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Spukt im Park von Versailles wirklich noch der Geist von Marie-Antoinette, wie einige der illustren Gäste auf einem Bankett von Tatjana und Auguste Didier behaupten? Die vornehme Gesellschaft, zu der auch König Edward VII. gehört, beschließt, der Sache auf den Grund zu gehen. Am 10. August, dem Geburtstag der französischen Königin, begibt man sich deshalb nach Versailles. Um die Geister zum Erscheinen zu inspirieren, sollen alle in Kostümen des 18. Jahrhunderts kommen. Mirabelle, Comtesse de Tourville, wird die Ehre zuteil, das Kostüm der Marie-Antoinette zu tragen. Doch auch ihre ärgste Rivalin, die frühere Geliebte ihres gräflichen Gatten, will auf diese Rolle nicht verzichten. Das Spiel ist auf dem Höhepunkt, als man Mirabelle wie ihr historisches Vorbild enthauptet findet ...
Ein neuer Fall für den charmanten Chefkoch Auguste Didier und seinen Freund Egbert Rose von Scotland Yard.
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Seitenzahl: 386
Amy Myers wurde 1938 in Kent geboren. Sie studierte an der Reading University englische Literatur, arbeitete als Verlagslektorin und war bis 1988 Direktorin eines Londoner Verlages. Seit 1989 ist sie freischaffende Schriftstellerin. Sie ist mit einem Amerikaner verheiratet und wohnt in Kent. Amy Myers schreibt auch unter dem Namen Harriet Hudson und Laura Daniels.
In ihren ersten Ehejahren arbeitete ihr Mann in Paris, und sie pendelte zwischen London und der französischen Hauptstadt hin und her. Neben vielen anderen Dingen mußte sie nun lernen, sich auf französischen Märkten und den Speisekarten französischer Restaurants zurechtzufinden. Dabei kam ihr die Idee, einen französischen Meisterkoch zum Helden eines klassischen englischen Krimis zu machen: Auguste Didier war geboren. Alle Kriminalromane von Amy Myers erscheinen im Aufbau Taschenbuch Verlag.
Irmhild und Otto Brandstädter, Jahrgang 1933 bzw. 1927, haben Anglistik an der Humboldt-Universität zu Berlin studiert, waren im Sprachunterricht bzw. im Verlagswesen und kulturpolitischen Bereich tätig. Sie übertrugen Werke von Sean O’Casey, Jack London, John Hersey, Masuji Ibuse, Louisa May Alcott, Charles M. Doughty, John Keane, Joseph Caldwell sowie Historio-Krimis von Amy Myers, Ingrid Parker und Peter Tremayne ins Deutsche.
Spukt im Park von Versailles wirklich noch der Geist von Marie-Antoinette, wie einige der illustren Gäste auf einem Bankett von Tatjana und Auguste Didier behaupten? Die vornehme Gesellschaft, zu der auch König Edward VII. gehört, beschließt, der Sache auf den Grund zu gehen. Am 10. August, dem Geburtstag der französischen Königin, begibt man sich deshalb nach Versailles. Um die Geister zum Erscheinen zu inspirieren, sollen alle in Kostümen des 18. Jahrhunderts kommen. Mirabelle, Comtesse de Tourville, wird die Ehre zuteil, das Kostüm der Marie-Antoinette zu tragen. Doch auch ihre ärgste Rivalin, die frühere Geliebte ihres gräflichen Gatten, will auf diese Rolle nicht verzichten. Das Spiel ist auf dem Höhepunkt, als man Mirabelle wie ihr historisches Vorbild enthauptet findet.
Ein neuer Fall für den charmanten Chefkoch Auguste Didier und seinen Freund Egbert Rose von Scotland Yard.
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Amy Myers
Mord im Boudoir der Königin
Kriminalroman
Aus dem Englischen von Irmhild und Otto Brandstädter
Inhaltsübersicht
Über Amy Myers
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Vorbemerkung der Verfasserin
Prolog 1901
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
Epilog
Augustes Bankett für Egbert und Edith Rose
Egberts Festmahl für Auguste und Tatjana Didier
Impressum
Über die abenteuerlichen Erlebnisse von Miss Moberly und Miss Jourdain im Jahre 1901 im Petit Trianon liegen ausführliche Berichte vor. Sie haben das Geschehene hinlänglich beschrieben. Dabei handelt es sich teils um rein persönliche Aufzeichnungen, teils um Briefe an Angehörige und Freunde, und später haben sie sogar Forschungen zum historischen Hintergrund von Marie-Antoinette und dem Petit Trianon betrieben. Ohne ihre wahren Namen preiszugeben, veröffentlichten sie 1911 den Titel »Ein Abenteuer«, in dem ihre Erlebnisse, das Ergebnis ihrer Forschungen und entsprechende Schlußfolgerungen ihren Niederschlag fanden. Seitdem erregt das Thema die Gemüter immer wieder von neuem. Die beiden seinerzeit entschiedendsten Kritiker, Vertreter der Psychical Research Society, korrigierten ihre Auffassung, als die Damen ihre Identität bekannten und man erfuhr, daß es sich um die Rektorin eines Oxford College und deren Stellvertreterin handelte, und nachdem man in die Originalaufzeichnungen hatte Einsicht nehmen können. Bis in die fünfziger Jahre wurde das Werk wiederholt aufgelegt und löste stets erneute Kritik und ebenso entschiedene Rechtfertigungen aus. 1957 veröffentlichte Lucille Iremonger unter dem Titel »Die Geister von Versailles« ihre großartige Beweisführung zur Echtheit der Geschichte der Autorinnen mit allem Für und Wider.
Der vorliegende Roman spielt im Jahre 1906. Zu dieser Zeit ahnte Auguste Didier nichts von den Ergebnissen späterer Forschung und mußte sich auf eigene Erfahrungen verlassen …
Seit den Tagen Marie-Antoinettes haben die Gärten um das Petit Trianon manche Veränderung erfahren und gleichen keineswegs mehr dem Bild von 1906. Ich habe mich an die alten Pläne und Stiche gehalten mit Ausnahme der Nebengebäude im Französischen Garten beim Petit Trianon. Die Besucherinnen aus Oxford hatten dort eine Häuslerin beobachtet, die ein Tuch schwenkte. An der Stelle habe ich ein Automobilmuseum eingefügt, das es später wohl auch wirklich gab. Ich habe es lediglich Tatjanas Hobby zuliebe getan. Der Handlungsablauf wird dadurch in keiner Weise beeinträchtigt.
A.M.
»Verflucht und zugenäht!«
Der ehrenwerte George Ladyboys kämpfte im Ankleidezimmer mit seinem Nachtgewand, und seine Stimme war nur gedämpft unter dem Kleidungsstück zu vernehmen. Winifred hatte schon ein Bein im Bett, ließ ihren molligen Körper wohlig zurückfallen und reagierte einigermaßen verwundert, daß George, der jetzt im Türrahmen erschien, es ihr offensichtlich nicht gleichtun wollte. Sie waren erst zwei Jahre verheiratet, und normalerweise versetzte ihn der Anblick ihrer verführerischen Rundungen in deutliche Erregung; ihr Körper wirkte als Allheilmittel bei allen möglichen Widrigkeiten, die ihren Mann in seinem sonst so behäbigen Leben zum Fluchen brachten.
George stand am Fußende der Bettstatt. »Geister«, fing er plötzlich an, »glaubst du an Geister, Winifred?«
»Selbstverständlich«, erklärte sie nachdrücklich.
»Hab ich nicht gewußt. Seltsam, so ’ne Ehe. Dann wird dich der Brief interessieren, den ich heute morgen bekommen habe.«
»Von einem Geist?« Sie lachte hell auf, wollte ihn von diesen sonderbaren Gedanken abbringen. In ihrem Eheleben war kein Platz für Seltsames. Über die Vergangenheit war ein dichter Schleier gebreitet. Sie durfte nicht zulassen, daß etwas ihren Frieden und die arglosen Blütenträume störte.
»Nicht doch. Von Annie Moberly, Rektorin von einem Oxforder Mädchencollege. Entfernte Verwandte. Hab sie früher mal erwähnt.«
Hatte er wirklich. Jedes einzelne Mitglied aus Georges untadeliger Familie hatte sich Winifred fest eingeprägt – weit zurück und bis hin zu angeheirateten Cousins und Cousinen dritten Grades. Beim Jahr 1746 hatte sie es dann bewenden lassen; sie wollte sich nicht noch mit dem unglückseligen sechsten Earl of Stratton belasten, der seinen Kopf verloren hatte, weil er romantischer-, aber unklugerweise für Bonnie Prince Charlie ins Feld gezogen war. Die Stunden, die Winifred über dem Familienstammbaum gebrütet hatte, ehe sie in den Kreis der Ladyboys aufgenommen wurde, hatten sich ausgezahlt. Ihre Kenntnisse der Ahnentafel waren gewissermaßen ein Paß, den sie nicht aus der Hand gab, seit sie George in Frankreich kennengelernt hatte.
George war inzwischen auch im Bett, saß dort aber kerzengerade und nahm sehr zu ihrer Verblüffung keinerlei Notiz von ihrer Hand auf seinem Schenkel. »Sie schreibt darin, sie sei mit einer Freundin aus Oxford in Versailles im Petit Trianon gewesen und directement Marie-Antoinette und ihrem halben Hofstaat in die Arme gelaufen.«
»Ist ja ’n Ding«, erwiderte sie schläfrig; die Hoffnung auf eheliche Bettfreuden hatte sie aufgegeben. Geister, selbst solche von Königinnen, die vor langer Zeit auf dem Schafott geendet hatten, konnten warten.
»Warum fahren wir nicht nach Paris und sehen mal, ob sie uns auch begegnen?«
Im Nu war sie hellwach. »Nein, George«, meinte sie entschieden. »Bournemouth ist viel schicklicher für uns, und Geister gibt’s da bestimmt auch jede Menge, wenn’s darum geht.«
George Ladyboys sagte nichts weiter. Aber in seinem Hinterkopf setzte sich hartnäckig ein Verlangen fest, eines Tages an die Stätten seiner Junggesellentage zurückzukehren, und es ließ ihn all die Jahre nicht mehr los.
»Die Füllung für die poularde à la roi – ich hab die Trüffel vergessen, Mrs. Jolly.«
Die Küchenwände umschlossen ihn bedrohlich, als wäre er in einer Gefängniszelle. Ein Wort wie »vergessen« gab es eigentlich nicht in Didiers Wortschatz, Meisterkoch, der er war, und sein Entsetzensschrei ließ das gesamte Personal erstarren, selbst die sonst so unerschütterliche Mrs. Jolly.
»Seien Sie unbesorgt, Sir«, versuchte sie ihn zu besänftigen, obwohl ihr der Schock sichtlich in den Gliedern saß. »Ich tu mehr Curry in die Sauce; Seine Majestät wird nichts merken.«
»Er merkt immer alles«, stammelte Auguste. In einer Stunde sollte Seiner Majestät ein königliches Bankett serviert werden, perfekt bis ins kleinste. Es sollte den würdigen Rahmen für die Gründungsveranstaltung der Freunde der Entente Cordiale bilden, die auf ausdrücklichen Wunsch Seiner Majestät und mit Tatjanas begeisterter Zustimmung an diesem 10. Juni des Jahres 1906 in ihrem Hause in London in Queen Anne’s Gate über die Bühne ging. »Vergessen!« Nicht zu fassen! Das bedeutete den beruflichen Ruin. Nie wieder würde er kochen. Fortan würde er nur noch als Tatjanas Gatte fungieren, entfernter Verwandter des britischen Königshauses und der Romanows, die ebenso königlichen Geblüts waren. Nach diesem Abend konnte man das »entfernt« in dem verwandtschaftlichen Verhältnis nur betonen. Auguste starrte auf das Hähnchen, das munter auf dem Gasherd brutzelte, und rang mit sich, ob er noch jetzt eingreifen, Füllung und Hähnchen retten konnte.
»Nein, Mr. Didier.« Mrs. Jolly hatte offenbar seine Gedanken gelesen. »Ich nehme die Trüffel und richte sie à la
piémontaise an. Das geht im Handumdrehen.«
»Es ist aber ein Francatelli-Rezept, keins von Didier.« Oh, diese Schande.
»Wenn es gut genug für Queen Victoria war, ist es auch gut genug für ihren Sohn«, bemerkte Mrs. Jolly mit unbestreitbarer Logik.
Das Personal vergaß alle Küchengerätschaften und hielt den Atem an; Auguste gab sich mit gesenktem Kopf geschlagen. Seine Majestät hatte ganz recht gehabt, als er ihm anläßlich seiner Heirat mit Tatjana das Kochen untersagte, nur Sonderfälle ausdrücklich zuließ. Er würde sein Küchenparadies voll und ganz Mrs. Jolly überantworten. Er war verloren, das Mahl war verloren, der Abend würde sich als eine einzige Katastrophe erweisen.
Sein Schicksal war besiegelt.
Augustes Herz hämmerte wie ein Messer beim Kräuterhacken. Sekunden gingen in Minuten über, Minuten in den Moment, da der königliche Daimler vorfuhr, der königliche Chauffeur die Tür aufriß und königliche Füße auf das königliche Trittbrett aufsetzten. Die Ankunft der Königin von Saba mit ihrem Gefolge dürfte mehr Aufsehen erregt haben, aber die Ankunft König Edwards VII. übertraf sie bei weitem hinsichtlich der Erregung von Angstgefühlen. Auguste zitterte. Es war nicht nur das Essen, das für den Abend nichts Gutes verhieß. Auch die Gäste mußten einkalkuliert werden. Allein die Tatsache, daß es Hunderte von Jahren gedauert hatte, um eine Entente Cordiale zwischen Britannien und Frankreich zustande zu bringen, rechtfertigte böse Vorahnungen. Ein Abend, der Franzosen und Engländer vereinte, konnte gar nicht ohne Komplikationen verlaufen, selbst wenn ein Auguste Didier Chefkoch und Gastgeber war.
»Da ist er«, sagte Tatjana neben ihm; sie warteten empfangsbereit in der offenen Tür, und es war eine der seltenen Situationen, da auch sie nervös wirkte. Die Diamanten in ihrem Diadem schienen Auguste in der Juniabendsonne spöttisch anzublitzen. Er hatte seine Mühe gehabt, Tatjana zu überreden, den Stirnreif zu tragen. Seine Majestät (Vetter Bertie bei weniger offiziellen Anlässen) sah es gern, wenn die Damen festlich gekleidet waren, nur hatte Tatjana wenig für Schmuck übrig, brauchte sie doch für die Arbeit in ihrem Motorclub praktische Kleidung.
Die Worte »Da ist er!« dröhnten in seinen Ohren wie die Posaunen des Jüngsten Gerichts. Am liebsten wäre er wie ein Schauspieler in der Versenkung verschwunden, aber das blieb eine Wunschvorstellung, und so rüstete sich Auguste für das böse Ende.
Die königlichen Füße kamen näher, und Charlie, Mrs. Jollys Sohn, der zeitweilig als Butler fungierte, brachte trotz seiner Leibesfülle eine bemerkenswert tiefe Verbeugung zustande.
»Tatjana, meine Liebe.« Bertie strahlte, als Tatjana knickste, und wandte sich dann etwas weniger strahlend ihrem Gatten zu. »Auguste!«
Wenn Seine Majestät ihn mit dem Vornamen begrüßte, mußte er huldvoll gestimmt sein. Trotzdem rechnete Auguste mit dem Schlimmsten, denn auch huldvolle Stimmungen konnten wie ruhige Sonnentage nur allzu plötzlich in dräuendes Gewitter umschlagen.
Sie geleiteten die Ehrengäste über die Haupttreppe in den Salon; das Getrappel der Füße klang in Augustes Ohren wie die Trommeln auf dem Weg zum Schafott: »Tra-ta-ram«, mit jedem Schritt dem Unheil ein Stück näher. Oben erwarteten sie acht Persönlichkeiten, und nur einer von ihnen war er schon vorher begegnet, Louise Danielle. Allein ihretwegen mußte man mit unerquicklichen Situationen rechnen, selbst wenn die Trüffel da gewesen wären, wo sie hingehörten.
Die Türen zum Salon öffneten sich und gaben den Blick auf die Gäste frei; sie standen sich in zwei Reihen gegenüber, als wollten sie gerade ein Menuett tanzen. Über ihnen an der bemalten Decke schwebten rotwangige Götter und Nymphen und schauten fröhlich auf sie herab, als erwarteten zumindest sie ein hehres Schauspiel. Mag sein, es lag an Augustes Nervenkostüm, aber er hatte plötzlich den Eindruck, daß über allen Gästen eine Spannung lag, und Berties Gegenwart konnte nicht der einzige Grund dafür sein.
»Lady Harper, Euer Majestät.« Auguste war ihr bislang noch nicht begegnet und hatte diesem Moment mit Neugierde entgegengesehen. Mirabelle Harper war Französin, Witwe von Sir John Harper, der um einiges älter als sie gewesen sein mußte; sie konnte nicht mehr als Mitte dreißig sein. Doch die Frage nach dem Alter war nicht das erste, was einen beschäftigte, wenn man in den Genuß kam, in die warmen blaugrauen Augen zu blicken und auf das klassisch gelockte Haar. Die seidenen Röcke raschelten, als sie sich von ihrem Knicks erhob. Sie sah Bertie unverwandt an, als teilten beide ein intimes Geheimnis. Eine elegante Erscheinung, sauce mirabelle, befand Auguste, die perfekte Ergänzung für einen älteren Herrn Gemahl, voller Geschmack, süß und perfekt zurechtgemacht. Zuviel sollte man besser nicht von ihr schlecken, könnte einem nicht gut bekommen. »Ist mir eine Ehre, Majestät.« Ihre Stimme war leise und melodisch, und wie um seinen Eindruck von diesem exotischen Prachtvogel abzurunden, blitzten die Brillanten auf.
»Mr. Jacob Fernby.« Natürlich war Seiner Majestät der Modeporträtist, der in aller Munde war und der hoffte, Mirabelle für sich zu gewinnen, kein Unbekannter. Auguste konnte seine Assoziationen zu Küche und Kochen nicht lassen. Auch Mr. Fernby kam nicht ungeschoren davon – eine sauce d’écrevisses vielleicht, oder besser à la provençale? Ja, ein etwas kräftiger, nachhaltiger Geschmack mußte es sein. Der Künstler war von angenehmem Äußeren; ein Anflug von Grau in seinen hellbraunen Locken kam seinem Aussehen zugute. Jacob war im klassischen Sinne schön wie die griechischen Götter, die er malte und mit deren Bildern er sich einen Namen gemacht hatte. Inzwischen hatte er sich mehr den Göttern der ihn umgebenden Gesellschaft zugewandt, aber immer noch hatten seine Porträts, ob Männer oder Frauen, einen edlen, klassischen Ausdruck.
»Madame Alice Gaston und Monsieur Pierre Gaston.« Tatjana stupste ihn an und erinnerte ihn an seine Pflichten. Sie lächelte den Gastons zu, als täte sie nichts lieber auf der Welt als Leute von Vetter Berties Einladungsliste zu unterhalten.
Beflissen folgte Auguste seinem hohen Gast und hatte im Vorübergehen Mitgefühl für Alice. Unter den Geladenen war sie die Jüngste, machte jedoch eher einen eifrig interessierten denn nervösen Eindruck. Ihre üppigen blonden Locken und kobaltblauen Augen hatten nur entfernt eine Ähnlichkeit mit Mirabelle. Im Vergleich zu ihr, der grande dame, war Alice ein naives Kind. Sie war Engländerin, ihr Mann Pierre aber, Anfang oder Mitte vierzig, war Franzose. Sie lebten, wie Auguste wußte, in Paris, und prompt bedachte er sie aus seinem Fachvokabular mit sole au chablis (leicht und zart) und bisque (schwer, vielleicht mit ungeahnter Tiefgründigkeit). Dann fiel ihm ein, daß es keineswegs so einfach war, Seezunge zuzubereiten, wie man leichthin vermutete.
Er war in sein Gedankenspiel entrückt, und seine Nervosität legte sich nach und nach.
»Mr. und Mrs. George Ladyboys, keine Unbekannten für Sie, Sir.« Roastbeef und Weihnachtsplumpudding, stellte Auguste stillvergnügt fest. Als Mitglied des Marlborough Club mußte Seine Majestät George Ladyboys gut kennen, hielt er sich doch auch oft genug auf dessen Landsitz bei Leicester auf, wie Tatjana erzählt hatte.
Robert, Comte de Tourville, war ein anderer guter Freund Seiner Majestät, auch wenn man sich das kaum von jemandem vorstellen konnte, der keineswegs so solide wirkte wie der unverwüstliche George Ladyboys. Er war ein ortolan, ein Zugvogel, zur gesellschaftlichen Saison immer da, ein Mann mit Charme und Kultur – natürlich auch Franzose, wenngleich Auguste ihn noch nie zuvor gesehen hatte. Und auf den ersten Blick war er sich nicht sicher, ob er sich für ihn würde erwärmen können. Wieder ging seine Phantasie mit ihm durch – er sah in Roberts Charme mehr Garnierung, weniger Füllung. Wie auch immer, Seine Majestät hielt große Stücke auf ihn, und das nicht ohne Grund. Von Tatjana wußte Auguste, daß es Robert gewesen war, der Bertie, damals noch Prince of Wales, vor zehn, fünfzehn Jahren ins Moulin Rouge eingeführt hatte.
Und damit kam er zu Madame Louise Danielle, Roberts langjähriger und – wie Auguste vermutete – auch keineswegs geheimer Geliebten, die mit einem Politiker verheiratet war, der das Verhältnis anscheinend stillschweigend duldete. Sie mußte um die Fünfunddreißig sein, sah aber älter aus. Wenn Alice die Seezunge war, dann war Louise der Hecht, schon wegen des dunklen glänzenden Haares, der verführerischen dunklen Augen und der olivgrünen Haut. Dieser köstliche Happen, der gefährlichste aller Süßwasserfische, verbarg sich in einem betörenden Dressing. Er hatte Louise einmal auf der Höhe ihres Ruhms im Moulin Rouge erlebt, und wer immer sie dort gesehen hatte, würde La Dervicheuse, als die sie seinerzeit weit und breit bekannt war, in bleibender Erinnerung behalten. Sie hatte alles daran gesetzt, sich später durch ihre Eheschließung den Ruf einer »ehrbaren« Frau zu sichern, aber wenn das Dressing entfiel, kam der Raubfisch wieder zutage.
»Es ist mir ein Vergnügen«, gurrte Louise mit ihrer tiefen belegten Stimme, erfaßte mit einem Blick die Gästeschar und richtete dann ihre dunklen Augen auf Seine Majestät, »hier so viele alte Freunde wiederzusehen.«
Auguste erschrak. Zu gut wußte er, daß Bertie sehr empfindlich reagierte, wenn man ihn an »die alten Zeiten« erinnerte, um so mehr, wenn es um ureigenste Verstrickungen Seiner Majestät ging. Ihm schwante, dieser Abend würde übel enden.
»Nicht ganz so exquisit wie sonst, Auguste«, bemerkte Bertie barsch, aber durchaus vergnügt. »Die Curry-Sauce war eine Spur zu scharf. Aber die Trüffel waren exzellent. Die können Sie wieder machen.«
Auguste lächelte höflich, kochte aber innerlich. Mit das Ärgerlichste an Bertie war, daß er, soweit es Essen betraf, fast immer recht hatte. Die Kochkünste des Gastgebers aber vor den Ohren anderer zu kritisieren war wohl nicht gerade die sinnreichste Art, zum guten Einvernehmen zwischen Britannien und Frankreich beizutragen, um so mehr, da Seine Majestät ausdrücklich darauf bestanden hatte, daß Auguste das Dinner ausrichtete – er hätte ja auch seine Palastköche mitbringen können.
»Ob wir uns ein wenig zurückziehen, meine Damen?« Tatjana hatte die Gefahrensignale erkannt und ergriff die Initiative.
An sich mißfiel Tatjana dieses englische Ritual, auch wenn es für solche Gäste praktisch sein mochte, die sich nach dem Essen unauffällig davonmachen wollten; heute abend aber schien ihr die Sitte sehr gelegen zu kommen. Auguste konnte sie in ihrem Eifer verstehen. Die Konversation bei Tisch war von Louise beherrscht worden, die sich zwar insofern ans Protokoll hielt, daß sie es Seiner Majestät überließ, ein Thema anzuschneiden, aber es immer wieder schaffte, das Gespräch an sich zu reißen und sich zur Schau zu stellen. Tatjana hatte es gereicht. So weit, so gut, nur fand Auguste, zur Pflicht der Gattin gehörte es auch, dem eigenen Mann hilfreich zur Seite zu stehen und ihn nicht auf Gedeih und Verderb Seiner Majestät auszuliefern.
Als Auguste später den Zeitpunkt für angebracht hielt, vorzuschlagen, sich wieder zu den Damen zu gesellen, und die Dienerschaft, die sich dem Anlaß entsprechend brav in eine Livree gezwängt hatte, die Türen aufriß, stellte er mit Genugtuung fest, daß Tatjana bei dem Anblick der Herren erleichtert war. Sie war von ihrem Motorclub her den Umgang mit komplizierten Damen gewohnt, aber wenn sich eine Louise Danielle darunter befand, wurde es besonders schwierig, und schon beim Dinner war deutlich geworden, daß die Sympathie zwischen ihr und Mirabelle noch spärlicher war, als gemeinhin zwischen rivalisierenden Frauen zu beobachten ist. Tatjana kannte Louise aus ihrer Pariser Zeit, und schon damals war ihr aufgefallen, daß Louise jede Minute, die sie in reiner Damengesellschaft verbrachte, für Zeitverschwendung hielt. Robert vergötterte sie, ihr Mann vergötterte sie, die halbe Männerwelt lag ihr zu Füßen, aber sie konzentrierte sich darauf, die andere Hälfte in ihren Bann zu ziehen. Jetzt, als die Türen aufgingen, war es mit ihrem Gelangweiltsein vorbei, und sie konnte wieder mit ihrer kehligen Stimme zu Felde ziehen.
Seine Majestät betrat den Raum, und Louise erhob sich anmutig, wollte offensichtlich direkt auf ihn zugehen. Was immer sie im Schilde führte, um wie zuvor beim Essen auch den restlichen Abend für sich zu entscheiden, es mißlang. Mirabelle war nicht gewillt, sie gewähren zu lassen, und kam ihr zuvor. In aller Ruhe ging sie zu Robert und verkündete ungeachtet jeglicher Spielregeln des Protokolls: »Oh, die Herren sind wieder da. Diese alberne englische Gepflogenheit lassen wir aber fallen, wenn wir erst einmal verheiratet sind, nicht wahr, Robert?«
Jedes Detail der darauffolgenden Reaktion prägte sich Auguste tief ins Gedächtnis. Die Szene hätte Jacob Fernby Stoff für ein Gemälde mit dem Titel »Schockierte Gesellschaft« geboten. Louise rührte sich nicht von der Stelle, verharrte wie eine Katze vor dem Sprung auf die Beute. Der Graf sagte kein Wort, starrte mit steinerner Miene zu Louise hinüber. Jacob kämpfte nach dem ersten Schock mit kaum zu unterdrückendem Ärger. Nur Alice Gaston strahlte bei der Verkündung der Nachricht und klatschte voll kindlicher Begeisterung in die Hände.
Schließlich sagte Louise langsam und gedehnt: »Herzlichen Glückwunsch, Robert. Ihnen natürlich auch, liebe Mirabelle, nach all Ihren Bemühungen.«
»Auch ich gratuliere«, ließ sich Jacob vernehmen. »Sie haben mich glauben gemacht, Sie liebten mich.« Mirabelle schien sein Vorwurf nicht weiter zu berühren; sie lächelte nur.
Mit Interesse registrierte Auguste, daß Robert seine Fassung rasch wiedergewann; er war nicht darauf vorbereitet gewesen, daß Mirabelle just diesen Moment wählen würde.
Seine Majestät räusperte sich. »Wann soll die Hochzeit sein, Robert?«
»Wir sind am Überlegen, Sir. Unsere Pläne stehen noch nicht endgültig fest.«
»Meine auch noch nicht«, warf Louise ungefragt ein. »Doch aufgepaßt, daß nicht ungebetene Geister der Vergangenheit dem jungen Glück in die Quere kommen.«
Tatjana entging nicht, wie sich Berties Gesicht verfinsterte; doch ehe sie sich einmischen konnte, sprang George Ladyboys in die Bresche und sagte rasch: »Apropos Geister, ich kenne da eine großartige Geschichte. Über Versailles – interessiert Sie bestimmt.«
»George, bitte nicht!« rief Winifred vergeblich, denn schon bekundete man erleichtert Interesse. Selbst Bertie schien nicht auf seinem königlichen Privileg bestehen zu wollen und ging bereitwillig auf das vorgeschlagene Thema ein. Vielleicht lag es auch an dem Kognak, den ihm Charlie Jolly, der fast aus den Nähten seiner Livree platzte, in die Hand drückte.
Louise war weniger enthusiastisch. »Doch nicht etwa die alte Geschichte von Marie-Antoinette, wie sie im Petit Trianon herumspukt?«
George wurde rot, als Alice losquiekte. »Nein, wie schön! Haben Sie gewußt, daß Marie-Antoinette meine Vorfahrin ist? Ich soll ihr, wie man sagt, sehr ähnlich sein, stimmt’s, Pierre?«
»Ja, meine Taube.« Nachsichtig lächelte Pierre seiner Frau zu.
»Dann kennen Sie alle die Geschichte?« George war sichtlich enttäuscht.
»Schon vor zwanzig Jahren hat es ein Buch darüber gegeben«, lachte Robert. »Alte Kamellen, aber verkaufen sich gut – die Leute glauben so was.«
»Meine Mutter stammt aus einer alten österreichischen Familie.« Alice war in ihrem Element und ließ sich nicht bremsen. »Ich bin ein Nachkomme des Dauphin. Es stimmt nicht, daß er in Paris gestorben ist, er konnte nach Wien fliehen. Ich weiß das genau.«
Unbeirrt blieb George bei seinem Thema. »Diese Geschichte mit den Geistern hat sich erst vor fünf Jahren abgespielt. Die Rektorin von St. Hugh’s in Oxford und ihre zukünftige Stellvertreterin Eleanor Jourdain hatten sich an einem heißen Augusttag bei ihrer Suche nach dem Schlößchen Petit Trianon in den Anlagen von Versailles verlaufen. Sie waren einen Weg am Grand Trianon entlanggegangen, hatten dann eine Abzweigung genommen, die hinten um die Gärten vom Petit Trianon führte, waren noch einmal abgebogen und wußten dann nicht mehr weiter. Sie fragten zwei Burschen, die sie für Gärtner hielten, wo es zu dem Lustschloß ginge. Unterwegs begegneten ihnen noch andere komisch herausgeputzte Gestalten, und schließlich gelangten sie von hinten an das gesuchte Gebäude. Im Garten saß eine Dame mit Skizzenblock, auch sie in historischer, aber exquisiter Tracht, und aus der benachbarten Kapelle kam ein junger Mann gelaufen, der die Suchenden um das Schloß herum zum Haupteingang dirigierte. Dort befanden sie sich plötzlich in einer großen Hochzeitsgesellschaft und dachten nichts Arges dabei. Erst später, als sie nochmals ihre Aufzeichnungen durchgingen und verglichen, kamen sie überein, daß Geister dort ihren Spuk getrieben haben mußten.« George steigerte sich in seine Schilderung hinein. »Nicht beide Damen hatten nämlich alle Gestalten gesehen. Die Frau mit dem Skizzenblock, zum Beispiel, hatte nur Miss Moberly wahrgenommen, und dabei waren beide ganz dicht an ihr vorbeigegangen.«
»Ein heißer Augusttag eben«, kommentierte Robert ungerührt.
»Mein Mann ist jedenfalls genauso wie die zwei Damen davon überzeugt, daß ihr Spaziergang sie in die Zeit von Marie-Antoinette zurückversetzt hatte«, kam Winifred ihrem Gatten lautstark zu Hilfe.
»Die Vergangenheit erweist sich immer wieder als fruchtbares Feld für Forschungen, finden Sie nicht?« fragte Mirabelle in den Raum hinein, fand aber keinen Widerhall.
»Glauben Sie auch an Geister, Mrs. Ladyboys?« Auguste war bemüht, das dem Anschein nach harmlose Thema am Kochen zu halten.
»Ja, Mr. Didier.« Eifrig sprang Winifred auf die Wiederaufnahme der Debatte an. »Und Majestät, glauben Sie an Geister?«
»In der Gegend von Windsor treiben etliche ihr Spiel, ja. Herne, der Jäger, zum Beispiel.« Bertie blickte zu Auguste hinüber; beide wußten von einer Begebenheit, bei der besagter Geist, der allzu irdische Gestalt angenommen hatte, letztlich Opfer seiner selbst geworden war.
»Englische Geister sind wahrhaftiger, Sire«, lachte Robert. »Aber mit Geistern, die am hellichten Tage gesichtet werden, noch dazu von Damen, die in dem Lande nicht zu Hause sind und – wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf – auch nicht den Genuß eines Glases Wein zum Lunch gewohnt sind, ist das etwas anderes.«
»Im Fall von Miss Moberly und Miss Jourdain kann diese Auffassung ja wohl kaum gelten«, erwiderte George unbeeindruckt. »Als führende Persönlichkeiten eines Oxford College lassen sie sich gewiß nicht so leicht irritieren, wie Sie uns weismachen wollen.«
»Meine Eltern kannten Bischof Moberly und seine Töchter. Die von Ihnen erwähnte Miss Moberly war das siebente Kind, und von ihr wußten sie zu berichten, daß sie immer so eigentümliche Erlebnisse hatte«, gab Alice strahlend zum besten.
»Das besagt noch gar nichts«, befand Jacob. »Das ist noch lange kein Beweis, ob es Geister tatsächlich gibt oder nicht. Wir Künstler …«
»Pourquoi?« unterbrach ihn Pierre streitlustig. »Die ganze Geschichte ist einfach lächerlich. So etwas wie Geister gibt es nicht.«
»Och, ich wäre so gern Königin Marie-Antoinette begegnet«, schmollte seine Frau. »Aber wir sollten noch hören, was uns Mr. Fernby zu sagen hat«, fügte sie hinzu und bedachte Jacob mit einem bewundernden Blick.
Jacob lächelte gönnerhaft. »Übersinnliche Erlebnisse haben nur einige wenige Menschen, die eine besondere Veranlagung besitzen. Kann sein, daß Miss Annie Moberly eine von ihnen ist.«
»Papperlapapp!« ging Mirabelle temperamentvoll dazwischen. »Sicher hat Ihre Theorie etwas für sich, bester Jacob, aber alle, die Versailles gut kennen, werden sich mit Recht fragen, warum von den Tausenden Besuchern, von denen gewiß viele besagte übersinnliche Kräfte besitzen, Marie-Antoinette ausgerechnet auf zwei englische Damen verfallen ist, mit denen sie ihre Possen treibt.«
»Genau«, pflichtete ihr Alice eifrig bei. »Mir will auch nicht in den Kopf, weshalb Ihre Majestät Fremden erscheint und nicht ihrer eigenen Familie.«
»Das ist ganz einfach.« Winifred hatte sich bislang zurückgehalten und ihren Mann reden lassen; jetzt aber mußte auch sie ihre Meinung zum besten geben. »Die beiden Damen waren am 10. August dort, und das ist der Jahrestag des Masakers in den Tuilerien und des Tages, als Ludwig XVI. und Marie-Antoinette gezwungen waren, sich der Nationalversammlung zu unterwerfen.«
»Und wieso sollte das gerade der geeignete Tag sein, um im Trianon den Spuk zu treiben?« Mirabelle lachte und zwinkerte Robert fröhlich zu.
Louise nahm den Blickaustausch wahr und wechselte prompt die Seiten. »Ganz einfach, jedenfalls für Menschen mit Gespür, liebe Mirabelle. Ich will es erklären. Am 10. August 1792 dachte die Königin inmitten allen Schreckens und Entsetzens um sie herum an ihren letzten Tag im Trianon, das war der 5. Oktober 1789. Es war der Ort, wo sie die glücklichste Zeit als Königin verbracht hatte. Die arme Frau versuchte ihre Angst vor der Nationalversammlung durch Erinnerungen an glücklichere Stunden zu verdrängen, und die ganze Kraft ihrer Gefühle hat sich an jenem Augusttag mit dem Trianon verbunden. Die Legenden sprechen von einem Tag im August, an dem man die Erscheinung sehen kann.«
»Da dürfte der gute Geist mit all den Gedenktagen seine Schwierigkeiten haben«, bemerkte Mirabelle trocken.
»Mir wäre nach einem Brandy und Soda, Didier.« Deutlicher konnte Seine Majestät seinen Unmut über das Gerede nicht zum Ausdruck bringen. Eilfertig sprang ihm Tatjana bei und glättete die Wogen, während Auguste einen Diener heranwinkte.
»Eine interessante Konstellation«, verkündete sie strahlend. »Eure Majestät, mein Mann und ich haben bei der ganzen Geschichte keine Position bezogen, vier von den anderen acht verhalten sich den Darstellungen von Miss Moberly und Miss Jourdain gegenüber skeptisch, und vier scheinen die Sache zu glauben.«
Auguste war erleichtert dank der sachlichen Feststellung seiner Frau. Bertie trank seinen Brandy und würde sogleich einen anderen Gedanken ins Gespräch bringen. Es könnte doch noch alles gut gehen. Der Abend konnte vielleicht sogar noch als Erfolg verbucht werden. Doch schon wurden seine Hoffnungen zunichte gemacht, denn George Ladyboys, mit vom Alkohol geröteten Gesicht, erregt auch durch die ungewohnte Situation, im Mittelpunkt zu stehen, fing wieder an zu reden: »Wir sollten nicht vergessen, daß Miss Moberly und Miss Jourdain Engländerinnen sind. Natürlich glaube ich, was sie geschildert haben. Und das tut selbstverständlich jeder, der nicht seinen Kopf verloren hat.«
»Hatte die arme Königin Marie-Antoinette aber leider«, seufzte Robert. »Ich wette um tausend englische Pfund, daß die ganze Geschichte erfunden ist.«
»Erfunden?« reagierte George gekränkt. »Ich nehme Ihre Wette an. Zweitausend, daß die Damen die Wahrheit gesagt haben, Sir.«
»Bitte schön.« Robert zuckte mit den Schultern. »Ich wette mit Ihnen, daß am 10. August diesen Jahres die Geister von Marie-Antoinette und ihrem Hofstaat nicht im Trianon zu sehen sind und daß wir Ihnen beweisen werden, daß auch Ihre zwei Blaustrümpfe sie nicht gesehen haben können.«
»Und wie wollen Sie das machen?« fragte Tatjana wißbegierig.
»Wir werden beide am 10. August zum Petit Trianon gehen«, sagte Robert nach kurzer Überlegung. »Schlagen Sie ein, George?«
»George schlägt nie eine Wette aus«, versicherte Bertie, er wußte es aus Erfahrung. »Er verliert nur selten. Ich setze auf ihn«, verkündete er mit Schwung.
George biß an, ohne auch nur nachzudenken. »Ihre Wette gilt, Robert«, rief er.
»Du hast doch gesagt, du hältst nichts von Wetten«, jammerte Winifred verschreckt, die ihren George so nicht kannte.
»Es ist ja auch keine Wette in dem Sinne, Winifred. Der Ausgang ist doch völlig klar.«
»Ohne Zeugen geht es aber nicht«, warf Auguste unbedachterweise ein.
»Dann müssen wir eben alle dort mit hin«, lachte Mirabelle. »Das wär doch ’ne hübsche Sache, findest du nicht, Robert?«
»O ja, das machen wir«. Alice geriet geradezu aus dem Häuschen.
»Es gibt keine Geister, Alice«, erinnerte Pierre sie schroff.
»Magnifique«, sagte Robert und sah bei dieser Feststellung Louise an. »Wenn Sie uns mit Ihrer Gegenwart beehren würden, Majestät, würde ich arrangieren, daß wir dort alle dinieren und auch im Petit Trianon logieren. Das würde den, wie ich fürchte, sonst öden Nachmittag zu einem gesellschaftlichen Ereignis werden lassen.«
»Alle, haben Sie gesagt?« Winifred packte das Entsetzen.
»Warum nicht?« Pierre lachte laut. »Haben Sie Angst, Sie kriegen wirklich Geister zu sehen?«
Auguste registrierte, daß Bertie einigermaßen entgeistert war. Offensichtlich wurde ihm klar, daß er ein Eigentor geschossen hatte. Er blickte auf und merkte, daß Auguste ihn beobachtete. Sein Gesicht verfinsterte sich, dennoch brachte er ein »Ich bin mit Freuden dabei, Robert« über die Lippen.
Winifred ging nicht weiter auf Pierre ein, startete aber einen letzten Versuch, Robert zu beschwören. »Das geht nicht gut, Robert. Angenommen, es tauchen keine Geister auf? Vielleicht ist kein Medium unter uns, und dann verliert George auf unfaire Weise.«
»Wir werden sie schon herauslocken. Sagen Sie bloß, das ist nicht fair von einem Franzosen!« Robert lachte. »Wir werden genau die Route nachvollziehen, die die Damen genommen haben. Damit werden wir beweisen, daß sie die ganze Zeit in den Gärten von 1901 und nicht von 1789 wandelten und daß die Leute, die sie gesehen haben, lediglich Gärtner und andere Besucher waren. Vorausgesetzt, die tote Königin beehrt uns nicht mit einem Besuch, dann habe ich die Wette gewonnen.«
»Abgemacht!« stieß George hervor.
»Irgendwie habe ich das Gefühl, ich werde gewinnen«, setzte Robert selbstgefällig noch eins drauf.
»Wir könnten uns sogar verkleiden«, schlug Alice begeistert vor. »Das könnte die Geister hervorlocken. Nicht, daß ich an sie glaube. Ich kostümiere mich als …«
»Ja, warum nicht?« fiel ihr Louise ins Wort. »Wirklich eine großartige Wette, lieber George. Jeder von uns übernimmt die Rolle eines der Akteure aus der Geschichte. Ich werde die Königin ermuntern zu erscheinen und ihren Part übernehmen.«
George strahlte ob des Kompliments, während Alice einen Flunsch zog. »Marie-Antoinette war aber meine Vorfahrin.« Niemand hörte ihr zu, alle verfolgten gespannt das heimliche Ränkespiel zwischen Louise, Robert und Mirabelle.
»Ich habe das Gefühl, liebe Louise«, fing Mirabelle an und sprach sehr gedehnt, »daß Sie geradezu darauf erpicht sind, daß der Geist der Königin erscheint.«
»Im Gegensatz zu Ihnen, meine Liebe, spiele ich immer mit offenen Karten«, gab Louise zurück. »Außerdem ist es doch wohl wirklich angebrachter, wenn ich den Part übernehme – oder nicht, Robert?«
Der Fehdehandschuh war geworfen, und es herrschte absolute Stille in Erwartung einer Antwort. »Vielleicht hat in diesem Falle Mirabelle recht, Louise.«
»Das ist nicht fair, Robert«, winselte Alice.
»Im Leben geht es selten fair zu, mein liebes Kind.« Louise warf den Kopf zurück und lachte. »Also gut. Sie, Monsieur und Madame Didier, müssen die Rolle der beiden Damen übernehmen, ihrer Route folgen und die Leute grüßen, die sie gegrüßt haben. Das wird die Geister aus der Reserve locken, und sie kommen vielleicht hervor, während wir Tee trinken. Wie ist’s, vertrauen Sie unseren Gastgebern, meine Herren?«
Ein allgemein zustimmendes Gemurmel war zu hören, und Auguste sah erschrocken Tatjana an. Dachte sie wie er, daß es ausgemachte Torheit war, in diese Farce mit hineingezogen zu werden? Ihm schien eindeutig, daß es um weit mehr als eine Wette ging. Am besten, er schob eine andere Verpflichtung vor, und zwar sofort.
»Es tut mir leid …«
»Eine großartige Idee.« Seine Majestät nickte zustimmend.
Auguste schwindelte es bei dem Gedanken, mir nichts dir nichts in diesen gräßlichen Spuk mit eingebunden zu sein. Für ihn hatte die Entente jede Spur von Cordiale verloren. Sinnend blickte das königliche Auge zu ihm hinüber. »Was ich noch sagen wollte, Auguste, das Dinner heute abend war wirklich gut. Das mit dem Curry müssen Sie sich nicht zu Herzen nehmen. Und da Sie ohnehin im Petit Trianon mit dabei sind, könnten Sie den Lunch bereiten und das Dinner. Tee auch, wenn Sie möchten.«
»Zu gütig, Majestät.« Eine einzige Lüge, kam die tatsächlich aus seinem Mund?
Wenn Seine Majestät seine Dienste als Küchenchef anmahnte, hatte er zu gehorchen. Das war eine der Bedingungen, und zwar die härteste, unter denen er die königliche Einwilligung erhalten hatte, Tatjana zu ehelichen.
Mirabelle ließ die Geschehnisse des Abends und die Rolle, die sie selbst dabei gespielt hatte, Revue passieren, während Jacob sie in seinem neuen Royce zum Claridge’s zurückbrachte. »Bitte nicht über zwanzig Stundenkilometer, lieber Jacob. Sie wissen ja, das ist die Sicherheitsgrenze für Staubschutz.« Jacob war wirklich ein Schatz, und sie war sich durchaus bewußt, daß ihm sehr daran gelegen war, ein ganz besonders lieber Schatz zu werden. Seit zwei Jahren war sie verwitwet; er fand, das war lange genug, und sie fand das auch. Aber wie hieß das doch gleich? Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, der Mohr kann gehen. Heute abend hatte sie in ihrem Vorhaben, Robert zu heiraten, den entscheidenden Schritt getan. Mit der kleinen Bedrohung, die Jacob darstellte, würde sie umgehen können. Robert war seit Hélènes Tod – sie starb vor sechs Jahren – Witwer. Im Grunde genommen mußte Mirabelle Louise dankbar sein, daß Robert all die Jahre hindurch allein geblieben war, was wiederum dem Umstand zu verdanken war, daß deren Gatte sich bester Gesundheit erfreute und damit Robert davon abhielt, sie zu ehelichen.
Jetzt wollte der nächste Schritt bedacht sein. Sie hatte Jacob aus ihren Erwägungen völlig verdrängt, kein Wunder, daß sie förmlich hochschreckte, als sie ihn sagen hörte: »Ich kann es einfach nicht glauben, daß Sie allen Ernstes diesen Menschen heiraten wollen.«
»Allen Ernstes, ja, Jacob.«
»Er liebt Louise, und Sie, so dachte ich, würden mich lieben.«
»Sie sind ein lieber guter Freund, mon Jacob, aber mein Herz gehört seit langem Robert. Und was Louise betrifft, da irren Sie sich gewaltig. Schließlich ist sie eine verheiratete Frau.« Mirabelles Stimme klang geradezu vorwurfsvoll, und Jacob brachte das Automobil vor dem Hotel reichlich unsanft zum Stehen.
»Sie haben mich an der Nase herumgeführt, Mirabelle«, sagte er einfach. »Fürchten Sie nicht die Nemesis, die Göttin der Rache?«
Sie lachte. »Nein. Genausowenig wie andere Geister der Vergangenheit. Aber Sie hoffen bestimmt darauf, daß Marie-Antoinette erscheint, damit Sie sie porträtieren können. Das würde Ihren Ambitionen entgegenkommen, oder?«
»Da gibt es ganz andere Geister.« Jacob zitterte vor Wut, blieb aber in der Stimme ruhig.
Sie sah ihn an. Er hatte also nicht vergessen. »Ah, Sie denken an Hélène.«
»Ich glaube, das tun wir alle.«
»Sie haben Sie zu sehr vergöttert.«
»Das stimmt. Aber ich bin jetzt vierunddreißig, und damals war ich einundzwanzig.«
Auch Mirabelle war vierunddreißig, aber anders als Jacob hatte sie mit ihrer Heirat 1898 ihr früheres Leben hinter sich gelassen. Nicht, daß sie es vergessen hätte, auch speicherte sie in ihrem Gedächtnis alle Informationen, derer sie seitdem hatte habhaft werden können. Wissen ist Macht. Sie war im Begriff, das zu erreichen, was sie in ihrem Leben am meisten ersehnt hatte, und heute brachte niemand den Namen Lady Harper mit Mathilda Plevinne, der Chansonette und Tänzerin im Jardin de Paris, in Verbindung. Niemand, bis auf die drei, die ihr damals am nächsten standen: Louise, Robert – und Jacob.
Pierre und Alice Gaston nahmen für ihren Heimweg zu Alices Eltern in Mayfair, wo sie im allgemeinen wohnten, wenn sie in London weilten, eine Pferdedroschke.
»Du bist sehr schweigsam, Pierre.« Es hatte lange gedauert, ehe Alice eine Bemerkung gewagt hatte. »Du bist mir doch nicht böse, mein lieber großer Brummbär?«
»Wie sollte ich, mein Liebes.« Pierre hatte die Überraschungen des Abends noch nicht ganz verkraftet und war am Überlegen, ob und wie er die Situation zu seinen Gunsten wenden könnte oder ob die Geschichte sich gegen ihn kehren würde. Wer hätte nach all den Jahren an so etwas gedacht? So viel stand fest: Alice durfte nichts davon erfahren. Sie waren jetzt fünf Jahre verheiratet, und die Quelle seines Wohlstands, der es ihm ermöglicht hatte, in solch eine hochgestellte englische Familie einzuheiraten, mußte sein Geheimnis bleiben, wie so manches andere auch.
Geister, wahrhaftig. Was auch immer am 10. August geschehen mochte, die einzige Erscheinung, die für ihn in Versailles von Bedeutung sein würde, war die lebendige Erinnerung an die Vergangenheit, die tief in ihm begraben lag: Louise Danielle.
Bedacht wählte Louise den Moment, da sie zu sprechen anhob. Sie hatte deutlich zu verstehen gegeben, daß Robert, der sie zum Bankett hergebracht hatte, sie auch würde nach Hause geleiten müssen, Verlobung hin, Verlobung her. Sie würde auch die Nacht mit ihm verbringen, hatte sie beschlossen. War es mehr Wut oder Verwirrung, was in ihr nagte? Wenn Mirabelle Harper Geld besäße, dann könnte sie es ja noch verstehen; das besaß sie aber nicht, und Louise wiegte sich in der Zuversicht, daß Robert trotz seiner Leichtfertigkeit ihr so leidenschaftlich wie immer zugetan war. Anders konnte sie es sich nicht vorstellen, er war ihr wie eh und je hörig, und das würde auch so bleiben.
»Wenn du mich heut nacht in deine Arme schließt, mein Lieber, siehst du dann mich oder deine Verlobte?«
Falls sie Entschuldigungen, Erklärungen, Liebesbeteuerungen erwartet hatte, wurde sie enttäuscht.
Er lachte, und das irritierte sie. »Dich, ma mie, wenn ich mich so glücklich schätzen könnte, dich heute nacht zu umarmen. Aber ich kann nicht.«
»Du gehörst doch aber mir, Robert.« Noch wollten sich keine Zweifel einschleichen, dennoch erwartete sie seine Bestätigung.
»Mein Herz gehört dir.«
»Und auch dein Verstand, hoffe ich. Du wirst doch nicht diese Frau heiraten, Robert.«
Er blieb ihr eine Antwort schuldig.
»Wenn du das tust«, fuhr Louise in aller Freundlichkeit fort, »würde mir die Entscheidung schwerfallen.«
»Welche Entscheidung?«
»Ob ich das Herzchen Mirabelle umbringe oder dich. Ein crime passionel«, schnurrte sie. »Nein, wie verlockend!«
»Bournemouth, George. Wir hatten doch für August Bournemouth gebucht.« Winifreds Stimme klang leicht verzweifelt.
George tat es bis zu einem gewissen Grade leid, aber er blieb fest. Im Grunde seines Herzens fieberte er der Sache sogar entgegen. »Ich konnte nicht anders, mein Häschen. Ein Gentleman kann doch in Gegenwart anderer kein Wettangebot ablehnen.«
»Ich muß aber nicht nach Frankreich mitkommen, oder?«
»Ich fürchte doch, jetzt, wo auch Seine Majestät dorthin kommt. Es könnte dich Kopf und Kragen kosten, wenn wir ihn verletzen. Und mich auch.«
Winifred schien selbst diesen Preis zahlen zu wollen. »Ich würde es auch übernehmen und ihm das mit Bournemouth erklären«, meinte sie niedergeschlagen.
Er starrte sie an. »Du glaubst doch aber die Geschichte der beiden Weibsbilder wirklich. Sonst bist du immer die erste, die mich ohne Zögern unterstützt.«
»Mach ich ja auch, George«, erwiderte seine Frau tonlos. »Trotzdem, wenn sich keine Geister sehen lassen und wir nicht beweisen können, daß es mit der Geschichte seine Richtigkeit hat …«
»Alle wetten mit und machen ihren Einsatz. Wir können jetzt nicht mehr zurück. Und letzten Endes können wir es uns leisten, wenn’s schief gehen sollte«, versuchte George ihr gut zuzureden.
Vielleicht konnte er es sich leisten. Winifred jedenfalls nicht.
Auguste betrachtete die Reste des Dinners, immer wieder eine angenehme Aufgabe, der er bisher stets nachgekommen war. Das Abräumen war jedes Mal aufschlußreich; wie bei den Vorbereitungen gab es dabei manch wertvollen, wenn auch oft unangenehmen Fingerzeig.
»Alles gut gegangen, Sir?« fragte Mrs. Jolly und hatte keine Sorge ob der Antwort. Sie führte seine Küche wie den Pastetenladen im East End, wo er sie ausfindig gemacht hatte. Alles lief ordentlich und präzise, sie sorgte für gleichbleibendes Niveau und hielt Diener und Butler (insbesondere ihren Sohn) auf Distanz. Ein Dinner für Seine Majestät war wie ihre Pasteten: eins wie das andere ein Muster an Perfektion. War sie von einem Gericht nicht überzeugt, brachte sie niemand dazu, es zu kochen; aber was sie kochte, darauf konnte man sich verlassen.
»Seine Majestät war des Lobes voll ob der Trüffel piémontaise.«
»Oje. Was soll ich davon halten?« Sie war verunsichert.
»Nein, wirklich. Mit dem Essen war alles in Ordnung, Mrs. Jolly.« Auguste zögerte. »Glauben Sie an Geister, Mrs. Jolly?«
»Ja, Sir. In meinem Pastetenladen, da hatte ich mal einen in der Speisekammer. Ließ alles mitgehen. Gibt’s sonst noch was? Ich hab alles in die Speisekammern geräumt.«
Auguste blieb noch eine Weile, um den Frieden und die faßbaren Dinge seiner Küche zu genießen. Hier könnte man es sogar mit Geistern aufnehmen, und Le Petit Trianon war noch ganz weit weg.
Dann ging er nach oben. Tatjana war schon im Bett; er beugte sich über sie und küßte sie.
»Mon brave, hast die Tortur mal wieder überstanden«, sagte sie und erwiderte seinen Kuß leidenschaftlich.
»In zwei Monaten geht’s von vorne los.«
»Vielleicht erscheinen dir die Geister von Marie-Antoinettes cuisiniers und helfen dir«, tröstete ihn Tatjana schläfrig.
»Oder die von ihren Henkern.«
Sie schoß hoch. »Damit darf man nicht scherzen, Auguste. Das bringt Unglück«, maßregelte sie ihn aufgebracht.
»Du glaubst doch nicht etwa, daß die Geister erscheinen?«
Sie antwortete nicht gleich, dann: »Ich bin Russin, Auguste.«
»Ich weiß.«
»Und in meiner Familie gibt es welche, die seltsame Erscheinungen hatten.«
Augustes Magen revoltierte – von zu viel Curry konnte es nicht kommen.
»Ich fürchte, ich bin selbst so ein Medium, Auguste.«
»Non!«
Nach gehabten Strapazen auch noch dieser Empfang. Erst die Überfahrt auf einem Dampfer, wo außer Tatjana und ihm alle Welt en vacances zu sein schien, dann die lange und unbequeme Bahnfahrt nach Paris; jedes Ruß- und Schmutzpartikelchen, das die Dampflok ausstieß, blieb ausgerechnet an dem Fenster kleben, hinter dem er gekauert hatte. Und als Krönung nun dieser Anblick!
Gelassen schnipste Robert ein Marienkäferchen weg, das sich frech auf der Nelke im Knopfloch seines makellosen Cutaway niedergelassen hatte. Die Markenqualität eines Kriegck in der Rue Royale durfte nicht von kleinen roten Käfern mit schwarzen Punkten verunziert werden. »Hat der vielgerühmte Meisterkoch Alexis Soyer nicht einen transportablen Herd erfunden, um selbst auf der Spitze einer Pyramide ein vorzügliches Dinner bereiten zu können?«
Im ersten Moment verschlug die Bemerkung Auguste die Sprache, und er starrte Robert nur an. Soyer war schon viele Jahre tot, aber sein Ruf lebte fort und machte seinen Nachfolgern immer wieder zu schaffen. »Von Monsieur Soyer verlangte auch niemand, auf einer Pyramide ein Essen auszurichten«, konterte er schließlich, »das man Seiner Majestät König Edward VII. servieren konnte.«
»Trotzdem …«
»Non.«
Das Petit Trianon im Schloßpark von Versailles, nicht weit von Paris, war ein eleganter, sich in die Landschaft fügender Bau. Auguste konnte sich gut vorstellen, daß Königin Marie-Antoinette hier eine angenehme Bleibe hatte, wenn sie sich von den anstrengenden Verpflichtungen auf Schloß Versailles zurückziehen und ein bescheideneres Leben genießen wollte. Theoretisch mochten ihre Ansprüche durchaus bescheiden gewesen sein, aber ihnen Genüge zu tun, hatte dennoch manche Extravaganz verlangt. Abgesehen davon, daß man das Bauwerk aus der Zeit Ludwigs XV. und der Gräfin Dubarry, seiner Mätresse, umgestaltet und das Boudoir zu einem Spiegelsaal mit mechanischen Effekten verwandelt hatte, ließ man, um dem Bedürfnis nach Ablenkung und Zerstreuung nachzukommen, ein Theater bauen sowie im Park ein chinesisches Ringspiel aufstellen. Die unter dem fünfzehnten Ludwig sorgsam gepflanzten Gärten wurden zerstört und die Grünflächen neu angelegt. Auf dem Gelände wurde sogar ein Dorfidyll geschaffen, damit die Königin ganz in ihre Vorstellung vom einfachen Leben auf dem Lande eintauchen konnte. Und dann eben diese Küchen!