Mord ist aller Tugend Ende - Ann Bexhill - E-Book

Mord ist aller Tugend Ende E-Book

Ann Bexhill

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  • Herausgeber: BookRix
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2014
Beschreibung

Die Häuser der Hauptstraße von West Hoathly in der Grafschaft East Sussex liegen verschneit da, es ist keine Postkartenlandschaft diese etwas herunter gekommene Kleinstadt im Jahr 1891, in der sich plötzlich grausame Morde ereignen. Ein Fabrikbesitzer wird zu Tode gefoltert und geköpft, seine entstellte Leiche vor dem Kriegerdenkmal auf dem Marktplatz zur schau gestellt. Die Frau des Opfers und deren Zofe verschwinden. Constable John Arnold und Scotland Yard Inspektor Walter Littelwood sind auf der Jagd nach einem brutalen und gewissenlosen Killer. Ein Killer ohne Gnade, der weiß, was Menschen am meisten fürchten. Einer von ihnen, ein Gentleman aus der Stadt muss ein Serienmörder mit Sinn fürs Makabere sein.

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Ann Bexhill

Mord ist aller Tugend Ende

BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Kapitel 1

Der Seemannskopf als Pub eine Institution in der Stadt West Hoahlty wurde von Mister William Auguste Paynes Gemüseladen und einem Wohnhaus eingeengt. Im Gemüseladen von Mister Paynes gab es in der Winterauslage Kartoffeln, Äpfel und Karotten, sowie Kohlköpfe und eine Pyramide verlöteter Konservendosen zu sehen. Die Produkte waren mit Sinn für Symmetrie und Ordnung so arrangiert, als seien Kartoffeln der Gipfel des kulinarischen Genusses. Es gab ein kleines Gotteshaus nahe der Gastwirtschaft. Bis zum Jahr 1767 hatte West Hoalthys Kirche einen Uhrturm, besessen, bis Sir Lionel Lydestocke beim Blick aus dem Fenstern seines neuen Herrenhauses feststellte, das der Kirchturm der St. Magreth Church ihn störte. Der Gedanke wie das Pack dort oben stand und in seine Fenster blickte ... der Kirchturm musste weg. In der Mitte des von Tudor Architektur und Häusern im Queen Ann Stil gebildeten Marktplatzes stand das bronzene Kriegsdenkmal, das an Oberst Oswald Gerald Singer den Postvorstand von Hoalthy gemahnte. Der 1881 im ersten Burenkrieg, beim Pfeife anzünden in stiller Nacht heimtückisch von Mörderhand gefällt war. Sein aufflammendes Zündholz musste meilenweit von jedem der in der afrikanischen Steppe lauernden Buren, der auch nur einigermaßen mit einer Flinte umgehen konnte gesehen worden sein, denn man zählte nicht weniger als dreißig Kugeln in seinem Körper. Der bekannte Londoner Künstler, Oscar Fitzgerald hatte es wie ein Meister der italienischen Renaissance, verstanden dem Standbild einen erstaunt dümmlichen Gesichtsausdruck zu geben. Das vaterlandstreue Kunstwerk schien P O T Z B L I T Z zuraunen und im nationalen Dienst, die Pfeife fest zwischen die Zähne geklemmt, niederzusinken. Kein Patriot konnte ungerührt an dem Denkmal vorbei, ohne an die Helden zu denken die zehntausend Meilen entfernt für den englischen Löwen ihr kostbares Blut hingaben. Das Birkenholzfeuer im Kamin des Seemannskopfes brannte, und die Gaslampen an den Wänden und der Decke warfen Lichtkreise auf die eckigen Tische und den Holzfußboden im Schankraum aus dem 17. Jahrhundert. Constable Arnold hatte ein angebratenes Abendessen zu sich genommen. Kalten Braten, eingelegtes saures Gemüse, Stilton Käse und las nun in der Zeitung den Bericht über den Besuch eines farblosen englischen Politikers in Wien. Langweilig befand der Constable und legte die neueste Ausgabe der London Illustrated News beiseite und widmete sich lieber seinem Exemplar Darwin. Er konnte nicht behaupten dass er alles in dem 532 Seiten starken Buch On the origin of species, verstand doch der Constable arbeitete an seinem eigenen Manuskript.

Die Wissenschaft unter Einbeziehung des Darwinismus als ein probates Mittel der modernen englischen Polizeiarbeit bei der Verbrechensbekämpfung.

So würde der provokante Titel seiner Denkschrift heißen, sobald er nur besser vertraut mit der überaus komplexe Materie der natürlichen Zuchtauslese war. Draußen vor dem Gasthof Seemannskopf bellte ein Hund seit einigen Minuten so intensiv als hätte das Tier neue Gründe zu Jaulen für sich entdeckt. Im Seemannskopf mit Blick aus den Fenstern auf den verschneiten von Laternenlicht, bestrahlten Lester High Place, saß Constable John Arnold in seiner schwarzen Uniform und trank Sussex Eagle Stout Bier und las im Darwin. Genau im Moment des Umblätterns wechselte der furchtbare Hund in ein tiefes, Knurren und fing dann nach Sekunden wieder zu kläffen an. Unmöglich ... unmöglich unter diesen Umständen Denkarbeit zu verrichten, kaum hatte er sich an das lang gezogene Jaulen gewöhnt sprang der Köter in ein Knurren. Eine ganze Weile ging das nun so und begann die Gäste im Gasthof unruhig zu machen. Derek der Gastwirt polierte seine Biergläser mit der Ruhe eines Stoikers doch bei einem wirklich haarsträubenden Jaulen unterbrach er seine Tätigkeit so schlafwandlerisch als würde er aus einer Trance erwachen. Er sah kurz zur Tür und schüttelte sich.

»Einer sollte den Hund endlich zum Schweigen bringen!«, sagte er.

»Stimmt, Derek Sie sollten etwas dagegen unternehmen.«

William Samuel Antill hatte es sich mit Zeitungslektüre und einem Bier am Tresen bequem gemacht. Das beklemmende Jaulen, das erschallte, verursachte nicht nur ihm eine Gänsehaut und jetzt fielen die anderen Hunde der Gegend in dieses dämonische Gebet mit ein.  Derek sah kurz aus dem vereisten Fenster hinaus. Der Hund, der im Schnee hockte und den blassen Vollmond bestürmte, war ein großer Bursche mit hungrigen Augen; er gehörte der ob ihrer Zunge gefürchteten Mrs Agatha Singer, der Inhaberin des Krämerladens und der Vorsteherin der Poststation von West Hoalthy auf der gegenüberliegenden Straßenseite. John Arnold steckte den Daumen ins Buch und klappte es ungehalten zu.

»Darf ich dich in deiner wichtigen Tätigkeit zum Wohle der Gesundheit deiner Gäste unterbrechen und dich auf diesen Hund aufmerksam machen?«

»Was meinen Sie Herr Inspektor?«

Derek lächelte fast unmerkbar, ein schelmisches blitzen seiner Augen. Er kannte die wunden Punkte seiner Gäste, seine Worte trafen tief.

»Der Hund Derek und ich bin ein Constable, mein Dienstrang ist keineswegs Inspektor, wie du ganz genau weißt. Ihr wisst, dass ich bei der Beförderung zum Sergeanten übergangen wurde. Und ich bediente mich nur der Worte des großen Edgar Allan Poe, das klopfende Herz, es schlägt unter den Dielen hören Sie es nicht? Oder denke an den Hund von Baskerville von diesem jungen Doktor Doyle, wenn dir frische englische Literatur ein Begriff ist.«

»Weil du gerade frische Literatur erwähnst«, ließ Antill seine Stimme vernehmen: »Mister Green würde es ihnen etwas ausmachen und mir ein frisches Guinness Bier zapfen, natürlich nur, wenn es ihnen zeitlich passt.«

John nahm einen Schluck von seinem Bier und widmete sich wieder seiner Lektüre aus der Bibliothek des Arbeiterklubs, die ihre Räume in der stark vernachlässigten Mustersiedlung Seven Acres hatte. Aber er kam nicht weiter, das Bellen störte ihn in seiner Konzentration. Ein Marathonlauf, nicht einmal das Vorwort erledigt und noch tausend Seiten vor ihm.

»Warum nervt mich dieser Hund nur so unermesslich?«

John Arnold klappte das Buch mit einem Seufzer zu und schob es umständlich auf den Tisch zurecht. Derek Green hielt mit seinen Bewegungen inne und sah abwartend, wie der Satz des Constable weiterging in dessen Richtung.

»Wenn doch dieser verdammte Hund nur aufhören würde mit diesem Krach. Ich wünschte es mir wirklich. Kommt man denn in dieser Stadt nie zur Ruhe?«

Man nannte Constable Arnold auch Mister Tulp, nach dem Riesen in dem Märchen Jack und die Bohnenstange, dem wenig netten - Fee! Fie! Foe! Fum! Ich rieche Menschenfleisch sei es am Leben oder tot ich zermalme seine Knochen und mache mir daraus Brot. Trotz seiner Körpergröße von nahe zwei Meter und seinen 140 Kilogramm Gewicht, war Constable Arnold das reinste Nervenbündel. Ständig blickte er über seine Schultern und musterte jeden Fremden, der West Hoalthy im County East Sussex betrat. Es war dieses Wetter, mutmaßte John, dass ihn andauernd an eine Novelle des großen amerikanischen Dichters Edgar Allan Poe denken ließ. Der Constable lächelte, dieser Schnee und diese Eiseskälte war eine Angelegenheit so fremdartig in ihrem ganzen Wesen so unvorstellbar unenglisch und unpatriotisch, ein Wetter ideal für einen Mord, er dachte da insbesondere an kläffende Köter. Das Wetter potenzierte die unsagbar graue Langeweile und der Verstand suchte Zuflucht bei den Märchen der Kindheit. Wenn Hunde jaulten, schritt der große Schnitter durchs Land um Lebenskerzen auszublasen. Es war diese Winterlangeweile, die ihn erfasst hatte, außer Lesen, und den Fasanen nachzustellen oder Winterabend um Winterabend im Seemannskopf zu sitzen gab es nicht viel zu tun. Hin und wieder eine Schlägerei, Betrunkenheit und lästerliches Reden führen, oben im Arbeiterviertel, ganz selten mal ein Diebstahl und alle Jubeljahre ein Einbruch. Allerdings war West Hoalthy nicht völlig frei vom Verbrechen. Eine kriminelle Kreatur hatte erst vor wenigen Wochen in East Hoalthy gewütet und für einiges Aufsehen gesorgt. Diese kriminelle Kreatur hatte einen Lagerschuppen auf dem Gut der Jones aufgebrochen und Werkzeuge im Wert von drei Pfund und acht Schilling sechs Pence geraubt. Das Landgut lag etwas außerhalb der Ortschaft, umgeben von verschneiten Feldern, ideal um dort in den Wirtschaftsgebäuden etwas mitgehen zu lassen. Die Jones betrieben keine Landwirtschaft und hatten das Land verpachtet. Constable Arnold hielt es für die schändliche Tat eines Londoner Berufsverbrechers. Zumindest wiesen alle Indizien in diese Richtung. Der Fall, der etwas Farbe in sein Leben brachte, lag zuoberst auf seinem Schreibtisch in der Wache. Zum Glück gab es noch die Wilderei, ein beliebtes Hobby in West und East Hoathly dem auch Constable John Arnold verfallen war. Wenn die Industriellen Sir Lemotte und Mister Donovan keine Wilderer in ihren Forsten wollten, sollten sie ihren Arbeitern mehr bezahlen, damit sie sich ihr Fleisch bei Mister Hendriks dem Metzger in der James Street kaufen konnten. Constable John Arnold sah die Wilderei sportlich, im Gegensatz zum Strafgesetz und den Grundherren. John dachte an eine ungeklärte Pferde Mordserie, die vor zwei Jahren ebenso plötzlich begann, wie sie endete er hatte deshalb ein schlechtes Gefühl. Der verdammte Hund bellte wieder. Die Töle war fürchterlich hartnäckig und erinnerte ihn an Politiker aus dem House of Lords, wenn die Pairs sich über völlig zusammenhanglose Themen stritten. Der Sussex Weekly Examiner druckte auch die Beleidigungen, die der Lordkanzler großzügig an die Gegner verteilte. Derek Green legte sein Polier Tuch gefaltet auf den Tresen und lief voller Würde zur Tür, er stieß sie auf, und eine eiskalte Wolke Schnee trieb herein. »Hau ab und gehe mir nicht auf die Nerven!«, rief er. Danach bückte er sich und klaubte Schnee von der Straße auf und warf eine Handvoll nach dem Hund, der groß genug war den Wirt Derek Green ernsthaft zu verletzen und falls hungrig aufzufressen. Mrs Agatha Singer züchtete Hunde in ihrem schmucken Haus im Queen Anne Stil. Ihr Zuchtkriterium betraf weder das Aussehen noch irgendwelche Rassestandards, sondern allein die Größe und das Gewicht. Mrs Singers Hunde rissen angeblich die Schafe von den Weiden, aber wer sagte, schon einer alten spitzzüngigen Dame, deren Mann als Kriegsheld im Burenkrieg 1881 als einer der Ersten Offiziere umgekommen war, sie solle ihre Hunde an die Leine legen? »Wie ungehobelt, Derek... Philomenes erkennt, die alte Frau ... ha Frans Snyder natürlich ... Sie enttäuschen den Hund mit Ihrer Wortwahl!« William Samuel Antill legte den Bleistift weg, setzte seine Brille ab und säuberte seine Lesehilfe mit Dereks schmierigem Poliertuch. Dann wandte er sich wieder, die Nase verächtlich rümpfend, seinem Kreuzworträtsel zu. Es war seine Passion, er selber nannte es ein kleines Hobby die kompliziertesten Kreuzworträtsel, die je von einem Menschen ohne ernsthafte geistige Erkrankung erdacht worden waren, zu verfassen und an die Zeitungen des Landes zu versenden. Wofür, die ihm noch Geld zahlten. Leider konnte John ihn dafür nicht verhaften. Kreuzworträtsel waren an sich nichts Subversives. William Antill unterließ es seine Bekannten die genauen Summen zu nennen, die ihm Times, Guardian und die anderen großen Zeitungen postalisch anwiesen. Aber die Summe war so groß das er ohne jedes Fingerspitzengefühl seiner Arbeit als junior Fabrik Inspektor nachging. Derek Green nahm einen Besen und ging nach draußen, um der Promenadenmischung zu beweisen, dass auch in einem sehr kleinen Mann innerlich ein Riese stecken konnte. Einen kurzen Moment herrschte angenehme Ruhe im Wirtshaus. Dann erschallte ein furchtbarer Schrei und Derek kam atemlos mit aufgerissenen Augen in die Gaststube gerannt. Er starrte mit Augen, die jeden Moment aus seinen Augenhöhlen zu fallen, schienen zu John und brüllte. »Gott im Himmel, das gibt es doch nicht, kommen Sie schnell.« Der Constable ging über diesen Auftritt entgeistert zur Tür. Draußen lief er durch Knöchel tiefen Schneematsch bis zu der Stelle, wo nun Derek Green und die andren Gäste und der Hund vertraut vor dem Denkmal des Gefallenen beieinanderstanden und den Gegenstand ihres Interesses anstarrten.

»Großer Gott«, rief John, »das ist ungeheuerlich!«

Die Sirene des Stahlwerks schrillte los und zerriss die unheimliche Stille mühelos, wie ein Mann ein Blatt Papier. Die Figur die am Heldendenkmal im Schnee kniete war, kein Veteran, der Blumen zu Füßen von Oberst Singer niederlegte, es war ganz offensichtlich ein Mann ohne Kopf. Es war bitterkalt an diesem Dezember. John hatte auf der Wache auf das Thermometer gesehen, 20 Grad Minus. Derek Greens Stimme klang nun schrill, heißer Atem wallte aus seinem Mund und Nasenlöchern.

»Mein Gott das ist kein Scherz, der Tote ist echt! Wie lange der wohl schon so kniet, der ist ganz zu geschneit und seht mal seine Arme.«

Derek zeigte mit seinem Finger auf den toten. John war sich nicht sicher, es schneite seit einer Woche ununterbrochen in Sussex. Er konzentrierte sich auf den Fund. John hatte schon viele Tote, gesehen, alle naselang wurde in seinem Revier gestorben und er als Zeuge gerufen, damit in einem Verdachtsfall alles veranlasst werden konnte. Diesen Toten umgab etwas Albtraumhaftes, wie er da im Schnee kniete die Arme ausgestreckt. Jemand hatte versucht, dem Toten den Kopf zu entfernen und da es nicht mit einem Schnitt gelungen war, waren die brutalen Schnitte mit einer Säge zu erkennen. Aber das Übelste war wohl das man ihn aufgeschlitzt hatte. John wurde übel, er riss sich zusammen. Das Blut, das auf der Kleidung klebte, war schwarz im Mondlicht. Es gab kein Blut im Schnee, was hieß er wurde nicht hier geköpft. John starrte mit geschlossenen Augen an den Nachthimmel. Zu Lebzeiten musste es ein wohlhabender Mann gewesen sein der Frackmantel war aus Kantonseide. Er legte die Faust vor den Mund und räusperte sich.

»Schwer zu sagen es ist kalt, aber wenn er gefroren ist, muss er seit Stunden hier sein ohne das wir ihn gesehen haben, was unmöglich ist.«

»Unmöglich ich bin seit Mittag in meinem Laden und habe nichts gesehen!«, rief Derek und zündete sich eine Zigarre an.

»Wir sollten auf Spuren ... «, Antill senkte den Kopf und bewunderte die von ihnen verursachten kreuz und quer verlaufenden Fußabdrücke im Schnee.

»Was Samuel?«, fragte John.

»Ach nichts ich hole dir eine Laterne.«

Antill lief in den Seemannskopf, er lief nicht hastig, schließlich hatte der Tote es nicht mehr eilig. Antill kam mit einer Argonlaterne in der Hand zurück und beleuchtete den Leichnam. John trat an den Toten heran und versuchte dessen blau gefrorene Hände vom Denkmal zu lösen. Er rüttelte an dessen Schultern und umfasste die zu Lebzeiten kräftigen Handgelenke mit kleinen Sommersprossen auf sehr heller Haut und roter Körperbehaarung und zog fest daran, nicht einen Millimeter gab das Denkmal seine Opfergabe her. John fand das die Position, der Leiche an einen Büßer erinnerte und nach einem Ritual aussah.

»Er scheint angefroren zu sein. Weiß einer von euch, wer das sein könnte?«

»Das niemand ihn gesehen hat will mir nicht in den Schädel?«, sagte Derek.

»Wer sollte ihn schon sehen? Seit Wochen ist eine Gaslaterne kaputt und was tut der Bürgermeister ... Nichts! Der ist heilfroh, wenn wir alle in unseren Betten abgemurkst werden, dann hat er weniger Arbeit!«

Antill trat einen Schritt näher zur von Vollmond und kränklichem Gaslicht beschienen Körper und piekste ungehalten mit seinem Gehstock kleine Löcher in den Schnee. Der Bürgermeister von West Hoathly war eine Kreatur von Isaak Lemotte, ein Mann den Mister Antill bodenlos hasste. Niemand wusste, womit Isaak Lemotte sich die Rachsucht von Mister Antill zugezogen hatte. Während William Antill weiter den Bürgermeister beschimpfte, dachte John, das er als ranghöchster Polizist etwas anderes tun sollte als einfach nur mit seinen Kumpels herumzustehen und Maulaffen feilzuhalten und über den Schnee nachzudenken.

»Ich gehe und telefoniere mit dem Inspektor vom Dienst in Brighton. Ihr als Zeugen seid bitte so zuvorkommend und bewegt euch nicht vom Fleck.«

»Du machst wohl einen Witz? Keine zehn Pferde kriegen mich weg von hier!«, behauptete Antill und streifte sich seine Wollhandschuhe über.

Wieder einmal verdammte, John die schwierige Situation der Polizei von East Sussex besonders der von West Hoathly. Der Wache standen laut Polizeigesetz der Vorschrift zur Fixpunktierung vom 4. 5. 1875 ein Inspektor zwei Sergeanten sowie fünf Constables zu und was hatte er? Keinen Inspektor, Lewis war seit 1886 im Ruhestand und bewirtschaftete seine Kleefelder draußen in Upper Dicker. Und seine einzigen drei Constables lagen wegen einer Pilzvergiftung im Queen Victoria Krankenhaus von Brighton. Der Constable first class und damit der ranghöchste Polizist in West Hoalthy hatte es nicht übers Herz gebracht seine Leute in das Krankenhaus von Brighton einweisen lassen wegen einer Methanolvergiftung, die sie sich beim Schwarzbrennen von Whisky selber zugezogen hatten. Doktor Swift hatte aus akuter Alkoholvergiftung eine Pilzvergiftung gemacht, anderenfalls hätten drei schlechte Polizisten, die dennoch gute Kerle waren, ihre Arbeit verloren. Es war eine dumme Idee von ihm gewesen, seinen Leuten zu gestatten im Keller der Polizeiwache ein Polizeimuseum zu errichten, wenn die einzigen Ausstellungsstücke Utensilien zum Schwarzbrennen und Wildern waren. Zum Glück hatte er es nie mit einem Falschmünzer zu tun gehabt, sonst hätte er es wohlmöglich mit einer unerklärlichen Inflation in Hoathly zu tun gehabt anstatt mit Symptomen von Verwirrung, kurzzeitiger Erblindung und Ausbrüchen übelster Sentimentalität, Fitspatrick war Ire. Er war alleine in dieser Situation, er musste zuallererst Ruhe bewahren und klaren Kopf behalten. John rannte quer über den Platz zum Krämerladen und Postamt von West Hoathly und trommelte mit beiden Fäusten gegen die weiße Tür. Eine aufgewühlte Mrs Agatha Singer, die das Geschehen vom Fenster ihres Schlafzimmers aus, von wo man eine wunderbare Aussicht auf den Platz hatte, verfolgt hatte, öffnete ihm hysterisch. Um ihren Hals hing noch das Binokular, das immer auf dem Fensterbrett ihres Schlafzimmers zu finden war. Als hoffe sie eines Tags würde die Oper La Traviata auf der Straße aufgeführt. Dabei missfiel ihr jede Form von Pathos und Gefühlen und sie verabscheute Unmoral. Aus der Wohnung war das diabolische Knurren von mehreren Hunden zu hören. Wer wusste, was Agatha, die Heldenwitwe von West Hoathly bei ihren Hunde Zuchtexperimenten für Ungetüme zum Leben erweckte. Das tiefe Knurren, gepaart mit dem Geräusch von knackenden Knochen aus Richtung der Küche weckte in dem Constable die Erinnerung an Mary Shelleys Frankenstein, ein Buch, das er sich vor dem Charles Darwin in der Arbeiter Bibliothek ausgeliehen hatte.

»Deinen Fernsprechapparat Agatha schnell, ein Mord, ist geschehen, nehme ich an!«

Agatha rang die Hände und klagte: »Mord oh je ein Mord«.

Sie ging zum Telefon und drehte die Induktionskurbel des Fernsprechapparat Modell Erricon Eiffeltower als wolle sie der britischen Eddison Gesellschaft für angewandte Elektrizität Konkurrenz machen. Sie ließ sich vom Fräulein der united Telefone Company mit dem, Anschluss Brighton 053 verbinden und machte dann Platz für den Constable. John brüllte seine Dienstnummer in den Sender und meldete einem müden Sergeanten den Fund des noch unbekannten Toten und bat wortreich um Verstärkung. Mrs Singer prägte sich Wort für Wort des Gespräches ein. Draußen rannte Derek Green aufgescheucht in der Lester High Road umher.

»Mord ... Mord ... Zu Hilfe Leute!«, schrie er.

Die Anwohner der Straße kamen aus den Wohnhäusern, den Geschäften, andere steckten die Köpfe aus den Fenstern, und dann versammelten sich der Mob unaufhaltsam, von morbider Neugierde angelockt in der Lester High Road und zertrampelten auf ihrem Weg einen Toten anzustieren wichtige Spuren. Constable Arnold beendete sein dienstliches Telefongespräch und schrie seinen Dank in den Sender. Mit Anweisungen versehen und Mrs Singer und ihrem aufgeregten Hunderudel im Schlepptau verließ er den Laden. Er trat auf die Straße und sah, wie die Leute den Toten in einem Halbkreis umringten und den Kreis immer enger zogen. Er seufzte beim Anblick des Chaos, eine Anweisung aus Brighton lautete, keine Spuren zu zerstören. Der Sergeant riet ihm auch, nur ein Minimum an Aufsehen zu erregen. Was dachte der sich, er war ja nicht in London, wo alle Stunde einer umgebracht wurde. Wo ein Mord nur noch aufsehenerregend war, wen es einen Lord erwischte. Die Sache möglichst diskret zu behandeln, war wohl gescheitert gestand sich der Constable ein. William Samuel Antill polierte die beschlagenen Gläser seiner runden Brille setzte sie auf seine Nase und hob seine Stimme und sprach lakonisch zur Menge.

»Ich glaube, wir haben unseren gutherzigsten Bewohner verloren. Der gefrorenen Hering ist Sir Donovan«,

Einige aus der Menge, höchstwahrscheinlich Arbeiter aus der Donovan Gießerei klatschten in die Hände. Constable Arnold bildete mit den Händen einen Trichter.

»Kein subversives Verhalten bitte, ein Toter. Ich bitte euch, ein würdiges Verhalten an den Tag zu legen!«

Antill grinste scheinheilig und verneigte sich leicht vor der Menge aus annähernd einhundert Personen. Erstaunlicherweise war das Gefühl des Schocks, nach dem der Name des Opfers gefallen war wie weggeblasen. Es fehlte nicht viel und man würde die Häuser illuminieren und ein Feuerwerk veranstalten.

»Warum glaubst du nicht, er war gutherzig? Ich würde mir sonst dein Wort subversiv nicht erklären können.«

Der Constable nickte, Antill hatte einen guten Sinn für Humor, was ihn zu einer populären Figur im Kleinstadtgefüge West Hoalthys machte. John stellte sich neben Antill.

»Woher weißt du überhaupt, dass es Donovan ist und nicht irgendeine Leiche?«, fragte er ihn argwöhnisch.

Misses Singer vertrieb mit ausgebreiteten Armen die Menge von der Leiche, aber es war der Respekt vor ihren aufgekratzten Hunden die die Ruhe herstellte.

»Ich habe ihn durchsucht und sein Wäscheetikett ist in sein Dinnerjackett gestickt«, erklärte William.

Er war so seelenruhig, als sei es das Alltäglichste von der Welt, kopflose Mordopfer zu durchsuchen. John war müde zuerst der Pferdemörder dieser abscheuliche Abgrund einer kranken Seele und nun dieses Malheur. Er sah sich deprimiert um seit Tagen hatte es geschneit, Schnee, der sich auf den Dächern türmte und die Straßen nach draußen blockierte. Mit den Schneeflocken, die vom Himmel trieben, und dem schwarzen stinkenden Qualm, der aus den Essen stieg, sah West Hoathly in der Grafschaft Sussex wie auf einer Illustration eines Charles Dickens Romans aus. Constable John Arnold dachte da speziell an Oliver Twist in Jacobs Island dem berüchtigten Londoner Slum auf einem Kupferstich des großartigen Fred Barnard.

 

Kapitel 2

Die bitterkalte Nachtluft biss Littelwood ins Gesicht. Auf dem Leicester Square glänzte das Eis und die Häuser. Alles war festlich erleuchtet. Er bemühte sich nicht auf seine Nase zu fallen, während er tapfer auf dem Gehsteig blieb. 20 Meter vor ihm hielt eine zweispännige Kutsche mit gummierten Metallreifen. Littelwood klopfte anerkennend zweimal mit seinem Gehstock auf das Straßenpflaster. Die Kutsche wurde von zwei auserlesen schönen Pferden gezogen auf deren Stirnen rote Federn steckten. Ein Diener sprang vom Trittbrett und öffnete den Schlag. Littelwood konnte ein vergoldetes Wappen an der Tür erkennen. Ein halbrunder Schild darin ein Topfhelm im Profil. Littelwood war kein großer Kenner der Heraldik, allerdings kannte er die Helmzier, ein Büschel Federn in Rot, wie bei den Pferden. Littelwood kannte selbstverständlich das Motto des Wappens dieses deutsche Ich Dien, es war der der Herzog von York George Frederick Ernest Albert von Sachsen-Coburg und Gotha. Der Atem der Pferde dampfte, und die polierten Beschläge ihres Geschirrs funkelten im Gaslicht. Littelwood rückte seine Krawatte zurecht und lächelte zufrieden schwungvoll doch nicht hastig stieg er die Freitreppe zur Habsburger Botschaft empor. Die großen Türflügel öffneten sich vor ihm. Littelwood gab einem livrierten Diener seine Carte de Visite, worauf dieser ihn in den großen Saal führte, wo der Empfang für den Botschafter der Donaumonarchie bereits begonnen hatte. Es war ein herrlicher Raum, mit einer von Richard Ansdell bemalten gewölbten Decke mit 16 fein ziselierten Eisensäulen, die sich in dem Ballsaal in die Höhe streckten. Vier mit Eddison Elektrizität betriebene Kronleuchter hingen an Ketten herab und tauchten den Saal in goldfarbenes Licht. Littelwood sah sich um, er bemerkte, dass er die Aufmerksamkeit einiger Damen auf sich gezogen hatte, die kokett hinter ihren weißen Spitzenfächern verborgen über ihn sprachen. Leichte Parfüms helles Damenlachen und Gläserklirren, ein Mietorchester spielte einen beschwingten zum Tanzen verlockenden Walzer. Littelwood fühlte sich, wie ein Fisch im Wasser er war in seinem angeborenen Element. Eine Armee von rot livrierten Dienstboten balancierte mit stoischen Gesichtern die Champanger Gläser auf silbernen Tabletts, unter den Gästen umher. Vergoldete Getränketabletts wären nicht nur von Littelwood als dekadent empfunden worden, Littelwood nahm sich ein Glas um etwas in seiner Hand, zu halten. Er wollte nicht wirken, wie ein nervöser Landpfarrer der sich ständig an seiner Kleidung zupfte, als suche er nach Flöhen. Littelwood drehte seine Runden. Die Gespräche drehten sich überwiegend um Belanglosigkeiten, wie Musik das Theater die Politik. In erster Linie ging es, darum den jeweils anderen anhand seiner Antworten gesellschaftlich einzuschätzen. Ein Staatssekretär, dessen Namen ihm entfallen war, kam zielsicher auf ihn zu. Er war etwas zu schlank, nach dem Modegeschmack der bei Mann und Frau Wohlbeleibtheit voraussetzte. Er wirkte aber elegant in seinem Frack, nur seine Zähne waren offensichtlich von exzessiven Opiumessen schwarz verfärbt, was er mit einem blonden dichten Backenbart zu kaschieren suchte. Aus einem der anderen Räume kam mit weit ausholenden Schritten der Chiefconstable Sir Lestrade auf ihn zu gestürmt. Er trug seine mit Ordensspangen dekorierte Uniform und als einziger Gentlemen im Saal keine Handschuhe. Der Chiefconstable der Metropolitan Police Sir Pontius Lestrade betrachtete anerkennend Littelwoods Kleiderwahl für den Abend, einen himmelblauen Frackrock, ein dunkelblaues Seidenhemd aus Nanking Seide dazu gelbe Hosen und einen weißen Zylinder. An seinem Revers war ein blau, weiß, rotes Blumengebinde angebracht, die Farben der Flagge des britischen Imperiums, größer als Rom vor ihm. Nur Dschingis Khan hatte seines Wissens Ungarn, Teile Russlands und Polens und China ohne Hongkong voraus. Merkwürdig, dass kein Imperialist vom mongolischen Empire sprach, dabei waren die mongolischen Khane erfolgreicher als Queen Victoria. Littelwood sah lächelnd auf. Lestrade blieb dicht vor ihm stehen.

»Ein wenig zu spät zu kommen ... ein wenig, im Rahmen der erlaubten gesellschaftlichen Etikette ist eine Sache, aber es ist etwas gänzlich anderes, wenn man als hoher Beamter den Anschein erweckt, man kann eine Einladung nicht Lesen oder aber man sei zu blödsinnig den Weg zu finden.«

Inspektor Walter Saint Littelwood lächelte seinen Förderer und Gönner an. Er strahlte mit der Festbeleuchtung um die Wette, er freute sich aufrichtig, den alten Querkopf gesund und munter zu sehen.

»Sir es war doch ein wenig aus heiterem Himmel Ihre freundliche Einladung zum Botschafterempfang vor zwei Stunden von einem Büroboten zu erhalten.«

Der Chiefconstable der Metropolice sah sich um, winkte seiner Tochter und seinem Schwiegersohn, einem hochgeschossenen Tollpatsch zu und steckte sich dann genüsslich seine Pfeife in den Mund und inhaliert so tief, als rauche er Ambrosia aus Illyrien und nicht 2 Schilling Haschisch aus einer Apotheke in Kensington.

»Also das ist Mister Hoxton Chappell ein Freund von meinem Freund Burello, Fisch und Austern Burello Whitechapel. Es ist da gestern etwas Unangenehmes geschehen, irgendwo im verdammten Sussex. Also schießen sie los Sportsfreund!«

»Sir ich bin Anteilseigner eines kleinen Stahlwerks in East Sussex in West Hoalthy. Der Hauptanteileigner einer meiner Geschäftspartner wurde grausam ermordet. Wir sind beunruhigt, wollen das Sie den Mörder zur Strecke bringen.«

»Tot wie ein Türnagel, Littelwood! Als hätte ihn die patriotische Bruderschaft* in die Mangel genommen!«, sagte Lestrade genießerisch.

Der alte Querkopf, der ein Stein bei der Königin im Brett hatte, vermisste das sich die Hacken ablaufen, dass an den Türen klopfen den Kontakt mit dem Abschaum Londons. Die gute alte Polizeiarbeit eben.

»Mit vollem Respekt Sir, die Polizei aus Sussex hat durchaus ihre eigene fähige Kriminalabteilung.«

»Es ist etwas heikler Natur, es sollte, wenn möglich diskret behandelt werden.«

»Na nicht so Scheu, Hoaxton Sie haben doch keinen Unfall mit dem Dienstmädchen zu beichten«, sagte Lestrade jovial, »Littelwood können Sie vertrauen ist mein Junge im verdammten Yard!«

»Ich verstehe. Nun das Opfer wurde in einer sozial unruhigen Situation ermordet. Weder ich noch andere Gentlemen, die geschäftlich mit dem Opfer zu tun hatten, möchten es an die große Glocke hängen und die Unruhe dort verschärfen, Mister Littelwood.«

Der Staatssekretär druckste nicht lange herum und Lestrade klopfte seinem Protegé auf die Schulter und das, obwohl der Staatssekretär als Liberaler galt.

»Also Walter ich will, dass sie ihre Arctics* in den Koffer packen und runter fahren und diesen Fall aufklären ohne das, was in der Zeitung steht. Nehmen sie sich einen oder zwei Mann mit. Ihre Sonderbefugnis habe ich hier!«

Lestrade tastete an seiner Uniform herum und zog einen zerknitterten mit Hummercocktail Soße befleckten Umschlag mit dem Siegel des Home Office heraus. Littelwood steckte den Umschlag, ohne Neugier zu zeigen ein. Nonchalance, sagte sich Littelwood, obwohl er vor Neugier brannte, doch nur ein leichtes Augenbrauenheben war in diesen Kreisen als Höchstmaß der Gefühlsäußerung erlaubt. Außer man war ein Künstler, dann konnte man betrunken durch den Ballsaal torkeln und die Orchesterbühne besteigen, um ein irisches Volkslied zum Besten zu geben. So wie es gerade sturzbetrunken Robert Louis Stevensen tat.

»Ihre Tochter sieht wie immer umwerfend aus, Sir!«, sagte Littelwood.

Lestrades Gesicht bekam einen heiteren Ausdruck.

»Macht alles die Schwangerschaft mein junger Freund, haben schon drei dieser kleinen Rabauken im Haus, aber ich sage man kann ein paar Dinge in dieser Welt nie zu viel haben, Kinder, Gesundheit, Geld!«

»Da haben sie wohl recht, Sir!«

Littelwood stimmte nur den beiden letzteren Dingen in veränderter Reihenfolge zu. Die Kinder, die er in Pimlico kannte oder sah waren wie missgewachsene kleine Erwachsene, erinnerten ihn bei ihrem Weg in die besseren Schulen irgendwie an unheimliche Jesuiten oder eine Herde blöder verfressener Vikare.

»Eine Frage Sir?«

»Schießen sie schon los, ich habe nicht die ganze Nacht Zeit, im Nebenraum sitzen Watson, Burello, Lim und der verdammte Graf von Habsburg und saufen das Bier als währe es Wasser. Muss mir angewöhnen Antitox* mitzubringen, wenn ich das nächste Mal auf einen Habsburg treffe.«

»Bezog sich die Einladung nur auf den Auftrag, Sir? Ich sehe nämlich die umwerfende Lady Lilly Langtry.«

Der Chiefconstable grinste und blies eine Rauchwolke seiner bevorzugten Droge in den nach schweren Parfum riechenden Ballsaal. Daher kannte Lestrade also den Politiker, aus dem R&R Raucherklub, wo die gentilen des Imperiums der Langeweile mit Drogen und Streichen entgegen wirkten. Das erklärte den freimütigen Umgang des Politikers mit dem Chef der Polizei und wo er seine Zähne mit Opium ruinierte.

»Aha also auf eine Mätresse des Prince of Wales abgesehen, na dann viel Glück!«

Der Staatssekretär errötete, es kam nicht sehr oft in der Öffentlichkeit vor das jemand diese berühmte Schauspielerin, eine Hetäre nannte. Littelwood war begeistert er hatte sie 1886 im Theatre Royal Haymarket in dem amüsanten Stück „She Stoops to Conquer“ gesehen. Ihre natürliche Grazie legten, ihr nicht nur sein Herz, sondern auch das der Londoner Künstlerwelt und der Salons von Mayfair zu Füßen. Aber vermutlich nahm sie es Scotland Yard übel ihren besten Freund in ein Zuchthaus gesteckt zu haben, wo er zwei Jahre schwere Zwangsarbeit verrichten musste. Er selber hatte sich geweigert an diesem Racheakt, von John Sholto Douglas, den 9. Marquess von Queensberry, der die Ehre seines Sohnes befleckt sah teilzunehmen. Der Marquess von Queensberry konnte sich nun rühmen der englischen Theaterwelt einen tödlichen Dolchstoß versetzt zu haben. Der Marquess von Queensberry hatte sich nicht wie ein Ehrenmann benommen. Der Marquess hatte das Ehrgefühl eines kleinen bissigen Straßen Köters gepaart mit der Rachsucht einer Viper gezeigt, als er Oscar Wilde wegen eines Briefes ruinierte.

Kapitel 3

»Wenn Sie kurz beschreiben könnten, unter welchen Umständen sie die Leiche gefunden haben?«

Inspektor Littelwood begann, nach einer groben Reinigung im Badezimmer, des kleinen Wachhauses mit der Zeugenbefragung. Er war noch leicht verstimmt von der Eisenbahnfahrt. Der Bahnhof in West Hoathly diente ausschließlich gewerblichen Zwecken und bot nicht den geringsten Komfort. Tag um Tag verließen Waggons mit Stahl den Bahnhof in Richtung London, wo der Zug kurz vor Brompton auf einem privaten Gleis in Richtung Docklands abbog. Dort wurden die Waggons mit Kohlen beladen, dem Motor der Wirtschaft. Das hieß Chiefinspektor Walter Littelwood reiste nicht wie gewohnt erster Klasse, sondern reiste Dritter im hinter der Dampflokomotive angehängten Passagierwaggon. Das erklärte seinen Missmut denn auf der ganzen Fahrt hatte er neben Arbeitern gesessen, die sich in Brighton ein Fußballmatch angeschaut hatten. Ihm waren die Rauchschwaden der Lokomotive, sowie der mit dem aller billigstem Tabak gefüllten Pfeifen der herausgeputzten Arbeiter ins Gesicht geblasen worden. Seine Kleidung war beschmutzt und ein Kohlenfilm klebte unter seinen manikürten Fingernägeln. Constable Arnold beantwortete die Fragen. Ein Mitarbeiter des Inspektors im schweren Fuchspelzmantel, mit rot gefrorener Nase trug angeödet Johns Antworten in sein Buch ein. Inspektor Snyder sah mit seinem roten Haar wie ein Streichholz aus und besaß offenbar denselben Charme. Er hatte ein hartes, rosiges Gesicht und verwaschene nichtssagende blaue Augen. Die stählerne Schreibfeder kratzte über das Papier und ging Constable Arnold auf die Nerven.

»Soviel bekannt ist Constable, war dieser Johann Donneou ziemlich gut angesehen hier, keine Feinde?«

Littelwood blätterte stirnrunzelnd in seinem eleganten Notizbuch zurück und korrigierte sich.

»Verzeihung das Opfer heißt wohl Donovan! Soviel mir bekannt ist ... ein angesehener Bürger und Gentleman von hier.«

»Ja, von hier«, bestätigte Constable Arnold.

Er war im ersten Augenblick vom Rang und dem Scotland Yard Stallduft seines Gegenübers eingeschüchtert. Er fragte sich was die Betonung das Opfer stamme aus der Gegend bedeuten mochte. Ob die korrekte Bezeichnung nicht eher das Opfer hieß Donovan gewesen währe. Immerhin war das Opfer nach Abney Park gegangen. Allerdings würde Mister Donovans Körper nicht auf diesem in die Sprachkultur eingegangenen Armenfriedhof von London begraben werden. Inspektor Littelwood hielt den Kopf schief als hätte er eine Dystonie und fixierte John Arnold aus müden blauen Augen.

»Sie nehmen also auch an, dass dieser Mensch von einem ihrer eigenen Irren umgebracht wurde?«

»Ja ein Irrer, von wo auch immer, natürlich. Sie etwa nicht? Das Romanelesen ist daran schuld. Romane, in denen es nur so vor Intimitäten und Mord wimmelt. Nehmen sie nur diese Groschenhefte, wie Warney der Vampyr oder die Geheimnisse von London, die jeder für einen Sixpence bekommt. Das sagt doch schon alles. Solche Groschenhefte bringen den Leser um den erholsamen Schlaf und wecken im umgeschulten Leser die Lust am Verbrechen.«

»Hört, hört, hört«, murmelte Snyder kurz abgelenkt.

Der Inspektor nickte, und fragte sich, warum in der Dienstakte dieses Polizisten stand, er sei unfähig ein höheres Amt zu bekleiden, der Inspektor fand die Ideen vom Constable klar und durchdacht und er erkannte den feinen Witz in der Aussage. Constable Arnold verfolgte also das politische Geschehen in der Tagespresse, denn mit genau dieser Begründung, versuchte der Duke of Longford im Oberhaus die Ratifizierung eines Lieblingsprojektes ihrer Majestät, Königin Victoria das allgemeine kostenlose Schulgesetz auszubremsen. Anscheinend machte eine gebildetere Arbeiterklasse den hohen Lords Sorgen immerhin war das Gesetz vor drei Jahren zur Unterschrift im House of Lords eingereicht worden und Unterhaus und Oberhaus schoben sich die Gesetzesvorschläge gegenseitig hin und her. Jetzt schrieb man das Jahr 1889 und die Queen hatte eine diskrete Mahnung aus ihrer schottischen Besitzung Balmoral Castle an die Peers gerichtet. Littelwood informierte sich immer zu Beginn eines neuen Falles, mit welcher Art von Polizist er zusammenarbeitete und dieser Kleinstadt Constable hatte eindeutig das Zeug zu besseren als in dieser elenden Provinz, zu verwelken, hatte sich im Haus des Mordopfers gut geschlagen. Inspektor Snyder zählte nicht, der hatte kein Herz war kalt wie Fischaspik in seiner Brust, der würde nicht mal die Miene verziehen, wenn er seine Frau abgemetzelt in seinem Schlafzimmer vorfinden würde.

»Bringen Sie uns einen Whisky«, befahl Littelwood.

Inspektor Snyder, erhob sich und verließ mit unbewegtem Gesicht das kleine Wachhaus, um im Seemannskopf ein paar Minuten zu Fuß die Straße hinunter das Gewünschte zu besorgen. Nachdem er sich selbst erst einmal in aller Ruhe ein Bier gegönnt hatte. Sollten dieser lackierte Affe und der Constable, der in einen Zirkus gehörte und nicht in die Uniform der Sussex Police doch auf ihren Whisky warten. In den Seemannskopf war die Polizei eingezogen, nicht schlecht für den Wirt Derek Green, die Sergeanten, und Constables, die zur Spurensuche aus Brighton und Lewes herangekarrt worden waren, von Haus zu Haus gehen sollten und eigentlich mit dem Zeugen auffinden beschäftigt sein sollten, soffen ungemein viel. Derek war es zufrieden, noch so ein Mord und er konnte sich bald den 20 Pfund teuren Dr Maxwells elektrischen Wachstumsgürtel leisten, der für sein, die Wissenschaft revolutionierendes Produkt, nach einem Spartaner Leben gewidmet allein der Erforschung der Wachstumsprozesse in der Zeitung von Sussex für sein Produkt warb. Zwei Zentimeter Wachstum per Monat versprach die Werbung. In nur einem Jahr konnte es Derek auf 1 Meter 75 bringen, hatte er ausgerechnet und das Beste daran der Wachstumsgürtel funktionierte denn er war patentiert.

Im kleinen Wachhaus mit nur einer Zelle starrte derweil Constable John Arnold an die vom Kohleruß geschwärzte Decke. Es herrschte ein nachdenkliches Schweigen. Zwei Charaktere saßen auf den knarrenden Holzstühlen, die sich gegenseitig einzuschätzen versuchten. Beide warteten auf den Whisky, es war verdammt kalt und der kleine Kohleofen im Polizeirevier von West Hoathly, das ehemaliges Cottage eines Tagelöhners war absolut überfordert. Constable John Arnold war etwas verblüfft über die Kleiderwahl des Scotland Yard Beamten, kanariengelbe Satin Hosen und anstatt eines ordentlichen Bowlerhuts, wie ihn Gentlemans aus der City zu tragen pflegten, einen Abendzylinder aus Bast. Kein Kinnbart, Littelwoods Gesicht war glatt rasiert wie ein Baby Popo. Keine schwere Uhrenkette an der grünen Brokatweste mit dem verwirrend floralen Muster. Seine Uhrenkette war fast feminin. Der Inspektor entsprach ganz und gar nicht den Erwartungen, die der Constable gehegt hatte, als man ihm telegrafisch die Ankunft eines Londoner Inspektors angekündigt hatte. John dachte an die Untersuchung durch den einzigen Arzt im Ort. Doktor Jonathan Swift einen Zahnarzt und den schwierigen Abtransport der geköpften Leiche, die am Kriegerdenkmal festgefrorenen war. Etwas was er nicht so schnell vergessen würde. Er musste gestern am Abend Mrs Singer um einen großen Kochtopf warmes Wasser bitten. Er hatte die Aufgabe übernommen, die Arme und Hände des Leichnams mit heißem Wasser abzutauen. Anschließend trugen er und Swift den gefrorenen Leichnam in das Beerdigungsinstitut in die James Street. Der Inspektor hatte kurz, nachdem er mit Inspektor Snyder angekommen war, mit ihm als Vertreter der Grafschaft Polizei das Haus des Opfers untersucht. Bei dieser Durchsuchung erlebten die Polizisten einen größeren Schock; sie entdeckten, im Schlafgemach des Opfers, dass der Mörder dem Kopf die Augen ausgeschnitten und Nase und Ohren entfernt hatte. Warum er sich dieser fürchterlichen Dinge hingab, konnte nur ein erfahrener Nervenarzt beantworten. Zudem blieb die Frage offen, was bewog den Täter, sich vermutlich aus den Nieren des Stahlwerksbesitzers aus West Hoathly ein Nierenhaschee zu kochen. Sich hinzusetzen und das neue, hellere, elektrische Licht anzudrehen und das ganze mit einer Flasche Rotwein hinunter zu spülen. Dazu den Edison Phonographen mit einer Wachswalze von George Biszets Oper Carmen laufen zu lassen.

*

Derek Green zitterte, als er das Trinkgeld einstrich, das William Samuel Antill auf den Tresen gelegt hatte. Einen Augenblick lang war er ganz allein mit seinen Gedanken und der alten Hexe. Mrs Purkiss seine Großtante verdingte sich trotz ihres recht betagten Alters als zugelassene Rattenfängerin bei den Honoratioren der Stadt. Sie verkaufte ein selbst gefertigtes Gift, auf das die Bauern der Gegend schworen, manchmal fing sie die Ratten mit bloßen Händen und verkaufte die Tiere in seven acres. Die Leute wetteten gerne und Rattenkämpfe waren angeblich ein beliebter Zeitvertreib bei den Arbeitern in ihren Yards und ungesunden Häusern. Im Augenblick saß die alte Frau auf ihrem Lieblingsplatz am Fenster dicht neben dem Kohleofen und spuckte ekelhaft laut in Intervallen auf den Boden. Sie erhob sich schnaufend, wie eine anfahrende Dampflokomotive, von ihrem Platz und klapperte mit ihren Männerstiefeln zur Bar.

»Spendiert der Detektiv eine Runde?«, brüllte sie.

Derek blickte Constable John Arnold mit hochgezogenen Brauen an.

»Gewiss Madame«, sagte John und legte einen Schilling auf den Tresen.

»Ich will aber nicht die Katzenpisse gib mir den guten, den Whisky den du selber in deinem Keller brennst.«

Derek lief rot an wollte protestieren doch John winkte gelangweilt ab. Mrs Purkiss schnappte sich mit arthritischen Fingern eine ihrer Mephisto Zigaretten; und suchte Streichhölzer in den Taschen ihres karierten Winterkleides, das sie unter einem nach feuchten Männerstiefeln stinkenden Lammfellmantel trug. John riss ein Streichholz an und gab ihr Feuer, und sie blies ihm zum Dank kratzigen Rauch ins Gesicht und kicherte erfreut über seinen Husten. Sie beugte sich verschwörerisch zu dem Constable und eine Geruchswelle aus Zigarettenrauch, Schnaps und alten Mensch schlug ihm entgegen.

»Und läuft der Menschenfresser auf freiem Fuß herum und schlägt uns die Schentelmenssss alle tot? Das ist keiner wie du und ich.«

Sie kicherte und spuckte auf den Boden, was sollte er machen, die Frau war siebzig. Aber das sich so schnell Gerüchte verbreiteten und die Leute das verbrecherische Subjekt den Menschenfresser nannten, machte ihm Sorge.

»Das ist der Deibel, der sich seine schwarzen Seelen holt, sag ich euch! Ich kann ihn riechen der Gestank des Leibhaftigen, der Schwefel in der Luft!«

Sie erstarrte und sah beschwörend an die alte Holzdecke.

»Nein, aber nein Tante Becky. Das ist doch nur aus den Stahlwerken! Unsere Stadt stinkt immer nach Schwefel!«, erklärte Derek seelenruhig.

Ja dachte John, die Stadt stank nach einer Leichengrube in denen Millionen Tierkadaver verrotteten aber das war der Preis des Fortschritts, der Gestank und die zerlumpt herumlaufenden Kinder aus der Arbeitersiedlung am Stadtrand. John bedeutete Green, der alten zahnlosen Frau das Glas neu zu füllen.

»Und der Menschenfresser hat sich nicht, die geholt die bescheiden und anständig lebten, dem macht man nichts vor. Vom Christentum und dem Wert der Sparsamkeit reden und dabei selber wie die Made im Speck und Sünde. Nein ihr werdet noch erleben, Weihnachten verteilt er seine Geschenke an die da oben ganz großzügig.«

»Wen er sich wohl, als Nächstes holt?«, fragte Derek.

Es klang fast so, als bewundere der Wirt den Mörder ein wenig. Die Gedanken des Constable kehrten zum Opfer zurück. Während die Alte plötzlich von der Qualität des Whiskys redete, studierte John sein Spiegelbild. Er legte Geld auf den Tresen und erinnerte Mrs Purkiss daran das sie, wenn, sie das nächste Mal auf öffentlichen Platz vor anständigen Leuten ausspuckte, vor das Polizeigericht nach Brighton musste. Sie winkte einfach ab.

»Tust du eh nicht John und ich spucke so oft und wo ich will!«

John ging zum Tisch seiner Bekannten, deren einziges Thema der Mord war. John setzte sich.

»Dieser Mord!«

Meinte der Geschäftssekretär der Lemotte Eisenbahn Linie.

»Dieser Mord erinnert mich an den berühmten Londoner Mörder. Nie gefasst ha ha ha!«

Nach dem höhnischen Ha biss er in einen Biskuit und die Füllung tropfte ihm auf sein blaues Hemd, das er unter seinem braunen Tweedanzug trug.

»Der Ripper. Du meinst doch diesen Jackyll the Ripper!«

Erwiderte den Mund voller Kuchen Miss Jemmima Lemotte, die Tochter des mächtigen, Sir Isaak Lemotte.

»Jack the Ripper, nicht Jacky the Ripper liebe Freundin. Und der hatte es auf Frauen mit einem unmoralischen Lebenswandel abgesehen. Unmoralisch war Donovan ganz bestimmt, aber eine Frau?« sagte John Arnold.

»Es fehlt so offenkundig an jedem Mitgefühl, ein besorgniserregender Umstand!«, sagte Jemmima und stopfte sich mit dem Zeigefinger den letzten Rest Kuchen in den Mund.