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Zu seinem 200. Geburtstag ist Karl Marx so tot wie lange nicht: Entweder wird er für triviale Niedergangspredigten in Anspruch genommen oder zur Erstellung neuer Theorien ausgeschlachtet, um den akademischen Markt mit frischen Waren zu versorgen. Es ist Zeit, Marx als Zündschnur zu gebrauchen. So entsteht die MRX-Maschine. Die MRX-Maschine zapft Feminismus, Postkolonialismus und anderes an und sucht nach den Rissen, der Perversion und dem Gestank, die das Proletariat hinter dem unternehmerischen Selbst erkennbar machen. Die MRX-Maschine scannt die Schauplätze der öffentlichen Selbstvermarktung und die private Fabrik der Körperoptimierung nach Spuren des internalisierten Klassenkampfs, der nach Desintegration und Verschwendung schreit, und zerkratzt dabei die polierte Benutzeroberfläche. MRX-Maschine ist ein geheimer Gruß an alle Verweigerer und Blaumacher, sie ist Analyse Agitation und Aggression in einem – und für die Zeit der Lektüre sind Sie krankgeschrieben.
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Seitenzahl: 167
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Luise Meier
Nachbarschaft
Enter Maschine von M_RX-Seite
Ausfällig werden
Der Ausfall A. Reiter
Der Ausfall Kranewitzer
>>>NOW_ !_NOW**FAST BUY SUPER SALE**>>>>
Auto-Logged-In
Computing Revolution
Nur wer gezählt ist, zählt!
Feindproduktion
Staubsauger-Maschinengewehr
Daddy-fik(a)tion und Staat
Was gut ist, setzt sich durch!
Fucking up
Ware werden
Reproduktion und Weiblichkeit
Queer
Graveyard
Grabraub, Virusinfekt und Pilzbefall
Anmerkungen
Dieses Buch ist neben meinen Geschwistern, den verwandten, halbverwandten und unverwandten, dem Hegelmann gewidmet. Der Hegelmann, dessen bürgerlicher Name entweder nicht genannt oder vergessen wurde, war der Nachbar meiner Neuköllner Wohngemeinschaft. Eines Tages klingelte er an der Tür und bat uns darum, seine Wohnungseinrichtung als Geschenk anzunehmen, um sie nicht dem Gerichtsvollzieher in die Hände fallen zu lassen. Er selbst hatte den Plan, vor den Schuldeneintreibern zu einer Freundin auf die Kanaren zu flüchten. Bis es zur Eskalation einer Situation kam, vor der er sich nur noch durch die Flucht retten zu können glaubte, war er in einem kafkaesken Schriftverkehr mit seiner Krankenversicherung gefangen, die ihn mit Zahlungsaufforderungen belästigte. Seine außergewöhnlich umfassende und mit Sorgfalt betriebene Argumentation schien an der standardisierten Apparatur der Versicherungsverwaltung abzuprallen. Am Vorabend der Zwangsvollstreckung standen wir in seiner Wohnung und wurden hastig mit Einrichtungsgegenständen, darunter eine etwas verklebte, aber doch vielversprechende Plattensammlung samt Plattenspieler, beschenkt. Der Hegelmann war kein Unbekannter. Er hatte ein paar Jahre zuvor während meines Philosophiestudiums des Öfteren in gut besuchten Vorlesungen mit unvermittelten und ausführlichen Hegelverweisen auf sich aufmerksam gemacht und dadurch immer wieder die Inszenierung einer Öffnung der Vorlesung für Fragen aus dem Auditorium an ihre Grenzen gebracht. Sowohl seine Person als auch seine Einsprüche wurden von der Leistungspunkte sammelnden Studierendenschaft sofort als Fremdkörper erkannt. Die unausgesprochenen Regeln der Seriosität hatten sich selbst unter den Erstsemestern nach wenigen Tagen der universitären Praxis schon verbreitet. Das fortgeschrittene Alter, seine unpassende Erscheinung, die zitternde Stimme und sein wildes Gestikulieren waren eindeutige Indizien dafür, dass er nicht zum Establishment der Institution gehörte und also nicht zu jenen zu zählen war, deren Monologen man aufmerksam und andächtig zu folgen hatte. Nicht selten wurde er, in vorauseilendem Gehorsam gegenüber der professoralen Autorität, demonstrativ belächelt und vom Auditorium zum Schweigen angehalten, bevor die Professoren in die Verlegenheit kommen konnten, sich zum Einwurf verhalten zu müssen. In solchen Momenten findet Adornos Rede vom Lachen als Überlaufen zu den Instanzen, die es zu fürchten gilt,1 ihren Gegenstand.
Es musste natürlich eine Botschaft in dieser nachbarschaftlichen Wiederbegegnung stecken. Vom exilierten Hegelmann und seiner spezifischen Großzügigkeit also bezieht dieser Text seinen Begriff der Solidarität/Verwandtschaft/Militanz, der weder an der Paranoia der anderen noch an der Kapitulation vor dem Ganzen seine Grenze hat.
Ein Nichts,
dessen wir uns bedienen,
um anzuzeigen,
wenn wir etwas nicht wissen,
von welcher Seite her
wir es nicht wissen
Antonin Artaud
In jeder Epoche muß versucht werden,
die Überlieferung von neuem
dem Konformismus abzugewinnen,
der im Begriff steht, sie zu überwältigen.
Walter Benjamin
Das ist nicht die Beschreibung der Maschine, das ist die Maschine. Die Augen und die Buchstaben haben sich schon verkoppelt. Spuren der MRX-Maschine-Verknüpfung sind bereits im System nachweisbar. Seit Marx wurden unzählige Mutationen durchlaufen. Jetzt und hier werden bereits neue mutierende Erreger gezeugt. Die immunisierenden Wirkungen des Namens Marx, der Genialität, der Originalität, der historischen Distanz, der wissenschaftlichen Autorität, der rationalen Beweisführung lassen nach. Wir bewegen uns schon im Feld der Perversion, der Abweichung, der Mutanten, Mutantinnen und Mutantx. Unbemerkte Penetration und Infiltration. MRX-Maschine ist die Fleischwerdung des Red Scare. Die Belebung eines Gruppenfotos aus J. Edgar Hoovers Albtraum. Die Bestätigung der Angst vor der Welle der Unregistrierten. Ein geheimer Zusammenhang zwischen den Verspäteteten, Chaoten, Randaliererinnen, Gammlerinnen und Legasthenikern. MRX-Maschine hat die Metal- und Punk-Taktik übernommen, das eigene Profil als Gegenbewegung zu den Abwehrmustern und Angstfantasien der herrschenden Ideologie zu entwickeln2. Statt Fitness, Gesundheit, Keimfreiheit und Harmonie zu huldigen, werden obsessiv mannigfaltige Verwesungsprozesse, Seuchen, Körpersekrete und Krawallexzesse besungen. Der rechte Kampfbegriff des »Kulturmarxismus«, der sich hinter den Kulissen verschwöre, alle Gesellschaftsbereiche infiltriere und mit ökonomiefernen Diskursen maskiere, um die gesellschaftlichen Verhältnisse umzustürzen oder vielmehr hinterrücks auszuhebeln, wird von MRX-Maschine als Herausforderung, als Auftrag angenommen. Man trifft sich in den Archiven, Aktenschränken, Überwachungs- und Behandlungsprotokollen der Moral Panics. In den Krankenakten, in den Löchern der Anwesenheitslisten, in den Verzeichnissen der Sozialleistungsbezieher. Es gibt kein familiales Band. Die Sterilisierten und Kastrierten, die kinderlos Zu-früh-Gestorbenen, die polizeistaatlich verhinderten, die Untergetauchten sind von der Vater-, Mutter- und Schwesternschaft nicht ausgeschlossen. Ein geheimer Gruß geht auch an die nach Urin duftenden, die mit Klein- und Kleinsttieren lebenden, die schwankenden, die desorientierten, die zahnlosen, ungepflegten, suchtenden und vor sich hinstarrenden Genossen. Ein manisches Augenreiben, bis auch die in den Minenschächten Verschwundenen, in fensterlose Fabriken Eingeschlossenen, in Slums Verschütteten in den Blick kommen. Proletarische und bürgerliche, polymorph perverse, weibliche und männliche, weiße und nicht-weiße, homosexuelle, umweltschützende, einwandernde, antikoloniale, kinderlose, kriminelle, drogenabhängige, unerzogene, impotente, defizitär aufmerksame, erwachsene und überreife, ausbeutende und ausgebeutete Elemente haben bereits mit der Übertragung der vertraulichen Daten und der Verwirrung der Sinne begonnen. Die Roten sind nicht im Anmarsch, sie sind schon da – wenn auch als vorläufig Besiegte und Gescheiterte. Schläferzellen, die man auch schlafen lassen kann, sofern sie vom Erwachen träumen.
Die Bewegung von MRX-Maschine folgt nicht der Seriosität als Impuls, um der Selbsterhaltung willen den Leichtsinn abzustoßen und Marx von Murx zu scheiden. Da ist ein Oszillieren zwischen beidem, durch das hinein- und hinausgeschlüpft werden kann. Es fehlt (noch, man muss sich beeilen) die Eindeutigkeit, um in den Algorithmen der Suchmaschinen verwertbar zu sein. Proletariat als Fußabdruck des Kapitals, als vom Aufprall bedingte Schwellung, kümmert sich nicht darum, Form oder Haltung zu wahren. Es ist die Klasse, die ihre Destruktion herbeisehnt, die von der Zukunft ihres Verschwindens aus gedacht werden muss. Der Stolz oder die Verteidigung der Konsistenz ihres Status quo ist nicht haltbar.
Im MRX-Maschine-Kontext fungiert Proletariat wegen seiner Desintegrationsbereitschaft als Mutation Engine, als Polymorphismus-Motor, als Mannigfaltigkeitszentrum, als schwarzes Loch. MRX-Maschine ist keine Therapie, die für etwas (schöne Haare, feste Nägel und gesteigerte Konzentrationsbereitschaft) verschrieben wird, sondern eine Pille gegen das Proletariat. Oder mit den Worten des »Bluesologen« Gil Scott-Heron:
The revolution will not give your mouth sex appeal
The revolution will not get rid of the nubs
The revolution will not make you look five pounds thinner […]
The revolution will not go better with Coke
The revolution will not fight the germs that cause bad breath
because the revolution will not be televised, Brother3
MRX-Maschine verwickelt sich in paradoxe Strategien als Antwort auf paradoxe Situationen innerhalb des Systems, das Bell Hooks treffend als imperialist white supremacist capitalist patriarchy beschreibt. Es hat viele Namen. Jeder dieser Namen lädt dazu ein, den herrschenden Zustand mit Fragen zu löchern – in ein Was-wäre-wenn zu verschwinden. Zumindest für die Dauer dieses Verschwindens wird man für den Apparat der Systemreproduktion unbrauchbar. Sich zum Loch machen, zur Stolperfalle, zur Informationslücke. Vom proletarischen Blickwinkel aus ist die Vielfalt der Ausbeutungsstrukturen das sich ständig erweiternde Wirkungsspektrum des Kapitalismus, Variation des Wertgesetzes, Mutation der Warenform. Von anderen Punkten aus treten andere Züge in den Vordergrund: Kolonialismus, Nationalismus, Ableismus, Altersdiskriminierung, Heteronormativität, Psychonormativität, Rassismus, Fabrik- und Minenarbeit. Die Liste der Variationen ist parallel zum Mutationspotenzial des Proletariats nicht abschließbar. MRX-Maschine pirscht sich über die Frage der Arbeit und der Arbeitsverweigerung heran. Prol-mutantinnen kennen Arbeit nicht nur als Ausbeutung, sondern auch als Kollaboration. Mit dieser Spaltung, dieser Form von Travestie hat es MRX-Maschine zu tun. Prol-mutation und Kapitalmutation sind vielleicht nicht die historisch ersten Erscheinungsformen der Ausbeutung/Kollaboration, aber von diesem Text aus gesehen sind sie die nächsten. Die Geschichte lässt sich auch ausgehend vom Patriarchat, von der Sklaverei, von der Ressourcenextraktion erzählen oder vom Rassismus. Klassentrennung, Rassentrennung, Geschlechtertrennung. Ein großes Schneiden. MRX-Maschine versucht sich an einem wuchernden Übersetzen, das keinen Ursprung, kein Original hat und keine Zusammenfassung zur effektiveren Informationsverarbeitung kennt. Hier wird statt der Politik der Kürzung schon der Überfluss geprobt. Das Sprechen kommt von der Seite der Überflüssigen nicht als Botschaft und Information, sondern als Lawine und Wortschwall. MRX-Maschine, im Wechselspiel von Tippen, Googeln, Löschen, Starren, Anstreichen, Kritzeln, Bücher-Auf-und-Zuklappen, Kopieren und Einfügen geschrieben, ist der Versuch hinter der Sexyness des Designs, durch den betörend und gleichzeitig verhörmäßig leuchtenden Screen hindurch einen Blick auf die Lieferkette zu erhaschen und auf diejenigen Maschinengeschwister, die in ihr verkettet sind. MRX ist so gesehen mehr die raumzeitliche Bestimmung eines Eingangs in den Ameisenhaufen als die Draufsicht des überfliegenden Auges. Nur bedeutet das nicht, dass sie sich von der Fährte des Kapitals zurückpfeifen ließe. Solange die Warenform den Text verfolgt, verfolgt der Text die Warenform. MRX-Maschine kann und will sich nicht gegen den Vorwurf verteidigen, nur Label, nur Hülle, nur Style, nur Tin Man ohne menschliches, ohne echtes Herz und Wesen zu sein. Sie ist nur der Stuntman, das Double, Special Effect, Abwesenheitsnotiz. MRX-Maschine ordnet sich das Feld nicht gemäß der kausalen Hierarchie von Haupt- und Nebenwidersprüchen unter. Sie verbindet, erforscht und versammelt Elemente der Destabilisierung. Die Fragen richten sich nicht auf Gründe und Begründungen, sondern auf die Stabilität und Destabilisierung von ideologischen Konfigurationen. Ansteckung, Vibration und Drehung, bis das bürgerliche Subjekt zerfällt und mit dem Auge des Virus zu sehen beginnt. MRX-Maschine erfordert ein manisches Schütteln, Kettenrasseln, Experimentieren und Collagieren, bis die Konstellation des Erwachens4 aufblitzt, die Benjamin in Aussicht stellt. Sie erkennt den Kaufvertrag nicht an, demgemäß sie Lösungsvorschläge oder Erkenntnisse zu liefern habe. Am Ende kann nicht die abgepackte, tiefgefrorene und geruchsneutrale Dosenkonklusion stehen. Man kann den Text, wie die Holzdiebin den Wald, nur abseits der Wegweiser durchstreifen. MRX-Maschine kann nicht auf die stringente logische Argumentation und chronologische Geschichtserzählung vertrauen, wenn sie sich nicht in der Arbeit an Orientierungs- und Leitsystemen erschöpfen will. Die Verbindung ist keine, die im Rechtsrahmen der Gegenwart vorgesehen ist. Sie ist zukünftig und utopisch ausgerichtet, extraindividuell, extraterrestrial brotherhood5.
Die Begriffe, nicht Leitbegriffe, sind nicht für die Ewigkeit gemacht, haben ihren Bestimmungsort noch nicht gefunden. Sie sind noch immer unbefriedigt, untote Ansprüche. Sie sind abgestandene Verkrustungen, Reste von Tabakasche auf dem schmutzigen Geschirr, vor denen sich der preußische Regierungsspitzel, der mit der Überwachung des MRX-Chaos betraut war, so geekelt hat.6 Aufgeräumt wird morgen, und ohnehin: Proletariat ist keine Identität, es hat kein Wesen, es hat als Krankheit, nicht als Besitz, was aus ihm gemacht wird, bis es sich transformiert. Es ist leer, ein Loch. Es ist zersplittert in alle möglichen kollektiven und getrennten Identitäten. Es existiert als das, welches eigentumsmäßig ausgeschlossen ist von den Produktionsmitteln – zu denen es als lebendiges Produktionsmittel selbst gehört. Es ist nicht mit sich selbst identisch. Dieser Ausschluss kreiert keine Sphäre, die im Inneren frei wäre. Er teilt die Karte nicht nur einmal in Unterdrückte und Unterdrücker, er zieht keine geschlossenen Kreise. Die Trennlinie bildet vielmehr eine Spirale, die sich weiterschraubt, je weiter wir ihr folgen. Das Proletariat ist keine Position der Unschuld, sondern die Auflehnung gegen die Tatsache, dass es im Kapitalismus keine Unschuld gibt. Insofern kann MRX-Maschine nicht dazu aufrufen, dieses oder jenes Instrument oder System im Namen der Unschuldigen produktiv zu machen. Es ist kein Aufruf zur Regierungsbeteiligung und keiner zur Einheit. Proletariat ist ein Zombiebegriff, einer, der nicht gegen die Toten und Gescheiterten abschließt, der nicht mit dem neusten Modell, dem unbelasteten Namen die widersprüchliche Vergangenheit ersetzt. Proletariat und MRX-Maschine ist kein Neuanfang des Diskurses, kein Name, der vorgibt, schon die Revolution zu sein, nach der er ruft.
MRX-Maschine ist antiautoritär, aber auch der Begriff des Antiautoritären ist nicht haltbar zu machen. Er lässt sich nicht in der Erziehungsmethode standardisieren und ist nichts, was sich den anderen antun lässt. Das Antiautoritäre lässt sich nur über Ansteckung verbreiten, es lässt sich nicht verschreiben und nicht als Heilmittel anwenden. Die Wechselbeziehungen zu antirassistischen und queerfeministischen, aber auch zu antikolonialen, psychiatriekritischen und anderen verwandten Kämpfen sind geheime Tunnelsysteme, lose Verkabelungen und das Aufeinandertreffen von Luftwurzeln: Austausch von Waffen, Taktiken und Diskursen und das gemeinsame Problem der Stabilität/Bindungskräfte des Status quo. MRX-Maschine kann das Faktum der Isolation, die Wunden der Jahrtausende des »Teile und Herrsche« nicht überschreiten und nicht mit neuen Labels überkleben. Aber in dem »Teile und Herrsche« selbst steckt eine Form von Gemeinschaft – nicht Gleichheit. Das ist die Richtung, von der her MRX-Maschine sich dem postkolonialen Blick nähert, ihn auszuhalten versucht, ohne sich seiner zu bemächtigen. MRX-Maschine ist keine Maschine, die läuft. Sie kann nicht »Instant Gratification« anbieten, ihr fehlt das ›A‹, weil es eine Lücke zu Marx als Autorität geben muss, einen Abstand, ein Missverständnis, eine Fehlerquelle. Kein Alpha also, keinen Alpha-Marx, keinen sauberen Ursprung und keinen schöpferischen Geist. Die Hälfte der Zeit mindestens muss an der einen oder anderen Stelle repariert, justiert und gewartet werden. Was sie an Gewinn einbringt, braucht sie sofort wieder auf. Es ist eine Beziehung geworden, in der beide Seiten nicht mehr auf die Amortisierung der anderen warten, was, wie das mort im Wort verrät, die Beziehung beenden würde. Wir arbeiten aneinander, Elemente an- und abschraubend. In einer Erzählung über Neapel spricht Alfred Sohn-Rethel, an Walter Benjamin erinnernd, vom »Glücksarsenal des Kaputten«.7 Das ist eine andere Form der Beschreibung, eine Verwandtschaft von Kaputtem, die nach dem Rest sucht, die sich an der störungsbedingten Vergeudung von Arbeitskraft und Arbeitszeit nicht stört. Der Rest, der nicht im Marktgeschehen aufgeht, der sich nicht amortisiert. Es gibt eine Solidarität zwischen Arbeiterin und Maschine, wo wegen der kaputten Maschinerie das Werk geschlossen bleibt. Ein Streik, der vom Material ausgeht. Die nie endende Verstrickung in die Reparatur, die den Knoten der Gemeinschaft bildet, kann von Sabotage nicht unterschieden werden. Die kaputte MRX-Maschine, die ohne ›A‹ operiert, versucht sich der Absorption durch die Kapitalmaschine zu entziehen. Sie setzt als soziale Maschine, statt auf Vergleichbarkeit und Kommensurabilität, auf das Teilen der Wartezeit und des Reparaturprozesses. Sie funktioniert nur, weil und solange sie kaputt ist. Sie ist kaputt, solange der Begriff des Funktionierens an das Kapitalgesetz gekettet ist.
Auch Maschinen, vor allem solche, die funktionieren, sind ebenso wenig wie Proletarier und Proletarierinnen schuldlose Instrumente der Macht, die man einfach für das Gute produktiv machen könnte. Die Abtrennbarkeit der Maschine vom System seines Gebrauchs, der Kapitalakkumulation, ist eine Illusion, die aus der Warenförmigkeit der Maschinen resultiert. Man muss sich von den Toten ans Bein pissen lassen. »Little Boy« und »Fat Man« hießen die Atombomben, die Hiroshima und Nagasaki verwüsteten. Wie verhält sich (Cyber-)Feminismus zur »MOAB – Mother of all Bombs«, die im Jahr 2017 über Afghanistan abgeworfen wurde? In welcher Beziehung stehen Nerd-Kultur und Code-Utopien zur IBM/Dehomag-Lochkartentechnik, die bei der NS-Führung als smarte Wunderwaffe Begeisterung auslöste? Die Maschine hat eine Geschichte, die bis zur Navigation Kolumbus’ in die »Neue Welt«, bis zu den Schrecken der Conquista und weiter zurückreicht. Es gibt Trümmer, die auch, wenn sie längst übergestrichen und beräumt worden sind, die Erinnerung an die Panzer- und Schusswaffen-Maschinen aufbewahren. Sie sind nicht Ausdruck einer Beilegung der Konflikte und einer harmonischen Welt, sondern dessen, dass übermalt und beräumt wurde und wird. Es blitzt ein Verdacht auf, der Krieg könnte nicht vorbei sein, sondern lediglich die Uniformpflicht wurde aufgehoben. Befehlsstrukturen wurden optimiert. Man erkennt am bloßen Blick in den Spiegel nicht mehr, auf welcher Seite man steht. Dafür weiß der smarte Spiegel am Selfie-Stick ziemlich genau Bescheid.
Statt sich durch die Schöpfung neuer philosophischer Schulen in vermeintliche Neutralität zu träumen, statt sich nackt, scheinbar neugeboren, ohne den historischen Verweis, nur in Gegenwart gehüllt, ohne die verräterische Sprache zu sprechen, auf die Bühne zu stellen, schlägt MRX-Maschine, Heiner Müller zitierend (der Paul Virilio zitiert), die »Allianz der Schuldigen«8 vor. Für einen Text, für das Proletariat, für die Maschine, für Marx, für den Feminismus ist damit ein Sammelpunkt, eine Universalie ausgesprochen, mit der man sich, und darin liegt ihr Vorzug, nicht zufriedengeben kann.
Es gibt den Satz von Benjamin: »Daß es ›so weiter‹ geht, ist die Katastrophe.«
Und es gibt die Technik, der Arbeit oder dem Militärdienst zu entgehen, indem man erkrankt oder verunfallt.
Und es gibt Rosa Luxemburg, die schreibt: »Aber die Revolution ist die einzige Form des ›Krieges‹ – auch dies ihr besonderes Lebensgesetz –, wo der Endsieg nur durch eine Reihe von ›Niederlagen‹ vorbereitet werden kann!«9
Und ihr Hinkebein, das Lyotard befällt und der dann über Freud meint, der wiederum Rückert zitiert (»Was man nicht erfliegen kann, das muß man erhinken.«):
»Das Hinken ist eine Affektion, die sich auf Raum und Zeit bezieht, es ist kippbare Ausdehnung und stammelnde Dauer, der Hinkende weiß nicht, ob er an die Zeit und an den Raum glaubt, während der, der fliegt, davon überzeugt ist.«10
Die Tür ist also schon einen Spalt weit offen. Dahindurch breitet sich MRX-Maschine aus.
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Scheitern, Blaumachen und Verweigerung als proletarisches Moment gegenüber einer überall sehr chefig auftretenden Ideologie der Produktivität und Ergebnisorientierung. Die bürgerliche Ideologie ist eine erstaunlich variationsreiche Begleiterscheinung der kapitalistischen Organisation all unserer Lebensbereiche. Ideologiekritik muss also auf diesen Zug der Variationsmanie des Kapitals aufspringen. Wo alles verwertbar wird, kann das Proletariat nicht weit sein. Die Entgrenzung der Arbeit zieht eine Entgrenzung des Proletariats nach sich. Das unternehmerische Subjekt kann nicht die Instanz des Unternehmens und den Mechanismus als Selbstausbeutung internalisieren, ohne gleichzeitig ein Moment des Ausgebeuteten/Proletarischen zu produzieren. Es findet eine Inversion des Proletariats als Klasse statt. In deren Folge ist das Individuum nicht Teil des Proletariats, sondern das Proletariat Teil des Produktionsprozesses der eigenen Identität. Wir haben es mit proletarischen Splittern zu tun. Es ist das mich, das ich motivieren muss. Ich als Unternehmerin, die mich an die Anforderungen des Arbeitsmarktes anpasst. Ich als Fitnesstrainer, der mich für die Strandfigur fit macht. Ich als Gesundheitscoach, der meine Darmflora überwacht. Ich als Marketingexpertin, die für mich den besten Club raussucht, meine Likability checkt, und schließlich als Finanzberaterin, die mich auf Schnäppchenjagd durchs Netz hetzt. Folgt man der unternehmerischen Logik des Produktionsprozesses von Identität, die auf der Entfremdung/dem Ausschluss des Proletariats vom Produkt seiner Arbeit basiert, nimmt es nicht wunder, dass auch das innere Proletariat am Ende keinen sicht- und sagbaren Anteil an seinem Arbeitsprodukt hat. Das Proletariat ist nach erfolgreicher Selbstoptimierung weggepudert, wegfrisiert, abgewaschen, überwunden. Wenn ich mich einmal zusammengerissen habe, wo versteckt sich das vormals Un-Zusammengerissene?
Das kann sich jetzt kurz ein bisschen seltsam anfühlen: MRX-Maschinen-Sonden-Einführung als Reaktion auf das unternehmerische Subjekt, als Verfolgung der Internalisierung des Klassenkampfs. Wenn das Unternehmertum einen bis ins Schlafzimmer verfolgt, ist es sinnvoll, die Instrumente des Klassenkampfes nicht im Spind oder im Gewerkschaftshaus liegen zu lassen. Den Pflug durchs Wohnzimmer und die Schnittstellen der digitalen Datenplantagen zu ziehen, die versteinerte Erdkruste zu öffnen, durch die Brille des Wertgesetzes zu sehen, ist ein Trip, der nicht zur beruflichen Weiterqualifizierung und nicht zum Aufbau einer straffen Gewerkschaftsbürokratie taugt. Die proletarischen Spuren lassen sich nicht in der Mitgliedskartei verzeichnen. Trotzdem wird sich die Suche nicht auf den Privatbereich beschränken können. MRX-Leaks. Die Rede von der Internalisierung und dem inneren Proletariat ist keine Einschließung in die Innerlichkeit, sondern die Verfolgung der Linie der Ausbeutung/Kollaboration, die die Grenze zwischen dem Individuum und der Gesellschaft durchkreuzt. Die Grenze wird durch Ausbeutung erst gezogen. Das Feld des Proletarischen wird nicht solipsistisch in das Feld des Individuums verschoben, sondern angebunden und erweitert.
Der Text, der hier als Laboratorium der Proletariatsverpflanzung entsteht, bestreikt Marx als Kapital der Wissenschaft, an dem es sich seinen Arbeitsvorgaben gemäß als Lohnarbeiterin zu verdingen gelte. Wenn die Ausgangslage eine Welt ist, die mit allen Mitteln versucht, uns zum arbeiten zu verleiten, will MRX-Maschine mindestens selbst als Verschwendung von Arbeitskraft und Lebenszeit fungieren.11 Ihr Motto ist das Paradox: Jede leistet ihren Beitrag zum Projekt, keinen Beitrag zu leisten. Oder Marx:
»Aber ich muß meinen Zweck durch dick und dünn verfolgen und der bürgerlichen Gesellschaft nicht erlauben, mich in eine money-making machine zu verwandeln.«12
MRX-Maschine kommt aus den Bettelbriefen des Geldverschleuderers gekrochen, über die die bürgerliche Gesellschaft bis heute schmunzelt, als wäre Marx mit seinem »Scheitern« am kapitalistischen System das theoretische Scheitern nachzuweisen. Erfolg, heißt es, sei das Maß, das allein in monetärem Reichtum (heute auch: medialer Aufmerksamkeit) und bürgerlicher Verantwortlichkeit gegen Freunde, Familie und Gläubiger bemessen werden könne. MRX-Erfolg wäre aber viel eher, dass die Kategorie des Erfolgs keinen Sinn mehr ergibt. Oder mit den Worten des prol-loving Kommunistenrappers Boots Riley »I got love for the underdog«.13