Mord im Dorf - Ann Bexhill - E-Book

Mord im Dorf E-Book

Ann Bexhill

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Beschreibung

Ein Dorf in der Saar 1971 der letzte Rückzugspunkt des abgehalfterten Schlagesängers Roger Starck. Im Haus seiner Tante in seinem Arbeitszimmer findet er den hingerichteten Heribert Freitag. Ein wahres Ekel, das seine Mitmenschen tyrannisierte und bei jeder Kleinigkeit vor Gericht zerrte. Als er ermordet wird, hat die Hälfte der Dorfbewohner ein Motiv aber auch hieb- und stichfeste Alibis. Erst der Schlagersänger und seine Nachbarin Frau von Leysten kommen den Tätern auf die Spur. Wer ermordete Heribert Freitag den unangenehmen Ex Bürgermeister vom idyllischen West Bernburg? Für Franz Singer einen einsamen Mann, der die besten Tage als Schlagersänger hinter sich hat und nach dem Selbstmord seiner Frau Zuflucht bei seiner Tante gefunden hat und nur die Stille sucht, wird die Aufklärung des Mordes ein Weg zurück in das Leben. Mit Hilfe der resoluten Frau von Leysten enttarnen sie nicht nur die Mörder, sondern entdecken den Spaß am Leben wieder. Ein Dorf im Saarland und seine recht eigenen Bewohner gilt es zu, entdecken. Doch wer von den vielen guten Menschen die Heribert Freitag gehasst haben, ist fähig den Mann in Franz Arbeitszimmer zu locken und mit einem aufgesetzten Kopfschuss in die Hölle zu schicken.

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Ann Bexhill

Mord im Dorf

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

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Impressum neobooks

1

Im Herzen des Saarlandes gibt es viele versteckte Winkel, Dörfer, die kaum jemand kennt, außer den Bewohnern. Biegt man, von der Autobahn A 6 etwa 23 Kilometer hinter Saarbrücken, in eine der unscheinbaren Landstraßen ein. Auf denen nie ein Tramper steht und wenn doch, sie ihn garantiert nicht mitnehmen würden, so unheimlich wie er aussieht, so gelangt man bald in eine unfreundlich aussehende aber ruhige Gegend, auf deren rechter Seite das Dorf West Bernburg liegt. Diese Siedlung blickt auf eine lange Tradition zurück. Während des 14. Jahrhunderts wurden die ersten Häuser von einem Bischof Helmar mit dem Hang Dörfer und Marktflecken im Saarland zu Gründen und Juwelen und kostbare Teppiche zu sammeln errichtet. Nicht von ihm persönlich natürlich von seinen Sklaven. Während des 30ig jährigen Krieges wurde der Ort von den kaiserlichen Truppen zerstört und nach dem Westfälischen Frieden mit neuen Gebäuden und Bauern bepflanzt. West Bernburg blieb immer was es war rau und treu daran konnte selbst Hitler nichts ändern, der diesem Flecken seines Malermeisters und seines Klempners und eines guten Tischlers beraubte, weil sie Juden waren und irgendetwas mit der jüdischen bolschewistischen Hochfinanz am Hut hatten. Naturgemäß hatte auch an diesem Dorf der Zahn der Zeit genagt, die Fassaden mancher herrschaftlicher Gebäude hatte Risse und die Farbe war von manchen Stellen einfach abgeblättert. Aber der Ort hatte seine Würde behalten 1971 sah es genauso aus wie 1880, würdevoll, unaufdringlich und voller ehrlicher Leute.

Tantchen Agatha eine kleine runde Dame mit roten Apfelwangen hatte gerade den Kuchenteig fertig gerührt und zum Auskühlen auf den Tisch gestellt. Dann sah sie aus dem Fenster. Die Küche war das Herz des Hauses aus dem Küchenfenster zur Straße blicken machte ihr Spaß. Zu beobachten, wer wo ein- und ausging, alte Freunde zu begrüßen und mit den anderen Damen süffisante Bemerkungen darüber fallenzulassen, wer wieder sternhagelvoll war oder sich sonst wie daneben benommen hatte. Aber West Berndorf wirkte jetzt fast wie ausgestorben. Auf der Turmuhr der Kirche, die über den Dächern zu sehen ist, war es fünf vor 3 Uhr nachmittags. Ein Sturm aus Südwest kündigte sich an und ließ die Blattkronen der jungen Birkenbäume und Linden am Straßenrand schaukeln. Ab und zu fegte eine Windböe durch die Straße, wo er Papierfetzen über den Boden schleifte und mit den Ladenschildern klapperte. Es war ein Nachmittag Ende August und eine Gluthitze zum Krepieren kündigte ein schweres Gewitter an. Ab und zu jaulte der Vorbote des Sturms auf und schmetterte angekippte Fensterläden gegen die Mauern. Frau von Leysten unsere Nachbarin goss mit einer riesigen Gießkanne in den beiden Händen ihre Rosenbüsche am weißen Lattenzaun ab. Offenbar misstraute sie der alle 20 Minuten wiederholten Sturmwarnungen im Radio. Sie nickte mir zu, sie trug ein schwarzes Kleid und einen Strohhut. Ein gutgekleideter Mann lief vorbei, selbst von weitem merkte man, dass er einen in der Krone hatte, er war, unsicher auf den Beinen. Schwarzgrau gestreifte Hose weißes Hemd grüne Weste und eine schwarze Krawatte. Er hatte einen roten buschigen Schnurrbart und einen Glatzkopf, eine helle Gesichtsfarbe und vom Bier oder der Wut rot gezeichnete Wangen. »Hoher Wellengang heute«, bemerkte ich und steckte mir den Rührlöffel schnell in den Mund als Tante nicht hinsah. Sie ist der festen Überzeugung, dass der Verzehr von rohem Kuchenteig das reinste Gift für die Verdauung ist. Der Betrunkene schwankte davon, hielt sich ab und zu an einer Gaslaterne fest und durch das geöffnete Fenster drang sein Gesang des Schlagers an »der blauen Laterne«. Ich lachte, als der Mann den fruchtlosen Versuch unternahm, sich seine Zigarre mit feuchten Streichhölzern anzuzünden. Der Frühlingswind brauste auf und es begann ein grotesker Kampf zwischen dem Betrunkenen, seinem Regenmantel, den der Wind aufblähte wie einen Heißluftballon und seinem Tirolerhut, der von einer kleinen Windhose emporgerissen seine Freiheit in den Wolken suchte. Tantchen entschuldigte sich bei mir und beugte sich aus dem geöffneten Küchenfenster. Und schrie: »Schämen sie sich in Grund und Boden sie Säufer.« Dann drehte sie sich nach dem drolligen Auftritt von Heribert Freitag dem Ex Bürgermeisters von West Berndorf zu mir und erklärte, dass jeder, der Heribert Freitag um die Ecke bringen würde, der Welt eine große Freude bereite. Heribert Freitag war Bürgermeister bis 1945 gewesen nach 1950 hielt er es mit der CDU war aber trotzdem der unbeliebteste Mensch im Dorf geblieben. Seine verlorenes Machtgefühl kompensierte er mit Hochmut und Alkohol. Ich schüttelte den Kopf und sagte im Spaß: »Können wir nur hoffen, dass der alte Knabe nicht demnächst mit durchgeschnittener Kehle in seinem Blut liegen gefunden wird.« Tantchen lächelte und meinte: »Er ist ein aufgeblasenes altes Ekel. Kein Wunder, dass ihm seine Frau davongelaufen ist und die eigenen Kinder nichts mit ihm zu tun haben wollen.«

»Sie hätte ihn stattdessen abmurksen sollen«, bemerkte ich. »Franz Singer! Ich dulde nicht, dass du in meinem Haus so leichtfertig von Mord sprichst.« Schimpfte sie, nachdem sie ihm eben noch selber die Pest an den Hals gewünscht hatte. »Tantchen erzählen tue ich es dir weil, ich doch weiß, dass du mich nie bei der Polente verpfeifen würdest.« Tantchen, für andere Frau Agatha Singer sah zu mir auf, »Du weißt es bestimmt noch nicht der Skandal, der uns droht!«, fragte sie. »Diesmal bin ich was Wissen abgelangt auf dem trockenen Tantchen was war los?« Sie seufzte band ihre Schürze ab und setzte sich zu mir an den Küchentisch. »Frau Gerstein war einkaufen sie brauchte neue Wolle und Stricknadeln Größe 3.«

»Hat ein beklagenswertes Wesen wieder Geburtstag und wird mit ihren Stricksesselschonern belohnt?« Frau Gerstein strickte für ihr leben gern, jeder der ihr einmal guten Tag gewünscht hat bekam eines ihrer ungeliebten Geschenke. Kratzige Schals die Allergien auslösen oder Mützen mit riesigen Bommeln, die einem ständig im Gesichtsfeld schaukelten und Halluzinationen erzeugen. »Sie gab mir angeblich einen 20 Mark Schein und als ich in die Kasse das Wechselgeld geben wollte bemerkte ich das nur ein Zehn-Mark-Schein drin war. Ich gab ihr das Wechselgeld auf zehn Mark doch sie beschwerte sich deshalb bei mir, und ich wies sie mit allem Respekt darauf hin, dass sie sich geirrt haben musste. Ich sagte ihr sehr taktvoll sie sei nicht mehr die Jüngste und müsse sich geirrt haben. Und nett wie ich bin empfahl ich ihr einen guten Augenarzt in Elberfeld.« Frau Gerstein war zehn Jahre jünger als Tante Agatha, die mittlerweile ihren 72 Jahrestag begangen hatte. »Anstatt also ihren Fehler einzusehen, stürmte sie erbost davon und offenbar direkt in die Schenke, wo Heribert Freitag sich wieder einmal betrank.«

»Oh je auch der noch!« Heribert Freitag gehört zu den Menschen, die sich ein Vergnügen daraus machen für Wirbel zu sorgen er würde die Sache so groß machen das dagegen ein Bankraub mit Geiselnahme, wie das Mopsen eines 50 Pfennig Stücks aus der Spendendose wirken würde. Er war der Prototyp eines garstigen Menschen. Zudem war er der reichste Mann im Ort hatte sich in den Jahren als er Nazi Bürgermeister war ein Vermögen zusammengerafft und erpresst. Meine Tante besaß den Tante Emma Laden in West Berndorf, in dem mein kleiner Bruder Peter ab und zu aushalf, bis er wusste, was er studiert. »Nun Tantchen Spaß wird es geben, wenn er dir seinen Fehdehandschuh hinwirft, weil ihm die Gegner ausgegangen sind, hat er sich wohl die Falsche ausgesucht.« Und das hatte Heribert Freitag, Tantchen war resolut und ihre Zunge galt als tödliches Instrument außerdem verfügte sie über ihre Camorra, die alten Weiber von West Bernburg, wenn man es sich mit einer verdarb, war man schneller isoliert, als ein Leprakranker seinen Daumen verlor. »Das Wort, das er gebrauchte, als er zusammen mit Frau Gerstein wie ein Verrückter angestürmt kam und einen Blick in meine Ladenkasse werfen wollte war, Veruntreuung!« Tantchen war der lauterste Mensch in der Gegend. »Niemand bei Verstand wird dich verdächtigen, Tantchen«, sagte ich. »Was hast du heute vor?«, fragte ich um sie vom leidigen Thema Heribert Freitag abzulenken. Der Mensch machte nicht nur Ihr Kummer, wie bedauerlich musste es erst seiner Familie ergehen mit so einem Menschen bestraft zu, sein. »Meine Pflicht«, sagte Agatha tugendhaft, »meine repräsentative Pflicht als Tante eines berühmten Neffen, der ein hohes Tier in der Schlagerbranche ist und deshalb kommen einige Damen zum Kaffee.« Meine Tante meinte meine Karriere als vor Jahren prominenter Unterhaltungskünstler früher ZDF goldener Schlagerparade, jetzt auf Betriebsversammlungen und mittelständischen Unternehmens Geburtstagen tingelnd mache sie zur First Lady des Dorfes. »Also deshalb der Kuchen! Wer kommt alles?« Im Innern des Hauses hatte ich das Gefühl, zu Hause zu sein. In die Kindheit versetzt zu sein. Die Zeit war hier drin einfach stehengeblieben. Ich befand mich inmitten einer gedämpften bürgerlichen Behaglichkeit und draußen herrschte das geschäftige Treiben des Neuen. Die Neuerungen in Tante Agathas Haus fielen mir kaum ins Auge. »Frau Stein, Frau von Leyster, Frau Arnold und diese schreckliche Frau Doktor Spiegel«, zählte sie das who is who in West Bernburg auf. »Ich mag sie«, sagte ich. Frau Spiegel war die junge Frau des Zahnarztes eine sehr attraktive Person, die sich auch nicht zu fein dazu war, im Garten ihrer Villa ein Sonnenbad im Badeanzug zu nehmen. »Ja das kann ich mir gut vorstellen Franz. Naja hoffen wir das sie nicht wieder anfängt von, Adligen zu reden. Das einzige Thema, das sie zu interessieren scheint.« Frau Doktor Spiegel liebte alles, was mit dem Hochadel zu tun hatte, ganz egal ob finnisches Königshaus oder spanische Monarchie. Sie liebte es nicht nur sie musste uns anderen auch davon alles bis ins kleinste darüber erzählen. Ich habe den Verdacht den Stapel Zeitschriften, den sie weg liest, wie ein Fresssüchtiger einen Teller Frikadellen, das goldene Blatt, die Krone, Adel und Du, die Fürstin, überdecken eine unbefriedigte Ehe. Die Frau besitzt eine selten dümmliche Ausstrahlung, was sie beileibe nicht ist. »Über was werdet ihr reden?« Tantchen machte sich immer Stichpunkte zu Themen, die gerade interessant waren. Tante Agatha setzte sich und überflog ihre Unterhaltungskarten, wie der Moderator einer Quizsendung vor der Show. »Wahrscheinlich nichts, was dich angeht, Franz.« Agatha lächelte, strich mir eine Haarsträhne aus der Stirn und sagte: »Das Übliche die Skandale von gestern oder die von Morgen wer weiß, was Frau von Leyster wieder herausgefunden hat.«

Frau von Leysten besaß die Gabe trotz ihrer Sternen Grübelei mit einer für ihren Jahrgang 1910 beeindruckenden Sehschärfe alles, um sie herum wahrzunehmen. »Davon gibt es hier genug nehme ich an«, entgegnete ich sarkastisch. Wir lebten in einem Dorf in dem eine Zigaretten rauchende Frau einen ungeheuren Skandal auslösen konnte. Einem Dorf, in dem die Automarke die jemand fuhr, Anlass zu wüsten Spekulationen war. Es war nicht viel los in West Bernburg, genau das Richtige für meine angekratzte Seele.

2

Als ich vom Küchentisch aufstand, war ich in der richtigen Stimmung, einen wirklich zündenden Schlager zu schreiben, was vermutlich am vielen Zucker in Tantchens Kuchenteig lag. Der Titel hatte schon platz in meinem Kopf genommen. Irgendetwas mit süßer Heimat und Moderne Agrartechnologie etwa, “die Gerda auf dem Traktor olalala“. Ich müsste mich schämen zu gestehen mit dem Käse mein Geld zu verdienen oder mich fremdschämen für meine Fans, aber zum Glück kannten mich die Meisten nur unter meinem Künstlernamen Robert Starck die Schunkelkanone. Ich hatte einmal von meinem Tod geträumt, ich stand an der Himmelspforte und ein ungeheurer wichtig aussehender Engel musterte mich mit Unterdrückten Zorn und sagte: »Schlagersänger was? Nicht bei uns hier oben!« Ich ging in mein Arbeitszimmer mit Blick auf den Garten. Die Haselnusssträucher den Schuppen, den alle aus einen mir nicht einsehbaren Grund Pavillon nennen und dem hinter dem Garten liegenden Gemeindeanger mit dem Ententeich und dem Birkenwäldchen. Nach einem Blick auf die Idylle machte mich an den Rohentwurf eines Schlagertextes, den ich einem angestellten Komponisten oder wen den ich gerade in der Plattenfirma erwischte absegnen lassen musste. Gerade als ich mich wieder auf die stupide Arbeit des Schlagers fabrizieren konzentrierte, flatterte Bettina Freitag herein. Sie ist ein sehr hübsches Mädchen, groß und blond und völlig gedankenlos. Sie segelte durch die Glastür wie ein verirrter Schmetterling, sah mich an und rief mit einer Art Tadel in der Stimme: »Ach! Sie?« Wenn man vom Gemeindeanger kommt, führt der kürzeste Weg ins Dorf mitten durch das Haus. Ich hatte schon mit dem Gedanken gespielt Eintrittsgeld zu verlangen aber Tantchen erzählte mir vom uralten Wegerecht. Was kam Großvater auch auf die dumme Idee sein Haus mitten auf dem Weg zu, bauen? Nur weil er meinte, Land gekauft zu haben bedeute auch es zu, besitzen. Die meisten Leute kommen nicht einmal auf die Idee wenigstens ums Haus herum, statt mitten durchs Arbeitszimmer durch die Diele hinaus zur Dorfstraße gehen. »Wen hast du denn erwartet Clark Gabel?«, fragte ich. Sie ließ sich völlig erschlagen in einen meiner großen Sessel fallen und legte ihre verwirrend langen Beine übereinander. Es gibt Mädchen die sind für Tennisshorts gemacht und Bettina Freitag gehörte zweifellos dazu. Dort saß sie mit ineinander gefalteten Händen und starrte mich an wie ein seltenes Insekt. Ich schrieb gerade Gerda auf dem Traktor tsching tsching. Dieses tsching kommt im deutschen Schlager recht vieldeutig daher. Ein Tsching strich ich wieder durch.

Heimat meine süße Heimat wie vermisse ich dich in der Ferne. (Akkordeon und Trompeten) wie vermisse ich deine goldenen Sterne deine Felder deine, Flüsse deinen (nicht den Rhein Chemieverklappung Fischsterben) und die süßen Küsse. Von der Gerda auf ihrem Traktor tsching (Trompeten und Drums und Kinderchor) Heimat oh du ferne Heimat. Dein Werner aus Herne (irgendeine andere Krötenstadt die sich auf Gerda reimt) vermisst seine Gerda.

»Ist Peter hier irgendwo?«, fragte sie endlich. Ich hatte schon angenommen sie habe vergessen, wohin sie wollte, und beehre mich bis zum Abend. Lange Beine mit einer glatten seidig schimmernden Haut können einen Mann schon auf andere Gedanken als Liedertexte bringen. »Ich habe ihn seit dem Frühstück nicht gesehen. Ich glaube, er wollte zu ihnen und ihnen angeblich Nachhilfestunden in Englisch geben.« Sie sah mich tadelnd an und murmelte etwas von meiner schmutzigen Einbildung. »Oh!«, sagte Bettina. »Ich glaube ich habe das total vergessen.« Zum Glück schien ihr das nicht viel auszumachen, was nicht gerade für Hochzeitsglocken Geläut an unserer Kirche spricht, jedenfalls nicht für den armen Peter meinen kleinen Bruder und Bettina, in die er verschossen ist. Er hat eben kein Glück mit den Mädchen. Die die er haben will sehen ihn nicht einmal an und die Frauen, die ihn eventuell nehmen würden, passen ihm nicht. »Ist Agatha irgendwo in der Nähe?«

»Tantchen ist im Garten – sie sitzt Modell. Kaspermann malt erst sie und dann alle nacheinander wen er gerade erwischt und voilà fertig ist das Familienporträt.« Meine Tante besteht auf ein Familienporträt, koste es was es wolle und Kaspermann der junge Maler aus München, der sich bei uns seit drei Jahren zur Inspirationssuche befindet, hat die Angewohnheit exakt die Leute so zu malen, wie sie aussehen. Innerlich und äußerlich, erstaunlicherweise hat er trotzdem Kundschaft. Bettina seufzte schwer, beim dritten Seufzer fragte ich: »Was ist los?«

»Ach nichts«, sagte sie mit einem Augenaufschlag und einem tief aus einer leidenden Brust kommenden Seufzen. »Also? Los rede schon oder du machst den Text, Traktoren und eine blonde Gerda und die süße Heimat, müssen drin vorkommen!«

»Mein Vater«, sagte Bettina. »hat ihn aus dem Haus geworfen. Das ist so, als ob der Papst den Michelangelo Bunotti hinausgeworfen hätte, weil die Figuren an der Sixtischen Kapelle nicht richtig gekleidet sind.«

»Michelangelo Buonarroti Buoan nicht Buno und es ist die Sixtinische Kapelle. Und ich bezweifle, dass Felix Kaspermann die künstlerischen Fähigkeiten eines Meisters der Hochrenaissance besitzt. Warum hat er sich diesmal aufgeregt?«, fragte ich. »Weil er mich als Griechin malen wollte.« Bettina machte eine Pause, bevor sie weitersprach. »Es ist wirklich absurd – ich werde mir mein Laken einfach hier anlegen und mich im Pavillon malen lassen.«

»Nein, meine Beste so entzückend sie auch in einem hauchdünnen Bettlaken mit so hoffe ich doch nichts darunter aussehen mögen. Nicht, wenn Ihr Alter es verbietet.« Ihr Vater besaß die leidige Angewohnheit alle zu, verklagen und bedauerlicherweise genug Geld es sich auch zu, leisten. Wahrscheinlich würde er mir ein Prozess wegen Kuppelei anhängen und die Schlagzeilen in der Saarzeitung konnte ich mir schon vorstellen. Schlagerstar Robert Starck betreibt Bordell im Gartenschuppen, was wusste die SPD. War ja bald Wahlkampf. »Ach je.« Bettina seufzte. »Wie bieder hier alle sind. Wenn der Alte bloß endlich den Löffel abgeben würde. Geld hat er genug, ich könnte weggehen, nach Amerika und Fotomodell werden.« Ich unterließ es sie auf die Gefahren von schmierigen Produzenten, die sie groß rausbringen werden, zu, warnen. Sie gab sich naiv war es aber nicht. Ich merkte es daran, dass sie immer ihren Willen durchgesetzt bekam. »Ich weiß er ist ein Mistkerl aber Sie dürfen so etwas nicht sagen und nicht denken, Bettina.«

»Warum nicht? Jeder wünscht dem alten Geizhals den Tod, warum sollte ich die Ausnahme sein immerhin kenne ich ihn besser als Sie und habe viel mehr Grund ihm den Tod zu wünschen. Mich wundert nicht, dass meine Mutter und seine zweite Frau ihn verlassen haben. Ich frage mich, wann Anna seine Dritte endlich die Nase voll hat.« Ich fragte mich, ob Bettina doch noch den ganzen Nachmittag in meinem Arbeitszimmer verbringen würde und ob mein Konzert vor den Mitgliedern des Bauernverbandes, erfolgreich sein konnte wenn die einzigen neuen Stichpunkte zu meinen neuen Liedern auf meinem Schmierzettel. Gerda, Traktor, Hossa und wer, ermordet endlich Heribert lautete. »Haben Sie übrigens meine Handtasche gesehen?«, fragte sie stand auf drehte mir ihre entzückende Kehrseite zu und begann im Sesselpolster danach zu suchen. »Nein und ich glaube kaum das man eine Handtasche unter einem Sesselkissen übersehen würde.«

»Oh wie dumm. Ich weiß, dass ich sie irgendwo gelassen habe. Falls sie meine Tasche sehen darin ist mein Hut und im Hut sind meine Uhr und noch etwas Wichtiges. War nett mit ihnen zu plaudern Franz aber ich muss los will mir im Hoffmanns Kaufhaus irgendetwas anschauen.« Sie stand auf und schwirrte wie eine Episode mit dem Übersinnlichen hinaus, wobei sie mir zurief: »Sagen Sie dem Peter Bescheid, ein anderes Mal, was immer es war.« Ich sagte mechanisch, »Englisch«. Nachdem sie weg war, machte ich mich an die Arbeit. Das Fabrizieren von erfolgreichen Schlagern machte sich ja nicht von alleine. Meine Gedanken schweiften kurz vom Segen des Traktors hinüber zu der Frage, warum der Hauptsitz meiner Plattenfirma nicht im schönen Saarbrücken, sondern im eher grauen Elberfeld war. Dann dachte ich kurz über den Vizedirektor von Blondie Records nach der meine Aufführungen plante. Ein als Mensch verkleideter Hai namens Roger, der da ich seine erste erfolgreiche Entdeckung war, an mir hing und mich wie ein teures Sammlerstück behandelte. So wie den gelben Maserati, den er fuhr. Dann dachte ich über den Archäologen vom Landesdenkmalamt nach. Ein sehr sympathischer Mann namens Moeller Biedenkopf. Er hatte vor kurzem eines der Felder von Herrn Freitag beschlagnahmt und ließ seine Studenten etwas ausgraben und bewachen. Er wohnte bescheiden in unserem Gasthaus seine Studenten trotz Sturmwarnung vom Wetteramt in Zelten auf dem Acker. Ich konnte mir schadenfreudig vorstellen, dass in der Villa Freitag die Dinge nicht zum Besten standen. Er hatte ein weiteres Mal geheiratet eine Witwe, die wir aber so gut wie nie zu Gesicht bekamen. Ich vermutete, dass die Beziehungen zwischen ihr und ihm und Bettina nicht allzu angenehm war.

Die verdammte Uhr zeigte 5 Uhr an. Tantchen würde es mir Übelnehmen der Damenwelt nicht meine Aufwartung gemacht zu haben, sie war stolz auf mich, den Sänger wenig inspirierender Schlager, der vor jeden noch so zwergenhaften Verein singen musste. Aber ich konnte mich nicht beklagen, aus einer erfolglosen Rockband weg zu einer Schunckelkanone mutiert zu sein. Mein schmieriger Plattenboss sah mich 1965 bei einem unserer Konzerte in Saarbrücker Bierkneipen, Stücke von Elvis und Chuck Berry er sagte mir, das mit dem Rock könne ich völlig vergessen, ich sei eben nicht der Typ, aber als Schlagerstar bringe er mich groß raus. Ich stand auf und betrachtete das verschobene Sesselkissen, unter dem Bettina nach ihrer Handtasche gesucht hatte, das Dummerchen. Es wiederstrebte mir so ordnete ich das Kissen und fand eine kleine goldene Kette mit einem Kreuzanhänger in der Sesselritze. Ich fragte mich, wie sie das wohl wieder angestellt hatte, wie konnte man eine Halskette verlieren, deren Verschluss nicht beschädigt war? Ich steckte die Kette ein und würde sie ihr geben, wenn sie das nächste mal unangemeldet durch mein Arbeitszimmer platzte. Ich ging stirnrunzelnd über die Jugend von heute ins Wohnzimmer. Mehrere Damen im besten Alter waren in der guten Stube am gedeckten Tisch bei Kuchen und Kaffee versammelt. Agatha saß hinter dem Teetisch und versuchte nett auszusehen, wirkte aber wie eine Despotin deren Huld jeden Moment umschlagen konnte. Ich schüttelte allen die Hand und setzte mich. Frau von Leyster unsere direkte Nachbarin ist eine weißhaarige alte Dame mit freundlichem, einnehmendem Skalpell scharfen Verstand, Frau Stein eine Mischung aus Einfalt und Tücke. »Gerade haben wir«, sagte Agatha mit schmeichlerischer Stimme, »über Dr. Moeller Biedenkopf und Frau Braun geredet.« Frau Stein sagte knapp: »Kein anständiges Mädchen würde es tun«, und kniff die dünnen Lippen zusammen. »Was tun?«, fragte ich hatte man sie etwa in flagranti auf dem Acker erwischt. »Was tun? Als Sekretärin für einen unverheirateten Mann arbeiten natürlich«, sagte Frau Stein empört. »Oh, meine Liebe«, sagte Frau von Leyster, »ich glaube, die verheirateten sind die schlimmsten. Denken Sie an die arme Gertrude aus Gerstendorf.« Ich nahm mir ein Stück Kuchen und Tantchen goss mir wohlgesonnen eine Tasse Kaffee ein. »Verheiratete Männer, die von ihren Frauen getrennt leben müssen, sind natürlich die schlimmsten wegen der männlichen Bedürfnisse«, erklärte Frau Stein lüstern und sah mich scharf an. Ich unterbrach sie, »Heutzutage kann doch ein unverheiratetes Mädchen genauso eine Stelle als Sekretärin annehmen wie ein Mann.« Frau Stein und Tante lachten. »Und im selben Hotel wohnen?«, fragte Frau Arnold streng. Frau Stein murmelte leise Frau von Leyster zu: »Und alle Zimmer sind im gleichen Geschoss.« Frau Heinze, der Tod durch langen Monolog, erklärte laut und entschlossen: »Der arme Mann wird eingebracht wie der Fisch am Haken. Bevor er noch weiß, wo er ist, hat er den Köder geschluckt und den Ring am Finger. Frau Braun ist nicht so unschuldig, wie man daran sehen kann, dass sie Zigaretten raucht und zu schnell Automobil fährt.« Die Damen schüttelten den Kopf. »Unappetitlich dasselbe Hotel es zeugt von frivoler Moral. Bei einem Mann dazu einem der nach Knochen buddelt wie ein Hund kann man ja nichts anderes erwarten«, äußerte Frau Heinze mit ihrer üblichen Taktlosigkeit. »Das Mädchen ist mindestens fünfundzwanzig Jahre jünger als der Doktor, sich ins gemachte Nest setzen nenne ich das«, sagte Frau Stein, den Mund fest zusammengepresst. Frau von Leyster blinzelte Tantchen Agatha zu. »Glauben Sie nicht«, sagte sie, »dass Frau Braun nur einfach eine Arbeit braucht, die anständig bezahlt wird?« Tantchen berührte Frau von Leysters Arm und sagte: »Meine Liebe, Sie sind sehr behütet aufgewachsen auf ihrem Landgut in Pommern. Ach je, wenn sie unserer Lebenserfahrung hätten, wüssten sie es besser. Glauben Sie denn wirklich, dass sie diesen fetten Langweiler aus Liebe heiraten will?« Ich hatte wohl etwas nicht mitbekommen, seit wann wollte Moeller Biedenkopf heiraten vor allem eine Frau, die nicht das geringste Interesse an seiner Archäologie zeigte. »Soviel ich weiß, ist er recht betucht, höherer Beamter«, sagte Frau von Leyster nachgebend. »Ein ziemlich aufbrausender Mann fürchte ich. Neulich hatte er einen heftigen Streit mit Herrn Freitag.« Alle beugten sich interessiert vor auch ich denn von diesem wusste ich noch nichts. »Er hat Herrn Freitag beschuldigt, ein Dummkopf zu sein, der keinen Knochen eines Neandertalers von einem Hühnerknochen unterscheiden kann.« Nach einem Schluck Kaffee sagte sie. »Womit er zweifelslos recht haben dürfte.«

»Ja der Mann ist dumm wie Bohnenstroh!«, sagte Tante Agatha. »Es hat auch vor kurzem Ärger wegen des Malers gegeben, der bei uns nach Inspiration sucht«, sagte ich und handelte mir ein paar Pluspunkte bei der Damenwelt ein. Frau von Leyster nickte. »Freitag hat ihn aus dem Haus geworfen. Offenbar hat er Bettina nackt malen wollen.«

»Ha ich wusste es immer, dass sie etwas miteinander haben«, sagte Frau Arnold triumphierend und sah sich mit gestrecktem Hals um. Sie sah aus wie ein riesiger Vogel, ein Huhn genauer gesagt. »Dieser Künstler ... lungert doch immer um die jungen Frauenzimmer herum direkt schmierig der Mensch.«

»Mädchen sind so raffiniert«, beklagte Frau Stein die modernen Zeiten in unserem Dorf. »Er ist ein sehr gut aussehender junger Mann. Aber ein Kunstmaler! München Paris die ganzen Modelle auch nackte. Da wird Sekt getrunken und Kaviar gegessen und Striptease getanzt das ganze Drumherum!« Es fehlte nicht viel und sie hätte die Schilderung en détail fortgeführt. Aber die Anwesenheit eines Mannes bremste ihr Mundwerk. Frau von Leysten nahm den losen Faden der Unterhaltung wie Zügel fest in ihre Hände. »Aus Felix Kaspermann währe ein sehr guter Betrüger geworden, er hat diese Gabe, ein offenes unschuldiges Gesicht. Aber er ist ja Maler. In der Elberfelder Kunst Galerie fand eine Ausstellung seiner Bilder statt.« Frau von Leysten hatte wenig Interesse an der Kunst, wenn es nicht mit einem Handwerk davor geschrieben wurde, die gute Möbelkunst die Gartenbaukunst waren ihre Steckenpferde. Sie betrachtete Maler bis auf wenige Ausnahmen, die sie gelten, ließ das heißt ihre Werke waren teuer und hingen gut gesichert in einem Museum, als Kleckser aber sie ließ jedem nach seiner Fasson glücklich werden. »Er malt privat so modernen französischen Kram nehme ich an«, sagte sie, während ihre blauen Augen im Zimmer umherwanderten. Sie besaß den Blick, einen ganz besonderen Blick an denen sie alles erkannte, auch wenn sie es nur einmal sah. Es war der gelangweilte Blick eines satten Tigers nach der Beute. Bei ihr war die Augen Mund Koordination perfekt an einem Leben in einem überalterten Dorf angepasst. »Frau Gerstein war wohl wieder beim Friseur uns hat sich Kunsthaar rein flechten lassen, jedenfalls ist, ihr blondes Haar erstaunlich schnell gewachsen. Vor einer Woche war es noch so kurz wie bei einem preußischen Gardeleutnant.«

»Ich fürchte, die liebe Gertrude ist tatsächlich ziemlich modern im Umgang mit Frisuren sie ist ja nicht eine Studentin aus der Künstlerkolonie vom Montmartre.«

»So aufgedonnert sollte keine 60 Jährige herumlaufen, finde ich«, sagte Frau Stein. »Uns malt Felix auch«, sagte Agatha eine Spur frivol. »Aber nicht nur in einer Toga?«, entgegnete Frau von Leyster lächelnd. »Es könnte schlimmer sein er könnte mich runzliges Weib nackt malen wollen«, antwortete Agatha ernst. Alle anderen mich eingeschlossen sahen leicht schockiert aus. »Hat Bettina Ihnen von dem Ärger erzählt?«, fragte mich Frau von Leyster. »Mir?«