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Nach acht erfolgreichen Bänden mit authentischen Kriminalfällen aus Sachsen stellt Eveline Schulze in dieser Best-of-Sammlung ihre spannendsten Fälle vor. Eine Mutter, die aus Verzweiflung ihr Neugeborenes tötet, ein Mann, der sich nur Brillenträgerinnen als Opfer sucht, ein Sohn, der es dem gewalttätigen Vater heimzahlt – sie alle gehören zu Sachsens mörderischer Vergangenheit. Und die "Miss Marple von Görlitz" hat noch einen besonders kuriosen, bisher unveröffentlichten Fall auf Lager: Eine Kleinkriminelle und ihr Liebhaber schmieden ein Mordkomplott gegen den unliebsamen Ehemann … Eveline Schulze hat authentische Fälle von Mord und Totschlag sorgfältig recherchiert, Fakten aus Polizei- und Gerichtsakten zusammengetragen und schildert kenntnisreich das soziale Umfeld von Tätern und Opfern. Ihre gesammelten Geschichten sind so spannend wie ein Kriminalroman – und noch dazu, leider, wahr!
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Seitenzahl: 490
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Impressum
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Das Neue Berlin –
eine Marke der Eulenspiegel Verlagsgruppe Buchverlage
ISBN E-Book 978-3-360-50175-2
ISBN Print 978-3-360-01368-2
1. Auflage 2020
© Eulenspiegel Verlagsgruppe Buchverlage GmbH, Berlin
Umschlaggestaltung: Buchgut, Berlin unter Verwendung eines Fotos von Scott Rodgerson on Unsplash / Autorinporträt: privat
www.eulenspiegel.com
Inhalt
Vorbemerkung
Der Mann, der (k)ein Mörder war
Endstation
Vatermord
»Onkel, warum zitterst du so?«
Kindsleiche im Ofen
Rache ist nicht alles
Vorbemerkung
Mörderisches Sachsen: Hier ist nichts so, wie es scheint. Hinter der Fassade der rechtschaffenen Bürger und des idyllischen Familienlebens tun sich zuweilen tiefe Abgründe auf. Ist der eigene Nachbar wirklich in der Lage, ein abscheuliches Verbrechen zu begehen? Oder gar der eigene Ehemann? Nicht selten lauert der Mörder im eigenen Haus, und nicht selten sind emotionale Verrohung und Trunksucht der Ursprung für menschliche Tragödien.
Eveline Schulze ist die Görlitzer Chronistin des Verbrechens. Seit nunmehr dreizehn Jahren dokumentiert sie authentische Kriminalfälle der Region, die meisten davon aus DDR-Zeiten. Durch Einblicke in Polizei- und Gerichtsakten gelingt es der Autorin immer wieder, Vorgänge detailreich und sachkundig zu schildern. Und auch dank anschaulicher und detaillierter Darstellung des sozialen Umfelds der Betroffenen entstehen Berichte, die so packend sind wie Kriminalromane, die aber – leider – auf Tatsachen beruhen.
Nach acht erfolgreichen Bänden und pünktlich zum 70. Geburtstag der Autorin ist es an der Zeit für ein Best-of! In diesem Band sind die beliebtesten und spannendsten Fälle von Eveline Schulze versammelt: Zunächst gesteht ein offensichtlich verwirrter Mann ein Verbrechen, das Jahrzehnte zurückliegt, und stellt die Ermittler vor ein Rätsel. Dann ist da der stadtbekannte Trinker und verurteilte Totschläger, der sich endlich in die Entzugsklinik begibt – stellt er nun wirklich keine Gefahr mehr für seine Mitmenschen dar? Und was ist mit dem gewalttätigen Vater, der seinen Sohn dazu bringt, zum Äußersten zu gehen: Wer von beiden ist der wahre Täter? Sodann das kleine Mädchen, das spurlos verschwindet – bis der Verdacht auf einen Nachbarn mit offenbar abartigen Neigungen fällt. Auch unvergessen bleibt der Fall des Säuglings, der unmittelbar nach der Geburt stirbt – jedoch wurde sein Tod von den Eltern nie den Behörden gemeldet …
All diese Fälle gehören zu Sachsens mörderischer Vergangenheit. Aber die »Miss Marple von Görlitz« hat noch einen bisher unveröffentlichten Fall auf Lager: Eine Kleinkriminelle und ihr Liebhaber schmieden ein Mordkomplott gegen den unliebsamen Ehemann und planen eine Scheidung auf ewig.
In der Sphäre der Familie ist niemand voreinander sicher, denn: »Was hinter verschlossenen Wohnungstüren passiert, ist tabu. Solange niemand etwas von der Gewalt bemerkt, gibt es sie auch nicht.«
Der Verlag
Der Mann, der (k)ein Mörder war
Freitag, 30. Juni 1967
Um 18.20 Uhr erscheint im Volkspolizeikreisamt Zittau ein kleiner Mann, wenig größer als eins-sechzig und etwa Mitte dreißig. Er wolle eine Aussage machen, oder genauer gesagt: eine Anzeige, sagt er an der Wache. Es gehe um Mord.
Für Mord ist das Kommissariat I der Kriminalpolizei zuständig. Es wird der diensthabende Genosse Götte, Leutnant der K, zum Eingang gerufen. Götte bittet den Mann, der sich als Karl Morche ausweist, ihm in sein Dienstzimmer zu folgen, um dort die Anzeige aufzunehmen. Morche gibt als Adresse die Innere Oybiner Straße Nr. 6 in Zittau an, er ist ledig und als Transportarbeiter im VEB Robur in der Eisenbahnstraße beschäftigt. Leutnant Götte notiert anschließend im Protokoll: »Der Bürger Morche machte während der Tatschilderung einen ruhigen und selbstsicheren Eindruck. Alkoholgeruch oder Verhaltensweisen, die auf Alkoholgenuss hindeuten würden, konnten nicht wahrgenommen werden.«
Dieser Hinweis ist nicht unwesentlich, denn die von Morche erstattete Anzeige richtet sich gegen ihn selbst. »Nach eigenen Angaben will er im Jahre 1949 eine weibliche Person in unmittelbarer Nähe der in Zittau befindlichen Weberkirche durch Schläge mit einer Eisenstange vorsätzlich getötet haben.«
Siebzehn Jahre zuvor, am 28. Juli 1950, einem Freitag, ist in den frühen Morgenstunden die 48-jährige HO-Verkäuferin Anna Hölzel auf der Straße vor der Weberkirche tot aufgefunden worden. Der vermutliche Raubmord ist nie aufgeklärt worden. Sollte die Sache nunmehr abgeschlossen werden können?
Leutnant Götte nimmt sofort telefonisch Rücksprache auf mit seinem Chef, dem Leiter des Kommissariats I, Oberleutnant der K Strengeld. Der weist an:
»1. Verständigung des K-Leiters, der Kreisdienststelle des MfS, des Staatsanwalts und des Amtsleiters.
2. Sofortmeldung bzw. Ergänzungsmeldung absetzen.
3. Aufnahme des Geständnisses auf Tonband.
4. Erste Überprüfungen zum Sachverhalt.
5. Erstaufklärung zur Person führen.
6. Einlieferung Morches in VP-Gewahrsam.«
Samstag, 1. Juli
Das Kommissariat III der Abteilung K nimmt Einsicht in die Kreismeldekartei und bestätigt, dass ein Karl Franz Morche unter der von ihm angegebenen Adresse in Zittau gemeldet ist.
Im Register finden die Ermittler weitere vier Personen dieses Namens: den selbständigen Schneidermeister Josef Morche (1893–1962) und dessen Frau Agnes, geborene Raaz (1892–1957), die verstorbenen Eltern des vermeintlichen Täters, sowie die Verkäuferin Ursula Morche, geborene Tzscherlich – von 1953 bis 1960 mit dem »Selbststeller« verheiratet – und Dietmar Morche, ihr gemeinsames Kind, welches 1952 geboren wurde. Beide, die Mutter und der inzwischen 15-jährige Sohn, wohnen in der Neusalzaer Straße 13 in Zittau.
Oberleutnant der K Kehler, Leiter der Kriminalpolizei in Zittau, und VP-Oberleutnant Fessel in seiner Eigenschaft als Operativer Diensthabender (ODH) des Volkspolizeikreisamtes setzen ein zweites Fernschreiben an den ODH/Stab der Bezirksdirektion der Volkspolizei in Dresden ab:
»Betr.: 1. Ergänzungsmeldung zur Sofortmeldung vom 30.06.67; Bezug: Raubmord durch Erschlagen in der Nacht vom 27. zum 28.07.1950.«
Anlass dieser zweiten Meldung für die vorgesetzte Dienststelle in Dresden ist die Entdeckung, dass etwas mit Karl Morche offenbar nicht stimmt.
»Morche entstammt einer Handwerkerfamilie, absolvierte bis 1945 die Volksschule und erlernte im elterlichen Betrieb den Beruf eines Herrenschneiders. Die geistige Entwicklung verlief bis 1952 vollkommen normal. Seit 1952 wiederholt kurzzeitige Aufenthalte in der Heil- und Pflegeanstalt Großschweidnitz. Nähere Angaben werden am 10.07.67 gegen 07.30 Uhr erwartet.« Und noch etwas: »M. gab an, das Wetter am Tattag sei regnerisch und trüb gewesen. Rückfrage Wetterstation Olbersdorf bestätigt dies für die Nacht vom 27. zum 28.07.1950 nicht mit absoluter Sicherheit (Luftfeuchte 86 Prozent), in der Nacht vom 04. zum 05.06.1949 (Tatzeit nach Meinung M.) war es regnerisch.«
Am Samstagnachmittag wird eine weitere Ergänzungsmeldung erforderlich. Man habe, so tickern die Zittauer Ermittler nach Dresden, sowohl gegen den Selbstbezichtiger Morche ein Ermittlungsverfahren gemäß §211 Strafgesetzbuch eingeleitet als auch einen »Unterbringungsbefehl in die psychiatrische Spezialklinik Großschweidnitz« beantragt. In jener Klinik soll Morche seit 1952, wie die ersten Recherchen ergaben, bereits neun Mal zur Behandlung gewesen sein. Ferner lässt man die vorgesetzten Genossen an der Elbe wissen, dass Zittau den Fall an das Kommissariat II in Görlitz übergeben hat. Es sei bereits eine »Anleitung durch die MUK Dresden und durch Staatsanwalt Elsner von der Bezirksstaatsanwaltschaft Dresden« erfolgt. Vermutlich wurde dort entschieden, dass Görlitz den Fall Morche übernimmt.
Um 11.20 Uhr war Ursula Morche zur Zeugenvernehmung im VPKA Zittau erschienen. Bis 14.20 Uhr wurde Morches Ex-Frau von Oberleutnant Horstmann befragt. Die Quintessenz des sechsseitigen Protokolls führte offenkundig zu jener ersten Ergänzungsmeldung, die alsbald nach Dresden per Fernschreiber übermittelt worden war.
Ursula Morche leitet den HO-Laden für Molkereierzeugnisse in der Zittauer Geschwister-Scholl-Straße. Sie ist Jahrgang 1932 und Tochter eines Fleischermeisters. 1948 lernte sie in der Tanzstunde Karl Morche kennen. Natürlich kreisen Horstmanns Fragen alsbald um Morches geistige Auffälligkeiten im Mordjahr.
»Frage: Gab es zu dieser Zeit bereits Merkmale einer Nervenkrankheit?
Antwort: Nein. Ich fand Herrn Morche vollkommen normal, von einer nervlichen Krankheit waren keine Anzeichen vorhanden.
Frage: Auch im Jahre 1950 nicht?
Antwort: Ja, auch zu dieser Zeit nicht.
Frage:Wie drückte sich Ihr persönlicher Verkehr zu dieser Zeit aus, speziell im Jahre 1950?
Antwort: Ich weiß nur noch, dass ich im Jahr 1949 die Tanzstunde beendete. Danach sind wir bereits familiär verkehrt, wir haben uns wechselseitig in den Familien besucht.
Frage: Gab es zwischen Ihnen bereits in den ersten Jahren, so zwischen 1948 und 1950, intimen Verkehr?
Antwort: Zu Anfang auf keinen Fall. Es ist möglich, dass wir im Jahr 1950 bereits intim verkehrten. In jener Zeit waren wir hauptsächlich an den Wochenenden zusammen und weniger in der Woche. Wir besuchten Tanzveranstaltungen, gingen ins Theater oder ins Kino.
Frage: Wie war das Verhalten des Morche zu Ihnen?
Antwort: Es war auf jeden Fall so, dass ich spürte, dass mich Morche liebte und mich heiraten wollte.
Frage: Haben Sie sich verlobt?
Antwort: Wir verlobten uns erst 1952. Ich muss hierzu erklären, dass meine Eltern gegen die Verbindung waren. Dabei richtete sich die Abneigung meiner Eltern nicht direkt gegen Morche, es betraf mein Alter.
Frage: Ist Ihnen bekannt, dass im Jahr 1950 in Zittau an der Weberkirche ein Mord geschah?
Antwort: Mir ist erinnerlich, dass in Zittau ein Mord geschah, auch dass es an der Weberkirche war. Ich kann mich aber auf die Jahreszahl nicht festlegen.
Frage:Können Sie sich erinnern, ob Morche mit Ihnen darüber sprach?
Antwort: Nein, das ist mir nicht erinnerlich.
Frage: Wann haben Sie sich verlobt?
Antwort:Wir verlobten uns im Monat April 1952. Da war ich bereits schwanger von Morche. Unser Junge wurde am 4. September 1952 geboren.
Frage: Wo war Morche zu dieser Zeit beschäftigt?
Antwort: Morche war die gesamte Zeit über (während ihrer Beziehung – E. Sch.) im Geschäft seiner Eltern als Schneider beschäftigt. Es handelte sich dabei um die Schneiderei in der Inneren Oybiner Straße 28 in Zittau. Dort arbeiteten drei Angestellte und der Schneidermeister, Vater Morche.
Frage: Wann traten erstmals nervliche Krankheitsmerkmale auf?
Antwort: Zwischen der Verlobung und der Trauung am 7. April 1953.
Frage: Wie zeigte sich das, und was geschah darauf?
Antwort: Morche wohnte bei seinen Eltern. Er ging nicht arbeiten und blieb im Bett. Ich wurde geholt und sollte ihn umstimmen, doch auch mir gelang das nicht. Ein andermal wollten wir zu seinen Verwandten nach Plauen fahren, auch das fiel ins Wasser. Er war fast nicht ansprechbar. Dr. Knoch-Weber überwies ihn zur Behandlung in die Krankenheilanstalt Großschweidnitz.
Frage: Spielte Morche bereits zu dieser Zeit in der Kapelle? (Morche hatte in seiner Aussage erklärt, in seiner Freizeit als Pianist in einer Betriebskapelle zu musizieren. – E. Sch.)
Antwort: Nein. Damit hat er erst später begonnen.
Frage: Können Sie sich noch an die Einkünfte von Morche erinnern? Hatte er viel Geld?
Antwort: An die Höhe von Morches Lohn kann ich mich nicht erinnern. Besonders viel Geld hat er nie gehabt. Auch nicht vorübergehend.
Frage: Wenn Sie miteinander ausgingen: Was trank er da an Alkohol?
Antwort: Vor unserer Ehe trank er kaum. Wenn wir ausgingen, etwa zu Tanzveranstaltungen, blieb der Alkoholgenuss stets im Rahmen. Ich kann mich nicht erinnern, dass er jemals stark betrunken war.«
Nachdem Horstmann weitere Fragen zu Einnahmen und Anschaffungen vor und während der Ehe gestellt hatte, kommt er neuerlich auf Morches vermutliche Geisteskrankheit zu sprechen.
»Frage: Gab es zu Beginn der Ehe Auffälligkeiten?
Antwort: Bereits eine Woche nach der Trauung musste er in die Krankenheilanstalt Großschweidnitz eingeliefert werden. Schon am Polterabend hatte es erste Anzeichen gegeben. Zum Termin auf dem Standesamt erschien er zunächst nicht. Meine Schwiegereltern mussten ihn erst holen. Es war wohl die zweite oder gar dritte Einweisung.
Frage: War es eine Liebesheirat?
Antwort: Ich habe mich aus zwei Gründen zur Heirat entschieden. Erstens war unser Sohn bereits geboren, zweitens wollte Morche von zu Hause weg. Das war auch der Grund, weshalb mir seine Eltern laufend Vorhaltungen machten. Sie sagten sogar, ich sei schuld an seiner Nervenkrankheit.
Frage: Gab es während der Ehe Besonderheiten?
Antwort: Wir wohnten bei meinen Eltern. Es gab schon bald Auseinandersetzungen. Morche übernahm grundsätzlich keine Arbeiten im Haus. Er kehrte weder die Straße noch besorgte er Holz und Kohlen zum Heizen usw. Er begann auch zu trinken. Das ging damit einher, dass er als Laienmusiker auftrat.
Frage: Hat Morche Ihnen gegenüber irgendwann einmal erwähnt, dass er ein Verbrechen begangen hat?
Antwort: Nein. Darüber hat er niemals mit mir gesprochen.
Frage: Wie verhielt sich Morche zu Ihnen unter Alkoholeinfluss?
Antwort: In den sieben Jahren unserer Ehe, von 1953 bis 1960, hat Morche übermäßig Alkohol genossen und stark geraucht. Wenn er betrunken nach Hause kam, krakeelte er, brüllte herum und zerschlug Geschirr. In den ersten Jahren gingen wir mitunter noch zusammen aus. Doch weil er kein Maß beim Trinken kannte, ging ich nicht mehr mit ihm weg. Während der Ehe ist er mehrere Male in ärztlicher Behandlung inGroßschweidnitz gewesen. Dort informierte mich ein Arzt, dass mein Mann zeitweise aggressiv werden könne, was ich ja schon selbst mehrmals erlebt hatte. Am Ende war auch ich nervlich kaputt und mein Sohn nervös. Ich zog den Schluss, die Ehe zu beenden und reichte die Scheidung ein.
Frage: Gab es Besonderheiten nach der Scheidung?
Antwort: Nein.
Frage: Haben Sie oder hat Ihr Sohn Verbindung zu Morche?
Antwort: Ich habe keinerlei Verbindungen. Mein Sohn Dietmar besucht manchmal seinen Vater. Zu Geburtstagen schenkt er ihm Geld. Auch zur Jugendweihe erhielt er Geld vonihm.
Frage: Hat Ihr Sohn Ihnen über Besonderheiten in der Zeit nach 1960 berichtet?
Antwort: Ja. 1965 oder 1966 war mein geschiedener Mann wieder krank. Mein Sohn mied ihn damals.
Frage: Haben Sie noch irgendwelche anderen Besonderheiten im Verhalten von Morche in Erinnerung?
Antwort: Ja. Vor einigen Jahren kam meine Mutter von der Spätschicht nach Hause, da stand Morche vor unserem Haus. Am Morgen stand er noch immer dort. Ich sprach mit ihm. Er wollte den Jungen haben, um mit ihm spazieren zu gehen. Ich sagte ihm, dass Dietmar zur Schule müsse und dafür keine Zeit habe. Später bekam ich Postkarten von Morche aus Berlin, Leipzig und Dresden. Er reiste viel. Dann hörte ich aus seinem Betrieb, dass er oft nicht zur Arbeit käme.
Frage: Gab es bei Ihrem geschiedenen Ehemann Besonderheiten sexueller Art?
Antwort: Mir sind keine solchen Besonderheiten aufgefallen. Es war zwischen uns in sexueller Hinsicht ganz normal. Wenn er betrunken war, war er ganz besonders sexuell erregt und führte Geschlechtsverkehr mit mir aus.
Frage: Wie ist die Frage des Unterhalts des Sohnes geregelt?
Antwort: Ich erhalte direkt von seinem Betrieb, dem VEB Robur, den Unterhalt, und zwar 65 MDN.
Frage: Gibt es Besonderheiten in der Entwicklung Ihres Sohnes?
Antwort: Mein Sohn entwickelt sich normal. Er hat in der Schule durchschnittliche bis gute Leistungen und besucht jetzt die 8. Klasse.
Frage: Trauen Sie Ihrem geschiedenen Mann ein Verbrechen größerer Art zu?
Antwort: Ich kann nur noch einmal betonen, dass Morche im Jahre 1950 von mir als ganz normaler junger Mensch eingeschätzt wurde. Ich verspürte damals und auch später niemals eine besondere Unruhe in seinem Wesen. Auch hat er niemals Äußerungen in dieser Hinsicht gemacht. Ich traue ihm diesen Mord an der Weberkirche nicht zu. Nach meiner Überzeugung ist diese Behauptung Ausdruck seines nervlichen Zustandes.
Ich habe das Protokoll selbst gelesen. Der Inhalt entspricht in allen Teilen meinen Angaben. Meine Worte sind darin richtig wiedergegeben.«
Noch am gleichen Tag entspricht Staatsanwalt Pollack dem an die Strafkammer des Kreisgerichts Zittau gerichteten Antrag, Karl Morche in Haft zu nehmen. Offiziell heißt das »Unterbringungsbefehl gemäß §151 (2) StPO«.
Als Gründe für den Haftbefehl nennt Pollack:
»Morche steht nach dem eigenhändig unterschriebenen Geständnis im dringenden Tatverdacht des Mordes gem. §211 StGB an der Verkäuferin Hölzel, die am 27.07.1950 an der Weberkirche in Zittau überfallen, erschlagen und ausgeraubt wurde.
Über das von Morche abgelegte schriftliche Geständnis hat er auch auf Befragen durch die Angehörigen der MUK und des Vertreters des Bezirksstaatsanwaltes die Aussage bekräftigt, obwohl das von ihm genannte Datum nicht mit dem Tattag übereinstimmt.
Durch weitere Ermittlungen konnte festgestellt werden, dass Morche ab 1952 insgesamt neun Mal im Fachkrankenhaus Großschweidnitz zur Behandlung weilte, im Ergebnis der Beobachtungen sind Erscheinungen schizophrener Depressionen gegeben. Diese Umstände lassen den Schluss zu, dass Morche sich zurzeit in einem solchen Zustand befindet. Nach Rücksprache mit dem ärztlichen Direktor des Fachkrankenhauses Großschweidnitz ist Morche in diesem Zustand der §51 (1) StGB zuzubilligen.
Es ist notwendig, Morche zur weiteren Beobachtung und Begutachtung dem Fachkrankenhaus für Psychiatrie Großschweidnitz zuzuführen bzw. dort unterzubringen.«
Um 14.30 Uhr an jenem Samstag, dem 1. Juli 1967, hatte Karl Morche seine Unterschrift unter das Vernehmungsprotokoll gesetzt. Nach der Lektüre des am Vorabend geschriebenen Befragungsprotokolls quittierte er zuvor auch dieses. »Ich habe mir das am 30. Juni 1967 gefertigte Befragungsprotokoll nochmals durchgelesen und halte die dort gemachten Angaben in vollem Umfange aufrecht. Die Angaben aus dem Befragungsprotokoll mache ich auch zum Gegenstand meiner heutigen Vernehmung und habe dem nichts mehr hinzuzufügen.«
Die Vernehmung erfolgte durch drei Offiziere der Kriminalpolizei, die das 23 Seiten umfassende Protokoll in dieser Reihenfolge unterzeichnen: Schulze, Leutnant der K; Kehler, Oberleutnant der K; Götte, Leutnant der K. Das Tonband läuft mit.
»Frage: Haben Sie gut geschlafen? Sie sind zu uns gekommen, und wir haben Ihnen Gelegenheit gegeben, sich noch etwas auszuruhen. Sie haben doch sicherlich geschlafen?
Antwort: Ich habe geschlafen. Ich konnte erst nicht gleich einschlafen.
Frage: Fühlen Sie sich gesund?
Antwort: So einigermaßen.
Frage: Sind Sie in der Lage, uns noch einmal die gesamte Geschichte zusammenhängend zu schildern?
Antwort: Was wollen Sie denn wissen?
Frage: Zunächst möchte ich Sie zu Ihren Personalien befragen. Sie heißen?
Antwort: Karl Morche.
Frage: Wann sind Sie geboren?
Antwort: Am 3. November 1931 in Friedland im Isargebirge, heute Tschechoslowakei, keine dreißig Kilometer von hier.
Frage: Und wo arbeiten Sie?
Antwort: Beim VEB Robur als Transportarbeiter.
Frage: Und wo wohnen Sie?
Antwort: Hier inZittau, Innere Oybiner Straße 6.
Frage: Sind Sie verheiratet?
Antwort: Nein, ich bin geschieden seit 1960.
Frage: Hatten Sie Kinder?
Antwort: Ich habe einen Sohn.
Frage: Und wie alt ist der?
Antwort:Anfang September wird er 15.
Frage: Wir möchten Sie bitten, dass Sie uns diese Geschichte, die Sie bereits zu Protokoll gegeben haben, noch einmal zusammenhängend schildern.
Antwort: 1949 ist es gewesen, da bin ich, als ich nach Hause gehen wollte, wie ich von meiner Freundin komme, wie ich nach Hause gehen will, da, es war sehr trüb und regnerisch an diesem Abend. In der Nacht vom 4. zum 5. Juni 1949. Wie ich nach Hause gehen will, gehe ich die Äußere Weberstraße in Richtung nach Hause, und unterwegs fand ich das Stück Eisen, so ungefähr so in der Größe.
Frage: Wie lang schätzen Sie es ungefähr?
Antwort: So 60 Zentimeter ungefähr, 50 bis 60 Zentimeter ungefähr.
Frage: Wie dick war das Eisen?
Antwort: Es war ungefähr in der Stärke von zehn bis zwölf Millimeter.
Frage: Wie sah denn das Eisen aus? War das ein breites?
Antwort: Nein, es war ein rundes Eisen, so wie der Stahl so. Und das habe ich mir dann mitgenommen, und wie ich auch ein Stück weitergehe, so kurz vor dem Volkshaus, da kam dann eine Frau raus, die kam aus dem Volkshaus raus. Und der Frau bin ich dann hinterhergegangen, und ich konnte bloß erkennen, die Frau, die hatte hier diesen Bauchladen, und die Frau ist dann über die Straße der Roten Armee gegangen, und ich lief ihr hinterher, und bei der Weberkirche habe ich dann zugeschlagen. Hab ihr auf den Kopf geschlagen. Das war dann an der Weberkirche, kurz hinter der Türe, wo es raufgeht zur Orgel. Und sie trug auch so einen, wie die Verkäuferinnen auch jetzt tragen, so einen Haarschutz. Also Verkäuferinnen, die in der Lebensmittelbranche beschäftigt sind oder auch in Gaststätten arbeiten. Raupe oder wie man dazu sagt. Oder Häubchen oder Raupe oder wie man dazu sagt. Und dann, ich hab bei der Frau nicht nachgesehen wegen Geld, ich hab mich sofort dann vom Tatort entfernt. Bin noch ein Stück durch den Park gegangen, und dann bin ich in die Äußere Oybiner Straße gegangen, bis zur Mandaubrücke, und dann habe ich das Eisen weggeworfen. Und dann bin ich nach Hause gegangen, wo meine Eltern wohnten, Innere Oybiner Straße 28. Ich hatte damals schon ein eigenes Zimmer, und meine Eltern haben mich nicht heimkommen hören.
Frage: War das alles?
Antwort: Was wollen Sie denn noch wissen?
Frage: Sie sagen also, Sie sind wo gewesen, an diesem Tag? Woher wissen Sie das überhaupt noch, wieso können Sie sich an dieses Datum erinnern? Es liegt doch schon eine ganze Zeit zurück?
Antwort: Es ist schon ein ganz paar Jahre.
Frage: Wieso ist Ihnen dieses Datum noch so in Erinnerung? Noch so genau? Sie sagen vom 4. zum 5., sagten Sie. Welchen Monat?
Antwort: In der Nacht vom 4. zum 5. Juni 1949.
Frage: Juni oder Juli?
Antwort: Juni, der sechste Monat.
Frage: Ja, woher wissen Sie das Datum noch so genau? Sie sagen ja selber, dass es schon einige Jahre zurückliegt, und trotzdem können Sie sich noch so genau erinnern. Gab es da etwas Besonderes an diesem Tage?
Antwort: Vielleicht bin ich auch etwas aufgeregt gewesen an diesem Tage. Es war im Sommer.
Frage: Sie wissen es also noch sehr genau, es war vom 4. zum 5 Juni.
Antwort: In der Nacht vom 4. zum 5. Juni.
Frage: Und wo sind Sie hergekommen?
Antwort: Von der Neusalzaer Straße, von meiner Freundin.
Frage: Wie spät war es da ungefähr?
Antwort: So ungefähr in der zwölften Stunde.
Frage: Mittags?
Antwort: Nein, in der Nacht, gegen 24 Uhr. So in der zwölften Stunde bin ich weggegangen. Ich weiß jetzt auch nicht mehr, wie lange ich gelaufen bin.
Frage: Sie sagen, Sie waren bei Ihrer Freundin. Wer war denn Ihre Freundin?
Antwort: Das war meine spätere Frau.
Frage: Wie heißt sie denn?
Antwort: Wie sie jetzt heißt?
Frage: Ist sie wieder neu verheiratet?
Antwort: Soviel ich weiß, ist sie nicht wieder verheiratet.
Frage: Wie hieß sie denn damals?
Antwort: Ursula Tzscherlich.
Frage: Und sie wohnt hier in Zittau?
Antwort: Hier in Zittau. Neusalzaer Straße 3.
Frage: Sie waren also bei Ihrer damaligen Freundin?
Antwort: War damals bei meiner Freundin zu Besuch und bin dann nach Hause gegangen. Ich wollte nach Hause, und unterwegs dann, da ist das passiert.
Frage: Von der Neusalzaer Straße kamen Sie. Wie sind Sie denn da gelaufen?
Antwort: Die Neusalzaer Straße reingelaufen über die Freudenhöhe und dann bloß auf der Äußeren Weberstraße reingegangen bis zur Weberkirche, also beim Volkshaus vorbei und dann der Frau hinterher.
Frage: Auf welcher Straßenseite sind Sie denn gelaufen? Sie sind also aus der Richtung Stadtgrenze in Richtung Stadtmitte, und auf welcher Straßenseite sind Sie da gegangen?
Antwort: Auf der linken Straßenseite. Bloß auf der linken Straßenseite.
Frage: Und welches Gebäude liegt auf der linken Straßenseite?
Antwort: Da liegen mehrere Gebäude.
Frage: Welches besondere Gebäude liegt dort?
Antwort: Das Volkshaus.
Frage: Sie sind demnach direkt am Volkshaus vorbeigelaufen?
Antwort: Da bin ich direkt vorbeigegangen.
Frage: Wie war denn der Betrieb auf der Straße?
Antwort: Es war sehr ruhig schon, weil schlechtes Wetter war. Es war trübe, und es war regnerisch. Es war nasses Wetter.
Frage: Haben Sie jemanden dort getroffen?
Antwort: Nein, gar niemanden. Keinen Bekannten und niemanden getroffen.
Frage: Waren Sie schon am Volkshaus vorüber, oder war es noch vor dem Volkshaus, wo Sie der Frau begegnet sind? Oder wo Sie die Frau das erste Mal gesehen haben. Erzählen Sie doch bitte nochmals, wie das mit der Frau gewesen ist.
Antwort: Kurz vor dem Volkshaus, wo ich kurz vor dem Volkshaus laufe, da kommt die Frau aus dem Volkshaus raus.Früher sind auch schon zwei Eingänge gewesen. Der eine Eingang oder Aufgang zumHotel und zur Gaststätte, und zuvor der Eingang zum Saal, zum Tanzsaal. Und jetzt da ist es auch so, nur man hat jetzt gebaut, und es ist einiges verändert worden. Aber die Frau kam von der Gaststätte.
Frage: Wenn Sie also aus Richtung Freudenhöhe kamen, der wievielte Eingang: der erste oder der zweite?
Antwort: Von der Freudenhöhe gesehen: der zweite Eingang. Wenn man von der Freudenhöhe kommt, ist der erste Eingang zum Saal und der zweite zur Gaststätte.
Frage: Und die Frau ist wo rausgekommen?
Antwort: Von der Gaststätte.
Frage: Hat die Frau Sie gesehen, und haben Sie sie angesprochen? Oder wie war das?
Antwort:Ich kannte die Frau gar nicht, und sie hat mich vielleicht auch nicht gesehen. Oder ich weiß es nicht, ob sie mich bloß kurz gesehen hat, oder sie hat auch nicht dergleichen getan.
Frage: Die Frau ist also gekommen, ist rausgegangen aus dem Grundstück. In welche Richtung ist die Frau gelaufen?
Antwort: InRichtung Stadt, Stadtmitte. Vielleicht wollte sie zum Handelshof. Vielleicht wollte sie, weil sie bei der HO gearbeitet hat, vielleicht wollte sie zum Handelshof.
Frage: Woher wissen Sie denn, dass diese Frau bei der HO gearbeitet hat? Ich denke, Sie haben die Frau nicht gekannt.
Antwort: Ich hab die Frau nicht gekannt.
Frage: Sie sagten doch eben, sie hätte bei der HO gearbeitet.
Antwort: Sie kam mit dem Bauchladen.
Frage: In welcher Entfernung waren Sie denn, als die Frau aus dem Volkshaus kam?
Antwort: Bloß so kurz vorher.
Frage: Wie viele Meter mögen das gewesen sein?
Antwort: Vielleicht drei bis vier Meter ungefähr.
Frage: Können Sie anhand dieses Zimmers ungefähr andeuten, in welcher Entfernung das gewesen sein könnte? Sie waren ziemlich dicht dran an dieser Frau?
Antwort: Ich war ziemlich nahe, ja.
Frage: Wie viele Meter schätzen Sie?
Antwort: Es waren keine vier Meter. Es waren knapp drei Meter.
Frage: Haben Sie mit der Frau gesprochen?
Antwort: Nein.
Frage: Hat die Frau Sie angeschaut?
Antwort: Das weiß ich nicht.
Frage: Wo haben Sie denn dieses Eisen gefunden?
Antwort: Auch auf der Äußeren Weberstraße. Nein, auf der mittelsten Straße nicht, sondern so seitlich am Fußweg.
Frage: Wo denn da? Sie sind doch Zittauer.
Antwort: Nein, ich bin nicht Zittauer. Ich wohne bloß seit 1945 in Zittau.
Frage: Beschreiben Sie mir doch bitte einmal, wo Sie das Eisen gefunden haben.
Antwort:Ungefähr bei Karosserie Winter.
Frage: Das ist doch ein ganz schönes Stück entfernt vom Volkshaus.
Antwort: Das sind ein ganz paar Meter.
Frage: Und wo hat das Eisen denn dort gelegen?
Antwort:So seitlich am Fußweg.
Frage: Und weshalb haben Sie das Eisen überhaupt mitgenommen? Wozu brauchten Sie es?
Antwort: Ich wollte … Ich hatte mir schon vorgenommen, so etwas zu tun.
Frage: Was hatten Sie sich vorgenommen?
Antwort: Wegen meinem Cousin. Es mag etwas eigenartig klingen, aber mein Cousin ist im Krieg geblieben, und ich wollte meinen Cousin rächen.
Frage: Was hat Ihr Cousin mit dieser Frau zu tun, die Sie doch gar nicht kannten?
Antwort: Es mag eigenartig klingen, aber …
Frage: Wie heißt denn Ihr Cousin?
Antwort: Der heißt wie ich.
Frage: Morche. Und sein Vorname?
Antwort: Auch Karl.
Frage: Wo hat der denn gewohnt, Ihr Cousin?
Antwort: In Friedland, in den Sudeten.
Frage: Hat er noch Angehörige?
Antwort: Nein, der lebt nicht mehr.
Frage: Ich meine seine Verwandten. Seine Mutter zum Beispiel.
Antwort: Seine Mutter ist 1946 in Westdeutschland gestorben.
Frage: Wer kennt diesen Cousin noch? Haben Sie noch Angehörige?
Antwort: Bloß meinen Bruder.
Frage:Wo lebt denn Ihr Bruder?
Antwort:Auch in Westdeutschland.
Frage: Wen haben Sie denn noch hier wohnen, bei uns in der Republik?
Antwort:Meinen Jungen, und hier in Zittau wohnt eine Cousine von mir. Die wohnt in Zittau in der Willi-Gall-Straße. Sie hat auch erst in der Äußeren Oybiner Straße gewohnt.
Frage: Wie heißt sie denn?
Antwort: Rosl Hübner.
Frage: Frau Hübner müsste ja Ihren Cousin, der im Krieg geblieben ist, auch kennen.
Antwort: Den hat sie gekannt.
Frage: Sie sagten vorhin, Sie hätten sich das schon früher einmal vorgenommen. Was ist darunter genau zu verstehen?
Antwort: Vielleicht schon einige Wochen vorher.
Frage: Hatten Sie einen bestimmten Plan?
Antwort: Nein, keinen bestimmten Plan. Bloß vielleicht hat das mitgespielt an diesem Abend, weil bei meiner Schlechtigkeit und bei der Tat, die ich begangen habe, das Wetter günstig war, und so konnte das dann den nächsten Tag oder die nächsten Tage oder in den nächsten Wochen nach der Tat imJahre 1949 … konnte das nicht gleich aufgeklärt werden.
Frage: Das verstehe ich nicht: Es konnte nicht gleich aufgeklärt werden. Was hat das denn mit dem Wetter zu tun?
Antwort: Mit den Fußspuren und so.
Frage: Sie haben also geglaubt, da hinterlassen Sie keine Spuren, wenn schlechtes Wetter ist? Hat es denn so kräftig geregnet?
Antwort: Es hat ganz schön geregnet.
Frage:Was haben Sie an diesem Tag angehabt?
Antwort: Das weiß ich nicht mehr so genau.
Frage:Sie haben also dieses Eisen gefunden. Warum haben Sie es mitgenommen?
Antwort: Ich hatte mir vorgenommen, so etwas zu tun.
Frage: Haben Sie das Eisen wirklich dort gefunden?
Antwort: Das war so am Zaun, und da habe ich es weggenommen.
Frage: Sie sind also der Frau hinterhergegangen. Sie sagen selbst, Sie wären ziemlich dicht hinter der Frau gelaufen, und es sei sehr wenig Betrieb auf der Straße gewesen.
Antwort: Es war sehr wenig Betrieb auf der Straße. Man kann sagen: Es war sonst niemand zu sehen. Vielleicht so im Volkshaus, da sind Leute gewesen, aber draußen ist niemand zu sehen gewesen.
Frage: Wie ist die Geschichte dann weitergegangen? Sie sind also der Frau gefolgt. Sie liefen also vom Volkshaus aus auf welcher Seite? Links oder rechts?
Antwort: Auf derselben Seite, wo das Volkshaus ist, wo jetzt die PGH Bild und Ton ist, und beim Hirsch vorbei, wo jetzt die Textilverkaufstelle ist. Da ist die Frau über die Straße der Roten Armee gegangen. Damals ist das noch etwas anders gewesen, da ist später viel gebaut worden, an der Weberkreuzung. Vor einigen Jahren ist an der Weberkreuzung so eine Insel gebaut worden, aber verkehrsmäßig wird das nicht richtig genützt. Der Ring ist Einbahnstraße, und wenn man die Äußere Weberstraße mit dem Auto fährt, da müssen die Autos halten, weil die Autos am Grünen Ring, also die von der Straße der Roten Armee runter kommen und in die Innere Weberstraße einbiegen wollen bzw. nach der Dr.-Brinitzer-Straße fahren wollen, dann müssen die Autos warten auf der Äußeren Weberstraße. Damals, 1949, da ist die Straße gleich gewesen, da war das noch nicht so gebaut, da waren noch keine Ampeln, und da konnte man und da war bloß … kam man so beim Hirsch vorbei auf dem Bürgersteig … und dann runter auf die Straße, und die Straße war glatt. Jetzt ist sie ein bissel anders gebaut.
Frage: Waren damals schon die Ketten dort?
Antwort: Sie meinen die Schutzketten? Ich glaube, da waren schon welche. Aber nicht so lange, weil das … was weiß ich … weil jetzt alles anders gebaut ist.
Frage:Die Frau ging also hinüber zur Weberkirche?
Antwort: Die Frau ist über die Straße gegangen und wollte in die Stadtmitte, inRichtungHandelshof.
Frage: Der Handelshof ist aber doch ganz hinten. Was kommt denn da zunächst erst mal, wo die Straße hochläuft?
Antwort: Hinter der Weberkirche kommt erst das jetzige Fischgeschäft. Also früher war dort auch schon ein Fischgeschäft … Die wollte auf derselben Seite laufen. Aber bei der Weberkirche habe ich zugeschlagen.
Frage: Wo denn da bei der Weberkirche?
Antwort: Bei der Frau?
Frage: Die Frau war doch immer vor Ihnen gewesen. Sie sagten vorhin: etwa vier Meter.
Antwort: Bei der Weberkirche. Da habe ich sie eingeholt.
Frage:Haben Sie mit der Frau gesprochen? Das muss sie doch bemerkt haben?
Antwort: Nein. Sie hat sich vielleicht darauf konzentriert, den Bauchladen im Handelshof abzugeben.
Frage: Wie lief die Frau? Langsam oder schnell?
Antwort: So mittelmäßig. Nicht schnell und nicht langsam. So mittleres Tempo.
Frage: Sie konnten das Tempo mithalten?
Antwort: Ich konnte das Tempo mithalten. Damals habe ich noch nicht geraucht. Damals kriegte ich noch besser Luft beim Laufen.
Frage: Sie sind also der Frau nachgelaufen und kamen dann zur Weberkirche.
Antwort: Bei der Weberkirche kommt man wieder auf den Bürgersteig, den Fußweg, und wenn man über die Straße der Roten Armee läuft, da geht es zum Haupteingang hoch, also ich weiß nicht, wie das früher war. Links geht es zum Friedhof, so in den Garten rein bei der Weberkirche.Und wenn man so über die Straße der Roten Armee kommt und man will zur Weberkirche, da geht’s die Stufen hoch, und da ist der Haupteingang, und an dem Fußweg hier vorbei, da ist dann, wenn man schon ein Stück rum ist, da ist so eine kleine Tür … Da habe ich zugeschlagen. Da sind so Bäume in der Nähe, und es war finster, nicht so eine gute Straßenbeleuchtung wie heute, und das Wetter, das trübe Wetter, und es war finster.
Frage: Zeigen Sie bitte, wie Sie zugeschlagen haben.
Antwort:Ich habe mit links zugeschlagen, weil ich Linkshänder bin. Wenn ich Holz hacke – bloß mit links. Oder wenn ich einen Ball werfe. Mit links kann ich weiter werfen als mit rechts. Mit rechts bin ich ungeschickt. Da kann ich weiter werfen, und wenn ich Holz hacke, bin ich mit links kräftiger.
Frage: Versuchen Sie mal mit diesem Bleistift zu demonstrieren, wie Sie zugeschlagen haben.
Antwort: Nur mit der einen Hand. Nur mit der linken Hand.
Frage: Wo haben Sie die Frau getroffen?
Antwort: Auf den Kopf.
Frage: Wo genau auf dem Kopf?
Antwort: Hier oben so.
Frage: Sie zeigen auf den Hinterkopf.Oder war es die Wirbelgegend, etwa hier?
Antwort: Soviel ich erkennen konnte … Da waren so zusammengenähte Rüschchen, und darunter ein Streifen.
Frage: Sie haben also zugeschlagen. Und was ist dann geschehen?
Antwort: Die Frau ist gestürzt und dann liegen geblieben. Ich habe dann …
Frage: Hat die Frau noch was gesagt?
Antwort: Gar nicht. Sie konnte auch nichts mehr sagen.
Frage: Warum konnte sie nichts mehr sagen?
Antwort: Weil sie schon tot war.
Frage: Sie war schon tot? Woher wissen Sie das so genau?
Antwort: Sie bewegte sich nicht mehr.
Frage: Was hatte die Frau an?
Antwort: Sie hatte ein Kleid an. Oder einen Rock.
Frage: Ist Ihnen noch etwas von der Kleidung der Frau in Erinnerung?
Antwort: Die Frau ist auch etwas größer gewesen als ich. Ich bin ungefähr 1,63 oder 1,64 Meter. Die Frau ist etwas größer gewesen, und sie trug längeres Haar, so einfach frisiert.
Frage: Wie war denn die Gestalt der Frau?
Antwort: Die war etwas größer als ich. Sie war nicht übermäßig dick, aber gut gewachsen und kräftig.
Frage: An Details der Bekleidung können Sie sich nicht mehr erinnern.
Antwort: Da konnte ich nicht viel erkennen, weil es finster war und so duster.
Frage: Was hat denn die Frau alles mit sich geführt? Was hatte sie bei sich?
Antwort: Hauptsächlich den Bauchladen.
Frage: Was war denn in dem Bauchladen?
Antwort: Das weiß ich nicht, was da drin war. Vielleicht … ich weiß auch nicht, wo sie verkauft hat an dem Abend. Vielleicht musste sie noch mal ins Volkshaus gehen und das Geld hinschaffen und so. Nach dem Geld habe ich gar nicht geguckt. Ich habe mich gar nicht um die Frau gekümmert. Ich habe auch nichts gesucht bei ihr. Wegen Geld und so.
Frage: Wie lange haben Sie bei der Frau verweilt? Sie haben zugeschlagen, und dann?
Antwort: Ich habe zugeschlagen und hab mich nicht mehr um die Frau gekümmert. Ich bin dann rübergegangen, in die Innere Weberstraße, wo das Hospital ist. Jetzt ist dort das Feierabendheim »Rosa Luxemburg«. Und da bin ich quer rübergegangen, wo jetzt der Springbrunnen ist, bei den Bänken vorbei, und bin ein Stück durch den Park gelaufen und dann über die nächste Kreuzung, das heißt bei Fuhrmann Hentschel vorbei, nach der Äußeren Oybiner Straße bis zur Mandaubrücke. Dort habe ich das Eisen weggeworfen. Von der Brücke in die Mandau.
Frage: Auf welcher Seite denn?
Antwort: Ich glaube auf der linken Seite. Wenn man die Äußere Oybiner Straße auf die Brücke zugeht, da kommt dann die andere Straße, also es sind beide Straßen Einbahnstraßen … Auf der linken Seite.
Frage: Ist dort nicht so ein kleines Wehr?
Antwort: So ein kleines Wehr, wo das Wasser etwas stärker läuft.
Frage: Haben Sie zugeguckt, wie das Eisen ins Wasser flog, oder woher wissen Sie das so genau?
Antwort: Ich bin noch ein Stück gegangen, dass es ins Wasser runter fällt.
Frage: Warum haben Sie das Eisen denn ins Wasser geworfen?
Antwort: Dass es nicht mehr zu sehen ist.
Frage:Warum denn?
Antwort: Es sollte niemand sehen … Das war so ein rundes Eisen.
Frage: Warum sollte niemand das Eisen sehen?
Antwort: Ich wollte es verschwinden lassen, weil ich so etwas damit getan hatte.
Frage: Was haben Sie dann weiter gemacht?
Antwort: Dann bin ich nach Hause gegangen. Ich bin wieder die Äußere Oybiner Straße zurückgegangen, bei Fuhrmann Hentschel vorbei, über die Kreuzung, und dann ist gleich das Haus Innere Oybiner Straße 28. Das ist so ein großes Eckhaus. Da haben meine Eltern gewohnt, und ich habe damals auch bei meinen Eltern gewohnt. Mein Vater hatte damals eine Maßschneiderei. Ich bin dann durchs Haus gegangen. Meine Eltern waren im Schlafzimmer. Sie schliefen bereits. Ich brauchte bloß durch die Küche zu gehen. Neben der Küche hatte ich mein eigenes kleines Zimmer. Meine Eltern haben gar nicht gemerkt, wann ich nach Haus gekommen bin.
Frage: War das damals oft der Fall, dass Sie spät in der Nacht unterwegs waren?
Antwort: Ich bin öfter mal spät abends nach Hause gekommen.
Frage: Wo sind Sie da gewesen?
Antwort: Bei meiner Freundin. Wir haben uns 1948 bei der Tanzstunde kennengelernt.
Frage:Erzählen Sie bitte weiter.
Antwort: Ich bin nach Hause gekommen und musste mich erst waschen. Und meine Kleidung musste ich aufräumen, und dann bin ich nach und nach schlafen gegangen.
Frage: Was trugen Sie in dieser Nacht für Kleidung?
Antwort: Das weiß ich jetzt auch nicht mehr so genau, ob ich jetzt lange Hosen oder Knickerbocker … Ich trug damals auch so eine Jacke mit Sattel. Das wurde damals getragen. Von zweierlei Stoff. Es war so heller Stoff, und oben so ein Sattel eingearbeitet.
Frage:War an der Kleidung Blut zurückgeblieben?
Antwort: Nein. Da war nichts zurückgeblieben.
Frage:Haben Sie sich an der Weberkirche über die Frau gebeugt?
Antwort: Nein. Ich habe mich nicht mehr nach der Frau umgesehen.
Frage: Nach dem Schlag sind Sie gleich weggelaufen?
Antwort: Ein bissel erschreckt bin ich schon. Aber ich habe mich dann nicht mehr um die Frau gekümmert. Ich bin dann über die Innere Weberstraße davongelaufen.
Frage: Nachdem Sie mit der Eisenstange zugeschlagen hatten, haben Sie sich die Frau angeschaut?
Antwort: Ich wollte bloß sehen, dass ich …
Frage: Was ist aus dem Bauchladen geworden?
Antwort: Der ist bei der Frau geblieben.
Frage: Wie lag die Frau? Wie ist sie gestürzt?
Antwort: Sie ist nach vorn gestürzt.
Frage: Erklären Sie das näher.
Antwort: Die Frau ist vor mir gegangen. Ich hatte in der linken Hand die Eisenstange. Und so habe ich sie geschlagen. Die Frau ist dann vornüber gestürzt.
Frage: Wie hat die Frau dann gelegen?
Antwort: Die hat also ein … an der Biegung an der Weberkirche hat sie gelegen. Nicht auf der Straße, sondern auf dem Fußweg, also auf dem Bürgersteig. An der Mauer an der Weberkirche.
Frage: Würden Sie die Stelle wiederfinden? Könnten Sie uns diese zeigen?
Antwort: Die könnte ich Ihnen zeigen.
Frage: Sie wissen ganz genau, wo das war?
Antwort: Hinter der Türe.
Frage: Wie hat die Frau gelegen?
Antwort: Mit dem Kopf auf die Mauer zu.
Frage:Und die Füße? In welche Richtung zeigten sie?
Antwort:So ungefähr auf die Kreuzung zu.
Frage: Und wie war die Lage der Arme?
Antwort: So an der Seite, oder beim Bauchladen. So. Ich habe ja bei der Frau nicht gewartet. Ich kann das nicht so genau sagen. Der Bauchladen ist kaputtgegangen durch den Aufprall, als sie gestürzt ist.
Frage: Wie oft haben Sie zugeschlagen?
Antwort: Zweimal. Beide Schläge auf den Kopf. Ich habe aber beide Male mit links geschlagen. Nur mit links.
Frage: Haben Sie irgendjemandem von dieser Geschichte erzählt?
Antwort: Habe niemandem etwas erzählt.
Frage: Haben Sie etwas im Kalender oder in einem Tagebuch vermerkt?
Antwort: Da habe ich auch nichts festgehalten. Ich habe mir nichts aufgeschrieben.
Frage: Es ist unwahrscheinlich, dass Sie sich so genau an alles erinnern können. Was hat Sie veranlasst, sich alles so genau zu merken?
Antwort: Mein Freund – vielleicht kennen Sie ihn auch –, der Herr Ferner, der hat mir mal die Geschichte erzählt … Wir sind darauf zu sprechen gekommen, als er mal zu Besuch bei mir war. Kollege Ferner arbeitet in der Verwaltung vom VEB Robur, in der Materialverbrauchs-Normung. Das war schon in der neuen Wohnung, also nach 1962. Mein Vater ist 1962 gestorben, ich konnte damals die große Wohnung nicht behalten. Bekam dann 1962 die Zwei-Zimmer-Wohnung in der Inneren Oybiner Straße, wo ich jetzt wohne. Da sind wir mal ins Gespräch gekommen. Ich weiß nicht, wodurch ich angeregt wurde, durch Zeitungen, Radio oder so. Wir kamen darauf zu sprechen, von der Frau, die an der Weberkirche damals erschlagen wurde. Da hat er mir erzählt, dass er den Mord entdeckt hat. Er ist später dort gewesen. Woher er gekommen ist, weiß ich nicht. Er wohnte damals auch schon in der Dr.-Friedrich-Straße. Aber sonst haben wir weiter nicht mehr davon gesprochen.
Frage: Hat die Frau geschrien, als Sie sie mit der Eisenstange schlugen?
Antwort: Hat nicht geschrien. Weil es schnell gegangen ist.
Frage:Sind Sie am nächsten Tag noch einmal dorthin gegangen? Haben Sie sich umgesehen, ob Sie eventuell etwas verloren hatten?
Antwort: Am nächsten Tag wurde von dem Mord bei uns in der Werkstatt erzählt. Mein Vater hatte eine Maßschneiderei und mehrere Gehilfen beschäftigt. Und da sind viele Leute, auch welche aus unserer Straße, dann zur Weberkirche gelaufen und haben sich das angesehen. Mittlerweile war aber der Tatort schon abgesperrt und die Frau mit einer Plane zugedeckt. Ich habe mir das nicht angesehen. Ich weiß es nur vom Erzählen her. Ich bin nicht hingegangen.
Frage: Herr Morche, wie kommt es, dass Sie heute, nach so vielen Jahren, zu uns gekommen sind und ein Geständnis abgelegt haben? Hat Sie jemand geschickt?
Antwort: Nein, es hat mich niemand geschickt.
Frage: Gab es einen Moment, einen Grund, der Sie veranlasst hat, hierherzukommen?
Antwort: Vielleicht trug dazu bei, weil ich mit nach der ČSSR fahren wollte. Aber da habe ich mir gesagt: Du musst erst mal das melden. Du musst erst mal fragen. Ich hätte das schon viel eher sagen sollen.
Frage: Mit wem wollten Sie in die Tschechoslowakei fahren?
Antwort: Mit Arbeitskollegen aus dem Betrieb. Es sollte auch in die alte Heimat gehen, nach Friedland und ins Isergebirge, nach Gablonz und Reichenberg. So hat es mir einKollege am Telefon gesagt. Und da ist gestern Vormittag ein Kollege bei mir gewesen und hat gesagt, ich sollte einen Tagesausweis im Kreispolizeiamt holen, das ist bis 18 Uhr geöffnet. Und er sagte auch, es sind viele Leute, da kannst du auch später gehen. Als ich zur Anmeldung kam, wo es die Formulare gibt, war schon geschlossen.
Frage: War das der Anlass, dass Sie zu uns gekommen sind? Haben Sie meine Frage verstanden?
Antwort: Ich hätte schon viel eher kommen sollen.
Frage: Und warum sind Sie nicht schon früher gekommen?
Antwort: Manchmal dachte ich, ich käme darüber hinweg. Aber da kam ich nicht drüber weg. Das kann man nicht einfach vergessen.
Frage: Sie haben bis 1952 eine sehr ansprechende Entwicklung genommen. Sie haben die Volksschule, Hauptschule, dann die Oberschule besucht, haben einen Beruf erlernt …
Antwort: Ich bin in Friedland zur Schule gegangen.
Frage: 1952 wurden Sie erstmals in die Nervenheilanstalt Großschweidnitz eingeliefert. Was war der Anlass dafür?
Antwort: Also, man kann sagen, 1952 bin ich das erste Mal hingekommen. Aber das war keine eigentliche Behandlung. Das war mehr zur Beobachtung. 1953 bin ich das erste Mal zur Behandlung hingekommen.
Frage: Was hat man denn 1952 bei Ihnen beobachtet?
Antwort:Das weiß ich nicht.
Frage: Wer hat Sie denn nach Großschweidnitz geschickt? Sind Sie von allein hingegangen?
Antwort: Nein. Herr Dr. Knoch-Weber hat mich überwiesen. Wegen meinem nervlichen Zustand. Erst bin ich depressiv gewesen, dann bin ich wieder lebhaft und unruhig gewesen. Das fing 1952 an.
Frage: Warum hat das 1952 angefangen? Gab es einen Grund?
Antwort: Vielleicht berufliche Anstrengungen. Es hat 1952 vor meiner Verlobung angefangen, da war ich beruflich überanstrengt. Da war ich niedergeschlagen. Vielleicht sollte ich mich nicht erst verloben …
Frage: Worauf ist die Nervengeschichte zurückzuführen?
Antwort: Vielleicht auch schon mit der ganzen Sache an der Weberkirche … Das hat schon etwas dazu beigetragen. Es steckte in mir, dass ich die Tat begangen habe.
Frage: Haben Sie schon früher so etwas gehabt?
Antwort: Nein.
Frage:Was haben Sie inGroßschweidnitz dem Arzt erzählt? Er wird Sie doch sicher gefragt haben, was Sie für Sorgen haben, für Nöte. Wie es Ihnen geht. Und Sie werden ihm ja eine Antwort gegeben haben. Können Sie sich daran erinnern? An das Aufnahmegespräch.
Antwort: Wenn man in Großschweidnitz aufgenommen wird, dann wird man dem Arzt vorgestellt. Und der Arzt setzt sich mit der Frau in Verbindung, oder mit der Braut. Oder mit den Eltern setzt er sich auch in Verbindung. Der Arzt wird wahrscheinlich auch mit meinen Eltern gesprochen haben.
Frage: Hat er auch mit Ihnen gesprochen?
Antwort: Mit mir hat er auch gesprochen.
Frage: Was haben Sie denn da gesagt?
Antwort: Dem habe ich überhaupt nichts gesagt. Vielleicht habe ich es auf den Beruf geschoben, auch arbeitsmäßige Überlastung.
Frage: Sie sagten vorhin: Vielleicht hat es schon in mir gefressen. Warum haben Sie ihm das nicht gesagt?
Antwort: Über so etwas kann man nicht einfach sprechen. Da versucht man wieder drüber wegzukommen. Aber auf die Dauer ist das auch nichts Gutes.
Frage: Herr Morche, wissen Sie nach so vielen Jahren, wie die Frau heißt, wo sie gewohnt hat, was sie gemacht hat, ob sie Angehörige oder Kinder hatte?
Antwort: Welche Frau meinen Sie?
Frage:Die Frau, die Sie niedergeschlagen haben.
Antwort: Marianne Böhmer. Sie wohnte auf der Freudenhöhe gegenüber der Gaststätte. Früher war da die Fleischerei. Jetzt ist, glaube ich, ein Gemüseladen drin. Der Eingang zu diesem Haus ist von der Dresdner Straße. Unten, wenn man die Straße runtergeht … Ich weiß nicht, was da jetzt drin ist. Vor einiger Zeit ist der VEB Kohlehandel drin gewesen.
Frage: Wie kommen Sie auf diese Frau und diesen Namen?
Antwort: Die Frau hat auch einen Sohn. Der wohnt noch in diesem Haus.
Frage: Woher wissen Sie, dass sie Böhmer hieß?
Antwort: Es wurde damals doch viel davon gesprochen und erzählt.
Frage: Haben Sie die Frau schon früher gekannt?
Antwort: Nein, da habe ich sie nicht gekannt.
Frage: Es ist also für Sie eine fremde, unbekannte Frau gewesen?
Antwort: Eine ganz fremde Frau. Bloß später, wo das passiert war, erfuhr ich, dass sie auf der Freudenhöhe wohnte. Und der Junge war damals noch klein.
Frage: Wie alt war denn der Junge damals?
Antwort: Das weiß ich nicht. Jetzt ist er groß und erwachsen und arbeitet auch in der HO.
Frage: Von wem haben Sie denn erfahren, dass die Frau auf der Freudenhöhe wohnt und Böhmer heißt?
Antwort: Das wurde so erzählt auf der Neusalzaer Straße. Oder es wurde auch bei uns in der Werkstatt erzählt. Oder auf der Oybiner Straße. Und dann hat es auch in der Zeitung gestanden. Und das wurde erzählt und davon gesprochen.
Frage: Sie sagten vorhin, Sie wollten Ihren Cousin rächen. Das habe ich noch nicht so richtig begriffen, was der Tod Ihres Cousins mit der Frau zu tun hat. Sie haben eben gesagt, dass Sie die Frau nie zuvor gesehen und nicht gekannt haben.
Antwort: Ich habe die Frau nicht gekannt.
Frage:Warum haben Sie sich ausgerechnet an dieser Frau gerächt?
Antwort: Wie ich an dem Abend nach Hause gehe und ich bin am Volkshaus ran, kam die Frau. Und ich bin der Frau hinterhergegangen. Und da, bei der Weberkirche, wo es so finster ist, habe ich zugeschlagen.
Frage: Hätten Sie das auch getan, wenn es ein Mann gewesen wäre?
Antwort: Das kann ich nicht sagen.
Frage:Dass es aber eine Frau war, haben Sie erkannt?
Antwort: Ich habe gesehen, dass es eine Frau war. So mit den Rüschen, mit dem weißen Häubchen. Männer tragen auch Bauchläden, das gibt es auch. Aber eine Frau läuft anders. Die tritt nicht so schwer auf wie ein Mann. An dem Gehen ist das schon zu sehen, ob es ein Mann oder eine Frau ist.
Frage: Und warum wollten Sie sich wegen Ihres Cousins rächen?
Antwort: Mein Cousin ist im Krieg geblieben. Und damals, vier Jahre nach dem Krieg … Als ich es getan habe, es mag eigenartig sein, aber …
Frage: Was hatte die Frau mir Ihrem Cousin zu tun?
Antwort: Gar nichts zu tun.
Frage: Wie fühlen Sie sich? Sind Sie müde? Abgespannt?
Antwort: Etwas müde.
Frage:Aber Sie verstehen uns?
Antwort:Ich kann Sie gut verstehen.
Frage: Möchten Sie schlafen?
Antwort: Nein, ich möchte jetzt nicht schlafen.
Frage: Wenn wir jetzt sagen würden: Sie können jetzt schlafen gehen, würden Sie da gleich schlafen?
Antwort: Das kann ich nicht genau sagen, ob ich gleich einschlafen würde. Etwas müde bin ich.Aber ob ich sofort einschlafen würde, das kann ich nicht sagen.
Frage: Trinken Sie Alkohol?
Antwort: Ja, ich trinke, wenn wir mit der Musik unterwegs sind. Wir haben vorgestern Abend auch gespielt. Zur Urlauberbetreuung im Chemieheim in Olbersdorf. Wir sind Kollegen vom Betrieb. Wir sind Amateurmusiker. Da haben wir zur Urlauberbetreuung gespielt. Wenn wir unterwegs sind, da trinke ich auch manchmal ein paar Biere. Oder zu Hause trinke ich auch mal eine Flasche Bier. Oder Freitag und Sonnabend kaufe ich mir auch im Geschäft mal ein paar Flaschen Bier.
Frage: Was verdienen Sie imVEB Robur?
Antwort: Ungefähr 500 MDN brutto.
Frage: Beim Musikmachen verdienen Sie auch?
Antwort: Da verdiene ich auch etwas. Das kommt auf die Stunden an. Manchmal jeden Sonnabend, manchmal auch wochentags. Im Durchschnitt so 25 MDN pro Abend.
Frage: Sparen Sie das Geld?
Antwort: Manchmal kann ich mir etwas sparen. Manchmal brauche ich es für die Miete. Oder wenn ich mir halt etwas zum Anziehen kaufe. Oder zu essen.
Frage: Haben Sie überhaupt etwas gespart? Wo haben Sie das?
Antwort:Bei der Bank für Handwerk und Gewerbe.
Frage: Fühlen Sie sich gegenwärtig ruhiger als in den vergangenen Jahren und Tagen?
Antwort: Etwas.
Frage: Was bedrückt Sie denn noch?
Antwort: Die Ungewissheit, was mit mir werden soll.
Frage:Möchten Sie lieber nach Hause gehen?
Antwort: Ich kann nicht nach Hause gehen. Nicht ohne weiteres. Sie können mich hierbehalten.
Frage: Herr Morche, bedroht Sie jemand? Haben Sie vor irgendjemandem Angst?
Antwort: Nein, mich erpresst niemand. Mich bedroht auch niemand, und Angst habe ich auch nicht.«
Montag, 3. Juli
Der Staatsanwalt des Kreises Bautzen, Kroschk, stellt auf Anforderung der Ermittler die Akte in der »Mordsache Hölzel« dem Volkspolizeikreisamt Zittau zu. Dem Anschreiben ist zu entnehmen: zu Händen »Genossen Oberleutnant Strengeld«.
Donnerstag, 6. Juli
Das Kommissariat II der Kriminalpolizei in Görlitz quittiert den Eingang aller Unterlagen aus Zittau, die Bearbeitungsfrist für das Ermittlungsverfahren wird auf den 15. Juli 1967 festgelegt. Viel Zeit lässt man sich also nicht. Es wird, so heißt es auf der Quittung, wegen »dringendem Tatverdacht des Mordes« seit dem 1. Juli gegen den Transportarbeiter Morche ermittelt.
Dazu ordnet Oberleutnant der K Horstmann als amtierender Leiter der Abteilung K in Görlitz an:
»1. Ermittlung und Vernehmung von Zeugen
2. Vernehmung des Beschuldigten auf Tonband
3. Überprüfung des Gesundheitszustandes des Beschuldigten und Einholung gesundheitsmäßiger Gutachten
4. Beantragung eines Unterbringungsbefehls
5. Zusammenwirken und Übergabe des Ermittlungsverfahrens mit Kommissariat II organisieren.«
Montag, 10. Juli
Oberleutnant Strengeld sucht in Zittau das Haus Äußere Weberstraße 70 auf, in welchem Anni Hölzel bis zu ihrer Ermordung 1949 gewohnt hat. Unmittelbarer Anlass für diesen Ortstermin, den er gemeinsam mit Unterleutnant Kahlert von der Abteilung Schutzpolizei des VPKA wahrnimmt, ist die Selbstbezichtigung Morches, eine Marianne Böhmer erschlagen zu haben. Sie habe in dem Haus gegenüber der HO-Gaststätte Freudenhöhe über der Fleischerei gewohnt. Im Protokoll steht: »Weiterhin erklärte der Beschuldigte, dass die Marianne Böhmer einen Sohn hat, der jetzt noch in dem bezeichneten Hause wohnhaft sei.«
Strengeld und Kahlert notieren nach dem Ortstermin: »Wie einige seit 1945 in diesem Hausgrundstück wohnhafte Hausbewohner erklärten, hat in diesem Haus nach 1945 nie eine Marianne Böhmer gewohnt.«
Bei der Gelegenheit erkundigen sich die beiden Polizisten auch, was aus dem Sohn der tatsächlich ermordeten Verkäuferin, Wolfgang Hölzel, geworden sei. »Nach dem Ableben seiner Mutter«, so heißt es in der Aktennotiz, sei er verzogen, sein derzeitiger Aufenthaltsort sei den Hausbewohnern nicht bekannt.
Wie sich also zeigt, liegt bei dem offenkundig geistig verwirrten Morche eine namentliche Verwechslung vor. Es geschah damals tatsächlich ein Mord in Zittau, aber nicht, wie er meint, 1950, sondern bereits im Jahr zuvor. Und das Opfer hieß nicht Marianne Böhmer, sondern Anni Hölzel. Das Einzige, was stimmt, ist der Fundort der Leiche.
Was aber hat Karl Morche mit diesem Mordfall zu tun? Gibt es überhaupt eine Verbindung? Und war er damals noch klar im Kopf, also schuldfähig, als er vielleicht zum Mörder wurde?
Dienstag, 11. Juli
Oberleutnant der K Strengeld beantragt beim Staatsanwalt des Kreises Zittau die Anordnung der Durchsuchung der Wohn- und Nebenräume des Transportarbeiters Karl Morche in der Inneren Oybiner Straße 6.
»Es ist bekannt, dass der Beschuldigte schon mehrfach wegen manischer Depressionen in der Pflegeanstalt Großschweidnitz durch Ärzte eingewiesen worden war. Unbeschadet dessen ist zu befürchten, dass der Beschuldigte tatsächlich den Mord, dessen er sich selbst bezichtigt, begangen haben kann. Deshalb ist die Durchsuchung der Wohn- und Nebenräume des Beschuldigten zwingend notwendig und auch rechtlich begründet, um nach Beweismitteln (Handtasche der Ermordeten mit Inhalt u.a.m.) zu suchen.«
Am gleichen Tag geht ein von Hauptmann der K Niebel unterzeichnetes Schreiben von Görlitz an das Amt für Meteorologie in Dresden. Die Ermittler wollen wissen, »welche Witterungsverhältnisse imStadtgebiet von Zittau herrschten,
a) am Freitag, dem 28. Juli 1950, in der Zeit von 00.40 bis 01.30 Uhr
b) am Sonntag, dem 05. Juni 1949, in der Zeit von 00.40 bis 01.30 Uhr.
Bei den erbetenen meteorologischen Angaben interessieren u.a. insbesondere Temperatur, Windrichtung und -stärke, Bewölkungsart und -dichte, Sichtverhältnisse, Niederschlag (Dauer, Art und Menge), Mondaufgangs- und -untergangszeit, Mondphase.«
Drei Tage später kommt die Antwort: Am 5. Juni 1949 war es in der fraglichen Zeit mit elf Grad vergleichsweise frisch und der Himmel leicht bewölkt. Der Mond befand sich im ersten Viertel. Es war trocken, der letzte Regen am Tag zuvor am Morgen gefallen.
Am 28. Juli 1950 maß man in Zittau ebenfalls nur elf Grad, es war windstill und wolkenlos, ein Tag vor Vollmond und also hell. Geregnet hatte es letztmalig am Nachmittag des Vortages.
Dienstag, 18. Juli
Die Kriminalpolizei durchsucht Morches Wohnung. Dabei werden unter anderem eine schwarze Damenlederhandtasche, ein Taschenspiegel und ein leeres Parfümfläschchen beschlagnahmt.
Das »Durchsuchungs- und Beschlagnahmeprotokoll«, unterzeichnet von Staatsanwalt Pollack, Oberleutnant der K Strengeld und Leutnant der K Täsche umfasst elf Positionen, darunter sechzehn »Zettel mit unverständlichen Aufzeichnungen«.
Die Kriminalisten vermuten, dass es sich bei der Tasche, dem Spiegel und dem Flakon um persönliche Gegenstände der Ermordeten handeln könnte. Sie legen später diese Handtasche und drei weitere Taschen verschiedenen Zeugen vor.
Donnerstag, 20. Juli
Hauptmann der K Niebel bittet schriftlich bei der Deutschen Post in Dresden (Fernmeldeamt/Fernsprechbuchstelle) um die leihweise Überlassung Zittauer Telefonbücher. Sie ermittelten in einer Raubmordsache, schreibt er. »Die Ermordete hatte damals vor dem Verbrechen von ihrer Arbeitsstelle ein Ferngespräch (Stadtgespräch) geführt. Bei den jetzt notwendig werdenden Überprüfungen wird ein Fernsprechverzeichnis der Stadt Zittau aus dem Jahre 1950 und ein solches aus dem Jahre 1952 benötigt.«
Was man sich davon verspricht, wissen allein die Kriminalisten.
Am 17. August gehen die Bücher inGörlitz ein.
Mittwoch, 26. Juli
Gegen die Hausdurchsuchung und die Beschlagnahme führt Karl Morche Beschwerde, insbesondere protestiert er gegen die Konfiszierung der Handtasche, die für ihn ein Andenken an seine verstorbene Mutter sei.
Oberleutnant Strengeld reagiert nach einer telefonischen Information durch die Kreisstaatsanwaltschaft Zittau mit einem Schreiben an Staatsanwalt Pollack. Er beantragt, den Einspruch abzuweisen. Als Untersuchungsorgan habe die Kriminalpolizei »zu prüfen, ob der Beschuldigte oder eine andere Person Täter ist. Der ermordeten HO-Verkäuferin Hölzel hat damals, am 28. Juli 1950, der Täter eine schwarze lederne Handtasche offenbar geraubt. Leider ist im Rahmen der damaligen Aufklärungsarbeit die Handtasche der Ermordeten so mangelhaft beschrieben worden, dass jetzt von vornherein nicht festgestellt werden kann, ob die in der Wohnung des Beschuldigten gefundene und beschlagnahmte Damenhandtasche die der Ermordeten ist oder nicht. Das ist jetzt zu überprüfen. Hierzu sollen mehrere schwarze lederne Damenhandtaschen sowohl Personen aus dem Verwandten- und Bekanntenkreis sowie ehemaligen Kolleginnen der Ermordeten als auch Verwandten des Beschuldigten vorgelegt werden.«
Um 15.30 Uhr sendet die Görlitzer Kriminalpolizei einFernschreiben an die Kollegen im VPKA Glauchau. Man erbittet dort die Anschrift und Personalien des Ofensetzmeisters Erich Thieme, der 1950 in Glauchau wohnhaft gewesen sein soll. »Hatte intime Beziehungen zu der HO-Verkäuferin Anni Hölzel«, heißt es da. »Diese wurde inZittau am 28.07.1950 Opfer eines ungeklärten Tötungsverbrechens. Aktenmaterial weist nicht aus, dass Th. damals überprüft wurde (Alibi).«
Das Fernschreiben endet mit der Weisung, Thieme »nicht befragen«. Die Antwort erbitten die Görlitzer bis zum 28. Juli.
Wodurch man auf Thieme aufmerksam wurde und ihn offenkundig für eine heiße Spur hält, geht aus den Unterlagen nicht hervor. Auch nicht, ob er überhaupt jemals vernommen wird.
Einen Tag vor Ablauf der Frist rattert 7.15 Uhr der Fernschreiber. Thieme wohnt in Glauchau, Platz der Freundschaft 4, meldet der Oberleutnant der K Schumann.
Montag, 31. Juli
Morgens um 8.30 Uhr wird der Flussmeister Martin Lange von Oberleutnant der K Strengeld befragt. Die Ermittler wollen wissen, ob die – vermeintliche oder tatsächliche – Tatwaffe, jene von Morche genannte Eisenstange, eventuell in dem etwa vierzig Kilometer langen Flüsschen namens Mandau gefunden worden ist. Martin Lange war im Sommer 1958 als Tiefbauarbeiter des VEB Gewässerunterhaltung und Meliorationsbau Dresden an Arbeiten am Flussbett der Mandau in Zittau beteiligt.
ImFrühjahr jenes Jahres gab es ein starkes Hochwasser, welches erheblichen Schaden im Flussbett angerichtet hatte. »So war u.a. das Wehr unter der Brücke der nach Olbersdorf führenden Straße am Einlauf Pfortmühlgraben stark beschädigt. Der Pfortmühlgraben war mit Sand zugeschwemmt worden. Dadurch hatten Textilbetriebe wie die Firma Könitzer kein Brauchwasser. Es musste der Pfortmühlgraben geräumt und das beschädigte Wehr instand gesetzt werden. Oberhalb und unterhalb des Wehres erfolgte eine grundhafte Beräumung des Mandauflussbettes.«
Geräumt wurden dreißig Meter flussauf- und fünfzig Meter flussabwärts von der Brücke. Der »Aushub« sei nach Hartau auf eine Kippe gefahren worden. Es habe sich um Müll und Schrott gehandelt.
Ob darunter auch eine Eisenstange gewesen sei, kann Flussmeister Martin Lange allerdings nicht sagen.
Samstag, 5. August
Der 3. Strafsenat des Bezirksgerichts beschließt, dass Morches Beschwerde wegen der Durchsuchung seiner Wohnung und der Beschlagnahme von Gegenständen als unbegründet zurückgewiesen wird. Gegen ihn werde schließlich wegen des Verdachtes, einen Raubmord verübt zu haben, ermittelt. In der Begründung der Entscheidung heißt es weiter:
»Der Beschuldigte hat sich selbst der Kriminalpolizei gestellt und angegeben, dass er die in der Nacht vom 27. zum 28. Juli 1950 ums Leben gekommene Bürgerin Hölzel mit einer Eisenstange erschlagen habe. Der Mord an dieser Frau ist bisher nicht geklärt. Da der Beschuldigte sich selbst der Tat bezichtigt, und einige Angaben von ihm nicht ausschließen, dass er der Täter sein kann, besteht gegen ihn dringender Tatverdacht. Die in seiner Wohnung beschlagnahmten Gegenstände sind zum Zwecke des Beweises erheblich, insbesondere die Handtasche.«
Dienstag, 8. August
Am Vormittag, von Oberleutnant der K Strengeld befragt, macht der Klempner Wilhelm Schrumpf – seit zwanzig Jahren im Karosseriewerk Gustav Winter beschäftigt und seitdem dort auch Betriebsgewerkschaftsleiter (BGL) – eine Zeugenaussage. Die Ermittler wollen von ihm vor Ort wissen, ob der Täter, wie behauptet, in der Äußeren Weberstraße 1950 ein Rundeisen gefunden haben könnte.
Entrüstet weist Schrumpf die Frage zurück: »Seinerzeit herrschten hier im Betrieb die gleiche Ordnung und Sauberkeit, wie sie auch heute herrschen.«
Er schließt völlig aus, dass irgendwelches Material auf dem Bürgersteig vor dem Betriebsgrundstück herumgelegen haben könnte. Und selbst wenn etwas auf dem Betriebsgelände gelegen haben sollte: »Das Zauntor ist nach Arbeitsschluss auch damals immer verschlossen worden.«
Mithin, Morches Aussage, er habe vor dem Karosseriewerk eine Eisenstange gefunden, mit der er später Anni Hölzel (bzw. Marianne Böhmer) erschlagen haben will und die er anschließend in die Mandau warf, scheint reine Fantasie.
Freitag, 18. August
Die Kriminalisten in Görlitz bringen in Erfahrung, dass Wolfgang Hölzel, der Sohn der Ermordeten, am 28. Dezember 1955 »illegal nach Westdeutschland verzog«.