Morgen früh in New York - Adrien Bosc - E-Book

Morgen früh in New York E-Book

Adrien Bosc

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Beschreibung

Am 27. Oktober 1949 hebt die neue Lockheed Constellation in Paris Richtung New York ab. Unter den 48 Passagieren: Marcel Cerdan, Boxchampion und Geliebter von Édith Piaf, die Violinvirtuosin Ginette Neveu und Disney-Manager Kay Kamen. Die Laune an Bord ist glänzend, die Stewardess reicht Champagner und Macarons, als plötzlich über den Azoren der Funkkontakt abreißt. In seinem glänzenden Debüt verknüpft Adrien Bosc das Schicksal des berühmtesten Flugzeugs der Nachkriegszeit mit den Lebensgeschichten der Reisenden – eine Hommage an die Ära des Hollywood-Kinos und des französischen Chansons.

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Das Buch

Als die Suchtrupps vor den rauchenden Überresten der Constellation stehen, werden die schlimmsten Vermutungen zur traurigen Gewissheit: Niemand hat den Flug Paris–New York vom 27. Oktober 1949 überlebt.

Der rätselhafte Absturz des Luxusliners sorgte weltweit für Schlagzeilen, nicht zuletzt, weil er berühmte Stars unter seinen Trümmern begrub: So war der Boxchampion Marcel Cerdan auf dem Weg zu seiner Geliebten Édith Piaf, die ihn aus Sehnsucht zu diesem Flug überredet hatte. Ginette Neveu, eine der prominentesten Violinistinnen ihrer Zeit, wollte mit ihrer Stradivari Amerika erobern – als man ihre Leiche fand, hielt sie das Instrument fest umklammert. Doch Bosc gibt auch den anonymen Opfern eine Stimme, etwa den fünf baskischen Schäfern, die von einer glückvolleren Existenz in den USA träumten. Oder Amélie Ringler, der jungen Fabrikarbeiterin, die einem märchenhaften Schicksal entgegenzureisen glaubte. Auf den Spuren der mythischen Constellation fügt der Autor die Geschichten von Menschen zusammen, die durch Zufall ein Schicksal teilten. Mit großer Empathie erzählt er von Liebe, Schuld und Tod.

Der Autor

Adrien Bosc, 1986 in Avignon geboren, hat an der Sorbonne in Paris studiert und drei Masterabschlüsse, u.a. in Verlagswesen. Mit 25 gründete er den Verlag Éditions du Sous-Sol, in dem die Literaturzeitschrift Feuilleton und die Sportzeitschrift Desports erscheinen. Morgen früh in New York ist sein erster Roman.

Olaf M. Roth übersetzt aus dem Französischen, Italienischen und Englischen, außerdem arbeitet er als Leiter der Pressearbeit und Kommunikation an der Staatsoper Hannover. Er hat u.a. Werke von Bernard-Henri Lévy, Tiziano Scarpa, Jim Dodge und Michel Bussi ins Deutsche übertragen.

Adrien Bosc

Morgen früh in New York

Roman

Aus dem Französischenvon Olaf Matthias Roth

List

Die Originalausgabe erschien 2014unter dem Titel Constellation bei Éditions Stock, Paris.

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Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten.Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken, deshalb ist die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Widergabe ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.

ISBN 978-3-8437-1260-6

© Éditions Stock, 2014© der deutschsprachigen Ausgabe2015 by Ullstein Buchverlage GmbH, BerlinUmschlaggestaltung: BÜRO JORGE SCHMIDT, MünchenUmschlagabbildung: © H. Armstrong Roberts/Getty ImagesAutorenfoto: © Benjamin Colombel, 2014

E-Book: Pinkuin Satz und Datentechnik, Berlin

Alle Rechte vorbehalten

Für Laura

Manchmal kann es sein, dass die Richtung unseres Lebens vom Zusammenspiel weniger Worte vorgegeben wird.

Antonio TabucchiDie Frau von Porto Pim Geschichten von Liebe und Abenteuer

1

Orly

Ich bin die riesige Schraube,

die sich in die versteinerte Rinde der Nacht bohrt.

Filippo Tommaso MarinettiDer Eindecker des Papstes

Siebenunddreißig Passagiere sind es, die sich am Abend des 27. Oktober 1949 auf dem Rollfeld des Flughafens Orly versammeln, um in die Maschine F-BAZN der Air France einzusteigen.

Ein Jahr zuvor ist Marcel Cerdan hier nach einem hart erkämpften Sieg über Tony Zale als frisch gekürter Boxweltmeister im Mittelgewicht die Gangway hinabgeschritten. Die Menge jubelte ihm zu an jenem 7. Oktober 1948.

Nun, ein Jahr später, fliegt er in Begleitung seines Managers Jo Longman und seines Freundes Paul Genser erneut in die Staaten, um den Titel zurückzuerobern, den inzwischen Jake LaMotta führt, der »Bulle aus der Bronx«. Für Cerdan steht fest, dass er im Dezember wieder als Weltmeister zurückkehren wird. Vor den Journalisten schneidet er mächtig auf: »Natürlich bringe ich den Titel mit nach Hause, darauf können Sie Gift nehmen. Ich werde kämpfen wie ein Löwe.«

Löwe gegen Bulle, eine beinah mythologische Konstellation. Der Nemëische Löwe gegen den Minotaurus, so kündigt auch ein Werbeplakat das Match an, das am 2. Dezember 1949 im Madison Square Garden stattfinden soll.

Jo Longman ist immer noch ein wenig verstimmt. Er musste in aller Eile die Schiffsüberfahrt stornieren und die Tickets für den Flug Paris – New York organisieren, nur weil Marcel es nicht erwarten kann, Édith Piaf wieder in den Armen zu halten.

»Kommen Sie als Weltmeister zurück!«, ruft ihm ein Angestellter der Air France zu.

»Nur deshalb fliege ich ja hin!«, erwidert Marcel.

»Na ja«, brummt Jo. »Wenn es nach mir gegangen wäre, hätten wir uns für ein paar Tage eine Verschnaufpause gegönnt. Wir machen uns auf und davon, als wäre die Polizei hinter uns her! Vorgestern erfahren wir, dass das Match am 2. Dezember stattfinden wird, gestern sind wir irgendwo in der tiefsten Provinz unterwegs, und heute geht es schon wieder los. Ich hätte es sinnvoller gefunden, eine Woche in Paris zu bleiben und am Montag an der Konferenz im Palais des Sports teilzunehmen. Das wäre wirklich gar kein Problem gewesen, und ich sehe es schon kommen, morgen wirst du fluchen, weil du in der Eile die Hälfte deiner Sachen vergessen hast.«

Doch sein Ärger ist nur gespielt, die Rollen sind bei diesem üblichen Geplänkel fest verteilt, Marcel spielt den fröhlichen Chaoten, Jo den wütenden Profi. In ein paar Minuten werden sie am Tresen der Air France stehen und darüber lachen. Seit der Trainer Lucien Roupp abgesprungen ist, führt Jo das Zepter – Jo, der Gründer des Varietétheaters Club des Cinq, in dem Édith und Marcel sich kennenlernten, der mit seiner ewigen Sonnenbrille und seinem pomadisierten Haar immer leicht halbseiden wirkt. Cerdan schätzt ihn wegen seines losen Mundwerks, seiner Lust zu feiern und seiner Affären; er ist der perfekte Reisegefährte für dieses ständige Hin und Her zwischen Paris, New York und Casablanca.

Das »Flugzeug der Stars« macht seinem Namen an diesem Abend alle Ehre: Neben dem »marokkanischen Bomber« bricht auch die Geigenvirtuosin Ginette Neveu zur Eroberung Amerikas auf. In der Abflughalle wird ein Shooting für France Soir improvisiert. Auf dem ersten Foto steht Jean Neveu in der Mitte und schaut amüsiert zu seiner Schwester, Marcel hält Ginettes Stradivari in Händen, sie sieht ihn lächelnd an. Dann nimmt Jo den Platz von Jean ein und vergleicht mit Kennermiene die kleine Hand der Geigerin mit der mächtigen Pranke des Boxers.

Auf dem Asphalt der Startbahn, zu Füßen der Gangway, entspinnt sich ein Gespräch zwischen den beiden Prominenten. Ginette erzählt Marcel, welche Stationen ihre Tournee umfasst, St. Louis, San Francisco, Los Angeles, Chicago, New York. Er verspricht, am 30. November zu ihrem Konzert in der Carnegie Hall zu kommen, und stellt ihr einen Sitzplatz ganz vorn bei seinem Match im Madison Square Garden in Aussicht. Vielleicht könnte man anschließend ja im Versaillesessen gehen, dem Revuetheater, in dem Édith Piaf, der »Spatz von Paris«, seit Monaten triumphale Erfolge feiert.

Die vier riesigen Wright-Cyclone-Triebwerke der Lockheed Constellation F-BAZN brummen bereits. Propeller und Flügel sind inspiziert worden, und die elf Besatzungsmitglieder nehmen im vorderen Teil der Maschine Platz. Mit ihrem voluminösen Leib und dem Aluminiumrumpf sieht die prächtige viermotorige Maschine aus wie ein Stelzvogel. Zweiunddreißig weitere Passagiere warten geduldig darauf, an Bord gehen zu dürfen: John und Hanna Abbott, Mustapha Abdouni, Eghiline Askhan, Joseph Aharony, Jean-Pierre Aduritz, Jean-Louis Arambel, Françoise und Jenny Brandière, Bernard Boutet de Monvel, Guillaume Chaurront, Thérèse Etchepare, Edouard Gehring, Remigio Hernandores, Simone Hennessy, René Hauth, Guy und Rachel Jasmin, Kay und Ketty Kamen, Emery Komios, Ernest Lowenstein, Amélie Ringler, Yaccob Raffo, Maud Ryan, Philippe und Margarida Sales, Raoul Silbernagel, Irène Sivanich, Jean-Pierre Suquilbide, Edward Supine und James Zebiner.

Édith und Philip Newton, die gerade aus den Flitterwochen kommen, und Mrs Erdmann bleiben am Boden zurück, damit der Boxchampion samt Begleitung an Bord gehen kann.

2

Eine Dakota in Casablanca

Das moderne Leben führt zu vielen Reisen,

doch nicht notwendigerweise zu Abenteuern.

Jean MermozMeine Flüge

Der Hinweis auf das schlechte Wetter über dem Ärmelkanal und dem Nordatlantik veranlasst Kapitän Jean de La Noüe, eine andere Flugroute zu wählen. Anstatt im irischen Shannon zwischenzulanden, beschließt er, den kleinen Flughafen auf der Azoreninsel Santa Maria anzufliegen. Der Startvorgang hat begonnen, mit hoch erhobenem Schnabel bewegt sich der Stelzvogel von der Parkposition zur Startbahn. Die Curtiss-Propeller schnurren im Einklang.

Der Pilot an den Tower: »F-BAZN bittet um Starterlaubnis.«

Der Tower an den Piloten: »Starterlaubnis für F-BAZN genehmigt.«

20 Uhr 06, die Constellation hebt ab. Bald wird sie über den Atlantik fliegen, in sechs Stunden den Flughafen Santa Maria erreichen, dann Neufundland und schließlich, morgen früh, New York.

Fast sechs Jahre sind seit seiner Zeit bei den Freien Französischen Streitkräften in London vergangen, und immer noch denkt Jean de La Noüe gern an seine Jahre im »Busch« zurück, als er alte Klapperkästen flog, zunächst britische, dann amerikanische.

Er hatte den Sitzkrieg und seine schrecklichen Folgen noch nicht verwunden, als er im besetzten Frankreich, ohne rechte Überzeugung, auf Anraten seiner Frau eine Stelle als Pilot von Linienflügen bei Air France antrat. Doch es fiel ihm zunehmend schwer, die bittere Pille zu schlucken. Er wusste, dass die Musik in London spielte – und er war nicht dabei. Von Pléneuf-Val-André aus, seinem Heimatort, konnte man an manchen Tagen die englische Steilküste sehen. Dort war das Freie Frankreich, war Radio Londres. Endlich wieder den Dienst als Kampfpilot aufnehmen zu dürfen, egal, ob über dem Ärmelkanal, dem Atlantik oder dem Mittelmeer, Hauptsache am Himmel und auf der richtigen Seite! Als der Waffenstillstand des Ersten Weltkriegs in einem Eisenbahnwaggon auf einer Lichtung bei Rethondes unterzeichnet wurde, war er gerade mal fünf Jahre alt. Und wie er dann von den wagemutigen Abenteuern der Fliegerstaffel von Dunkerque hörte, befiel ihn das Virus der Fliegerei endgültig. Sein Held: Claude Nungesser, der mit fünfundzwanzig Jahren spurlos über dem Atlantik verschwand, als er in Begleitung von François Coli versuchte, mit dem Doppeldecker »Oiseau blanc« den Ozean ohne Zwischenlandung zu überqueren. Ein Pirat der Lüfte, dessen Insignien auf dem Rumpf des Zweisitzers, einer Nieuport 17, prangten: ein schwarzes Herz, das einen Totenkopf und einen Sarg zwischen zwei Kerzenhaltern umrahmte. Jean war nicht aus demselben Holz geschnitzt wie sein Held, war aber dennoch kein feiger Tropf. 1940 aus dem Kriegsdienst entlassen, hatte er nur ungern die feindlichen Linien gegen die zivile Luftfahrt eingetauscht. 1943 hatte er sich aus einer Laune heraus den Truppen der Freien Franzosen angeschlossen. Dann, nach der Invasion der Alliierten in Nordafrika, war er für den Transport der Soldaten von Casablanca an die italienische Front abberufen worden. Seine Maschine: eine Dakota, von den Engländern als »Gooney Bird« bezeichnet, als Albatros – linkisch am Boden, majestätisch am Himmel.

Die Zeit jener Mittelmeerüberquerungen liegt lange zurück. Es waren die schönsten Jahre meines Lebens, sagt er sich immer wieder. Die Invasion auf der Insel Pantelleria am 10. Juni 1943, dann auf Linosa, Lampedusa und die berühmte Landung auf Sizilien. Achtunddreißig Tage dauerte das Manöver von der Basis auf Pantelleria aus, achtundzwanzig Mann pro Dakota. Wie ein Spinnennetz überzogen die Schnüre der Fallschirmspringer aus den hin- und zurückfliegenden Maschinen den Himmel. Die Operation Avalanche in Salerno, dann die Operation Slapstick mit der Einnahme des Hafens von Tarent. Anschließend die große Schlacht bei Montecassino am 11. Mai 1944. Dann die Landung der Fallschirmspringer in der Provence. In Casablanca, der Rückzugsbasis der Alliierten, lief Jean wieder zu seiner alten Form auf. Vor seinen Augen wurde Geschichte geschrieben, und er war dabei, war einer der Mitwirkenden in jenem großen Welttheater, das Churchill und Roosevelt auf der Konferenz von Casablanca angezettelt hatten. De Gaulle, Giraud, ein paar Ehemalige der vorübergehend stillgelegten Luftwaffe, Vertreter der französischen Armee, die zu einer Statistenrolle verdammt war – all diese Männer brannten darauf, Rache zu üben und das Verlorene wiederzuerobern.

Nach dem Krieg führte er seine Frau ins Cinéma Max Linderaus, sie sahen sich Casablanca mit Ingrid Bergman und Humphrey Bogart an. Die Kasbah im Film hatte nur wenig mit dem zu tun, woran er sich erinnerte, und er lachte herzlich über die von László inszenierte Marseillaise. Was für ein Witz. Als sie anschließend den Boulevard Poissonnière entlangschlenderten, erzählte er Aurore von seinem Casablanca. Von dem Hotel in Anfa und dem Panoramarestaurant. Dem Palmenhain um den Flughafen Camp-Cazes und den Baracken, in denen sich die Piloten drängten. Von der Landebahn, die als Schlussbild des Films dient, auf der Rick Blaine und Louis Renault den Beginn einer neuen Freundschaft besiegeln. Er erzählte ihr außerdem die Geschichte der marokkanischen Luftpost, von den Heldentaten eines Mermoz oder Saint-Exupéry, von den Sanddünen, wo man nichts sieht, nichts hört, nur endlose Schönheit erahnen kann.

Am Abend des 27. Oktober 1949 hat Jean, Kapitän der F-BAZN, sechzigtausend Flugstunden absolviert und ist achtundachtzigmal über den Atlantik geflogen. Neben ihm sitzen Charles Wolfer und Camille Fidency, zwei ehemalige Jagdpiloten, auf die keine Front mehr wartet. Ähnlich wie Jean haben auch sie nicht darauf bestanden, ihre Laufbahn bei der Luftwaffe fortzusetzen, und versuchen sich an das neue Spielfeld der zivilen Luftfahrt zu gewöhnen. Da Charles und Camille bisher immer auf denselben Flugrouten eingesetzt waren, wurden sie mit der Zeit zu engen Freunden. Sie sind beide am 4. Dezember 1920 geboren, zur selben Stunde, weshalb alle sie »die astrologischen Zwillinge« nennen. Die Funker an Bord sind Roger Pierre und Paul Giraud, Jean Salvatori ist für die Navigation zuständig. Mit den beiden Mechanikern André Villet und Marcel Sarrazin ist die Mannschaft komplett.

3

Der Ton ist nicht rein

O Flugzeug, Flugzeug, steige in die Lüfte,

Streife über Berge, quere die Ozeane.

Guillaume ApollinairePoèmes retrouvés / Wiedergefundene Gedichte

»Der neue Komet der Air France«, konnte man in den Werbebroschüren lesen. Die Constellation werde die schwimmenden Paläste ersetzen und endgültig die Vorherrschaft des Himmels über die See besiegeln. Ein chromblitzender Vogel, entsprungen der verrückten Phantasie eines Menschen, Howard Hughes.

Als Hauptaktionär der Trans World Airlines (TWA) hatte Hughes 1939 Pläne für die Konstruktion von »Connie« in Auftrag gegeben. Gemeinsam mit dem Flugzeugbauer Lockheed Aircraft versuchte sich der Kino- und Luftfahrtmogul an einer neuen Herausforderung, einer viermotorigen Linienmaschine mit Druckkabine, die eine Distanz von 5600 Kilometern ohne Zwischenlandung bewältigen würde. Er zeichnete mit lockerer Hand Pläne und Skizzen, die sowohl Eleganz als auch Erotik vermittelten, an den Ingenieuren war es, sie nach den besten Regeln der Luftfahrt umzusetzen. Zur gleichen Zeit entwarf Hughes für Jane Russell in dem Film Geächtet einen stählernen BH, der ihren Busen in ein direkt auf den Zuschauer und sämtliche Moralhüter gerichtetes Geschoss verwandelte.

Obwohl in das Verteidigungsprogramm der amerikanischen Luftwaffe integriert, hob die Constellation erst 1944 – nachdem die alliierten Truppen von einem Kontinent zum anderen transportiert worden waren – zu ihrem ersten Linienflug ab und stellte ganz nebenbei einen neuen Rekord auf, als sie in sechs Stunden und 57 Minuten von Burbank in Kalifornien nach Washington flog. Am 15. Februar trommelte der Filmproduzent alles, was in Hollywood Rang und Namen hatte, für einen Flug ohne Zwischenlandung von New York nach Los Angeles zusammen. Ein Megaphon in der einen, ein Glas Champagner in der anderen Hand, in den Armen von Paulette Goddard und Linda Darnell, präsentierte er in achttausend Metern Höhe sein neues Spielzeug. Mit der Constellation brach ein glanzvolles Zeitalter an, ein Luxustraum in Aluminium wurde wahr. Ein Symbol für den Höhepunkt der transatlantischen Propellerflüge, die jedoch zunächst unter keinem guten Stern standen. Das Gesetz der Serie. Am 18. Juni 1946 fing auf einem Flug für Pan Am einer der vier Motoren der Constellation Feuer. Der Pilot setzte seine Route quer über die Vereinigten Staaten trotzdem fort, fast elf Stunden lang. Dreiundzwanzig Tage später führte eine Notlandung der Constellation – mittlerweile als »das beste dreimotorige Flugzeug der Welt« belächelt – zum Tod von sechs Passagieren. Vorsichtshalber hob danach keine Constellation mehr vom Boden ab, bis die Firma Lockheed die notwendigen Verbesserungen durchgeführt hatte. Ein paar Monate später war der Vogel wieder für den Flugverkehr zugelassen und bot sich den Luftfahrtgesellschaften auf der ganzen Welt als das unumgängliche Langstreckenflugzeug an. Auch Air France, ein ehemals privates Unternehmen, nunmehr verstaatlicht, bestellte dreizehn Maschinen bei Lockheed. Am 9. Juli 1946 startete vom Flughafen La Guardia die erste Constellation der Air France, Matrikel F-BAZA, gesteuert von Roger Loubry. Mit Einführung des Luxusangebots »Comète d’Or« am 8. Oktober 1947 durfte Air France mit Fug und Recht von sich behaupten, die einzige Airline zu sein, die auf ihren Transatlantikflügen Liegen anbot und die sechzehn Flugstunden durch eine lange Schlafphase überbrückte.

Als sich das Flugzeug auf Höhe der französischen Küste befindet, eilen die Stewardess Suzanne Roig und die beiden Stewards Albert Brucker und Raymond Redon geschäftig im Kabinenraum hin und her. Marcel Cerdan hat nach einem kurzen Besuch im Cockpit neben seinem Freund Paul Genser Platz genommen. In der Reihe vor ihnen spricht Jo Longman mit dem Journalisten René Hauth, dem Chefredakteur der Dernières Nouvelles d’Alsace. Hauth erkundigt sich, ob der Champion in Form ist, was auf seiner Agenda steht, wo er trainieren wird und was dem Manager Sorgen bereitet. Er werde gleich morgen von New York aus einen Bericht an die Redaktion telegraphieren. Was für eine wunderbare Gelegenheit, buchstäblich im Flug Informationen aus erster Hand zu erhalten! Hoch über den Wolken komme es doch wahrhaftig zu den unverhofftesten Begegnungen. In einer der hinteren Reihen unterhalten sich Jean und Ginette Neveu leise miteinander und schließen Bekanntschaft mit ihrem Nachbarn Edward Supine, einem Geschäftsmann aus Brooklyn, der belgische Spitzen importiert und gerade auf der Rückreise von Calais ist. Mit Musik kenne er sich fast gar nicht aus, gesteht er ihnen ein wenig verlegen, verspricht der Geigenvirtuosin jedoch, dass er sich eine ihrer Aufnahmen anhören wird, und bittet sie, ihm ihren Namen zu buchstabieren. Guy Jasmin, vier Sitze weiter, beginnt mit der Lektüre des Romans Moby Dick, den er sich am Tag vor der Abreise in der Buchhandlung Gallimard am Boulevard Raspail gekauft hat. Die ersten Worte klingen sehr rätselhaft: »Nennt mich Ismael. Vor einigen Jahren, als mein Beutel so gut wie leer war, kam mir der Gedanke, ich könnte ein bisschen zur See fahren und mir den wässrigen Teil der Welt besehen.«

Rechts von ihm kann Ernest Lowenstein, Gerbereibesitzer in Frankreich und in Marokko, sein Glück nicht fassen, in derselben Maschine wie Marcel Cerdan zu fliegen. Er zwängt sich zwischen den Sitzen durch, um sich von dem Boxchampion den Notizblock signieren zu lassen. Die Stewardess, in Plisseerock und marineblauem Blazer, das Béret mit dem Emblem des geflügelten Seepferdchens auf dem Kopf, schiebt ihr Wägelchen von Reihe zu Reihe, um den Passagieren – zur einen Seite auf leicht nach hinten geneigten Sitzen, zur anderen hinter Vorhängen auf Schlafliegen – das Essen zu servieren: Rindfleisch in Aspik, Lammragout mit Esskastanien, dazu Champagner. Seit dem 30. September bietet Air France warme Mahlzeiten an Bord an, für viele der Passagiere ist das an diesem Abend eine Premiere. Die Idee stammt von Max Hymans, dem Präsidenten der Fluggesellschaft, der einige Monate zuvor den Hotelservice Orly ins Leben gerufen hat und bei dieser Gelegenheit mehrere namhafte Pariser Nobelköche verpflichtete.

Um 21 Uhr, als sich die Constellation 13900 Fuß über dem Atlantik befindet, teilen die Piloten dem Flughafen Orly ihre Position mit und fliegen dann auf der Diagonale in Richtung Azoren weiter. Bei einer Geschwindigkeit von 400 Stundenkilometern werden sie den Flughafen von Santa Maria um 2 Uhr 30 morgens erreichen. Die Maschine scheint zu schweben. Im Cockpit hat Jean de la Noüe seinen beiden Kopiloten das Kommando übergeben. Roger Pierre, der ständigen Kontakt mit der Flugsicherung hält, füttert ihn mit meteorologischen Daten.

»Kapitän, Paris hat die Änderung unserer Flugroute über Santa Maria bestätigt, für die Ankunftszeit ist ein leichtes Tiefdruckgebiet vorhergesagt und begrenzte Sicht am Boden.«

Es ist bald 23 Uhr, als Jean de la Noüe wieder das Kommando übernimmt, um durch eine Zone mit Turbulenzen zu fliegen. Es wird beschlossen, höher zu fliegen, die Maschine über die Wolken zu bringen. In der Kabine schlafen die Passagiere allmählich ein, gewiegt vom gleichmäßigen Brummen der Propeller. Ein paar Minuten vor dem Sinkflug wird man sie wecken, damit sie sich anschnallen und auf die Landung vorbereiten können. Ein erstes dreistündiges Nickerchen vor dem langen Streckenabschnitt nach Neufundland.

Jean ist kein Mann der vielen Worte, lieber gibt er seine Kommandos wohldosiert – ein paar gezielte Angaben, keine Schnörkel –, nur das, was für den guten Ablauf des Flugs notwendig ist. Eine wortkarge Autorität. Vom Krieg und seinen Heldentaten spricht er wenig, im Unterschied zu seinen beiden Kopiloten, die bei der französischen Luftwaffe ihre Feuertaufe erhalten hatten. Als bereits kampferprobte Piloten langweilen sie sich auf den eintönigen Linienflügen nach Amerika, tauschen sich über die neuesten Jagdflugzeuge aus und reden beiläufig über die Vorzüge der sowjetischen MiG-9 und Yak-15 sowie der F-84 Thunderjet der Navy. Außerdem rühmen sie das, was die französische Luftfahrt in den vergangenen Jahren geschafft hat. Sie habe ihre Rückständigkeit nämlich mit der Einführung der SO.6000 Triton überwunden, einer zweisitzigen Maschine mit Einzeltriebwerk, die eine Spitzengeschwindigkeit von bis zu 950 Stundenkilometern erreiche – und somit nur noch knappe 300 Kilometer von der Schallmauer entfernt war, die Chuck Yeager an Bord des Raketenflugzeugs Bell X-1 durchbrach. Die bisherigen Ziele der zivilen Luftfahrt, »immer nach vorn« und »Hauptsache abheben«, wichen nun dem Streben nach neuen akustischen wie räumlichen Herausforderungen.

Um ein Uhr morgens, 300 Kilometer vom Ankunftsort entfernt, stellen die Piloten den Kontakt zum Tower von Santa Maria her. Während des ersten Nachrichtenaustauschs erhält die Constellation die Anweisung, ihren Empfänger zu regulieren, der Ton sei nicht ganz rein. Der Tower bestätigt die ideale Position des Flugzeugs, das per Funkbaken an den Azoren entlanggelotst wird. Die Bezirkskontrollstelle meldet optimale Wetterbedingungen und gute Sicht am Boden.

4

Monvels Wahnsinn

Man muss sich vorstellen, dass denen ihre Stadt aufrecht stand, absolut gerade.

Louis-Ferdinand CélineReise ans Ende der Nacht

Bernard Boutet de Monvel hasste das Reisen mit dem Flugzeug. Nicht, dass er an Flugangst gelitten hätte. Er war Pilot. Um nicht zu sagen, ein Fliegerheld. 1914 einberufen, hatte er sich zunächst bei einigen Flügen an der Somme-Bucht hervorgetan und schließlich einen großen Luftangriff zwischen Saloniki und Budapest ausgeführt. Trotzdem gab er dem Reisen mit dem Ozeandampfer bei weitem den Vorzug. Nur unter Zwang wählte er den Luftweg. Boutet de Monvel war ein Mann des vorigen Jahrhunderts, ein Repräsentant jener untergehenden Gesellschaft, die bald den ständig unter Zeitnot leidenden Menschen Platz machte, und hätte sicher unterschrieben, was Paul Valéry als »Waage der Intelligenz« bezeichnete: »Wir halten die Zeitdauer nicht mehr aus. Wir wissen uns die Langeweile nicht mehr nutzbar zu machen.«

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