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Fehlübersetzungen der neuen Einheitsübersetzung der Bibel von 2016 werden aufgezeigt und Alternativen geboten. Theologische Theorien zu Bibeltexten werden philologisch hinterfragt.
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Starb Jesus wirklich einen Sühnetod?
3. erw. und verb. Auflage
Glossar
Vorwort
1. Textkritik und Interferenz
2. Kanon und Methoden der Schriftauslegung
3. Überlieferung und Bedeutung der vier Evangelien
4. Die Erzählungen über Jesu Kindheit
5. Die Jungfräulichkeit Mariens – wahr oder falsch?
6. Jesus und die Frauen
7. Satan, Dämonen und der Teufel
8. Wunder in der Bibel
9. Kirchliche Morallehre und die Botschaft Jesu
10. Jesu Tempelreinigung
11. Jesu Abendmahlsworte
12. Sühne
13. Der Gottesknecht
14. Das Blut des Pessachlammes
15. Das Opfer Jesu und das Messopfer der Kirche
16. Der Zweck des Todes Jesu
17. Hymnus auf Christus im Philipperbrief (Phil 2,6-11)
18. Prolog des Evangeliums nach Johannes (Joh 1,1-18)
19. Die Taufformeln
20. Das allgemeine Priestertum und das Priesteramt
I. Primärliteratur
II. Sekundärliteratur
III. Tertiärliteratur
Die Bücher des AT, nach denen mit Abkürzung zitiert wurde:
1. Evangelien und Apostelgeschichte:
2. Die Briefe und die Offenbarung:
Weitere Abkürzungen:
Mit dieser Studie möchte ich vor allem Fehlübersetzungen in der neuen Einheitsübersetzung (nEÜ) der Heiligen Schrift von 2016 aufzeigen und Alternativen bieten.
Papst Benedikt XVI. (+2022) stellte in seinen Schriften die Methode der sogenannten kanonischen Bibelauslegung an die oberste Stelle. Damit meinte er, dass biblische Texte zuerst im Sinne der Kirche auszulegen sind. Das macht insofern Sinn, als es ja die Kirche war, die diese Texte von Anfang an im Gottesdienst verwendete und so weitergab. Dabei besteht aber die Gefahr, dass das Lehramt der Kirche eine Deutungshoheit beansprucht, die der Bibel ihre kritische Funktion nimmt, und dass eine bestimmte Deutung für immer festschrieben wird.
Das 2. Vatikanische Konzil (1962-1965) hatte nämlich erklärt, dass das Lehramt der Kirche unter der Heiligen Schrift und nicht über ihr steht, das heißt, dass die Kirche auf Gottes Wort in Menschenwort hören muss (vgl. Dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung II, 10). Die Bibel muss also ein bleibendes Korrektiv für die Lehre der Kirche sein. Damit die Hl. Schrift diese Aufgabe erfüllen kann, ist es notwendig, dass die Exegeten (= Ausleger) der Bibel alle ernsthaften Methoden der Auslegung anwenden. Das Fazit daraus hat dann das kirchliche Lehramt zu ziehen. Schwierig wird es dann, wenn die Auslegungen sehr differieren oder sogar der bisherigen Lehre der Kirche widersprechen.
Schon im Jahr 1943 hatte Papst Pius XII. verlangt, dass alle Methoden der Philologie bei der Auslegung der Bibel anzuwenden sind. Damit waren vor allem die Sprach- und Literaturwissenschaften und als Hilfe die Geschichtskunde und die Theologie gemeint.
Bei meiner Bibelarbeit mit jungen Leuten ist mir immer wieder aufgefallen, wie ungenügend, ja missverständlich, viele zentrale Bibelstellen in den verschiedenen deutschen, aber auch in anderssprachigen Übersetzungen erscheinen.
Ein erster Dissens im Bibelverständnis mit dem Judentum entstand nach der Zeit Jesu schon dadurch, dass die Autoren des Neuen Testaments (NT) und in Folge auch die Theologen der Kirche ihre Zitate fast durchwegs aus der LXX entnahmen. Das sind altgriechische Übersetzungen des Tanach und zusätzliche Schriften wie das 'Buch der Weisheit'. Jesus hielt in der Synagoge und im Tempel hebräische bzw. aramäische Abschriften des Tanach in Händen. Wir wissen nicht mit Sicherheit, ob nicht die Übersetzungen der LXX manchmal den ursprünglicheren Text bewahrt haben.
Die Rabbinen, die jüdischen Gelehrten, versuchten nach der Zerstreuung der Juden im Jahr 70 n. C. die Schriftrollen des Tanach zu retten. Ihnen half die Tatsache, dass es in allen größeren Städten des Römischen Reiches bereits jüdische Gemeinden und damit auch Schriftrollen in hebräischer bzw. aramäischer Sprache gab.
Bereits ab dem 2. Jahrhundert n. C. argumentierten christliche Theologen mit der Septuaginta gegen diese Überlieferung der Juden. Und noch heute ist es so, dass die deutsche Einheitsübersetzung der Bibel manchmal der Septuaginta oder sogar der Vulgata, der lateinischen Übersetzung des hl. Hieronymus (+420 n. C.), den Vorzug gibt, weil diese Übersetzungen angeblich manchmal besser zur Tradition der katholischen Kirche passen als die hebräische Bibel, wie sie uns heute vorliegt.
Die Septuaginta war ab dem 3. Jahrhundert v. C. in Palästina und in Alexandrien, einer großen jüdischen Diasporagemeinde, entstanden, wo sich mit der Eroberung durch Alexander den Großen seit dem 4. Jahrhundert v. C. die Koiné, die Umgangssprache der Griechen, verbreitete. Juden verlernten dort die hebräische Sprache. Aber es kamen auch aus den Gojim, den Nichtjuden, sogenannte Gottesfürchtige zum Judentum hinzu, die des Hebräischen nicht mächtig waren. Deshalb wurde eine Übersetzung des Tanach notwendig.
Mit dieser Übersetzung fanden Begriffe der griechischen Philosophie und Mythologie Eingang in die Septuaginta. Dadurch bekamen Begriffe wie 'Seele', 'Sohn Gottes', 'Teufel' bzw. 'Satan' usw. einen anderen Bedeutungsumfang als in der hebräischen Bibel, was bis heute zu Missverständnissen führt. Auch darum geht es in diesem Buch.
Ein eigenes Kapitel dieses Buches behandelt die Frage, ob die deutschen Begriffe 'sühnen' bzw. 'Sühne' den Sinn dessen treffen, was mit ihnen wiedergegeben werden soll. Der Untertitel dieses Buches lässt erraten, dass dies verneint werden muss.
Zu diesem semantischen Unterschied der Begriffe kommt hinzu, dass die junge Kirche bereits wenige Jahre nach Jesu Tod durch die Aufhebung der Beschneidung und durch die Vernachlässigung der kultischen Reinheits- und Speisevorschriften der Juden für die Anhänger Jesu, die aus der hellenistischen Umwelt gewonnen wurden, in Frontstellung zum pharisäischen und nach dem Jahr 70 n. C. zum rabbinischen Judentum geriet.
Von da ab wollten die christlichen Theologen nicht mehr anerkennen, wie die Juden ihre heiligen Schriften verstehen. Deshalb versuchte das Lehramt der Kirche im Lauf der Jahrhunderte immer wieder, den Juden den Talmud, ihre Bibelerklärungen, zu verbieten oder ihn zu vernichten, um sie zu zwingen, die christliche Lesart zu übernehmen.
Ein Wort in eigener Sache: Gerade weil mir an der Kirche viel liegt, versuche ich, unklare, ungenaue oder unrichtige Übersetzungen von Textstellen der Bibel aufzuzeigen und sie richtig zu stellen. Durch bessere Argumente lasse ich mich gern eines Besseren belehren.
Vielleicht kann mancher Pfarrer in seiner Predigt, mancher Student der Theologie in seinem Studium und mancher interessierte Laie in seinem Glauben von meinen Studien profitieren.
1. A Überlieferung des Textes
Die Textkritik gehört der Editionsphilologie an. Sie versucht, den Originaltext wieder herzustellen. Weil wir kein Original oder Autograph von der Bibel haben, kann sich dieses Fachgebiet nur mit Abschriften der Bibel befassen. Sie wurden früher per Hand angefertigt. Deshalb nennt man sie auch 'Manuskripte' oder 'Handschriften'.
Das Neue Testament ist uns nur in altgriechischer Sprache überliefert. Man verwendete in den alten Handschriften nur Majuskeln (= Großbuchstaben), die ohne Wortabstand und ohne jedes Satzzeichen nahtlos aneinandergefügt wurden. (1) Deshalb kann man in diesen Abschriften hin und wieder nur schwer erkennen, wo ein Wort aufhört oder welche Wörter zu einem bestimmten Satzteil gehören.
Bei falscher Trennung der Wörter oder einzelner Satzteile kann ein völlig anderer Sinn zustande kommen als der ursprünglich gemeinte. Die modernen Herausgeber des altgriechischen Textes schreiben die einzelnen Wörter mit dem entsprechenden Abstand zum nächsten Wort und fügen Satzzeichen ein. Dabei müssen sie je nach Sinn entscheiden, welche Satzteile zusammengehören. Das möge folgendes Beispiel zeigen:
Als ich zu einer mündlichen Prüfung in Exegese (= Auslegung) des Neuen Testaments antrat, ließ mich der Prüfer Römerbrief 9,5 übersetzen. Der Text lautete entsprechend der Wortzuordnung der altgriechischen Ausgabe von 1960 (2), hier in deutscher Übersetzung:
„Sie haben die Väter, und dem Fleisch nach entstammt ihnen Christus, der über allem als GOTT steht, er ist gepriesen in Ewigkeit. Amen“. (3)
Vergeblich erklärte ich dem Prüfer, dass hier die Buchstaben des Textes falsch getrennt worden sein müssen, weil an keiner Stelle sonst der Apostel Paulus Jesus Christus als Gott bezeichne und er hier seinen sonstigen Aussagen über Jesus Christus widerspräche.
Der Prüfer antwortete erzürnt: „Dann haben wir eben hier eine solche Stelle.“ Vor allem diese Stelle des Neuen Testaments wurde immer wieder als wichtiger Beleg für die spätere Lehre der Kirche betrachtet, dass Jesus Christus wahrer Mensch und auch wahrer Gott sei.
Die katholische Exegetin Daniela Riel bezeichnet das Argument, das ich damals vorbrachte, als schwach, aber wer die neue altgriechische Textausgabe des Neuen Testaments von Nestle-Aland von 2015 aufschlägt, wird feststellen, dass jetzt Satzteile anders getrennt werden (4) und in der neuen Einheitsübersetzung von 2016 Röm 9,5 so wiedergegeben wird:
„Ihnen gehören die Väter, und ihnen entstammt der Christus dem Fleisch nach. GOTT, der über allem ist, ER sei gepriesen. Amen.“ (5)
Hier wird also nicht mehr Jesus Christus als Gott gepriesen, sondern Gott Vater.
Die hebräische Bibel ist in der sogenannten 'Quadratschrift', das heißt in aramäischen Schriftzeichen, geschrieben. Von Ausnahmen abgesehen, wurden die Wörter anfangs ohne Vokale geschrieben. Dadurch war der Wortsinn nicht immer klar, denn je nachdem, welche Vokale man geistig ergänzte, konnten die Wörter und Sätze eine andere Bedeutung annehmen.
Erst um die Jahre 700 bis 1000 n. C. fügten Masoreten, jüdische Schriftgelehrte des Mittelalters, zur leichteren Lesbarkeit des Textes Vokalzeichen hinzu und legten dadurch auch den Sinn der Wörter und Sätze fest. Dieser Text wird masoretisch genannt. Das kommt von hebr. 'M´SORAH' (= Befestigung) oder aram. 'MIS´RA' (= Grenze). Im heutigen Hebräisch, dem 'Ivrit', lässt man die Vokalzeichen wieder weg.
Manchmal kann auch der Ausfall eines einzigen Buchstabens den Sinn eines Satzes ändern. Ein bekanntes Beispiel hierfür befindet sich im altgriechisch verfassten Markusevangelium, wo ein Aussätziger vor Jesus auf die Knie fiel und ihn um Heilung bat (vgl. Mk 1,40-45). Es gibt nun eine unter vielen Abschriften, in der der altgriechische Text fortfährt, Jesus sei zornig geworden. In allen anderen Abschriften heißt es aber, Jesus habe Mitleid mit dem Kranken gehabt, was ja auch näher liegt.
Dieser Widerspruch lässt sich auflösen, wenn man ihn auf einen Hör- oder Schreibfehler zurückführt, der schon in der hebräischen Vorlage gewesen sein muss. Der hebräische Ausdruck 'B´ CHEMAH' heißt im Zorn und 'B´CHEMLAH' aus Mitleid. Der Ausfall eines einzigen Buchstabens änderte hier den Sinn. (6)
Weil es im Altgriechischen diesen Hör- oder Schreibfehler nicht hätte geben können, ist das ein wichtiger Hinweis darauf, dass die Aufzeichnungen über Jesu Taten den Evangelisten zunächst auf Hebräisch vorgelegen haben müssen. Das gilt auch für Jesu Lehre, aber aus einem anderen Grund, wie wir noch sehen werden.
Manche Bibelkritiker behaupten, dass zum Beispiel im altgriechisch geschriebenen Prolog (= Einleitung) des Johannesevangeliums, wo es heißt "Und das Wort war Gott" (Joh 1,1), ein Jota ausgefallen sein müsse, sodass aus altgriechisch 'theios' (= gottähnlich, übermenschlich, himmlisch etc.) 'theós' (= Gott) wurde. Näheres dazu in Kapitel 18.
1. B Interferenzen
Mit dem Begriff 'Interferenz' bezeichnet man in der Sprachwissenschaft die Übertragung von muttersprachlichen Strukturen auf gleichwertige Strukturen in der Fremdsprache und umgekehrt. Für Zitate aus dem Tanach im Neuen Testament griffen die Autoren fast immer auf die altgriechischen Übersetzungen, die Septuaginta, zurück. Von dieser lagen ihnen je nach Buch manchmal differierende Wiedergaben des hebräischen beziehungsweise des aramäischen Textes vor, denn im Laufe der Zeit hatten sich die Übersetzungsweisen geändert.
Von manchmal recht freier Wiedergabe, also Interpretation, der Ausgangstexte ging die Tendenz im Allgemeinen zu eher wörtlicher Übertragung. Dazu kam, dass das Zitieren im Neuen Testament wohl oft nur aus dem Gedächtnis erfolgte und die Zitate außerdem in einen anderen Kontext gestellt wurden, als sie ursprünglich hatten. Dadurch nahmen sie eine andere Bedeutung an, als sie in der Septuaginta bzw. in der hebräischen Bibel hatten.
Das bekannteste Beispiel hierfür ist wohl Jesaja 7,14, wo es im Tanach heißt:
„[...] Die junge Frau ist schwanger und gebiert [...]“.
Die LXX schrieb:
„[...] Die Jungfrau wird empfangen und gebären […].“
Die LXX verwendete hier altgriech. „parthenos“, das wie hebr. 'HaAL´MAH' je nach Kontext sowohl 'Jungfrau' als auch 'junge Frau' bedeuten kann. Im Tanach muss biologisch gesehen 'junge Frau' gemeint sein. Wegen der Futurform der Verben in der LXX passt in der LXX auch 'Jungfrau'. Deshalb kann man von keinem Fehler bei der Übersetzung von hebr. HaAL´MAH' mit altgriech. 'pathenos' in der LXX sprechen.
Matthäus und Lukas verwendeten die Version der LXX, weil sie zum Ausdruck bringen wollten, dass Jesus vom Hl. Geist stammt. Allerdings passte bei Matthäus, im Unterschied zu Lukas, die Futurform der Verben im Zitat nicht, weil Maria bei ihm bereits schwanger war. Siehe dazu mehr in Kapitel 5!
Manchmal wird aus einer 'détresse linguistique', aus sprachlichem Unvermögen, heraus bei der Übersetzung der hebräischen Bibel der Sinn eines Ausdrucks nicht ganz getroffen. So heißt es zum Beispiel in einer der beiden Schöpfungserzählungen der Bibel, dass Gott hebr. 'N´SCHAMAH' (= Lebensatem) (vgl. Genesis oder 1. Buch Mose 2,7) in die Nase Adams blies, und zwar nur ihm und nicht den übrigen Lebewesen.
Auf diese Weise wurde Adam zu einem 'NEFESCH HAJA', schreibt der Tanach. Die nEÜ gibt diese Stelle folgendermaßen wieder: „So wurde der Mensch zu einem lebenden Wesen“ (Gen 2,7) (Hervorhebung durch den Verfasser), womit wohl 'Lebewesen' gemeint ist. Nachdem der Lebensatem Gottes die Menschen von Tieren und Pflanzen unterscheiden soll, müsste hier aber sinngemäß übersetzt werden: „So wurde der Mensch zu einer Person.“
Jehovas Zeugen schreiben hier, dass der Mensch zu einer 'lebenden Seele' (7) wurde, wohl weil die Septuaginta hebräisch 'NEFESCH' mit griechisch 'psyche' (= Seele) wiedergegeben hatte. Diese Übersetzung ergibt aber im Deutschen keinen Sinn. Denn was wäre eine 'tote Seele'? Sie übersieht, dass 'psyche' im Altgriechischen nicht nur 'Seele', sondern je nach Kontext auch 'Person' bedeuten kann.
Nicht gemeint war damit jedenfalls, dass der Mensch einen Seelenteil habe, der von Haus aus unsterblich sei, wie Platon gelehrt hatte. Dem widerspricht auch nicht das Wort Jesu, das uns nur in der altgriechischen Version nach Matthäus 10,28 überliefert ist:
"Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, aber die Seele nicht töten können [...]."
Hier geht es nicht um einen von Haus aus unsterblichen Teil am Menschen, sondern um seine Person, im Besonderen um seine Beziehung zu Gott.
Der griechische Begriff 'psyche' führte in nachneutestamentlicher Zeit zu weiteren Spekulationen. Als im 2. Jahrhundert n. C. Theologen darüber nachdachten, wo die verstorbenen 'Gerechten' bis zu ihrer Auferweckung am Jüngsten Tag verweilen, kamen sie auf den Begriff 'Seele' in der Septuaginta zurück. Justin der Märtyrer (+165) zum Beispiel schrieb, die menschliche Seele sei durch Gottes Willen unsterblich und nicht von Natur aus oder von ihrem Wesen her, wie das Platon gelehrt hatte.
Nach Tertullian (+220 n. C.) kommen die Seelen der 'Gerechten' an einen Erfrischungsort, an dem sie schlafend auf ihre Auferstehung warten, ohne dabei Qualen erleiden zu müssen. Seit Origenes (+254) (miss)verstand man das Wort des Apostels Paulus vom reinigenden Feuer (vgl. 1 Kor 3,13) als Fegefeuer nach dem Tod, als Besserungsstrafe für die Seele.
Im 6. Jahrhundert führte Papst Gregor der Große (590-604) dann in die offizielle Lehre der Kirche die Vorstellung von einem Fegefeuer der Seele für jene ein, die nicht im Ruf der Heiligkeit sterben. Dabei wurde die Vorstellung Platons übernommen, dass das Wesen des Menschen allein in seiner Seele bestünde.
Beim Apostel Paulus war noch offen geblieben, wann und wo der sündige Mensch von Gott gereinigt oder gebessert wird. Paulus schrieb jedenfalls nicht, dass die Seele nach dem Tod des Menschen allein weiterlebe. Vielmehr wird nach seiner Vorstellung ein 'geistiger Leib' auferweckt, was die Einheitsübersetzung ungenau mit 'überirdischer Leib' wiedergibt (vgl. 1 Kor 15,44). Die Vorstellung von einer nach irdischer Zeit bemessenen Läuterung des Menschen im Jenseits kennt die Bibel nicht, noch weniger die Läuterung der Seele allein.
Manchmal gibt es je nach Abschrift Wortvarianten. Verschiedene Abschriften des Neuen Testaments verwenden manchmal für dieselbe Sache unterschiedliche Begriffe, wie zum Beispiel 'Satan' bzw. 'Teufel', Begriffe, die ursprünglich nicht dasselbe bedeuteten. Satan ist in der hebräischen Bibel ausschließlich ein guter Engel am himmlischen Hofstaat. 'Satan' wurde in der Septuaginta aber fast immer mit altgriech. 'diabolos' (= Teufel, Durcheinanderbringer) wiedergegeben.
Ab dem 4. Jahrhundert v. C. wurde in der Mythologie der 'Teufel' zum Inbegriff des Bösen. Durch die Wiedergabe von 'Satan' mit 'Teufel' in der LXX kam es scheinbar zur Gleichsetzung der Figur des Satans mit dem Bösen schlechthin. Möglicherweise kannte Jesus die Teufelsmythologie, aber es ist sehr unwahrscheinlich, dass er sich an ihr orientierte und nicht an seiner Bibel.
Eine Folge dieser Vermischung der Begriffe ist, dass in den verschiedenen Abschriften des Neuen Testaments abwechselnd von 'Satan' und 'Diabolos' die Rede ist, sodass nicht auf Anhieb zu erkennen ist, ob es sich an der Stelle nur um die Figur des 'Satans' des Tanachs handelt oder um das Böse schlechthin. Im Neuen Testament tritt noch der Begriff 'Dämon' hinzu.
Sogar manche Fachleute des Neuen Testaments werfen die drei ganz unterschiedlichen Begriffe durcheinander, weil sie wohl unbesehen davon ausgehen, auch Jesus oder die Autoren der neutestamentlichen Schriften hätten diese Begriffe synonym verwendet. In der hebräischen Bibel, aus der Jesus vorlas, gab und gibt es aber den Teufel im Sinne einer bösen Person gar nicht.
Nimmt man das zur Kenntnis, muss man anerkennen, dass es zum Beispiel in der Erzählung von der Versuchung Jesu nicht um den 'Teufel' als Inbegriff des Bösen geht, sondern um 'Satan', der uns gemäß dem Alten Testament als guter Engel mit der Erlaubnis Gottes auf die Probe stellen darf. Dann müsste bei der Wahl der Varianten dem Unterschied zwischen 'Satan' und 'Teufel' Rechnung getragen werden.
1. C Textergänzungen
Die Aufgabe der Textkritik ist es schließlich auch, jene Stellen zu markieren, wo von Abschreibern vermutlich ihre eigenen Kommentare oder sogar ganze Abschnitte hinzugefügt wurden, wie das nach allgemeiner Ansicht der Fachexegeten mit den Erzählungen über die Erscheinungen Jesu im Markusevangelium im 2. Jahrhundert n. C. der Fall ist.
Meine Studien stützen sich auf die Ergebnisse der Textkritik der 28. revidierten Auflage des altgriechischen Textes zum Neuen Testament von Nestle-Aland des Jahres 2015. Dabei wird von mir manch bevorzugte Lesart in dieser neuen Ausgabe vom Sinn her in Frage gestellt.
Fazit:
Die Textkritik versucht, durch Vergleich der Abschriften den Urtext der Bibel zu erschließen. Dabei sollten nicht bloß das Alter der Handschriften und die Häufigkeit einer Variante eine Rolle spielen, sondern auch Kontext und Umfeld der Bibel.
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(1) Näheres dazu: Josef Scharbert: Der Text der Bibel. In: Sachbuch zur Bibel, 155-186.
(2) Vgl. Eberhard Nestle u. a. (Hg.): Novum Testamentum Graece et Latine. 24. griech. Aufl. Stuttgart 1960.
(3) V. Hamp, M. Stenzel, J. Kürzinger (Übers. und Hg.): Die heilige Schrift des Alten und Neuen Testamentes. 8. Aufl. Aschaffenburg 1960.
(4) Barbara und Kurt Aland u. a. (Hg.): Nestle-Aland. Novum Testamentum Graece. 28. revidierte Aufl. Stuttgart 2012/4. korr. Druck 2015.
(5) Katholische Bibelanstalt (Hg.): DIE BIBEL EINHEITSÜBERSETZUNG DER HEILIGEN SCHRIFT GESAMTAUSGABE. 1. Aufl. Stuttgart 2016.
(6) Vgl. Pinchas Lapide: Ist die Bibel richtig übersetzt?, 126.
(7) Vgl. Watch Tower Bible and Tract Society (Übers. u. Hg.): Neue-Welt-Übersetzung der Heiligen Schrift. Rev. New York 1986.
Die Schriften, die zum Alten und zum Neuen Testament zählen, lagen nicht von Anfang an fest. Altgriechisch 'Kanon' (= Messlatte, Richtschnur) meint hier jene Schriften, die für die Kirche maßgebend geworden sind, zum Beispiel die vier Evangelien, die Briefe des Apostels Paulus und so weiter. Erst im Osterfestbrief des Jahres 367 des Bischofs Athanasius aus Alexandrien (+373) wurden alle bis heute von der Kirche als gültig anerkannten 27 Schriften des Neuen Testaments aufgezählt.
Die Septuaginta (LXX), altgriechische Versionen des Tanach, ist umfangreicher als die hebräische Bibel. Die Rabbinen (= Mehrzahl von 'Rabbi') anerkannten bei der Kanonbildung nach der Zerstörung des Tempels im Jahr 70 n. C. nur jene Bücher als zu ihrer Bibel gehörig, die ihnen damals in aramäischer oder hebräischer Sprache vorlagen. Deshalb umfasst die LXX mit 46 Büchern um sieben Schriften mehr als der Tanach, in dem zum Beispiel das Buch der Weisheit nicht steht.
Martin Luther (+1546) bezeichnete jene Schriften, die nicht in der Bibel der Juden enthalten sind, als 'Apokryphen'. Er betrachtete sie zwar nicht als notwendig, aber als nützlich. Im Neuen Testament stellte er den Jakobusbrief gleichsam zur Strafe hinter die anderen Schriften, da ihm dieser Brief dem Grundsatz 'sola gratia' (= allein aus Gnade und Barmherzigkeit) zu widersprechen schien.
Im 'Dekret zu Schrift und Überlieferung' der Sitzung IV des Konzils von Trient (1545–1563) hielt die katholische Kirche daran fest, dass die vom Kirchenlehrer Athanasius aufgezählten Schriften definitiv zur Bibel gehören. (1) Gleichzeitig entschieden die Bischöfe im sogenannten 'Vulgatadekret', dass allein der Text der Vulgata, das ist die lateinische Übersetzung des hl. Hieronymus (+420 n. C.), maßgebend ist. (2)
Viele Jahrhunderte hindurch stützte sich die Kirche bei der Auslegung der Hl. Schrift in erster Linie auf den Text der Vulgata. Erst als der Ruf „ad fontes“ durch die Humanisten der Neuzeit wie den Gelehrten Erasmus von Rotterdam (+1536) laut wurde, wandte man sich auch den Ausgangstexten der Bibel zu, für das Alte Testament den Texten in Althebräisch und Aramäisch und für das Neue Testament dem Text in Altgriechisch.
Das Verdienst von Martin Luther ist es, als Erster die Bibel aus den Ursprachen ins Deutsche übersetzt zu haben. Übersetzungen aus dem Lateinischen ins Deutsche gab es schon vor Luther. Sein Bestreben war es aber, die Texte der Bibel durch Rückgriff auf die Ursprachen besser verstehen zu können.
Zur Philologie des 16. Jahrhunderts kam ab dem 18. Jahrhundert vor allem in Deutschland die sogenannte 'historisch-kritische Methode'. Dazu gehören die Textkritik, Literarkritik, Überlieferungskritik, Redaktionskritik, Formkritik und der historische Ort. (3) Diese Methoden wurden im 20. Jahrhundert im angelsächsischen Sprachraum durch den missverständlichen Begriff 'kontextuelle Exegese' ergänzt, womit z. B. die sog. 'feministische Exegese' gemeint ist.
Die Textkritik war schon Thema des ersten Kapitels. Die Literarkritik befasst sich mit Herkunft und Vorstufen eines Textes und zeigt, dass zum Beispiel mehrere Autoren zur Entstehung beitrugen, wie das beim Buch Genesis, im Besonderen bei den Schöpfungserzählungen der Fall ist.
Die Überlieferungskritik zeigt, dass oft Teile von Texten vorher schon mündlich tradiert wurden, bis sie schriftlich fixiert wurden. Die Aufzeichnung, vor allem von Ereignissen aus dem Alten Testament, erfolgte oft erst Jahrhunderte später.
Die Redaktionskritik zeigt, dass Texte vom Endredaktor geändert, umformuliert oder sogar ergänzt wurden, um dem Text eine neue Bedeutung zu verleihen, wie das bei Wundererzählungen vorkommt, zum Beispiel bei der Heilung eines Besessenen durch Jesus, wo der zweite oder dritte Erzähler die unreinen Geister nach ihrer Austreibung durch Jesus in eine Schweineherde fahren ließ.
Die Formkritik befasst sich mit dem sogenannten 'genus litterarium', der literarischen Gattung, eines Textes oder mit dessen Sitz im Leben. Dadurch ist zu erkennen, dass Wundererzählungen manchmal nur als Staffage dienen. Zum Beispiel folgt dem Thema 'Jesus ist das Licht der Welt' die Heilung eines Blinden oder dem Thema 'Jesus ist die Auferstehung und das Leben' die Auferweckung des Lazarus.
Der 'historische Ort' meint die Datierung eines Textes, aus der dann auch die Bedingungen seines Entstehens erklärt werden können, wie das bei der angeblichen Selbstverfluchung der Juden im Evangelium nach Matthäus oder bei den Polemiken gegen Juden in den johanneischen Schriften der Fall ist. (4)
Als Gegenpol zur historisch-kritischen Methode entstand seit den 1970er Jahren in den USA der Begriff der sog. 'kanonischen Exegese' oder der kirchlichen Auslegung, die es faktisch schon immer gab. Diese Auslegung steht besonders bei den sog. 'Erweckungsbewegungen' des 20. Jahrhunderts im Vordergrund.
Diese Art des Schriftverständnisses ist weniger an der Aussageabsicht des Autors als an der inneren Betroffenheit vom Literalsinn, also dem buchstäblichen Sinn, einer biblischen Textstelle interessiert und/oder daran, wie eine Glaubensgemeinschaft den Text verstehen will. Dadurch geschieht oft eine Umdeutung des ursprünglichen Sinnes eines Textes. Gleichzeitig betrachten sich aber gerade die Vertreter der kanonischen Exegese paradoxerweise als besonders bibeltreu.
Bei meinem Hinweis auf diesen Widerspruch wurde mir einmal von einem Mitglied der 'Iglesia Pentecostal Unida de Colombia' (Vereinigte Pfingstkirche von Kolumbien, Übers. durch den Verfasser) folgende Auskunft erteilt: „La palabra de Dios es para predicar y no para discutir.“ (= Das Wort Gottes ist zum Verkündigen da und nicht zum Besprechen, Übers. durch den Verfasser). Damit ist gemeint, dass man das Textverständnis der kirchlichen Gemeinschaft als solches hinzunehmen und nicht zu hinterfragen habe.
Joseph Ratzinger/Papst Benedikt schrieb in Bezug auf die Deutung des Alten Testaments von 'Relecture'. Damit ist gemeint, dass es zum vollen Verständnis eines Textes manchmal eines zweiten Textes bedarf. Deshalb spricht die Kirche ja auch von Altem und von Neuem Testament.
Der Apostel Paulus zitierte oft aus dem Alten Testament, vor allem um seine Aussagen zu unterstreichen oder zu beweisen. Das gilt auch für die vielen Schrifthinweise in den Evangelien. Dabei kam es aber auch zu mehr oder weniger beabsichtigten Umdeutungen des Sinnes im Ausgangstext. Dies mag den Autoren des Neuen Testaments erlaubt gewesen sein. Die entscheidende Frage ist aber, ob dieses Recht auch den nachbiblischen Theologen bei der Deutung des Tanach zusteht, mit anderen Worten, ob der Tanach für die Juden nicht seinen Eigenwert behalten darf.
Joseph Ratzinger/Papst Benedikt zum Beispiel sah in Jesus nicht zuerst den gläubigen Juden, sondern den von der Kirche geglaubten Christus als Maßstab für die gesamte Auslegung des Alten Testaments. Bereits die ersten nachbiblischen Theologen, die sogenannten 'Väter', unterstellten den Juden schwere Missverständnisse bei der Auslegung des Tanach.
Nun war aber für Joseph Ratzinger und andere der Maßstab der Schriftauslegung unausgesprochen die Bulle 'Iniunctum nobis' (1564) von Papst Pius IV. (1559-1565), in der als Bekenntnis des Konzils von Trient (1546-1563) festgeschrieben wurde, die Kirche werde die Heiligen Schriften nie „iuxta unanimem consensum patrum“ (DS 1863), also niemals gegen den einstimmigen Konsens der Kirchenväter (2. - 8. Jahrhundert) auslegen.
Somit band sich Joseph Ratzinger an die Auslegung der Bibel im Sinne der 'Väter'. Von daher war für ihn das Neue Testament nicht bloß eine Fortschreibung des Alten Testaments zur Berufung der Heidenvölker. Vielmehr wertete er das Alte Testament und damit den Glauben der Juden dadurch ab, dass er in Anlehnung an die 'Patrologie', die Lehre der Väter, sogar von einem „ungültigen Weg“ der Juden sprach, wenn sie dem Neuen Testament nicht folgen, so als habe Gott mit dem jüdischen Glauben einen Fehler gemacht, der mit dem Neuen Testament korrigiert werden müsse.