Miss Lucy - unschuldig verkauft! - Elizabeth Rolls - E-Book

Miss Lucy - unschuldig verkauft! E-Book

Elizabeth Rolls

0,0
4,49 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Wie kann der berüchtigste Schurke der Londoner Unterwelt nur so eine zarte, wunderschöne Tochter haben? James, Earl of Cambourne, ist von der jungen Lucy bezaubert. Sie gehört nicht in das zwielichtige Umfeld ihres Vaters! Als James entsetzt erfährt, dass Lucy in einem Bordell öffentlich versteigert wird, reagiert er schnell: Er bietet für sie - und gewinnt! Doch selbst die schönste Kleidung, mit der er die Unschuld ausstattet, kann nicht den Spott der feinen Gesellschaft verhindern. Nur mit einem Heiratsantrag könnte er sie zu einer ehrbaren Frau machen …

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 367

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



IMPRESSUM

HISTORICAL MYLADY erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Thomas BeckmannRedaktionsleitung:Claudia Wuttke (v. i. S. d. P.)Produktion:Jennifer GalkaGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© 2016 by Elizabeth Rolls Originaltitel: „In Debt to the Earl“ erschienen bei: Harlequin Enterprises, Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe HISTORICAL MYLADYBand 578 - 2017 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg Übersetzung: Maria Fuks

Abbildungen: Period Images / VJ Dunraven, Khrizmo / Thinkstock, alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 08/2017 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733768027

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, MYSTERY, TIFFANY

Alles über Roman-Neuheiten, Spar-Aktionen, Lesetipps und Gutscheine erhalten Sie in unserem CORA-Shop www.cora.de

Werden Sie Fan vom CORA Verlag auf Facebook.

PROLOG

März 1802

Lord Cambourne starrte auf das blutige Gesicht seines bewusstlosen Cousins. „Was, zum Teufel, ist mit Nick passiert?“, stieß er hervor. „Haben Sie nach dem Doktor geschickt, Paget?“

„Ja, Mylord. Er war schon hier“, gab der Diener des verletzten Nick Remington zurück.

„Und?“

„Er sagt, abgesehen von den blauen Flecken gäbe es nur eine gebrochene Rippe und natürlich den Schlag auf den Kopf.“

„Nur einen Schlag auf den Kopf?“, brüllte der Lord. „Sie tun ja gerade so, als gehörte das zur Tagesordnung, Paget.“

„Pst!“ Der Diener warf einen besorgten Blick auf seinen jungen Herrn. „Vielleicht sollten wir uns im Salon weiter unterhalten? Der Doktor sagte, am wichtigsten sei …“

„Bist du das, James?“

Die flüsternd geäußerte Frage brachte sowohl Lord Cambourne als auch Paget zum Schweigen. Beide Männer schauten zu Nick hin. Der hatte die Augen halb geöffnet. Sein Gesicht war sehr blass, und um das eine Auge lag ein tiefblauer Schatten, wahrscheinlich die Folge eines Faustschlags.

„Was hast du wieder angestellt, du Dummkopf?“, erkundigte der Lord sich.

„Hab mich benommen wie ein Dummkopf“, kam es undeutlich zurück. Es war vermutlich schwierig, mit einer aufgeplatzten Lippe deutlich zu sprechen. „Hat Paget dir eine Nachricht zukommen lassen?“

„Was hätte ich sonst tun sollen?“, fragte der Bedienstete. „Sie sind überfallen worden, Master Nick.“

„Haben Sie auch meine Eltern benachrichtigt, Paget?“

„Nein. Nur Seine Lordschaft.“

„Gott sei Dank!“ Nick versuchte sich aufzusetzen, sank aber mit einem Stöhnen zurück.

Sein Cousin hatte allerdings bereits einen Blick auf den nackten, mit Blutergüssen und Schrammen übersäten Oberkörper erhascht. „Verflucht!“

Nick versuchte zu lächeln. „Siehst es so schlimm aus, wie es sich anfühlt?“

„Bleib einfach liegen“, befahl Lord Cambourne. „Ich verstehe, dass du deine Eltern nicht beunruhigen möchtest.“

Nick schnitt eine Grimasse.

„Wer hat dich so zugerichtet?“

„Ich habe mich eben benommen wie ein Idiot“, wiederholte Nick ausweichend. Doch ein Blick seines Cousins belehrte ihn eines Besseren. „Ich habe etwas Geld verloren.“

„Aha. Und wie viel ist etwas?“

„Also … Es war schon etwas mehr.“

„Wie viel?“

Nick zögerte.

James Remington, Earl of Cambourne, wartete schweigend.

„1000 Pfund.“

James fiel weder in Ohnmacht, noch begann er zu brüllen. Seine Stimme drückte nur höfliches Interesse aus. „Beim Würfeln? Oder beim Wetten?“

„Beim Kartenspiel. Die Sache ist die …“

„Du konntest deine Spielschulden nicht bezahlen.“ James wusste, dass Nick im ganzen Jahr weniger als 1000 Pfund zur Verfügung standen.

„Stimmt.“ Nick hatte die Augen wieder geschlossen. Er sah sehr erschöpft aus.

Paget blickte Lord Cambourne fragend an und wies auf die Tür.

James nickte und wollte dem Diener in den Salon folgen, als Nick die Augen noch einmal öffnete.

„Weil ich nicht zahlen konnte, hat er meine Schuldscheine verkauft.“

„Wer?“

„Captain Hensleigh.“

„Nie gehört. Hat er bei der Armee oder bei der Marine gedient?“

„Äh …“

„Nick, was weißt du über diesen Captain?“

„Nur, dass er wahrscheinlich ein Betrüger ist.“ Nick waren die Augen wieder zugefallen.

James kochte vor Wut. Sein Cousin war zum ersten Mal allein in London und hatte es innerhalb weniger Wochen geschafft, ein Vermögen beim Kartenspiel zu verlieren. Und damit nicht genug! Er hatte sich von einem Betrüger ausnehmen lassen und war dann auch noch zusammengeschlagen worden, weil er nicht zahlen konnte.

„Haben Sie Kaffee im Haus?“, wandte er sich an Paget.

„Ja, Mylord. Heute erst habe ich ein paar Bohnen geröstet und gemahlen. Und heißes Wasser müsste in der Küche bereitstehen.“

„Ich hätte dir etwas anbieten sollen, James“, murmelte Nick.

„Schon gut. Paget sorgt gut für mich.“

Der Diener verschwand.

„Wo hat man dich überfallen? Und weißt du, wer die Schläger waren?“, wandte der Earl sich noch einmal an seinen Cousin.

„Es waren zwei. In einer Gasse in der Nähe der Fleet Street.“

„Was, zum Teufel, hattest du in diesem Stadtteil zu suchen?“

„Ich wollte Hensleigh finden. Wollte ihn fragen, ob er mir noch einen Zahlungsaufschub gewährt.“

„Du hättest genauso gut in irgendeiner Kirche um ein Wunder beten können.“

Nicks bleiche Wangen röteten sich ein bisschen. „Eigentlich hatte ich vor, dich aufzusuchen und um Rat zu bitten. Aber ich kam nicht dazu, weil diese Kerle über mich herfielen.“

„Ich will dir einen Rat geben: Halte dich von den Spielhöllen fern. Dummerweise hast du diese 1000 Pfund bereits verloren. Warum, um alles in der Welt, hast du nicht aufgehört, ehe deine Verluste so groß waren?“

Nick schluckte. „Ich dachte, ich könnte alles zurückgewinnen“, flüsterte er. „Ich hatte ja nicht die ganze Zeit über verloren. Ich hatte sogar ziemlich viel gewonnen, ehe …“

„… ehe du noch viel mehr verloren hast. Verflucht, Junge, weißt du denn nicht, dass Männer wie dieser Captain Hensleigh sich solche Grünschnäbel wie dich als Opfer suchen?“

Nicks Miene bewies, dass er sich schämte. „Ich hätte es wissen müssen, natürlich. Ich sage doch, ich habe mich wie ein Idiot benommen. Jedenfalls hoffte ich, zumindest genug zurückzugewinnen, um die Wohnungsmiete bezahlen zu können.“

James holte tief Luft. „Hat es dir Spaß gemacht?“

„Was?“

„Das Kartenspiel. Die Aufregung. Die Spannung.“ James wusste, dass es Menschen gab, die dem Spiel so sehr verfallen waren, dass jeder Versuch, ihnen zu helfen, zwecklos war. Wenn Nick zu diesen Spielern gehörte, wollte James das zumindest wissen.

„Es war ein gutes Gefühl zu gewinnen. Aber der Rest …“ Er wollte die Schulter zucken – und musste einen Schmerzenslaut unterdrücken. „Es macht mir mehr Spaß, an einem Pferderennen teilzunehmen.“

Das hörte sich überzeugend an. Und James stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. „Wenn du mich im Sommer auf meinem Landgut besuchst, können wir uns ein paar Rennen liefern. Ich habe da einen vielversprechenden Dreijährigen, der mein Gewicht noch nicht tragen sollte. Aber du bist ja um einiges leichter als ich.“

„Danke. Denkst du, Vater erlaubt das? Ich muss ihm schreiben und ihm gestehen, was ich …“

„Du solltest deine Eltern nicht unnötig aufregen“, unterbrach James ihn. Er mochte Nicks Vater. Aber er wusste auch, dass William von seinem Sohn mehr erwartete, als man vernünftigerweise von einem Zwanzigjährigen erwarten sollte. Hinzu kam, dass William keine 1000 Pfund erübrigen konnte. „Ich werde mich um alles kümmern.“

Trotz seiner Erschöpfung begriff Nick sofort, was er meinte. „Verflucht, nein! Ich wollte deinen Rat, nicht dein Geld“, stieß er hervor.

„Wenn ich Zweifel daran hätte, würde ich dir meine Hilfe nicht anbieten. Ich denke, dass ich dich gut genug kenne, Nick. Im Übrigen bist du nicht der erste junge Mann, der sich in London zum Narren gemacht hat.“

„Hast du etwa auch …“, fragte Nick fassungslos.

„Ich? Natürlich nicht!“ Die Ironie war nicht zu überhören. „Ich bin schon abgeklärt und weise zur Welt gekommen.“

„Das habe ich nicht gemeint“, stellte Nick klar. „Aber so einfältig wie ich warst du bestimmt nicht.“

„O doch …“ Er war noch bedeutend einfältiger gewesen. „Zum Glück hat mich jemand vor den Folgen meiner Torheit gerettet. Und dann hat sie nicht zugelassen, dass ich mich revanchiere.“

„Sie?“

James räusperte sich. „Genug davon. Wie gesagt: Ich werde mich um alles kümmern. Es kommt mir vor, als könnte ich auf diese Art meine alte Schuld zumindest teilweise abtragen.“

Nick fühlte sich miserabel. „Ich werde dir jeden Penny zurückzahlen. Ob dir das nun gefällt oder nicht.“

„Gut. Aber zuerst musst du mir sagen, wem ich das Geld bringen soll.“

„Der Kerl, an den Captain Hensleigh meine Schuldscheine verkauft hat, heißt Kilby.“

„Und wie finde ich den?“

„Man riet mir, in einer Kneipe mit dem Namen Maid and Magpie nach ihm zu fragen.“

„Mädchen und Elster? Wie passend, wenn man bedenkt, dass Elstern als diebisch gelten. Das ist aber nicht die Spielhölle?“, vergewisserte James sich.

„Die heißt Cockpit, wegen der Hahnenkämpfe, die früher dort stattgefunden haben.“

„Du hast diesen Hensleigh also während eines Hahnenkampfs getroffen?“

„Ja. Es ist ein Keller, nicht weit vom Fluss.“

„Du meinst den Fluss Fleet, nicht die Themse? Eine üble Gegend.“

„Hm …“

Die Tür wurde geöffnet, und Paget trat mit einem Tablett ein. Kaffeeduft breitete sich im Raum aus.

„Danke!“ James setzte sich mit seiner Tasse an einen kleinen Tisch und trank einen Schluck. Das Wichtigste war, Nicks Spielschulden zu begleichen, ehe der Junge erneut zusammengeschlagen wurde. Und dieser Hensleigh hatte eine Abreibung verdient.

„Was hast du vor, James?“ Nick klang besorgt.

„Ich werde deine Schulden begleichen. Was sonst? Und du solltest für ein paar Tage aus der Stadt verschwinden, denn deine Eltern kommen nach London. Am besten bleibst du in meinem Haus in Chiswick, bist du wieder ganz hergestellt bist.“

„Mutter würde mir doch sofort hinterher reisen.“

„Nicht, wenn ich andeute, dass du dich mit einer Frau dorthin zurückgezogen hast.“

Nick wurde noch blasser – sofern das überhaupt möglich war. Dann allerdings stieg ihm das Blut in die Wangen. „Willst du etwa, dass sie mich für einen Casanova halten?“

Amüsiert nickte James. „Wäre es dir lieber, wenn deine Mutter dich so sieht? Du erinnerst mich an eine Maus, die sich bereits in den Fängen der Katze befunden hat und nur noch einmal losgelassen wurde, um als Spielzeug zu dienen.“

Nick stöhnte. „Du hast recht. Ich könnte es nicht ertragen, wenn Mutter beschlösse, mich zu pflegen.“

„Gut. Dann lasse ich dich mit meiner Kutsche nach Chiswick bringen, sobald der Arzt dich für reisefähig erklärt.“ Zufrieden nahm James einen großen Schluck von seinem Kaffee. „Der ist wirklich köstlich, Paget“, meinte er. „Würden Sie meine Köchin in Ihr Geheimnis des Röstens einweihen?“

1. KAPITEL

Drei Wochen später

James schaute aus halb geschlossenen Augen zu seinem Gegenüber hin. „Ich habe 1000 Pfund gewonnen, Hensleigh. Das genügt mir. Machen wir Schluss.“ Er artikulierte jedes Wort sehr sorgfältig, so als wäre er ziemlich betrunken und bemühte sich, deutlich zu sprechen. Mit dem Ellbogen stieß er sein noch zu zwei Dritteln gefülltes Glas mit Burgunder um. „Hoppla“, murmelte er, kümmerte sich jedoch nicht weiter darum.

Hensleigh stellte das Glas auf und lächelte. „Ich denke, mir steht eine Revanche zu, Cambourne. Sie sollten mir die Chance geben, meine Verluste zurückzugewinnen. Oder besser noch: Wir verdoppeln den Einsatz! Dann heißt es: Alles oder nichts!“

Cambourne hatte keine Lust weiterzuspielen. Am liebsten hätte er seinen Gewinn eingesteckt und der Spielhölle sogleich den Rücken gekehrt, um sich nie wieder dort blicken zu lassen.

Wenn Hensleigh keine 1000 Pfund hat, würde ich mich auch mit einem Schuldschein zufriedengeben.

Es war leicht gewesen, die Spielhölle mit dem Namen Cockpit zu finden. Schwieriger war es geworden, sich Einlass zu verschaffen. Zwar hatte Nick ihm ein Erkennungswort genannt, doch selbst das hatte den Türsteher nicht sofort davon überzeugt, dass Cambourne als Gast willkommen war. Erst ein Bestechungsgeld hatte den finster blickenden Mann dazu bewegen können, dem Unbekannten Zutritt zu gewähren. Seitdem hatte Cambourne mehrmals zu den Gästen gehört.

Gleich bei seinem ersten Besuch dort hatte er Hensleigh entdeckt. Der falsche Captain war groß, sein Gesicht wirkte überraschend ehrlich, sein rötliches Haar begann dünn zu werden. Cambourne hatte ihn nicht angesprochen, sondern sich zu einem Tisch begeben, an dem gewürfelt wurde. Es war nicht allzu schwer gewesen herauszufinden, dass die Würfel gezinkt waren. Mit diesem Wissen hatte er es geschafft, nur wenig zu verlieren.

Um den Eindruck eines wohlhabenden Gentlemans zu erwecken, der sich zum ersten Mal in London aufhielt und mit den Tricks der Falschspieler nicht vertraut war, hatte er sich entsprechend gekleidet. Natürlich hatte er auch seinen Titel nicht erwähnt. Unauffällig hatte er Hensleigh beobachtet. Dabei war er zu dem Schluss gekommen, dass der nur einer von mehreren Betrügern in der Spielhölle war.

Bei seinem zweiten Besuch hatte er sich einer Whist-Runde angeschlossen, zu der auch Hensleigh gehörte. James erwartete, zunächst zu den Gewinnern zu zählen. Und so war es auch. Später verlor er eine kleine Summe. Dann strich er noch einmal einen bescheidenen Gewinn ein. Ehe er sich verabschiedete, erwähnte er, dass er gern um größere Beträge und mit gewitzteren Gegnern spielen würde. Bisher habe er keine echte Herausforderung erlebt.

Es erstaunte ihn daher nicht, dass Hensleigh ihn bei seinem dritten Besuch in der Spielhölle freudig begrüßte und ihm ein echtes Spiel unter Männern vorschlug. Cambourne willigte ein. Seitdem hatte er in mehreren Runden mit Ausdauer und Geschick – bald schon war ihm klar gewesen, auf welche Weise man die Karten gekennzeichnet hatte – 1000 Pfund gewonnen.

Sollte er nun noch auf Hensleighs Vorschlag eingehen und ein letztes Spiel wagen? Vor ein paar Tagen schon hatte er Nicks Schulden beglichen, ohne allerdings dem von seinem Cousin erwähnten Kilby zu begegnen. Jetzt hatte er die 1000 Pfund zurückgewonnen, die Nick im Spiel verloren hatte. Im Grunde hatte er erreicht, was er wollte. Aber vielleicht war es nicht falsch, dem angeblichen Captain eine zusätzliche Lehre zu erteilen.

James Remington, Earl of Cambourne, ließ den Blick durch den Raum schweifen, wobei er so tat, als fiele es ihm schwer, scharf zu sehen. „Alles oder nichts?“, murmelte er. „Sie könnten 2000 Pfund verlieren, Hensleigh.“

„Das schreckt mich nicht“, gab der zurück. „Was wäre das Leben ohne Risiken? Möchten Sie, dass ich neue Karten besorge?“

„Warum nicht?“

Hensleigh gab einem der Kellner ein Zeichen. „Bringen Sie uns ein neues Spiel“, befahl er, als der an den Tisch trat. „Und einen Lappen, um den verschütteten Wein aufzuwischen. Mr. Cambourne und ich spielen noch eine letzte Runde. Jetzt geht es um alles!“

„Ich bin sofort zurück“, versicherte der Mann.

„Darf ich Ihnen noch einmal einschenken, Cambourne?“, fragte Hensleigh und griff nach der Weinflasche.

„Hm … Ja.“ James lächelte abwesend, als Hensleigh sein Glas füllte. Zweifellos dachte der Falschspieler, sein Gegner sei inzwischen ziemlich betrunken. Tatsächlich allerdings hatte Cambourne das eine oder andere Glas unauffällig unter dem Tisch ausgegossen. Zum Glück war die Farbe des Teppichs so undefinierbar, dass die Flecken nicht auffielen.

Ein Kellner erschien, um den Tisch abzuwischen. Dann ein zweiter, um Hensleigh neue Karten zu reichen.

Der Captain wog sie in der Hand und begann zu mischen.

James richtete sich auf und erklärte: „Ich muss geben.“

Abrupt hielt Hensleigh inne. „Ich glaube, Sie täuschen sich.“

Er hob die Brauen. „Ich täusche mich ganz und gar nicht.“

Hensleigh musterte Cambournes Gesicht, ließ den Blick dann zu dessen Weinglas wandern.

James schüttelte lächelnd den Kopf. Dann streckte er die Hand nach dem Kartenspiel aus. Dabei behielt er den falschen Captain aufmerksam im Auge.

Einen Moment lang zögerte Hensleigh, ehe er seinem Gegenüber die Karten überließ.

„Danke.“ James mischte sie so geschickt, als hätte er sein Leben lang nichts anderes getan. Nichts an ihm erinnerte jetzt noch an den Gentleman, der eben so betrunken gewirkt hatte.

Es gelang Hensleigh kaum, seine Überraschung zu verbergen. Ein harter Zug legte sich um seinen Mund.

James ließ sich davon nicht beeindrucken. Er fuhr fort zu mischen und achtete dabei darauf, auf welche Art man die Karten gezinkt hatte.

Als Hensleigh begriff, dass sein vermeintlich unerfahrener Gegner wusste, was los war, biss er die Zähne zusammen. Seine Augen verengten sich und unwillkürlich ballte er die Hände zu Fäusten.

„Sind Sie deshalb entlassen worden?“, fragte James vollkommen ruhig.

„Was, zum Teufel, meinen Sie?“

„Dass man in der Armee keine Falschspieler duldet. Ebenso wenig wie bei der Marine. Aber ich glaube nicht, dass Sie zur See gefahren sind.“ Gelassen mischte er weiter. „Möglicherweise haben Sie sich den Rang eines Captains sogar selbst verliehen. Ich habe ein paar Erkundigungen eingezogen. Anscheinend hat niemand je von einem Captain Hensleigh gehört.“

Der derart an die Wand gedrängte Mann war blass geworden.

James warf die Karten auf den Tisch. „Die Rückseiten sind mit Wachs gekennzeichnet, und zwar nicht besonders geschickt.“

„Das kann ich nicht glauben!“, widersprach Hensleigh. „Und wenn es so wäre, habe ich keine Schuld. Ich bin kein Betrüger. Aber natürlich können wir neue Karten bringen lassen.“

„Das ist unnötig. Ich denke, wir sollten einfach Schluss machen.“

„Aber Sie waren einverstanden, als ich ein letztes Spiel mit doppeltem Einsatz vorschlug!“

„Ich wäre immer noch einverstanden, wenn wir kein gezinktes Spiel bekommen hätten. Gehen wir! Und benehmen Sie sich unauffällig, wenn Sie nicht wollen, dass ich Sie jetzt gleich vor allen Anwesenden als Betrüger bloßstelle.“

Hensleigh blickte sich im Raum um. Mit Unterstützung konnte er nicht rechnen. Verflucht!

„Sie sollten mir jetzt einen Schuldschein ausstellen und ihn ordnungsgemäß unterschreiben. Dann lassen wir ihn vom Geschäftsführer hier gegenzeichnen. Und noch etwas: Kommen Sie nicht auf die Idee, jemals wieder hier im Cockpit zu spielen, solange Sie Ihre Schulden bei mir nicht bezahlt haben.“

„Sie wollen mich erpressen!“

James zuckte nur mit den Schultern. „Der Schuldschein“, erinnerte er den Captain.

Zwei Wochen später

James bemühte sich, möglichst flach zu atmen, während er die enge Treppe hinaufstieg. Es stank erbärmlich nach dem Fisch vom vergangenen Abend – oder wohl eher nach dem Fisch vom vergangenen Monat – und nach zu lange gekochtem Weißkohl. Aber vielleicht ließ der Gestank ja im nächsten Stockwerk nach?

Die Hoffnung trog. Und James wünschte einen Moment lang, er wäre nicht hergekommen. Natürlich hatte Hensleigh diesen Ausflug in das Londoner Armenviertel nahe der Fleet Street zu verantworten. Der Captain war nämlich – welche Überraschung! – nie bei James aufgetaucht, um seine Spielschulden zu begleichen. Also hatte James sich auf die Suche nach ihm gemacht und schließlich erfahren, wo er angeblich zusammen mit einer Frau wohnte. Wenn der Mann nicht in der Lage war, seine Schulden zu bezahlen, blieb immer noch die Möglichkeit, den Schuldschein zu verkaufen. Aber zunächst wollte James mit Hensleigh reden.

Unten im Haus war er der Besitzerin des verkommenen Gebäudes begegnet. Die hatte ihn in den dritten Stock geschickt.

„Seine Gnaden“, hatte sie spöttisch gesagt, „hab ich seit Tagen nich gesehn. Das Mädchen is aba oben.“

Die Treppenstufen knarrten und quietschten. Und James kam es vor, als wollten sie unter seinem Gewicht nachgeben. In Gedanken sah er die Überschrift in der Zeitung: Lord C fand sein vorzeitiges Ende, als eine morsche Treppe unter ihm zusammenbrach; angeblich hatte er das baufällige Haus betreten, weil er Spielschulden eintreiben wollte.

Er schaute sich um, krauste die Nase. Es stank noch immer nach Fisch. Dieser verfluchte Hensleigh! Natürlich war James nicht auf die 1000 Pfund angewiesen. Aber er war entschlossen, Hensleigh eine Lektion zu erteilen. Wenn er erst mit dem Falschspieler fertig war, würde der sich nicht einmal mehr ein Zimmer, geschweige denn eine Wohnung leisten können. Und ganz bestimmt würde keine Frau dann noch bereit sein, zu ihm zu ziehen. Jetzt allerdings mochte Hensleighs Geliebte James vielleicht nützlich sein. Vermutlich wusste sie, wo der Captain sich aufhielt. Ansonsten konnte sie ihrem Liebhaber zumindest eine Nachricht von Cambourne übermitteln.

Energisch klopfte er an die Tür, die erstaunlicherweise bedeutend sauberer war als das Treppenhaus.

Die Tür wurde geöffnet, und ein Mädchen, das eine fleckige Schürze trug und einen Putzlappen in der Hand hielt, starrte James an. Nein, es musste eine junge Frau sein. Eine überraschend gepflegt wirkende junge Frau mit cremeweißer Haut und leicht geröteten Wangen. Unter ihre Haube schauten ein paar kupferfarbene Locken hervor.

Aus der Wohnung drang der Geruch von Bienenwachs an James’ Nase. Und dann war da noch ein Duft, ein sehr angenehmer, leicht süßer Duft.

„Suchen Sie jemanden?“, fragte die junge Frau.

Einen Moment lang musterte James sie wortlos. Sie hatte kluge, vorsichtig dreinblickende Augen. Ihre Stimme klang ein wenig heiser. Und die Art, wie sie sprach, verriet, dass sie eine gewisse Bildung genossen hatte. James setzte zu einer Erklärung an. Aber da wollte die junge Frau die Tür bereits wieder schließen.

„Sie müssen sich in der Adresse geirrt haben“, erklärte sie.

Rasch schob er seinen Fuß nach vorn. „O nein, das habe ich nicht.“

Lucy war sich nicht sicher, ob dies alles ein Traum war. In der wirklichen Welt verirrten sich keine gut aussehenden Gentlemen in das baufällige Haus, in dem sie seit einiger Zeit lebte. In ihren Träumen allerdings kam es oft vor, dass ein attraktiver und offenbar wohlhabender Gentleman sie vor dem elenden Leben rettete, das sie nun schon seit Jahren führte. Allerdings trug sie in diesen Träumen nie ein fadenscheiniges Kleid und eine fleckige Schürze, sondern eine elegante Robe.

Nun, möglicherweise war dieser Gentleman aber doch echt. Seine grauen Augen schauten so kalt und herablassend. Die Stirn hatte er in zornige Falten gelegt. Und statt vor Lucy auf die Knie zu fallen, um ihr seine Liebe zu gestehen, hatte er seinen beschuhten Fuß so in die Tür gestellt, dass man diese nicht schließen konnte.

Lucy unterdrückte ein Seufzen. Sie war nicht so naiv, an Märchen zu glauben. Deshalb wartete sie auch nicht auf einen Prinzen, der sie heiraten würde. Und anders als Aschenputtel beabsichtigte sie nicht, heimlich auf einem Ball zu tanzen. Sie wäre durchaus bereit gewesen, sich mit einem freundlichen Mann zufriedenzugeben, sofern er sich nicht dem Glücksspiel verschrieben hatte und ihr ein gemütliches Heim bieten konnte.

„Ich will zu Hensleigh“, sagte der Fremde, der auf so fatale Art dem Mann ihrer Träume ähnelte.

Unter seinem forschenden Blick erstarrte sie. Doch es waren nicht seine grauen Augen allein, die sie so verwirrten. Es war auch nicht seine Größe oder seine offensichtliche Kraft. Eher war es seine unglaublich selbstbewusste Ausstrahlung. Da stand er im Flur und tat so, als gehörte das Haus ihm und nicht Mrs. Beattie.

Seine Schultern sind viel breiter als Papas, schoss es Lucy durch den Kopf. Dann hatte sie die Fassung zurückgewonnen. „Tut mir leid, Sir. Hier gibt es kei…“ Sie unterbrach sich, als sie erkannte, dass er die Lüge durchschauen würde. „Er ist nicht hier“, verbesserte sie sich. Sie bemerkte, dass ihre Hände zitterten, und festigte den Griff um den Putzlappen.

Immerhin kennt er unseren richtigen Namen nicht.

Seit sie bei ihrem Vater lebte, hatte er ihr immer wieder eingebläut, niemals ihren richtigen Namen zu nennen. Deshalb waren sie nie irgendwo als Mr. Armitage und Tochter aufgetreten. Eine Zeit lang hatten sie Hammersmith geheißen. Und nun führten sie seit ein paar Wochen den Namen Hensleigh.

Shakespeare hatte zwar gesagt, eine Rose würde süß duften, unabhängig davon, welchen Namen man ihr gab. Aber es war doch verwirrend, sich immer wieder anders zu nennen. Lucy hätte gern ihren richtigen Namen benutzt.

„Es stimmt wohl, dass eine Rose – auch wenn man sie anders nennt – süß duftet. Aber es würde ihr nicht gefallen, immer wieder andere Namen zu tragen“, sagte der Fremde.

War er ein Zauberer? Jemand, der Gedanken lesen konnte? Lucy biss sich auf die Unterlippe. Sie würde nichts auf seine Feststellung erwidern. Denn jede Erklärung konnte gefährlich sein. „Er ist nicht hier“, wiederholte sie also. „Bitte, nehmen Sie Ihren Fuß fort.“

Er rührte sich nicht. „Wann erwarten Sie ihn zurück?“

Lucy holte tief Luft, um das unangenehme Gefühl in ihrem Magen zu vertreiben. Doch es wollte nicht weichen. Und es war auch gewiss nicht nur darauf zurückzuführen, dass sie Hunger hatte. „Ich weiß es nicht“, sagte sie und gestand sich ein, dass sie zum ersten Mal seit einer halben Ewigkeit wünschte, ihr Vater käme nach Hause.

„Dann warte ich“, verkündete der Gentleman, der ihren Worten keinen Glauben zu schenken schien.

Sie sollte ihn über die Schwelle lassen? Das wäre wohl das Dümmste, was …

Ehe sie den Gedanken auch nur zu Ende gedacht hatte, umfasste der Fremde Lucys Schultern und schob sie beiseite. Mit einem einzigen großen Schritt trat er in die Wohnung.

Einen Moment lang überlegte Lucy, ob sie zu Mrs. Beattie fliehen sollte. Dann allerdings schalt sie sich einen Feigling und reckte kampflustig das Kinn. „Was erlauben Sie sich! Verlassen Sie meine Wohnung. Sie haben sich nicht einmal vorgestellt!“

Er lächelte, ehe er ihr den Rücken zuwandte, um das Zimmer zu begutachten. „Wie wollen Sie mich dazu bringen fortzugehen?“, erkundigte er sich.

Das wusste sie nun wirklich nicht. Also sagte sie nur: „Es handelt sich um mein Heim. Und ich habe jedes Recht, Sie fortzuschicken.“ Tatsächlich mochte die Bezeichnung „Heim“ reichlich übertrieben wirken. Trotzdem – dachte Lucy – hätte dieser aufdringliche Mensch meiner Aufforderung nachkommen müssen.

„Ihr Heim?“ Er schien sich über den Ausdruck zu amüsieren. „Hier gibt es nicht viel, das sie verteidigen könnten. Aber vielleicht geht es Ihnen darum, Hensleigh zu verteidigen? Oder nennt er sich momentan Hammersmith? Also, wo ist er?“

Lucy hatte den Vormittag mit Hausarbeiten verbracht. Sie hatte den Boden gewischt, die armseligen Möbel von Staub befreit und begonnen, sie mit Bienenwachs zu polieren. Alles war sauber. Dennoch war die Einrichtung Lucy nie zuvor so jämmerlich vorgekommen: ein wackliger Tisch, ein Stuhl, eine hölzerne Bank, ein winziger Spiegel neben dem offenen Kamin und ein dünner Vorhang, mit dem die Ecke abgeteilt wurde, in der sie schlief. Es gab keinen Teppich, und obwohl es kühl war, brannte kein Feuer.

„Ich habe Ihnen doch schon gesagt, dass ich keine Ahnung habe, wo er ist“, entgegnete Lucy. Dass der Fremde gleich zwei der von Ihrem Vater benutzten Namen kannte, machte ihr Angst.

„Wollen Sie mich nicht auffordern, Platz zu nehmen?“

„Nein.“

Er zog den Stuhl zum Kamin und setzte sich. Dabei fiel ihm auf, dass wohl seit Langem kein Feuer den Raum gewärmt hatte.

Zornig folgte Lucy seinem Blick. Wie hätte sie Feuerholz oder Kohlen kaufen können, wenn kaum genug Geld da war, um Lebensmittel zu besorgen?

Was sollte sie tun? Offensichtlich war der Eindringling nicht bereit zu gehen. Sollte sie laut werden, ihn beschimpfen? Nein, schließlich war sie kein Fischweib. Sie schloss die Tür und nahm ihre Arbeit wieder auf. „Ich habe zu tun“, erklärte sie, während sie den Tisch zum zweiten Mal an diesem Tag wachste. Den ungebetenen Besucher würde sie einfach nicht beachten. Vielleicht würde er sich ja verabschieden, wenn er sich nur genug langweilte.

Unglücklicherweise schien er andere Pläne zu haben. Nachdem er Lucy eine Weile beobachtet hatte, murmelte er: „Man muss Hensleigh beneiden. Er kann sich wirklich glücklich schätzen, ein Liebchen zu haben, dass sich so gewissenhaft der Hausarbeit widmet und zudem sein Bett wärmt.“

Im ersten Moment wurde ihr ganz kalt. Doch schon röteten sich ihre Wangen vor Wut. Ihre Großeltern, bei denen sie aufgewachsen war, hatten jahrelang versucht, Lucys Temperament zu besänftigen. Vergeblich! Lucy hob den Kopf, funkelte den Fremden an und fasste den Putzlappen so fest, dass ihre Fingerknöchel weiß hervortraten. „Haben Sie gerade Liebchen gesagt?“

Er ließ die Brauen in die Höhe schnellen. „Da Sie sicher keine gewöhnliche Straßenhure sind, dachte ich, der Ausdruck sei angemessen. Allerdings muss ich Sie darauf aufmerksam machen, dass Sie in Bezug auf Männer einen extrem schlechten Geschmack haben. Warum suchen Sie sich nicht einen anderen? Etwas Besseres als Hensleigh finden Sie überall.“

Am liebsten hätte sie ihm den Putzlappen mitten ins Gesicht geworfen. „Ach, wirklich?“, stieß sie hervor. Plötzlich erinnerte seine Miene sie an den Wolf, den man vor einiger Zeit im Gebäude der Royal Exchange hatte anschauen können. Trotz des stabilen Käfigs hatte Lucy sich vor dem Tier gefürchtet. „Sie meinen, ich sollte einen Mann wie Sie wählen?“

„Warum nicht?“, meinte er mit leichtem Spott.

„Soweit ich weiß, kann niemand sich seine Eltern aussuchen.“ Sie zwang sich zur Ruhe. „Aber ich lebe lieber bei meinem Vater als bei einem überheblichen Gentleman ohne Manieren.“

James stutzte. Dann begriff er, welchen Fehler er begangen hatte. Allerdings hatte niemand auch nur angedeutet, die Frau in Hensleighs Wohnung könne dessen Tochter sein.

„Ich nehme an, dass selbst Sie bei der Wahl Ihrer Eltern nicht mitreden durften, auch wenn Sie jetzt so tun, als müsste alle Welt Ihnen zu Diensten sein.“

Er ging nicht darauf ein, sondern vergewisserte sich: „Sie sind Hensleighs Tochter?“

„Korrekt.“

„Dann erwarten Sie wohl, dass ich mich entschuldige …“ Verflixt, wie hatte er nur so ein Hornochse sein können? Männer hatten Töchter. Sogar Männer wie Hensleigh hatten Töchter. Das war bedeutend wahrscheinlicher, als dass sie junge, kluge und zudem gebildete Geliebte hatten.

Zornig funkelte sie ihn an. „Halten Sie mich für dumm?“

Natürlich nicht! Sie war zwar schäbig gekleidet, und er hatte sie beim Putzen einer erbärmlichen Wohnung überrascht, aber sie war ganz bestimmt nicht dumm. Sie war wütend, ja. Gleichzeitig aber verriet ihr Benehmen eine Selbstbeherrschung, wie sie Mädchen anerzogen wurde, die in besseren Kreisen aufwuchsen. Miss Hensleigh war nicht schön im herkömmlichen Sinn. Doch ihre Augen blitzten, ihr Gesicht glühte vor Leben, und ihr Mund wirkte einladend, sobald sie die Lippen nicht zornig zusammenpresste.

Die Tochter eines Falschspielers! Er hätte sie abstoßend finden müssen. Eine Rothaarige mit Sommersprossen, die in einem heruntergekommenen Haus lebte. Das hätte ihn eigentlich abschrecken müssen. Doch tatsächlich übte sie eine seltsame Faszination auf ihn aus. Er war froh, dass sie nicht Hensleighs Geliebte war, dass sie sich nicht von diesem unmoralischen Betrüger aushalten ließ.

So etwas zu denken und zu fühlen, war allerdings absurd. Die junge Frau hätte ihm zumindest gleichgültig sein sollen. Doch aus irgendeinem Grund war sie das nicht. Im Gegenteil, er fühlte sich auf seltsam erregende Art zu ihr hingezogen.

Es war nicht unbedingt fair, einem Mann seine Geliebte auszuspannen. Aber es gehörte sich ganz und gar nicht, ein unschuldiges Mädchen zu verführen, gleichgültig, wer der Vater war. Noch schlimmer allerdings wäre es gewesen, Hensleighs Schuldschein zu verkaufen und dieses Mädchen dadurch einem erbarmungslosen Schicksal auszuliefern.

James unterdrückte ein Seufzen – und bemerkte im gleichen Moment eine schmale Tür, die er bisher nicht beachtet hatte. Mit wenigen Schritten hatte er sie erreicht und riss sie auf.

„Er ist nicht hier!“ Miss Hensleighs Stimme verriet nicht die geringste Angst. Nur Wut. Und dafür musste James die junge Frau bewundern.

Er betrachtete das schmale, ordentlich gemachte Bett, den Waschtisch und die Truhe, die die gesamte Einrichtung darstellten. Dann schloss er die Tür wieder.

„Zufrieden? Oder wollen Sie auch noch unter dem Bett nachschauen?“

„Es gibt nur ein Bett“, gab er zurück. In diesem Moment kam er sich sehr töricht vor. Hensleighs Tochter, ha! Beinahe hätte er ihr geglaubt! „Wo schlafen Sie?“

„Es geht Sie zwar nichts an …“ Sie stürmte durchs Zimmer und riss den Vorhang zurück, hinter dem James den Nachttopf vermutet hatte.

Entsetzt musterte er die dünne Matte, auf der nur eine verschlissene Decke, ein Nachthemd und ein Geigenkasten lagen. Das überzeugte ihn. Kein gesunder Mann würde seine Geliebte allein auf einer Matte schlafen lassen, wenn sie ihn doch in seinem eigenen Bett hätte zu Diensten sein können. Andererseits hätte auch kein Vater zulassen dürfen, dass seine Tochter an einem so erbärmlichen Platz schlief, während ihm ein Bett zur Verfügung stand.

„Gehen Sie endlich!“, fuhr sie ihn an. „Sie sind gegen meinen Wunsch hereingekommen, haben mich auf jede nur denkbare Art beleidigt und … und … Gehen Sie! Ich gebe Ihnen Bescheid, wenn mein Vater zurück ist.“

„Einfacher wäre es, wenn Sie mir sagen würden, wo ich ihn finde.“

„Ich weiß es nicht.“

„Würden Sie es mir sagen, wenn Sie es wüssten?“

Sie zuckte mit den Schultern. „Er schuldet Ihnen Geld, nicht wahr?“

Sie war wirklich nicht dumm! Nun, ihm war jedenfalls sofort klar, was geschehen würde, wenn er die Frage ehrlich beantwortete. „Rechnen Sie immer mit dem Schlimmsten, Miss Hensleigh? Es könnte doch auch anders sein.“

„Sie schulden ihm Geld?“, fragte sie ungläubig.

Er wollte nicht lügen. „Wäre das so erstaunlich?“

„Hm … Ich weiß wirklich nicht, wo er ist. Aber wenn Sie mir Ihren Namen nennen, werde ich ihm ausrichten, dass Sie hier waren.“

Die Erwähnung des Namens Cambourne würde genügen, um Hensleigh endgültig in die Flucht zu schlagen. Also nahm James Zuflucht zu einer Halbwahrheit. „Remington“, sagte er. Das war ebenso sein wie Nicks Familienname.

„Gut, Mr. Remington. Auf Wiedersehen.“

„Können Sie mir nicht einmal einen Anhaltspunkt geben, wo ich ihn antreffen könnte?“

„Möglicherweise ist er bei einem Freund.“

„Ach?“

„Also, es ist eher eine Freundin. Seine Geliebte. Aber ich weiß nicht, wo sie wohnt.“

Gab es Väter, die ihre Affären nicht vor ihren Töchtern geheim hielten? Nun, zumindest gab es Töchter, die es nicht für nötig hielten, ihr Wissen schamhaft zu verbergen.

„Wie heißt sie?“

„Auch das kann ich Ihnen nicht sagen.“

Er wandte sich zur Tür. „Auf Wiedersehen, Miss Hensleigh. Ich melde mich in ein paar Tagen noch mal.“

James erreichte das Erdgeschoss, ohne dass die Treppe unter ihm zusammenbrach. Der Gestank nach Fisch und Kohl rief ihm noch einmal deutlich in Erinnerung, wie angenehm Hensleighs Wohnung nach Bienenwachs geduftet hatte.

Dass Hensleigh eine ordnungsliebende Tochter hat, darf mich allerdings nicht davon abhalten, ihm eine Lektion zu erteilen.

Er verließ das Haus, ging um einen schnarchenden Bettler herum, neben dem eine leere Flasche lag, und wurde gleich darauf von einer Horde Jungen umringt. „Ham Se n Penny für uns, Euer Gnaden?“

Obwohl James wusste, dass in dieser Gegend der Stadt Menschen für einen Penny ermordet wurden, holte er eine Sixpence-Münze aus der Tasche. „Zuerst ein paar Auskünfte!“

Ungläubig starrten die Jungen auf das Geldstück.

„Hat einer von euch Hensleigh gesehen?“

„Den Captain?“

„Ja.“

„Nee, nich seit n paar Tagen. Lu hat auch nich.“

„Lu?“

„Se warn doch bei ihr. Lucy, seine Tochter.“

„Hm …“ Seine letzten Zweifel an dem Verwandtschaftsverhältnis schwanden.

„Fitch weiß vielleich was“, meldete sich der kleinste der Jungen zu Wort. „Er is Lus Freund. Gibt ihr manchmal Geld.“

„Schnauze!“, herrschte der Anführer den Kleinen an.

„Fitch?“, fragte James.

„Nur so’n Typ.“

James rief sich in Erinnerung, dass es ihm gleichgütig sein konnte, mit wem Miss Hensleigh befreundet war oder von wem sie Geld annahm und warum. Trotzdem ballte er unwillkürlich die Hand zur Faust.

Irgendwo über ihnen wurde eine Geige gestimmt. Dann wurde es kurz still, ehe eine fröhliche Melodie ertönte.

James zwang sich, die Aufmerksamkeit wieder auf die Jungen zu richten. Er warf den Sixpence dem Anführer zu, holte eine weitere Münze hervor und gab sie dem Kleinen. „Wenn einer von euch rausfindet, wo der Captain ist, dann würde ich das gern erfahren.“

„Er hatte ne Tasche dabei“, meldete sich einer der Jungen. „Habs gesehn, wie er zur Poststation ging.“

„Er hat an der Fleet Street die Postkutsche genommen?“ Die meisten Kutschen, die dort hielten, fuhren nach Bath. Und in Bath würde ein Falschspieler gute Chancen haben, seine Verluste wettzumachen.

Der Junge zögerte. „Weiß nich“, gestand er dann. „War mir egal.“

James trennte sich von einem weiteren Sixpence. „Klug von dir, nicht zu lügen.“

Der Junge grinste. „Ich könnt mich n bisschen umhören, wenn Se wollen.“

„Nein danke. Kennt einer von euch Kilby?“

Plötzlich wirkten alle angespannt und ängstlich. „Nie von ihm gehört“, stieß der Anführer hervor.

James wusste, dass er gerade belogen worden war. Aber er nickte den Jungen nur zu und machte sich, begleitet von den Tönen von Lucys Geige, auf den Weg.

Lucy liebte ihre Geige. Die Musik spendete ihr Trost.

Deshalb erzürnte es sie besonders, dass ihr Vater ihre Noten verkauft hatte. Seitdem konnte sie nur Melodien spielen, die sie auswendig kannte. Andererseits war es ein großes Glück, dass er die Geige nicht auch verkauft hatte. Bestimmt hätte er nicht gezögert, es zu tun, wenn er sie gefunden hätte.

Nachdem sie eine Weile gespielt hatte, packte Lucy das Instrument sorgfältig wieder in den Kasten. Wahrscheinlich würde Fitch bald auftauchen.

Ihr Magen knurrte.

Warum war ihr Vater nicht nach Hause gekommen, solange Mr. Remington da war? Wenn der seine Spielschulden bezahlt hätte, hätte sie jetzt etwas zu Essen kaufen können. Und vielleicht wäre genug da gewesen, um die Miete zu zahlen. Natürlich nur, wenn ihr Vater nicht bei einem anderen Spieler Schulden hatte, die dringend beglichen werden mussten. Spielschulden sind Ehrenschulden, sagte er immer. Gleichgültig, ob Lucy hungrig zu Bett gehen musste, er kümmerte sich stets zuerst um seine Spielschulden.

Sie runzelte die Stirn. Wäre er nicht daheim geblieben, wenn er darauf wartete, dass Remington seine Schulden bezahlte? Oder hatte jemand ihn auf eine neue Spielhölle aufmerksam gemacht? Hatte er der Versuchung, dort zu spielen, nicht widerstehen können? Ach, er konnte der Versuchung nie widerstehen. Es gab nichts Wichtigeres in seinem Leben als zu spielen.

Lucy seufzte. Der Verdacht, dass Remington nicht ganz ehrlich gewesen war und dass tatsächlich ihr Vater Spielschulden bei ihm hatte, ließ sich nicht von der Hand weisen.

Ehe Papa verschwand, hat er mit keinem Wort erwähnt, dass vielleicht einer seiner Schuldner hier auftauchen würde.

Dabei redete ihr Vater im Allgemeinen gern. Er war wortgewandt, charmant und überzeugend. Sie hatte nicht vergessen, wie leicht es ihm gefallen war, sie davon zu überzeugen, dass er ihr ein gutes Leben würde bieten können. Alle Gentlemen würden spielen, hatte er behauptet. Und es sei ganz natürlich, dass man auch mal verliere. Aber zum Schluss bleibe immer ein Gewinn übrig.

Damals hatte sie ihm glauben wollen. Sie war kurz zuvor sechzehn geworden, hatte gerade ihr Heim verloren. Sie war froh gewesen, ihren Vater endlich wiederzusehen, nachdem er sich einige Jahre lang nicht bei ihr gemeldet hatte. Ach, sie hatte nicht geahnt, welch elendes Leben auf sie wartete! Wenigstens hatte sie ihre Geige bisher retten können. Seit ihr Vater die Noten verkauft hatte, passte sie doppelt so gut auf das Instrument auf.

Sie liebte es zu spielen, und dank Fitchs Unterstützung trug die Musik auch zu ihrem Überleben bei.

2. KAPITEL

Jig wagte kaum, sich zu rühren. Bewegungslos stand er da und beobachtete fasziniert, wie Kilby Zahlen in sein großes Wirtschaftsbuch eintrug. Er selbst hatte die Kunst des Schreibens nie erlernt. Wozu auch? Er kam gut ohne überflüssiges Bücherwissen zurecht.

Endlich legte Kilby die Feder beiseite und streute etwas Sand über die feuchte Tinte. „Was hast du zu berichten, Jig?“

Unter dem kritischen Blick des Chefs fühlte Jig sich wie immer äußerst unbehaglich. „Hab sein Nest gefunden.“

Kilby verzog den Mund zu einem Lächeln – was nicht unbedingt beruhigend war. Denn gleichzeitig trommelte er mit den Fingern auf den Tisch. Ein Alarmzeichen! Insbesondere, wenn ganz nah bei seiner rechten Hand ein Messer lag! Es hieß, dass unerwünschte Gesprächspartner keine Zeit mehr hatten, darüber nachzudenken, wie scharf das Messer war. Wenn Kilby es erst einmal in die Hand nahm, war sein Gegenüber so gut wie tot.

„Zwei Tage sind vergangen, seit ich dich beauftragt habe, Hensleigh zu finden, Jig. Zwei ganze lange Tage. Und jetzt erzählst du mir, dass du sein Nest gefunden hast. Was wohl bedeutet, dass du keine Ahnung hast, wo Hensleigh selbst ist.“

Jig schluckte. „Tut mir leid, Chef. Habs nich gefunden. Er is wech. Keiner hat ihn gesehn.“

Das Trommeln hörte auf, wie Jig erleichtert feststellte. Meistens war Kilby geneigt, einer vernünftigen Erklärung Glauben zu schenken.

„Er ist weg?“

„Jawoll, Chef. Ausgeflogn is er. Nich in seim Nest is er.“

„Dann“, stellte Kilby fest, „ist das Nest offenbar nicht mehr sein Nest.“

„Wenn er zurückkommt aba doch.“ Kalter Schweiß stand Jig auf der Stirn. „Un er kommt zurück. Weil er sein Vögelchen da hat.“

Das Trommeln setzte wieder ein. „Weißt du nicht, dass Männer dauernd irgendwelche Frauen verlassen, Jig?“

Jig räusperte sich. „Schon wahr, Chef. Aba das Vögelchen is seine Tochter.“

„Hensleigh hat eine Tochter? Dieses Geheimnis hat er wahrhaftig gut gehütet.“

„Ja. Un ich weiß auch, warum.“

Kilby faltete die Hände, legte sie auf den Tisch und hob die Augenbrauen.

„Weil se so hübsch is. Süß wie’n Pfläumchen, das gepflückt werdn will.“ Er hätte das Pflücken gern selbst übernommen. Aber er war vorsichtig. Möglich, dass Kilby andere Pläne mit dem Mädchen hatte.

„Bist du sicher, dass noch niemand das Pfläumchen gekostet hat?“

„Ziemlich.“ Jig selbst war gleichgültig, wer sich mit der Tochter vom Captain vergnügte. Aber natürlich wusste er, dass es Männer gab, die bereit waren, viel Geld für eine echte Jungfrau auszugeben.

„Eine süße kleine Jungfrau ist Gold wert“, bestätigte Kilby Jigs Überlegungen. „Gut, dass du das Mädchen entdeckt hast. So habe ich auf jeden Fall eine Möglichkeit, Hensleigs Schulden einzutreiben. Geh jetzt!“

Statt schnellstmöglich den Raum zu verlassen, blieb Jig unwohl von einem Fuß auf den anderen tretend stehen. Es gab da noch eine Information, die er weitergeben musste. „Da is noch was, Chef.“

„Was?“

„N Gentleman schnüffelt hier rum. Er will auch was von Hensleigh.“

„Hier? Du meinst hier?“

„Nee. In der Nähe von Frenchman’s Yard un Fleet Street. Hab gehört, wie er wegen Hensleigh rumgefragt hat. So hab ich Hensleighs Nest gefunden.“

„Will er was von dem Mädchen?“

„Kann sein.“ Jig zuckte mit den Schultern. „Er denkt, Hensleigh is nach Bath. Hat n paar Jungs nach ihm gefragt. Einer von den klein’ Rumtreibern hat Hensleigh bei der Poststation gesehn.“

„Vermutlich schuldet Hensleigh dem Mann Geld. Oder er ist wirklich hinter dem Mädchen her.“

„Vielleich beides?“

„Du meinst, er könnte das Mädchen anstelle seines Geldes nehmen? Schon möglich. Hör dich im Cockpit um, gegen wen Hensleigh kürzlich verloren hat. Und wenn der Gentleman noch mal auftaucht, finde heraus, wie er heißt und wo er wohnt.“

„Jawoll, Chef.“

„Sonst noch was?“

„Er hat auch nach Ihnen gefragt.“

„Tatsächlich? Und hat irgendwer seine Fragen beantwortet?“

Jig schüttelte den Kopf.

„Das war klug. Und weiter?“

Am liebsten hätte er so getan, als gäbe es nichts weiter zu berichten. Aber er hing an seinem Leben und wusste, wie schnell es zu Ende gehen konnte, wenn er Kilby verärgerte. „Fitch …“

„Was ist mit Fitch?“

„Hab gehört, dass er mit der Tochter vom Captain rumhängt un ihr manchmal Geld gibt.“

„Das ist ja interessant! Man muss ein Auge auf ihn haben. Seine Einnahmen sind in letzter Zeit zurückgegangen. Finde heraus, warum!“

„Jawoll, Chef.“

„Jetzt verschwinde. Ich bin sehr zufrieden mit dir.“

Wahrscheinlich war es pure Zeitverschwendung, noch einmal Hensleighs Wohnung aufzusuchen. Dennoch schlenderte James am nächsten Tag erneut durch das Elendsviertel, in dem der falsche Captain lebte. Zuvor hatte er die Poststation aufgesucht, von der die Kutschen nach Bath abfuhren. Dort hatte er die Information erhalten, dass ein Mann, auf den Hensleighs Beschreibung passte, eine Fahrkarte nach Bath gekauft hatte.

Kurz hatte James überlegt, ob der dem Captain folgen sollte. Er hatte sich dagegen entschieden, weil eine Verfolgung zeitaufwendig war und womöglich dazu geführt hätte, dass Hensleigh Verdacht schöpfte und erneut die Flucht ergriff. Wenn der Schurke sich jedoch sicher fühlte, würde er irgendwann zu seiner Tochter nach London zurückkehren. Falls Lucy ihrem Vater von dem Besuch des vermeintlichen Mr. Remington erzählte – wovon man wohl ausgehen konnte –, war allerdings damit zu rechnen, dass Hensleigh sich sofort eine andere Wohnung suchen würde. Deshalb empfahl es sich, Lucy im Auge zu behalten.

Lucy … Seltsam, wie oft er an die junge Frau dachte. Dabei ging sie ihn doch überhaupt nichts an. Ihre kupferfarbenen Locken sollten ihm vollkommen gleichgültig sein. Sie selbst sollte ihm vollkommen gleichgültig sein. Dummerweise stellte er sich trotzdem immer wieder vor, was es für sie bedeuten würde, wenn er ihren Vater seiner gerechten Strafe zuführte.

Andererseits existierte da dieser Fitch, der – wie einer der Straßenjungen gesagt hatte – Lucy manchmal Geld gab. Die Vorstellung gefiel James nicht, obwohl er nachvollziehen konnte, warum jemand in Lucys Position sich einen Beschützer suchte. Einen Beschützer, der sie mit Geld versorgte, wenn auch bestimmt nicht ohne Gegenleistung …

Sie ist sauber, gebildet und nicht hässlich. Sie könnte einen Beschützer finden, der sie aus diesem Loch herausholt.

Natürlich würde er selbst ihr nicht anbieten, ihr Beschützer zu werden. Sollte er ihr etwa sagen: Ich bin fest entschlossen deinen Vater zu ruinieren; also werde meine Mätresse, damit du nicht zusammen mit ihm untergehst. Unmöglich! Das wäre schließlich so etwas wie eine Erpressung gewesen. Außerdem mochte er es grundsätzlich nicht, wenn Frauen sich ihm aus Angst oder Not hingaben. Ihm war es wichtig, dass seine Geliebten freiwillig und freudig zu ihm kamen. Lucy jedoch schien ihn nicht einmal sympathisch zu finden.

Aber vielleicht würde sie mich doch mögen, wenn ich sie aus der Gosse holte.