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Wenn man den Exmann zum Boss bekommt, ist man ganz schnell den Job los. Das muss Hildegard, Ende 40, am eigenen Leib erfahren. Die Sekretärin zieht kurzentschlossen aus der beschaulichen Eifel nach Köln und macht sich dort als Putzfrau selbständig. Dabei lernt sie nicht nur einige schräge, seltsame und nette Leute kennen, sondern auch Antonia. Die schwerkranke 39-Jährige ist an ihre Wohnung gefesselt, hat aber einen großen Wunsch: Sie will wieder mitten rein ins Leben. Hildegard, schon immer eine leidenschaftliche Köchin, hat eine Idee: Sie und Antonia gründen einen Supperclub – und holen so das Leben in Antonias Esszimmer …
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Das Buch
Was tun, wenn man mit Ende vierzig plötzlich gekündigt wird? Und feststellen muss, dass es in der Eifel nicht besonders viele freie Stellen für Sekretärinnen gibt? Statt zu jammern, orientiert sich Hildegard Bendermacher um – sie zieht nach Köln und arbeitet als Putzfrau, sehr zum Entsetzen ihres erwachsenen Sohnes. Der neue Job ist anstrengender als gedacht, dafür lernt Hildegard eine Menge neuer Leute kennen. Unter anderem durch einen Zufall die einige Jahre jüngere Antonia von Lengsdorf. Diese lebt mit ihrer Haushälterin alleine in einer prunkvollen Villa, seit sie von ihrem Mann verlassen wurde. Die beiden Frauen freunden sich miteinander an, und Hildegard erfährt, warum Antonia nie ausgeht: Sie hat Multiple Sklerose und fühlt sich draußen unsicher auf den Beinen. Aber als Hildegard zum ersten Mal von der begnadeten Köchin Antonia zum Essen eingeladen wird, hat sie eine Idee: Ein Supperclub soll Antonias Einsamkeit beenden und die Villa wieder mit Leben füllen …
Die Autorin
Maria Linke ist das Pseudonym einer erfolgreichen deutschen Übersetzerin und Redakteurin. Sie lebt mit ihrer Familie in der Nähe von Köln.
Maria Linke
Mitten rein ins Leben
Roman
Ullstein
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Originalausgabe im Ullstein Taschenbuch
1. Auflage April 2015
© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2015
Umschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, München
Titelabbildung: © Sylvia Cook Photography/getty images
ISBN 978-3-8437-0635-3
Alle Rechte vorbehalten.
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Prolog
Die Organistin hielt den letzten Ton besonders lange. Nur widerwillig verhallte er, und mir kam es so vor, als wolle sie das Lied nicht loslassen. Das wäre auch mir am liebsten gewesen, denn es ist eines meiner bevorzugten Kirchenlieder. Ich muss gestehen, ich habe mit der Kirche nicht viel am Hut. Kaum religionsmündig, bin ich auch schon ausgetreten. Damals musste man das in unserem Amtsgericht erledigen, und als ich mit einem Freund aus dem alten Gebäude auf den Marktplatz hinaustrat, stolperte er über die letzte Stufe und wäre fast hingefallen. Daraufhin verdrehte er die Augen, blickte zum Himmel und seufzte: »Geht das jetzt schon los?«
Manche Rituale jedoch liebe ich nach wie vor, und dazu gehört auch das Singen, vor allem, wenn die Lieder so gefühlvoll und getragen sind wie »So nimm denn meine Hände«. Ob bei einer Hochzeit oder bei einer Beerdigung, mir treten unweigerlich die Tränen in die Augen, spätestens bei der Zeile »Ich kann allein nicht gehen, nicht einen Schritt«. Möglicherweise könnte ein Psychologe ganze Bücher über diese Vorliebe schreiben, man hat ja als Laie schon eine Ahnung, worauf es hinausläuft, aber das ist mir egal. Es ist einfach ein wunderbares Lied, und ich bin zutiefst dankbar, wenn es gesungen wird, vor allem mit diesem ein wenig schleppenden Chorgesang der Gemeinde. Ich singe dann immer voller Inbrunst mit.
Der heutige Anlass war allerdings kein freudiger. Eine Hochzeit wäre mir entschieden lieber gewesen, aber wir befanden uns auf einer Beerdigung. Die kleine Kapelle des Kölner Südfriedhofs war bis auf den letzten Platz besetzt, und wir brauchten eigentlich keine traurigen Lieder, um Tränen zu vergießen beim Anblick des mit weißen Rosen und tiefblauem Rittersporn geschmückten Sargs und der Fotografie, die auf einer Staffelei davorstand.
Gertrud Schmitz war gut getroffen auf dem Foto. Sie saß am Küchentisch – was man nicht sehen konnte, ich jedoch wusste, weil ich sie dort beim Kartoffelschälen fotografiert hatte – und blickte unternehmungslustig in die Kamera. Erst zwei Tage zuvor war sie beim Friseur gewesen, und ihre weißen Löckchen wippten förmlich. Wenn man sie so sah, hätte man nicht vermutet, dass sie schon weit über neunzig war.
Ich konnte mich noch gut an den Tag erinnern. Schon beim Frühstück war sie ganz aufgeregt gewesen, weil wir so viel vorhatten, wie sie in all den Jahren alleine in ihrer kleinen Wohnung nicht erlebt hatte. Alles war neu und aufregend, jeder fragte sie um Rat, und sie genoss jede einzelne Minute.
Ich blickte die vorderste Reihe der Trauergäste entlang. Links neben mir saß Günther und drückte mir die Hand, als er bemerkte, dass ich schlucken musste und mir die Tränen in die Augen traten. Rechts von mir saß Antonia, zart und aufrecht, die kurzen braunen Haare lagen glänzend wie ein Helm um ihren Kopf. Ihre Hände, in dunklen Handschuhen, ruhten im Schoß. Dass sie ganz leicht zitterten, merkte man nur, wenn man scharf hinsah. Sie wirkte gelassen und entspannt. Als sie meinen Blick bemerkte, lächelte sie unmerklich und nickte mir beruhigend zu. Marianne Schumacher, zurückhaltend wie immer, saß ganz hinten in der Ecke, damit niemand mitbekam, dass sie weinte. Auch Tante Röschen war gekommen. Sie hatte sich in der Zeit in Köln mit Gertrud Schmitz angefreundet, und Doro hatte sie heute zur Beerdigung gefahren. Sie saß in der Reihe hinter mir zwischen Doro und Regina und putzte sich alle zwei Minuten die Nase. Madeleine Lohmann, die ihrem Stiefsohn sozusagen im letzten Moment entkommen war, war blass und schmal. Die Tränen liefen ihr übers Gesicht, und sie tupfte sich ständig mit dem Taschentuch die Augen ab. Wir hatten versucht, ihr die Schuldgefühle wegen Gertrud Schmitz’ Tod auszureden, aber bisher war es uns nicht gelungen. Willibert Poensgen saß ernst im dunklen Anzug in der hintersten Reihe neben ihr. Schützend hatte er ihr den Arm um die Schultern gelegt. Alle, die Oma Schmitz gekannt und in ihren letzten beiden Lebensjahren erlebt hatten, waren gekommen, sogar Antonias Schwester Babette, die neben Antonia saß und ihr hin und wieder einen besorgten Blick zuwarf.
Der Pastor kündigte an, dass wir jetzt alle gemeinsam den Sarg der letzten Ruhestätte übergeben würden. Als ich mich erhob und Antonia den Arm reichte, damit sie sich bei mir einhängen konnte, warf ich noch einen letzten Blick auf das Foto und dachte an den Tag zurück, an dem ich es aufgenommen hatte.
An jenem Tag hatte das erste Abendessen stattgefunden.
1
Für mich wäre ja das Leben in der Stadt überhaupt nichts. Viel zu laut und viel zu hektisch!« Tante Röschen schüttelte energisch den Kopf. »Aber ich habe kürzlich mit der Mutter von Regina geredet, und Regina muss es ja in Köln wirklich gut getroffen haben. Sie hat eine schöne, große Wohnung, und wenn man Frau Steinwachs so hört, verdient sie angeblich ziemlich viel Geld bei ihrer Werbeagentur. Vielleicht solltest du dir auch einmal überlegen, Kind, ob du nicht von hier weggehen willst. In der Stadt hättest du viel mehr Möglichkeiten. Heutzutage ist doch ständig die Rede von Mobilität.« Sie sprach das Wort sehr deutlich aus und betonte die einzelnen Silben. Bei jedem T zischte ihr neues Gebiss ein bisschen.
»Willst du mich loswerden?«, fragte ich entgeistert. »Und wie kommst du jetzt auf Regina? Die ist doch nur deshalb gleich nach der Schule in die Stadt gezogen, weil sie an Weiberfastnacht da diesen Typen kennengelernt hat. Ob sie den heute auch noch hat, weiß ich gar nicht. Aber vielleicht hat er ja Geld.«
»Ja, wirklich, was redest du denn da?« Onkel Alfons ließ irritiert die Zeitung sinken. »Hildegard hat hier ihre Arbeit und ihre Freunde, warum soll sie denn weggehen?« Aber Tante Röschen hatte ihn gar nicht gehört. Sie hatte den Handmixer wieder eingeschaltet und rührte aus Leibeskräften in ihrem Rodonteig.
Freitags backte Tante Röschen Rodon. Jeden Freitag. Sie hatte immer Kuchen im Haus, aber ihren speziellen Rodon, der ganz besonders lecker schmeckte, backte sie nur am Freitag. Und jeden Freitag nach der Arbeit, zwischen drei und vier Uhr nachmittags, besuchte ich sie und Onkel Alfons in ihrem urigen Holzhaus mit der fast schwedisch anmutenden Veranda, das abseits vom Dorf auf einer kleinen Anhöhe direkt am Waldrand lag. Bei gutem Wetter blickte man weit ins Land, und wenn die Sicht besonders klar war, konnte man sogar den Kölner Dom sehen.
In der warmen Jahreszeit saßen wir in der verglasten Veranda am großen Esstisch und genossen die Aussicht auf das Rheintal und das Siebengebirge, dessen Hügel sich am westlichen Horizont erhoben. Der weiße Bau des Hotels Petersberg, in dem sich früher das Gästehaus der Bundesregierung befunden hatte, war in der Ferne deutlich zu erkennen. Wenn ab und zu noch einmal ein Staatsgast dort abstieg, sah man in der Dunkelheit die Helikopter wie riesige Glühwürmchen um das beleuchtete Gebäude auf dem Berg tanzen.
In der Veranda durfte mein Onkel Pfeife rauchen. Ich liebte das umständliche Ritual des Stopfens genauso wie den warmen, würzigen Duft seines Tabaks. Meine Tante schimpfte allerdings immer, obwohl sie es ihm erlaubt hatte, und erklärte, der Geruch würde in allen Speisen hängen, selbst im Kuchen.
Im Winter, so wie jetzt, war es zu kalt in der Veranda, die nur an hohen Festtagen geheizt wurde. Dann saßen wir in der gemütlichen kleinen Küche mit dem altertümlichen Herd, der unermüdlich Holz fraß, wenn Tante Röschen backte oder kochte, und schauten den Vögeln zu. Sie kamen bis auf die Fensterbank geflogen, um sich ihr Futter abzuholen.
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