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"Raffinierter Einbruch! Durch unterirdischen Stollen in den Tresor einer Großbank", titelten die Zeitungen.Marion, die Tochter des Bankdirektors Lindström steht kurz vor ihrer Verlobung mit dem Komponisten Stefan von Wieland. In der Nacht vor der Feier wird die Bank ausgeraubt, ein Stollen ist in den Tresorraum gegraben worden. Als die Polizei die Panzertür öffnet, macht sie eine schockierende Entdeckung: Einer der Bankräuber liegt tot, vergiftet, vor dem Tresor. Wenig später ist Marion verschwunden, vermutlich gewaltsam entführt. Detektiv Splittericht versucht das Rätsel zu lösen und den Schuldigen zu finden. Steckt hinter den Einbrechern ein Insider des Bankhauses? Der Sohn des Hauptkassierers oder einer der jungen Banker? Der Detektiv macht sich auf die Jagd, die bis nach Nizza führt ...Ein sensationeller Fall aus der Berliner Kriminalgeschichte, der seinerzeit wochenlang die Spezialisten vom Alexanderplatz in Aufregung versetzte, ist hier zum atemberaubend spannenden Roman gestaltet. Zum Autor:Hans Hyan (1868–1944) war ein deutscher Kabarettist, Gerichtsreporter und Schriftsteller. Er verfasste vor allem Kriminalromane, aber auch Drehbücher. Hyan besuchte das Gymnasium in Prenzlau, Brandenburg. 1901 hob er in Berlin das Kabarett "Zur Silbernen Punschterrine" aus der Taufe, das bis 1904 bestand. Hyan war liberal und sozialkritisch eingestellt. Diese Haltung schlug sich auch in seinen zahlreichen Kriminalromanen nieder.-
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Seitenzahl: 262
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Kriminalroman
Saga
Der alte Martin brachte den Tee in das Arbeitszimmer des Konsuls.
„Das gnädige Fräulein möchte Herrn Konsul sprechen, ehe der gnädige Herr ins Büro geht.“
Die hohe, breitschultrige Figur des Konsuls reckte sich, er sah den Diener forschend an.
„Was sagte denn meine Tochter, weshalb sie ...?“
„Das gnädige Fräulein meinte nur, sie müßte Herrn Konsul auf jeden Fall vorher sprechen.“
Indem kamen leichte Schritte durch das Nebenzimmer, und zwischen den dunklen Samtportieren erschien die blonde Marion, des Konsuls einzige Tochter.
Sie blieb einen Augenblick stehen und sah mit ihren schönen Augen aufmerksam zu ihrem Vater hin. Da spürte er, daß sie ihm wirklich Wichtiges mitzuteilen hatte.
Der alte Martin war geräuschlos gegangen; der Konsul breitete seine Arme aus ...
Dieses Mädchen da war der Mittelpunkt seines Daseins. Er selbst, schon in den Fünfzigern, hatte das Leben genossen; er war reich, besaß Macht und Einfluß, er hätte nicht gewußt, was er sich noch wünschen sollte. Aber diese Tochter, seine Marion, mit ihren einundzwanzig Jahren, war für ihn Einsatz und Gewinn seines Lebens zugleich. Er liebte sie, nicht nur wie Väter ja meistens ihre Töchter lieben — sie war ihm Weib und Kind zugleich. Den Gedanken, sie zu verlieren, dachte er überhaupt nicht aus.
Sie war verlobt mit einem Künstler, einem berühmten und wertvollen Menschen, und sie hing gewiß mit Liebe und Leidenschaft an dem erwählten Mann. Aber ihre Verbundenheit mit dem Vater konnte durch nichts übertroffen werden.
Das alles fühlte Rudolf Lindström mit jedem Nerv, und davon war seine Seele erfüllt, als Marion zu ihm trat, ihre Arme um seinen Hals legte, wie sie es schon als ganz kleines Mädchen getan hatte, und sich von ihm auf die Wange küssen ließ.
„Ja, ich muß dich sprechen, Papa“, sie zauderte sekundenlang; dann ging ein Ruck durch ihren schlanken Körper:
„Ich kann mich nicht verloben ... ich kann einfach nicht, Papa.“
Ein Lächeln irrte um seinen bärtigen Mund, als er fragte:
„Seit wann hat meine Marion solche Launen?“
Sie schüttelte ihr blondes Haupt:
„Das sind keine Launen ... das ist ...“, sie fand das Wort nicht, „das ist ...“ Sie hob die Schultern: „Das ist wahrscheinlich ... mein Schicksal ...“
Jetzt war das Kopfschütteln an ihm:
„Wie alt bist du, Marion?“
„Einundzwanzig, Papa.“
„Ich weiß es ja, aber ich frage doch ... Ihr jungen Menschen von heute lebt von lauter Entschlüssen; für euch gibt es immer nur ein Entweder-Oder. Jede Schwierigkeit heißt bei euch ‚unmöglich‘. So ist doch das Leben nicht! ... Wenn du mir gesagt hättest: du kannst dich heute nicht verloben, das würde ich begreifen. Wenn jemand noch nicht das volle Gefühl der Zusammengehörigkeit mit einem anderen Menschen hat ...“
Aber Marion verneinte:
„Das ist es ja nicht, das ist es ja nicht, Papa! Mein Gefühl für Stefan bleibt sich immer gleich. Ich liebe ihn so, wie eine Frau einen Mann lieben muß, wenn sie ihm angehören soll. Ich habe Verlangen nach seiner Nähe und nach seiner Person, und ich weiß ganz genau, daß ich glücklich sein werde, wenn ich ihn heirate ...“
Die schönen blauen Augen blickten unbeirrt auf ihren Vater:
„Nein, das ist es wirklich nicht, es ist etwas ...“
Mit einem tiefen Atemzug, als nähme sie einen Anlauf, um ein unüberwindliches Hindernis zu nehmen:
„Es ist etwas in meinem Leben, das ich ihm nicht sagen kann ... nein, auch dir nicht, Papa ... worüber ich nicht sprechen kann, wenigstens nicht, ehe ich mir nicht ganz klar geworden bin ... über den eigentlichen Vorgang ...“
„Aber Marion, das ist doch das reine Rätselraten!“ Er versuchte absichtlich, einen leichten, scherzenden Ton beizubehalten. „Du sagst, es ist etwas geschehen; aber was geschehen ist, das sagst du nicht; gleich darauf: du weißt selbst nicht, ob etwas passiert ist, was dich hindert, dich mit Stefan zu verloben. Wer soll sich denn da herausfinden!“
Marions Gesicht wurde ernster und trüber:
“Ich weiß es nicht, Papa, ich bin mir ja selbst nicht klar darüber, was ich tun muß, um von dieser furchtbaren Last frei zu werden. Du weißt, ich habe ein heiteres Naturell, mir liegt nichts ferner als Kopfhängen und Grübeln; ich will gar nicht unglücklich sein! Leben will ich! Gesund sein und lachen! ... Aber das weißt du doch auch, Papa, man kann nicht immer, wie man will. Vielleicht ... kann ich nur in der Entfernung von dir das tun, was ich muß.“
Sie wandte sich ab und ging an das Fenster; dort zog sie die üppigen Stores beiseite und blickte hinaus in die neblige Morgenfrühe der Allee, in der die Villa Lindström zwischen anderen Landhäusern reicher Leute inmitten eines großen Gartenlandes lag.
Der Konsul hatte sich in dem Ledersessel zurückgelehnt und sagte zärtlich und eindringlich, wie manchmal in früheren Jahren, wenn Marions Widerspruchsgeist sich regte:
„Du weißt, Liebling, ich kann dir ernstlich nichts abschlagen. Aber weil du meine Schwäche dir gegenüber kennst, hast du auch die Pflicht, mich nicht vor Entscheidungen zu stellen, bei denen ich dir einfach nicht nachgeben kann. Das mußt du doch einsehen, daß du heute, am Morgen deines Verlobungstages, wo alles vorbereitet ist, wo wir hundert Gäste erwarten, nicht plötzlich sagen kannst: ‚Ich verlobe mich nicht!‘ “
Marion war zu ihm getreten, hatte den Arm um seinen schon etwas ergrauten Kopf gelegt und setzte sich nun, wie sie es als Kind oft getan hatte, auf des Vaters Knie:
„Du hast ja recht, aber ...“ Sie schwieg.
„Aber ...?“ fragte er.
Sie blickte ihn zweifelnd und unsicher an, endlich sagte sie:
„Ich verspreche dir, nichts zu überstürzen ... Ja, ich werde mich verloben, heute abend ... nicht, weil ich diese Verlobung wünsche, aber ... das sehe ich ein, und darin gebe ich dir recht, ich hätte Stefan meinen Entschluß schon früher mitteilen sollen ... das war ein doppeltes Unrecht ... Ich habe ihm verheimlicht, was er wissen muß, und ich habe ihm nicht einmal gesagt, daß ich nicht die Seine werden kann, wenn dieses Unglück ...“
Sie drückte ihre schmalen Hände an die Augen, als wollte sie aufschluchzen, aber sie weinte nicht. Im Gegenteil, ihre Stimme und ihre Muskeln wurden fester und straffer. Sie beugte den Kopf:
„Ich muß dahinterkommen, Papa, und du kannst dich auf mich verlassen, daß ich das, was mir heute, jetzt so unfaßbar ... so unergründlich erscheint, daß ich das herausbekomme und daß ich mich von allem freimache.“
Sie drückte seinen Kopf fest und leidenschaftlich an ihre Wange, und da er weiter fragen wollte, wehrte sie ab:
„Nein, nein, ich kann dir jetzt nichts sagen, heute nicht und morgen auch nicht ... Du darfst mich auch nicht fragen.“
Der Fernlautsprecher schnarrte. Dann kamen aus dem Apparat die Worte:
„Herr Generaldirektor wollen doch bitte sofort in die Bank kommen, es ist eingebrochen worden!“
Überrascht fragte der Konsul:
„Bei uns ... in der Bank ...?“
Er hatte den Lautsprecher abgestellt und den Hörer ans Ohr genommen:
„Matschunke, Sie sind es ... nun sagen Sie doch ...! Nein, ich komme sofort herunter ... den Doppelschlüssel zum Tresor, ja, den bring’ ich mit ...!“
Er legte den Hörer fort, wandte sich zu der gespannt aufhorchenden Tochter:
„Was sagst du dazu, Marion ...! Ja, ich ruf’ dich gleich an, von der Bank aus ...“ Der Konsul war jetzt schon ganz in seiner Bank und mit dem Einbruch beschäftigt. „Und im übrigen, Marion, ich komme früh nach Hause heute, da können wir ja alles noch einmal in Ruhe durchsprechen ... und du bist meine vernünftige Tochter ... nicht wahr, du siehst, in diesem Augenblick ... da weiß ich wirklich nicht, wo mir der Kopf steht ...“
Der alte Martin war hereingekommen, hatte seinem Herrn Mantel und Hut gebracht, und der Konsul war aus dem Zimmer, ehe Marion noch viel fragen konnte. Sie war auch so beschäftigt mit ihren eigenen Gedanken, daß ihr dieser Einbruch, der sie sonst gewiß interessiert hätte, im Augenblick recht bedeutungslos erschien.
Es gab ja eine Versicherung und auch die Polizei. Marion war es von ihrem Vater gewöhnt, daß er jede Sache schnell und praktisch erledigte.
Nachdenklich ging sie wieder hinüber in ihr Zimmer.
Im Schneenebel eines Wintermorgens, der sich langsam erhellte, ging der frühere Kriminalinspektor und jetzige Privatdetektiv Doktor Splittericht durch die Flinsberger Straße nach seiner am Harlemer Platz gelegenen Wohnung. Zehn Schritt vor ihm, im Morgendämmer verschwimmend, trugen zwei Telefonarbeiter ein schweres Kabel, und der Doktor-Kommissar, der in Gedanken versunken dahinging, erschrak etwas, als der vordere von den beiden Arbeitern aufschreiend mit dem halben Leibe im Straßenpflaster versank. Sein Kollege sprang hinzu und zog den Mann im blauen Kittel aus dem Loch. Im Verein mit dem Detektiv betrachteten beide voll Erstaunen den Einbruch in der Pflasterung. Es hatten sich eigentlich nur die mosaikartig festgeklopften Granitbrocken neben den großen Trottoirsteinen etwa einen halben Meter gesenkt. In dem entstandenen Loch aber sah man zerbrochene Bretter und Hölzer, die den Steinbelag noch stützten. Als sich nun die beiden Arbeiter mit ein paar hinzukommenden Kollegen daran machten, wurde bald ein unterirdischer Gang bloßgelegt, der, wie ein Bergwerksstollen abgesteift, unter der Erde entlangging.
Doktor Splittericht trat mit einem leisen Lächeln an den Bord der breiten Straße. Das Haus, vor dem man sich befand, war ein großes Industriegebäude, das in seinen oberen Etagen Wohnungen enthielt, während in den unteren Stockwerken sich nur Geschäftsräume befanden. Das Erdgeschoß und den ersten Stock bewohnte das Bankhaus Lindström — diese Feststellung zauberte ein mephistophelisches Lächeln auf Doktor Splitterichts Gesicht. Er legitimierte sich den durcheinanderredenden Arbeitern gegenüber und forderte sie auf, hier an der Stelle zu bleiben, bis er von einem Telefongespräch zurückkäme. Dann eilte er nach dem Harlemer Platz, trat in einen Telefonkiosk und ließ sich mit dem Polizeipräsidium verbinden.
„Die Abteilung IV, bitte, Fräulein ...! Kommissar Starkmann ... jawohl, hier Splittericht. Sie müssen schnell mal herunterkommen, Herr Kollege, nach der Flinsberger Straße neun. Mit ein paar von Ihren Leuten, ja ... es handelt sich um ein ganz groß angelegtes Verbrechen ... wie? ... ja, Bankraub ... Bankhaus Lindström in der Flinsberger Straße neun ... das Straßenpflaster ist unterminiert. Die Leute sind offenbar unter dem Straßenniveau durch die Hausmauer in den Tresorkeller gedrungen ... richtig, ja! ... Ich sichere den Tatort bis zu Ihrer Ankunft.“
Der Detektiv hängte ab und nahm gleich die zweite Verbindung zu der Privatwohnung des ihm gut bekannten Oberregierungsrats Henderson, des Leiters der Abteilung IV. Auch den verständigte er von seiner Entdeckung und entschuldigte sich wegen des frühen Anrufs — es war kurz nach sieben Uhr.
„Aber ich bitte Sie, liebster Doktor“, klang es von der anderen Seite, „wir sind Ihnen doch sehr dankbar ... es ist ja so merkwürdig, daß Sie immer schon da waren, wenn wir erst hinkommen ...“ — sie lachten beide, — „in einer Viertelstunde bin ich bei Ihnen.“
Als Doktor Splittericht zurückkam, hatten die Telefonarbeiter den Gang schon ein ganzes Ende weiter bloßgelegt. Die Flinsberger und die Straße am Harlemer Platz schnitten sich hier. Den Schnittpunkt bildete das Bankhaus. Der Eingang zur Bank befand sich an der Flinsberger Straße. Doktor Splittericht stieg nun auf die etwa zwei Meter tief liegende Gangsohle hinab. Den Revolver in der rechten, seine Taschenlampe in der linken Hand, drang er zuerst nach links vor und kam etwa drei Meter weiter an das Ende des Stollens und an ein Loch in der Hausmauer, durch das er sich nur schwer hindurchzwängen konnte. Er befand sich jetzt, wie der helle Lichtstrahl seiner Lampe zeigte, in einer Art Schornstein, in dem er sich kaum bewegen konnte. Kein Zweifel, das war ein Luftschacht!
Splittericht kroch vorläufig wieder durch das Mauerloch in den Gang zurück und ging in gebückter Haltung durch ihn hindurch bis zu seinem rechten Ende. Auch hier stieß er auf ein Loch in der Hausmauer, durch das er in den Heizungskeller hineinblickte. Er wollte sich eben weiter orientieren, als er Stimmen in seinem Rücken hörte und, sich umdrehend, den Kommissar Starkmann sah, der ihm neugierig mit der elektrischen Laterne ins Gesicht leuchtete.
„Ah, Sie sind der Kriminalpolizei wieder um eine Nasenlänge voraus, Herr Doktor!“
„Leider“, meinte Splittericht bekümmert, „ich habe wirklich selber genug zu tun. Aber ich kann doch beim besten Willen an so einer Sache nicht vorbeigehen.“
„Waren Sie schon da drin?“ Der Kommissar deutete auf das Loch in der Mauer, durch das Splittericht im nächsten Augenblick verschwand. Der Beamte folgte ihm. Das erste, was sie sahen, war ein gewaltiger Berg weißen Sandes — der Rauminhalt des Stollens, den die Einbrecher mit großer Mühe herausgeschafft hatten. Da lag noch der Eimer, den der im Stollen stehende Schränker ein Mal um das andere mit der Erde füllte, um ihn jedesmal dem hinter der Mauer im Heizkeller stehenden Komplizen durch das Loch hindurchzureichen.
„Ein tolles Stück Arbeit“, sagte der Kommissar, „woran die Herrschaften wahrscheinlich tagelang geschuftet haben! Den Sand und die Bruchstelle haben sie immer wieder mit Kohlen bewerfen müssen ... es konnte ja doch jemand hier reinkommen, wenngleich die Stelle im Keller ziemlich abseits liegt ...“
Die beiden leuchteten nun den Keller in allen seinen Gängen ab. Sie besichtigten die Heizung, das recht komplizierte System der elektrischen Schalter für die Beleuchtung des großen Hauses und kamen so durch mehrere Gänge an die Tresorwand.
„Von hier aus ist nichts zu machen gewesen, das haben die beiden Ganoven sofort gesehen. Der Tresor besteht aus einer zollstarken doppelten Stahlwand, der Zwischenraum ist mit einer Mischung von Beton, Kalk und Kieseln, sogenanntem Eisenmörtel, ausgefüllt. Kein Bohrer und kein Schneidebrenner kann dagegen an.“ Kommissar Starkmann betrachtete die Wand interessiert, er sah deutlich, wo die Einbrecher das Material des Tresors auf seine Festigkeit geprüft hatten. „Nun bin ich bloß gespannt, ob und wie sie reingekommen sind.“
„Das will ich Ihnen sagen“, nickte Splittericht, „darum sind sie ja durch die Hauswand, unterm Trottoir durchgekommen, dann wieder durch die Hausmauer und an den Tresor, aber von der Schmalseite her ... da liegt nämlich der Luftschacht.“
„Woher wissen Sie denn das?“
Das stille Leuchten, das über das meist unbewegliche Gesicht des Detektivs lief, ärgerte den andern. Er dachte bei sich: Du alter Besserwisser, zaubern kannst du doch auch nicht!
„Woher wissen Sie denn das, Herr Kollege?“
Aber Splittericht antwortete nicht. Er ging zurück, kroch durch die Mauer, wobei ihm der Kommissar auf dem Fuße folgte, glitt den Gang entlang und kam durch die jenseitige Maueröffnung in den Luftschacht hinein. Hier war nur sehr wenig Raum. Herr Starkmann konnte ihm nicht folgen. Er hörte nur, wie Splittericht meinte:
„Es ist so, wie ich dachte: der Luftschacht ist von außen durchbrochen, dann haben die Leute die Anker, die in der Luftklappe den Durchlaß zum Tresor schützen sollen, mit dem Schweißbrenner beseitigt und der Dünnere ist reingekrochen ... Das werden wir beide kaum fertigkriegen, Herr Starkmann ... Wir müssen warten, bis die Leute von der Bank mit den Schlüsseln kommen.“
Auch Starkmann sah sich in dem engen Gemäuer um, dann gingen sie beide zurück, kletterten aus dem Gang auf die Straße und kamen eben recht, um Oberregierungsrat Henderson zu begrüßen, der gerade aus seinem Auto sprang.
Der Hausportier hatte inzwischen den Generaldirektor und Hauptaktionär des Bankhauses Lindström, Konsul Lindström, angeläutet und ihm mitgeteilt, was geschehen war. Auf dessen Geheiß war er im Auto zu dem nahe wohnenden Kassenboten Matschunke gefahren, der den einen Schlüssel zum vorderen Bankeingang in Verwahrung hatte. Den anderen Schlüssel nahm der Lehrling Winter abends mit nach Hause, um sich am nächsten Morgen Punkt acht Uhr mit Matschunke vor dem Bankgebäude zu treffen. Die beiden Leute konnten nur gemeinsam die Eingangstür zur Bank öffnen. Allerdings befanden sich die Duplikatschlüssel zum Eingang im Gewahrsam des Generaldirektors selbst.
Matschunke und Alfred Winter kamen eben. Sic öffneten die Tür und ließen den Oberregierungsrat, den Kommissar Starkmann, zu dem jetzt noch seine Untergebenen, Wachtmeister Vogel und Assistent Nebeltau, gestoßen waren, und den Doktor Splittericht in die Bank eintreten. Dann fuhr der Lehrling Winter nach der Markenstraße zum Hauptkassierer Hermann Reese.
„Wann kommt Herr Reese gewöhnlich ins Geschäft?“
„So um halb neun, Herr ...“
Splittericht sah auf die Armbanduhr: es waren zehn Minuten bis acht.
Das Banklokal lag nur eine Stufe über dem Niveau der Straße, auf der sich jetzt, da es schon heller geworden war und der Verkehr der zur Arbeit eilenden Menschen wuchs, Publikum ansammelte, das voller Neugier herandrängte. Von der nächsten Wache wurden mehrere Sipos herbeibeordert, die die Straße im Umkreis absperrten.
Wenn man in den Schalterraum der Bank eintrat, lagen rechts die sich weit hinziehenden Einzelschalter, vor denen sich das Publikum aufhielt Es standen da Tische zum Schreiben, Sessel und Stühle und an der linken Wand mehrere große Lederbänke. Links vom Eingang führte eine Holztreppe mit geschnitztem Eichenholzgeländer in den Tresor hinab. Der Treppeneingang war offen. Unten kam man in einen kleinen Vorraum und dann an die Tresortür selbst, die, gleich einer mächtigen Stahlwand, den Zugang zu diesem Mammut-Kassenschrank versperrte. Das Buchstaben-Stellschloß war nach besonderer Konstruktion gearbeitet. Niemand außer dem Konsul Lindström und dem Hauptkassierer Reese kannte die Zahlenfolge des Stellschlosses, die obendrein alle Woche einmal geändert wurde.
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