Hope & Despair 3: Hoffnungsstunde - Carina Mueller - E-Book

Hope & Despair 3: Hoffnungsstunde E-Book

Carina Mueller

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Beschreibung

**Die Hoffnung stirbt immer zuletzt…** Hass, Zwietracht und Verzweiflung sollten sie auf die Erde bringen, hierfür wurden die Improbas bis ins Mannesalter hinein geschult. Doch durch Hopes Einfluss zeigen die sechs Bad Boys nach und nach ganz andere Seiten. Nicht nur Despair spürt wieder einen Funken Hoffnung, auch Hate sieht in der Liebe keinen Feind mehr. Wie notwendig ihr wiederkehrender Sinn für Gerechtigkeit noch sein wird, zeigt sich, als plötzlich das Unmögliche passiert: Eine neue Bedrohung taucht auf, die alles bisher Dagewesene weit in den Schatten stellt. Despair wächst nahezu über sich hinaus, um Hope – die Liebe seines Lebens – zu schützen, ahnt aber genauso wenig wie seine Brüder, dass sich die größte Gefahr in seinen eigenen Reihen befindet… //Alle Bände der packenden Science-Fantasy-Reihe: -- Hope & Despair 1: Hoffnungsschatten -- Hope & Despair 2: Hoffnungsnacht -- Hope & Despair 3: Hoffnungsstunde -- Hope & Despair: Alle Bände in einer E-Box// Die »Hope & Despair«-Reihe ist abgeschlossen.

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Im.press Ein Imprint der CARLSEN Verlag GmbH © der Originalausgabe by CARLSEN Verlag GmbH, Hamburg 2016 Text © Carina Mueller, 2016 Lektorat: Konstanze Bergner Umschlagbild: shutterstock.com / © AS Inc / © Meyer George Umschlaggestaltung: formlabor Gestaltung E-Book-Template: Gunta Lauck Schrift: Alegreya, gestaltet von Juan Pablo del Peral

Für alle,die Hoffnung verinnerlicht haben,verinnerlichenund verinnerlichen wollen.Bleibt auf diesem Weg! Denn wer Hoffnung hat, kann alles schaffen …

1. Kapitel

Despair

»Los, Leute! Jede Sekunde, die Hope bei diesem Irren sein muss, ist eine zu viel!« Ich sprang, mehrere Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hinunter, dicht gefolgt von Hate.

»Ich check noch den Keller und komme dann nach!«, rief Cruel hinter uns her, doch ich machte mir nicht mehr die Mühe, ihm zu antworten. Ich musste zusehen, dass ich auf dem schnellsten Weg zu Hope kam. Wusste der Geier, was diesem kranken Hirn von Treason so alles einfiel und was er gerade mit ihr anstellte.

Ob Cruel dann nachher zu Fuß gehen musste oder wie auch immer zu uns gelang, juckte mich in diesem Moment herzlich wenig. Ich konnte nicht warten. Aber natürlich: Er hatte schon Recht. Für gewöhnlich sicherte man ein Gebäude zuerst komplett, bevor man es wieder verließ. Daher war ich froh, dass er diese Aufgabe übernahm und ich mich um Hope kümmern konnte.

»Ich fahr!«, bestimmte Hate, als wir draußen waren, und steuerte zielstrebig auf meinen Wagen zu.

Zuerst wollte ich protestieren, doch das wäre nur unnötige Zeitverschwendung gewesen. Eine Zeitverschwendung, die ich mir beim besten Willen nicht leisten konnte und schon gar nicht wollte. Also warf ich Hate nur wortlos den Autoschlüssel zu.

Er öffnete den Wagen und wir sprangen hinein. Dann startete er den Motor, wendete das Fahrzeug in zwei kurzen Zügen und fuhr dann mit durchgetretenem Gaspedal davon.

Sehr gut! Anders hätte ich es auch nicht gemacht!

Während der Fahrt versuchte ich Vic und Treason auf dem Handy zu erreichen, doch keiner nahm ab. Schöne Scheiße!

Hoffentlich war Hope noch nichts geschehen!

Hoffentlich?

Es war also wahr: Ich hatte mich verändert. Ich hoffte …

»Du erreichst keinen«, sagte Hate.

Es war keine Frage, eher eine Feststellung. Dennoch schüttelte ich den Kopf.

Hate sah zu mir herüber. Sein Gesichtsausdruck überraschte mich. Er wirkte nicht mehr so verbittert, nicht mehr so böse. Eher … besorgt? Es versetzte mir einen Stich ins Herz, als ich an unsere gemeinsame Vergangenheit dachte. So hatte Hate früher immer ausgesehen. Früher, als er noch ein herzensguter, kleiner Junge war, der einfach nur wollte, dass wir uns alle vertrugen und unseren »Daddy« lieb hatten. Und natürlich auch, dass unser »Daddy« uns lieb hatte. Wie wörtlich unser Oberst diesen letzten Wunsch speziell in seinem Fall nehmen würde, war ihm damals nicht klar gewesen. Uns allen nicht.

Ich schluckte schwer. So kindisch sich das jetzt vielleicht anhören mochte, doch das waren exakt Hates Worte gewesen. Damals. Nachdem er jedoch allein für das Wort »Daddy« mehrfach schwerste Prügel kassiert hatte, wurde er stiller und stiller. Verbitterter. Wütender. Bösartiger.

Ich hatte mich stets gefragt, wann genau der Zeitpunkt gewesen war, als Hate von Gut auf Böse wechselte. Ich glaubte immer, es begann, als unser Oberst anfing, ihn mit auf sein Zimmer zu nehmen. Doch jetzt wurde mir bewusst, dass das Ganze schon viel früher angefangen haben musste. Wie hatte ich das nur übersehen können?

Ich seufzte leise.

»Mach dir nicht so ins Hemd!«, brummte Hate mich ungehobelt an.

Ich warf ihm einen pikierten Blick zu.

Hate schien daraufhin kurz nachzudenken.

»Ihr ist bestimmt nichts passiert«, fügte er dann in seinem tiefen Bariton hinzu und klopfte mir unbeholfen auf die Schulter.

Einigermaßen verblüfft sah ich ihn an. Verblüfft und erfreut. Mein Eindruck seit unserem unverhofften Aufeinandertreffen im Hotel schien sich zu bestätigen: Der Hate von heute war doch noch nicht so ganz zerstört, wie ich angenommen hatte, und sogar zu so etwas wie Empathie fähig. Wenn er denn wollte …

Etwas lag mir auf der Zunge und ich überlegte kurz, ob ich es wirklich aussprechen sollte, oder ob ich Hate damit womöglich verärgerte … Andererseits: Ich war Despair. Ich hatte noch nie Angst vor ihm gehabt und ich würde ganz sicher jetzt nicht damit anfangen.

»Wegen deines Mitgefühls warst du früher mein bester Freund«, entgegnete ich also.

Hate zog verdutzt die Brauen nach oben, erwiderte aber nichts.

»Ehrlich, Mann! Das warst du. Und ich hoffe, dass wir irgendwann wieder dorthin kommen.«

Hate brummte nur unwillig. Doch ich kannte ihn zu gut. Wären ihm meine Worte gegen den Strich gegangen, hätte er mir das ganz anders »gezeigt«. Offenbar saß sein Herz nach wie vor am rechten Fleck. Man musste es nur unter dieser ganzen Verbitterung wieder freilegen. Und ich konnte gar nicht ausdrücken, wie sehr mich das gerade beruhigte.

Vielleicht war nicht nur er, vielleicht waren wir alle nicht so verloren, wie wir immer gedacht hatten?

»Das sehen wir dann«, nuschelte Hate für seine Verhältnisse nun leise.

Ich grinste. Das war wohl ein Ja.

»Was machen wir mit Treason?«, wechselte ich das Thema.

»Platt?«, erwiderte Hate ungerührt.

Jap, da war er wieder! Klassischer Rückfall in alte Verhaltensweisen.

»Das halte ich für keine gute Idee.«

»Nein?!« Hate klang, als hätte ich etwas vollkommen Abwegiges gesagt.

»Nein.« Ich machte eine Pause und sah aus dem Fenster.

»Und warum nicht?«, fragte Hate verständnislos. Für ihn schien die Sache bereits klar zu sein.

»Ich für meinen Teil würde gern wissen, wer dahintersteckt«, entgegnete ich. Einem Toten konnte man schließlich keine Informationen mehr entlocken …

»Treason!?« Hate zog die Augenbrauen genervt zusammen.

»Ich zweifele nicht daran, dass Treason diese Taten begangen hat, nicht im Geringsten! Ich frage mich nur, wer der Kopf der Sache ist, wo unser Oberst doch aufgeschlitzt auf seinem Küchentisch liegt. Denn allein hat sich Treason das Ganze sicher nicht ausgedacht.«

»Hm«, brummte Hate, nun offenbar am Überlegen.

Es war nicht so, dass Hate dumm war. Weiß Gott nicht! Nur wenn er in Rage war, handelte er für gewöhnlich, bevor er nachdachte. Er war einfach zu impulsiv.

Zudem wusste Hate selbst, dass Treason zwar ein elender Verräter ohne Anstand und Moral war, doch in den seltensten Fällen aus eigenem Antrieb heraus agierte, wenn es nicht gerade um seine Geschäfte ging. Treason hatte sich immer lenken lassen. Sein ganzes Leben lang. Er hatte immer jemanden gebraucht, der ihm sagte, was er zu tun und zu lassen hatte. Das war auch der Grund, warum er sich so gut mit unserem Oberst arrangieren konnte. Er war einfach … gehorsam. Und wem dieser Gehorsam jetzt galt, mussten wir schnellstmöglich herausfinden.

***

Diesmal brauchten wir keine Dreiviertelstunde, um den Hotelparkplatz zu erreichen. Hate machte sich gar nicht erst die Mühe, in die Tiefgarage zu fahren und zu warten, bis die Schranken endlich aufgingen.

Er parkte mehr oder weniger direkt vor dem Eingang und nachdem der Wagen endlich zum Stehen kam, sprangen wir beide hinaus, hasteten ins Hotel und rannten das Treppenhaus hinauf. Das hieß, ich rannte. Hate versuchte so schnell er konnte hinter mir herzukommen, doch seine Muskelberge machten einen Treppensprint nicht gerade leichter.

Natürlich hätten wir auch den Fahrstuhl nehmen können, doch das dauerte mir einfach zu lange. Das war vermutlich ein ähnliches Phänomen wie beim Autofahren: Man raste und überholte, dachte, man sei so viel schneller als die anderen, bis diese an der nächsten Ampel wieder hinter einem standen.

Hate war vermutlich einfach nur aus solidarischen Gründen mitgelaufen. Trotzdem konnte ich nicht auf ihn warten.

»Wir sehen uns oben!«, rief ich ihm zu und beschleunigte noch einmal. Wusste der Teufel, was Treason gerade mit Hope anstellte oder bereits mit ihr angestellt hatte.

Ein dicker Kloß bildete sich in meinem Hals, doch ich durfte nicht zu viel darüber nachdenken. Ich sollte bloß zusehen, dass ich Hope so schnell wie möglich da rausholte.

Nach wenigen Minuten war ich im obersten Stockwerk angekommen. Ich hechtete weiter zu unserer Zimmertür und hämmerte mit ganzer Kraft dagegen.

»Treason! Mach sofort auf!«, brüllte ich.

Ich hörte, wie sich im Zimmer jemand bewegte und auf die Tür zuschritt. Sofort ballte ich eine Faust, positionierte mich so, dass ich direkt zuschlagen konnte, sobald die Tür geöffnet wurde. Meine Muskeln waren so angespannt, dass sie bereits zu zittern begannen.

Ein leises Klicken verriet, dass die Tür gerade entriegelt worden war, doch ich wollte nicht so lange warten, bis sie mir geöffnet wurde. Ich stieß sie auf und trat mit zwei schnellen Schritten und gehobener Faust ein.

»Despair! Was für ein Glück, dass dir nichts passiert ist!«, rief Hope und fiel mir freudestrahlend um den Hals.

Völlig perplex stand ich vor ihr, nicht in der Lage, sie in den Arm zu nehmen. Hektisch suchte mein Blick stattdessen das Zimmer ab und fand Treason mit Vic auf dem Bett sitzend, bei einem Kartenspiel.

Ungläubig starrte ich die beiden an.

»Hey! Ich bin hier«, beschwerte sich Hope und lächelte mich aufmunternd an.

»Ich …«, begann ich, doch brach den Satz ab.

»Ist irgendetwas?«, fragte Hope, nun leicht unsicher.

Ich gab ihr einen flüchtigen Kuss, machte mich dann von ihr los und ging hinüber zu Treason.

»Hey Mann«, begrüßte er mich. »Was gibt's Neues?«

In dem Moment polterte Hate ins Zimmer herein, rannte auf Treason zu, packte diesen am Hals und knallte ihn gegen die nächstbeste Wand.

Vic stieß einen spitzen Schrei aus und auch Hope schaute schockiert zu ihnen hinüber.

»Sag mir sofort, was du hier für ein Spiel spielst!«, blaffte Hate Treason an.

»Mau-Mau«, japste dieser.

Hate stieß ihn daraufhin hart zu Boden.

Vic schlug sich vor Entsetzen die Hand vor den Mund, Hope sah hilfesuchend zu mir.

»Was tut Hate da?«, fragte sie bestürzt.

»Ich fürchte, das Richtige«, erwiderte ich knapp.

»Hör auf mich zu verarschen! Wenn du mir nicht augenblicklich erzählst, für wen du arbeitest, ignoriere ich Despairs Einwand und mach dich direkt platt!«, schnauzte Hate indessen weiter.

»Ich hab keine Ahnung, wovon du redest!«, hustete Treason und rieb sich dabei die Kehle.

Hate wollte gerade wieder ausholen, da ging ich dazwischen:

»Warte«, sagte ich und hielt seinen Arm fest. »Treason wird uns sicher sagen, was er weiß. Und wenn nicht, kannst du ihn danach immer noch bearbeiten.«

Hate warf mir einen grimmigen Blick zu, ließ sich von mir jedoch zurückhalten.

»Was ist hier überhaupt los?«, mischte sich nun Hope ein.

Vic hingegen saß wie versteinert im Zimmer und beobachtete uns mit weit aufgerissenen Augen.

»Das wüssten wir auch gerne«, beantwortete ich Hopes Frage und legte nun meinen Arm um sie. Ich spürte ihre Aufregung, ihre Verwirrung.

»Also?«, drängte Hate an Treason gewandt und ließ dabei seine Fingerknöchel knacken.

Treason rappelte sich auf und ging ein paar Schritte zurück, um wenigstens ein bisschen Abstand zwischen sich und Hate zu bringen. Nicht, dass das im Notfall irgendetwas genutzt hätte, doch es schien ihn zu beruhigen.

»Ich habe wirklich keine Ahnung, wovon ihr redet!«, bekräftigte Treason noch einmal seine Worte, doch Hate fuhr ihm barsch dazwischen:

»Das sagst du immer! Meinst du etwa, ich hab deine Masche vergessen? Dumm stellen, damit du davonkommst, aber in Wahrheit alle Fäden in den Händen halten?« Hate holte erneut aus, woraufhin Treason ein ziemlich unmännliches Quietschen verlauten ließ.

»Und feige bist du auch! Wie immer!«, ergänzte Hate, sah aber von weiterer körperlicher Züchtigung ab. – Zumindest vorerst.

»Vielleicht sollten wir ihm ein bisschen auf die Sprünge helfen«, schlug ich vor.

»Nichts lieber als das«, antwortete Hate und wollte schon erneut seinen Arm zum Schlag erheben.

»Verbal!«, ermahnte ich ihn.

»Oh ja, bitte. Ich könnte mir nichts Schöneres vorstellen, als mit einem voreingenommenen Despair und einem brutalen Hate einen kleinen Plausch zu halten«, schnaubte Treason sarkastisch. »Wie spaßig …«

»Deine dummen Sprüche werden dir gleich noch vergehen«, raunzte Hate ihn an und Treason zuckte zusammen.

»Könnt ihr uns jetzt endlich mal aufklären?«, verlangte Hope zu wissen. Die Unsicherheit in ihrer Stimme war verflogen und einem fordernden Ton gewichen.

»Tut mir leid. Geht's dir gut?«, fragte ich mit schlechtem Gewissen, da ich mich jetzt erst nach ihrem Befinden erkundigte. Allerdings hatte ich vorhin beim Reinkommen registriert, dass sie zumindest körperlich unversehrt zu sein schien.

Ich strich sanft über ihre Wange, doch Hope zog den Kopf weg.

»Mir würde es besser gehen, wenn ihr mal Tacheles reden würdet«, beharrte sie auf ihrer Frage.

Ich nickte. Sie konnte ja nicht wissen, warum wir uns so verhielten, und es war ihr gutes Recht, den Grund zu erfahren.

»Okay, aber Treason hat euch in unserer Abwesenheit nichts getan, oder?«, versicherte ich mich noch einmal.

Hope sah mich mit gerunzelter Stirn an. »Nein, warum sollte er?«

»Ich erklär's euch.«

»Da bin ich aber gespannt«, erwiderte Hope leicht schnippisch.

Vic sah mich ebenfalls neugierig an, während Hate sich wie ein Soldat neben Treason positioniert hatte, jederzeit bereit, einen möglichen Fluchtversuch oder Angriff zu verhindern.

»Wie du ja weißt, waren wir vorhin beim Oberst«, begann ich meine Erläuterung.

Hopes Blick wurde wieder weich.

»War es sehr schlimm? Euch ist doch nichts passiert, oder?«, fragte sie sofort mitfühlend.

»Das kommt ganz auf die Sichtweise an«, antwortete ich ausweichend.

Fragend hob sie die Brauen.

»Nun ja, Hate, Cruel und ich haben uns vorsichtig angeschlichen, weil wir ja nicht -«

»Wo ist Cruel überhaupt? Sag bitte nicht, dass der Oberst ihn hat«, unterbrach mich Hope besorgt.

»Der Oberst ist tot!«, blaffte Hate dazwischen.

Hope, Vic und selbst Treason gaben einen schockierten Laut von sich.

Sofort begann ich Letzteren zu mustern und versuchte an seiner Reaktion abzulesen, ob er angesichts der Nachricht wirklich so überrascht war, wie er tat.

»Wie, er ist tot?«, hakte Hope vorsichtig nach.

Ich wollte antworten, aber Hate ließ mich nicht zu Wort kommen:

»Mausetot! Was verstehst du daran nicht!?«

»Wie kann -«, begann Hope, doch abermals fuhr Hate dazwischen:

»Das kann eigentlich nur einer gewesen sein: unser kleines Prinzchen hier«, erwiderte er und warf Treason einen vernichtenden Blick zu.

»Ernsthaft?! Ich soll den Oberst gekillt haben?«, rief dieser entsetzt.

»Wer sonst?«, hielt Hate dagegen.

»Vergesst es, Leute! Ich hab zwar echt Eier in der Hose, aber sowas würde ich nie bringen!«, verteidigte er sich.

Hope blickte abwechselnd zwischen uns allen hin und her, doch sie sagte keinen Ton.

»Wir haben wirklich einen berechtigten Verdacht, dass es Treason gewesen sein könnte. Das war auch der Grund, warum wir so ins Zimmer gestürmt sind. Wir dachten, er tut euch am Ende das Gleiche an …«, erklärte ich weiter und spürte, wie meine Stimme allein bei dem Gedanken leicht an Kraft verlor.

Hope blies sich ihren Pony aus dem Gesicht und schaute zu Treason. Dann wieder zu mir.

»Mal abgesehen davon, dass ich Treason das absolut nicht zutraue – dafür ist er einfach zu weich -«

»Hey!«, protestierte Treason direkt. »Ich bin härter als Stahl!«

Hope rollte als Antwort kurz mit den Augen, wandte sich dann aber wieder zu mir: »Müsstest ihr euch denn nicht darüber freuen?«

»Das habe ich mich auch grad gefragt«, meldete sich nun Vic zu Wort.

Doch ich schüttelte den Kopf.

Verwundert sahen die beiden mich an.

»Einerseits ist es natürlich gleichermaßen befreiend wie beruhigend, den Oberst tot zu wissen«, setzte ich zu einer Erklärung an.

»Aber?«

»Treason handelt nicht selbstständig. Seine Taten sind für gewöhnlich immer fremdmotiviert. Und ganz ehrlich? Wenn es eine Person gibt, die Treason dazu bringen kann, jemanden wie den Oberst zu ermorden, möchte ich diese Person nicht unbedingt kennenlernen. Von deren Intention mal ganz abgesehen …«

Hope nickte einsichtig. Offensichtlich konnte sie meine Gedanken sehr gut nachvollziehen.

»Und jetzt?«, fragte sie leise.

»Jetzt müssen wir Treason zum Reden bringen«, entgegnete ich, wich ihrem Blick dabei jedoch aus. Ich wusste, dass Hope Gewalt verabscheute - auch wenn sie eine fantastische Kämpferin war -, und ich wusste auch, dass sie Treason irgendwie mochte.

»Mooooment!«, erwiderte Treason gedehnt. »Ich weiß ja nicht, was ihr euch da gerade in eurem perfiden Hirn zurechtlegt, aber ich hab den Oberst nicht umgebracht!«

»Ach nein? Wer dann?«, schoss Hate direkt los.

»Keine Ahnung?«, hielt Treason ebenso vehement dagegen.

»Treason«, sprach ich ihn an. »Du bist der einzige, der in Frage kommt. Es -«

»Warum? Weil ich generell immer der Verräter bin und es einfach gewesen sein muss?«, schnappte Treason beleidigt.

»Es ist ja nicht so, als wären wir besonders verärgert darüber. Wir würden nur gern wissen, für wen du arbeitest, und was dieser jemand sonst noch so vorhat«, versuchte ich es auf die psychologische Tour.

Treason kniff verärgert die Augen zusammen.

»Ernsthaft?! Glaubt ihr wirklich, wir hätten jahrelang diese Schmach von ihm ertragen, wenn es so einfach gewesen wäre, ihn kalt zu stellen?«

»Du hast ja nicht besonders viel von ihm ertragen müssen«, entkräftete ich sein Argument, doch ich bemerkte, wie Hate stockte. Aufmerksam sah ich ihn an.

»Alter, so ungern ich das auch sage, aber Treason hat Recht«, knurrte Hate.

»Bitte was?«, fragte ich ungläubig.

»Guck dir diese Wurst doch mal an: Glaubst du wirklich, dass er unseren Oberst – eine fleischgewordene Kampfmaschine – einfach so umbringen konnte?«

»Natürlich nicht bei einem fairen Kampf! Aber wir wissen beide, wie gerissen Treason ist und dass er bereits körperlich Stärkere außer Gefecht gesetzt hat«, verteidigte ich meine Ansicht.

»Schon … Aber die Leute haben auch garantiert nicht damit gerechnet«, entgegnete Hate.

»Der Oberst bestimmt auch nicht!«

»Despair? Aus eigener Erfahrung kann ich dir sagen, dass der Oberst selbst nachts, wenn er schlief, mit einem Angriff rechnete und dich sofort unschädlich machte, wenn du ihm auch nur einen Meter zu nahe kamst!«

Hate wollte es wie eine normale Information klingen lassen, doch ich hörte all die schmerzhaften Erinnerungen heraus, die in seiner Stimme mitschwangen. Ich schluckte.

»Wie soll er das außerdem hingekriegt haben? Mit seinen Puddingärmchen? Mit seinem Mut, der dem einer Maus gleicht?«, fuhr Hate fort.

»Hey!«, beschwerte sich Treason, doch ich ignorierte beide.

Ja, Treason war wirklich eine Ratte. Verschlagen, hinterlistig und falsch. Und grundsätzlich war er immer als Erster zu verdächtigen, wenn es irgendwie um Verrat ging. Das hatte die Erfahrung einfach gezeigt. Kein Wunder also, dass man nicht lange darüber nachdachte, sondern ihn sofort des Mordes am Oberst beschuldigte. Warum nur sah Hate das anders? Gerade Hate, der Treason nicht im Geringsten leiden konnte?

Vielleicht, weil er sich das tatsächlich nicht vorstellen kann, meldete sich mein Verstand. Ich selbst war stets der Überzeugung gewesen, dass nichts und niemand den Oberst je töten könnte. Er schien dafür einfach zu übermächtig. Und dann sollte es ausgerechnet Treason gewesen sein? Er war wirklich nicht der Stärkste. Und schon gar nicht der beste Kämpfer. Aber er war durchtrieben. Und ich fürchtete, dass die anderen diesen Punkt ganz gewaltig unterschätzten. Treason war in der Vergangenheit schon für so manche »Überraschung« gut gewesen, die wir ihm vorher niemals zugetraut hätten. Von daher …

»Despair, ich hab wirklich nichts damit zu tun«, schwor Treason.

»Und wer soll es sonst gewesen sein? Alle Indizien sprechen dafür. Immer, wenn du weg warst, ist irgendetwas passiert. Love war verschwunden und liegt jetzt schwer verletzt im Krankenhaus, Modesty ebenfalls, Honesty und Mercy sind immer noch weg, Loyalty – deine Proba ist komplett verschollen und als du angeblich nur Kaffee holen warst, bist du länger als nötig weg gewesen, um wer weiß was zu tun. Und das war noch nicht mal alles«, konfrontierte ich ihn mit den Fakten. So langsam verlor ich die Geduld.

»Das waren wirklich alles nur blöde Zufälle! Ich schwör's!«, erwiderte Treason hilflos.

»Ziemlich viele blöde Zufälle, oder?«, erwiderte ich scharf.

Treasons Augen begannen leicht zu schimmern. Ehrliche Bestürzung? Oder Schauspielerei? Er sagte jedenfalls nichts mehr dazu.

»Vielleicht war er es wirklich nicht?«, wandte Vic nach einer kurzen Pause ein.

»Sagt die Frau, die mich bereits in Bezug auf die Kaffeeholzeit von Treason angelogen hat … Weißt du eigentlich, was ich mir für Scheißsorgen um euch gemacht hab?!«

Vic sah mich erschrocken an.

»Ich … Das hab ich doch nicht mit Absicht gemacht! Wirklich nicht! Ich hatte das nur geschätzt. Wer schaut denn schon auf die Uhr und denkt sich etwas Böses dabei, wenn jemand zum Kaffeeholen wegfährt und auch mit Kaffee wiederkommt?«, rechtfertigte sie sich.

»Schon okay. Ich glaub dir das«, beruhigte ich sie. »Das ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass Treason als einziger alleine war, niemand wusste, wo er gewesen ist und er zudem auch noch Zeit genug hatte, den Oberst in dieser umzubringen.«

»Ehrlich gesagt, traue ich das Treason auch nicht zu«, sagte Hope leise. Sie war die ganze Zeit über still gewesen und hatte unsere Diskussion aufmerksam verfolgt.

Bitte was?!

Ich schaute Hate an, der leicht mit dem Kopf schüttelte. Danach zu Vic, die es ihm gleichtat, und dann wieder zu Hope, die mich entschuldigend anlächelte.

Ich blies mir entnervt eine Haarsträhne aus der Stirn. Der Gedanke, dass Treason wieder einmal seinen Kopf aus der Schlinge ziehen konnte, wo doch die Sachlage – zumindest für mich so klar erschien, behagte mir ganz und gar nicht. Wie bereits erwähnt: Treason war es IMMER!

Warum nur glaubten sie alle jemandem, dessen Impro der Verrat war?

»Also ich kann nur sagen, dass Treason absolut zuvorkommend und freundlich zu uns war, als ihr weg wart«, nahm Vic ihn weiterhin in Schutz.

»Dann lasst uns mal anders an die Sache herangehen: Wer käme denn sonst noch als Täter in Frage? Wer hätte sonst noch Interesse am Tod des Obersts?«, sagte Hope.

»Ich für meinen Teil dachte immer nur, wir …«, entgegnete ich grummelnd.

Hate fuhr sich durch die Haare und nickte dabei langsam. Ihm schien es genauso zu gehen wie mir.

»Wer von euch war denn sonst noch in eurem Quartier? Also außer euch und dem Oberst?«, bohrte Hope weiter.

»Niemand«, gab ich schlicht zurück.

»Niemand? Wirklich? Kein Kollege, kein Freund, kein -«

»Niemand«, unterbrach ich sie.

»Nicht mal eine Putzfrau?!«

»Niemand.«

»Oookaaay …«, seufzte Hope und sah mich hilflos an.

»Vielleicht solltet ihr das einfach als Geschenk nehmen? Euer Feind ist tot, ihr habt euch alle mehr oder weniger vertragen und offensichtlich gibt es auch keinen anderen, vor dem ihr euch fürchten müsstet«, fasste Vic zusammen und schaffte es sogar, dabei irgendwie positiv zu klingen.

Doch ich traute dem Spaß nicht mal ansatzweise. Das hier schien alles viel zu einfach. Zu unkompliziert. Und wenn ich eins über mein Leben gelernt hatte, dann, dass es das NICHT war.

»Möglicherweise hat Vic Recht?«, überlegte Hope.

Ich erwiderte nichts. Mein Gehirn ratterte gerade unentwegt und versuchte eine logische Erklärung für all das zu finden.

»Du machst dir Sorgen«, erriet Hope meine Gedanken.

Ich nickte kurz.

»Und wenn jetzt die Zeit gekommen ist, sich keine Sorgen mehr machen zu müssen?« Sie legte ihre Hand auf meinen Arm und fuhr sanft darüber.

»Zu schön, um wahr zu sein«, entgegnete ich knapp.

»Du bist aber auch ein Pessimist«, mischte Vic sich nun ein.

»Realist«, korrigierte ich sie.

Vic seufzte.

»Glaubt mir doch endlich! Ich war das wirklich nicht!«, beteuerte Treason nun noch einmal und sein flehender Blick wanderte von mir, zu Hope, zu Hate und zu Vic.

»Möglicherweise«, antwortete ich wenig überzeugt. Es hatte noch nie eine Alternative zu Treason gegeben.

Ich sah ihn an. Musterte ihn von oben bis unten. Wenn ich sein Impro und seine Art mal außer Acht ließe und nur rein nach seinen körperlichen Fähigkeiten urteilte, war es in der Tat schwer vorstellbar, dass er es mit dem Oberst hätte aufnehmen können. Doch es gab sonst keinen. Oder!?

»Wenn er …« begann Hate, doch da polterte eine weitere Person ins Zimmer: Cruel.

Er sah ziemlich abgehetzt aus – beinahe, als wäre er die Hälfte der Strecke gelaufen. Doch das tat jetzt nichts zur Sache. Hauptsache, er war endlich da und wir mussten uns nicht auch noch über seinen Verbleib sorgen.

»Alles in Ordnung? Habt ihr das Schwein?«, rief Cruel, bevor er völlig verdutzt mitten im Zimmer stehenblieb, seine Augen auf den offensichtlich putzmunteren Treason gerichtet.

»Warum liegt er nicht blutüberströmt auf dem Boden, ist gefesselt und mindestens bewusstlos geschlagen worden?«, fragte er scharf.

Vic stieß ein tadelndes Schnauben aus und auch Hope schaute ihn pikiert an.

»Was!?«, fragte er.

»Treason war's nicht«, antwortete ihm Hope.

»Was?« Diesmal klang er weniger angreifend, als ungläubig.

»Du hast schon richtig verstanden«, erwiderte Hope.

Verwirrt schaute Cruel zu mir und Hate. Er dachte hundertprozentig genau das Gleiche wie ich: »Treason ist es immer! Wer soll es sonst gewesen sein?«

»Glaubt ihr das?«, wandte er sich nun direkt an uns.

»Ich weiß es nicht genau«, antwortete Hate ehrlich. »Aber dem Anschein nach war er es wirklich nicht.«

»Und du?« Cruel sah mich fordernd an. Vermutlich, weil er sich, geprägt durch mein Impro, eine Antwort erhoffte, die zuverlässiger war.

Doch ich hatte gerade keine Ahnung, was ich glauben sollte – und so etwas passierte mir nur selten. Das letzte (und ich glaube erste) Mal, als ich in solch einer Situation war, stand Hope vor mir. Hope, die so ganz anders war, als ich es über Jahre hinweg eingetrichtert bekommen hatte. Wahrhaben wollte ich das zunächst auch nicht.

»Schwierig«, entgegnete ich Cruel. »Dabei ist er eigentlich immer der Schuldige.«

Cruel nickte beipflichtend.

»Und wie kommst du zu der Annahme, dass Treason es nicht gewesen ist?«, wandte Cruel sich wieder an Hate.

»Schau ihn dir einfach mal an: Glaubst du wirklich, dass dieses Hemd unseren Oberst gekillt hat?« Hate machte eine ausladende Handbewegung, die Treason von Kopf bis Fuß einschloss.

»Ihr seid echt sowas von … UNHÖFLICH!«, giftete Treason, doch an seiner Stelle hätte ich mich eher gefreut, zumindest für Hate aus der Schusslinie zu sein. Früher oder später würde ihm das vielleicht selbst noch auffallen.

»Und wer sollte es sonst gewesen sein?«, murrte Cruel skeptisch – und stellte damit dieselbe Frage, die mir ständig durch den Kopf ging.

Klar: Hates Argumentation war durchaus einleuchtend, aber wie bereits erwähnt, war Treason schon für so manche Überraschung gut gewesen. Nicht zum ersten Mal in der letzten Zeit stand ich vor der Entscheidung, dem potentiellen Verräter Glauben zu schenken. Und wieder kam mir das so dumm und naiv vor. Auch wenn ich ehrlich zugeben musste, dass es mir lieber wäre, wenn Hate mit seiner Theorie Recht behalten würde …

»Das gilt es herauszufinden«, beantwortete Hate nun Cruels Frage.

Dieser nickte langsam. Überzeugt schien er allerdings nicht zu sein.

Wir schwiegen einen Moment. Und zwar alle. Selbst die Mädchen sagten kein Wort.

Hope lehnte ihren Kopf an meine Schulter, woraufhin ich ihr behutsam über die Haare strich.

»Alles okay?«, flüsterte ich.

»Ich hoffe es…«, erwiderte sie und grinste mich an.

Ich sah jedoch sofort, dass ihr Lächeln nicht echt war.

2. Kapitel

Ich wusste gar nicht, was ich zu der neuesten Entwicklung sagen sollte. Der Oberst war tot. Jippie!

Mir war klar, dass man so etwas nicht einmal denken durfte. Trotzdem war die Nachricht irgendwie befreiend. Schließlich war er der Mensch gewesen, der die Jungs ihr Leben lang malträtiert und misshandelt hatte. Und, da die Improbas nun auf unserer Seite waren, unser einziger Feind.

Dennoch schwebte die Botschaft seines Todes wie ein Damoklesschwert über uns.

Was, wenn Despair doch Recht hatte? Konnte Treason den Oberst wirklich auf Befehl umgebracht haben? Und wenn ja, wer war dieser Jemand dann, der einen solchen Auftrag erteilte?– Auf jeden Fall ein Mensch, der nochviel grausamer sein musste, als der Oberst selbst…

Wenn ich Treason so betrachtete und mir vor Augen hielt, wie ich ihn kennengelernt hatte, glaubte ich, dass man ihm zwar ziemlich viel zutrauen konnte. Aber einen Mord?– Nein…

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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