Mit dem falschen Mann fing alles an - Katryn Berlinger - E-Book
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Mit dem falschen Mann fing alles an E-Book

Katryn Berlinger

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Beschreibung

Kann aus einer verrückten Idee die große Liebe werden? Der Roman »Mit dem falschen Mann fing alles an« von Katryn Berlinger als eBook bei dotbooks. Leicht angeschickert und glücklicherweise ohne ihren langweiligen Ehemann Rüdi lümmelt Charlotte an ihrem Geburtstag auf der Couch, als es plötzlich an der Tür klingelt. Sie staunt nicht schlecht über den riesigen Blumenstrauß und den edel gekleideten jungen Mann dahinter. Zu schade, dass er sich auf der Suche nach seinem Blind Date nur in der Tür geirrt hat! Ist das vielleicht das Wunder, auf das sie schon ihr ganzes Leben gewartet hat? Sie erklärt sich zu Toms Verabredung, wirft sich kurzerhand in Schale – und sorgt damit für heilloses Chaos ... Aber vielleicht winkt am Ende ja das Glück? Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der humorvolle Liebesroman »Mit dem falschen Mann fing alles an« von Katryn Berlinger. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Über dieses Buch:

Leicht angeschickert und glücklicherweise ohne ihren langweiligen Ehemann Rüdi lümmelt Charlotte an ihrem Geburtstag auf der Couch, als es plötzlich an der Tür klingelt. Sie staunt nicht schlecht über den riesigen Blumenstrauß und den edel gekleideten jungen Mann dahinter. Zu schade, dass er sich auf der Suche nach seinem Blind Date nur in der Tür geirrt hat! Ist das vielleicht das Wunder, auf das sie schon ihr ganzes Leben gewartet hat? Sie erklärt sich zu Toms Verabredung, wirft sich kurzerhand in Schale – und sorgt damit für heilloses Chaos ... Aber vielleicht winkt am Ende ja das Glück?

Über die Autorin:

Katryn Berlinger arbeitete lange Zeit als Direktionsassistentin, entschied sich dann aber für ein Studium der Germanistik und Systematischen Musikwissenschaft. Nach ihrem Abschluss war sie in einem Hamburger Schallplattenunternehmen tätig. Einige Jahre später tauschte sie dann den Beruf gegen die Familie ein. Heute lebt und arbeitet die Autorin in Norddeutschland.

Bei dotbooks sind von Katryn Berlinger bereits die historischen Romane »Die Frauen von Ahlbeck«, »Die Malerin von Genua«, »Die Champagnerkönigin«, »Die Zuckerbäckerin von Riga« und »Die Liebe der Zuckerbäckerin« erschienen; letztere sind im Sammelband »Das Schokoladenmädchen« zusammengefasst.

Außerdem veröffentlichte sie bei dotbooks ihre Familiengeheimnis-Romane »Die Insel der Herzkirschen« und »Das Inselhotel der Träume«.

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Überarbeitete eBook-Neuausgabe November 2022

Copyright © der Originalausgabe 1998 Katryn Berlinger

Copyright © der überarbeiteten Neuausgabe 2022 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Kristin Pang, unter Verwendung von Motiven von itsme design / shutterstock.com und Deliza / shutterstock.com

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)

ISBN 978-3-98690-408-1

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Katryn Berlinger

Mit dem falschen Mann fing alles an

Roman

dotbooks.

Kapitel 1

An allem waren nur die Schnapspralinen schuld ‒ zum Glück!

»Ich komme, Rüdimaus!« rief ich, als es klingelte. »Ich komm’, Moment!«

Ziemlich beschwipst rollte ich vom Sofa und wunderte mich kein bißchen über mein Gegröle. Schließlich hatte ich eine Magnum-Packung Mon Cheri im Bauch ‒ und das ohne Mittagessen. Doch ich hätte liegenbleiben sollen. Denn als ich den ersten Schritt in Richtung Haustür machte, schlug der Schoko-Ekel zu, und zwar so heftig, daß ich nicht bloß aufstieß wie ein Hooligan, sondern mir mein Magen auch signalisierte, die ihm zugemuteten Gaben wieder ans Licht befördern zu wollen.

»Oh Gott, ist mir schlecht«, jammerte ich. »Verdammte Pralinen. Alles deine Schuld.«

Mit der gequältesten Miene, die je ein Mon-Cherie-vergiftetes-Weib hat aufsetzen können, schleppte ich mich weiter. Zum Glück schien mein Magen über seinen Zustand erst mal philosophieren zu wollen ‒ vielleicht entging ich ja doch dem Schicksal, Schwiegermutters neuen Wisch-Mob mit Schokosaurem einzuweihen.

»Aber ja doch!« würgte ich hervor, als das kindische Gegongel den Flur zum zweiten Mal in einen Wecker verwandelte. »Bin doch schnell wie die Maus von Mexico. Hörst du das nicht?«

Rüdimaus hörte nicht. Denn es gongelte gleich noch ein drittes Mal. Er verhielt sich natürlich genauso wie sonst. Konnte ja gar nicht anders. Schließlich war er Mann. Und die haben es immer eilig. Ob auf der Autobahn oder im Bett. Und Rüdimaus war ein ganz besonders schneller. Auf der Autobahn bedrohte er jeden mit 240, und im Bett schnarchte er schon, wenn ich noch dabei war, die Beine wieder geradezustrecken. Deshalb hatte er mir heute wohl zum Geburtstag den schwarzen Occhi-Verdi-Spitzenbody geschenkt: Damit er noch schneller kommen konnte, tun dann noch ein bißchen eher zu schnarchen.

Und jetzt mußte meine schnelle Rüdimaus vor der Tür warten. Wahrscheinlich sagte er mir gleich, er würde nur noch schnell den Rasen mähen und ganz schnell den Wagen in die Waschanlage fahren ‒ blieb mir also genug Zeit, mich schnell zurechtzumachen, um dann schnell beim Italiener ein fünfgängiges Menü zu verschmausen, anschließend ins Kino zu gehen und eine Stunde nach Mitternacht noch superschnell den Body einzuweihen.

»Rüdi«, hauchte ich leidend, während ich die Haustür ganz langsam aufmachte. »Hast du schon mal was von Hausschlüsseln gehört? So zum Aufschließen, weißt du?«

Ich muß unheimlich sexy ausgesehen haben, wie ich so dastand: Gewandet in einen verwaschenen, völlig bequemen Jogginganzug, geschminkt wie ein gerupftes Huhn, die Haltung wie eine Leberwurst in der prallen Sonne. Dazu ein blasser Miesmachermund, den ich Rüdi mit geschlossenen Augen zum Kuß anbot wie ein nach Luft schnappender Karpfen. Und dann natürlich mein Parfüm: der in allen Ecken der Welt bekannte Duft Eau du Liqueur.

Rüdi würde mich unmöglich küssen wollen. Auch wenn heute mein Geburtstag war. Und er tat es auch nicht. Also schloß ich meinen Mund, zupfte mich zurecht, weil mein riesiger Großmutter-Schlüpfer auf dem Sofa zum String-Tanga mutiert war, und schlug die Augen auf.

Rosen, dachte ich blöde, als ich den Blumenverhau erblickte. Rote Rosen, viele rote Rosen. Absurd viele Rosen. Rosen in Zellophan. Ich glaub’, ich spinne.

»Rüdi«, sagte ich schwach, aber mit einem Lächeln in der Stimme. »So eine Überraschung. Aber das wär’ doch nun wirklich nicht …«

Weiter kam ich nicht, das Telefon klingelte. Dem Grunzer hinter der Rosenhecke schenkte ich keine Beachtung.

»Verdammt! Telefon!« rief ich und hastete zurück ins Wohnzimmer. Die Übelkeit war verschwunden.

»Ja? Rüdi? Du? Wieso Du? Ach so, ja. Danke für die Rosen. Ach, warte mal. Weißt du, draußen… Da steht noch der Fleurop-Mann, Moment mal. Was? Wieso? Deine Rosen doch, du Dösbattel.«

»May I come in«, tönte es auf einmal näselnd von der Haustür, worauf ich, natürlich wie jede andere Frau auch, etwas verwirrt und hysterisch kreischte:

»Yes. Of course.«

»Thank you. Wonderful.«

»Rüdi!« schrie ich jetzt. »Die von Fleurop haben sogar Engländer, echt! In piekfeinen Hosen. Flanell. Was?! Keine Rosen? Quatsch! Schitt jetzt! Ruf in ein paar Minuten zurück. Tschüüß.«

Ich brauchte noch mehr Anläufe als sonst, den Hörer paßgenau auf die nicht mehr vorhandene Gabel unseres blöden supermodernen Telefons zu pfeffern. Währenddessen wartete mein Fleurop-Brite wie ein Wachsoldat der königlichen Garde. Gutgebaute Einsneunzig, stramm ausgerichtet, trotzdem irgendwie lässig. Und dann die Schuhe! Machten einen richtig fertig mit ihrem Glanz.

»Wir Briten sind überpünktlich, excuse me«, konnte ich den warmen Bariton hinter den Rosen vernehmen. Der wunderbare Akzent ließ mich weich werden wie ein Stück Cheddar. Dazu dieser Gentlemen-Duft, gegen den die Rosen geradezu muffelten. Und dann die munteren braunen Augen, die mich spiegelten, als wäre ich Cindy Crawford im Laufstegoutfit. Unfaßbar! Mir kamen auf einmal massive Zweifel, ob dieser freundliche Herr wirklich von Fleurop war. Vielleicht war alles nur ein Trick und er in Wirklichkeit der Rosen-Mörder, der gerade sein erstes Opfer reingelegt hatte. Ich beschloß also, vorsichtig zu sein.

»Wir haben noch eine Stunde, nicht wahr?« begann mein Mörder.

»Eine Stunde?«

»Ja, wirklich«, sagte mein Mörder höflich und lächelte so unschuldig wie ein Sonnenaufgang mit lila Schokolade. »Aber bitte, verzeihen Sie die Frage: Wollen Sie so gehen? So komisch angezogen?«

Gehen hieß es bei ihm also schlicht. Gehen. Einfach nur gehen. Gehend aus dem Leben scheiden. Mir brach der Schweiß aus. Warum brüllte ich nicht einfach aus Leibeskräften los? Ich mußte verrückt sein. Da stand ein wildfremder Brite in meinem Wohnzimmer, tarnte sich hinter zweihundertfünfzig Rosen und kündigte an, ich solle gefälligst Reizwäsche anlegen, bevor er gedachte, Hackfleisch aus mir zu machen. Aber ich war gelähmt und fasziniert zugleich. Das klassische Opfer. Also selbst schuld.

»Doch bitte, Charlotte, erlösen Sie mich. Quälen Sie mich nicht. Schließlich ‒ Madame haben erzählt, daß Sie lieben rote Rosen und Mozart, nicht wahr?«

»Absolutely right«, stammelte ich und nahm die mir dargebotenen Rosen, die so schwer waren, daß ich in die Knie sackte. Mein Mörder kannte natürlich meinen Namen ‒ aber, verdammt, er sah absolut nicht wie ein Mörder aus. Viel eher wie die gut gereifte und genetisch unverkorkste Ausgabe von Mr. Bean in glänzend guter Garderobe. Und, Teufel noch mal, so irre gut duftend, daß meine Nase vor Begeisterung zu vibrieren begann.

»Madame?« fragte ich schwach und schöpfte gewaltig Hoffnung, daß dieser Brite doch kein zweiter Jack the Ripper war.

»Wer sonst?« sagte Gentleman Bean so freundlich, daß ich ein für allemal entschied: kein Mörder.

»Madame weiß ja nicht nur, was ich liebe ‒ und, lassen Sie sich gefallen das Kompliment, so süß wie Sie hat mich noch niemand empfangen. Wirklich wonderful. I like this shocking. Madame weiß auch, was die Damen ihres Teams bevorzugen, Sie verstehen?«

»Yes, surely, Mister…«, log ich und lächelte mit märchenhafter Unschuld.

»Sagen Sie einfach Tom. Please.«

»Ja, Tom, aber ich glaube …«

Das Telefonklingeln verhinderte, daß ich Gentleman Bean aufklärte. Denn ich begriff, daß dieses Duftgedicht von Mann sich schlicht in der Adresse geirrt haben mußte. Seine Madame unterhielt ganz offensichtlich eine Art Begleitservice für den feinen Herrn. Anders konnte ich mir sein Verhalten nicht erklären. Madame! Das erinnerte mich faustdick an die Erinnerungen der legendären Madame Elle, einst Europas feinste Geheimadresse in puncto Dienstleistung für den wohlsituierten Herrn. So fein, daß die Herren zahlten, auch wenn die Damen nicht mit ihnen ins Bett stiegen. Gentleman Bean also gleich einfühlsam aufzuklären ‒ es würde Fingerspitzengefühl erfordern.

Rüdimaus tat nicht unbedingt zerknirscht am Telefon. Und natürlich hatte er die Sache mit den Rosen längst vergessen. Im Ton abgeklärten Bedauerns teilte er mir mit, daß er leider leider gezwungen sei, unsere abendlichen Geburtstagsunternehmungen zu verschieben.

»Stimmt doch gar nicht«, prustete ich los. »Willst mich nur wieder hochnehmen, du Schuft.«

Rüdi lachte höflich mit, wiederholte sich dann aber. Und legte nach: Das wichtige Geschäftsessen mit dem noch wichtigeren Kunden sei nun mal… Ich hörte nicht mehr hin. Fauchte nur mit tränenerstickter Stimme: »Dann eben nicht!« und schmiß Rüdimaus aus der Leitung.

»Ärger, Charlotte?« duftete die tiefe Stimme anteilnehmend zu mir herüber.

»So ähnlich«, preßte ich heraus und hob meine verschleierten Augen wie die leidende Madonna selbst zu diesem eigentlich ja gar nicht diskreten Gentleman empor. Mit verheerender Wirkung. Denn die Blicke dieses guten Mannes verwandelten sich in mitfühlende Streicheleinheiten, die meiner Seele so sehr schmeichelten, daß ich etwas tat, das mir vor zwei Minuten noch absolut undenkbar erschienen wäre. Ich fragte:

»Eine Stunde noch?«

»Fortyfive minutes, Charlotte.«

»Und ‒ «, zögerte ich, »Tom, es macht Ihnen nichts aus, mich wieder hier abzusetzen?«

»Oh Charlotte! Sie müssen sich wirklich geärgert haben, daß Sie so etwas fragen, nicht wahr? Im Moment bin ich für Sie da ‒ nicht umgekehrt.«

»Fortyfive minutes?« fragte ich.

»Fortyfour.«

»Please, do sit down, Tom.«

Ich ging erst langsam, dann rannte ich. Los! Unter die Dusche, du Schnapsglas, feuerte ich mich an und rubbelte mir die Wut von der Haut. Nee, Rüdi, nicht mit mir. Jetzt ist Schluß. Heute abend hau’ ich ab. Und zwar mit deinem Occhi-Verdi-Body, Rüdi. Ob dir’s gefällt oder nicht, du Schuft. Zum Glück hatte ich noch einen Rest Chanel No 5. Doch es war so wenig, daß ich mit dem Flakon auf meine Haut einhämmern mußte und bald so aussah, als hätte ich Windpocken. In meiner Wut versteifte ich mich darauf, mir noch die Oberschenkel zu beduften, knallte also mit masochistischer Lust den dämlichen Flakon darauf, als gelte es, Fliegen in ihn reinzustopfen. Das Resultat waren blaue Flecke, der Flakon zerknallte am Boden.

Was anziehen? Wie eine Rasende riß ich meine Klamotten aus dem Schrank und fand natürlich mal wieder nichts. Nach zwei Minuten herrschte mittleres Chaos auf dem Bett, nach drei Minuten volles Chaos auf dem Boden. Ich hätte am liebsten laut aufgeheult und mit Schimpfworten um mich geschmissen. Was anziehen, zum Teufel? Den beigen Stretchmini mit der dunkelblauen Joop!-Bluse? Zu sexy! Das rote Kostüm? Nee, hätte damit ausgesehn wie ’ne Stewardeß mit Sonnenbrand. Designer-Jeans mit Pulli? Blöd, Tom war Brite. Also das halblange, rostbraune Wollkleid mit türkiser Seidenschärpe? Fasching war vorbei. Mir blieb mal wieder nur das seidengefütterte Barbara-Bernstorf-Kleid mit dem Volant. Gerade noch kniefrei, schwere, nachtschwarzer Samtripp mit goldenen Sternen. Mein eigentlich bestes Stück. Noch siebenunddreißig Minuten. Aber erst Fönen und Anmalen.

Ich schaffte es in der Rekordzeit von sechs Minuten, mich in eine passabel aussehende Walkerin zu verwandeln. Griff in den Schminkkasten wie die Babies in Matsche und schwor, den Douglas-Schnepfen höhnisch den Vogel zu zeigen, wenn die mir mal wieder weismachen wollten, daß ladylikes Schminken eine Wissenschaft sei und mindestens soviel Zeit erfordere wie die Kreation eines Sonntagsmenüs. Nach zwei Minuten sah ich aus wie ein Kleinkind, das mit Fingerfarben experimentierte, nach vier Minuten wie Draculas Domina, nach fünf nur noch etwas schrill, aber auch wieder irgendwie hübsch ‒ very British eben. Jetzt noch das Gefecht mit der Fönbürste. Mit schmerzverzerrtem Gesicht vergewaltigte ich die Strähnen gleich büschelweise. Verlor Haare wie die Fighterinnen beim Frauen-Catchen. Dann gönnte ich mir eine Minute Pause, zerfetzte anschließend die Cerruti-Strumpfhosenpackung, die ich für besondere Anlässe gehortet hatte, und fummelte mich durch mein Kleid. Phantastisch! Eros pur. Mit Pumps sah ich aus wie Greta Garbo im Outfit der Baccardi-Werbung.

»Twentynine minutes, Tom!« begrüßte ich meinen wartenden Kunden und drehte eine Pirouette. Tom, der in den zehn Pfund Frauenzeitschriften blätterte, die Rüdi mir zu meinem Festtag neben einem Parker-Edelkuli geschenkt hatte ‒ die Hauptgabe war ein Laptop ‒, riß den Mund auf, als hätte ich ihn gewürgt.

»Not correct?« fragte ich zuckersüß, aber gleichzeitig schoß mir das Blut ins Gesicht, daß ich fürchtete, mein Make-up würde gleich anfangen zu bröseln.

»Ab… ‒ absolutely marvellous!«

Wie süß! Tom war verlegen. Und er schaute mich dabei so bewundernd an, wie es Rüdi noch nie getan hatte.

»Twentyeight minutes, Tom«, sagte ich huldvoll und freute mich im Stillen wie ein Schweinchen in der Suhle.

»Yes, Charlotte! Sie sind sehr schön! Let’s go then!«

Tom half mir so geschickt in den Mantel wie ein Konfirmand. Die Beifahrertür des geliehenen Nobel-BMWs hingegen riß er so gekonnt auf wie der Butler der Queen. Ein BMW mit allen Schikanen. Als wir losfuhren, schloß ich für einen Moment die Augen und genoß die wohlige Wärme der Sitzheizung. Noch 26 Minuten bis zur Oper. Es sollte Webers Freischütz gegeben werden. Aber das war mir eigentlich völlig egal. Ich hätte mich auch gefreut, wenn eine zwölftönige Oper mit atonalen Rezitativen über die Bühne gegangen wäre. Jetzt hieß es: Erst mal die Fahrt genießen! Ich genoß sie mehr als Samiel das höllische Kugelschießen in der mitternächtlichen Wolfsschlucht ‒ wobei ich Tom anlinste wie ein braves Hündchen seinen Herren.

So also sah einer aus, der britischen Edelzwirn trug: gepflegter als Rüdimaus nach drei Stunden Badezimmergewusel, zeitlos gealtert und damit jung, geradezu sexy. Tom strahlte eine unglaublich entspannte Selbstsicherheit aus, wie der Typ Mann, der, noch während er sich sein Ziel überlegt, es auch schon erreicht hat. Für mich, den kleinen Büropiper mit Bett im Reihenhaus, war es so, als wäre ich in eins der Yellow-Press-Blätter gebeamt worden. Alles völlig phantastisch und außergewöhnlich. Ich fragte mich, womit mein Gentleman seine Anzüge verdiente und hoffte im Lauf des Abends auf ein paar Stichworte: Doch dabei schoß mir siedendheiß das Wort Diskretion in den Kopf, somit würde meine Neugier wohl unbefriedigt bleiben müssen. Einmal ertappte ich Tom, wie er mir aufs Knie schaute, aber er war absolut nicht der Typ für ein Abenteuer ‒ das strahlte er nicht nur hundertprozentig aus, sondern ich spürte es geradezu körperlich. Möglicherweise war er schwul, jedenfalls alles andere als ein Spießer oder Aufschneider.

Als wir die Stufen zum Opernhaus hinaufstiegen, wurde mir immer klarer: Tom duftete nach ‒ Macht.

Kapitel 2

»Hallihallo!« Es war Montag, und ich kam ausnahmsweise mal topgelaunt ins Büro.

Wir winden dir den Jungfernkranz tönte mir der Gesang der Brautjungfern noch im Ohr, und meine Nase schwelgte in der Erinnerung an den Duft der Düfte: Toms Parfüm. Um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen: Tom und ich verbrachten den Abend rein platonisch. Und deswegen hätte ich mit ihm jede noch so düstere Schlucht durchwandert und die einsamsten Gipfel gestürmt. Denn Tom war ein Gentleman wirklich allererster Klasse, der mich nicht nur mit Anekdoten aus der Welt von Oper und Musical unterhielt, sondern auch mit Herz und Verstand von seiner Liebhaberei zum Bergwandern und Naturgenießen plaudern konnte. Begeistert hatte er von der Einsamkeit seiner Gratwanderungen erzählt, der seelenerfrischenden Entspannung nach der Anstrengung, wenn das Ziel, der Gipfel, endlich erreicht war. Dazu seine Schilderungen der pfeifenden, männchenmachenden Murmeltiere, der auf einem Schneefeld tanzenden Gemsen, sein Blick für Berganemonen und Enziane oder das Ausmalen des Kuhglockenkonzerts am Rande der Baumgrenze.

Aber Tom war Mann genug, um mich hin und wieder belustigt zu mustern. Bestimmt, weil er unbegründeten Hoffnungen meinerseits Vorbeugen wollte. Denn schließlich: Wer war ich denn? Kaum mehr als eine Stadt- und Büropflanze mit naiven Blüten, ungeachtet meines schöngeistigen Hangs zu klassischer Musik, guten Büchern, Kunstausstellungen und einem vielleicht nicht ganz durchschnittlichen Faible für Wein und Tafelgenüsse. Oder steckte doch mehr in mir? Vielleicht ‒ Tom jedenfalls blieb den ganzen Abend aufmerksam und verabschiedete sich mit dem festen Versprechen, daß wir uns bald Wiedersehen würden. Trotzdem, es war schon ein kleines Wunder: Die kleine Charlo von nebenan saß diesem gutaussehenden Kosmopoliten gegenüber, dem im Lauf des Abends allein das Rouge des Dreihundertmark-Burgunders den Hauch eines Lebemanns verlieh. Tom war bislang der erste Mann, der einen ganzen Abend ohne sumpfige Anzüglichkeiten auskam, obwohl er freizügig über die Sex-Moral britischer Klatsch-Postillen sprach.

Lange Rede kurzer Sinn, ich spürte eins genau: Sollte ich wirklich ein zweites Mal einen Abend mit ihm verbringen ‒ ich würde mich glatt in ihn verlieben. Noch war ich nur fasziniert: von seiner natürlichen Autorität, seinem charismatischen In-sich-Ruhen und seinem ‒ ich will mir da gar nichts vormachen ‒ großzügigen Way of life. Zumindest eins aber war Tom voll gelungen: Er hatte die Verkrustungen meines Sekretärinnen-Selbstgefühls aufgesprengt und mich auf bisher unbekannte Farben gestoßen. Auf einmal sah ich, daß Styling und Blumen meiner Bürowelt trotz allen Wechsels immer nur aus gezüchteten Kulturen stammten. Es wurde Zeit, daß auch einmal ein paar Pflanzen aus der Wildnis der Berge dazukamen.

Aber allzu schnell würde das nicht zu machen sein. Ein Büro ist ein Büro, ist Wildnis allein aufgrund wild beschriebenen, gefalteten, verlegten Papiers, wild klingelnder Telefone und wild geschlagener Tütenmilch für Cappuccino-Häubchen.

»Ja, hallihallo, unser Vogeli«, sagte Bert, der Berner, Schweizer aus Leidenschaft. Unser allseits geliebt-gehaßter Assistent des Seniorchefs. »Du siehst so strahlend aus, daß jeder erraten kann, warum.«

»So?« fragte ich breit und warf meinen Mantel auf den Hocker vorm WC. »Dann bitte verrat’s mir, du Gipfelstürmer.«

»Vogeli, wir Schweizer sind diskret«, frotzelte Bert und schaute mir tief in die Augen.

»Nee, ihr seid Geldwäscher mit schmutzigen Phantasien«, gab ich zurück.

»Die sind Schweizer gar nicht fähig zu haben«, mischte sich Maria ein, die Sekretärin unseres Junior-Chefs ‒ meine Untergebene, weil nun mal ich die Sekretärin des Senior-Chefs war. »Bert hat mit seinem sechsten Sinn für Geld deine kommende Gehaltserhöhung gewittert. Oder glaubst du etwa, ein Schweizer nimmt das Wort Diskretion in den Mund, wenn’s um Sex geht? Das tun die nur, wenn’s ums liebe Geld geht. Basta.«

Gegen Männer hielten wir zusammen, da gab’s nichts. Ansonsten führten wir die üblichen Sekretärinnenkämpfe, wobei ich das Pech hatte, Maria oft an Schlagfertigkeit unterlegen zu sein. Heimzahlen tat ich’s ihr dann, indem ich wartete, bis sie mal wieder mit einem Art-director plauschte. Fast immer naschte sie dabei nämlich irgendwelche Kekse. Und da Maria der Inbegriff des ansetzenden und darunter leidenden Dickerchens war, genügte ein kurzes: »36. Größe 36. Denk dran, Pasta-Maria.«

»Danke, Frau Zeisig«, giftete sie dann zurück, zuweilen mit vollem Mund, was natürlich verheerend war, und des öfteren Verlegenheit aber auch Lachkrämpfe beim Kunden auslöste.

Seit vier Jahren war ich jetzt dabei. Die Zeisig von Friend and Friend, einer angesehenen Adresse der Werbe- und Foodphotographie. Nach Bert und den beiden Chefs diejenige, die es bis jetzt am längsten in diesem Laden ausgehalten hatte ‒ und das trotz meines Unglücksnamens. »Zeisig, Sie haben ’ne Meise«, war der Lieblingsspruch meines Chefs, mit »Zeisig, Sie zwitschern wieder« baute einen der Juniorchef auf. Oie, sein Assi, ein glatzköpfiger Schwabe, rief mich nur »Piepmatz«, der Rest begnügte sich mit »Vogeli«. Stammkunden sagten schon mal: »Hallo, Frau Zeisig, tschilpen Sie doch mal einen von ihren Meistern heran.« Es gab Abende, da ging ich mit Kopfschmerzen nach Hause, weil es tatsächlich in meinem Hirn zilp-zalpte.

»Gehaltserhöhung? Könnte ich brauchen, Bert. Gib einen aus, wenn was dran ist.«

»Piepmätzle, du sollsch nachher zum Gucki«, rief Oie aus der Dunkelkammer. »Hat’s dir der Bert noch nicht g’sagt?«

»Noi, Schätzle«, versuchte ich zurückzuschwäbeln, was natürlich nicht gelang. Es gelang niemand. Denn nur Schwaben selbst können wirklich schwäbeln. Dieser Dialekt war sowenig imitierbar wie ein Daimler Benz oder ’n Nonna-fürzle, jene von Oie über alles geliebten, in viel Fett ausgebackenen duftigen Hefebällchen.

Gucki war der Senior. Unsre Abkürzung für Gundolf Kiken. Wenn er einen rufen ließ, bedeutete dies zu neunzig Prozent eine väterliche Ermahnung wegen völlig mistiger Lappalien. Äußerlich war er die knuddelige Version von Curt Jürgens, mit einem bugförmigen Bauch, den seine edelbehosten Beine wie einen Wellenbrecher durch die Welt schleusten. Zwanghaft assoziierte ich ihn mit Vielweiberei und millionenfach aufstiebenden Pusteblumen-Schirmchen, die vermehrungssüchtig auf feuchte Erde niederregneten. Doch weit gefehlt! Gucki lebte ganz bürgerlich mit Freundin und geschiedener Ehefrau in wechselhaft temperierten Stimmungen zusammen. Er verzehrte sich nicht etwa in Potenz- und Geldbeutelruinierenden Amouren, sondern alleine durch a) eine Ordungsneurose und b) einen designstilistischen Perfektionswahn in puncto Alltagsarrangement. Wehe, wir Weiber erdreisteten uns, in der Toilette ein Eau de Cologne stehen zu lassen, oder irgend jemand verrückte die chromblitzende Klobürste von ihrem genau ausgewinkelten Platz. Gucki baute sich dann vor dem nächstbesten von uns auf, wobei er sein Opfer genauso freundlich ansprach wie‚ Ulrich Wickert die Zuschauer der Tagesthemen.

»Kommen Sie doch mal bitte mit«, hatte es eines Tages auch mal mich erwischt. »Frau Zeisig, was, bitte, sehen Sie da auf meinem Schreibtisch?«

»Eine Vase plus Blumen drin«, sagte ich, womit ich glücklicherweise auf Anhieb Guckis Objekt des Mißfallens geoutet hatte. Ich hätte zwar auch sagen können: »Ihren PC, Herr Kiken«, oder »den Playboy«, aber da beides mit seinem Job zu tun hatte, konnten es diese Objekte nicht sein. Den aufgeschlagenen Robert-Mapplethorp-Fotoband mit seinen großkalibrigen Schwulenakten wagte ich natürlich erst recht nicht zu indizieren, also blieb neben Gundolf Kikens penibel ausgerichtetem Füller, dem Metall-Lineal, Notizzettelpack und Handy nur die Vase.

»Gut, Frau Zeisig.« Guckis Augen blitzten. »Und in der Vase sind was? Was sehen Sie?«

»Eine rote Rose, eine gelbe, zwei blaue Lilien und bunte Orchideen.«

»Bingo, Frau Zeisig«, gluckste Gucki. »Und? Und nu?«

»Bitte Entschuldigung. Was denn: und nu? Meinen Sie, die Rosen sind zu abgeblüht?« Ich zählte schon mal die Sekunden. Denn gleich mußte es kommen: »Zeisig, Sie haben …«

»Heiß. Ganz heiß, Frau Zeisig. Es glüht schon!«

»Ach so. Weil die Rosen abgeblüht sind im Verhältnis zu den Lilien und Orchideen, stört Sie das, ähem, das Ensemble an sich. Okay. Ich hol’ gleich neue.«

»Kalt!« heulte Gucki auf. »Kalt!«

»Nein, die Lilien stören!« rief ich und sah Gucki mit leuchtenden Kinderaugen an.

»Zeisig, Sie haben ’ne Meise!« erwischte es mich eiskalt. »Zeisig, merken Sie denn nicht, daß Rosen absolut überhaupt gar nicht mit Lilien und Orchideen harmonieren? Frau Zeisig! Sehen Sie nicht, daß das aussieht wie Möwen im Schwarzwald? Wenn mich z. B. der Lackmeier von Globus mit diesem Arrangement sehen würde, ich wär’ erledigt! Der piept falsch, würde dieser Geier verbreiten. Dann wär’s schneller aus hier, als uns lieb ist, und wir träfen uns alle bald beim Ostereiermalen.«

So war Gucki. Immer in Angst, er könnte Konkurs gehen, weil ein Kunde das Styling von Friend and Friend albern finden würde. Daß ‒ auch wenn es wahr wäre ‒ dies natürlich noch lange keine Rückschlüsse auf die Qualität der Werbefotos erlaubte, versuchte ihm Horst, unser Junior, mindestens einmal die Woche in seinen Grand-Seigneur-Schädel einzuhämmern. Vergeblich. Aber Guckis Neurosen waren eigentlich harmlos im Vergleich zu denen von Horst.

Horst war für die digitale Bildnachbereitung verantwortlich. Immer öfter kam es vor, daß die von Gucki nach guter, alter Handwerksart mit der Großbildkamera gemachten Fotos am PC nachbereitet wurden. Sie wurden schlicht eingescannt, dann konnte man beliebig Text und anderen graphischen Schnickschnack hineinmontieren und so lange herumtüfteln, bis es dem Kunden gefiel. Gab’s dann ein O.k., wurde alles auf Diskette abgespeichert. Der Kunde gab das digitale Gut dann einfach in eine Setzerei, und fertig waren zum Beispiel ganze Illustriertenseiten von Katzenstreu- bis zur Kondomwerbung.

Horst hatte nun riesige Datenbänke angelegt, die sein absoluter Schatz waren. Sein Verhältnis zu seinen Bildchen war erotisch geprägt, und wenn er sie, perfekt eingeschweißt, in den wuchtigen Leitzordnern betrachtete, dann glänzten seine Augen wie die eines Fernfahrers, der Pornos anguckt. Er hatte sich ein silbernes Staubwedelchen anfertigen lassen, mit dem er täglich liebevoll seine Bildchen von nicht vorhandenen Fusseln befreite. Und Fluch über uns Frauen oder Assistenten, wenn wir es wagten, ihm den Cappuccino auf den Tisch zu stellen, wenn auf ihm gleichzeitig eins von seinen Bildchen lag. Horst wurde dann äußerst erfinderisch in der Kreation von Schimpfworten, die hundertprozentig in keinem Lexikon der Welt zu finden wären.

Also denn: Gucki wollte mich sprechen. Vielleicht ging’s ja wirklich mal um ’ne Gehaltserhöhung. Nach zweieinhalb Jahren, warum nicht? Könnte dann endlich mal dran gehen, die Uralt-Klamotten zu entsorgen, die ich aus Angst im Schrank hortete, weil es ja mal sein könnte, daß ich das eine oder andere zum Kombinieren brauchte. Oder eine Woche Wellness im Luxushotel ‒ ohne Rüdi, ohne Sex und ohne zu kochen und einzukaufen. Wär das schön!

»Hat er denn Zeit?« fragte ich Bert, der gerade über einen Leuchttisch gebeugt war, und mit der Lupe Dias studierte. Dias mit nichts drauf außer kunstvoll verstreuten Kaffeebohnen, die an den Rand einer Gedeckuntertasse aus den Fünfziger Jahren fluteten. Bert machte bei einigen Kreuzchen, andere wanderten nach längerer Prüfung in den Papierkorb.

»Vogeli, was fragst du mich. Flieg doch rüber und tschilp ihn an.«

Bert schien auf einmal ganz offensichtlich seine gute Laune verloren zu haben. Das erkannte ich immer daran, daß er mir ein Vokabular entgegenbrachte, als referierte er vor einem Ornithologen-Kongreß.

»Was ist denn los?« fragte ich. »Sollst du Kaffeebohnen zählen, oder hast du eine vergessen abzulichten, hm?«

»Schreib du lieber deine Rechnungen und flieg sie aus, Vogeli, gell? Wie soll ich frohlocken, wenn mich wackren Gesell der Globus-Lackmeier anruft, damit ich ’m Gucki ausricht’, die Story über Rohmilchkäse fällt in ’n Bottich? Dieser Schisser.«

»Aha«, sagte ich gedehnt und kombinierte blitzschnell. Ich mußte zu Gucki, bevor Bert ihm die Hiobsbotschaft ausrichtete. Unser Kühlschrank war vollgestopft mit Käse im Wert von schlappen tausend Mark. Bereits jetzt roch das Studio leicht nach Molkerei. Heute nachmittag sollte es losgehen. Gucki hatte sich wirklich seit langem mal wieder über einen Job gefreut, es würde ihn hart treffen. Also bloß hin. Das Eisen schmieden, solang es heiß ist.

»Sie wollten mich sprechen?« Ich brachte gleich zwei Briefe mit, die unterschrieben werden mußten, und hielt sie Gucki vor die Nase. Er liebte solche jugendfrischen Auftritte.

»So könnte man es nennen«, sagte Gucki gönnerhaft und legte die Briefe zur Seite.

»Mögen Sie Rohmilchkäse auch so gern wie ich?«

Ich war auf alles gefaßt gewesen, aber diese delikate Frage brachte mich ins Schlingern. Es war unwahrscheinlich, daß Gucki mit seiner Frage eine Anmache verband, obwohl seine Blicke heute länger als gewöhnlich auf meinen beigen Stretchmini samt Zubehör gerichtet waren.

»Schafskäse ist auch was Feines«, sagte ich ins Blaue und setzte mich auf den mir angebotenen Stuhl.

»Und wie, Frau Zeisig.« Gucki rieb sich die Hände. »Uralter Ziegenkäse dagegen, wissen Sie, der im Schaufenster so aussieht, als wär’ er schon zweimal verdaut worden, ist mir zu scharf und eigentlich auch viel zu teuer.«

»Oh ja«, antwortete ich und musterte Gucki verstohlen aber neugierig. Irgendwo, zum Teufel, mußte der plötzliche Irrsinn meines Chefs doch seine Spuren hinterlassen haben.

»Jeder darf mal naschen«, sagte Gucki bestimmt. »Soviel werden wir für den Job nämlich nicht brauchen, wie im Kühlschrank liegt. Ich schlage vor, Sie besorgen dann noch ein paar gute Rote, o.k.?«

»Gern«, sagte ich schwach und schaute Gucki unglücklich an. Diese debile Liebeserklärung eines Fünfzigjährigen an Rohmilch- und Schafskäse sollte alles gewesen sein? War’s nicht. Denn Gucki kam mit einem langen Sooo zur eigentlichen Angelegenheit ‒ mit den klassischen Floskeln, daß ich ja jetzt schon knapp vier Jahre dabei wäre, meine Sache bisher sehr gut gemacht hätte usw.

»Ich denke also, Frau Zeisig, Ihnen würde eine kleine Gratifikation nicht schaden, wie?«

»Nicht schaden? Nein!« rief ich erwartungsvoll, und der Schweiß brach mir aus. »Tschuldigung: Bestimmt nicht, Herr Kiken«, setzte ich treudoof voller Hoffnung nach. »Und auch mir…« Wie in einer Soap opera dudelte das Telefon, forderte dumm und aggressiv den Zweikampf.

»Ja, Bert. Was gibt’s?« Mit derselben Geschwindigkeit, mit der sich Guckis Gesicht versteinerte, glaubte ich, den Verwandlungsprozeß von einer kleinen Gratifikation zur Mikrogratifikation live mitzuerleben. Jedenfalls sah Gucki nach einer halben Minute derart angeschlagen aus, daß ich damit rechnete, selbst eine Mikrogratifikation für maximal unmöglich zu halten. Ich würde Bert mit Bestimmtheit in den Hintern treten! Nein, besser: Ich würde ihn erst eine perfide Schweizer Bergsau titulieren, dann Anlauf nehmen und ihn mit voller Wucht…

»Na also«, unterbrach Gucki meine Gewaltphantasien. »Freuen Sie sich also, Frau Zeisig. Es gibt Käse satt. Faxen Sie die zwanzig wichtigsten Leute an, und laden Sie alle übermorgen abend ab 19 Uhr ein.«

»Tut mir leid«, murmelte ich.

»Mir nicht!« sagte Gucki mit Nachdruck.

»Ja«, fragte ich gedehnt. »Nur, den Lackmeier dann wohl nicht, oder?«

»Zeisig, Sie haben ’ne Meise. Den natürlich erst recht! Auch wenn ihm der härteste Ziegenkäse in den Hintern geschoben gehört.«

Ich hatte mich erhoben und war schon an der Tür. Mit einem dicken Klos im Hals.

»Und Zeisig, verpiepen Sie’s niemand, daß Sie die drei Mille von mir gekriegt haben, klar? Aufgerundet wird aber erst übernächsten Monat.«

Mir kullerten die Tränen. Nur mühsam preßte ich ein »Danke« hervor. Aufgerundet, das hieß vierhundertfünfzig Piepen mehr. Jetzt verdiente ich bald soviel wie Rüdi. Double income no kids. Rüdi würde bestimmt sauer sein. Warum? Ganz einfach, weil sein Vorsprung als Ernährer, der das bessere Geld verdiente, geschrumpft war.

In letzter Zeit hatte er verstärkt berufliche Ambitionen entwickelt: zum Beispiel Wochenendseminare besucht und feierabendliche Fortbildungskurse in Angriff genommen, um sich daraufhin, was er früher nie getan hatte, mit aller Kraft als kreativ reflektierender Hauspatriarch zu gebärden. Rüdi, der Rüde, verfügte hinfort, daß die Butter nie mehr unter zwei siebzig das Viertelpfund kosten dürfe ‒ besserer Streichfaktor, betacarotinfreiere Buttrigkeit ‒ und Fleisch grundsätzlich nur noch vom Ökobauern zu kaufen sei. Hatten wir früher Gardinenwaschen, Kloputzen, Bettenbeziehen und dergleichen Annehmlichkeiten gemeinsam hinter uns gebracht, meinte er jetzt, als Führungspersönlichkeit andere Pfade einschlagen zu können. Dies drückte sich in einem neuen Wir-müssen-uns-mal-was-gönnen-Bewußtsein aus und wurde Gestalt durch Wohnaccessoires. Zur Anregung schleppte er ein paar Zeitschriften an und entschied sich dann zum Beispiel für eine Versace-Housse, um den Rattanstuhl zu verschönern, eine Zitronenpresse ä la Colani oder einen Badezimmerteppich von Ralph Lauren. Im übrigen hatte er immer Geld übrig, wenn er mich damit in Verlegenheit bringen konnte. So bewies er mir seine Liebe, indem er mir einen Spezial-Body schmackhaft machte ‒ einen von der Sorte, die frau dabei wirklich zur Gänze anbehalten konnte oder ein Kostüm, bei dem der Rock eigentlich nur noch ein Gürtel war. Stand mir beides prima ‒ aber ich war nun mal ich und nicht die, die Rüdi auch gern noch dazugehabt hätte.

Also eine Gehaltserhöhung. Charlo Zeisig war im Aufwind. Da konnte Rüdi machen, was er wollte.

»Na?« nuschelte Pasta-Maria mit keksvollem Mund. »Gibst du nun einen aus?«

»Schafskäse, weißt du, den mag ich ganz gerne«, sagte ich in gespieltem Wahn, kopfschüttelnd und mit weit aufgerissenen Augen. Schauspielerei lag mir. Immerhin hatte ich in der Schule mal die Donna Elvira in Molieres Don Juan gespielt. »Und ein leichter Roter paßt bestimmt besser zum Rohmilch als ein Bordeaux oder ein Burgunder.«

»Kindchen, nimm’s doch nicht so ernst!« Pasta-Maria tat mir den Gefallen, das Spiel mitzumachen, nahm meinen Kopf zwischen beide Hände und betrachtete mich besorgt. Ich pustete sie an und drehte mich dann langsam zu Bert.

»Bert, und du, weißt du« ‒ flüsterte ich diesem so kollegialen Mitmenschen zu, der an meiner Schreibmaschine gerade ein Fax tippte ‒ »du bist eine perfide Schweizer Bergsau. Du gehörst mit Stilettos in deinen Hintern getreten. Tu comprends?

Kapitel 3

Ich wartete vor Max’ Bistro, einem auf edel gestylten kleinen Restaurant ‒ vor Jahren das Schicki-Micki-Herz der Stadt, jetzt ein normales Freßtempelchen mit akzeptablen Preisen. Max’ Bistro war der Mittelpunkt der mittelprächtigen Fußgängerpassage, der lässige König zwischen Shops und Boutiquen, in denen es von Reizwäsche bis PKW-Sport-Schnick-schnack alles gab. Draußen das obligatorische halbe Dutzend hoher Bistro-Tische mit Marmorplatte, Salzstangen und Getränkekarte.

Nach einem anstrengenden Tag im Studio war Stehen am Bistrotisch nicht unbedingt eine Erholung. Aber bei Max lenkte das Publikum um einen herum soweit ab, daß flau halbwegs vergaß, daß sie ihre Füße weiterhin in den ach so schicken Pumps ruinierte. Schuhe von Görtz und du kriegst ’nen Schmörz, dichtete ich immer. Trotzdem kaufte ich seit Jahren bei Schmörz-Görtz; erstens, weil ich in dieser Hinsicht phantasielos war, und zweitens, weil sie von woanders auch nicht länger hielten. Heute fühlte sich mein linker Fuß besonders wohl. Denn mein possierliches Hühnerauge am kleinen Zeh seismographierte ein nahendes Sturmtief. Springerstiefelzeit, Charlotte! Military statt Mini! Ich stampfte auf und stöhnte. Mein dicker Zeh hatte im Nahkampf soeben erfolgreich die feindliche Strumpfhosennaht durchdolcht.

Von allen Kostümchen um mich herum, die mehr oder weniger die täglichen Heldentaten oder Frusterlebnisse eifrig überschnatterten, war ich die einzige, die sich mit einem Bier stärkte. Flüssig Brot, nahrhafter als die ausdruckslosen Soaves, Orvietos, Blanc de Blancs usw., die lauwarm in ihren Stielgläsern vor sich hin schillerten. Kriegt man Läuse von im Bauch, pflegte Pasta-Maria immer zu sagen. Und sie mußte es wissen. Hatte schließlich Großeltern in Chianti.

Ich mußte meinen Tisch mit zwei Trenchcoat-Typen teilen, die sich mit vielen Ohs und Ahs über Kinderspielzeug unterhielten. Amüsant. Plüschtiere und Marken wurden durchgehechelt wie Sekretärinnen, dann wurde über die Spülmittelkonzentration des ewig neu gekauften und schon nach fünf Minuten verschütteten Color-Bubble-Seifenblasen-Pusters gerätselt. Palmolive eigne sich zum Auffüllen besser als Pril, meinte der eine, was der andere ausnahmsweise mit einem Achselzucken kommentierte.

Das Kinn klappte mir herunter, als beide sich seufzend zutranken und dann mit todernster Miene feststellten, daß sie Luvs und Pampers auf jeden Fall für pinkelfester hielten als Aldi-Höschenwindeln. Kein Wunder, daß es irgendwie hinter meiner Stirn zu ziehen begann und ich sekundenweise fürchtete, statt Bier auf einmal Kinderpipi im Glas zu haben. Mein Gott, was war aus dem guten alten deutschen Mann geworden, der sich über Autos, Weiber und Fußball unterhielt und nach Zigaretten, Schweiß und Bier roch. Immerhin, ich erfuhr noch, welche Odyssee man auf sich nahm, um die gute alte Carrera-Rennbahn aufzutreiben. Oder mit welcher Geduld man dem technisch ja so begabten Kleinen auseinandersetzte, daß die sündhaft teuren Rennautos verdammt noch mal mit Strom fuhren und keinen Friktionsmotor hätten, wie der von Opi geschenkte Police-Driver, der mit seinem batteriegespeisten Chip Mutti die Nerven raubte, weil er entweder quäkte: »Alle Autos abbremsen« oder nur »Ioum, ioum, ioum« machte. Köstlich. Diese Kindskopf-Meisterväter schwärmten von den neuen Möglichkeiten des Überholens und Gegenverkehrrennens, das es ‒ tja, der Fortschritt ‒ zu ihrer Zeit noch nicht gegeben hatte. Der eine erzählte, er habe gleich Motodrom-Sprungschanze, zwei Engstellen, Looping und Rundenzähler zum Hockenheim-Set dazugekauft, weil es dann natürlich schon interessanter zum Mitspielen sei. Auf die Bemerkung des Kollegen, daß er da dann aber ganz hübsch was habe springen lassen, wurde gönnerhaft bescheiden abgewunken: Schließlich habe die Mutti ja auch was davon, wenn er ihr den Racker ’ne Stunde länger am Wochenende abnähme. Begeistertes Zustimmen ‒ man war sich so einig.

Wo blieb Rüdi?

Als er endlich um die Ecke bog, glaubte ich, hinter meiner Stirn wölbte sieh Plüschwatte. Meine Füße glühten so vehement, daß ich Rüdi in die Arme sank wie bei einer Ohnmacht.

Klaro, er war nur schnell noch mal beim Frisör gewesen. Schlappe zehn Minuten, bevor wir uns verabredet hatten. Da er nur sieben Minuten warten mußte, Waschen und Schneiden ebenfalls in sensationellen zweiundzwanzig Minuten über die Bühne ging und es vom Frisör bis zu unserem Treffpunkt lediglich dreizehn Minuten waren, erschien er seiner Meinung nach pünktlich. Zumal ich die winzige halbe Stunde ja in unterhaltsamer Gesellschaft verbracht hätte, womit er allerdings ausnahmsweise recht gehabt hatte.

Ewige Dankbarkeit versprach ich ihm im Flüsterton, wenn er mich von diesem infantilen Ort führen würde ‒ zu laut für die Trenchcoats, die mich gleich böse anstarrten.

»Soll sich mal ranhalten, der Gute«, schnappte ich die gehässige Stimme auf, bevor demonstrativ mit den Gläsern angestoßen wurde. »Genau. Schön abrunden«, ergänzte der andere zynisch. Das war dann Gottseidank das letzte, was ich von diesen Spielzeug-Papis hörte.

»Ich lad’ dich trotzdem ein«, seufzte ich, nachdem Rüdi hemmungslos das Teuerste bestellt hatte: Bandnudeln mit Trüffeln, Seewolf in Champagnersauce, Walderdbeeren über Vanilleeis mit einem Schuß hundertjährigen Armagnac. Rüdi hatte mir diesen Italiener als Geheimtip aufgetischt, und ganz klar war er das auch. Dreiviertelleer, bestückt mit überflüssigen mauligen Kellnern und Preisen, die nur mit Kreditkarte aufzubringen waren.

»Küche stimmt aber«, tröstete Rüdi mich. »Und bei deinem Gelddusel. Gönn’s dir, Charlo. Bald bist du alt. Und dann geht die Kohle für die Krankenversicherung drauf.«

»Du kannst mich ja familienversichern«, neckte ich ihn, verzog aber ärgerlich das Gesicht. Mit dieser Antwort hatte ich das heikelste Thema der Welt angeschnitten: Ehe und Kinder. Dabei war alles so einfach: Rüdi wollte unbedingt Kinder; aber keine Ehe, ich auf keinen Fall Kinder, dafür die Ehe. Seit sieben Jahren waren wir zusammen, seit zwei Jahren lebte ich mit ihm in einem frisch gebauten Reihenhaus am Stadtrand. Rüdi war konservativ, ich nicht gerade flippig, beide lästerten wir über die gleichen Dinge. Mehr konnte man nicht verlangen. Topf und Deckel paßten so, daß es zwar ständig pfiff, der Deckel aber nicht runterfiel. So sah’s aus. Das war der Stand der Dinge. Er war nicht mein Traummann, ich nicht seine Traumfrau. Ich war ihm treu, er schnarchte schon mal in anderen Kissen.

»Familie sind mindestens drei«, sagte Rüdi jovial und tätschelte unter dem Tisch mein Knie.

»Eins und eins sind nach Adam Riese zwei«, konterte ich, klemmte aber Rüdis Hand fest. Verdammte Hormone. Praezyklische Lustanwandlung.

»Laß uns speisen«, lenkte Rüdi ein und lächelte so zufrieden, als hätte er seinen Höhepunkt schon gehabt.

Wir speisten. Digestif waren vier Grappa. Rüdi trank drei. Sodbrennen aber bekam ich ‒ von der Rechnung. Die erste Rate von »Guckis kleiner Gratifikation« war verschossen.

»Ach, pfeif drauf«, hakte sich Rüdi bei mir ein und zahlte, großzügig wie er war, das Kino. Dort fummelten wir wie die Teenies, mit dem Unterschied, daß Rüdi zu Hause mal wieder so schnell war; daß mir nur übrig bleib, das hohe Lied der Selbstversorgung anzustimmen. So ’nen Mann wollte ich ernstlich heiraten? Ich, Charlotte Zeisig, die Marvellous Lady, wie Tom zum Abschied gesagt hatte? Auf einmal kamen mir so massive Zweifel, daß ich nicht mehr einschlafen konnte.

Ich ging noch mal ins Wohnzimmer und schnupperte an den Rosen, die ich mit Mühe in unsere fünf Vasen gestopft hatte. Da Rüdi erst am frühen Samstagmorgen nach Hause gekommen war, hielt er sie bis jetzt für einen Geburtstagsgruß meiner Kollegen. Und so sollte es bleiben, entschied ich. Nachdem ich eine Viertelstunde Kung-Fu geglotzt hatte, war ich mir ganz sicher. Mensch, Rüdi!

Gut, mit meinen siebenundzwanzig sah ich aus wie achtundzwanzig. Andere waren zwanzig und sahen aus wie dreißig. Was ja wohl schlimmer war. Aber Rüdi, mein Schnellschießer, war leider der Meinung: »Mußt allmählich mal was tun«! Und warum? Rüdi stand auf Girlies, deswegen. Hin und wieder blätterte er extra in Frauenzeitschriften, um dann tatsächlich mit langem Finger zu verkünden ‒ zwar immer sehr nett gesagt, aber nie nett gemeint:

»So wie die da. So könnste auch mal aussehen. Wozu arbeitest du denn?«

Jedesmal mußte das Vogeli sich dann beherrschen, um nicht in krisenhafter Unartigkeit Rüdi in seine Glockenhalter zu treten.

Dagegen Tom! Den hatte es zu Komplimenten hingerissen, die mir runtergingen wie Öl. Einer, der noch auf Frauen, oder mannsbildig gesprochen, richtige Weiber stand. Solche wie mich! Die langes Haar hatten und keinen Fransenbubi, eben solche wie mich, die Beine hatten und keine Staksen. Nein, ich hatte nichts gegen Girlies. Ich mochte sie nur nicht. Wohl schlicht deshalb, weil mir schon mit zwanzig X-Beine und Muttis eingelaufene Rippenpullis fehlten, und ich schon damals für Push-up-BH nur Verachtung übrig hatte ‒ ganz einfach, weil ich nix zu pushen brauchte.

Ich schmiß die Marie Claire in die Ecke und schmollte. Reinste Girlie-Invasion, diese Ausgabe. Dazu die passenden lasziven Typen á la Calvin Klein oder Dolce & Gabbana, die auf den Fotos so feucht guckten, als wären sie gerade von Schneewittchen geduscht worden. Hübsch für eine Nacht nach einem Vierteljahr Enthaltsamkeit. Doch kopfpotente Männer waren mir lieber als diese Lattentypen mit nix als Testosteron unter der Lederjacke. Nur, wo gab’s die? Wo waren sie, die jüngeren Toms, die auch das bißchen Kleingeld hatten, um einer Lady mehr als den monatlichen Friseurbesuch zu finanzieren?

Kapitel 4

Guckis Käseparty-Einladung waren erstaunlich viele gefolgt: Art-directoren, Verpackungsdesigner, befreundete Fotografen, Werbefuzzis, manche solo, einige mit Anhang, zwei mit Hund. Tatsächlich sogar auch der Lackmeier, der Gucki mit einer Magnum-Flasche Dom Perignon weinerlich um den Hals fiel und so tat, als wäre nicht Gucki, sondern er das Opfer böser Ränke geworden.

»Können Sie sich nicht im entferntesten vorstellen, Frau Zeisig, diese Sachzwänge«, äußerte er mir gegenüber mit sonorer Noblesse.

»Da kann man Chefredakteur sein, aber wenn Verlagsleiter und Verleger sich gegen einen verschwören, dann bleibt selbst so einem Haudegen wie mir nur der geordnete Rückzug.«

»Aber ja«, sagte ich so sanft, wie ich konnte und bekam dafür ein interessantes Schauspiel männlichen Versöhnungsbalzens geboten. Fred Lackmeier, stolzer Glatzenvierziger mit gepflegtem Türkenbart, hatte zu seiner Verstärkung nämlich eine Gucki und mir unbekannte dauerlächelnde Blondine mitgebracht, die die Worte ihres Mediengewaltigen mit bedeutungsvollem Nicken kommentierte.

Eine echte dumme Pute, was Gucki sich gleich versöhnungsgestisch zunutze machte. Mit gespielter Andacht befühlte er ausgiebig das die Putenkeulen tatsächlich verführerisch umhüllende superglänzende Gewebe und signalisierte damit seinem um Bereinigung der Verstimmung bemühten Geschäftspartner: Oh Freund, gepriesen und beneidet sei dein Geschmack und deine Lendenkraft! Lackmeier witterte diese Chance sofort und machte sich also daran, sein Mitbringsel zu seiner Entlastung noch ein klein wenig mehr zu prostituieren. Er faßte ihm unter das knappe Lederkostüm und schob es so weit hoch, daß Gucki zu seiner Gaudi noch etwas nacktes Putenfleisch und den weißen Minitanga bestaunen konnte, der mehr zeigte, als verbarg. Die Botschaft: Wenn du naschen willst, so nasche, mein Freund, das Fleisch reicht für beide. Währenddessen giggelte Lackmeiers Pute zwar ein wenig, hielt sich ansonsten aber ruhig wie beim Frauenarzt. Schließlich wurde ihre Aufmerksamkeit ja auch absorbiert ‒ und zwar von einem Baguettscheibchen mit sahnigem Schafskäse, der ihren schreiend roten Paloma-Picasso-Schnabel mit viel Weiß verschmierte.

Dreißig Leute hatte ich gezählt. Alle hervorragend verdienend und in Sachen Freßgenüssen hinreichend bewandert. Trotzdem vibrierten sie geradezu vor Appetit und machten sich über den Käse her wie ausgehungerte Halbstarke. Ob Rohmilch-Torten, wachspapierverpackte Schafszartheiten oder Ziegenkäsekugeln, von denen einige so hart waren, daß Gucki allen Ernstes zwei kleine Hämmer daneben gelegt hatte. Alle Sorten waren auf den mit viel buntem Laub bestreuten drei Tischen zweireihig angerichtet. Jeder Käse lag auf einem Holzbrett, links davon das Käsemesser und rechts ein Namensschildchen, auf das mit Folie die Flagge der jeweiligen Käsenation geklebt war. In drei massiven, dunkelgebeizten Holzschüsseln türmten sich Baguettebrocken und -scheiben, wer unbedingt Butter wollte, mußte sie sich aus der Küche holen.