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NIEDRIGER AKTIONSPREIS NUR FÜR KURZE ZEIT! Jeden Tag im Obstladen ihres Vaters aushelfen, Matheklausuren verhauen und zu keiner Party eingeladen werden… Emma könnte sich mit Leichtigkeit ein tausendmal besseres Leben ausmalen. Doch dann taucht der umwerfend gut aussehende Liam in ihrer Kleinstadt auf, ein Junge, der wirklich jede haben könnte – und scheint sich ausgerechnet für sie zu interessieren. Das käme ihrem Wunschtraum schon recht nah, wäre da nicht das gewisse Etwas, das Liam nicht nur unsagbar anziehend, aber auch ein klein wenig bedrohlich machen würde. Doch Emma wäre nicht Emma, wenn sie ihm nicht die Stirn zu bieten wüsste … //Alle Bände der beliebten Werwolf-Reihe: -- Moonlit Nights 1: Gefunden -- Moonlit Nights 2: Gebissen -- Moonlit Nights 3: Gefährlich -- Moonlit Nights: Alle drei Bände in einer E-Box// Die »Moonlit Nights«-Reihe ist abgeschlossen.
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Carina Mueller
Moonlit Nights 1: Gefunden
Jeden Tag im Obstladen ihres Vaters aushelfen, Matheklausuren verhauen und zu keiner Party eingeladen werden … Emma könnte sich mit Leichtigkeit ein tausendmal besseres Leben ausmalen. Doch dann taucht der umwerfend gut aussehende Liam in ihrer Kleinstadt auf, ein Junge, der wirklich jede haben könnte – und scheint sich ausgerechnet für sie zu interessieren. Das käme ihrem Wunschtraum schon recht nah, wäre da nicht das gewisse Etwas, das Liam nicht nur unsagbar anziehend, aber auch ein klein wenig bedrohlich machen würde. Doch Emma wäre nicht Emma, wenn sie ihm nicht die Stirn zu bieten wüsste …
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Vita
© privat
Carina Mueller wurde 1984 im schönen Westerwald geboren, wo sie heute immer noch lebt und arbeitet. Neben ihrem Hund und ihren Pferden zählte das Lesen schon immer zu ihren größten Hobbies, woraus sich dann die Idee entwickelte, eigene Romane zu schreiben. Sie selbst liebt Jugendbücher und auch Fantasy-Romane, vor allem die ganz spannenden, weshalb sie auch in diesen Genres schreibt.
»Dad? Brauchst du noch was von hier unten?«
»Was?«
»Was?«, äffte ich ihn nach. Furchtbar! Dad wollte partout nicht einsehen, dass ab einem gewissen Alter Hörgeräte einfach Pflicht waren. Vielleicht sollte es dafür ein Gesetz geben. Am besten eines, das zu den Grundrechten eines jeden Menschen zählt. Paragraf Irgendwas: Jedes Kind sollte das Recht haben, seine Eltern ab dem vierzigsten Lebensjahr mit einem Hörgerät ausstatten zu lassen – auch gegen ihren Willen.
»Ob du noch was von hier unten brauchst!«, brüllte ich so laut ich konnte zurück. Der genervte Unterton in meiner Stimme war nicht zu überhören.
»Nein … nein, ich glaube nicht, Liebes.«
»Sicher?«
»Sicher!«
Ich stapelte die leeren Holzkisten in einer Ecke des Kellers und ging die Treppe zum Laden hinauf. Raus aus unserem furchtbaren Keller – welcher zu allem Überfluss auch noch ein absolut typisches Exemplar war, so wie man es sich vorstellte, oder vielmehr befürchtete: alt, muffig, feucht, mit jeder Menge gruseliger, ekelerregender Spinnen und den dazugehörigen unvermeidlichen Spinnennetzen an den Wänden und in den Ecken. Man war einfach dazu bestimmt, mit dem Kopf voran in eins hineinzulaufen, um sich das Netz dann gleich wieder angewidert aus dem Gesicht zu kratzen. Wobei man natürlich mehrmals nachfassen musste, um auch die feinsten Spinnenfäden zu erwischen.
Ich war ja wirklich ein naturverbundener Typ und liebte für gewöhnlich alles, was dazugehörte. Insbesondere Tiere – bis auf Spinnen natürlich. Miniausgaben von flauschigen Cockerspaniels, die sich kleine Hundebetten in die Zimmerecken bauten, waren doch viel cooler als diese Ekelviecher!
Außerdem fragte ich mich immer, ob die Leute meinem Dad das Obst und Gemüse auch noch abkaufen würden, wenn sie wüssten, wo der ganze Kram gelagert wurde. Er war ja der Meinung, dass es dafür kein besseres als ein kalt-feuchtes Klima geben könnte. Doch in Anbetracht dieser furchteinflößenden Krabbler, die sich davon geradezu magisch angezogen fühlten, war ich mir da nicht so sicher.
Vermutlich war der ganze Gemüseladen sowieso nur ein Vorwand, damit Dad hier unten unbemerkt eine gefährliche Spinnenkolonie züchten konnte, um mit ihr später die Weltherrschaft an sich zu reißen. Wie bei dem Zeichentrickfilm »Pinky und der Brain«. Nur, dass mein Vater irgendwie Pinky und Brain in einer Person war. Zumindest nach meinem Dafürhalten …
Der Laden von meinem Dad, oder »Fruity-Fred«, wie ihn alle nannten, war bis auf einen überschaubaren Getränkeladen und eine Bar das einzige Geschäft, in dem man hier in Greenwood, einem Städtchen in Mississippi, etwas käuflich erwerben konnte. Aber mehr brauchte unser kleiner, verschlafener Ort auch nicht. Vermutlich hielt uns der Laden deswegen halbwegs über Wasser.
Ich fühlte mich ziemlich wohl hier, eine Großstadtpflanze war ich ohnehin nicht. Mit überfüllten Läden, Lärm und Hektik verbreitenden Großstadtmenschen konnte ich einfach nichts anfangen. Aber die Natur, die mochte ich! Und das dorfähnliche Idyll mit den wunderschönen Wäldern, die unsere kleine Stadt umgaben, würde ich um nichts auf der Welt eintauschen wollen.
Nach gefühlten hundert Stufen war ich wieder im Laden. Dad musterte mich.
»Was ist?!«, blaffte ich ihn missgelaunt an. Er sah so aus, als wenn er jetzt doch noch etwas aus dem Keller benötigen würde.
»Ähm … Emma, Liebes, ich seh grad, die Pink Ladys sind alle. Würdest du deinem alten Herrn noch welche raufholen?«
Oh Mann! Mein Dad war ja so was von berechenbar!
»Mach ich«, knurrte ich und drehte mich auf dem Absatz um, um wieder in das »Grabgewölbe« hinabzusteigen.
War ja klar … Immer, wenn ich aus dem Keller kam, fiel Dad wieder irgendetwas ein, was er noch von unten brauchte. Unser Highscore an Mehrfachgängen lag derzeit bei fünf. Ich wartete jetzt schon auf den Tag, an dem Dad diese Zahl toppen und mich sechsmal - oder noch öfter - hintereinander in den Keller schicken würde. Auch, wenn er es selbst auf seine eigene Schusseligkeit zurückführte, hatte ich das Gefühl, dass er das manchmal absichtlich tat. Zumindest konnte er nicht leugnen, wenigstens ab und zu seinen Spaß daran zu haben.
Ich schnappte mir eine der Apfelkisten und machte mich auf den Weg zurück in den Laden. Ich schnaufte, als ich die Treppe ein zweites Mal hochstieg. Sie war zwar nicht besonders lang (nicht mehr als zwanzig Stufen, oder so), aber ich war leider auch der Inbegriff der Unsportlichkeit. Jemand, der noch unsportlicher schien als ich, konnte eigentlich nur tot sein.
Auf der Hälfte der Treppe hörte ich das leise Bimmeln der Türglocke, die verkündete, dass Besucher den Laden betraten.
Oh nein … Hoffentlich waren es keine bekannten Leute. Bitte, bitte mach, dass es fremde Leute sind!
Ich hatte keine Lust auf irgendwelche Omas und Opas, die mir in die Backe kniffen, mir sagten, wie groß ich geworden sei und wie nett sie es von mir fänden, dass ich meinem Vater half. Und schon gar nicht wollte ich irgendwelchen Klassenkameraden hier begegnen.
Die meisten von ihnen wussten zwar sowieso, dass ich nachmittags bei meinem Dad aushalf, aber sie mussten ja nicht ständig daran erinnert werden. Ich wurde schließlich schon genug gehänselt. Aber so war das eben, wenn man nachmittags arbeiten musste, anstatt sich wie die anderen nach der Schule treffen zu können. Wobei ich das nie als schlimm empfunden hatte.
Klar, die Arbeit war zum Kotzen, aber meine Klassenkameraden trafen sich meistens eh nur zum Rauchen oder um ein paar Bier plattzumachen. Bier schmeckte mir ohnehin nicht, und hätte mir jemand einen dieser Stinkstängel angeboten, hätte ich ebenfalls abgelehnt. Ob ich nun blöd angemacht wurde, weil meine Eltern nicht so viel Geld hatten und ich im Laden aushelfen musste, oder weil ich weder Bier trank noch rauchte, war ja letztendlich auch egal …
Vorsichtig stieg ich die restlichen Stufen nach oben und linste durch den schmalen Gang in den Laden hinein: Ein großer, gut aussehender Junge stand vor dem Verkaufstresen und unterhielt sich angeregt mit meinem Dad. Ob er sich verirrt hatte? Er sah zumindest nicht so aus, als wollte er etwas kaufen.
Schnell schlüpfte ich in die Mitarbeitertoilette, stellte die Kiste ab und zupfte geschickt ein paar Strähnen aus meinem Zopf heraus. Wer auch immer das sein mochte, er sollte mich nicht mit meinem üblichen, langweiligen Pferdeschwanz sehen, den ich meistens so streng nach hinten gebunden hatte, dass er mein komplettes Gesicht straffte. Nicht, dass ich es nötig gehabt hätte, aber meine glatten braunen Haare hingen sowieso immer wie durchgegarte Spaghetti an meinem Kopf herunter. Die Haare zu einem Pferdeschwanz zusammenzubinden war daher die schnellste Frisur, die ich morgens vor der Schule zaubern konnte. Auch wenn meine Mutter immer sagte, damit sähe ich aus wie meine eigene Oma. Selbst schuld, schließlich hatte sie mir auch den altmodischen Namen meiner Großmutter verpasst. Wer außer mir hieß denn schon Emma?
Sollten Dana oder Amilia, oder wie sie alle hießen, ruhig morgens um fünf Uhr aufstehen, damit sie gestylt wie Topmodels in der Schule ankamen. Ich schlief dafür lieber länger. Und auch, wenn ich schon immer groß und schlank gewesen war und dazu nicht unbedingt hässlich, wenn man so etwas überhaupt von sich selbst sagen durfte, bildete ich mir nichts darauf ein. An mir gab es nichts Besonderes … Oder doch, Moment! Zählten negative Eigenschaften auch dazu? Wenn ja, waren meine Haare etwas Besonderes. Etwas ganz Besonderes sogar! Ich kannte keinen Menschen, dessen Haare ständig so schlapp am Kopf herunterhingen, wie meine. Selbst wenn ich frisch aus der Dusche kam, meine Kopfhaut danach mit Lockenwicklern perforierte und so viel Haarspray benutzte, dass ich womöglich allein für das Ozonloch hätte verantwortlich sein können: zehn Minuten, und meine Haare waren wieder so gerade wie ein Highway …
»Emma? Hast du die Äpfel?«
Ich griff nach der Kiste und betrat den Verkaufsraum.
»Das ist meine Tochter Emma«, stellte Dad mich vor.
»Hey, ich bin Liam!« Ein charmantes Lächeln entblößte eine Reihe makelloser weißer Zähne und der Junge reichte mir die Hand.
Ich stellte die Holzkiste auf dem Boden ab, ergriff Liams Hand und hauchte ein unsicheres »Hey« zurück.
Liam hatte einen festen Händedruck. Das würde Dad gefallen! Seine Hände waren groß und sahen stark aus, doch seine Haut war seidenweich und warm.
Schnell entzog ich ihm meine kalte, schweißnasse Hand und rieb sie an meiner ausgefransten Jeans trocken. Zu meinem Bedauern hatte ich immer kalte Hände. Hinzu kam, dass sie auch noch ständig schweißnass wurden, sobald ich etwas aufgeregt war.
»Tschuldigung. Sind klebrig – von den Äpfeln«, log ich schnell, doch Liam sah nicht sehr überzeugt aus und musterte mich mit einer hochgezogenen Augenbraue.
»Liams Familie ist gestern in die Nähe der Fields gezogen. Er wollte sich erkundigen, ob wir vielleicht eine Aushilfskraft suchen. Tüchtiger Junge, nicht wahr?«
In die Nähe der Fields? Dann wohnte er ja nur ein paar Häuserblocks weiter. Ich wusste nicht wieso, doch ein kleiner Freudenschauer durchfuhr mich, während Liam mich lässig angrinste. Ich überhörte nicht, wie mein Vater die Worte erkundigen und Aushilfskraft betonte. Anscheinend hatte Liam sie verwendet und Dad schien ganz angetan von seiner vornehmen Ausdrucksweise zu sein.
»Ich hab mir gedacht, dass er dich ein bisschen ablösen könnte. Dann brauchst du nicht jeden Tag zu helfen und könntest stattdessen mehr für die Schule tun.«
»Dad, ich …«
Doch er ließ mich nicht aussprechen: »Kein Aber … deine Note heute in Mathe spricht doch wieder für sich. War mal wieder haarscharf!«
»Dad …« Ich hatte keine Chance, zu Wort zu kommen.
»Wenn du so weitermachst, wirst du noch als arbeitslose Pennerin in der Gosse enden und dich aus Mülleimern ernähren.«
»Dad!« Prima. Musste er mich ausgerechnet jetzt darauf aufmerksam machen? Auf den Auslöser meiner ganzen hundsmiserablen Laune heute? Und dann auch noch vor fremden Leuten?
Mathe war einfach nicht mein Ding. Sozusagen das berühmte Buch mit sieben Siegeln – zumindest für mich … Ich hatte drei Wochen am Stück gelernt und gedacht, ich hätte es endlich kapiert. Doch nachdem auf meiner Arbeit nun ein dickes rotes D mit einem Minus so lang wie von hier bis nach Australien prangte, verließ mich jegliche Hoffnung, irgendwann hinter die Logik der Mathematik zu steigen. Emma und Logik … Anscheinend waren das zwei Dinge, die sich gegenseitig ausschlossen. So wie ein Magnet mit zwei gleichen Seiten – wobei das irgendwie noch realistischer erschien …
Eigentlich war das mit dem Minus ja nicht üblich, doch mein überaus netter und zuvorkommender Lehrer wollte mich wohl ganz dezent darauf hinweisen, wie knapp meine ohnehin schon schlechte Note dieses Mal wieder gewesen war. Und obwohl ich ansonsten richtig gut in der Schule war, blieb Mathe einfach ein Arschloch, dessen Freund ich in diesem Leben nicht mehr werden konnte. Damit hatte ich mich im Gegensatz zu meinem Vater schon längst abgefunden.
Liam grinste jetzt noch mehr. Seine Brust bewegte sich etwas schneller auf und ab – zu schnell für eine normale Atmung, und obwohl er keinen Ton von sich gab, war ich mir sicher, dass er mich auslachte.
»Na toll … herzlichen Dank, Dad«, murmelte ich und senkte verschämt den Blick.
»Ich bin ganz gut in Mathe. Ich könnte dir Nachhilfe geben.«
Entsetzt blickte ich Liam an, der mir munter zuzwinkerte. Wie peinlich war das denn bitte? Würde ich jemals von einer Demütigung, die sich mir bot, verschont bleiben?
»Nicht nur höflich, sondern auch noch schlau«, lobte mein Dad. »Was hältst du davon, Emma?«
»Auf gar keinen Fall …«, nuschelte ich und merkte, wie meine Wangen heiß wurden. Eigentlich hatte ich das so leise sagen wollen, dass Liam es nicht hören konnte, doch jetzt schien er wirklich Schwierigkeiten zu haben, sein Lachen zu unterdrücken. Womöglich war es mir aber auch lauter herausgerutscht als beabsichtigt. Egal – ich würde jedenfalls unter keinen Umständen bei diesem Typen Nachhilfe nehmen. Da konnte kommen, was wollte!
»Na ja, du kannst es dir ja noch überlegen. Liam werden wir ab jetzt öfter hier sehen. Vorausgesetzt, du möchtest hier anfangen?« Dad blickte Liam mit seinem freudestrahlenden Verkaufswunderlächeln an. So nannte ich es zumindest immer, wenn er über beide Backen strahlte. Und das tat er meistens, wenn er einem Kunden besonders viel aufzuschwatzen versuchte.
»Ich würde mich freuen, Mr Forsyth«, antwortete Liam höflich und reichte meinem Vater die Hand.
»Guter Händedruck, Liam!«, freute sich Dad.
Argh! Ich wusste es! Obwohl es nicht beabsichtigt war, entfuhr mir ein tiefer Seufzer.
»Räumst du bitte die Äpfel beiseite? Und zeigst Liam dann alles?«
Ich nickte und bückte mich, um die Apfelkiste aufzuheben, doch Liam war schneller.
»Warte, ich helf dir. Die ist doch sicher schwer …«
Und wie schwer sie war!
Liam jedoch riss die Kiste in die Höhe, als wäre sie nur mit Federn gefüllt und ich sah, wie sich unter den hochgekrempelten Hemdsärmeln die Muskeln seiner Arme spannten. Leider hatte mein Gehirn Liams Hilfsangebot noch nicht registriert und ich bückte mich weiter nach vorne, sodass wir mit den Köpfen zusammenstießen.
»Aua …«, jammerte ich und rieb mir die Stirn. Warum musste immer mir so etwas passieren?
»Sieht wohl so aus, als hätte doch ich den Holzkopf von uns beiden …« Liam schenkte mir ein derart atemberaubendes Lächeln, dass mein Herz sofort ins Stocken geriet, und blickte mir dabei verschmitzt in die Augen. Mein Gejammer schien ihn offensichtlich zu amüsieren.
Ich korrigierte mich. Er war nicht nur gut aussehend. Er war überaus gut aussehend. Um genau zu sein, war er der schönste Junge, den ich in meinem ganzen Leben gesehen hatte. Seine schwarzbraunen Augen waren tiefgründig und funkelten wild, und sein dunkles, kurzes, zerzaustes Haar lud geradewegs dazu ein, darin herumzuwühlen, als wäre man Dagobert Duck in seinem Geldspeicher. Von seinem V-förmigen Oberkörper fing ich lieber gar nicht erst an …
»Klar erkannt …«, zischte ich, entsetzt darüber, welche merkwürdigen Gefühle er in mir auslöste.
Ich rieb mir weiter die Stirn, während Liam mir mit der Kiste folgte.
Nachdem wir die Äpfel verstaut hatten, erklärte ich ihm, wie welche Obst- und Gemüsesorten hießen. Ich hatte eigentlich vor, ihn ein bisschen zu ärgern und fragte immer wieder nach den seltensten und schwierigsten Exemplaren, doch zu meinem Ärger wusste er jedes Mal die korrekte Antwort.
»Klugscheißer …«, brummte ich und resignierte.
Liam grinste breit. »Wir sehen uns dann am Montag in der Schule!«, verabschiedete er sich und verschwand durch die Ladentür.
Gedankenverloren starrte ich ihm hinterher.
»Toller Typ, oder?« Dad hatte sich von hinten an mich herangeschlichen, ohne dass ich es bemerkt hatte und ich zuckte erschrocken zusammen.
»Ganz okay, glaub ich …«, antwortete ich so neutral wie möglich. Ich musste ihm ja nicht gleich auf die Nase binden, dass ich ihn mindestens genauso toll fand wie er.
Mein Dad musterte mich argwöhnisch. Ihm schien nicht entgangen zu sein, dass mir Liams gutes Aussehen aufgefallen war, er sagte aber nichts dazu. Ich in Verbindung mit Jungs? Glücklicherweise keins von Dads Lieblingsthemen.
Montagmorgen stand ich früher auf als sonst und zwang mich unter die Dusche. Normalerweise tat ich das immer abends vorm Zubettgehen, doch diesmal wollte ich vor der Schule duschen. Ich redete mir ein, dass ich einfach mal etwas Neues ausprobieren wollte und es absolut nichts mit Liam zu tun hatte, den ich heute wiedersehen würde.
Eigentlich lief mir meine Mom in der Frühe selten vor die Füße. Sie arbeitete als Köchin und musste grundsätzlich zu den Zeiten, zu denen ich zu Hause war, arbeiten.
»Morgen Mäuschen, du bist schon wach?!« Ihr Mund blieb von der Frage offen, dazu ein hübsch-entsetzter Gesichtsausdruck. Nett!
»Ähm … ja? Wollte duschen.«
»Morgens?!« Meine Mutter schien aus allen Wolken zu fallen.
»Ist das so ungewöhnlich?«, pampte ich sie an, in der Hoffnung, sie würde das Gespräch fallenlassen. Auch wenn ich mich ausnahmsweise früh aus dem Bett geschält hatte, hieß das noch lange nicht, dass meine Morgenmuffeligkeit liegengeblieben war.
Mein Plan funktionierte.
»Eigentlich schon«, antwortete Mom immer noch etwas verwundert, ging dann aber zurück ins Schlafzimmer, um sich anzuziehen.
»Ist bestimmt wegen dem neuen Jungen«, hörte ich Dad sagen.
»Welcher neue Junge?«
Das hatte definitiv das Interesse meiner Mutter geweckt. Sie hoffte ja schon lange - ungefähr seit ich aus den Windeln raus war - dass ich mir endlich einen Freund suchen würde, doch mangels vernünftiger Auswahl hatte ich bis dato immer dankend darauf verzichtet.
»Liam – ein überaus höflicher, gut aussehender junger Mann, der neu in unsere Nachbarschaft gezogen ist.«
Ich konnte es zwar nicht sehen, doch ich konnte mir bildlich vorstellen, wie meine Mom jetzt strahlte.
»Wurde ja auch langsam Zeit, dass sie sich für Jungs interessiert. Als ich sechszehn war …«
»Daran erinnerst du dich noch? Ist ja ’ne Ewigkeit her!«, neckte mein Vater sie.
Ja! Gut so, Dad! Verpass ihr einen Dämpfer, dann bleibt uns der Rest erspart!
»Na ja, jedenfalls dachte ich schon, unsere Tochter sei eine asexuelle Amöbe und würde noch zwischen deinem ollen Gemüse verschimmeln.«
Ich biss die Zähne zusammen. Konnte meine Mutter nicht ein einziges Mal zwischen den Dingen unterscheiden, die gesagt werden durften und denen, die man höflichkeitshalber lieber nur denken sollte? Bekam so etwas nicht schon jedes kleine Kind beigebracht?
»Jetzt lass sie doch … Sei froh, dass es erst jetzt anfängt und sie uns nicht schon früher einen Idioten nach dem anderen mit nach Hause geschleppt hat …«
»An denen hätte sie aber wenigstens üben können …«
In Bezug auf Sexualität war meine Mutter schrecklich. Wenn aus irgendeinem Grund das Thema aufgegriffen wurde – und damit meine ich ganz sicher nicht freiwillig von mir – übertrat sie sämtliche Grenzen, die es gab. Mir wurde nichts sachlich geschildert – o nein! Ich wurde mit vulgären Aussagen regelrecht bombardiert, die mich noch Wochen später allein nur bei dem Gedanken daran erröten ließen.
Bevor die beiden das Thema noch weiter vertiefen konnten und mich womöglich noch mit einbezogen, schlüpfte ich schnell unter die Dusche und ließ mir heißes Wasser über den Körper rieseln. Das tat gut … Ich seufzte laut.
Dann klopfte es an der Tür.
»Schatz? Kann ich reinkommen? Oder tust du gerade etwas Unanständiges?« Ich hörte sie kichern.
Keuchend schnappte ich nach Luft. So etwas konnte nur von Ava kommen. Ich dachte bewusst Ava, nicht Mutter. Irgendetwas schien – nein, musste – damals im Krankenhaus schiefgelaufen sein. Ich gehörte bestimmt zu einer wohlgesitteten Familie. Sie hatten mich einfach nur vertauscht …
»Was ist jetzt? – Fertig? Oder noch fünf Minuten?« Wieder dieses Kichern: »Ih ih ih.«
Meine Mutter hätte hervorragend die böse Hexe in einem Horrorfilm spielen können. Zumindest wäre es schon mal nicht notwendig gewesen, ihre Lache zu vertonen.
»Komm rein!«, zischte ich genervt. Nachdem ich das Shampoo und das Duschgel abgewaschen hatte, trat ich aus der Dusche und rubbelte mich trocken.
»Da unten solltest du dich jetzt immer besonders gut waschen.« Sie blinzelte auf die Stelle, wo sich normalerweise der Reißverschluss der Hose befand.
»Mom …«, stöhnte ich. Steckte ich heute Morgen nicht schon tief genug in Peinlichkeiten und Demütigungen? Wollte sie mich auch noch darin ersticken?
»Wirklich … man weiß nie, wann es soweit ist.«
»Mom!« Noch ein Wort und ich müsste ihr das Handtuch in den Mund stopfen.
»Papa hat einen Gemüseladen. Kein Fischgeschäft. Die Ausrede fällt somit flach.«
»Dad! Mom ist wieder so … SCHRECKLICH!« Mein Hilfeschrei sollte eigentlich meinen Vater dazuholen. Er war mir gegenüber in solchen Dingen viel zu verklemmt und das Gespräch wäre sehr schnell beendet gewesen. Doch leider erstarb mein Hilferuf unter dem lauten Summen von Moms Föhn. So blieb mir nur noch die Flucht aus dem Badezimmer.
Ich wusste ja, dass meine Mutter nur witzig sein wollte und dass alles nicht ernst gemeint war. Aber gerade frühmorgens, wenn ich sowieso noch zu müde für alles war und dann auch noch in die Schule musste, konnte ich nicht so tun, als würde ich ihren Humor teilen.
Ich rubbelte meine Haare so gut es ging mit dem Handtuch trocken, zog mich an und band das braune Wirrwarr duttähnlich hinter dem Kopf zusammen. Auch wenn überall Haarsträhnen heraushingen und der Haarknoten eher kläglich aussah: Ein Pferdeschwanz war heute ausgeschlossen. Nicht, weil ich Liam dieser langweiligen Frisur nicht schon wieder aussetzen wollte, sondern weil meine Haare so lang waren, dass in kurzer Zeit mein ganzes Shirt nass geworden wäre – zumindest redete ich mir das ein.
Ganz passabel, dachte ich, und meine grünen Augen betrachteten mich zufrieden im Spiegel.
Als ich runter in die Küche ging, war meine Mutter zum Glück schon weg. Noch mehr gute Ratschläge hätte ich heute Morgen auch nicht ertragen.
Schnell löffelte ich noch eine Schale Schokomüsli und machte mich dann auf den Weg zur Schule. Mein Fußweg dauerte eine halbe Stunde.
Ob Liam auch schon unterwegs war? Verstohlen blickte ich mich um. Und wenn schon, konnte mir das nicht egal sein? Ich ging doch schließlich jeden Morgen allein zur Schule. Trotzdem erwischte ich mich dabei, wie ich mich immer wieder umdrehte. Anscheinend war es mir nicht ganz egal. Aber zum größten Teil … Ja, zum größten Teil. Ganz sicher.
Auf dem Schulhof angekommen, sah ich Liam bereits - umringt von einer Heerschar an Mädchen.
Ein Gefühl von Aggression machte sich in mir breit, gepaart mit ein klein wenig Verzweiflung. Normal würde man das wohl als Eifersucht bezeichnen. Dieses Gefühl kannte ich noch gut aus Kindertagen, wenn meine bescheuerte Cousine zu Besuch kam und grundsätzlich mit dem spielen wollte, was ich gerade in Händen hielt. Meine Mutter bevorzugte sie dann immer und ich musste mein Spielzeug hergeben. Allerdings war dieses Gefühl hier schlimmer. Andererseits … man konnte doch nur eifersüchtig werden, wenn andere etwas wegnahmen, was einem gehörte, oder? Gehörte Liam mir? Nein. Aber ich hatte ihn zuerst gesehen! Gab mir das irgendeinen Anspruch auf ihn?
»Irgendwie schon!«, brüllte mein Herz, doch mein Verstand sagte schlicht: »Nein«.
Wollte ich denn überhaupt einen Anspruch haben? Schließlich schien er sich geradezu in der Aufmerksamkeit zu suhlen, die ihm heute Morgen zuteilwurde. Dieser selbstgefällige, kleine Wurm … Und wie er sich ständig verlegen ins Genick fasste und dann auch noch ununterbrochen so dämlich grinste. O Mann … Er sah wirklich hinreißend in seiner verwaschenen Jeans aus! Sein weißes Hemd hing an einer Seite lässig aus der Hose, war an den Ärmeln hochgekrempelt und oben leicht aufgeknöpft, wodurch man seine muskulöse Brust erahnen konnte. Ich erinnerte mich an den Anblick von gestern, wie sich seine leicht gebräunte Haut über seinen starken Bizeps spannte, als er die Kiste mit den Äpfeln hochhob.
Schnell senkte ich meinen Blick und ging in großem Bogen an ihm vorbei. Hoffentlich sah er mich nicht. Wenn die anderen jetzt aufmerksam wurden, spotteten sie bestimmt über mich, um sich vor ihm zu profilieren. Das würde mir gerade noch fehlen. Doch ich hatte Glück. Keiner schenkte mir Beachtung.
Was bildete ich mir überhaupt ein, dass jemand wie Liam auf mich aufmerksam werden konnte. Manchmal war ich ein echter Einfaltspinsel. Ich schmunzelte, als mir dieses Wort einfiel. Dad benutzte es zu gern.
Im Klassenraum angekommen, ging ich zielstrebig auf meinen Tisch zu. Die Betonung liegt hier auf meinen Tisch, denn ich saß allein. Das lag jedoch nicht nur daran, dass ich nachmittags die Aushilfe für meinen Dad spielen musste. Nein. Ich hatte auch einfach ganz andere Interessen als meine Mitschüler. Während die meisten das »Partymachen« für sich entdeckt hatten, konnte ich mich stundenlang in unseren Garten setzen, meinen Zeichenblock hervorholen und malen, was sich mir bot. Egal ob Blumen, Schmetterlinge oder der Nachbarshund … Alles war bereits in meinem Block verewigt und ich stellte erfreut fest, dass ich von Mal zu Mal besser wurde. Vor allem die Aquarelle, mit deren Farben ich anfangs noch einige Schwierigkeiten hatte, wurden zunehmend professioneller und ich liebte es, die wunderschönen Farbtöne, in die sich zum Beispiel ein Schmetterling kleidete, zu Papier zu bringen.
An dem Tisch neben mir saßen ein Junge, Edwin, und ein Mädchen, Roswitha. Sie waren ähnlich unbeliebt wie ich. Jedoch waren sie meiner Meinung nach auch nicht ganz unschuldig daran. Ständig liefen sie in schwarzen Mänteln herum, auch wenn es draußen noch so heiß war, und der Junge schien ein merkwürdiges Faible für Make-up zu haben. Weiße Haut und schwarz umrandete Augen hätte ich sofort klischeemäßig in die Gothicszene gesteckt, doch als ich ihn einmal darauf ansprach, wehrte er sich mit Händen und Füßen dagegen.
Manchmal unterhielten wir drei uns ein bisschen, doch das kam eher selten vor, da ich immer den Eindruck hatte, dass sie lieber für sich blieben. Aber das war okay.
Ich warf meinen Rucksack auf die Tischseite, die ich nicht benötigte, und wartete darauf, dass der Unterricht anfing – wie jeden Morgen. Langsam füllte sich das Klassenzimmer, doch ich konnte Liam nicht entdecken. Vermutlich war er einer anderen Klasse zugeteilt worden. Ich wusste ja noch nicht einmal, wie alt er überhaupt war. Vielleicht war er sogar eine Stufe unter mir? Nein, eher unwahrscheinlich. Jünger als ich sah er bestimmt nicht aus. Aber älter? Das konnte gut sein.
Alle Aufregung völlig umsonst. Irgendwie erleichtert ließ ich meinen Kopf auf die Tischplatte sinken und schloss noch einmal kurz die Augen. Ich war noch recht müde, hatte ich mich doch heute Morgen – so unnütz – früh aus dem Bett gewälzt. Ich lächelte darüber. Wie albern von mir …
Mr Pickel, unser Lehrer, betrat den Raum und das Getuschel verstummte.
»Guten Morgen«, sagte er höflich und wartete darauf, dass die Klasse ihm antwortete. Selbstverständlich machten wir das brav. Die einen mehr, die anderen weniger schnell.
Mr Pickel nickte zufrieden und wandte sich erneut an uns: »Bevor wir heute mit dem Unterricht anfangen, möchte ich euch euren neuen Mitschüler vorstellen.«
Ich hob aufmerksam den Kopf von der Tischplatte. Liam kam doch in meine Klasse? Mein Herz begann zu klopfen. Schnell scannte ich das Klassenzimmer nach einem freien Platz ab, auf den er sich folglich setzen musste. Zu früh gefreut! Dana, Amilias beste Freundin, schien heute nicht da zu sein, sodass neben ihr der Platz frei war. Liam würde sich bestimmt dorthin setzen. Neben die wunderschöne Amilia, die bereits so fraulich und erwachsen aussah, als wäre sie mindestens fünfundzwanzig Jahre alt. Es versetzte mir einen kleinen Stich in der Herzgegend.
Als Liam das Klassenzimmer betrat, bat Mr Pickel ihn, sich kurz vorzustellen. Liam wandte sich zur Klasse und ich lauschte seiner männlichen Stimme.
»Hey, ich bin Liam Hunter, komme aus Northville bei den Blackstone Hills und bin vor kurzem siebzehn geworden.« Bingo! Ich würde erst in einem halben Jahr siebzehn werden. Das passte ja schon mal zu meiner altmodischen Vorstellung, dass der Mann älter als die Frau sein muss. Ich grinste schelmisch.
»Du darfst dich dann setzen«, ordnete Mr Pickel an. »Such dir einen freien Platz aus.«
Wie auf Kommando rückte Amilia den Stuhl neben sich zurecht, warf ihre langen blonden Locken zurück und blickte Liam mit einem verführerischen Lächeln an. Miese Schlampe! Meine Augen verengten sich ungewollt zu Schlitzen, doch zu meiner Überraschung beachtete er sie gar nicht.
»Hi, Emma«, begrüßte er mich herzlich, »kann ich mich neben dich setzen?«
Wortlos und verdattert darüber, dass er Amilia hatte abblitzen lassen, zog ich für ihn den Stuhl zurück und sammelte meine Tasche ein. Ich war so perplex, dass ich noch nicht einmal fähig war, zu antworten.
»Ich hab dich schon auf dem Schulhof vermisst. Hast du gut geschlafen?«
Ich nickte wortlos. Er hatte mich vermisst … Auch wenn es nicht ganz dem Sinn entsprach, den dieses Wort bereithielt, freute ich mich darüber. Mein Herz machte einen kleinen Hüpfer. Liam starrte mich derweil erwartungsvoll an und ich blickte fasziniert in seine fast schwarzen Augen, die von dichten, dunklen Wimpern umrahmt wurden.
»Und? Gut geschlafen?«, fragte er noch einmal.
Ach so … ich sollte etwas sagen.
»Ähm, ja. Du auch?«
Er nickte.
»Wolltest du dich nicht lieber zu Amilia setzen?« Jetzt, nachdem er saß, konnte ich ja ruhig gönnerhaft sein.
»Wer ist Amilia?«
Schon wieder ein kleiner Hüpfer, der von meinem Herz ausging. War sie ihm tatsächlich nicht aufgefallen? Ich konnte es nicht glauben. Amilia wurde von ausnahmslos ALLEN Kerlen angehimmelt. Sollte Liam tatsächlich immun gegen sie sein? Gegen sie und ihre langen blonden Locken, mit denen sie sich medusenartig reihenweise die Kerle angelte? Oder lag es daran, dass er sich, da er noch neu war, nicht auf so viele Sachen gleichzeitig konzentrieren konnte? Wahrscheinlich eher das Letztere. Amilia würde schon noch ihre Krallen in ihm versenken … oder hatte sie womöglich gar kein Interesse? Hatte sie ihm nur aus Höflichkeit den Stuhl angeboten? Ich betrachtete Amilia, die uns ebenfalls aus den Augenwinkeln beobachtete. Nein … das stimmte definitiv nicht. Erstens tat Amilia nie etwas aus reiner Höflichkeit, wenn sie daraus keinen eigenen Nutzen ziehen konnte, und zweitens hatte sie Interesse. Das sah selbst ein Blinder mit Krückstock. Und dass Liam sie vorhin verschmäht hatte, schien das alles noch zu verstärken. Gäbe es eine Skala von eins bis zehn, mit der man ihr Interesse an Liam messen könnte, läge sie bestimmt bei einer Billion oder so.
Es klingelte. Nachdem wir die Stunde fast schweigend nebeneinander verbracht hatten, stand ich auf und ging wie gewohnt auf den Pausenhof. Dort setzte ich mich auf ein paar Palisaden, die das spärliche Grünzeug einrahmten, und packte mein Pausenbrot aus. Ich hatte nicht erwartet, dass Liam mir folgen würde, doch plötzlich setzte er sich neben mich.
»Ähm … ich hoffe, ich nerve nicht. Aber es ist schön, wenn man schon jemanden kennt.«
Wieder ein kleines Lächeln. Konnte er nicht mal damit aufhören? Mir wurde ganz warm ums Herz.
Liam griff in seine Tasche und holte ebenfalls sein Pausenbrot hervor. Ein Brötchen, welches dick mit Mett bestrichen war. Ungläubig starrte ich erst ihn an, dann das Mettbrötchen. Wie es wohl aussehen würde, wenn sich zwischen seinen gepflegten Zähnen lauter Mettreste befanden? Ich schüttelte mich bei dem Gedanken, doch … würde mich das wirklich stören? Nein … wahrscheinlich nicht … Selbst, wenn er dazu noch Zwiebeln aß (was mein Vater bei Mettbrötchen immer tat) und danach wie ein alter Ziegenbock roch, wäre mir das egal.
Liam sah mich an und verfolgte meinen Blick zu seinem Mettbrötchen.
»Willst du mal beißen?«
Hä? Was wollte ich?
»Ganz werd ich es dir nicht geben. Ich hab Megakohldampf! Aber ich würde dich beißen lassen.«
Wieder dieses charmante Lächeln. Mein Gott! Wenn er mich so ansah, brachte mich das total aus der Fassung.
»Ähm … nein, ich mag Mett nicht besonders …«, antwortete ich zögerlich und verzog angewidert das Gesicht. Wie konnte man nur rohes Fleisch essen?! Ich war zwar keine richtige Vegetarierin, aber man konnte schon sagen, dass ich bevorzugt fleischlose Gerichte aß.
»Echt nicht? Magst du keine Tiere?«
Sein Grinsen wurde plötzlich frech, während ich ihn verwirrt ansah. Wie makaber war das denn jetzt bitte?!
»Doch, natürlich. Und genau deswegen sehe ich auch davon ab, sie zu verspeisen«, antwortete ich empört, doch Liam lachte nur.
»Das ist ein Argument. Welches ist denn dein Lieblingstier?«, fragte er interessiert.
»Ich glaube, es sind Hunde. Oder Pferde? Oder Hunde und Pferde? Ich weiß es nicht. An Hunden mag ich ihre Treue. An Pferden die wunderschöne Eleganz und Kraft, die sie verkörpern.«
Liam nickte verhalten. »Also eher Haustiere?«
»Ich weiß nicht, ob ein Pferd zur Kategorie ›Haus‹-Tier zählt, aber wenn dem so ist, dann vermutlich schon. Wobei man das so auch nicht sagen kann. Ich mag alle Tiere. Jedes ist für sich einzigartig und besonders.«
Ich lächelte leicht und er nickte wieder.
»Was ist denn dein Lieblingstier?«, fragte ich neugierig.
»Meins?« Nachdenklich sah er mich an, dann begann er schallend zu lachen. »Mein Lieblingstier ist Steak!« Wie zur Bekräftigung biss er herzhaft in sein Brötchen.
Obwohl ich seine in meinen Augen eventuell etwas gestörte Liebe zu Fleisch nicht teilte, musste ich grinsen und biss ebenfalls in mein Brot - dankbar darüber, kein rohes Fleisch darauf zu haben.
Ich bemerkte gar nicht, dass ich mein Essen bald wieder eingestellt hatte, um Liam dabei zu beobachten, wie er das Brötchen förmlich herunterschlang, bis er mich mit einem lächelnden »Was denn?« darauf aufmerksam machte.
Verschämt senkte ich den Blick.
»Ähm …« Ich sollte mir schnell etwas überlegen, was mich nicht wie einen kompletten Volltrottel dastehen ließ, doch wollte mir in dem Moment einfach nichts einfallen.
Glücklicherweise begann Liam das Gespräch von neuem.
»Warum sitzt du hier eigentlich allein in der Pause herum und bist nicht bei den anderen?«
Mein Mund klappte hörbar zu. Mööp! Falsche Frage!
»Ich … äh … ich bleib lieber für mich. Ich kann mit anderen … äh … nicht so viel anfangen, weißt du?«
Oh Emma! Natürlich wusste er das nicht. Jemand wie er konnte sich wahrscheinlich nicht einmal eine Cola holen, ohne dabei von einem Schwarm Frauen begleitet zu werden.
Ungläubig zog er eine Augenbraue nach oben. Seinen Gesichtsausdruck konnte ich jetzt nicht wirklich deuten. Er sah irgendwie skeptisch aus. Aber auch ein bisschen … na ja, vielleicht eingeschnappt?
Ich überlegte, was ich soeben gesagt hatte: Ich bleib lieber für mich. Ich kann mit den anderen nicht so viel anfangen. Oh nein! Jetzt hielt er mich bestimmt für eingebildet. Die arrogante Emma, die mit den anderen nichts zu tun haben wollte. Dabei war es doch eigentlich umgekehrt. Wie konnte ich nur so leichtfertig einfach irgendetwas dahinplappern? Wie konnte ich nur immer so unüberlegt sein? Darf ich vorstellen? Ms Fettnäpfchen, Emma Fettnäpfchen …
Da begann Liam schon wieder frech zu Grinsen.
»Tja … da hast du jetzt aber Pech gehabt. Ich sitz ganz gut auf meinem neuen Platz.«
Gedanklich schlug ich mir mit der flachen Hand gegen die Stirn. Von dieser Seite hatte ich es gar nicht betrachtet. Ich hatte ihm soeben durch die Blume gesagt, dass ich keinen Wert auf Gesellschaft legte. Mir wurde heiß, als ich merkte, dass es ihn – zumindest so, wie ich es gesagt hatte – mit einschloss. So ein Unsinn! Er musste doch wissen, dass das absoluter Schwachsinn war. Oder nicht?!
»So… so war das nicht gemeint …«, stotterte ich los, doch sein Grinsen wurde immer breiter. Ich musste mich wohl oder übel geschlagen geben. Egal, was ich jetzt noch sagte, alles würde sich nach einem kläglichen Rettungsversuch anhören. Also lächelte ich gequält zurück.
Die Pausenglocke läutete wieder.
»Sollen wir?«, fragte Liam.
Schwungvoll stand er auf und reichte mir seine warme Hand zum Aufstehen. Ich legte meine nur zu gern hinein. Nein, ich wollte nur nicht unhöflich sein und sie ablehnen. Das war alles.
In der Klasse zog Liam mir meinen Stuhl zurück, sodass ich mich setzen konnte. Dann ließ er sich selbst sanft auf seinen Stuhl gleiten. Jetzt hatten wir Mathe. Ich stöhnte. Mein absolutes Lieblingsfach.
Mr Morrison betrat die Klasse und begrüßte uns.
»Ah, sieh an. Sie müssen wohl unser neuer Schüler sein«, sagte er zu Liam, welcher mit einem kurzen Kopfnicken zustimmte.
»Ich habe gesehen, dass Sie Mathematik in ihrer vorherigen Schule zum Schwerpunkt gewählt und mit der Bestnote abgeschlossen haben.«
Mr Morrison nickte Liam anerkennend zu.