Monogam - Arnon Grünberg - E-Book

Monogam E-Book

Arnon Grünberg

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Beschreibung

Wer lesen will, dass Sex allein glücklich macht, liegt mit diesem Buch genauso richtig wie die zarten Seelen, die an die große Liebe glauben, sie aber noch nicht gefunden haben. Und diejenigen, die über allem stehen, dürfen sich über die Schwierigkeiten der anderen amüsieren.

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Arnon Grünberg

Monogam

Aus dem Niederländischen von Rainer Kersten

Diogenes

du wirst meiner Liebe nicht entgehn

Ödön von Horvath,

Geschichten aus dem Wiener Wald

Romantischer als die ganze Wahrheit ist jene andere: die halbe.

Und nicht nur romantischer. Sie klingt glaubwürdiger, feinfühliger, sie bietet mehr Trost als ihre häßliche Stiefmutter, die wir gut versteckt halten, besonders, wenn Besuch da ist. Der Tod ist ein ungeliebter Gast, aber mit der Wahrheit sitzen wir auch nicht gern am Tisch.

Mit der halben dagegen schon, ja, wer möchte nicht an sie glauben, sie nicht vergöttern? Sie ist betörend genug, uns dauerhaft zu entzücken, aber auch wieder nicht zu betörend, denn dann wäre sie ein Märchen, harmlos und unschuldig, etwas, das man höchstens belächelt, aber nicht recht glauben kann. Ich vermute, jeder war schon einmal in Versuchung, sich an ihr festzuklammern, in dem Wahn, sie sei das Ganze, demaskiere alle anderen Wahrheiten und lasse sie hinter sich im Staub zurück.

Sie ist es, die uns vorgaukelt, wir könnten das, was uns das Leben erträglich macht, auf dieser Erde finden. Wenn Stendhal die Liebe als jenen wahnsinnigen Vorgang beschreibt, der uns alle Schönheiten und Vollkommenheiten in der Frau entdecken läßt, die wir seit kurzem vergöttern, so können wir ihm nicht widersprechen. Und dennoch … Man beachte die Worte »alle« vor »Schönheiten« sowie »seit kurzem« vor »vergöttern«. Warum verläßt der Wahnsinn uns wieder, wer heilt uns – und wovon?

 

Eine wichtige Eigenschaft der Wahrheit ist ihre Ausschließlichkeit. Wer behauptet: es gibt einen allmächtigen Gott, schließt damit jedweden zweiten und dritten aus. Wer diese Wahrheit akzeptiert und einem zweiten allmächtigen Gott begegnet, kann sicher sein, es mit einem Betrüger zu tun zu haben. Ein Nepp-Gott, dem man den Bart herunterreißen muß, eh’ es zu spät ist.

Über eine Freundin von mir, eine Wiener Soziologin, sagte mal jemand: »Sie ist ein echter Mensch.« Das war natürlich als Kompliment gemeint. Zwischen all den unechten, falschen Individuen war da endlich mal ein echtes.

Dabei meinen wir mit »echt« offenbar, daß wir glauben, zum Wesenskern einer Person vorgedrungen zu sein. Wir haben das Individuum in ein System eingeordnet – wie eine Tierart oder einen chemischen Stoff. Die Beweisaufnahme ist abgeschlossen. In einem Detektivroman könnte der Kommissar jetzt seinen Regenmantel anziehen und nach Hause gehen. Etwas trauriger als zuvor vielleicht, mit leiser Wehmut, erquicklich war das alles nicht, aber doch zufrieden, daß er wieder einen Fall zu einem guten Ende gebracht hat.

Leider ist diese Geschichte kein Detektivroman. Sie handelt von Schuld, aber ein echtes Verbrechen läßt sich nirgends entdecken. Schuld ohne Verbrechen: Das muß Liebe sein.

Wir meinen, ein Recht auf Liebe zu haben, wie die Leser eines Krimis auf einem befriedigenden Schluß bestehen.

Wer glaubt, nicht zu bekommen, was ihm zusteht, wird die Liebe aus ihrer Höhle zerren, notfalls mit Gewalt.

 

Die wahre Liebe gibt es nur im Singular. Genau wie Gott. Wir können uns vornehmen, an ihn zu glauben, oder ihn als Illusion abtun. Doch über einen Punkt herrscht überall bemerkenswerte Einmütigkeit: die Anzahl. Ein einziger. Wer behauptet, an fünf miteinander konkurrierende Götter zu glauben, kommt zu spät. Er ist allein mit seiner Religion und wird seine Andacht bei sich zu Hause im Wohnzimmer abhalten müssen.

Wer behauptet, fünfzehn wahre Lieben zu haben oder auch nur drei, wird auf unsere Mißbilligung stoßen. Eine öffentliche Abbitte oder wenigstens eine im kleinen Kreis ist das mindeste, was wir von ihm erwarten. Ich habe gefehlt, es tut mir leid, ich war im Irrtum, vergebt mir – das übliche Theater. Und wenn der Vielfraß eine Frau ist, fallen die Strafen noch härter aus.

Offenbar haben wir soviel Angst vor der Untreue der Frau, daß wir uns ein ganzes Arsenal von Waffen zugelegt haben, um sie davon abzuschrecken. Die Literatur wimmelt von Beispielen untreuer Frauen, die für ihren Seitensprung mit dem Tod bezahlen – sei er nun selbstgewählt oder nicht – oder mit der Hölle auf Erden. Auch ein untreuer Mann nimmt ab und zu ein übles Ende, doch meist ist seine einzige Strafe eine leichte Melancholie. Und oft nicht einmal das.

Vielleicht haben Männer mehr Angst vor einer untreuen Frau als Frauen vor einem untreuen Mann, und wahrscheinlich haben die Männer gute Gründe dafür.

 

Wo ein Tabu ist, gibt es immer auch das Verlangen, das Tabu zu brechen. Wer hätte je von dem Tabu gehört, mit einem Tannenbaum ins Bett zu gehen? Die Suche nach der wahren, der echten, der einzigen Liebe ist eine Mission, für die wir zu großen Opfern bereit sind. Wer die wahre, die einzige und echte Liebe sucht, sucht auch alles, was dazugehört. Schutz zum Beispiel oder Geld, Status, ein Zipfelchen Macht.

Oh, ich unterschätze die Schönheit durchaus nicht, aber sie hat die Eigenschaft, noch schneller zu vergehen als Macht. Auf ihr läßt sich keine dauerhafte Verbindung aufbauen, wir sehen sie verblassen, noch während wir sie betrachten. Nicht zuletzt darum, weil man sich an Schönheit so schnell gewöhnt. Der Ellenbogen, der uns zunächst in höchstes Entzücken versetzte und an ein Reh erinnerte, erweist sich bei näherem Hinsehen als stinknormaler Ellenbogen, ein bißchen knochig sogar. Um einen anderen Menschen genießen zu können – an sich schon eine Seltenheit –, braucht man Tricks und Illusionen, die schneller langweilen als jeder gut geschriebene Roman. Und dann muß eben ein neuer Mensch her, ein neuer Genuß.

 

Daß wir mehr Verständnis für jemanden aufbringen, der behauptet, dem Sex nachzujagen – mit seiner wahren Liebe natürlich –, als für jemanden, der der Macht nachjagt, ist bezeichnend für unsere Tabus. Darüber, was wir sein wollen, nicht, was wir wirklich sind.

Vögeln finden wir unter bestimmten Umständen gesund und vergnüglich, auf jeden Fall akzeptabel.

Herrschen finden wir verdächtig, krankhaft und unerträglich.

Man denke an die Bemerkung »Bist du aber machtgeil«. Wem das gesagt wird, der bekommt kein Kompliment. Ein solches Machtstreben mögen wir nicht. Es zerstört unsere Illusion von Toleranz, Vernunft und Chancengleichheit. Wer mit seinen Mitmenschen konkurrieren, sie besiegen will, muß Fußball spielen. Die Bemerkung »Bist du aber sexy« dagegen wird von der Mehrheit als angenehm und positiv erfahren.

Die Nachkriegsliteratur ist für diese These ein ausgezeichnetes Beispiel: Es wird viel gevögelt und wenig geherrscht.

 

Das Tabu ist eine Umzäunung, und meist sind es die Schwachen, die es nicht wagen, sich darüber hinwegzusetzen. Diejenigen, die ein Tabu brechen und nie dafür bestraft werden, sind die Unantastbaren. Niemand weiß von ihrem Tabubruch, und die doch davon wissen, sind so abhängig von ihnen, daß sie ihren Mund halten oder riskieren, aus der Gemeinschaft der Lebenden eliminiert zu werden.

Es gibt noch eine dritte Kategorie: die Ruchlosen. Sie brechen ein Tabu, werden aber fast immer sofort dafür bestraft. Sie sind nicht eigentlich stark, sondern vielmehr unbeherrscht, und ich schließe nicht aus, daß in dieser Unbeherrschtheit das Verlangen nach der ultimativen Strafe – dem Tod – eine wichtige, geheimnisvolle Rolle spielt.

Das verzehrende Streben nach Macht trägt seinen Verfall bereits in sich. In Romanen und Filmen sehen wir, daß einem Aufstieg fast immer der unvermeidliche Absturz folgt. Offenbar bereitet es uns Genugtuung, Menschen vorgeführt zu bekommen, die sich über alle Grenzen hinwegsetzen und für einen kurzen Moment die Früchte ihres Ehrgeizes ernten, um dann um so gnadenloser für ihren unbezähmbaren Drang bestraft zu werden.

Schematisch betrachtet, können wir bei diesen Aufsteigern zwei Arten von Fehlern unterscheiden. Entweder waren sie in einem entscheidenden Moment zu sentimental, zu selbstvergessen, zu menschlich, einer Frau, eines Kindes wegen, aus Eifersucht oder einer Passion. Einen kurzen Moment lang war ihnen etwas anderes wichtiger als der Erhalt ihrer Macht.

Oder sie isolieren sich von ihren nächsten Verbündeten. Sie werden hart, sie vergessen, daß Macht eine Kunst des Gleichgewichts ist, erweisen dem Fußvolk nicht mehr genug Wohltaten und erzeugen so Haß. Sie legitimieren den Aufstand ihrer Feinde.

Macht erzeugt immer Haß, die Kunst besteht jedoch darin, stets ein Quentchen mehr Zuneigung als Ablehnung zu erzeugen.

 

Wo Macht keine Zuneigung erzeugen kann, muß Zuneigung erzwungen werden.

Meine Entscheidung für das Schreiben – sie kam relativ spät im Leben – hat mit meinem Streben nach Macht zu tun. Ich fing an zu schreiben, weil ich herrschen wollte.

Meine Identität fällt mit meinem Dasein als Autor zusammen. Ich bin, was ich schreibe. All meine Tätigkeiten stehen im Dienste des Schreibens.

Ein Schriftsteller ist in erster Linie jemand, der sich und die Welt beobachtet und studiert, so wie ein Biologe eine Versuchsgruppe von Elefanten, Menschenaffen oder Regenwürmern.

Die nächsten Familienangehörigen, Eltern, Brüder, Schwestern, Ehemann, -frau, Kinder – alle sind dankbare Forschungsobjekte für den Schriftsteller. Doch das allerbeste Objekt ist natürlich er selbst. Mit niemandem ist man so oft zusammen, von niemandem kann man mehr wissen, niemanden kann man leichter sieben Tage pro Woche, vierundzwanzig Stunden pro Tag observieren. Auch an Orten, wo Menschen sonst fast immer alleine sind. Man braucht keine Überwachungskamera, weder Spione noch Abhörgeräte.

Allerdings erfordert ein solches Unterfangen auch Distanz. Wer zu sehr von sich selbst eingenommen ist, wird die Ergebnisse verfälschen, weil sie ihm nicht gefallen oder ihm Angst einjagen. Eigenliebe behindert die Forschung.

Ein Forscher darf sich nicht zu sehr von Gefühlen leiten lassen, sich nicht zu sehr an das Objekt seiner Studien binden.

 

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