Morgen oder übermorgen - Lise Gast - E-Book

Morgen oder übermorgen E-Book

Lise Gast

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Beschreibung

Maike, Elisabeth und Muck sind jung und stehen ihrer Zukunft voller Optimismus und Lebensfreude gegenüber. Sie widmen sich mit Begeisterung ihrem Studium und führen gemeinsam mit ihren Freunden ein unbeschwertes und sorgenloses Studentenleben. Doch dann kommt plötzlich alles anders. Die Realität drängt sich auf und sie müssen sich neuen unverhofften Aufgaben stellen... In MORGEN ODER ÜBERMORGEN schildert Lise Gast liebevoll und mit Humor das Glück aber auch die Sorgen und Nöte von drei jungen Studentenpaaren, die den Mut haben, sich dem Leben zu stellen und dadurch langsam in ihre neue Rolle als Eltern hineinwachsen. Lise Gast (geboren 1908 als Elisabeth Gast, gestorben 1988) war eine deutsche Autorin von Kinder- und Jugendbüchern. Sie absolvierte eine Ausbildung zur landwirtschaftlichen Lehrerin. 1933 heiratete sie Georg Richter. Aus der Ehe gingen 8 Kinder hervor. 1936 erschien ihr erstes Buch "Tapfere junge Susanne". Darauf folgen unzählige weitere Geschichten, die alle unter dem Pseudonym Lise Gast veröffentlicht wurden. Nach Ende des zweiten Weltkriegs floh Gast mit ihren Kindern nach Württemberg, wo sie sich vollkommen der Schriftstellerei widmete. Nachdem sie erfuhr, dass ihr Mann in der Tschechoslowakei in einem Kriegsgefangenenlager gestorben war, gründete sie 1955 einen Ponyhof und verwendete das Alltagsgeschehen auf diesem Hof als Inspiration für ihre Geschichten. Insgesamt verfasste Gast etwa 120 Bücher und war neben ihrer Tätigkeit als Schriftstellerin auch als Kolumnistin aktiv.-

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Lise Gast

Morgen oder übermorgen

Roman

Saga

Morgen oder übermorgen

German

© 1967 Lise Gast

Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen

All rights reserved

ISBN: 9788711509784

1. Ebook-Auflage, 2016

Format: EPUB 3.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com – a part of Egmont, www.egmont.com

1

Als sie das Kino verließen, stumm wie die andern stummen, meist jungen Zuschauer, wurden sie aneinandergeschoben, und Maike glaubte einen Augenblick lang, er würde den Arm um sie legen, hier im anonymen Gedränge der Menschen. Aber Peers Hand suchte nach etwas in der Tasche seines hellen Sportmantels – aha, das Feuerzeug. Wie immer, mußte er sich nach einem Film, der ihm naheging, eine Zigarette anzünden.

Regnete es? Maike hob ein wenig das Gesicht, nicht nur nach dem Himmel, sondern vor allem etwas nach links, zu Peers Gesicht hin, und siehe, es war dicht über ihrem. Immer fühlte sie solch eine beseligende Zärtlichkeit, wenn sie merkte, wieviel größer er war als sie. Ihre Schulter paßte genau unter seine, wenn sie eingehakt gingen. Auch jetzt durchfuhr es sie heiß – und da legte er den Arm um sie. Nun war die Welt in Ordnung.

»Na?« fragte Peer nach einer Weile, als der Strom der Menschen sich zu verteilen begann und man ringsum mehr Raum bekam, Raum zum Schnellergehen und Sprechen.

»Ich weiß nicht.« Plötzlich war der Schluß des Filmes wieder da, dieser traurige, deprimierende, dieser Schluß, der eigentlich keiner war und einen denken ließ: Nein, so soll das Leben nicht sein! Sie sagte das.

»Nein. Nein! Oder findest du, es war richtig so?«

»Ich bin ja keine Frau«, sagte Peer und sah grübelnd in die Höhe. Maike wußte, daß dies seine Angewohnheit war, hatte es oft beobachtet. Peer sah nie vor sich hin, wenn er angestrengt über etwas nachdachte, sondern hinauf, als käme die Erleuchtung von oben. Es hatte sie oft seltsam berührt, beinah geängstigt, sie konnte sich nicht recht erklären, wieso. Er war so weit weg von ihr, wenn er so in die Höhe sah.

»Aber ich«, sagte sie heftig und lauter als vorher, als wolle sie ihn zu sich herunterrufen. »Ich bin eine. Warum sagt sie nichts? Sie lieben sich doch.«

»Vielleicht deswegen?« Es klang grübelnd. »Vielleicht spricht man sowieso zu viel, wenn man liebt?«

Maike schwieg. Wieder war er weit weg, so weit in seiner Männerwelt, die fremd und unerreichbar schien – im Augenblick. Sie suchte ein Wort und fand keins, ihn daraus herauszuholen, anzurufen, zu rütteln: sieh nicht in die Luft, sieh mich an! Hier bin ich, warm, lebendig, wirklich – sehnsüchtig danach, von dir zu hören, bestätigt zu bekommen: ›Das ist bei den beiden so. Bei uns nicht. Bei uns gibt es das Wort, das dort fehlt, das unausgesprochen bleibt und dadurch die Tragik der Geschichte bewirkt. Wir würden eben sprechen. Wir ...‹

Wir?

Ich, dachte Maike verstummend. Ich, ja, ich hätte gesprochen. Bestimmt. Bei etwas so Wichtigem – aber er?

Vielleicht spricht man zuviel, wenn man liebt.

Nein! Oder doch, vielleicht, vielleicht hatte er recht. Vielleicht war es die Art der Frauen, die weibliche Art, alles auszusprechen – ›ich liebe dich‹ oder, wenn ein anderes Mädchen einen fragt: ›Ich liebe Peer.‹ Männer tun das nicht gern. Männer sind zurückhaltender, weniger spontan – man sollte sich danach richten. Halt also, stopp, Achtung, ihn nicht verletzen! Aber bei so etwas Wichtigem, bei dem Wichtigsten, das zwischen zwei Menschen geschehen kann, bei der Tatsache: Ich bekomme ein Kind – nein: Wir bekommen ein Kind ...

»Du meinst also, es war richtig, daß sie nichts sagte?« fragte sie nach einer Weile mit möglichst ruhiger und sachlicher Stimme. Es gelang. Sie atmete auf. »Und auch richtig, was sie tat? Daß sie das tat?« Nun wankte der Ton doch ein wenig. Aber Peer brauchte es ja nicht zu merken.

»Was sie tat, war nicht richtig. Ohne ihn zu fragen«, sagte er sofort. Es klang überzeugt und fest, Maike fühlte eine eigentlich nicht ganz gerechtfertigte Erleichterung. Das Problem des Films wollte zu ihrem eigenen werden, sie merkten es beide und scheuten sich davor, weiterzusprechen. »Gespielt haben sie übrigens sehr gut«, fuhr er deshalb ein wenig hastig fort, als wolle er verwischen, was er von seiner eigenen Meinung bloßgelegt hatte, »nie hätte ich der Kleinen das zugetraut. Ich hab’ sie bisher nur in andern Rollen gesehen, da war sie mäßig. – Er war übrigens auch gut, kanntest du ihn schon?«

»Nein. Nie gesehen«, sagte sie fügsam. Wenn er nicht weiter über das Problem selbst sprechen wollte, gut, von ihr aus!

Sie schwiegen eine Weile und gingen nebeneinander her, wie sie es hundert- und hundertmal getan hatten: ihre linke Schulter unter seiner rechten, sein Arm auf ihrem Nacken. In guter Hut, so hatte sie es immer empfunden. In guter Hut?

»Du, ich muß heim«, sagte er plötzlich. Es war wie ein Erwachen, wie ein Ruck – und sie hatte gerade gedacht: ›Und was unternehmen wir jetzt?‹ Meist tranken sie nach einem Film noch irgendwo etwas, er ein Bier, sie ein Coca oder einen Kaffee, und unterhielten sich noch, ließen das Schwungrad auslaufen.

Sie war enttäuscht. »Aber morgen ist doch – ich meine ...« – sie hatte es nicht sagen wollen, aber es war schon zu spät. Vielleicht sprechen wir alle in der Liebe zuviel ...

»Sonntag? Ja. Der einzige Tag, an dem man wirklich zur Arbeit kommt.« Er sagte es grimmig, aber mehr zu sich und dem ganzen Leben als zu ihr, das merkte sie genau. »Ich muß endlich vorankommen, wie lange soll denn das noch dauern! Andere machen den Doktor in einem halben Jahr!«

»Und andere wieder nicht mal in dreien!« sagte Maike schnell, es klang zärtlich-lustig, und das war der Ton, in dem sie meist miteinander sprachen, anders als vorhin. Vorhin war auch sie ihm fern gewesen, auf eine merkwürdige Art entrückt, sehr erwachsen – jetzt kannte er sie wieder: Sie war trotz ihrer nun schon sechs Semester Medizin im Grunde doch noch ein Kind. Ein liebenswertes Kind, munter, zum Lachen bereit, sooft es ging, reizend auf eine Art, die er sehr mochte. Er wandte sich ihr auch jetzt spontan zu und küßte sie, hier mitten auf der nächtlichen Straße, auf die Nasenspitze.

»Na endlich. Das war doch ein Wort«, sagte sie befriedigt. »Danke. Ungeküßt soll man bekanntlich nicht schlafen gehen. – Du, übrigens – es paßt mir sehr gut, wenn wir uns morgen nicht treffen«, fuhr sie fort, sachlich-gutgelaunt wie immer sonst. »Ich hab’ mir schon so lange vorgenommen, zu Muck zu gehen. Ewig lange. Nie sieht man sie. Oder hast du sie in letzter Zeit mal getroffen?«

»Kann mich nicht erinnern.«

Muck, eigentlich Marlies von Buch, eine Kollegin von Peer, also cand. phil., auch von ihm ›eingeschleppt‹, wie sie es unter sich nannten, saß gleich ihm an der Doktorarbeit, oder saß, wie Maike im Grunde ihres Herzens fürchtete, schon lange nicht mehr dran. Sie hatte einige weite Reisen gemacht; das Reisen gehörte bei ihr zum Leben wie bei andern das Atmen, Marokko, Istanbul, was weiß ich noch. Mit wenig Geld und vielen Entbehrungen, aber begierig, aufzunehmen, was aufzunehmen war in fremden Ländern; entschlossen, nicht am Leben vorbeizuleben, es ganz zu erfassen. Zur Zeit aber mußte sie wohl im Lande sein.

»Jemand hat mir erzählt, er habe sie gesehen, ziemlich verschlampt, aber das kennt man ja bei ihr, die fängt sich wieder«, sagte Maike. »Wer war es noch? Nicht Olav Hasse, nein, der nicht, das weiß ich genau. Ich ahne gar nicht mal, ob die beiden noch zusammen sind.«

»Er ist in Bonn, weißt du das nicht?« fragte Peer. »Du, hör mal – laß Muck doch laufen. Wenn du schon sagst: verschlampt ...«

»Ach was, penibel sind die Buchs alle nicht.« Maike marschierte fröhlich und unbefangen neben ihm her, während sie vor sich hinlachte. »Muck ist trotzdem in Ordnung. Wenn da mal ein Knopf fehlt oder die Schuhe durchgelaufen sind, deshalb macht die doch Prüfungen, daß es nur so raucht. Wenn sie sie macht ...«

»Ja, eben, wenn. Das Staatsexamen hat sie toll hingekriegt, das ist wahr. Kennst du eigentlich die Geschichte mit Professor Sperling?«

»Nein, welche?«

»Na, als Muck drankam. Da hatte sie sich unwahrscheinlich zusammengerissen, man erkannte sie kaum. Kostüm, seidene Bluse – sicher alles gepumpt, aber es saß auf den Pfiff – und das Haar duftig onduliert. Ja, so begegnet sie also vor dem Mündlichen dem Professor. ›Na‹, sagt der, ›Sie sind ja heute so schön!‹ Es war also nicht nur uns aufgefallen. Und weißt du, was das freche Stück darauf antwortet? ›Ja, wir lassen uns unsere Einsen was kosten!‹ Das war sogar für Sperling etwas zuviel. ›So, mit Eins wollen Sie es machen, ausgerechnet Sie?‹ fragte er etwas säuerlich. Und Muck, ohne mit der Wimper zu zucken: ›Wollen wir wetten?‹ Sie hat tatsächlich mit Eins bestanden. Toll, was?«

»Ja, wirklich! Nein, diese Geschichte kannte ich noch nicht. Echt Muck. Hätte aber auch schiefgehen können. Ach Peer, wenn ich dran denke, wie lange ich noch habe bis dahin!«

»Vielleicht nicht so lange wie Marlies«, sagte er und machte wieder sein abweisendes Gesicht. »Ich finde, wenn man so begabt ist wie sie, das verpflichtet. Außerdem haben ihre Eltern genug drangewendet, daß aus ihr was wird! Da sollte man wahrhaftig fertigmachen und nicht aufgeben.«

»Erstens hat sie den Eltern gar nicht so enorm viel gekostet«, sagte Maike und nahm leidenschaftlich Partei, »Muck hat fast immer ein Stipendium bekommen, weil sie so ausgezeichnete Fleißprüfungen macht und alle Scheine zur Zeit bringt. Ich weiß das zufällig. Sie hat viele Geschwister, wie viele, ahne ich nicht mal. Aufgeben, Muck? Nie im Leben! Die ist schon in Ordnung, und ich gehe morgen und sehe nach ihr, daß du es nur weißt. Man kann alte Freunde nicht einfach über Bord werfen, wenn sie mal – mal ...«

»Was denn: mal?« fragte er amüsiert. Wenn Maike sich so temperamentvoll für etwas einsetzte, fand er sie hinreißend.

»... mal eine Weile nicht in den heiligen Hallen der Uni zu sehen sind. Außerdem können wir sie einfach übersehen haben, oder vielleicht ist sie krank. Ein Grund mehr, sich um sie zu kümmern. Was hast du eigentlich an ihr auszusetzen, sie ist doch dein Mitbringsel.«

»Gewesen«, sagte Peer und lachte leise. »Du hast sie längst übernommen. Oder nicht?«

»Doch. Ich mag Muck sehr gern.« Sie waren an dem Haus angekommen, in dem Maikes »Bude« lag, und blieben stehen. »Also?«

»Also? Na schön. Tu, was du nicht lassen kannst! Gute Nacht, geliebtes Weib«, sagte Peer pathetisch und nahm sie in die Arme. »Rechtes Auge, linkes Auge, Nasenspitze, Mund. Schlaf schön, mein Liebes, und grüß meinetwegen Muck von mir, die alte Scharteke. Ich werde morgen energisch auf die Tube drücken und büffeln, daß mir der Kopf raucht.«

»Fein. Hoffentlich mit Erfolg!«

Er nahm ihr, wie immer, den Schlüssel aus der Hand, schloß auf und schubste sie liebevoll-herzhaft ins dunkle Treppenhaus. »Los, los, los, Abschiednehmen soll man stets im Schweinsgalopp.«

Dann wartete er, bis oben ihr Fenster hell wurde. Sie öffnete es, beugte sich heraus.

»Tütü!« machte sie halblaut.

»Tütü!« antwortete er zärtlich. Dann wandte er sich und stapfte seiner Bude zu, die Hände in den Manteltaschen, tief in Gedanken.

Maike wachte auf, atmete tief und schloß dann wieder die Augen. Gottlob, es war nur ein Traum gewesen. Daß man so deutlich und so schrecklich träumen konnte!

Natürlich war der Film von gestern abend die Ursache. Maike seufzte noch einmal. Ein Glück, daß es nicht wahr war. Sie hatte geträumt, Peer sei ihr böse. Richtig böse, zum Trennen böse. Und sie hatte sich an ihn geklammert und gebeten und gebeten, er solle doch wieder gut sein. So, wie sie es in Wirklichkeit nie tun würde. In Wirklichkeit war er ja auch noch nie böse gewesen, so jedenfalls nicht ...

Natürlich war es der Film! War er richtig, richtig angelegt und gelöst? Sie vermochte nicht, es zu entscheiden. Das junge Mädchen darin, sehr glücklich mit dem sehr netten Freund, erwartete ein Kind von ihm, wagte nicht, es ihm zu sagen, und ging durch alle Höllen der Angst und der Erniedrigung. Maike schauderte.

Nein, es war gut, wenn einem das nicht passieren konnte. Wenn man wartete. Warten war unmodern, und ganz genau wußte sie auch nicht, wie Peer eigentlich darüber dachte. Richtig ausgesprochen hatten sie sich nie darüber, grundsätzlich, so etwa: ›Auf meinem Programm steht ...‹ Sie hatten eben gewartet, weil er spürte, daß Maike warten wollte. War es richtig, das zu wollen, nur aus Angst, aus Vorsicht, aus dem Gefühl heraus: So etwas wie dies im Film soll mir nicht passieren können?

Natürlich wartete sie nicht nur deshalb. Aber auch. Andererseits war es oft sehr schwer, sich zu trennen, wenn sie merkte, Peer konnte nicht los von ihr. Männer sind nun einmal anders als Mädchen. Und sie liebte ihn, sie wußte es genau, sie wünschte sich nichts sehnlicher, als ihn zu heiraten, wenn es soweit war. Sie waren nicht verlobt, wie man das früher nannte, aber sie gehörten zueinander. Das war so sicher wie das Amen in der Kirche.

Und wenn er sie eines Tages vor die Entscheidung stellte: Entweder du sagst ja, oder wir müssen uns trennen? Was würde sie antworten? Sie hatte schon manchmal daran gedacht. Immer flüchtete sie dann in die Antwort: Das würde Peer nie tun. Peer ist nicht so wie andere. Aber wenn?

Sie fand keine Antwort. Schluß jetzt damit, aufstehen, kalte Brause. Dieses Grübeln führte zu nichts!

Unter dem stürzenden Wasser wurde sie wieder getroster und ganz wach. Sonntag, Peer arbeitete, und sie? Richtig, sie wollte zu Muck. Na schön. Peer hatte es ihr eigentlich ausreden wollen – sie verstand seine leicht hingeworfenen Sätze dieser Art, die im Grunde sehr ernst gemeint waren, genau richtig –, aber sie ging trotzdem hin. Vielleicht war Muck ja auch nicht da, dann konnte sie, Maike, auf Peers Frage: Hast du Muck gesehen? ehrlicherweise mit nein antworten. Dumme Kümmelspalterei, damit sollte man gar nicht erst anfangen. Jeder konnte doch seine Meinung haben und danach handeln. Das würde einmal eine schöne Ehe geben, wenn sie immer nur nach Peers Ansichten schielen und nichts mehr tun dürfte, was er mißbilligte. Wenn er sie sehr um etwas bat, konnte sie das natürlich respektieren. Aber gebeten hatte er nicht, nur spüren lassen, daß er nicht einverstanden war. Sie machte sich also auf den Weg.

Marlies von Buch war ein großartiger und patenter Kerl, wenn auch, zugegeben, etwas »genial«. Maike wußte, daß diese »Genialität«, soweit sie das Äußere betraf, Peer nicht weiter störte. Aber in bezug auf das Studium dachte er streng, ja, geradezu übertrieben genau. Auch wenn jemand kein Stipendium bekomme, schulde er dem Staat eine Menge Geld, wenn er studierte, hatte er ihr einmal ganz schroff gesagt, als eine ihrer Freundinnen ein angefangenes Studium leichtfertig aufgab und Sekretärin wurde, ›weil man da eher und viel leichter zu Geld komme‹! Er hatte seine Ansicht damals sogar mit Zahlen belegt, sie erinnerte sich nicht mehr genau, mit welchen. Aber sie wußte noch: das, was man selbst, beziehungsweise die Eltern zahlen, ist nur ein kleiner Teil dessen, was ein Student bis zum Examen dem Väterchen Staat kostet. Also! Die Art, wie viele ›studierten‹, um einen Mann zu bekommen, verurteilte sie selbstverständlich auch. »Wer im ersten Semester nicht den Doktor kriegt, muß ihn selbst machen«, hieß es bei den Medizinern. Aber das war ja nur ein Teil der studierenden Weiblichkeit. Weder sie selbst noch Muck gehörten dazu. Sie hatte das Physikum nach fünf Semestern gemacht und Muck das Philosophikum, später ihr Staatsexamen mit Eins, bitte! Daß Muck sich nun mit dem Doktor Zeit zu nehmen schien, war ihre Sache, vielleicht machte sie ihn gar nicht, sondern nur den Schuldienst. Außerdem – wie viele gaben ihre erste Doktorarbeit zurück, wenn sie ihnen gar nicht lag, in allen Fakultäten kam das vor. Das brauchte nicht auf Faulheit zu beruhen.

Maike war in ihr helles Hemdblusenkleid geschlüpft und zog den Gürtel zu. Wie braun sie war! Ein Tag im Freibad, und sie sah aus, als komme sie gerade von einem sechswöchigen Seeurlaub zurück. Sie bürstete das kurze Haar, das jetzt im Hochsommer streifig gebleicht schien. So hell wie Peers war es nicht, aber fast. Peer ...

Noch jetzt bebte sie innerlich, wenn sie in Gedanken an den Traum rührte. Peer böse – etwas Schlimmeres gab es für sie nicht. Peer war wichtiger als Vater und Mutter, schon lange, Peer war das A und O. Er wußte das auch – leider. Deshalb mußte man von Zeit zu Zeit einmal die eigene Meinung durchsetzen, wenigstens in Kleinigkeiten. Männer wünschen sich keine Jasagemaschinen, sondern verständige Frauen, die ihnen gewachsen sind und eigene Urteile haben, sie wollen keinen Efeu mehr, der sich um die Eiche rankt. Vielleicht hatten sie das auch früher gar nicht gewollt. Im Grund zwar richtete man sich nach ihnen, sogar gern. Aber manchmal eben nicht. So heute.

Die Stadt war sonntagsleer und schon sehr heiß. Maike überquerte den schrägen Marktplatz mit dem buckligen Pflaster und wandte sich dann der Ausfallstraße nach Norden zu. Immer, wenn sie dieser Straße folgte, mußte sie an jenen Tag denken, an dem sie in die Buchsche Gärtnerei hinausgegangen war, auch allein, im Herbst. Jemand hatte ihr erzählt, daß Mucks Bruder verunglückt sei, und sie hatte vergeblich versucht, Muck am Telefon zu erreichen. Es sei ihr jüngster, ihr Lieblingsbruder, hatte sie gehört; Maike kannte ihn nicht persönlich, nur aus Mucks Erzählungen. Er diente bei den Gebirgsjägern, und es hieß, ein ganzer Trupp junger Soldaten habe sich verstiegen. Man habe versucht, sie mit Hubschraubern zu bergen, aber vergeblich.

Dann aber stellte sich heraus, daß das Gerücht nicht stimmte, oder nur zur Hälfte. Verstiegen hatten sich die Jungen, aber sie waren geborgen worden, alle Mann, keiner war umgekommen. Welch unerhörte Erleichterung, als sie zu Muck gekommen war, auf die schlimmste Nachricht gefaßt, und dann dies hörte!

Sie besann sich noch genau auf den Tag. Es mußte September gewesen sein, aber er war ihr wie ein Novembertag in Erinnerung geblieben. Grau und diesig, mit dem Ruch nach Kartoffelfeuern in der Luft, jenem Herbstgeruch, den sie eigentlich sehr liebte. Je näher sie gekommen war, desto langsamer war sie gegangen. Und als sie dann, nach Mucks Richtigstellung der Geschichte und unzähligen seligen »Gottseidanks«, sich wieder verabschiedete, kam die Sonne überraschend heraus, und die nassen Dahlien der Gärtnerei funkelten auf. Muck hatte eine angehoben und ihr Gesicht hineingedrückt, vielleicht, damit man nicht sah, daß Tränen darübergeflossen waren, während sie miteinander in der dämmerigen Stube saßen. Man zeigt Tränen nicht gern, auch nicht der besten Freundin. Muck hatte, so erzählte sie, zunächst auch die andere, die schreckliche Nachricht gehört und wußte erst seit wenigen Stunden, daß sie übertrieben und nicht zutreffend war.

Damals waren sie einander sehr nahe gewesen, Muck und sie, das wußte Maike, eigentlich das erstemal, seit sie sich kannten. Muck war sehr gerührt, daß Maike den weiten Weg bis zur Gärtnerei herausgelaufen war; man brauchte fast eine Stunde vom Zentrum des Städtchens aus. Die Gärtnerei gehörte dem ältesten Bruder Mucks, der auswandern wollte. Muck bewohnte eine winzige Stube neben der seinen, und die Küche wurde gemeinsam benützt. Meist ging das so vor sich, daß Muck für beide kochte und der Bruder alle paar Tage für beide abwusch und zusammenräumte. Viel Zeit hatten sie alle zwei nicht. Sie lebten sehr billig auf diese Weise. Das wenigstens verdankten sie der Gärtnerei, mit der sonst nicht viel Staat zu machen war.

»Martin geht nächstens weg, er hat drüben schon ein paar Eisen im Feuer«, hatte Muck damals gesagt, und seitdem ging es immer noch ›nächstens‹. Es haperte an irgendeiner Ausreisegenehmigung oder Impfung oder sonst so etwas. Maike hatte nie danach gefragt.

An das alles mußte sie denken, während sie an diesem heißen Julisonntagvormittag zu Muck hinauswanderte. Das Korn fing schon an, sich gelb zu färben, es war dies Jahr durch keine stürzenden Gewitterregen niedergeworfen, sondern stand aufrecht wie eine Bürste, hoch, und ließ den sachten heißen Wind über seine Oberfläche hinspülen. Maike sah es im Vorbeiwandern und versuchte, sich an ein Gedicht zu erinnern, aber es fiel ihr nicht ein. Vielleicht war Martin nun wirklich fort und Muck allein? Vielleicht war sie krank, und keiner kümmerte sich um sie? Jetzt links, da lag das niedrige, langgestreckte Haus, an das die Warmhäuser angebaut waren. Maike fühlte eine kleine Bangnis, als sie das winzige Gartentor, das nur mit einem Haken verschlossen war, herumhob. Was erwartete sie?

Zunächst ein Kater, schneeweiß und von jener haltungsvollen Gelassenheit, die ältere Tiere dieser Gattung auszeichnet. Er kam ihr entgegen und strich, als sie ihn ansprach, freundlich um ihre Beine, was aber höchstens als Zeichen einer gnädig verschenkten Huld zu werten war, gewiß nicht als Ausdruck einer Schmeichelei oder gar des Bettelns. Maike streichelte ihn und richtete sich wieder auf.

»Hallo?« rief sie halblaut.

Keine Antwort.

»Hallo, Muck, hallo, Herr von Buch?«

Stille. Die Heckenrosen, die die kleine Tür des Hauses umwucherten, blühten gerade, auch am Zaun wuchsen Rosen, wild, unbeschnitten. Die Sonne prallte herab wie ein Scheinwerfer. Maike hatte das Gefühl einer Verzauberung zur Stunde des Pan, wie sie so stand und lauschte.

Am Zaune blüh’n die Rosen,

und hinten reift das Korn.

Da hat schon mancher manches

gefunden und verlorn.

Dem einen ging das Herz auf,

dem andern brach’s entzwei ...

Wie es weiterging, wußte sie nicht. Aber sie wußte auch, daß es nicht das Gedicht war, auf das zu besinnen sie sich halb unbewußt den ganzen Morgen schon bemühte. Angstvoll und zugleich ärgerlich über sich selbst versuchte sie, den seltsamen Bann abzuschütteln, rief noch einmal und ging dann herzhaft und mit hörbaren Schritten auf die kleine Haustür zu.

»Hallo, Herr von Buch – wo bist du, Muck?«

»Hallo, hier!« antwortete es. Maike fiel ein Stein vom Herzen, sie erkannte Mucks Stimme. Schnell öffnete sie die nächstliegende Stubentür und trat ein.

Das Zimmer wirkte, wenn man es zuerst betrat, ein wenig schummerig, das kam von dem vielen wilden Wein, der um das Fenster wucherte. Gleich darauf aber erkannte man alles genau: den niedrigen Tisch am Fenster, auf dem Schreibmaschine, Kaffeetassen, Papier und Kleiderbürsten sich ein fröhliches Stelldichein gaben, neben dem Bett einen Stuhl, hochbepackt mit Kleidern und allerlei Kram, und das Bett selbst. Im Bett Muck, das Gesicht Maike zugewandt, lachend, ein wenig schuldbewußt, rotgeschlafen. Krank auf keinen Fall, wahrhaftig.

»Bist du noch zu retten, am hellen Tag in der Falle!« sagte Maike tadelnd und setzte sich seitlich auf den Kleiderhaufen des Stuhles, während sie Muck in den dunklen Schopf fuhr. »So was von Faultier! Ist es also doch kein Gerücht, daß du abgerutscht und der menschlichen Gesellschaft verloren bist.«

»Sagt man das?« blinzelte Muck vernügt. Maike verstand wieder einmal, daß alle – oder doch viele – junge Männer Stielaugen bekamen, wenn in irgendeinem Lokal Marlies von Buchs Gesicht auftauchte. Es war kein bißchen hübsch im landläufigen Sinne, eher flächig und breit. Muck war auch nicht groß, aber gerade in den Schultern, sie hielt sich sehr aufrecht, und es ging ein merkwürdiges Leben von ihr aus. Der Mund, mit ein wenig aufgeworfenen Lippen, war weit ausgezogen und von frischer Farbe, trotzig aufgestülpt – Maike hatte schon einen ähnlichen bei einer sehr jungen amerikanischen Filmschauspielerin gesehen, die in einem Märchenfilm ein wildes, gar nicht duldendes, sondern rebellisches Aschenputtel spielte. Einen solchen Mund wie diese Frau hatte Muck, und ihre Augen waren von einem gleichmäßigen Blau, ähnlich der Sorte Rittersporn, dessen Farbe wohl – Maike besann sich nicht genau – im Katalog als »Eisblau« geführt wurde. Dieses Eisblau hatte mit Kälte nichts zu tun, es erinnerte an den Farbenwechsel und das Schillern sonnendurchstrahlten Eises, das blitzschnell von Dunkel zu Hell variiert. So ähnlich waren Mucks Augen.

»Jawohl sagt man das«, antwortete sie, es sollte strafend klingen, gelang aber nicht ganz. Mucks spürbar gute Laune war sofort, einer warmen Flutwelle gleich, auf sie übergegangen.

»Dann laß sie reden, schweig fein still«, lachte Muck und streckte sich behaglich aus. Ihr Deckbett war bunt überzogen, rot und blau gewürfelt, und sie selbst trug einen gestreiften Pyjama, der nach brüderlicher Herkunft aussah. Es roch frisch im Zimmer, nach Seife und Lavendel, und auch nach gutem Kaffee – Maike schnupperte.

»Deine Nase hat recht«, sagte Muck und deutete mit dem Kinn hinüber zu einem anscheinend selbst gebastelten Regal, wo Tauchsieder, Kaffeekanne, Milchdosen und Filter zu sehen waren. »Wie wär’s, wenn du uns einen brühtest, einen richtigen Sonntagskaffee, zum Munterwerden?«

»Klar, mach’ ich. Wasser ist ...?«

»Im Flur. Dort befindet sich die Zapfstelle unseres Châteaus. Du mußt entschuldigen, wenn ich nicht aufstehe, aber mein derzeitiges Siechtum verbietet mir ...«

»Bist du krank?« fragte Maike, sich sofort umwendend. Sie war an das Regal getreten, sah aber jetzt besorgt zu der Freundin zurück. Die lachte.

»Es war einmal. Aber im Bett bleib’ ich, besonders wenn ich so lieben Besuch habe, der zweifellos jetzt Besen und Eimer ergreifen und das ganze Haus gründlich unter Wasser setzen wird.«

»Denkste.« Maike war froh, Muck so reden zu hören. Erstens, daß sie wirklich krank gewesen war – das konnte sie Peer gründlich unter die Nase reiben, wie günstig! –, und zweitens, daß es ihr zweifellos schon wieder besser ging. Und fünftens und sechstens, daß um die Schreibmaschine herum Stöße von beschriebenem Papier lagen, von eng betipptem. Wahrscheinlich Entwürfe zur Doktorarbeit. Oder war es vielleicht etwas anderes? Maike wußte, daß Marlies manchmal auch kleine Erzählungen schrieb. Eine Tageszeitung hatte sogar schon einmal etwas von ihr gedruckt. Maike kam mit dem Litermaß voll Wasser wieder zur Tür herein; sie sah, daß Muck, während sie draußen war, aus dem Bett gesprungen sein mußte und schnell ein wenig zusammengeräumt hatte, eins, zwei, drei – wie es ihre Art war. Alle Papiere, klatsch, aufeinander, schon wirkte das Zimmer viel wohnlicher. Übrigens – wohnlich war es auch gewesen, als es ›aussah wie bei Schmidts unterm Sofa‹, wie sie manchmal gesagt hatten, wenn sie Muck besuchten.

»Du sollst doch liegenbleiben«, rügte sie liebevoll-wichtig und rückte einen leeren Schemel an Mucks Bett. »Du bekommst jetzt einen Genesungskaffee, und du wirst staunen, wie gut er auch mir tun wird. So eine weite Reise hier heraus zu dir, der halbe Sonntag geht drauf. Peer weint sich die Augen nach mir aus.«

»Tut er das?« Muck lachte verschmitzt. »Du, ich glaub’ dir das nicht. Soll ich raten? Er arbeitet. Und da hast du dich darauf besonnen, hier Samariterdienste zu leisten, um den einsamen Sonntag hinzubringen.«

»Genau so«, gab Maike vergnügt zu und stellte die Tassen auf, »loben wir also seine Arbeit, sonst säße ich jetzt nicht an deinem Schmerzenslager. Übrigens: hast du welche?«

»Schmerzen? Nein. Schlafen kann ich nicht, das ist störend«, sagte Muck, einen Augenblick ernst werdend. »Danke. Du, wenn der schmeckt, wie er duftet ...«

»Und dein Bruder?«

»Ist noch da. Noch immer. Nein, die von Buchs, bis die mal zu Potte kommen ...« Sie lachten beide. Muck konnte sehr gut andere nachahmen, und wie sie das jetzt sagte, klang es ganz echt nach Peer. Sie tranken, und Maike bröckelte die mitgebrachte Schokolade auf eine in der Mitte des Tisches stehende Untertasse. Sie nahmen beide davon, lutschten die Stücke, damit sie länger vorhielten, und tranken dazu den Kaffee in sparsamen, genußvollen Schlucken.

»Wundervoll«, sagte Muck schließlich und lehnte sich zurück, »Brot hast du nicht mit. Ich meine ...«

»Ich hab’ ja leider nicht gewußt, daß du keins hast.«

»Ich auch nicht. Martin vergißt das tägliche Brot immer, weil er selbst keins ißt. Er nährt sich, wie du weißt, von biologisch dynamisch gedüngten Früchten der Erde.« Sie lachten beide. Und dann berichtete Marlies:

Ja, Martin ginge nun bald ›rüber‹. Ja, sie selbst arbeite an der Doktorarbeit – sie deutete flüchtig in Richtung Schreibmaschine –, aber so bald werde sie nicht damit fertig. Es ginge ihr schon wieder herrlich. Nein, Hunger litte sie nicht. Maikes Besuch sei eine famose Idee. Aber zum Pflegen herkommen brauche sie nicht.

»Im Ernst, Maike, so sehr ich mich heute freu’, daß du da bist – du brauchst dich nicht zu sorgen. Überhaupt nicht. Ich stehe es durch.«

Der Satz klang um eine Schwingung zu ernst. Maike hörte es, jedenfalls halb. Später mußte sie daran denken und verstand nicht, warum sie nicht weitergefragt hatte. Unbegreiflich – aber so ist der Mensch. Glaubhaft versichert bekommen, daß alles in bester Ordnung ist, daß man sich um nichts zu kümmern oder zu sorgen habe – wer hörte das nicht gern?

»Du, wir waren gestern in einem tollen Film«, erzählte Maike nach einer Weile, »hast du ihn schon gesehen?« Sie nannte den Titel, Muck schüttelte den Kopf. »Geh rein! Wirklich gut. Die beiden, er und sie, so sympathisch, überhaupt nicht verzerrt wie sonst manchmal. Aber ob du einverstanden sein wirst mit der Lösung, die eigentlich keine ist ...« Sie kam ins Schildern, und Muck hörte zu. Sie hörte ganz still zu, sagte hie und da ein Wort, um den Topf am Brodeln zu halten, und ließ Maike reden. Maike merkte es nicht.

»Wir müssen noch darüber sprechen, wenn du ihn gesehen hast«, schloß sie endlich. »Übrigens – Menschenskind, ich muß ja los. Ich will zwar nicht bei Peer vorbei, aber so um diese Zeit kommt er meist bei mir vorbei ...« Sie lachte. »Auch wenn er eigentlich nicht wollte. Und dann sollte man klug genug und an Ort und Stelle sein.«

»Kleiner Ehezwist?« fragte Muck blinzelnd.

»Aber wo. Nur – ja, er ist gestern abend seiner Arbeit nachgerannt, statt – es war Samstag.« Maike lachte auch. Sie verstanden einander genau. »Deshalb muß ich jetzt im Tempo eines Rennwagens los.«

»Nimm mein Fahrrad«, sagte Muck nach kurzem Überlegen. »Da bist du schnell daheim. Ja, nimm es! Wenn ich es doch sage!« Sie hatte Maikes Zögern bemerkt.

»Du brauchst es öfter als ich, so weit weg wie du wohnst. Und ich weiß nicht, wann ich es wiederbringen werde ...«

»Ich brauch’ es im Moment wirklich kaum. Nimm es! Los! Dann kommst du noch zurecht.« Marlies’ Zureden schien ehrlich zu sein. Maike stand auf, setzte das Kaffeegeschirr noch zusammen und trug es in die Küche. Aber sie war eilig und abgelenkt.

»Wenn du mir’s also wirklich borgst?«

»Ja. In den nächsten Wochen kann ich es entbehren.« Muck lachte. Diesmal war ihr Lachen anders, wie von innen leuchtend, sonderbar. Maike ließ sich noch einen kurzen Augenblick aufhalten.

»Du, Muck ...«

»Ja?«

»Was heißt: in den nächsten Wochen? Bist du vielleicht kränker, als du sagst?«

»Fräulein Doktor Hegerfeld, Ihre Fähigkeit zur Blitzdiagnose läßt zu wünschen übrig.« Mucks Augen blinkten vergnügt, jetzt wieder ganz wie sonst. »Nun, das ändert sich noch. Hoffentlich. Jetzt brause ab, sonst kommt der Teure – und du bist nicht da.«

Maike nahm ihre Hand. Normal, kein Fieber, bestimmt keins. Dann hatte sie es plötzlich eilig.

»Wo steht’s?«

»Rechts ums Haus im Schuppen. Und behalt es, verstanden? Hier frißt es nur unnütz Brot ...« Ihr Lachen verklang. Brot, dachte Maike, während sie das etwas vorsintflutliche Vehikel aus dem Schuppen und durch das Gartentürchen schob. Brot – hat keins im Haus. Aber ich bring’ ihr was – oder schick’ es ihr. Als Päckchen – denn morgen kann ich wirklich nicht raus aus der täglichen Mühle, nicht eine Viertelstunde. Morgen haben wir ... und da fuhr sie schon und war ganz im »morgen«, ganz in der Klinik, die vor ihrem Inneren stand: groß, breit, weiß. Und hinter ihr verschwand die Buchsche Gärtnerei, klein, braun, mitgenommen und ein bißchen zu wenig in Ordnung gehalten. Mit Muck darin ...

An der Kappelgasse, kurz vor dem Markt, traf Maike Uwe und Elisabeth. Sie kamen aus dem Schwimmbad, hatten ihr jüngstes Kind bei sich und schoben gemeinsam den schon recht mitgenommenen Sportwagen bergauf. Maike hatte die beiden lange nicht gesehen und sprang vom Rad, hob eine heruntergefallene Bademütze auf und gab sie Elisabeth, die sich sehr bedankte.