World of Evil (Brennende Welt 2) - Carina Mueller - E-Book

World of Evil (Brennende Welt 2) E-Book

Carina Mueller

0,0
3,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

 **Was wenn die Gene sagen, dass aus deiner großen Liebe ein Mörder wird?** Vor Kurzem hat die Forschung etwas Gravierendes entdeckt: Alle Mörder besitzen ein bestimmtes Gen. Aber nicht alle, die dieses Gen besitzen, sind auch Mörder. Noch nicht, behauptet Forschungsleiter Nolan und eröffnet damit eine fatale Menschenjagd … Die übernatürlich begabten und damit besonders gefährlichen Zwillinge Insha und Odarka versuchen alles, um diesen Irrsinn zu stoppen, geraten dabei aber selbst zwischen die Fronten. Nicht zuletzt, weil bei Cage und Reeve immer mehr Zweifel aufkommen, ob man ihnen wirklich trauen kann … Das elektrisierende Dystopie-Finale von Bestseller-Autorin Carina Mueller!   Textauszug:  Er schloss die letzten Zentimeter zu mir auf und stand jetzt so dicht vor mir, dass ich die Hitze seines trainierten Körpers spüren konnte. Er umfasste meine Wange mit einer Vorsicht, als hätte er Angst, sie würde bei zu hartem Druck zerbrechen. Diese zarte Berührung verursachte mir Gänsehaut, nahm mir aber gleichzeitig was von meiner Unsicherheit.  Reeve war gefährlich. Das wusste ich. Aber würde er mir etwas antun?  //Dies ist der zweite Band der romantisch-dystopischen Dilogie von Carina Mueller. Alle Bände der Fantasy-Liebesgeschichte bei Impress:   -- City of Damage. (Brennende Welt 1)  -- World of Evil (Brennende Welt 2)// Diese Buchreihe ist abgeschlossen.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Impress

Die Macht der Gefühle

Impress ist ein Imprint des Carlsen Verlags und publiziert romantische und fantastische Romane für junge Erwachsene.

Wer nach Geschichten zum Mitverlieben in den beliebten Genres Romantasy, Coming-of-Age oder New Adult Romance sucht, ist bei uns genau richtig. Mit viel Gefühl, bittersüßer Stimmung und starken Heldinnen entführen wir unsere Leser*innen in die grenzenlosen Weiten fesselnder Buchwelten.

Tauch ab und lass die Realität weit hinter dir.

Jetzt anmelden!

Jetzt Fan werden!

Carina Mueller

World of Evil (Brennende Welt 2)

**Was wenn die Gene sagen, dass aus deiner großen Liebe ein Mörder wird?**

Vor Kurzem hat die Forschung etwas Gravierendes entdeckt: Alle Mörder besitzen ein bestimmtes Gen. Aber nicht alle, die dieses Gen besitzen, sind auch Mörder. Noch nicht, behauptet Forschungsleiter Nolan und eröffnet damit eine fatale Menschenjagd … Die übernatürlich begabten und damit besonders gefährlichen Zwillinge Insha und Odarka versuchen alles, um diesen Irrsinn zu stoppen, geraten dabei aber selbst zwischen die Fronten. Nicht zuletzt, weil bei Cage und Reeve immer mehr Zweifel aufkommen, ob man ihnen wirklich trauen kann …

Wohin soll es gehen?

Buch lesen

Vita

Danksagung

© privat

Carina Mueller wurde 1984 im schönen Westerwald geboren, wo sie heute immer noch lebt und arbeitet. Neben ihrem Hund und ihren Pferden zählte das Lesen schon immer zu ihren größten Hobbies, woraus sich dann die Idee entwickelte, eigene Romane zu schreiben. Sie selbst liebt Jugendbücher und auch Fantasy-Romane, vor allem die ganz spannenden, weshalb sie auch in diesen Genres schreibt.

Für Beate W.Für deine Hilfe, deine Ehrlichkeit und weil du einfach so bist, wie du bist <3

1. Kapitel

Odarka

»Ich weiß, ich bin ein Arschloch, Odarka. Und vielleicht bin ich nicht jedermanns Sache. Das war ich noch nie und das werde ich auch nie sein. Niemand hört die Wahrheit gerne, doch es ist definitiv nicht meine Art, Menschen nach dem Mund zu reden, nur damit ich ihnen nicht auf ihre scheinheiligen, sensiblen Füßchen trete. Gerade du müsstest doch Verständnis dafür haben, oder? Dafür bin ich weder ein Lügner noch ein Betrüger.«

Obwohl ich genau wusste, dass Nolan gerade vor mir stand, sah ich ständig Cages Gesicht. Cage, der erschreckend ähnliche Worte zu mir gesagt hatte, um sich so hinterlistig mein Vertrauen zu erschleichen. Zurückhaltend war er gewesen. Hatte so getan, als würde er mich und meine Gefühle achten. Wie ein echter Gentleman hatte er mir in allem die Wahl gelassen. Er hatte sogar geschafft, dass ich glaubte, alles, was ich von ihm dachte, wäre nur meiner vorverurteilenden Fantasie entsprungen. Und ich war mir deswegen auch noch schlecht vorgekommen! Doch was war?! Von wegen ich bin loyal, treu und ehrlich. Ich würde dich nie hintergehen und wenn du jemanden möchtest, der hinter dir steht, dich unterstützt, immer für dich da ist und auf den du dich hundertprozentig verlassen kannst bla bla bla … Ey! Fuck you! Ein Arschloch war er! Ein mieses noch dazu! Leider musste ich auch daran denken, wie wir uns daraufhin geküsst hatten. An seine scheißblauen Augen, mit denen er tief in meine geblickt hatte. An die kleinen dummen Fältchen, die sich darum bildeten, wenn er dämlich grinste; genauso an die hässlichen Grübchen. Ich spürte, wie meine Augen leicht zu brennen begannen, doch ich drängte die aufkeimenden Tränen zurück. Das fehlte noch, dass Prof. Dr. Affenarsch mich jetzt weinen sah! Am Ende dachte er noch, es sei seinetwegen, und Gott bewahre, diese Genugtuung würde ich ihm auf keinen Fall geben. Eher würde ich Nolan küssen und jeder hier wusste doch, dass ich ihm vielmehr seine komplette Drecksfresse abreißen würde, bevor so was zustande käme!

»Hörst du mir überhaupt zu?«, fragte Nolan.

»Nö«, antwortete ich genervt. »Und nur zu Ihrer Information: Menschen, die von sich selbst behaupten, sie seien ach so vertrauensvoll und ehrlich, sind die allerschlimmsten!«

Nolan musterte mich abschätzig. »Würdest du von dir behaupten, dass du ehrlich bist?«

»Ja«, entgegnete ich knapp. Ich wusste, dass er mir vor Augen führen wollte, dass ich mich im Prinzip gerade selbst angeklagt hatte. Aber konnte sich hier irgendjemand auch nur ansatzweise vorstellen, wo zur Hölle mir das vorbei ging?!

Nolan zog die Brauen in die Höhe. »Kind, dir ist schon klar, dass du dich gerade selbst …«

»Ach, halten Sie doch den Rand! Die Menschen können Sie nicht leiden, weil Sie ein unerträglicher Klugscheißer sind! Aus keinem anderen Grund!«, schnappte ich und schnaubte geräuschvoll.

Nolan wirkte zunächst etwas perplex, doch dann setzte er sein gewohntes Schmierlappengrinsen auf. Allein bei dem Anblick schüttelte es mich. Diese Hauer waren vergleichbar mit denen eines Ebers! Groß, gelb und mit Sicherheit ähnlich gepflegt. Igitt! Ungewollt musste ich wieder an Cage denken. Seine blöden Zähne waren weiß und gerade. Und sein Atem hatte nach frischer Minze geduftet. Und geschmeckt. Leider erinnerte mich das auch daran, wie es weiterging. Wie dieser verlogene Bastard sich nach all den schönen Worten zu mir heruntergebeugt und mich geküsst hatte: nicht fordernd, aber dennoch bestimmend; vorsichtig und achtsam, und doch irgendwie dominant; besitzergreifend, so als wäre ich sein und würde zu ihm gehören. Und es hatte sich so gut angefühlt. Ja, verdammt! Hatte es! Aber Cage war ein Scheißplayer! Ich hatte direkt gewusst, dass man ihm nicht trauen konnte! Und diesem Wichser hatte ich meinen ersten Kuss geschenkt! Wenn Insha doch nur da wäre … Ich konnte meine Tränen nicht mehr zurückhalten. Still und heimlich stahlen sie sich aus meinen Augenwinkeln und rannen meine Wangen hinunter.

»Aber, aber, meine Liebe. So schlimm war dein Fauxpas jetzt auch nicht …«, sagte Nolan lächelnd und streckte seine Hand nach mir aus, doch ich warf ihm einen dermaßen tödlichen Blick zu, dass er innehielt.

»Fassen Sie mich an und ich schwöre Ihnen, Ihre Zahnbürste greift morgen früh ins Leere«, drohte ich und starrte ihn wütend an.

»Herrje … Du bist ja heute noch schlimmer als sonst«, sagte Nolan und rollte vielsagend mit den Augen.

Meine formten sich derweil zu schmalen Schlitzen. »Warum verdrehen Sie so dumm die Augen? Suchen Sie Ihr Gehirn, oder was?«, blaffte ich, doch Nolan schmunzelte nur amüsiert.

»Ist es wegen deiner Schwester? Ich hatte ja gedacht, du gehörst nicht zu den lästigen Tussen, die ständig wegen jeder Scheiße rumheulen«, bemerkte er genervt.

»Und ich hatte gedacht, Sie wären ach so intelligent, also warum raffen Sie dann nicht, dass Sie absolut unerwünscht sind? Ihre Empathielosigkeit ist größer als der Arsch eines Nilpferdes!«, schleuderte ich bissig zurück und knirschte erbost mit den Zähnen. Gleichzeitig wusste ich jedoch, dass er recht hatte. Insha fehlte mir mehr als alles andere und es bedrückte mich sehr, nicht zu wissen, wo sie jetzt war und ob es ihr gut ging. Cage war lediglich der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hatte. Einfach weil ich mich total hintergangen und belogen fühlte und ich ihm gerade sonst was antun könnte! Ich meine, wo hatte er mich sonst noch überall belogen, wenn er schon nicht in der Lage war, mir das mit den Kindern zu erzählen? Immerhin hatte ich ihm ja die sogenannte Entsorgung vorgeworfen, doch anstatt mir die Wahrheit zu sagen, hatte er lieber in Kauf genommen, dass ich ihn für einen elenden Mörder hielt! Und das, obwohl er sich hierbei ja sicher sein konnte, dass ich voll und ganz auf seiner Seite gewesen wäre! Unfassbar!

Ich glaubte Cage gar nichts mehr! Wenn er mich hierbei schon angelogen hatte, war das Liebesgesülze garantiert auch nur Mittel zum Zweck, um mal wieder einen wegstecken zu können. Ich war von Anfang an skeptisch gewesen und dabei hätte ich bleiben sollen. Der erste Eindruck war immer der richtige! Massiv ärgerlich, dass Cage diesen dummen Neutralisator trug. Sonst würde ich ihn mit einer unumkehrbaren Impotenz segnen. Dann könnte er ja noch mal versuchen, mit seiner Süßholzraspelei Weiber klarzumachen. Bah! Ich durfte gar nicht daran denken, wo er seinen pilzigen Schwengel schon überall reingetunkt hatte und wo das eventuell bei uns geendet hätte, wären wir nicht von Kaymaks Durchsage unterbrochen worden. Am meisten ärgerte mich jedoch, dass ein gewisser Teil von mir sich nichts sehnlicher wünschte. Wie konnte mein eigener Körper nur so ein Verräter sein?!

»Odarka? Mädchen?«

Missmutig blickte ich Nolan an. »Wie viele Zaunpfähle muss ich Ihnen denn noch um die Ohren hauen, damit Sie endlich die Tür von außen schließen?« Ich fasste mir an den Kopf. Mein Schädel pochte, als hätte mir jemand einen Topf übergestülpt und würde permanent mit einer Suppenkelle dagegen schlagen.

»Keine Sorge. Ich lege nicht im geringsten Wert auf deine unersprießliche Gesellschaft. Ich wollte nur sicherstellen, dass mein DNS-Lieferant den Überfall unbeschadet überstanden hat.«

Ich holte tief Luft und schnaufte Nolan mitten ins Gesicht. »Überzeugt?«

Angewidert zog er die Brauen in die Höhe. »Vollkommen ausreichend.« Nolan wandte sich zum Gehen, drehte sich dann aber kurz noch mal um. »Es wäre ratsam, wenn du dich fügen würdest, Odarka.«

»Sonst was?«, erkundigte ich mich angriffslustig. Der Tag war schon beschissen genug! Musste ich mir jetzt auch noch von einem alten Sack drohen lassen?

»Insha ist abgehauen und wird auch nicht wiederkommen. Das weißt du. Somit bin ich jetzt wohl dein einziger Freund.« Nolan grinste mich erhaben an. Er schien sich sichtlich darüber zu freuen, mir diesen Seitenhieb verpassen zu können.

»Meine Schwester ist nicht abgehauen! Sie ist entführt worden, Sie dämlicher Lackaffe!«

Nolan schaute mich mitleidig an. »Sie ist nicht entführt worden.«

»Ach nein? Wie nennen Sie es sonst, wenn man mit einem Gas bewusstlos gemacht und danach verschleppt wird?« Ich knirschte erneut mit den Zähnen. War der Typ nur bescheuert? Wie konnte man das unter den gegebenen Umständen leugnen?!

Nolan erwiderte nichts, doch ich war nicht mehr zu bremsen.

»Mir ist unbegreiflich, wie Sie in einer Arschruhe hier dumm herumstehen können und einfach mal nichts tun, anstatt alle Hebel in Bewegung zu setzen und sie zu suchen?! Ehrlich! Sie sind die fleischgewordene Nutzlosigkeit par excellence! Jemand, der noch überflüssiger ist als Sie, kann nur tot sein!«

Meine Wutrede entlockte Nolan ein feistes Grinsen. »Red dir ein, was du willst, Kind. Suchen tun wir deine Schwester jedenfalls nicht aus dem einfachen Grund, weil es pure Ressourcenverschwendung wäre.«

Ungläubig glotzte ich ihn an. »Wie bitte? Seit wann das denn? Sonst wurden wir mit einem regelrechten Großaufgebot an Militär zurückgeholt und jetzt ist es auf einmal … egal?!« Ich konnte nicht verhindern, dass meine Stimme vor Fassungslosigkeit gegen Satzende immer höher wurde.

»Seit deine Schwester mir vor ihrer Verabschiedung noch ausreichend Material für weitere Superiors überlassen hat.«

Ich schluckte. Verabschiedung?

»Schau nicht so argwöhnisch. Sich selbst zu …«, begann Nolan, doch ich unterbrach ihn wütend.

»Sie lügen!«, beschuldigte ich ihn. Was bildete sich diese Witzfigur eigentlich ein, solche Unwahrheiten über meine Schwester zu verbreiten?

»Nun ja … Wortwörtlich sagte sie, dass es das letzte Mal gewesen sei. Wie würdest du das denn sonst interpretieren, wenn nicht als Verabschiedung? Dass sie bleibt, es aber das letzte Mal war, weil sie sich in Zukunft gegen die Valastro-Brüder zu Wehr setzen möchte?« Nolan lachte schallend auf. »Und außerdem: Wieso sollte ich lügen?«

»Weil … weil Sie ein Arsch sind!« Ich versuchte mir meine aufkeimende Unsicherheit nicht anmerken zu lassen, doch … hatte sie das wirklich gesagt? Nein! Ganz sicher nicht! Insha würde mich nie hier zurücklassen!

»Sehr geistreich, Odarka. Sehr geistreich. Warum haben sie dich dann nicht ebenfalls mitgenommen?«, fragte Nolan und sah mich rechthaberisch an.

Oh, wie ich diesen Kerl hasste! Trotzdem zögerte ich. Das war tatsächlich eine gute Frage. Doch bevor ich irgendetwas darauf antworten konnte, sprach Nolan weiter.

»Na siehst du. Soll ich es dir beantworten? Weil du unerwünscht bist. Hast du nicht gesehen, wie dein Schwesterchen diesen jungen, stattlichen Mann angeschaut hat? Mal abgesehen davon, dass du das dritte Rad am Wagen wärst, wäre Insha schön blöd, wenn sie sich eine optisch identische Konkurrenz ins Haus holt. Insha mag vielleicht nicht so vorlaut und unangenehm sein wie du, aber dumm ist sie wahrlich nicht. Nur … überlegter … Ein Attribut, welches dir im Übrigen auch gut stände und dessen Fehlen sicherlich auch der Grund dafür sein wird, warum du zurückgelassen wurdest.«

»Was für ein dummer, beschissener Blödsinn! Diese Typen haben meine Schwester entführt! Und wenn Sie mir nicht helfen, sie zu suchen, werde ich es alleine tun!«, gab ich entschlossen zurück und funkelte Nolan vernichtend an.

»Glaub von mir aus, was du willst, Kind. Aber DAS kann ich wiederum nicht zulassen …«, erwiderte er seelenruhig und steckte sich ein Pfefferminz in den Mund.

»Pfff! Und warum? Wenn Sie plötzlich auf Insha verzichten können, dann wohl auch auf mich«, hielt ich dagegen. Ich meine, das war doch nur logisch!

»Aufgrund deiner DNS«, war die knappe Antwort.

Ich schnaubte genervt. »Dann zapfen Sie mir halt genug DNS für Ihre kranken Spielchen ab und lassen mich danach gehen!«, forderte ich.

»Das kommt unter gar keinen Umständen infrage.« Nolan, immer noch die Ruhe selbst. Er war so gelassen, so gleichgültig. Das machte mich aggressiv!

»Wieso nicht?!«, verlangte ich zu wissen.

Nolan ging von der Tür weg und baute sich erhaben vor mir auf. »Dir dürfte nicht entgangen sein, dass ich in meiner unübertroffenen Genialität mit der zu erwartenden, zweifellosen Selbstverständlichkeit das bis dato Unmögliche möglich gemacht und den ersten Superior erschaffen habe, oder?«

Ich warf Nolan einen angewiderten Blick zu. »Ja, Ihre unerträgliche Selbstbeweihräucherung war ja nicht zu überhören«, entgegnete ich bissig.

»Ehre, wem Ehre gebührt, meine Liebe«, kommentierte Nolan mit einem selbstgefälligen Grinsen.

»Das beantwortet aber nicht meine Frage. Im Gegenteil! Gerade wenn Sie es doch geschafft haben, unsere DNS zu übertragen …«, sagte ich, doch ich wurde unterbrochen.

»Noch bevor ich Einsicht in Harris’ stümperhafte Forschungsergebnisse genommen hatte, war sein Fehler bereits so offensichtlich, dass er jedem grenzdebilen Kleinkind hätte auffallen müssen. Aber gut …« Nolan winkte ab und stieß ein gehässiges Gelächter aus. »Was will man von so jemandem auch erwarten? Einmal Zweiter, immer Zweiter.«

Ich verdrehte die Augen. Ging das schon wieder los? Gleichzeitig war ich aber auch ein bisschen beeindruckt, dass noch nicht einer den anderen um die Ecke gebracht hatte. Ich meine, wenn die sich permanent verbal so attackierten, wäre es doch nur naheliegend, wenn einem von beiden irgendwann mal der Geduldsfaden riss. Aber nein, beide lebten noch. Chapeau! So viel Selbstbeherrschung musste man erst mal aufbringen! Insbesondere wenn man Harris war und am laufenden Band von Nolan gepiesackt wurde.

»Interessiert es dich denn gar nicht, wie ich es geschafft habe? Obwohl … Verzeih diese ungeschickte Wortwahl. Geschafft impliziert ja indirekt, dass das Ergebnis womöglich negativ hätte ausfallen können. Aber da ich höchstpersönlich die Gene der Probanden bearbeitet habe, steht das natürlich vollkommen außer Frage. Also? Ich dachte, du wärst so wissbegierig?«, hakte Nolan nach und schaute mich auffordernd an.

»Ich kotz gleich …«, war alles, was mir dazu einfiel, doch das hielt Nolan nicht von seiner persönlichen Lobeshymne ab. Andererseits war fraglich, ob überhaupt irgendetwas diesen eingebildeten Stinkstiefel davon abhalten könnte.

»Du und Insha, ihr seid eineiige Zwillinge. Nur ein dilettantischer Amateur wie Harris konnte nicht erkennen, dass eure Fähigkeiten eigentlich zusammengehören und sie auch nur in Kombination funktionieren.«

Ich kniff die Brauen zusammen und schaute ihn fragend an. »Was soll das heißen?«

Nolan grinste überlegen. Offenbar erfreut, dass er doch mein Interesse geweckt hatte, damit er seinen Lobgesang ungeniert fortführen konnte. Aber das hätte er sowieso getan. Ich kannte keinen Menschen, der so gerne und so selbstverherrlichend von sich selbst sprach wie er.

»Ihr seid eineiig. Das heißt, abgesehen von deinem unliebsamen Charakter seid ihr identisch. Und das wiederum bedeutet, dass ihr auch die gleichen Fähigkeiten hättet haben müssen, da diese gemäß eurer DNS zu euren körperlichen Eigenschaften gehören. Da das aber nicht der Fall ist, sieht selbst ein blinder mit Krückstock, dass eure jeweilige Fähigkeit eigentlich eins ist und nur aufgrund eures Zwillingsdaseins gespalten wurde beziehungsweise sich auf beide Embryonen aufgeteilt hat.« Nolan sah mich an, als wollte er ein Kompliment für seinen Durchbruch hören, doch eher würde ich mir die Zunge abbeißen und selbst verschlucken.

Ich starrte unbeeindruckt zurück, in sein arrogantes Gesicht und in seine vor Hochmut blitzenden Augen. »Das heißt, wenn Sie den Probanden Inshas und meine DNS verabreichen, klappt die Symbiose?«, fasste ich zusammen. Ich wusste nicht, ob ich fasziniert oder eher besorgt sein sollte. Vermutlich eher letzteres, aber wenn ich ehrlich war, fand ich das Ganze schon ein Stück weit spannend. Immerhin versuchte man hier zeit unseres Lebens unsere Fähigkeiten auf andere zu übertragen und dann kam plötzlich dieser unsägliche Mensch um die Ecke und hatte es geschafft? Und das innerhalb kürzester Zeit? Das war schon irgendwie unglaublich …

Nolan lächelte feist. »Exakt das ist das Geheimnis. Ich bin hocherfreut, dass hier wohl nicht ausschließlich Blindgänger herumlaufen. Zwar unerträgliche, widerspenstige …«

Ich schnitt ihm das Wort ab. »Dito, Nolan. Dito. Aber wunderbar! Jetzt, wo das Geheimnis gelüftet ist, kann man Sie ja wieder in das Loch stecken, aus dem Sie gekrochen sind, und jemand anderes übernimmt Ihren Job.«

Nolan lachte. »Du verlangst, dass ich für diesen wissenschaftlichen Durchbruch zurück ins Gefängnis gehe? Das wäre aber eine sehr negative Konditionierung.«

»Natürlich! Wer eine Straftat begeht, sollte diese auch büßen müssen!«, erwiderte ich vollkommen überzeugt. Wo kämen wir denn dahin, wenn man seine Strafe umgehen könnte?! Egal wodurch? Genau dahin, wo wir jetzt sind, meldete sich mein Hirn und dachte an die ganzen Attentate und Anschläge, weswegen das WDP ja überhaupt gegründet worden war.

»Du hast doch überhaupt keine Ahnung, warum ich eingesessen habe, Kleine«, entgegnete Nolan unberührt.

»Vermutlich, weil Sie permanent Frauen als Kleine bezeichnet haben. Aber da Sie sich diesbezüglich ausnahmsweise mal in vornehmes Schweigen hüllen, kann ich es nicht genau wissen. Übrigens irritierend, da Sie ja sonst so gerne und viel über sich reden …«, antwortete ich genauso trocken.

»Ich hatte nicht gedacht, dass du so an meinem Werdegang interessiert bist. Aber wie konnte ich. Natürlich bist du das. Wie jeder. Selbst das Leben von angeblichen Stars scheint den Pöbel zu fesseln und die können noch nicht mal irgendetwas.« Nolan lachte wieder und fuhr fort: »Um deinen Wissensdurst nach meiner wertvollen Person jedoch zu befriedigen: Mir wurde vorgeworfen, Gott gespielt zu haben. Was bei genauerer Betrachtung wirklich eine Farce ist. Man verurteilt Katzen ja auch nicht dafür, Katzen zu sein …«

Fassungslos starrte ich ihn an. Nolan hatte wohl gerade sein Höchstmaß an Selbstvergötterung erreicht. Gleichzeitig bekam ich eine Gänsehaut am ganzen Körper. Ich war unsicher, ob das die typische Gänsehaut war, die man für gewöhnlich bekam, kurz bevor man kotzen musste, oder ob mich seine Aussage so schockierte. Die Selbstsicherheit, wie er permanent predigte gottgleich zu sein, und der Gedanke, was ein Mensch mit solch einer fatalen Selbstüberschätzung, der gleichzeitig auch Macht besaß, alles anrichten konnte, ließen mich schaudern. Ich schluckte laut.

»So beeindruckt? Zu Recht, meine Liebe. Zu Recht. Des Weiteren gibt es auch keinen anderen, der meine Arbeit übernehmen könnte. Das ist der unangefochtene Vorteil, wenn man die Nummer Eins ist. Auf solch einer hohen Ebene der Intelligenz ist man nun mal völlig konkurrenzlos.« Nolan streckte sich und reckte den Kopf erhaben in die Höhe.

»Gut, schön für Sie. Bleiben Sie hier, wenn Sie so gerne hier sind. Ich für meinen Teil muss Sie allerdings nicht weiter ertragen, deswegen werde ich gehen«, klärte ich ihn auf und wollte mich an ihm vorbeischieben, da stellte er sich mir in den Weg.

»Wie ich schon sagte: Du gehst nirgendwohin.«

Ich zog missmutig die Brauen in die Höhe. Sein alter, dicklicher Körper beeindruckte mich herzlich wenig. Das einzig Gefährliche an ihm war sein Gehirn. »Was geht Sie das überhaupt noch an? Sie haben doch jetzt alles, was Sie wollten«, sagte ich verständnislos.

»Es liegt an deiner DNS.«

Ich schnaubte genervt. »Ich habe Ihnen doch schon angeboten, dass Sie sich noch etwas als Reserve abzapfen dürfen.«

Nolan begann schallend zu lachen. »Dürfen … Schätzchen, wieso sollte ich eine Tüte Milch kaufen, wenn ich die ganze Kuh haben kann?«

»Weil die Kuh Sie sonst auf die Hörner nimmt«, erwiderte ich grimmig.

Nolan lachte lauter. »Du willst mir drohen? Soll das ein Witz sein?«

»Mein Angebot steht. Entweder entnehmen Sie noch etwas von meiner DNS und dann gehe ich – oder ich gehe direkt. Die Entscheidung liegt bei Ihnen.« Entschlossen starrte ich ihm in die Augen und wartete auf seine Reaktion.

»Spätzchen, das war kein Scherz. Wenn ich sage, du gehst nirgendwohin, dann gehst du nirgendwohin. Und zwar niemals!«

»Sie ticken wohl nicht sauber! Das werden wir ja sehen … Und hören Sie verdammt noch mal auf, mich ständig mit solchen herabwürdigenden Kosenamen anzusprechen. Ich bin weder Ihr Schätzchen noch Ihr Spätzchen noch sonst irgendwas!« Wütend griff ich nach meiner Jacke und wollte an ihm vorbeirempeln, da packte mich Nolan fest am Arm. Etwas verdutzt, dass dieser alte Mensch doch noch so viel Kraft besaß, hielt ich kurz inne.

»Wie ich sagte: Das war kein Scherz! Eure alleinige DNS ist zur Reproduktion nutzlos. In Kombination könnte man allerdings vielerlei Unfug damit treiben«, sagte Nolan und hielt meinen Arm weiter fest umschlossen.

»Andere müssen ja erst mal herausfinden, dass wir Fähigkeiten haben, die andere nicht besitzen. Mit so was rechnet ja niemand. Und selbst wenn sie das wüssten, müssen sie wiederum erst mal herausfinden, wie man unsere Fähigkeiten reproduziert, und da Sie ja angeblich das alleinige Recht auf Intelligenz gepachtet haben, wird das nicht passieren, also kein Grund zur Sorge«, entgegnete ich rechthaberisch und musterte ihn abwartend. Immerhin waren das ja seine Worte.

»Warst du nicht der festen Überzeugung, dass Insha entführt wurde? Wenn dem wirklich so sein sollte, warum glaubst du, hat man sie entführt?«

»Sie ziehen es also doch in Erwägung!«, schrie ich empört, doch Nolan schüttelte gelassen den Kopf.

»Nein. Ich zeige dir lediglich einen weiteren Grund auf, warum ich dich auf keinen Fall gehen lassen kann. Zudem weiß dank der Medien die ganze Welt, was wir erreicht haben und …«

Wütend schnitt ich Nolan das Wort ab. »Das ist doch wohl Ihre schuld! Hätten Sie das nicht großkotzig in der Öffentlichkeit breittreten müssen, wüsste niemand irgendetwas!«

Nolan schnaubte amüsiert. »Du glaubst doch nicht ernsthaft, ich würde deine Freiheit über meinen unangefochtenen Ruf als Nummer Eins in der Genforschung stellen? Liebes, das wäre selbst für deinen Intellekt ein neuer Tiefpunkt.«

Ich knirschte mit den Zähnen, dass es wehtat, doch das erzürnte mich nur noch mehr. Oh, wie ich diesen verabscheuungswürdigen Menschen hasste! »Dafür bleiben Sie für den Rest Ihres Lebens der Wissenschaftler, der nach Harris engagiert wurde. Oder um es in Ihren Worten auszudrücken: Sie waren die zweite Wahl«, antwortete ich gehässig und dachte siegessicher, Nolan zumindest verbal an den Eiern gepackt zu haben, doch dieser fing plötzlich an zu schmunzeln.

»Das war ein netter Versuch, Odarka, aber wir wissen doch beide, dass meine verzögerte Anstellung andere Gründe hatte. Mein unangefochtener Ruf und mein einzigartiges Können sind so beispiellos, dass man mich sogar freiwillig aus dem Gefängnis holt, um mich um Hilfe zu bitten.«

Ich runzelte die Stirn. Egal was man tat oder sagte, sein Selbstbewusstsein war einfach unerschütterlich. »Wie auch immer. Selbst wenn man weltweit von uns und Ihren Superiors gehört haben sollte, betrifft mich das noch lange nicht. Schließlich bin ich nicht der tolle Wissenschaftler, der das Geheimnis gelüftet hat, sondern lediglich der Genträger. Was kann ich schon wissen. Also lassen Sie mich jetzt durch.«

Nolan wich jedoch keinen Meter beiseite. »Willst du das nicht verstehen? Oder kannst du nicht? Nicht dass ich mir Sorgen um dich machen würde – jeder erhält, was er verdient, aber ist dir wirklich nicht klar, dass andere einfach davon ausgehen könnten, dass du alles weißt, und dich so lange foltern würden, bis du ihnen sagst, wonach ihr minderer Verstand lechzt? Oder Insha? Selbst wenn du glaubhaft versichern würdest, nichts zu wissen – wozu du dank deiner geistigen Einschränkungen durchaus in der Lage wärst –, könnten sie diesem Institut drohen, dich so lange zu foltern, bis ich ihnen das Gewünschte preisgebe. Dumm nur, dass sie über unser Verhältnis nichts wissen und ich sicherlich keine sensiblen Daten gegen deine Unversehrtheit tauschen würde. Davon mal abgesehen, müsste auch niemand wissen, wie man eure Fähigkeiten auf andere projiziert. Du allein würdest reichen. Oder auch Insha. Ihr habt zwar alleine nicht so eine große Macht, wie eine ganze Truppe das hätte, aber nichtsdestotrotz könnte man mit eurer Hilfe Menschen umbringen, die einem gerade im Weg sind. Oder man könnte euch benutzen, um …«

»Es rührt mich ja fast, wie sehr sie dabei an mich denken, aber sie vergessen einen ganz wichtigen Aspekt«, unterbrach ich ihn.

Nolan horchte auf. »Und der wäre?«

»Die anderen können sich nicht so wie Sie hinter einem Neutralisator verstecken, somit wäre es verdammt unklug, mich anzugreifen. Sollte man also Hand an Insha oder mich legen, jage ich einfach ihren Blutdruck so in die Höhe, dass ihr komplettes Herzkreislaufsystem zerfetzt wird«, konterte ich und hoffte unbeeindruckt zu wirken, doch allein der Gedanke daran, dass man Insha foltern könnte, ließ mich schwer schlucken.

Nolan nickte anerkennend. »Ich mag, wohin deine Gedanken gehen, wenn du Insha bedroht siehst. Unter anderen Umständen hätten wir bestimmt gute Freunde werden können.«

»Niemals!«, schoss es sofort aus mir heraus.

Nolan seufzte. »Dann nicht. Ist dir denn wenigstens aufgefallen, dass du gerade eine deiner Theorien selbst widerlegt hast? Welche, überlasse ich dir …«

Ich überlegte. Was meinte er? Doch bevor ich was dazu sagen konnte, ergriff Nolan natürlich erneut das Wort.

»Hab ich’s mir doch gedacht.« Er schüttelte mitleidig den Kopf. »Wenn Insha entführt worden wäre, warum manipuliert sie dann nicht ihre Entführer und kommt zurück? Antwort A: Sie wurde nicht entführt. Antwort B: Dein Plan, dich mit deinen Kräften zu wehren, funktioniert offenbar nicht.«

Ich schaute Nolan an. Ich hatte keine Ahnung, was ich dazu sagen sollte. So sehr mir das missfiel, aber das war wirklich eine gute Frage. Ein Grund mehr, mich auf den Weg zu machen und sie zu finden.

Nolan schüttelte den Kopf und grinste. »Ach, Odarka. Du schaust gerade wie ein Hund, dem man den Napf weggenommen hat.«

»Insha hätte mich nie allein zurückgelassen, also sparen Sie sich den Versuch, uns gegeneinander aufhetzen zu wollen. Das wird sowieso nicht funktionieren. Ich werde sie suchen. Da können Sie sich auf den Kopf stellen!«

»Warum sollte ich so etwas Törichtes tun? Du wirst nicht gehen. Fertig.«

»Das ist nicht Ihre Entscheidung!«, hielt ich wütend dagegen.

»Du willst also wirklich lieber wieder irgendwo als Versuchskaninchen enden oder als krimineller Handlanger? Lieber, als hier zu bleiben?« Nolan sah tatsächlich überrascht aus. Ihm war offenbar fremd, dass man ein anderes Leben über das eigene stellte.

»Ich wäre lieber tot, als hier zu bleiben!«, sagte ich und sah ihm fest in die Augen.

»Tja … Das ist in der Tat bedauerlich, aber so sei es. Egal ob Insha jetzt in den Flitterwochen ist oder irgendwo festgezurrt auf einer Liege in einem Versuchslabor liegt. Sie wird so oder so ohne dich klarkommen müssen, denn du wirst dieses Institut nur tot verlassen. Finde dich damit ab!«

2. Kapitel

Insha

»Wann holen wir Odarka endlich zu uns?«, fragte ich ungeduldig und lief in dem Zimmer, in dem ich seit gestern nach unserer Rettungsaktion untergebracht war, auf und ab.

»Ich kann deine Ungeduld verstehen, Insha, aber ich fürchte, da musst du dich noch ein bisschen gedulden. Wir müssen erst mal schauen, welche Auswirkungen der gestrige Tag mit seinen Ereignissen auf alles Weitere hat«, antwortete mir Dale, der mit mir in meinem Zimmer wartete.

Ich seufzte laut.

»Reeve wird bestimmt gleich mit neuen Informationen wiederkommen. So lange wirst du es wohl noch aushalten …«, sagte er verständnisvoll und schenkte mir ein Lächeln.

»Wo ist er überhaupt?« Reeve hatte urplötzlich das Zimmer verlassen und war seitdem nicht wieder aufgetaucht.

»Dinge klären«, war Dales knappe Antwort.

Aha. Auffordernd sah ich ihn an.

»Ich habe keine Ahnung, aber so merkwürdig verhält er sich immer, wenn es um irgendeinen internen Scheiß geht …«

»Ah … und den darf ich nicht wissen. Schon klar …« Ich schnaubte genervt. Zum einen war ich ungeduldig wegen Odarka und zum anderen hasste ich es, nicht Bescheid zu wissen.

»Falls es dich tröstet: Ich auch nicht«, entgegnete Dale.

»Du? Warum du denn nicht? Du gehörst doch dazu?«, fragte ich erstaunt und schaute ihn prüfend an.

»Reeve ist ein Sergeant. Um genau zu sein, sogar ein Sergeant First Class.«

Ich nickte zwar anerkennend, einfach weil es sich wichtig anhörte, doch ich hatte absolut keine Ahnung, was mir das sagen sollte. Dale interpretierte meinen Blick richtig.

»Du hast keinen Schimmer, oder?«, fragte er belustigt.

»Nein«, erwiderte ich und grinste schief.

»Ich bin nur ein Private. Das bedeutet, Reeve steht ganze sechs Dienstgrade über mir«, erklärte Dale.

»Aha … und weil du ein Private bist, erzählen sie dir nichts, oder wie?« Ich kannte dieses System, dass nur ausgewählte Personen bestimmte Informationen haben durften, bereits vom WDP, aber ich dachte, da Reeve und Dale so gut befreundet waren, erzählten sie sich gegenseitig alles.

»In gewisser Weise ja. Je höher dein Rang, desto mehr Informationen sind dir zugänglich«, bestätigte Dale meine Vermutung.

»Und Reeve erzählt dir auch nichts?«, fragte ich überrascht.

»Nein, aber das ist okay. Ich würde ihn auch nie in die Bredouille bringen und ihn danach fragen, da ich weiß, dass er ein sehr loyaler Mensch ist und dann zwischen mir und den Menschen, die ihn bei der Suche nach Noah unterstützt haben, entscheiden müsste.«

Ich nickte verstehend. Reeve schien sein kleiner Bruder Noah alles zu bedeuten. Natürlich würde er die Menschen, die ihm geholfen hatten, nicht hintergehen wollen. Dennoch fragte ich mich …

»Alles klar?«, unterbrach Dale meine Gedanken.

»Äh … Ja, warum?«

»Du schaust so komisch …«

Ich wich Dales Blick aus, da ich überlegte, ob ich das wirklich ansprechen sollte. Ich wollte keineswegs unhöflich sein, aber es interessierte mich einfach.

»Ich … ähm …«, begann ich zaghaft.

Nachdem ich nicht weitersprach, hakte Dale nach. »Du, ähm?«

»Ach … Ich hatte mich nur gefragt, da du ja schon länger dabei bist …« Ich ließ den Satz offen. Ich wollte nicht direkt nachfragen, wie es sein konnte, dass Reeve trotz kürzerer Zugehörigkeit so weit über ihm stand, doch Dale hatte trotzdem sofort kapiert, auf was ich hinauswollte. Zum Glück fühlte er sich aber nicht angegriffen, sondern nahm es mit Humor.

»Das stimmt. Ich bin mehr oder weniger seit der Gründung der GB – also der Gegenbewegung – dabei, aber ich hatte nie viel übrig für dieses ganze Kampfgedöns. Ich arbeite lieber mit dem Kopf; wollte die GB mit Wissen unterstützen und nicht mit Muskelkraft, die ich sowieso nicht habe. Wie man sieht, nasche ich auch lieber, als meine wertvoll angefutterten Speckröllchen mit Sport zu malträtieren.« Dale grinste verschmitzt, woraufhin ich lächeln musste.

»Das finde ich eine sehr gute Einstellung und kann das absolut nachvollziehen. Ich bin auch gegen alles, was anderen Menschen schadet. Aber darf ich fragen, wie du dann ausgerechnet hierhergekommen bist? Ich meine, dein Köpfchen hättest du sicher auch in anderen Branchen nutzen können, oder?«

»Ja, schon. Aber nachdem meine Mom – sie war Lehrerin – bei einem Amoklauf ums Leben gekommen war, hatte sich mein Dad gewünscht, dass ich mithelfe, etwas gegen solche Verbrecher zu unternehmen«, erklärte Dale und seufzte laut.

»Das tut mir leid, Dale«, sagte ich mitfühlend und ergriff seine Hand, doch er zog sie schlagartig weg. Irritiert schaute ich ihn an.

»Nicht. Sonst fang ich noch an zu heulen und kann meine Karriere als tougher Bad Boy ganz vergessen.« Dale wollte witzig sein und rang sich ein Lächeln ab, doch in seinen Augen standen Tränen und ich sah die tiefe Trauer, die sich darin verbarg.

»Es ist okay zu weinen, wenn einem danach ist«, sagte ich.

»Nicht für einen Mann, Insha.«

»Für jeden«, korrigierte ich.

Dale schnaubte. »Das sag mal meinem Vater.«

Verdutzt sah ich ihn an. »Du hast deine Mom verloren! Und dein Vater seine Frau! Hat er etwa nicht geweint?«

Dale schüttelte den Kopf. »Nein. Er meint, weinen ist nur was für Schwächlinge.«

»Oh, okay. Was für eine antiquierte Einstellung.« Ich rümpfte pikiert die Nase. »Wann ist das denn mit deiner Mom passiert?«

»Letzte Woche Dienstag vor sieben Jahren.« Dale senkte betrübt den Blick. Allein schon dass er nicht einfach nur das Datum genannt hatte, sprach dafür, wie sehr er sie vermisste. Ich schluckte. Dale tat mir schrecklich leid, aber nicht nur weil er seine Mom verloren hatte, sondern auch weil er so einen gefühllosen Vater hatte. Dann lieber gar keinen, würde Odarka jetzt sagen. Recht hatte sie.

»Und was ist mit deinem Dad? Entschuldige, wenn ich so indiskret frage, aber wenn ihm so viel daran gelegen ist, seine Frau – ich nenne es mal – zu rächen, wollte er dann nicht lieber selbst …« Ich ließ den Satz wieder offen, weil mir das dann doch zu unverschämt vorkam.

»Schon okay.« Dale seufzte schwermütig. »Weißt du, Insha, seit meine Mom tot ist, hat sich in unserer Familie vieles verändert – insbesondere mein Dad. Er ist von einem einst lieben, gemütlichen Bäcker zu einem rachsüchtigen Individuum geworden, der nach Moms Tod dieser Bewegung beigetreten ist, weil er – ich zitiere – ›die Schweine kaltmachen will‹. Früher wäre so eine Äußerung von ihm undenkbar gewesen.«

»Das tut mir leid«, sagte ich wieder. Ich wusste, dass ich mich wiederholte, doch ich hatte keine Ahnung, was ich sonst dazu sagen sollte.

»Ich weiß nicht, was ich besser gefunden hätte. Dass er sich zu Hause verkriecht und nicht mehr vor die Tür geht oder das, was jetzt aus ihm geworden ist. Ich wünschte, er wäre einfach normal geblieben, aber …« Wieder ein tiefer Seufzer von ihm. »Wenigstens scheint er hier seine Passion gefunden zu haben, die ihm seinen Lebenswillen zurückgegeben hat. Das war nämlich nicht immer so.«

»Das klingt wirklich tragisch, Dale.« Ich legte meine Hand auf seinen Arm und streichelte zaghaft darüber.

Dale blickte auf und lächelte leicht. »Na ja, wenigstens ist mein Dad hier mittlerweile Lieutenant und somit einer der Obermacker. Hat auch seine Vorteile.«

Ich nickte. Das konnte ich mir gut vorstellen. »Und wie ist diese Gegenbewegung entstanden?«

»Am Anfang war sie nur ein Zusammenschluss von Eltern, deren Kinder entführt wurden und denen die Polizei so wie bei Reeve nicht oder nur halbherzig geholfen hat. Sie hatten die Hoffnung, wenn sie sich zusammentun, könnten sie mehr erreichen.«

»Das klingt ja erst mal vernünftig«, bestätigte ich.

»Das ist es auch. Sie begannen Vermisstenanzeigen zu schalten, suchten mittels Drohnen die Umgebung ab und hängten unzählige Suchblätter auf. Irgendwann kam dann der entscheidende Tipp, dass sich die Kinder in dem abgelegenen Kinderheim befinden, und ja … dann kam der Stein ins Rollen«, erzählte Dale weiter.

»Und das heißt?«, hakte ich nach. Ich fand das schon bewundernswert, dass sich diese Gegenbewegung aus mutigen Eltern zusammengeschlossen hatte.

»Wir haben herausgefunden, dass euer Institut nicht nur die Kinder entführt hat, sondern auch Kriegstreiber Nummer Eins ist und durch die Förderung der Kriminalität die Bevölkerung in Angst und Schrecken versetzen will.«

Nachdenklich sah ich Dale an. »Hmm … okay … Das mit den Kindern ist unbestreitbar, aber wieso sollte das WDP ein Interesse daran haben, die Bevölkerung zu ängstigen?«

»Das ist leicht zu erklären, Insha. Menschen, die Angst haben, sind viel leichter zu lenken. Sie akzeptieren neue Gebote – oder auch Verbote, selbst wenn sie gegen ihre Rechte verstoßen, viel bereitwilliger, solange man ihnen diese nur mit dem richtigen Grund verkauft. Und der Grund ist in diesem Fall eine angeblich daraus resultierende Sicherheit«, antwortete Dale.

»Und was soll das Ziel von alldem sein?«

»Eine Diktatur.«

»Eine Diktatur?«, fragte ich nach.

»Das ist eine Herrschaftsform, bei der eine Person – der Diktator oder eine bestimmte Gruppe, zum Beispiel eine Partei – unbeschränkte politische Macht hat«, erklärte Dale selbstsicher, doch ich rollte mit den Augen.

»Ich weiß, was eine Diktatur ist. Aber warum, glaubt ihr, will das WDP eine Diktatur errichten? Zu welchem Zweck?«

»Zu welchem Zweck? Ernsthaft? Macht, Geld, Kontrolle der Bürger, Ausbeutung der Menschen, Eroberung anderer Länder, Ressourcenerbeutung wie zum Beispiel das Öl der Saudis … Soll ich weitermachen? Und wenn du der Diktator bist oder zur Gruppe der Diktatoren gehörst, bestimmst du, was gemacht wird, und nicht wie in einer Demokratie, wo die politischen Entscheidungen nach dem Willen des Volkes getroffen werden. Also, im besten Fall natürlich. So ganz sicher sein kann man sich bei diesem korrupten Politikerpack ja auch nicht!«, legte Dale wütend los, doch ich unterbrach ihn.

»Okay, okay … ist ja schon gut. Das WDP will alles an sich reißen und alle Politiker sind korrupt. Ich hab’s verstanden«, sagte ich und hob beschwichtigend die Hände.

»In einer Diktatur können sie ihre Interessen ohne großen Widerstand durchsetzen. Insbesondere dann, wenn die Menschen glauben, alles geschehe zu ihrem besten«, fügte Dale nun etwas ruhiger hinzu. Ich atmete tief durch.

»Das Thema Diktatur hatten wir bei Ira, also unserem Lehrer, bereits mehrfach im Unterricht behandelt. Nur dass wir aus seiner Sicht die Guten waren und die Superiors erschaffen werden sollten, um die Kriminalität einzudämmen und nicht um sie zu fördern und sie so für die Errichtung einer Diktatur zu missbrauchen«, erwiderte ich schwach.

»Siehst du, da haben wir es doch. Sie verkaufen euch ihre Gräueltaten als gute Tat.«

Entsetzt schaute ich Dale an. Sollte das wahr sein?

»Das ist schon harter Tobak, nicht wahr?« Mitfühlend blickte Dale mich an und nahm meine Hand.

Ich war irritiert von dieser Geste. Mein erster Impuls war, meine Hand sofort wegzuziehen, doch Dale meinte es bestimmt nur gut und wollte mich vermutlich ähnlich trösten, wie ich es zuvor getan hatte, als er von seiner verstorbenen Mutter erzählt hatte. »Schon gut, Dale.« Ich lächelte zaghaft und Dale drückte daraufhin meine Hand.

»Ich kann verstehen, wenn du daran zweifelst, was ich sage. Du wurdest über Jahre hinweg mit falschen Informationen gefüttert, aber denk daran, was sie mit den Kindern oder mit dir und deiner Schwester gemacht haben …«

»Ich weiß, Dale. Ich weiß. Es ist nur alles so …« Ich seufzte. »Die Menschen im WDP sind nett. Ich kann einfach nicht glauben, dass sie …« Doch Dale unterbrach mich.

»Das sagt auch niemand. Wir wissen nicht, wie krank dieser Harris ist. Gut möglich, dass er den Rest des WDPs genauso getäuscht hat wie euch und sie wirklich dachten, dass ihr zum Wohle der Bevölkerung handelt. Psychopathen können sehr überzeugend sein, Insha. Zudem haben die Untergeordneten selten Einblick in das, was die Führung beschließt. Von daher könnten viele auch einfach nicht gewusst haben, was da abgeht.«

Ich blickte nach unten. Ich wusste einfach nicht mehr, was ich noch glauben sollte. Wegen der Kinder hatte ich bei Harris schon weniger Gewissen vermutet, aber dass er so skrupellos sein sollte, fiel mir auch jetzt noch schwer zu glauben.

»Wenn’s dir hilft: Aktuell scheint dieser Harris die Wurzel allen Übels gewesen zu sein und alle anderen nur die Opfer. Von daher kannst du stolz sein deine Freunde vor Schlimmerem bewahrt zu haben und jetzt, nachdem man diesen Verrückten aus dem Verkehr gezogen hat, brauchen wir uns keine Sorgen mehr zu machen«, sagte Dale und bemühte sich um ein aufmunterndes Lächeln, doch ich hörte an seiner Stimme, dass das nicht das war, was er dachte. Skeptisch schaute ich Dale an.

»Das ist nicht das, was du denkst«, konfrontierte ich ihn direkt mit meinen Gedanken, woraufhin Dale schnell meinem Blick auswich. »Sieh mich an und sag mir, was du wirklich denkst«, forderte ich und sah ihn erwartungsvoll an. Dale seufzte.

»Ich mache mir Sorgen über das, was im Fernsehen kam«, antwortete er und blickte mich unsicher an.

»Das mit Nolan?«

Dale nickte. »Reeve und ich haben die Befürchtung, dass ein Psychopath gegen den nächsten ausgetauscht wurde …«

Ich schluckte. »Dann ist doch nicht alles vorbei?«

»Das wissen wir nicht, Insha. Das wird sich erst noch zeigen …«

Ich atmete tief durch und betete innerlich, dass sie sich irrten. Leider hatte ich so eine Vorahnung, dass dem nicht so war …

»Wir müssen einfach abwarten, Insha. Sich jetzt den Kopf zu zerbrechen, ohne Genaues zu wissen, hilft auch niemandem weiter.« Wieder lächelte Dale aufmunternd. Dieses Mal war es jedoch ehrlich.

»Du hast recht, Dale«, pflichtete ich ihm bei und lächelte zurück.

»Und, willst du sonst noch was über uns und die GB wissen? Das ist wenigstens ein Thema, bei dem ich mit Wissen glänzen kann und nicht spekulieren muss. Zumindest bei den meisten Sachen.« Dale grinste verschmitzt.

Ich nickte. »Du hast gesagt, die GB ist ein Zusammenschluss von Eltern – wieso dann diese militärische Rangordnung?«

»Ursprünglich waren es nur Eltern. Also die Gründer der GB, wenn man so will. Nach und nach kamen weitere Personen dazu. Personen, die zum Beispiel bei einem Attentat einen geliebten Menschen verloren haben und selbst aktiv werden wollten, weil ihnen die Regierung einfach zu wenig unternahm – wie auch mein Vater und ich. Einige der Männer und Frauen haben zuvor gedient und man war der Meinung, dass eine gewisse Struktur organisatorische Vorteile bringt, also haben wir diese auch für die GB übernommen«, erklärte Dale.

Wieder nickte ich. Das leuchtete mir ein. »Und wie werden diese Menschen auf euch aufmerksam? Ist die GB bekannt? Beziehungsweise weiß man, dass die GB existiert?« Ich überlegte, wie sie das organisierten. Richtig offiziell konnten sie es ja schlecht machen. Sollten Dales Befürchtungen über das WDP stimmen, hätte die Regierung gewiss etwas gegen diese Bewegung. Und das wäre sicher noch milde ausgedrückt.

»Indirekt. Natürlich weiß das WDP mittlerweile, dass es einen Untergrund gibt, aber das öffentlich bekanntgeben und somit unseren Standort verraten, können wir auf keinen Fall. Wir würden schneller ausradiert werden, als wir Piep sagen könnten …«, sagte Dale.

Das hatte ich mir gedacht. »Und wie bekommt ihr dann neue Mitglieder?«

»Wir haben sogenannte Späher. Frank und Henry sind … beziehungsweise waren zum Beispiel so welche.« Dales Gesichtsausdruck wurde beim Erwähnen der beiden traurig.

Ich senkte den Blick. Obwohl ich sie nicht kannte, tat es mir immer noch unglaublich leid, dass die beiden von Nolans Handlangern hingerichtet worden waren.

»Unsere Späher haben aber nicht nur euer Institut ausgekundschaftet«, fuhr Dale fort. »Sie haben sich auch auf Vermisstenanzeigen gemeldet und den Betroffenen Hilfe angeboten. Oder wir haben uns – oder vielmehr ich habe« – Dale grinste verlegen – »mich in das örtliche Polizeisystem eingehackt und Todesanzeigen von Attentaten gesichtet, woraufhin wir uns dann bei den trauernden Hinterbliebenen gemeldet haben. Die Menschen waren einfach froh über jegliche Unterstützung und sei es nur jemand zum Reden oder ein offenes Ohr gewesen, das ihnen zuhörte und sie in der schweren Zeit nicht allein ließ. Außerdem sind unsere Späher bei Beerdigungen anwesend und bieten dort den Verbliebenen an, sich uns anzuschließen und somit etwas gegen diesen ganzen Irrsinn tun zu können. Und wir können mit Stolz berichten: Die Quote der Menschen, die uns unterstützen möchte, liegt bei über 90 Prozent.«

Ich nickte wissend. »Das ist klar. Ihr trefft die Menschen in der schlimmsten Stunde ihres Lebens – wenn sie ein Kind vermissen oder einen geliebten Menschen beerdigen müssen. Kein Wunder, dass sie alle bei euch mitmachen wollen.«

Dale runzelte die Stirn. »Du klingst gerade so, als wäre das nichts Gutes? Wir müssen zusammenhalten und dürfen uns nicht spalten lassen, indem wir jeden anderen Menschen als potenziellen Attentäter ansehen. Und darauf wird es hinauslaufen, wenn wir nicht bald etwas gegen dieses Unrechtsregime unternehmen. Und je mehr wir sind, desto besser.«

»Das stimmt, aber …«, druckste ich herum. Natürlich musste man dem einen Riegel vorschieben, wenn das wirklich alles so sein sollte. Aber für mich hörte sich das alles irgendwie nach Krieg an und war es klug, einen Krieg durch einen anderen zu ersetzen? Fand ich nicht, deswegen versuchte ich erst mal vernünftig an die Sache heranzugehen. »Du hast recht mit dem, was du vorhin gesagt hast. Harris ist seines Amts enthoben worden. Wir sollten jetzt erst mal abwarten, wie es jetzt weitergeht, bevor voreilige Schlüsse gezogen werden.«

Dale legte mir seine Hand auf die Schulter. »Hab keine Angst, Insha. Wir betreiben Aufklärung. Wir führen keine Kriege.«

Ich seufzte. »Dein Wort in Gottes Ohr.«

»Na, ihr zwei? Versteht ihr euch gut?«, begrüßte uns Reeve mit Blick auf Dales Hand auf meiner Schulter, als er das Zimmer betrat.

»Kann man so sagen. Ich habe Insha ein bisschen über unsere Gegenbewegung erzählt«, informierte Dale ihn, woraufhin Reeve skeptisch die Brauen zusammenkniff. Was sollte das denn?

Irritiert schaute ich ihn an.

»Keine Sorge, Alter. Da ich hier ja selbst permanent in Unwissenheit gelassen werde, konnte ich keine hochgeheimen Informationen weitertratschen«, sagte Dale auf seine Reaktion hin. Seine Stimme klang leicht gekränkt. So ganz egal schien Dale doch nicht zu sein, dass er nicht wie Reeve mehr Informationen bekam.

»Du weißt viel mehr, als du wissen dürftest«, kam es daraufhin prompt zurück und obwohl man an Reeve keine Gefühlsregung erkennen konnte, hatte ich den Eindruck, er tadelte Dale.

»Ach, und woher? Ich bin doch nur ein einfacher Private …« Dale wollte sich verteidigen, doch er wurde von Reeve unterbrochen.

»Von mir, du Kindskopf!«, sagte Reeve und gab ihm eine liebevolle Kopfnuss.

Unfreiwillig musste ich lächeln. Wieder einmal erinnerten sie mich an Odarka und mich.

»Geht’s dir gut?«, fragte Reeve mich dann direkt. »Oder hat Dale dich in einer Flut von Wissen ertränkt?«

»Ey«, beschwerte sich Dale sofort, doch ich verneinte dies.

»Nein, es war sehr interessant. Außerdem hab ich mich über die Gesellschaft gefreut. Dann muss ich nicht permanent an Odarka denken.« Ich dachte, Odarka subtil zu erwähnen würde Reeve beiläufig daran erinnern, was er mir versprochen hatte – dass wir uns um Odarka kümmern würden. Doch Dale entlarvte mich, wenn auch vermutlich unbeabsichtigt.

»Sagt sie jetzt, obwohl ihre erste Frage gleich ihrer Schwester galt«, höhnte Dale, knuffte mich dabei aber freundschaftlich in meine Schulter.

»Ich dachte, ich frag lieber mal. Dale ist zwar ein helles Köpfchen, aber er neigt schon mal dazu, seine Gesprächspartner extremst zu langweilen«, sagte Reeve und grinste dabei frech.

Dale streckte ihm daraufhin die Zunge heraus. »Kein Wunder, dass ich nie eine abkrieg, wenn du immer mit deinen Muckis vor den Mädels rumbalzt und mich schlecht machst«, schnaubte Dale eingeschnappt.

»Rumbalzt? Was hab ich denn gemacht? Und was heißt überhaupt immer? Als hätten wir hier jemals großartig Damenbesuch gehabt!«, verteidigte sich Reeve pikiert, doch jetzt fing Dale an zu grinsen.

»Ha! Du gibst es also zu!«, triumphierte er schadenfroh, woraufhin Reeve die Augen verdrehte.

Dann seufzte Dale ergeben. »Natürlich hast du nichts gemacht. Das ist es ja. Und trotzdem hast du sofort ihre Aufmerksamkeit …«

»Ich denke, sie ist nur höflich«, entgegnete Reeve und klopfte Dale freundschaftlich auf die Schulter.

»Entschuldigung, könnt ihr mal aufhören über mich zu reden, als wäre ich nicht anwesend?«, beschwerte ich mich.

Betroffen schauten die beiden mich an. »Sorry«, kam es zeitgleich aus ihren Mündern.

Ich lächelte. »Was machen wir jetzt? Holen wir Odarka?«, fragte ich voller Vorfreude, doch Reeve und Dale warfen sich wieder einen dieser Blicke zu, die ich nicht deuten konnte, die aber alles andere als positiv aussahen.

»Ich fürchte, das wird noch ein bisschen dauern«, antwortete Reeve.

Irritiert sah ich ihn an. »Wie darf ich das verstehen?«

»Unsere Vorgesetzte hat mich beauftragt, unsere Ressourcen aufzustocken. Sie geht davon aus, dass Lebensmittel in Kürze rationiert werden und nur noch gegen Gutscheine erhältlich sind, um die Bevölkerung zu kontrollieren oder – was wahrscheinlicher ist – uns aus unserer Deckung zu zwingen«, antwortete Reeve und schaute mich entschuldigend an.

»Bekommt ihr diese denn nicht geliefert?«, fragte ich verwundert. In der heutigen Zeit, in der alles mittels Drohnen gebracht wurde, war das klassische Einkaufen eher selten geworden. Insbesondere weil es draußen ja auch gefährlich war.

»Nein, es wäre fahrlässig unseren Standort für so etwas preiszugeben, solange man andere Möglichkeiten hat«, erklärte Reeve.

»Okay, dann helfe ich dir«, sagte ich, doch Reeve schüttelte den Kopf. »Nein, das ist gefährlich, Insha.«

»Das ist mir bewusst. Aber ich kann hier nicht rumsitzen und warten, bis sich etwas tut«, entgegnete ich entschlossen.

»Dann komm ich auch mit«, meinte Dale.

In diesem Moment öffnete sich die Tür und ein älterer Mann kam herein. Reeve und Dale salutierten.

»Lieutenant Turner«, grüßten beide. Turner … der Name kam mir bekannt vor. Wo hatte ich ihn schon mal gehört?

»Hast du deine Befehle bereits erhalten, Reeve, mein Junge?«, fragte der Lieutenant.

»Jawohl, Sir.«

»Gut, gut … Pass auf dich auf«, erwiderte Turner.

Reeve nickte kommentarlos.

»Ich werde ihm helfen«, sagte Dale. »Sir.«

Lieutenant Turner zog skeptisch die Brauen in die Höhe. »Du? Das halte ich für keine gute Idee, Dickerchen. Du wirst ihn nur behindern. Bleib besser hinter deinen Büchern oder deinem Computer und friss noch ein paar Süßigkeiten.« Dann schaute er wieder zu Reeve und wurde plötzlich förmlich. »Jenkins? Um Fünfzehnhundert sind Sie wieder zurück.«

Wieder nickte Reeve.

»Gutes Gelingen …« Mit diesen Worten verabschiedete sich Turner und verließ das Zimmer.

»Wer war denn das?«, fragte ich, fassungslos über die Unhöflichkeit des Mannes.

Reeve griff Dale mitfühlend an die Schulter. Er sagte nichts, doch die beiden schienen sich auch ohne Worte zu verstehen.

»Das war mein liebender Vater …«, klärte Dale mich auf, dessen Stimme zwar nur so vor Sarkasmus strotzte, in meinen Ohren aber auch gleichzeitig wahnsinnig verletzt klang.

»Das war dein Vater?«, fragte ich entsetzt. Jetzt erinnerte ich mich daran, wo ich den Namen Turner schon mal gehört hatte. Dale hatte sich so vorgestellt. Ich konnte gar nicht glauben, wie er mit seinem Sohn umgesprungen war. Was für ein … Dann wandte ich mich an Reeve. »Warum hilfst du ihm nicht?« Ich wollte zwar niemanden bloßstellen, doch ich fand die Frage berechtigt. Immerhin schien er ja ein gutes Verhältnis zu Turner zu haben, wenn er ihn schon mein Junge nannte.

Betreten blickte Reeve zu Boden.

»Ja, genau dich mein ich! Ich dachte, Dale und du seid befreundet?!« Normalerweise war es ja nicht meine Art, so unhöflich zu sein, aber in diesem Fall hatte ich mir Odarkas Worte, ruhig zu sagen, wenn mir etwas nicht passte, zu Herzen genommen.

Reeve hatte den Kopf wieder gehoben, schaute mir nun direkt in die Augen und hatte bereits den Mund für eine Antwort geöffnet, als Dale dazwischenging.

»Lass ihn in Ruhe, Insha. Reeve hat nichts gesagt, weil ich es ihm verboten habe.«

Fragend schaute ich Dale an. »Und warum, bitte schön?«

»Weil das die Sache erfahrungsgemäß noch schlimmer macht. Reeve bekommt Strafdienst aufgebrummt und ich bin für meinen Dad noch mehr ein Loser, als ich es eh schon bin …«

»Oh, ich, äh …« Ich wollte etwas sagen, doch ich hatte keine Ahnung was. Dann wandte ich mich an Reeve. »Sorry …«, flüsterte ich.

Reeve nickte kurz, was wohl so viel bedeuten sollte wie schon gut.

»Mach dir keine Gedanken, Insha. Ich bin’s mittlerweile gewohnt.« Dale rang sich ein Lächeln ab, doch an seinen Augen konnte man erkennen, wie tief der Schmerz wirklich saß.

»Ich glaube nicht, dass man sich an so etwas gewöhnen kann …«, sagte ich mitfühlend und versuchte mich in Dales Lage zu versetzen. Wie schlimm das sein musste …

»Ach, mein Dad meint es in Wirklichkeit nicht so. Er ist von Reeves steiler Karriere hier einfach massiv beeindruckt. Ich meine, wer nicht?« Dale grinste halbherzig. Er versuchte so zu tun, als ob ihm das alles nichts ausmachte, doch das ließ das Ganze für mich noch tragischer erscheinen. Ein junger Mann, nach meinem jetzigen Kenntnisstand freundlich, clever und lieb und doch in den Augen seines Vaters nicht gut genug. Das war schon echt traurig.

»Es gehört sich trotzdem nicht, so was zu seinem Sohn zu sagen«, beharrte ich. Dale schien wirklich ein netter Kerl zu sein. Das hatte er nicht verdient. Keiner!

»Um ehrlich zu sein, bin ich ganz froh, dass er sich Reeve als Ersatzsohn ausgesucht hat. Seit Reeve hier ist, lässt er mich wenigstens mit dem ganzen Kampfschwachsinn in Ruhe und ich kann mich weiter dem widmen, was ich auch kann und was mir Freude bereitet: am Computer arbeiten, Bücher lesen und mein Wissen erweitern.« Jetzt lächelte Dale wirklich und zum ersten Mal erreichte es seine Augen.

»Könnte ich denn mitkommen?«, fragte ich Reeve hoffnungsvoll. Ich wollte nicht tatenlos hier herumsitzen und abwarten, bis wir endlich zu Odarka fuhren. Und vielleicht konnte ich diese Ressourcenbeschaffung ja beschleunigen, sodass wir schneller zu Odarka konnten. »Also, falls du nicht auf meine Gesellschaft bestehst«, sagte ich dann an Dale gewandt, der daraufhin lachte.

»Ich habe mich zwar äußerst gerne mit dir unterhalten, Insha, aber ich würde es sehr begrüßen, wenn du Reeve hilfst«, entgegnete er, plötzlich wieder einen ernsten Ton anschlagend.

Reeve schnaubte. »Ich tue nichts, was ich nicht auch alleine kann.«

Dale ignorierte ihn, sondern sprach weiter mit mir. »Jedes Mal, wenn Reeve die Basis verlässt, bete ich, dass er unbeschadet wieder zurückkommt. Er ist wie ein Bruder für mich, den ich nie hatte, und wenn ihm was geschieht, wüsste ich nicht, was ich tun sollte …«

Ich nickte verstehend. Mir würde es genauso gehen, wenn Odarka etwas passieren würde …

»Ich glaube nicht, dass das so eine gute Idee ist«, mischte Reeve sich ein.

»Und warum nicht?«, fragte ich.

»Du bist in eurem Institut großgeworden. Du hast keine Ahnung, wie es draußen aussieht und welche Gefahren dort lauern. Ich müsste nicht nur auf mich selbst aufpassen, sondern auch auf dich. Ich denke einfach, alleine bin ich schneller und effektiver.«

Hm … Auch wenn mir seine Absage nicht gefiel, konnte ich seine Argumentation verstehen. Reeve hatte recht. Ich hatte absolut keine Ahnung, was außerhalb unseres Instituts geschah – beziehungsweise wusste ich nur, was ich im Unterricht gelernt und aus den Medien mitbekommen hatte – und war dementsprechend unvorbereitet.

»Du denkst nicht weiter, Reeve«, sagte Dale plötzlich.

Fragend sah dieser ihn an. »Ach nein?«

»Nein. Du hast die Muskeln und ich das Brain, schon vergessen?«, erinnerte ihn Dale.

Reeves Augen formten sich zu schmalen Schlitzen.

»Nicht falsch verstehen, Alter. Ich wollte nicht damit sagen, dass du dumm bist. Gott bewahre! Ich bin nur einfach schlauer als du …« Dale grinste breit und freute sich sichtlich, dass er uns etwas voraus war.

Reeve verdrehte die Augen. »Na dann, Schlaubischlumpf. Lass mal hören.«

Erwartungsvoll sahen wir ihn an.

»Du vergisst Inshas Fähigkeiten. Wenn du sie an deiner Seite hast, wird das sicher der entspannteste Einkauf, den du seit Langem getätigt hast«, erklärte Dale erhaben.