern mit Fremden, aber ich war froh, dass diese beiden kamen. Dadurch fühlte ich mich sicher. Ich glaube, die beiden hätten sogar Mutter gefallen, wenn sie sich besser gefühlt hätte. Sie trugen sie in den Krankenwagen: »Sie sind ja federleicht, Schätzchen.« Mutter umklammerte die Ränder der Trage und machte immer noch Affengeräusche, obwohl sie doch niemand verstehen konnte.
»Das haben wir ganz schnell überprüft, keine Angst«, sagte der eine, und dann zu mir: »Kommen Sie auch mit, Schätzchen?«
Mir wurde ganz heiß im Gesicht, als er mich »Schätzchen« nannte.
Kommen Sie auch mit?
Ich ging doch fast nie irgendwohin. Vater war tot, und das Auto hatte Mutter verkauft. Wenn ich allein unterwegs war, kam es zu Vorfällen. Gelegentlich ging ich aus dem Haus, zum Beispiel zum Zahnarzt, und dann fuhr ich mit Mutter im Bus, doch das war dann »ein Aufstand«, und davon taten ihr die Knie weh.
Ich hätte ja gern einen Ausflug gemacht, aber Krankenwagen waren doch nur für Kranke da.
»Nein danke.« Ich starrte sein Ohr an. »Ich bin doch nicht krank. Und ich habe das Mittagessen noch nicht fertig.«
Die beiden sahen sich an. Ich knüllte eine Falte meiner Schürze zusammen und hielt sie ganz fest. Die Schürzenbänder schnitten in meine Taille. Es würde mir nicht schaden, ein paar Pfund abzunehmen. (»Mehr als ein paar«, sagte Mutter immer, und dabei sah sie mich an und rümpfte die Nase.) Wir ernährten uns »gesund«, weil Mutter entschied, was wir aßen, aber ich interessierte mich nun mal für Kekse. Das Einkaufen erledigte ich. An unseren Asda-Supermarkt war ich gewöhnt, also konnte ich allein dorthin gehen, und dort kaufte ich dann Kekse, manchmal ohne dass Mutter es merkte. Ich probierte gern verschiedene Marken und Sorten aus und verglich sie miteinander. Dadurch bekam mein Leben eine andere Dimension.
»Also, wir fahren dann mal.« Der Krankenwagenmann starrte mich an. »Sandhaven Hospital. Warten Sie eine Stunde, ehe Sie anrufen.«
»Wieso soll ich Sie denn anrufen?« Ich kaute auf meiner Lippe.
»Doch nicht uns, Schätzchen«, sagte er ganz langsam. Die Leute reden oft langsam mit mir. Mutter nicht. Sie redete schnell und laut und ließ keinen Raum für Antworten. »Rufen Sie im Krankenhaus an, um zu erfahren, wie’s Ihrer Mum geht. In Ordnung?«
»Bei mir ist alles in Ordnung, vielen Dank.« Ich war nicht krank, aber meine Füße taten weh, und mein Herz hämmerte immer noch, und in mir drin war ein neues, hohles Gefühl, so ähnlich wie das, das ich immer hatte, wenn ich ganz oben im Einkaufszentrum von der Rolltreppe schaute.
Das Haus fühlte sich ohne Mutter merkwürdig an. Es war sehr still. Normalerweise mag ich Stille, aber diesmal war zu viel davon da. Ich hatte es gern, wenn Mutter ausging, aber das war, weil ich wusste, dass sie wiederkam. Dienstagvormittag gab sie immer Unterricht für Opernliebhaber, ein Kurs namens U3A, das war »ehrenamtlich, aber dafür anderweitig befriedigend«. Ich dachte, U3A wäre ein Code oder vielleicht auch ein Klebstoff, aber Mutter sagte, das stehe für University of the Third Age, und das heiße, dass ältere Leute ihre Gehirne trainierten. Sie mochte Opern. Ständig spielte sie im Wohnzimmer Opern-CDs, und der Lärm hallte in meinem Kopf wider. Mutter kannte die Geschichten, von denen die Opern handelten. Meinen Namen, Elvira, hatte sie aus einer Oper von einem berühmten Komponisten namens Mozart. Mutter war der einzige Mensch, der mich Elvira nannte. In der Schule hatten sie mich Ellie genannt – zumindest die Lehrer. Und Poppy, die Freundin, neben der ich immer in der Mittagspause gesessen hatte. Sylvia von nebenan nannte mich auch Ellie.
Mutter gehörte zum Förderkreis Denkmalschutz. Die trafen sich jeden zweiten Mittwoch um drei Uhr, zwei Straßen weiter. Sie ging nur hin, wenn sie mit dem Gebäude einverstanden war, das sie schützen wollten. Ich mochte es nicht, nicht zu wissen, ob sie hinging oder nicht; Routine ist mir lieber.
Sie ging auch zum Bridgeclub in der Church Hall (Bridge ist ein Kartenspiel, aber »für dich viel zu kompliziert, Elvira«.) und organisierte, wer wann Erfrischungen mitbrachte. Vater war früher Vorsitzender und Schatzmeister des Bridgeclubs gewesen, hatte aber ganz plötzlich austreten müssen, wegen »Verpflichtungen im Ausland«. Mutter war zur selben Zeit ausgetreten, doch nach drei Wochen hatte sie gesagt: »Wieso soll ich mich verstecken?« und war wieder hingegangen.
Sie spielte gern Bridge, obgleich es manchmal »Unannehmlichkeiten« gab. Ein Mann beschuldigte sie, eine Karte zu verstecken, und immer gab es von ihrem Partner etwas, das sie als »Manöverkritik« bezeichnete. Als ich jünger war, war sie immer böse geworden, wenn ich zur falschen Zeit »Schnapp!« sagte, also war das wohl dasselbe. Karten bringen so was wohl in den Menschen zum Vorschein.
Wenn Mutter ausging, konnte ich die Hausschuhe ausziehen und einen Liebesroman lesen. Ich mag Liebesromane, weil ich weiß, was am Ende passieren wird. Überraschungen kann ich nicht leiden. Mutters Zusammenbrechen war eine große Überraschung gewesen. Keine Ahnung zu haben, wann sie zurückkommen würde, fühlte sich an, als wenn Sand unter meinen Füßen wegrutschte.
Ihr Stock, schwarz mit silbernem Griff in Gestalt eines Löwenkopfes, lag jetzt auf dem Boden, neben dem Sessel, in dem sie gesessen hatte. Ich hob ihn auf und lehnte ihn an den Sessel, damit es sich anfühlte, als wäre sie immer noch da. Dann legte ich die Füße auf Mutters Fußschemel aus rotem Samt, schloss die Augen und versuchte, mich an die Situation zu gewöhnen.
Als ich sie wieder aufschlug, hatte ich mich noch immer nicht daran gewöhnt. Ich finde es beruhigend, wenn alles beim Alten bleibt, aber jetzt war alles anders. Ich kochte mir Mittagessen, Rühreier mit zwei Scheiben Toast und einer Tasse Tee; das esse ich jeden Tag, doch selbst das war anders, denn normalerweise gab es das um ein Uhr. Wegen Mutters Zusammenbruch war es schon fast drei. Ich aß am Küchentisch, und mein Liebesroman lag aufgeschlagen neben mir. Merkwürdigerweise spielte er in einem Krankenhaus, auf der Intensivstation. Normalerweise lese ich gern, heute jedoch blieb mein Gehirn immer wieder an dem Wort »Krankenhaus« hängen, und dann pochte mein Herz aufs Neue, und ich musste das Buch weglegen.
Als ich klein war, hat Mutter mir abends immer vorgelesen. Bücher, die sie ausgesucht hatte: Kinderbücher, die zur Zeit der Römer spielten (»Dann lernst du wenigstens etwas, Elvira«), oder dieGeschichten aus den Opern oder wahre Begebenheiten aus dem Leben berühmter Entdeckerinnen. Mir gefielen nur die Kinderbücher, leider las Mutter die Stellen, wo es um Schlachten oder Sklaverei ging, immer ganz schnell und hielt ständig bei historischen Details an, um sie zu erklären. Sachen, die ich eigentlich gar nicht wissen wollte. Mir fielen dann immer die Augen zu, doch ich musste wach bleiben, weil sie mich nämlich manchmal am nächsten Tag nach dem Namen eines Landes fragte, das eine bestimmte Frau erkundet hatte, oder was die Römer zum Frühstück gegessen hatten. Manchmal setzte sie sich zu mir, während ich ein Wort im Wörterbuch nachschlug und es mir aufschrieb. Ich mochte es gern, wenn Mutter dasaß und mir vorlas und wenn sie »Gut gemacht« sagte, wenn ich das Wort am nächsten Tag noch wusste.
Blinzelnd holte ich mich in die Gegenwart zurück und klappte mein Buch zu. Mutter hielt nichts von Liebesromanen. Oder überhaupt von erfundenen Geschichten. Die meisten Bücher im Arbeitszimmer hatten Vater gehört. Er hatte viel gelesen. Thriller und Spionageromane. (Mutter hatte immer abfällig geschnieft und gemeint, das komme daher, dass er ja jede Menge Zeit zum Lesen gehabt habe; er habe ja sonst nicht viel zu tun gehabt. Das überraschte mich immer, denn Vater war ein viel beschäftigter Mensch mit sehr viel Energie gewesen.) Besonders konnte Mutter Romane nicht leiden, wenn ich sie beim Essen las, denn »miteinander essen heißt sich miteinander unterhalten«. Stattdessen las sie aus dem Daily Telegraph vor. Geschichten über gewalttätige Teenager oder Sozialhilfebetrüger oder Vegetarier. Oder sie las Kreuzworträtselfragen vor. Oft fand sie dabei die Lösung und trug sie ein. Ich war nicht sehr gut im Kreuzworträtsellösen.
»Das ist gut, Mutter«, sagte ich, während sie sich lächelnd zurücklehnte und die Kappe auf ihren teuren Füller steckte.
»Nicht schlecht für zweiundsiebzig. Verstehst du, warum die Antwort …?«
Ich nickte dann immer, denn wenn ich sagte, dass ich es nicht verstand, seufzte sie müde und erklärte alles noch einmal, und das dauerte sehr lange.
Als ich meine Tasse Tee ausgetrunken hatte, rief ich im Krankenhaus an. Mutter hatte nützliche Telefonnummern, zum Beispiel die vom Bridgeclub und die von der Bibliothek, vorn in dem Adressbuch neben dem Telefon stehen. Die Nummern vom Krankenhaus, vom Arzt und vom Zahnarzt waren extra groß geschrieben.
Ich hielt meine Schürze fest, während ich zuhörte, wie es am anderen Ende klingelte. Ich telefonierte fast nie.
»Welche Station wünschen Sie?«
»Äh. Meine Mutter. Sie haben sie im Krankenwagen mitgenommen. Sie …«
»Die Notaufnahme. Ich stelle durch.«
»Notaufnahme, hier ist Schwester James.«
»Meine Mutter. Sie ist kurz vor dem Mittagessen zu Ihnen gekommen. Mrs Agnes Carr.« Der Hörer war ganz glitschig in meiner Hand. Mein Herz begann von Neuem zu hämmern. Ich wusste nicht recht, was ich sagen sollte.
»Und Sie sind?«
»Ich heiße Elvira Carr. Ich wohne …« Ich fing an, Schwester James meine Adresse aufzusagen, doch sie ließ mich nicht ausreden. Dabei wusste ich sie auswendig, mitsamt der Postleitzahl und der Telefonnummer und der Vorwahl. Mutter hatte sie mich früher immer laut hersagen lassen.
»Sie sind die Tochter?«
»Ja«, antwortete ich. »Ich bin ein Einzelkind. Sie …«
»Wir haben ein paar Tests mit Ihrer Mutter gemacht.«
»Oh. Hat sie bestanden?« Mutter war klug. In Tests war sie bestimmt gut.
Eine kurze Pause. »Wir haben die Ergebnisse noch nicht. Wissen Sie, ob Ihre Mutter irgendwelche Medikamente nimmt?«
»Ja, das weiß ich. Ein Digoxin zum Frühstück. Ein blaues.« An das Digoxin erinnerte ich mich, weil es aus Fingerhut gemacht wurde und weil unsere Airedale-Hündin Tosca auch immer eins bekommen hatte, als sie schon alt war. Die waren gut für ihr Herz. Ein Airedale war eine Terrierart. Es gab einundfünfzig verschiedene Terrierrassen. Airedale-Terrier waren die zweite, nach den Aberdeen-Terriern.
»Danke. Wie redet Ihre Mutter normalerweise?«
Ich knetete den Saum meiner Schürze. Reden? Sie hatte oft auf Kreuzfahrtschiffen Reden über Opern gehalten, aber …
»Miss Carr?«
»Ja?«
»Spricht Ihre Mutter normal?«
Das war eine weitere schwierige Frage, weil ich nicht wusste, was »normal« war. Nur dass Mutter immer sagte, ich wäre nicht normal.
»Sie redet viel. Und sie lernt Italienisch von einer CD. Damit sie all die Worte in den Opern verstehen kann.«
Wieder eine Pause. »Wenn die Tests abgeschlossen sind, verlegen wir Ihre Mutter auf die Jersey Ward, unsere Station für ältere Leute. Jersey Ward«, wiederholte sie.
Ich wusste, dass Mutter sich nicht darüber freuen würde, weil sie doch nicht alt war. Oder älter.
»Wie lange wird sie denn dableiben?« Wieder knüllte ich meine Schürze.
»Das kann ich wirklich nicht sagen. Besuchszeit ist von zwei bis vier und von sieben bis acht. Wollen Sie sich das notieren?« Doch bevor ich überhaupt antworten konnte, hatte sie schon »Vielen Dank« gesagt und aufgelegt.
»Vielen Dank«, wiederholte ich. Dann legte ich auch auf, lehnte mich mit geschlossenen Augen gegen Vaters Schreibtisch und wartete darauf, dass mein Herz langsamer wurde.
Im Wohnzimmer drängten sich Mutters afrikanische Zierfiguren aus dunklem Holz auf dem Kaminsims. Sie hatte sie in Nairobi gekauft, bevor ich geboren war, als Vater beim Militär gewesen war, bei den Ingenieuren. Dort hatte sie Angestellte gehabt, die ihr im Haus halfen und sie »Madam« nannten. Sie waren zurückgekommen, als es für Vater in Kenia »zu heiß« geworden war. Afrika ist ein sehr heißes Land, das weiß ich, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass es dort vorher weniger heiß gewesen ist.
Mitten unter den afrikanischen Zierfiguren stand eine große goldene Uhr unter einer Glaskuppel. Sie war französisch, und unter dem Glas flogen dicke kleine geflügelte Babys umher (»Putten«, nannte Mutter sie). Die Uhr war ein Hochzeitsgeschenk von Mutters Eltern. Ich hatte sie nie kennengelernt, weil sie vor meiner Geburt gestorben waren, aber Vater sagte, sie hätten in einem Schloss gewohnt. Mutter störte es nicht, wenn die Uhr schlug, auch wenn sie gerade eine Oper hörte, aber sie sagte, wenn ich während einer Oper mit ihr redete, würde das stören. Wenn ich sie etwas fragte oder ihr eine Tatsache erzählte, die ich gelernt hatte, raschelte sie mit dem Telegraph und antwortete nicht. Manchmal hob sich der Telegraph vor ihr Gesicht, wenn ich ins Zimmer kam.
Ich schwankte ein wenig, als ich so dastand und die Figuren betrachtete. Sie waren Mutters ganz besondere Sachen, aber sie war nicht hier, um sie anzusehen. Ich überlegte, ob sie sie wohl vermissten.
Die Uhr schlug halb vier. Ich würde heute Abend ins Krankenhaus fahren müssen. Ich setzte mich in Mutters Ohrensessel und strich die Furche zwischen meinen Augenbrauen glatt. Noch nie war ich länger als einen Tag ganz allein gewesen. Mutter dachte, ich käme nicht zurecht. Sie stand hinter mir, wenn ich den Ofen anmachte, und hinterher ging sie nachsehen, ob ich ihn auch wieder ausgemacht hatte, und sie schnupperte andauernd, ob ich den Gasherd angelassen hatte. Das machte mich nervös. Auch jetzt war ich nervös. Woher sollte ich wissen, welchen Bus ich nehmen musste? Wie würde ich im Krankenhaus die richtige Station finden? Ich würde niemanden fragen können, weil ich doch Konversation nicht beherrschte.
Ich ging nach oben, zog die Vorhänge vor und stieg ins Bett, obwohl nur mein Gehirn müde war. So lag ich lange da, doch schließlich stand ich wegen der Kartoffeln wieder auf. Normalerweise aßen wir um sieben zu Abend, doch da würde ich nicht zu Hause sein. Ich würde Mutter besuchen, die ebenfalls nicht zu Hause sein würde.
Mutter behauptete immer, sie sei »nicht zu Hause«, wenn jemand zu Besuch kam und sie ihn nicht sehen wollte. Ich musste das dem Besuch dann sagen, und ich sagte es nicht gern, weil es nicht wahr war. Als ich jünger war, war oft ungebetener Besuch gekommen, Männer in Anzügen und mit Klemmbrettern, oder Männer mit rasierten Köpfen, die aussahen wie Boxer und versuchten, durch die Tür zu spähen. Sie seien Gerichtsvollzieher, sagten sie. Das hatte irgendetwas damit zu tun, dass sie Möbel mitnahmen, die man nicht mehr haben wollte.
Ich rieb mir die Stirn; ich machte mir immer noch Sorgen wegen der Kartoffeln. Im Geist hörte ich Mutters Stimme: »Bereit sein, Elvira, ist alles«, also schnitt ich sie klein und tat sie in einen Topf mit kaltem Wasser, den ich für meine Rückkehr bereitstellte. Ich bürstete mir die Haare und zog meine Schuhe und den dunkelblauen Wollmantel an, den ich schon seit sieben Jahren hatte, seit ich einundzwanzig war. Er war immer noch schick, auch wenn ich die beiden untersten Knöpfe nicht mehr zubekam. Mutter sagte, meine Fleecejacke sei nur für alltägliche Anlässe wie die Bibliothek. Ich kaute auf meiner Lippe, als ich den obersten Knopf zumachte; ich war mir nicht sicher, ob es als nicht alltäglich galt, ins Krankenhaus zu fahren, aber wahrscheinlich war es offizieller als die Bibliothek. Das Krankenhaus machte mir Angst. Ich ging nicht oft irgendwohin, wo es für mich neu war, und seit den Vorfällen auch niemals allein. Dies würde mein erstes Mal in einem Krankenhaus sein außer bei meiner Geburt. Wieder fing der Sand unter meinen Füßen zu rutschen an.
Ich ging die Hauptstraße entlang und drehte mich um, als ich einen Bus kommen hörte. SANDHAVEN HOSPITAL stand in großen Buchstaben vorne dran. Es war also leichter, dorthin zu gelangen, als ich erwartet hatte. Ich war überrascht, wie groß und grell das Krankenhaus war. Ich musste die Augen zusammenkneifen. Überall waren Gänge wie in einem Ameisenhaufen. Ich brauchte sehr lange, um die Jersey Ward zu finden, weil ich all die Pfeile und die Pläne nicht verstand. Es wäre leichter gewesen, wenn die Stationen richtige Namen gehabt hätten wie Nieren, Herz, Haut oder eben alte Leute. Am Schluss folgte ich einem alten Mann, der mit einer Einkaufstüte dahinschlurfte; ich dachte, er würde vielleicht jemand Altes in der Alte-Leute-Station besuchen. Das tat er auch, was bedeutete, dass ich »findig«gewesenwar, ein Wort, mit dem Mutter sich immer selbst beschrieb. Sie würde überrascht sein, wenn ich ihr davon erzählte.
Mutter lag in einem Zimmer mit alten Damen. Obwohl sie ständig sagte, sie wäre nicht alt, sah sie jetzt alt aus. Sie lag mit geschlossenen Augen da. Ihr Gesicht war eingesunken, der Körper winzig unter der Decke. Einen Augenblick lang dachte ich, sie wäre tot, doch als ich »Mutter?« sagte, riss sie die Augen auf, machte Geräusche und zupfte mit der linken Hand an der Decke herum.
Etwas raschelte. Eine Krankenschwester in hellblauer Kluft kam herbei, ihre Schuhe quietschten auf dem blanken Fußboden. Sie hatte dunkle Haut und ein weißes Lächeln.
»Sie sind Agnes’ Tochter, stimmt’s?«
Mutters Augen öffneten sich erneut und fixierten sie. Sie mochte es nicht, wenn Fremde sie beim Vornamen nannten. Mit ihrem schiefen Mund und den finster blickenden Augen sah sie aus wie der Wasserspeier über der Tür der Gemeindehalle der St. Anne’s Church, wo sie immer zum Bridgespielen hingegangen war.
Das Lächeln der Krankenschwester schrumpfte zusammen, als ich fragte, ob Mutter einen Schlaganfall hatte. Sie senkte die Stimme; es sehe ganz so aus, aber genau würden sie es erst wissen, wenn all die Testergebnisse da wären. Wie lange Mutter bleiben würde, wusste sie auch nicht. Es würde eine Beurteilung geben. Als Mutter stöhnte und versuchte sich aufzurichten, drückte sie sie sanft wieder nieder. »Nicht anstrengen, bitte, Agnes. Ruhe ist im Moment das Allerwichtigste.«
Mutter fielen die Augen zu. Ich hatte noch nie jemanden so mit ihr reden hören. So redete sonst nur sie.
Es war nach halb neun, als ich aus dem Bus stieg. Ich klingelte nebenan bei Sylvia, um ihr zu erzählen, was mit Mutter passiert war, und dass ich sie ganz allein besucht hatte. Während ich auf Sylvias Veranda wartete, schaute ich zu unserem Haus hinüber. Ich hatte es noch nie ganz dunkel gesehen, ohne jemanden darin.
Sylvia schlug die Hand vor den Mund, als ich es ihr erzählte, und mir fiel auf, dass der rote Nagellack an den ersten beiden Fingern abgeblättert war. Sie tätschelte mir den Arm. »Ich schaue morgen mal bei ihr vorbei, und dann unterhalten wir beide uns in Ruhe.« Normalerweise mochte ich es nicht, wenn andere Leute mich anfassten. Ich spürte die Abdrücke davon noch stundenlang, wie eine Verbrennung, aber diesmal fühlte ich mich dadurch sicherer auf den Beinen, als ich zu unserem dunklen Haus zurückging.
Mutter sagte immer, Sylvia sei »nett, aber gewöhnlich«. Früher war sie mal Managerin in einem Arbeiterheim (»Pommes, Bier und Kegeln«, hatte Mutter mit geschürzten Lippen dazu gemeint). Manchmal schaute sie »mal kurz auf ein Tässchen vorbei«, das bedeutete, dass sie herüberkam, um eine Tasse Tee zu trinken. Sylvia nahm Mutter öfter im Auto mit, und ich kaufte im Supermarkt Blumen, die Mutter ihr schenken konnte als Zeichen ihrer Wertschätzung. Jede Woche brachte ich die Daily Telegraphs hinüber, die Mutter ausgelesen hatte, damit Sylvia ihren Küchenmülleimer damit auslegen konnte. (Mit dem Daily Telegraph kann man viel machen, weil er so groß ist.)
Trevor, Sylvias Mann, schaute nie auf ein Tässchen vorbei. Er kam nur, um für Mutter Glühbirnen auszuwechseln, weil er groß war und keine Leiter brauchte, und um mit ihr über Politik einer Meinung zu sein. Dann schaute er wortlos auf mich herab, mit seinem struppigen Bart, die Hände nach der Lampenfassung ausgestreckt. Für Konversation hatte er nie Zeit, weil er immer in Eile war.
Sylvias normaler Gesichtsausdruck war leicht zu erkennen, es war nämlich derselbe wie auf der Karte mit der Aufschrift Fröhlich in der Darstellung der verschiedenen Gesichtsausdrücke an der Wand meines ehemaligen Klassenzimmers.
Ich wusste nicht genau, wie alt Sylvia war, weil sie blondes Haar hatte und bunte Sachen trug, aber als sie letzte Woche draußen ihre Wäsche aufhängte, wehte der Wind ihr das Haar gegen den Kopf, und die Wurzeln waren weiß, nicht gelb. Vielleicht war sie ja unter dem Blond fast so alt wie Mutter.
Bei dem Gedanken, dass Sylvia alt sein könnte, bekam ich wieder dieses hohle Sandrutschgefühl. Ich legte mich angezogen ins Bett und zog mir die Daunendecke über den Kopf. Ich hatte zu nichts Lust, nicht einmal zum Zähneputzen, doch später machte ich mir deswegen Sorgen und stand auf, um sie doch zu putzen.
Als Sylvia von ihrem Besuch bei Mutter zurückkam, füllten sich ihre Augen mit Tränen, und sie nannte mich »Knuffel« und »Liebes«. Und sie umarmte mich, womit ich nicht gerechnet hatte. Ich wusste nicht, ob ich sie auch umarmen sollte, ich war nämlich nicht mehr umarmt worden, seit Vater gestorben ist, und hatte ganz vergessen, wie das ging. Also ließ ich einfach die Arme baumeln, bis sie aufhörte. Dann wischte sie sich die Augen, und ich setzte Teewasser auf. Ich holte nicht die Keksdose hinter der Barriere aus Servierplatten ganz hinten im Küchenschrank hervor, obwohl ich wusste, dass sie voller Bourbons war, weil Mutter und ich nur um elf und um drei Kekse aßen. Bourbons waren 1910 von Peek Freans eingeführt worden. Zuerst hießen sie Creolas, und es sind ungewöhnliche Kekse, weil sie nach Schokolade schmecken, aber keinen Schokoladenguss haben. (Ich interessiere mich für die verschiedenen Keksvarianten, ihre Geschichte und ihre Verpackungen. Darüber weiß ich eine Menge.)
Sylvia und ich setzten uns aufs Sofa, und sie hielt meine Hand. »Ein echter Schock für dich, Knuffel.« Sie sah mir in die Augen, und ich schaute zu Boden. »Wie fühlst du dich?«
»Mir ist heiß.«
»Das hast du gut gemacht, deine Mum zu besuchen. Und auch noch ganz allein!« Ich schaute zu ihr auf. Ihre dunklen Augenbrauen bildeten zwei vollendete Halbkreise. »Bestimmt war sie sehr stolz auf dich.« Sylvia drückte meine Hand.
»Davon hat sie nichts gesagt. Sie konnte nicht sprechen.« Ich zerrte mit der freien Hand an einer Falte meines grauen Pullovers, hörte Mutter im Geist »Pullover!« rufen und ließ es dann bleiben.
Meine Hand fühlte sich unter der von Sylvia ganz schwitzig an. Diesmal schwieg sie so lange, dass ich sie abermals ansehen musste für den Fall, dass ich mit Reden an der Reihe war und es nicht gemerkt hatte.
»Deine Mum hatte immer Angst, dich allein zu lassen. Davor, dass du nicht zurechtkommen würdest.« Sylvia rutschte auf dem Sofa herum.
Ich nickte. Sie meinte, dass ich das Gas anlassen und Gemüsesonderangebote verpassen könnte.
Die Nägel an Sylvias Hand, die meine umfasst hielt, waren frisch lackiert. Sie sagte, Mutter habe mit ihr darüber gesprochen, was passieren würde, wenn sie … Sylvia beendete ihren Satz nicht. Dann meinte sie: »Am Ende erwischt es uns halt alle, Liebes.«
Am Ende hatte irgendetwas mit Tod zu tun. Ich zog die Hand weg und umklammerte die Sofakante. Die Welt rutschte um mich herum weg, und das Innere meines Körpers fühlte sich ganz hohl an. Ich wollte mich hinlegen.
»Mutter lebt doch noch.« Ich starrte den Fußboden an. Ich sah anderen Menschen nicht gern in die Augen, also schaute ich auf den Boden. Deswegen kannte ich mich sehr gut mit Bodenbelägen aus. Auch Staub bemerkte ich dabei und Sachen, die heruntergefallen waren. Und die Schuhe anderer Leute und Müll.
»Ja, Knuffel.« Sylvia tätschelte mir immer wieder die Hand. »Aber deine Mum muss jetzt vielleicht ständig betreut werden.« Als ich sagte, das wäre doch meine Aufgabe, fragte sie, wie ich sie allein aufrichten könnte und wie sie auf die Toilette kommen würde. »Ihr Gehirn ist geschädigt, Knuffel. Das kann niemand reparieren.«
Ich dachte über Mutters beschädigtes Gehirn nach. Ihr Geschick im Kreuzworträtsellösen und all das, was sie über Opern und übers Kochen wusste, würde auslaufen und verderben.
Sylvia sagte, Mutter habe Vorkehrungen für mich getroffen für den Fall … Mein Herz pochte, denn Vorkehrungen bedeutete, dass die Leute etwas arrangierten, ohne mit mir darüber zu sprechen. Mutter arrangierte immer alles Mögliche, ohne mich vorher zu fragen, zum Beispiel, dass ich dem Tischtennisclub der Gemeinde beitrat. Sie wurde böse, als ich mich weigerte hinzugehen, und redete die ganze Zeit über meinen BMI. Es gehe um finanzielle und juristische Vorkehrungen, die getroffen werden müssten, meinte Sylvia und rutschte wieder auf dem Sofa herum. »Dinge, die es dir leichter machen werden, ganz allein zu leben, Liebes.«
Ganz allein. Mutter hatte den Leuten immer erzählt, sie sei ganz allein zurückgelassen worden, als Vater starb. »Von Elvira einmal abgesehen, natürlich«, fügte sie dann hinzu. Dabei sah sie mich an, ohne zu lächeln, doch derjenige, mit dem sie sprach, lächelte dann jedes Mal und sagte etwas von Trost und Gesellschaft, und dann machte Mutter ein Geräusch, als ob sie sich ohne Taschentuch die Nase schnäuzte. Ich war noch nie ganz allein geblieben. Ich wollte nicht ganz allein sein. Nicht die ganze Zeit, nicht für immer.
Dann sagte Sylvia, Mutter habe gedacht … Sie stockte und sah mich an. Mutter habe gedacht, in einer betreuten Wohneinrichtung wäre ich sicherer.
Alle Kraft schien mich zu verlassen. »Ich will nicht ins Heim!«
»Schsch, schsch, Knuffel. Deine Mum hat gedacht, da bekommst du mehr Hilfe, das ist alles.«
Ich schaukelte vor und zurück. »Ich will zu Hause bleiben. Ich will nicht bei Fremden wohnen!« Ich fühlte Sylvias Arm um meine Schultern.
»Ist ja gut, Liebes. Lass uns schauen. Sehen wir mal, wie’s läuft.«
Was sehen? Wohin laufen? Das war alles sehr verwirrend.
Sylvia beugte sich vor und nahm abermals meine Hände in ihre. »Denken wir doch erst mal an das, was jetzt ist, Knuffel.« Sie sagte, ich solle Mutter saubere Nachthemden und einen Waschbeutel mit ihren Toilettensachen bringen, und wenn ich Lust auf eine Tasse Tee oder einen Plausch hätte oder wegen irgendwas einen Rat bräuchte, dann wüsste ich ja, wo sie sei. Ich nickte, zog die Hände weg und umklammerte den Saum meines Pullovers. Das wusste ich wirklich. Sie wohnte nebenan.
2. »Auch allein macht es Spaß.«
Delia Smith
Mutter und ich waren ordentlich. »Ein Platz für alles, und alles an seinem Platz, Elvira«, sagte sie immer und sah mich über ihre Brille hinweg an. Den Waschbeutel, den sie auf Reisen benutzt hatte, bewahrte sie in der obersten linken Schublade ihrer Kommode auf. Seit Vater gestorben war, hatte sie ihn nicht mehr gebraucht, weil sie mich doch nicht alleinlassen konnte. Davor hatte sie ihn immer auf die Kreuzfahrtschiffe mitgenommen, wo sie Vorträge über Opern und die Geburtsorte der großen Komponisten gehalten hatte.
Er war aus bedrucktem Stoff mit wasserdichtem Futter. Darin waren eine zusammenklappbare Zahnbürste, ein Schwamm und ein paar Miniaturseifen. Mutter hatte ihn immer fertig gepackt, für den Fall, dass ein Kreuzfahrtschiff mal ganz schnell eine Opernlehrerin brauchte. Ihren Pass bewahrte sie auch darin auf, in einer Plastiktüte. Ich nahm ihn heraus, weil ich wusste, dass sie ihn im Krankenhaus nicht brauchen würde.
Ganz hinten in der Schublade lag Vaters roter Paisley-Waschbeutel. Das überraschte mich, weil Mutter fast alle seine Sachen weggetan hatte, nachdem er vor sechs Jahren plötzlich gestorben war, als er gerade »verreist« gewesen war. Sein Waschbeutel war kleiner als ihrer, obwohl er viel öfter »verreist« war. Darin waren sein Pass und eine halb leere Flasche English-Leather-Rasierwasser. Ich schnupperte daran und sah Vaters Bild vor mir, lächelnd, mit Fältchen um die Augen. »Hallo, Vivi-Schatz.« Er war der einzige Mensch, der mich so nannte. Dann schraubte ich den hölzernen Deckel wieder zu, ganz fest, damit der Geruch lange hielt, und schaute mir seinen Pass an.
Er war in gutem Zustand, wenn man bedachte, dass er so oft benutzt worden war. Vater hatte in Kenia Brücken gebaut, und er hatte oft in Japan gearbeitet. Die Japanreisen hatten bedeutet, dass er sehr lange »verreist« gewesen war, einmal mehr als ein Jahr lang. Wenn er zurückkam, brachte er mir jedes Mal ein anderes Netsuke mit, so ein kleines geschnitztes Tier, das die Japaner am Gürtel trugen. Von der ganz langen Reise hatte er mir ein japanisches Notizbuch mitgebracht, mit Kirschblüten drauf und einem roten Seidenbändchen als Lesezeichen, und Mutter bekam einen roten Seidenkimono, der mit Kranichen bestickt war, als Morgenrock. Mutter hatte ihn kaum getragen, und er hing immer noch hinter ihrer Schlafzimmertür.
Die Vorstellung von Japan gefiel mir. Dort wäre jeder fremd, also würde ich nicht so auffallen.
Ich klappte Vaters Pass auf. Die Seiten waren leer. Ich schaute zweimal hin, weil ich ja oft Fehler machte, aber sie waren definitiv leer. Wie war das möglich?
Seine alten Pässe lagen ganz hinten in der Schublade, mit einem Gummiband zusammengehalten. Ich blätterte sie durch. Da waren die Fotos von ihm, ein immer jüngerer Vater mit zurückgekämmtem Haar und ordentlichen Augenbrauen. Ein paar afrikanische Stempel aus den Sechziger- und Siebzigerjahren. Ich blätterte weiter. Sonst keine Stempel. Nirgends ein Wort von Japan.
Auf den Passfotos bog sich Vaters Mund nach oben, genau wie im richtigen Leben. Ich wünschte, er wäre noch hier und ich könnte ihn fragen, wieso es keine offiziellen Nachweise seiner Japanreisen gab. Vater hatte es nie gestört, wenn ich Fragen stellte, sogar solche, von denen Mutter sagte, sie wären albern. Erhatte nie darüber gelacht; er hatte aufs Sofa geklopft und gesagt: »Komm, setz dich, Vivi-Schatz, und erzähl mir, was du wissen möchtest.« Ich habe ihn gefragt, wie Menschen auf dem Mond landen konnten, wo der doch nur so groß sei wie ein Fußball. Wenn er jetzt hier wäre, würde ich ihn fragen, wann Mutter wohl nach Hause käme.
Mutter würde natürlich wissen, warum in dem Pass keine japanischen Stempel waren! Sie würde Bescheid wissen. Sie wusste alles. Zumindest hatte sie alles gewusst. Einen Waschbeutel in jeder Hand lehnte ich mich gegen die Kommode. Ich drückte Mutters ganz vorsichtig und dachte an ihr beschädigtes Gehirn, löchrig geworden wie ein Schwamm, aus dem sämtliche Kenntnisse heraussickerten.
Mutter lag im selben Bett wie gestern. Mit der linken Hand umklammerte sie meinen Mantelärmel. »Doch nicht so«, sagte sie.
»Doch nicht wie?«, fragte ich.
»Doch nicht so.« Ihre Hand fiel herab.
Dasselbe sagte sie wieder, als ich nach Vaters Japanreisen fragte, sie schrie sogar und krallte sich abermals in meinen Ärmel, und ihre Augen traten hervor. Das bedeutete Wut, das kannte ich von den Gesichtsausdruckkarten.
Wegen dem Geschrei erwähnte ich Vaters Pass Mutter gegenüber nicht wieder, und als ich Sylvia danach fragte, sagte sie ganz schnell: »Das war vor meiner Zeit, Liebes«, und erkundigte sich dann nach Mutters Wäsche.
Es gab sonst niemanden, den ich fragen konnte, also schrieb ich »Warum sind in Vaters Pass keine japanischen Stempel?« auf die erste Seite des japanischen Notizbuches, das Vater mir mitgebracht hatte. Wenn ich etwas aufgeschrieben hatte, wurde es einfacher. Klarer. Bei Geschriebenem gab es keine Ablenkungen.
Ich kaute auf dem Ende meines Bleistifts herum. Als Vater in Kenia beim Militär war, hatte er für die Regierung gearbeitet und Brücken gebaut. Vielleicht hatte er ja in Japan auch für die Regierung gearbeitet; vielleicht war er in geheimer Mission dort gewesen, mit einem anderen Pass und unter falschem Namen. Es gab da einen Roman, in dem der Held für den Secret Service arbeitete – Gefährliche Diplomatie hieß er – und verschiedene Pässe benutzte. Das würde erklären, warum Vater nie über seine Reisen gesprochen hat, er hat immer bloß gesagt: »Das ist nur Geschäftskram, Liebling, fürchterlich langweilig.«
Ich notierte mir diese Idee unter der Frage auf der ersten Seite. Auf die zweite Seite schrieb ich: »Wann kommt Mutter aus dem Krankenhaus?«, dann saß ich im Schneidersitz auf dem Schlafzimmerteppich und rollte eine Zeit lang das seidige Lesebändchen des Notizbuchs zwischen den Fingern hin und her.
Mutter bekam Behandlungen für ihren Schlaganfall, aber sie konnte die Beine und den rechten Arm immer noch nicht bewegen oder irgendetwas anderes sagen als »Doch nicht so«.
Jetzt gab es ganz viele neue Dinge, die ich tun musste: Mutter zweimal am Tag mit dem Bus besuchen. Entscheiden, was ich essen sollte. Ohne ihre Liste einkaufen gehen. Die Hausarbeit erledigen, ohne dass sie mich beaufsichtigte. Mich vor Vorfällen in Acht nehmen, zeigen, dass ich doch ganz allein zurechtkam. Ich musste tagsüber ins Bett gehen, um das alles zu schaffen. Im Bett listete ich sämtliche Kekssorten auf, die ich kannte, und die dazugehörigen Marken, und sagte sie in alphabetischer Reihenfolge auf, doch es ging mir danach nicht immer besser.
Nachts dachte ich über Einbrecher und Schlimmeres nach. Dann fühlte ich mich ohne Mutter ganz besonders unsicher. Wenn ich aufwachte, konnte ich nicht aufhören, auf Geräusche zu achten, und ein paar Mal musste ich nach unten gehen und einen Stuhl unter die Haustürklinke klemmen. Den würde ich umkippen hören, wenn jemand einbrach. Mit Mutter war ich nachts nie nervös gewesen, obwohl sie doch klein war und am Stock ging. Ich wusste, wenn sie mit dem Stock herumfuchtelte oder schrie oder einen Einbrecher über ihre Brille hinweg ansah, dann würde ihn das in die Flucht jagen.
Wenn ich Bus fuhr, saß ich in meinen Mantel gekauert da und hielt den Blick fest auf die vorbeihuschenden Gebäude geheftet. Einmal hatte sich nämlich ein Mann neben mich gesetzt, ein ziemlich alter Mann mit einem Schnurrbart, und mich gefragt, ob ich einen festen Freund hätte. Als ich den Kopf schüttelte, bot er mir an, mein »Lover« zu sein und alles Mögliche mit mir anzustellen, ich wartete gar nicht ab zu hören, was. Ich steckte mir die Finger in die Ohren – er saß zu dicht neben mir, als dass ich an die Ohrstöpsel herangekommen wäre, die ich immer im Rucksack hatte, falls mal »alles zu viel« wurde – und quetschte mich an ihm vorbei, sodass der Reißverschluss meines Rucksacks über sein Gesicht kratzte. (Das machte mir hinterher Angst.) Den Rest der Fahrt über stand ich neben dem Fahrer. Vor Jahren hatte es einen Vorfall im Museum gegeben, nach dem ich mich genauso gefühlt hatte.
Ich war in eine Ausstellung über historische Backmethoden gegangen, allein, weil Mutter gesagt hatte, das sei unerträglich langweilig, und Vater »verreist« war. Dort hatte ein vertrocknetes Milchbrötchen aus dem 18. Jahrhundert in einer Vitrine gelegen, ein paar rostige, kunstvoll geformte Backformen und eine ganz frühe Packung Jacob’s Cream Crackers mit schnörkeliger Schrift.
Ich hatte viel Zeit damit verbracht, mir neue Fakten aufzuschreiben. Kurz bevor die Ausstellung schloss, kam ein Mann auf mich zu. Er sei der Kurator, sagte er, und bat mich, für die nächste Ausstellung Modell zu stehen: Mode im Laufe der Zeit. Er meinte, ich hätte genau die richtige Figur für eine junge Dame aus der Viktorianischen Zeit, und wenn ich nichts dagegen hätte, für ein paar Hintergrundfotos Modell zu stehen, würde ich dem Museum helfen und freien Eintritt für die Ausstellung bekommen. Ich konnte ihm nicht ins Gesicht sehen. Ich mochte Museen, und ich wollte auch helfen, aber ich wusste, dass ich auf Fotos immer ganz starr und steif aussah. Und der Gedanke, ein enges Korsett anzuziehen, das jemand anderem gehört hatte, gefiel mir auch nicht.
Der Kurator hatte viel gelächelt. Ob ich mich für Backmethoden interessiere, fragte er, und ich sagte, ja, vor allem für Kekse. Und er sagte, hinter den Kulissen hätten sie noch mehr Kekspackungen, zu viele, um sie auszustellen, und ich könnte als Gegenleistung für die Fotos welche davon behalten. Ich schaute auf die Uhr, weil es doch schon so spät war, und kaute auf meiner Lippe. Es war sonst niemand in der Nähe, und dann kam ein verwirrender Themenwechsel, und er behauptete, ich sei wie ein reifer Pfirsich. Ich starrte lange auf den Fußboden – blank polierte viktorianische Fliesen – und versuchte zu verstehen, was er meinte; Obst oder Einmachmethoden waren in der Ausstellung doch gar nicht vorgekommen.
Er meinte, ich müsste für die Fotos posieren, sobald das Museum zumachte, aber ich musste doch um sechs zu Hause sein, um Essen zu kochen, also konnte ich nicht. Ich sagte, ich könnte ja Mutter fragen und morgen wiederkommen, doch er musste ganz schnell weg.
Als ich Mutter davon erzählte und dachte, sie würde sich freuen, dass jemand meine Hilfe gebraucht hatte, war sie wütend geworden. Ich hätte es besser wissen sollen, als mich auf ein solches Gespräch einzulassen. Der Kurator hatte »eine Vertrauensstellung missbraucht«. (Eigentlich hatte er ja ganz still gestanden, er hatte sich nur zu dicht vorgebeugt.) Sie hatte im Museum angerufen, um sich zu beschweren, und ich war in mein Zimmer hinaufgerannt und hatte die Tür zugeknallt, die Finger in den Ohren und mit ganz heißem Gesicht, weil ich schon wieder etwas falsch gemacht hatte.
Mutter hatte mir befohlen herunterzukommen. Sie machte ein Gesicht, wie sie es immer aufsetzte, wenn sie eine Kreuzworträtselfrage sofort beantwortet hatte. »Ich hab’s ja gewusst«, verkündete sie. Der Mann war gar kein Kurator gewesen, sondern ein Wachmann mit einem Zeitvertrag, und der hatte an diesem Tag geendet. Wahrscheinlich hatte er keine Ahnung von Keksen. Oder von Mode im Laufe der Zeit.
Mutter würde nicht wollen, dass ich Fertiggerichte ohne Vitamine aß oder jeden Tag genau dasselbe, das wusste ich, weil sie das nämlich schon einmal unterbunden hatte.
Mutter war ein Fan des »Abenteuerkochens«, das hieß, dass man merkwürdige Sachen aus verschiedenen Ländern aß und »sich abwechslungsreich ernährt, Elvira«. Doch seit ihre Knie sich nicht mehr richtig bewegen ließen, hatte sie aufhören müssen, ungewöhnliche Gerichte zuzubereiten. Wir hatten es damit versucht, dass ich solche Sachen kochte, doch Mutter war vom ständigen Wiederholen der Anweisungen ganz heiser geworden. Allerdings war ich durchaus imstande, die Rezepte aus Delia Smith’s Kochbüchern nachzukochen, weil die nämlich »idiotensicher« waren. Mutter kaufte mir jedes Weihnachten eins, immer ein anderes. Delia Smith ging die Dinge immer einen Schritt nach dem anderen an und trug auf dem Foto eine Strickjacke.
Ich machte mir eine Liste – das beruhigte mich immer – mit sieben Delia-Smith-Gerichten, wie zum Beispiel Vegetarischer Shepherd’s Pie mit Käsepüree, und trug sie in den Kalender in der Küche ein wie in eine Speisekarte. In dem Kalender war für jeden Monat ein Foto von einem anderen Terrier. Sylvia hatte ihn für Mutter gekauft wegen unserer Hündin Tosca. Diesen Monat war es ein Jack Russell. Ich trug auch meine Aktivitäten ein: die Daten und Anfangszeiten von Casualty und Coronation Street und die Tage, an denen die Mülltonnen hinausgestellt werden mussten.
Ohne Mutters Liste Lebensmittel einzukaufen bedeutete, dass ich entweder zu viel oder zu wenig oder das Falsche kaufte. Ich geriet in Panik, als ein Blumenkohl nicht ins Gemüsefach des Kühlschranks passte. Wie sollte ich denn das ganze Ding essen? Essen wegwerfen durfte ich nicht. Schließlich musste ich ihn als Gemüsebeilage kochen und die nächsten fünf Tage zu jedem Delia-Smith-Gericht Blumenkohl hinzufügen, auch wenn er nicht im Rezept stand. Ich fühlte mich unwohl dabei.
Schließlich jedoch schaffte ich es, mir eine Standardeinkaufsliste zu machen, eben weil ich jede Woche genau dasselbe aß, und nahm sie jedes Mal mit. Das war das, was Mutter »maximale Effizienz« genannt hätte, wenn es ihre Idee gewesen wäre.
Ich ging immer im Asda-Supermarkt einkaufen, also war wenigstens das nichts Neues. Dorthin konnte ich zu Fuß gehen. (Einmal hatte es einen Zwischenfall gegeben, einen von mehreren, die Mutter mich alle nicht hatte vergessen lassen, bei dem ein anderer Asda im Spiel gewesen war, doch ich bemühte mich, nicht daran zu denken.) Ich mochte den Asda, weil die Gänge immer gleich angeordnet waren und weil ich dort Freunde hatte. Der Mann, der die Einkaufswagen einsammelte – auf seinem Namensschild stand CLIVE –, sagte immer »Hallo«, und DENNIS hinter der Käsetheke packte immer kleine Mengen Stilton und Cheddar ein, ohne dass ich darum bitten musste. Weil ich Stammkundin sei, sagte er. Ich ging immer an die Kasse, wo JANICE arbeitete, weil sie auch »Hallo« sagte und manchmal noch eine Bemerkung über das Wetter machte. Einmal fragte sie mich, wie ich hieße, und als ich es ihr sagte, meinte sie: »Elvira. Also, dasist ja ungewöhnlich.«
Außerdem benutzte ich den Terrier-Kalender – er erwies sich als unbezahlbar –, um einen Hausarbeitsplan und eine Checkliste auszuarbeiten, auf der ich die einzelnen Tätigkeiten abhaken konnte, wenn ich sie erledigt hatte. So eine hing auch hinter der Tür der Damentoilette im Asda. Ich hatte mir schon früher so eine Liste machen wollen, aber Mutter sagte, das sei lächerlich. »Lächerlich« war eins ihrer Lieblingswörter.
Donnerstag gab ich mir selbst hausarbeitsfrei, aber Mutter ging ich trotzdem besuchen. Ich wusste nicht recht, was ich sonst an einem freien Tag tun sollte. So etwas hatte ich nie gehabt, als Mutter noch zu Hause war, weil ich doch ihren Telegraph kaufen und ihre Bibliotheksbücher zurückbringen und ihre Medikamente besorgen und jeden zweiten Tag Lebensmittel einkaufen musste, damit noch Vitamine drin waren, und die Treppe rauf- und runterlaufen und ihre Brille holen musste.
All das brauchte ich jetzt nicht zu tun. Aber ich fühlte mich innerlich ganz leer, weil ich es nicht tun musste.
3. »Verlassen Sie sich niemals auf Mutmaßungen.«
Mr Watson, Anwalt
Das Telefon klingelte. Ich ging nicht gern dran, weil ich nie wusste, wann ich mit Sprechen dran war. Es hörte auf zu klingeln, dann klingelte es wieder. Meine Hand schwebte in der Luft. Vielleicht war es ja das Krankenhaus. Ich hob den Hörer ab.
»Hallo, mein Herz. Wie geht es dir?«
Keine Krankenschwester hatte mich je »mein Herz« genannt. Ich schwieg.
»Ist deine Mutter da? Ich habe seit Wochen nichts mehr von ihr gehört. Hier ist Jane, die alte Schulfreundin deiner Mutter, Herzchen. Jane, aus Dunstable.«
»Jane aus Dunstable«, wiederholte ich. Die kannte ich. Sie hatte Mutter geraten, mich in ein Heim zu stecken. Mutter hatte sie jeden Sonntagabend um Viertel vor sieben angerufen. Das war die einzige Zeit, wo ich Mutter hatte lachen hören. Der Hörer rutschte mir aus der Hand, und ich spürte, wie mich wieder alle Kraft verließ. Konnte Mutter mich in ein Heim stecken, jetzt, wo sie doch nicht einmal mit dem Sozialdienst sprechen konnte? Konnte Jane das tun, obwohl sie in Dunstable wohnte? Hastig griff ich nach dem Hörer auf dem Fußboden.
»Herzchen! Alles in Ordnung?«, erkundigte sich Jane.
»Mutter hatte einen Schlaganfall«, stammelte ich. »Sie ist im Krankenhaus. Sie kann nicht laufen.«
»Oh! Oh! Die arme Agnes! Was für ein Schlag!«
»Ich habe sie nicht geschlagen«, beteuerte ich mit pochendem Herzen. »Sie ist hingefallen. Ich war nicht mal im selben Zimmer.«
»Nein, mein Herz. Ich meinte Schlag in einem anderen Sinn.« Jane sprach jedes Wort einzeln aus. »Deine arme Mutter. Sie kommt doch bald wieder nach Hause, oder?«
»Nein.« Mein Herz schlug so schnell, dass mir ganz schwindlig war.
»Wirst du dich denn nicht um sie kümmern? Ich würde ja selbst kommen und sie pflegen, wenn nur mein Rücken nicht wäre.«
»Wir warten darauf, wie die Tests gelaufen sind.«
»Wir?«
»Ich und Sylvia von nebenan.«
Abfälliges Schniefen und eine lange Pause an Janes Ende der Leitung.
»Weißt du, Herzchen, das überrascht mich ja nicht«, sagte sie. »Das mit dem Schlaganfall. Wenn je eine Frau auf so etwas zugesteuert ist, dann deine Mutter.«
Ich schwieg. Mutter hatte seit Jahren nichts mehr gesteuert, seit sie das Auto verkauft hatte. Das Auto hatte Morgan geheißen – oder vielleicht war das auch die Marke gewesen. Es war Vaters Ein und Alles gewesen. Mutter hatte es verkauft, während Vater »verreist« war, die ganz lange Japanreise. »Um die Bridgeclub-Mitglieder zu entschädigen«, hatte sie gesagt. Das hatte mich verwirrt, weil Vater doch das Interesse am Bridge verloren hatte und weil es doch sein Auto war.Dass es nicht mehr da war, war der Grund, warum er sich nach seiner Rückkehr tagelang in seinem Arbeitszimmer einschloss.
»Wenn ich nur daran denke, was sie alles durchzustehen hatte … Dieser Betrug und die ganzen Lügen. Und dann natürlich die Schande … Und doch hat sie anfangs vergeben … Wie eine so kluge Frau nur so dumm sein konnte! Ich hab’s ihr gesagt. Ofthabe ich’s ihr gesagt. ›Zieh einen klaren Schlussstrich‹, habe ich gesagt. Aber sie hat immer gemeint, ich würde das nicht verstehen, weil ich ledig wäre und keine Mutter. Aber am Schluss hatte sie dann natürlich doch genug.« Jane schniefte. »Alles Schnee von gestern, und das hat die arme, gute Agnes nun davon.«
Ich stand neben Vaters Schreibtisch und schaute auf die Eiche im Vorgarten hinaus. Was Jane da gesagt hatte – »Betrug, Lügen, Vergebung, Schande« –, klang wie der Titel eines dieser ausländischen Filme, die Mutter so gern mochte.
Ich holte das japanische Notizbuch, um meine Gedanken zu sortieren, und schrieb Janes Worte auf, gefolgt von einer Frage: »Was hat sie damit gemeint?« Darunter schrieb ich, dass ich nicht diejenige gewesen sein konnte, die Mutter betrogen hatte, ich log nämlich nicht. Lügen waren zu kompliziert. Jane hatte Mutter »dumm« und »eine kluge Frau« genannt. Wie konnte sie zwei verschiedene Dinge auf einmal sein? »Dumm« nannte Mutter mich; ich hatte nie gehört, dass sie das über sich selbst gesagt hätte.
»Natürlich komme ich mit, Knuffel.« Sylvia hängte meinen Mantel auf. »Geh und setz dich, und ich mache uns eine schöne Tasse Tee. Ich habe Kekse von Marks & Spencer. In einer Dose.«
Vorhin hatte eine Schwester im Krankenhaus etwas von einem Beurteilungsgespräch gesagt, um zu entscheiden, wo Mutter hinsollte. Gerade als ich mich daran gewöhnt hatte, dass sie dort war. Wieder woandershin. Wohin denn?
Die goldene Keksdose war ein Continental Assortment. Ich schaute sie immer wieder an und überlegte, ob die Kekse darin wohl anders waren als die in der Extra Special Continental Selection vom Asda. Als Sylvia die Dose aufmachte, waren ein paar von den Keksen in Goldfolie eingewickelt, nicht in Silberfolie, und die Schokostäbchen waren aus Zartbitterschokolade, nicht aus Milchschokolade. Einen Moment lang umklammerte ich meine Knie ganz fest mit beiden Armen.
Ich nahm mir ein Dreieck aus weißer Schokolade und eine Pralinenwaffel und versuchte zu verstehen, was Sylvia sagte. »Ein Auge auf mich haben« und »Mutters Anwalt« und »sich um die Geldangelegenheiten kümmern« hörte ich. »Sie war weise wie eine Eule, deine Mum«, fuhr Sylvia fort. »Hat an alles gedacht. Na ja, musste sie ja auch, nicht wahr, wo doch dein Dad …«
Ich schaute weg und sah im Geist Mutter mit strengem, allsehendem Blick auf einem Baum sitzen. Es war ein beklemmendes Bild. Meine Gedanken wanderten zu den Kranichen auf ihrem Kimono, die ohne Landkarte Tausende von Kilometern weit fliegen konnten. Landkarten brachten mich auf Pässe und darauf, dass Vaters Pass ungestempelt war, und dann dachte ich an die unbeantwortete Frage, wann Mutter aus dem Krankenhaus käme. Aus dem Krankenhaus wohin? »Doch nicht so«, hörte ich wieder und wieder. Jäh sah ich Mutter zu Hause vor mir, bei mir, das Gesicht ganz schief, wie sie mit ihrer guten Hand mit dem Löwenkopfgehstock herumfuchtelte. Ich konnte die Pralinenwaffel nicht aufessen und ertappte mich dabei, wie ich vor und zurück schaukelte.
Sylvia legte die Arme um mich. »Ist schon schwer, Knuffel. All diese Veränderungen.«
Ich nickte, den Kopf gegen ihre Brust gepresst. Die war zwar weich, aber ich mochte das Gefühl nicht, so gedrückt zu werden.
Sylvia sagte, ich würde das alles ganz prima machen, und nicht jeder könne seine Mutter zweimal am Tag im Krankenhaus besuchen. Als ich aufschaute, hatte sie Tränen in den Augen.
Ich verstand nicht, wieso sie weinte, wenn sie nette Sachen sagte. »Soll ich dir noch eine Tasse Tee machen?«, fragte ich. In der Schule hatte man uns beigebracht, Tee zu machen, wenn jemand traurig war.
Sie lachte und putzte sich die Nase. »Nein, ist schon gut, Knuffel. Ich bin nicht traurig, nur manchmal, wenn ich an deine arme Mum denke.«
Sylvia gab mir ein paar Kekse mit nach Hause, eingewickelt in eine Serviette mit Stechpalmen drauf. Wenn Vater »verreist« war, hatten wir Weihnachten immer bei Sylvia verbracht. Wenn er nicht »verreist« war, kamen sie und Trevor am Weihnachtsabend auf einen Drink zu uns. Das war schon lange nicht mehr vorgekommen, weil Vater 2010 gestorben war. Letztes Jahr hatte ich eine Champagnerflasche vom Asda mitgebracht, ein Sonderangebot aus dem Telegraph, und Mutter einen Weihnachtskuchen in einer Geschenkschachtel. Trevor, der mit zerzaustem Bart auf der Türschwelle über mir aufragte, hatte die Flasche genommen und irgendetwas davon gebrummt, dass die aufzumachen der Höhepunkt seines Tages wäre. Und dann hatte Sylvia aus der Küche gerufen: »Kommt rein, kommt rein. Fröhliche Weihnachten!«
Vater fand Feiern immer sehr aufregend. Er sprach dann mit lauter Stimme und lächelte und lachte ganz viel und streckte die Hände aus, um andere Leute am Arm anzufassen, vor allem Frauen. »Das ist ja toll, Schätzchen«, sagte er dann immer, oder: »Also, da haben Sie vollkommen recht, alter Knabe«, wenn es Männer waren. Dabei hatte er ein Glas in der einen Hand und eine Zigarre in der anderen und war in eine Wolke aus Rauch und Brandydunst gehüllt. »Überlebensgroß«, nannte Mutter ihn, doch obgleich er groß war, hätte ich ihn nicht als Übergröße eingestuft.
Zu Hause schrieb ich in das japanische Notizbuch, was Sylvia gesagt hatte, dass ich es ganz prima machen würde. Mit Datum, als Rückversicherung dagegen, weggeschickt zu werden. Im Bett wickelte ich die Weihnachtsserviette auf und legte die Kekse in einer Reihe auf das Kopfkissen, mit gleichgroßen Abständen dazwischen. Es gab einen runden mit gewelltem Rand – eine Coquille –, den ich noch nie in irgendeinem anderen Continental Assortment gesehen hatte. Den hob ich mir bis zum Schluss auf.
Bei Mutters Beurteilungsgespräch gab es Kekse mit Schokofüllung, auf einem Teller auf einem Beistelltisch, neben einer Schachtel Papiertaschentücher. Mutters Bedürfnissituation und ihre Pflegeheimanforderungen wurden besprochen, und ein Arzt sagte ein Medizinwort, bei dem Sylvia, den Bleistift über ihrem Notizbuch, wissen wollte, wie man das buchstabierte. Mutter schüttelte in ihrem Rollstuhl den Kopf – »Doch nicht so« –, doch ob sie damit meinte, dass der Arzt falsch buchstabiert hatte, oder ob sie sich weigerte, in ein Pflegeheim zu gehen, wusste ich nicht. Ich zählte die Zickzacks auf dem Parkettboden. Niemand sagte, dass Mutter nach Hause kommen sollte.
Als sie mich fragten, wie ich darüber dachte, konnte ich nur das Pochen meines Herzens spüren, sonst nichts. Sylvia sagte, ganz ehrlich, Liebes, sie sehe keine Alternative. Ich schluckte, ohne etwas zu sagen. Treibsand saugte an meinen Füßen, weil hier Sachen für Mutter arrangiert wurden, die doch immer alles Mögliche für mich arrangiert hatte. So oft hatte ich Angst gehabt, dass sie mich wegschicken würde, und jetzt schickte ich sie weg. Ich starrte eine Stelle auf dem Parkett an, wo der Lack ab war. Eine Sozialarbeiterin erklärte mir ganz langsam, dass ich Mutter jederzeit besuchen könnte, und reichte uns das Pflegeheimverzeichnis Sandhaven, wobei sie nicht recht wusste, ob sie es Sylvia oder mir geben sollte.
Als Sylvia und ich uns verabschiedeten, richtete sich Mutter im Rollstuhl auf und drehte den Kopf weg. An ihrem Hals entstand so eine knochige Kuhle, als sie das Kinn emporreckte. Sylvia sagte auf der Fahrt nach Hause nichts. Aber sie seufzte viel.
Zu Hause holte ich die Zutaten für Spinat-Gnocchi hervor, für später. Irgendwie war ich ganz benommen. Ich machte mir eine Tasse Tee in dem Coronation-Street-Becher, auf dem die Schauspielerinnen der Serie abgebildet waren. Der war ein Weihnachtsgeschenk von Sylvia gewesen, vor drei Jahren. Oben machte ich das Radio in Mutters Zimmer an und ließ die Tür offen, damit es so schien, als sei sie nur kurz ins Bad gegangen. Dann legte ich mich ins Bett und sagte David Attenboroughs Text aus The Blue Planet laut vor mich hin, um Mutters Haltung vorhin zu übertönen, als sie mich nicht ansehen wollte.
Ich hielt den Blick fest auf die Bahnen gerichtet, die ein Staubsauger über den flauschigen Teppich im Büro von Mr Watson gezogen hatte, Mutters Anwalt. Seine Stimme hallte dröhnend von den getäfelten Wänden wider: Er habe Mutter im Laufe der Jahre oft beraten. Als ich kurz aufblickte, hopsten seine buschigen Augenbrauen auf und ab. War es dabei darum gegangen, mich wegzuschicken?
Da Mutters »Zurechnungsfähigkeit nicht mehr gegeben« sei, müssten wir für sie entscheiden. Ich starrte auf meine Schuhe, meine allerbesten, und dachte, dass Mutter das fürchterlich finden würde.
»Und auch, wie das alles bezahlt wird.« Sylvia, die die ganze Zeit in ihr Notizbuch schrieb, blickte auf.
Mr Watson erklärte, dass Mutter einen Treuhandfonds hatte, den ihre Eltern eingerichtet hatten, um während ihrer Ehe ihre Interessen zu schützen. Das war höchst ungewöhnlich, aber es habe Bedenken bezüglich Mr Carrs – Vaters – Finanzen gegeben.
Ich setzte mich auf. Was hatte denn mit Vaters Finanzen nicht gestimmt? Sylvia studierte eingehend ihre roten Fingernägel. Ich holte das japanische Notizbuch aus meiner Manteltasche und schrieb die Frage auf. Dann fügte ich noch eine hinzu: »Was ist mit Mutters Zurechnungsfähigkeit?«
Mutters Pflege würde aus ihrem Treuhandfonds bezahlt werden. »Eine sehr zuverlässige Einnahmequelle«, meinte Mr Watson, »da niemand sonst darauf Zugriff hat.« Mutter hatte es so arrangiert, dass ihr Fonds mir ein Taschengeld auszahlte, sollte sie nicht mehr dazu in der Lage sein. So könnte ich zu Hause wohnen bleiben – vorausgesetzt, ich käme zurecht –, auch wenn Mutter nicht mehr da war.
Ich spürte, wie meine Zehen aufhörten zu krampfen. Die Standardeinkaufsliste könnte das doch beweisen. Und der Terrierkalender. Und das japanische Notizbuch. Mr Watson sagte, Mutter habe diese Arrangements vor langer Zeit getroffen. Zur selben Zeit, als er ihr geholfen hatte, ihre Finanzen neu zu ordnen. »Ihr Erbe zu sichern, gemeinsame Konten schließen, diese Dinge eben.« Ich fragte lieber nicht nach, damit es nicht aussah, als würde ich nicht zurechtkommen.
»Ich nehme doch an, es bestehen sonst keinerlei Ansprüche?« Mr Watson sah Sylvia an. Sie rückte den Riemen ihres Leopardenmuster-Schuhs zurecht und antwortete nicht. »Nein?« Seine Augenbrauen klommen empor. »Elvira, haben Sie irgendwelche Fragen?«
Darauf war ich vorbereitet. Ich schaute auf sein Ohr, aus dem ein Haarbüschel wucherte, und fragte, wieso in Vaters Pass keine japanischen Stempel waren.
Sylvia und Mr Watson lachten, und sie sagte, Mr Watson hätte »juristische Fragen gemeint«. Mein Gesicht wurde heiß. Das hatte er nicht spezifisch gesagt. Ich erklärte ihm, dass Vater mir jedes Mal etwas Japanisches mitgebracht hatte, wenn er »verreist« gewesen war, und hielt das Notizbuch als Beispiel hoch.
»Ah«, sagte er. »Wie interessant.« Einen Moment lang herrschte Schweigen, denn beugte er sich vor. »Ich gebe Ihnen einen guten Rat, junge Dame, verlassen Sie sich niemals auf Mutmaßungen.«
Ich machte die Haustür zu und sackte dagegen: Alles würde so bleiben wie immer. Nur dass Mutter nicht wieder nach Hause kam. Dann ging ich nach oben, schüttelte die Daunendecke auf Mutters Bett auf und sah nach, ob die Schwarzweißfotos in den Silberrahmen auf ihrer Kommode richtig angeordnet waren. Eins von Vater, jung und mit einem Tropenhelm, eines von Tosca, die mit den Pfoten in der Luft auf dem Perserteppich im Arbeitszimmer auf dem Rücken lag, und eins von mir als Kind vor dem British Museum. Vater war mit mir dorthin gegangen, um eine mumifizierte Katze zu sehen. Außerdem eins von Mutters und Vaters Hochzeit. Sie lächelten und standen auf einer langen Treppe, umgeben von einer großen Schar Gäste, die alle Hüte aufhatten. Ich starrte es an und überlegte, warum Mutters finanzielle Interessen damals geschützt werden mussten.
Vor Kurzem war eine Postkarte gekommen, aus Spanien, auf der das Wort »Finanzen« gestanden hatte. Von einem Fremden und an Vater adressiert, obwohl er doch tot war:
Mein lieber Gregory, seit sechs Jahren habe ich nichts mehr von Dir gehört. Du könntest glatt tot sein – Hatte Deine Frau endlich genug? – oder krank oder beides. Ich war ja sehr geduldig, aber aus dem Plan, den Du empfohlen hast, ist nichts geworden, alter Junge. Da ist doch bestimmt eine Entschädigung fällig? Lass mich möglichst bald Genaueres wissen – bin gerade in Sachen Finanzen ein bisschen knapp. Herzliche Grüße, Teddy.
Auf der Karte war keine Adresse, daher konnte ich Teddy nicht davon in Kenntnis setzen, dass Vater tot war. Seine Karte ergab überhaupt keinen Sinn, aber ich legte sie in das japanische Notizbuch für den Fall, dass sie einen Hinweis enthielt, dass Vater seine eigenen Finanzen ausspioniert hatte.
Sylvias glänzender roter Fingernagel zeigte auf ein Pflegeheim in dem Verzeichnis.