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MS Stariana Nichts ist schlimmer als die Wahrheit Er ist Deine ganz große Liebe. Am Tag der Hochzeit erfährst du die Wahrheit über ihn. Danach ist nichts in deinem Leben mehr so, wie es schien! Bereits zwei schwere Schicksalsschläge hat die 29- jährige Victoria hinter sich, als sie Weihnachten 2018 Alexander in Berlin begegnet. Für Victoria und Alexander ist es die sprichwörtlich große Liebe auf den ersten Blick. Für ihr Umfeld aber, ist es eine Beziehung, die es zu zerstören gilt. Bei ihrer vermeintlichen Traumhochzeit auf der MS Stariana, erfährt Victoria die Wahrheit über Alexander, die ihr gesamtes Leben für immer verändern wird.
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Seitenzahl: 298
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Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Epilog
Für
Mathias
Tief atmet Vicky die frische Meeresbrise ein, als sie mit ihrer Tante Tessa am Arm das Pooldeck betritt. Einen Wimpernschlag lang hält Vicky noch einmal inne, bevor sie über den roten Teppich zum Traualtar schreitet. Links und rechts des Schiffes ist weit und breit nur Wasser zu erkennen. Der seichte Seegang fühlt sich für Vicky angenehm schaukelnd an und lenkt sie von ihren zittrigen Knien ab. Gott sei Dank ist Tessa bei ihr, an deren Arm sie sich festklammern kann. Nie hätte Vicky es für möglich gehalten, dass sie noch einmal so glücklich sein könnte. Nach den letzten schweren Jahren, die sie hinter sich hat und in denen ihre beiden Eltern verstorben sind. Gerade einmal 28 Jahre war sie alt und schon Vollwaise. Aber dann kam er in ihr Leben. Alexander!
Noch drei Meter und sie hat Alex erreicht, der bereits mit seinem Vater vor dem Altar steht und auf sie wartet. Alex, ihr absoluter Traummann. Kurz geht sie in Gedanken noch einmal das Eheversprechen durch, das sie ihm gleich geben will.
„Alex, wir kennen uns zwar erst seit sechs Monaten aber unsere Herzen haben von Anfang an im Gleichtakt geschlagen, so als würden wir uns schon ewige Zeiten kennen. Diese Magie, mit der ich mich zu dir hingezogen fühle. Das Kribbeln, das mir durch den ganzen Körper fährt, wenn du mich anlächelst, habe ich noch nie zuvor erlebt. Leider hatten wir in der kurzen Zeit, auch schon mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen, die uns aber nicht entzweit haben, sondern nur noch näher zueinander gebracht haben. Deshalb ist heute der glücklichste Tag in meinen ganzen Leben, denn von nun an werden wir als Mann und Frau Hand in Hand, gestärkt von unserer außergewöhnlichen Liebe, durchs Leben gehen.“
Noch einen Meter dann hat sie es geschafft und ihr neues Lebensglück kann beginnen. Während Vicky langsam weiter vorwärtsschreitet, streckt Alex schon beide Arme nach ihr aus. Er ergreift ihre Hände und flüstert: „Du siehst so zauberhaft aus.“
Dann wendet Alex sich an Tessa: „Wunderbar, dass du heute dabei sein kannst. Darf ich dir meinen Vater vorstellen? Valerius Schmidt. Und dass Papa, ist Teresa Hofmann, Vickys Tante.“
Alex versucht gerade noch verstohlen seine Tränen aus den Augenwinkeln wegzublinzeln als Kapitän Bergmann bereits hinter ihm steht.
„Ich würde nun Herrn Alexander Schmidt und Frau Victoria Andersen zu mir bitten und die Trauzeugen und übrigen Gäste auf ihre Plätze.“
Vicky und Alex, die nun mit dem Rücken zu den Gästen stehen, fassen sich an den Händen und schauen Kapitän Bergmann aufgeregt und nervös an.
„Liebes Brautpaar, es freut mich, dass sie sich dazu entschieden haben, den Bund der Ehe hier auf unserem bildschönen Schiff, der MS Stariana zu schließen. Aus meiner langjährigen Erfahrung weiß ich allerdings, dass sie so schnell wie möglich „Ja“ sagen wollen. Erstaunlich eigentlich bei diesem wundervollen Panorama-Meeresblick“, beginnt Kapitän Bergmann schmunzelnd.
Vicky drückt Alex Hand, die sich genauso zittrig und feucht anfühlt wie ihre.
„Darum werde ich ihrem Wunsch nachkommen und gleich ohne Verzögerung mit der Zeremonie beginnen.
Wenn jemand der hier Anwesenden etwas gegen diese Verbindung einzuwenden hat, möge er jetzt sprechen oder für ewig schweigen.“
Stille
„Dann frage ich Sie, Alexander Schmidt, wollen Sie die hier anwesende Victoria Andersen, in guten wie in schlechten Tagen...“
Tessa springt auf, zeigt mit dem Finger auf die beiden und schreit: „Nein, sie heiraten nicht!“
Erst 22:30 Uhr, stellt Vicky mit einem schnellen Blick auf ihr Handy fest. Viel zu früh am Abend, um nach Hause zu gehen. Das würde Mellie ihr nie verzeihen, die heute ihren lang ersehnten Jura Abschluss an der FU Berlin feiert. Schade, dass Nina, ihre andere beste Freundin von ihrer Dreierclique, eine schwere Erkältung plagt und sie heute nicht mitkommen konnte, denkt Vicky an diesem Abend schon zum xten-mal. Nina, die eine richtige Partymaus ist, liebt Feiern und Veranstaltungen über alles, weshalb Vicky sich sonst immer schon recht früh am Abend verabschieden kann. Nina feiert garantiert für sie mit.
Vicky freut sich ja von ganzem Herzen für Mellie, dass sie so ein hervorragendes Examen geschafft hat.
Sie hat es auch wahrhaftig verdient, so hart wie sie in den letzten Jahren gebüffelt hat. Aber diese Studentenpartys in den Unigebäuden hat sie schon früher, zu ihren eigenen Studienzeiten, überhaupt nicht gemocht. Die stickige Luft und das furchtbare Gedrängel. Drinnen ist es unerträglich heiß und draußen herrschen seit heute Minusgrade. Aber jammern hilft ja bekanntermaßen nicht. Also lächeln und das Beste draus machen, das gelingt ihr meistens sehr gut.
„Vicky, schau doch mal, da sind Sebastian und Alexander“, reißt Mellies Stimme Vicky aus ihren Gedanken. Sie spürt, wie Mellie an ihrer schwarzen Bluse zupft.
„Lass uns unbedingt gleich zu ihnen rüber laufen.“
Mellie schiebt Vicky in Richtung der provisorischen Bar, die mit weißem Krepppapier verkleidet ist.
„Hallo Jungs, na, habt ihr schon ordentlich gefeiert?“, fragt Mellie und umarmt erst Sebastian und anschließend Alexander zur Begrüßung.
„Nee, leider noch nicht, wir sind gerade erst angekommen. Aber was nicht ist, kann ja noch werden“, erwidert Sebastian fröhlich.
„Ach, wie herrlich, dass ich euch sofort gesehen habe“, freut sich Melli.
„Das ist übrigens meine Freundin Victoria. Und das ist Sebastian, du weißt schon Vicky, der mit mir zusammen studiert hat. Und Alexander, der war zwei Semester über uns und hat vor einem Jahr seinen Abschluss geschafft.“
„Na, dann herzlichen Glückwunsch zum Examen, Sebastian. Und dir Alexander herzlichen Glückwunsch nachträglich“, gratuliert Vicky beiden freundlich.
„Alex bitte, Alexander nennt mich nur meine Mutter, wenn ich Mist gebaut habe.“
„Ok, dann gerne Alex, wir wollen doch nicht, dass du den ganzen Abend denkst, deine Mutter schimpft mit dir“, entgegnet Vicky schmunzelnd. „Und mich nennen auch alle Vicky. Mit dem Namen Victoria stellt mich Mellie nur zu besonderen Anlässen vor.
Demnach muss heute ein ganz besonderer Tag sein.“
„Welche Ehre Alex, dass du mit uns niedrigerem Semester feierst“, wirft Mellie aufgekratzt ein.
„Bei zwei so brillanten, zukünftigen Juristen ist es mir eine Freude, mit euch anstoßen zu dürfen. Was kann ich den Ladys denn zu trinken bringen?“
„Was hast du denn Alex?“, fragt Mellie und schnuppert an seinem Glas. Einen Wodka Lemon?
Den nehme ich auch.
„Ich hätte gerne einen Weißwein“, antwortet Vicky.
Alex deutet eine Verbeugung in Richtung Vicky an.
„Kommt sofort.“
„Alex, du Charmeur, so kenne ich dich ja gar nicht.
Wenn du noch eine Hand frei hast, bring deinem alten Kumpel doch netterweise ein Bier mit.“
Alex kehrt Minuten später mit den Getränken zurück. Es entwickelt sich eine lustige 4er Runde, in der sie über Gott und die Welt quatschen, lachen und erstaunlicherweise kaum gefachsimpelt wird.
Daher ist die Zeit nahezu verflogen, wie Vicky überrascht feststellt, als sie zufällig das nächste Mal auf die Uhr schaut. Jetzt kann sie sich guten Gewissens verabschieden.
„Mellie, es ist schon halb eins. Ich gehe dann mal.
Aber ich wünsche dir noch ganz viel Spaß, und feiere ordentlich mit den Jungs, du hast es dir wirklich verdient.“
Bevor Mellie etwas erwidern kann, kehrt Alex von der Toilette zurück, schnappt sich seine blaue Kapuzenjacke und verkündet: „So, für mich ist ebenso Schluss, ich wollte auch gerade Tschüss sagen.“
„Mensch Alex, du wirst doch nicht tatsächlich schon gehen“, protestiert Mellie.
„Leider muss ich wirklich los“, antwortet Alex.
„Ach, komm Sebastian sag du ihm doch mal, dass er bleiben soll. Der Abend ist ja noch so jung“, drängelt Mellie.
„Alex, du hast es ja gehört, die Dame legt Wert auf deine Anwesenheit. Also, nicht doch noch einen leckeren letzten Drink?“
„Leute, danke nein. Sehr schmeichelhaft, dass ihr mich noch dabeihaben wollt, aber für mich ist jetzt Feierabend, ich bin auch ganz schön müde.“
Vicky greift ihre karamellfarbene Tasche und drängelt sich in Richtung Ausgang. Sie bemerkt nicht, dass Alex mit großen Schritten hinter ihr herläuft. An der Türe des Unigebäudes greift er über Vickys Schulter hinweg, um diese zu öffnen. Dabei beugt er sich zu Vicky hinunter und erkundigt sich freundlich: „Kann ich dich noch irgendwohin mitnehmen?“
„Danke, das ist nett von dir Alex, aber ich wohne eine Querstraße weiter. Das schaffe ich gerade noch alleine“, antwortet Vicky lachend.
„Dann werde ich dich natürlich ganz gentlemanlike über die Straße bis zur Haustüre geleiten, wenn es dir recht ist. Ich glaube, mein Auto steht da auch irgendwo in der Richtung.“
Als sie aus dem Gebäude heraus auf die Straße gelangen, kann Vicky es kaum fassen, als eine kleine Flocke auf ihre Nase rieselt: „Ach, wie herrlich, der erste Schnee und das so kurz vor Weihnachten“, freut sie sich und guckt auf den weiß verschneiten Gehweg. „Für dich wird das sicher nichts Besonderes sein, da du ja aus München kommst, wo die Landschaft fast den ganzen Winter so aussieht.“
„Da hast du recht“, stimmt Alex ihr zu, während er das Gesicht in den Himmel reckt. „Aber ich bin noch nicht so abgestumpft, dass ich mich nicht über die weiße Pracht und eine ordentliche Schneeballschlacht freuen würde.“
Sie laufen nebeneinander die Garystrasse knapp 100 Meter entlang, dann biegt Vicky rechts in die Ihnestrasse ein und bleibt kurz darauf vor einem roten Backsteinhaus aus den 30 er Jahren stehen.
Vicky zeigt auf eine grüne Eingangstüre: „So, wir sind schon da, hier wohne ich.“
„Na, das ist ja wahrhaftig um die Ecke. Da hätten wir zu meinem Auto länger gebraucht“, bemerkt Alex.
„Aber selbst die paar Meter, haben mir schon gutgetan. Diese herrlich frische Nachtluft nach dem stickigen Mief dort drinnen ist eine reine Wohltat.“
„Ist ja witzig, ich empfinde das auch immer so. Aber warum warst du denn überhaupt dort, wenn du solche Partys ebenfalls nicht so leiden kannst?“
„Sebastian, mein bester Kumpel, hat ja seinen Abschluss gemacht, da feiere ich natürlich mit ihm.
Durch ihn kenne ich übrigens auch deine Freundin Mellie, ich war ja nur zwei Semester über den beiden.
In diesem kleinen Gebäude begegnet man sich ja zwangsläufig öfter. Der ganze Fachbereich Jura umfasst gerade mal 2.700 Studenten.“
„2.700 Menschen? Da kann ich mir gut vorstellen, dass man sich öfter über den Weg läuft. Das ist ja sogar weniger, als heutzutage Passagiere auf ein Kreuzfahrtschiff passen.“
„Lustiger Vergleich“, lacht Alex. „Hast du denn schon öfter eine Kreuzfahrt mitgemacht?“
„Nein, leider noch nicht, aber es ist mein Lebenstraum.“
„Wer weiß, vielleicht erfüllt er sich ja bald. Was machst du denn eigentlich beruflich?“, fragt Alex.
„Darüber haben wir ja den ganzen Abend gar nicht gesprochen.“
„Ach, seufzt Vicky „Das ist wirklich eine längere Geschichte.“
„Aha, eine längere Geschichte, na die würde ich zu gerne hören. Leider eigne ich mich nicht zum Helden, der einen heroischen Tod durch Erfrierung stirbt.“ Alex pustet in seine Hände und stapft dabei vom linken auf den rechten Fuß.
„Ich dachte, du seist so müde“, wundert sich Vicky.
„Ja, aber das war, bevor ich wusste, dass es so eine spannende Geschichte zu hören gibt“, zwinkert Alex.
„Wenn wir hier in der Nähe noch in ein Lokal gehen könnten, was offen hat, würde ich mich sehr freuen.“
Vicky öffnet ihre Handtasche und kramt umständlich nach dem Schlüssel, um etwas Zeit zu gewinnen.
Schließlich kennt sie Alex ja erst seit ein paar Stunden.
„Na, bei so einer charmanten Selbsteinladung kann ich ja kaum Nein sagen. Um diese Uhrzeit hat im beschaulichen Dahlem natürlich nichts mehr offen.
Dann komm mal mit hoch. Hoffentlich bereue ich es nicht und du entpuppst dich als Massenmörder.“
Sie laufen zwei Stockwerke durch das mit rotem Teppich ausgelegte Treppenhaus. Oben angekommen schließt Vicky ihre Wohnungstüre auf.
Alex läuft direkt hinter ihr, schaut sich sofort neugierig um und staunt: „Oh, wow, was für eine tolle Dachgeschosswohnung. Solche gelben Wände habe ich ja noch nie gesehen. Und dazu so hübsche Rattanmöbel.“
„Ja“, erwidert Vicky, „mir ging es auch so. Ich habe mich gleich vom ersten Moment an in sie verliebt.
Ich wollte schon immer so eine wunderbar sonnige und gemütliche Wohnung haben. Die Wandfarbe nennt man übrigens sonnenblumengelb.“
Vicky deutet mit der linken Hand auf das beigefarbene Sofa, neben dem eine herrlich große, grasgrüne Fächerpalme steht.
„Na, dann setzt dich mal, aber ich habe nur Wein und kein Bier da.“
„Das macht gar nichts, ich trinke selten Bier, sondern am liebsten Wein.“
„Ach, ich denke, du bist aus München, da nehmen doch alle hauptsächlich Bier zu sich.“
„Hahaha, lustiges Vorurteil, aber es stimmt tatsächlich. Ich bin allerdings in Berlin geboren worden und meine Eltern sind erst nach München gezogen, als ich schon fünf war. Wahrscheinlich habe ich deshalb das bayrische Bier-Trinker-Gen nicht mitbekommen,“ witzelt Alex. „Im Gegenteil ich bin sogar Stammkunde bei drei wunderbaren, kleinen Weinhandlungen. Deren Adresse kann ich dir gerne mal per WhatsApp schicken, wenn Du Interesse an besonderen Weinen hast.“
„Das klingt interessant. Dann hole ich uns jetzt erst einmal was aus meiner privaten Weinhandlung zu trinken. Hoffentlich beleidigt der gewöhnliche Tropfen nicht deinen Feinschmeckergaumen,“ witzelt Vicky.
Vicky kommt mit 2 Gläsern Rotwein, einer Pistazienpackung und einer Chipstüte unter dem Arm geklemmt zurück.
Alex lehnt sich auf dem Sofa gemütlich nach hinten, prostet Vicky zu und bemerkt: „Na, dann bin ich jetzt ja sehr gespannt darauf, warum du vorhin zu mir gesagt hast, dein Leben sei eine längere Geschichte.“
Vicky holt tief Luft, schaut Alex in seine tiefblauen Augen und erwidert: „Na gut, aber ich denke, die Kurzfassung reicht erst einmal. Also, ich habe in dem kleinen Nachbargebäude von deinem Juracampus, dass sich auch gleich hier auf der Straße gegenüber befindet, BWL studiert. Dann habe ich direkt im Anschluss einen Job bei eBay, als Groth Advisor angenommen. Der war zwar ganz in Ordnung, aber nicht so sonderlich erfüllend. Tja, und dann ist vor 3 Jahren mein Vater recht überraschend mit 62 Lebensjahren gestorben. Vor 12 Monaten dann ebenfalls ganz plötzlich, aus heiterem Himmel, meine Mutter mit erst 55 Jahren.“
Alex fährt sich mit der Hand durch sein kastanienbraunes Haar und stammelt: „Oh mein Gott, das tut mir wahnsinnig leid.“
„Ja, das war entsetzlich. Weißt Du, ich stand auf einmal vollkommen alleine da. Dieser Schock zu sehen, wie schnell alles zu Ende sein kann, hat mich dann auch dazu bewogen den Job, den ich eh nicht so toll fand, aufzugeben. Und mit meiner kleinen Erbschaft habe ich mich jetzt getraut, ein Schriftstellerstudium an der Fernuniversität ILS anzufangen. Also, mein allergrößter Traum wäre es später einmal eigene Kinderbücher zu schreiben.
Meine Mutter war nämlich Illustratorin, und hat so wunderbare, kreative Zeichnungen für Kinderbücher entworfen. Das hat mich mein Leben lang schon fasziniert und begeistert. Zeichnen kann ich leider gar nicht, texten jedoch recht gut. Tja, und um mir jetzt nebenbei ein bisschen was dazu zu verdienen, verfasse ich Exposés für eine bekannte Berliner Hausverwaltung. Ich hoffe aber inständig, dass ich dies nicht mehr allzu lange machen muss.“
Vicky greift sich die Packung Pistazien, reißt sie auf und legt sich eine Handvoll Nüsse auf den Schoß.
Alex, der ihr gebannt zugehört hat, blinzelt einmal und antwortet nach kurzem Zögern: „Mensch Vicky, da hast Du ja schon einiges, in deinem Leben ertragen müssen. Aber weißt du was? Obwohl ich dich erst so kurz kenne und es eigentlich gar nicht beurteilen dürfte, finde ich die Idee mit dem Schreiben super und das es perfekt zu dir passt.“
„Danke, ich bin auch täglich froh über diese Entscheidung.“
„Was auch witzig ist, ist die Parallele mit der Immobilienbranche. Denn meine Mutter ist nach der Trennung von meinem Vater, da war ich so 15 Jahre alt, zurück nach Berlin gezogen und hat dort eine Zeitlang als Maklerin gearbeitet. Irgendwie ein merkwürdiges Völkchen,“ bemerkt Alex.
Vicky streicht sich eine Strähne ihres goldblonden, schulterlangen Haares hinter das rechte Ohr und stimmt Alex Augen verdrehend zu.
„Ansonsten ist mein Leben, im Gegensatz zu deinem, recht glatt verlaufen. Bis auf die Scheidung meiner Eltern. Ich bin dann bei meinem Vater geblieben und hab in München mein Abitur gemacht.
Im Anschluss bin ich dann zum Jurastudium nach Berlin gegangen. Und seit einem Jahr habe ich einen guten und zum Glück auch sehr interessanten Job bei einer großen Anwaltskanzlei.“
Als Alex zu Ende erzählt hat, sind beide Gläser leer.
Vicky entschuldigt sich kurz und läuft in das weiß geflieste Badezimmer. Während sie sich die Haare bürstet, fällt ihr Blick auf den goldenen Flacon ihres Lieblingsparfums von Dolce & Gabana. Nein Vicky, ermahnt sie sich selbst, zu dieser späten Stunde brauchst du ganz bestimmt kein Parfum, du bist doch sonst so vernünftig. Sie schaut wehmütig ihr Spiegelbild an, wünscht sich, es wäre anders und sie würde nur ein einziges Mal unvernünftig sein, greift beherzt die Flasche und besprüht sich am Hals und an den Handgelenken. So, nun wird sie als ausgezeichnete Gastgeberin Alex Glas noch einmal nachfüllen. Sie öffnet die Türe, läuft zurück in das Wohnzimmer, wo Alex bereits mit seinem Handy in der Hand in der Mitte des Raumes steht.
„Ich habe gar nicht gemerkt, wie die Zeit verflogen ist, aber jetzt muss ich dringend aufbrechen.“
„Ääähh was?“
„Gibst Du mir deine Telefonnummer, damit ich dir die Adressen der Weinhandlungen schicken kann?“
„Ja, ja ok : 0172-9999999.“
Alex tippt die Nummer im Laufen ein, steht dann bereits an der Wohnungstüre und verabschiedet sich:
„Danke, noch einmal für den unerwartet schönen Ausklang des Abends.“
Alex beugt sich zu ihr herunter und berührt ganz leicht mit seinen Lippen ihre linke Wange.
Desgleichen auf der rechten Seite. Langsam richtet er sich auf, guckt Vicky in ihre geheimnisvollen dunklen Augen, umschlingt ihre Taille mit der rechten Hand, zieht sie zu sich heran und küsst sie voller Begehren.
Wie magisch voneinander angezogen fallen sie übereinander her und stolpern in das Schlafzimmer.
Vicky genießt Alex hemmungslose Leidenschaft genauso sehr wie seine intensiven Zärtlichkeiten. Im Morgengrauen befreit sich Alex vorsichtig aus ihren Armen, greift seine Anziehsachen und läuft auf Zehenspitzen aus dem Zimmer. An der Schlafzimmertüre dreht er sich noch einmal um, bevor er sie ganz leise zu zieht. Versonnen lächelnd schaut Vicky ihm hinterher.
„Prost Vicky, cheers Mellie“, ruft Nina laut lachend über den Tisch. „Ach, wie herrlich, dass wir unser monatliches Treffen gleich in der ersten Woche im neuen Jahr geschafft haben. Und dann in meinem Lieblingsrestaurant, das leckerste indische Restaurant in ganz Steglitz.“
„Na kein Wunder, dass wir bei deinem Favoriten essen, wenn du mit Lokal aussuchen dran warst“, schmunzelt Mellie.
Nina erhebt ihr Weißweinglas: „Ich wünsche Euch auf jeden Fall, dass all eure Neujahrswünsche in Erfüllung gehen. Mellie, Du wirst dir ja garantiert einen fantastischen Job gewünscht haben. Ach, es war ja so traurig, dass ich bei deiner Abschlussfeier Grippe hatte und nicht dabei sein konnte. Wie war es denn?“
„Oh das Gefühl war herrlich, endlich fertig mit Jura zu sein. Wir haben alle krass gefeiert. Ich glaube, ich war erst so gegen 5 Uhr früh zuhause. Ach ja, Vicky was ich noch fragen wollte, du bist ja zusammen mit Alex gegangen, war denn da noch was?“
Vicky starrt Mellie fassungslos an.
Zwei endlos lange Wochen sind seit dem Abend vergangen und Alex hat sich nie wieder gemeldet.
Dummerweise hat sie Alex damals an der Haustüre nur ihre Telefonnummer gegeben und hat sich seine nicht notiert. Es gibt ja fast nichts Schlimmeres im Leben als Warten. Diese zwei Wochen waren eine einzige Qual. Natürlich hätte sie sich bei Mellie erkundigen können, ob diese wiederum Sebastian nach Alex Nummer fragen kann. Aber wie demütigend wäre das denn? Wenn er sich nicht bei ihr meldet, wird es ja wohl einen Grund haben. Er war bei Ihr. Sie hatten eine traumhafte Nacht. Er hat ihre Nummer. Sie seine nicht. Was er, da er ja intelligent ist, auch weiß. Und er meldet sich nicht.
Was also bitte schön soll man da denken? Und warum soll sie sich der noch schlimmeren Peinlichkeit aussetzen und ihm hinterherlaufen...?
Nina, die so oft den Freund wechselt, dass Vicky und Mellie sich nicht einmal mehr die Mühe machen, sich die Namen zu merken, sondern den jeweiligen Herren nur noch als Mr. X bezeichnen, würde ausflippen vor Freude, wenn sie ihr von der Nacht erzählt. Sie würde Vicky beglückwünschen, dass sie endlich mal das Leben genießt. Und so einen heißen one night stand hatte.
Nur leider ist es überhaupt kein schönes Gefühl. Im Gegenteil, es geht ihr einfach nur schlecht. Sie hat sich tatsächlich nach nur einer Nacht wahnsinnig verliebt. Ständig wechseln sich Vickys Empfindungen ab. Wut, Enttäuschung, Traurigkeit und Demütigung gepaart mit einem klitzekleinen Hoffnungsschimmer, dass er sich doch noch meldet und einen triftigen Grund hatte. Flugzeugabsturz, Pest, Orkan, Beinbruch.…ach, ein reinstes Gefühlschaos!
Auch Mellie, die seit 4 Jahren eine on off Beziehung zu ihrem verheirateten Tutor unterhält, wird ganz sicher nicht den moralischen Zeigefinger erheben.
Vielleicht kann sie das Gefühlschaos ja sogar am ehesten verstehen.
Aber wie unfassbar peinlich wäre es, wenn Alex Sebastian von der Nacht erzählt hat und er dann wiederum Mellie. Da würde sie ja vor Scham im Boden versinken. Hat er mit seiner Eroberung geprahlt? Oder wie öde sie war? Aber nein.
Eigentlich kann Mellie ja nichts wissen, sonst hätte sie ja gerade nicht nachgefragt. Und jetzt wo das Studium zu Ende ist, sieht sie Sebastian auch nicht mehr. Privat haben sie sich in all den Jahren ja scheinbar nicht so oft getroffen.
Vicky versteht das einfach alles wirklich nicht.
Warum, warum, warum nur meldet er sich nicht?
Vicky greift ihr Glas, schwenkt es ein wenig herum, schaut die beiden an und sagt: „Was soll schon gewesen sein? Ich bin nach Hause gegangen und er ist das Stück mitgelaufen, da sein Auto in der Richtung stand.“
Vicky seufzt innerlich zutiefst erleichtert auf, als just in dem Moment die Kellnerin mit dem Essen kommt. Sie hat ihr Lieblingsgericht Lamm Mutton Masala in einem leckeren Tontopf bestellt.
Erstaunlich, dass sie überhaupt einen Bissen runterkriegt. Aber so war sie schon immer. Sie liebt ausgezeichnetes Essen über alles. Und Kochen ist ihr größtes Hobby. Egal wie miserabel es ihr geht, was für schmerzhafte Zeiten sie erlebt hat, den Appetit hat es ihr nie verschlagen.
Die drei plaudern derweil weiter über Neujahrswünsche und Zukunftspläne und zum Glück fällt es den beiden Freundinnen nicht auf, dass Vicky sich kaum mehr an dem Gespräch beteiligt.
Nach dem Abendessen, als sie sich alle verabschiedet haben und Vicky alleine in ihren weißen Renault Twingo steigt, grübelt sie während der Autofahrt noch einmal über die verfahrene Situation nach.
Hoffentlich war es die richtige Entscheidung gewesen, den Freundinnen nichts zu erzählen. Aber die ganze Sache ist schlicht und ergreifend zu peinlich für sie, um es anderen mitteilen zu können.
Wenn Vicky an diese überwältigende Anziehungskraft, die sie gespürt hat, denkt, ist sie immer noch sprachlos, dass es so etwas wirklich gibt und nicht nur in kitschigen Liebesromanen geschrieben steht. Wie vermag jemand diese Magie verstehen, der es selbst noch nicht erlebt hat? Sie ist ja auch nicht naiv oder blauäugig, doch konnte sie sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass es nur für sie so einmalig gewesen sein soll. Denn das war eine so wunderbar intensive Nacht und solche Gefühle hatte sie nicht ein einziges Mal in den ganzen fünf Jahren mit ihrem Exfreund Kai empfunden.
Kai und sie haben sich vor knapp zwei Jahren in gegenseitigem Einvernehmen getrennt. Sie waren zwar gleichaltrig, doch er wollte erst einmal das Leben genießen, bevor er sich fest bindet oder gar eine Familie gründet. Selbst eine gemeinsame Wohnung war ihm zu viel und eine zu enge Bindung.
Vicky hingegen strebte schon immer genau das Gegenteil an. Ihr allergrößter Traum ist es eine eigene Familie und Kinder zu haben. Das war auch der einzige Wermutstropfen in ihrer sonst glücklichen Kindheit, dass sie keine Geschwister hatte und Einzelkind war. Sie wünscht sich von ganzem Herzen eine große fröhliche Familienbande und dass sie dann von zuhause aus arbeiten und Bücher schreiben kann. Nun wird sie ja in vier Monaten bereits 30 Jahre alt. Vicky war zwar nie konkret auf der Suche nach einem Partner. Denn nach all den Schicksalsschlägen der letzten Jahre war sie die meiste Zeit so damit beschäftigt gewesen, überhaupt den normalen Alltag zu schaffen. Doch jetzt rennt ihr ein bisschen die Zeit davon.
Aber wie unsagbar peinlich wäre es, den beiden Freundinnen zu erzählen, dass die vernünftige Vicky einen one night stand gehabt hatte. Und während sie von einer gemeinsamen Zukunft träumte, hat sich der Kerl kaputtgelacht und sich nie wieder gemeldet.
Traurig schließt sie ihre Haustüre auf. Zuhause angekommen, schlendert sie in ihre gemütliche weiß - beige gehaltene Wohnküche im Landhausstil. Neben einem großen Tisch für vier Personen und den vier weißen Korbstühlen liebt sie ihre Urlaubsbilder an den Wänden am meisten. Sie setzt sich, legt die Beine auf den andern Stuhl, checkt noch einmal ihr Handy und stellt, Wunder oh Wunder, fest, dass wieder keine Nachricht von IHM gekommen ist. Also beschließt Vicky, sich an den bekannten Spruch zu halten: Hinfallen, Aufstehen, Krone richten und weitermachen. Das ist ihr in den letzten Jahren ja schon ein paar Mal gelungen.
Und hoffen, dass sie alles vergessen kann und ganz schnell Gras über die Sache wächst.
Vicky erwacht, wie meistens in den letzten zwei Wochen, mit einem traurigen Gefühl. Bedrückt steht sie auf, schleicht in die Küche und gießt sich ein Glas eisgekühlten Orangensaft ein. Lustlos schmiert Vicky sich ein Toast mit Camembert und Preiselbeermarmelade, schnappt sich ihr Handy und - wunder oh Wunder – es ist eine Nachricht von IHM drauf. Ob sie sich morgen Abend verabreden könnten. Erst einmal setzen. Und tief Luft holen.
Sich zwei Wochen lang gar nicht zu melden und dann gleich ein Treffen für morgen vorzuschlagen ist ja sehr kurzfristig und äußerst merkwürdig. Also gar nicht zu antworten kommt für Vicky aber keinesfalls infrage. Sie will Alex ja schon sehr gerne sehen und vor allem hören, was er zu sagen hat oder ob er überhaupt was zu sagen hat. Gar nicht zu reagieren ist außerdem zickig und zeigt ja nur Vickys Verletzung über sein 14-tägiges Schweigen. Also beschließt sie, am besten ganz normal und cool zu antworten. Aber ein kleines bisschen zappeln kann er ja schon. Vicky schreibt ihm drei Stunden später zurück, dass er gerne morgen Abend um 19 Uhr zu ihr zum Essen kommen kann. Alex antwortet sofort.
Er freut sich sehr und wird pünktlich sein. So, nun heißt es, alles für den nächsten Abend vorzubereiten, viel Zeit hat sie ja nicht mehr. Eigentlich hat er es sich ja nicht verdient, dass Vicky sich solche Mühe gibt und sogar noch für ihn kocht. Aber ein möglicherweise unangenehmes Gespräch in einem öffentlichen Restaurant zu führen, will sie auf jeden Fall vermeiden.
Vicky ist den ganzen nächsten Tag unfassbar nervös.
Selbst das Einkaufen gehen und die Zutaten für das leckere Diner zu besorgen, was ihr sonst einen Heidenspaß macht, kann sie nicht ablenken. Wieder zuhause angekommen, beginnt sie, nach einem ausgiebigen Bad, mit den Vorbereitungen. Kochend und sich mehrfach umziehend und dabei noch den Tisch deckend, schafft Vicky es gerade so, rechtzeitig alles fertig zu bekommen. Sie hat sich unheimlich viel Mühe mit der Menüauswahl gegeben, und Avocado mit Shrimps als Vorspeise gewählt. Danach gibt es Farfalle mit Roquefortsauce, Parmaschinken, Rucolasalat und Walnüssen als Hauptgericht. Im Anschluss Mandeleis sowie zwei Flaschen Brunello di Montalcino dazu.
Wäre bloß zu schön, wenn er jetzt endlich mal kommen würde, denkt Vicky sich gerade noch, als es endlich 10 Minuten zu spät klingelt. Ach, welch Erleichterung, dass er tatsächlich da ist. Alex trägt legere Kleidung, hat weiße Rosen in der einen Hand und einen Chianti Nero in der anderen, weshalb die Begrüßung etwas holprig ausfällt, da er ihr nicht die Hand schütteln kann und ein distanzierter Wangenkuss wahrlich unangemessen wäre.
„Schön, dass du so kurzfristig für mich Zeit hattest, das hat mich wirklich sehr gefreut“, sagt Alex noch an der Türe stehend.
„Ja, ja, kein Problem“, murmelt Vicky. „Ich hatte heute zufällig nichts weiter vor. Komm doch rein und setz dich in die Küche. Ich öffne dann gleich mal den Wein.“
Sie gehen in die Küche und Vicky deutet auf den rechten weißen Korbsessel. Sie stellt die Blumen in eine Vase, setzt sich auf den gegenüberliegenden Stuhl, entkorkt die Flasche und gießt beiden ein:
„Na dann zum Wohl Alex.“
„Prost Vicky, das duftet ja verführerisch.“
Vicky steht auf und dreht sich in Richtung Herd um.
„Es ist noch nicht ganz fertig. Ich muss mich noch ein wenig um das Essen kümmern, sonst brennt es an.“
Stille entsteht.
„Ach, was gibt es denn Leckeres?“
Alex hebt den Kopf und starrt Vicky an, die beim Zubereiten der Sauce ist.
„Lass dich doch einfach überraschen“, erwidert sie verlegen.
Wieder herrscht Schweigen.
Vicky überspielt es und serviert kurz darauf die Vorspeisen.
„Das schmeckt wirklich ausgezeichnet.“
„Danke.“
Vicky steht auf, gießt noch einmal bei beiden Gläsern ein wenig Wein nach und serviert die Hauptspeise.
„Wirklich ausgesprochen gut. Wo hast du denn so fantastisch kochen gelernt?“
„Äääh, das war schon als Kind mein Hobby. Mit meiner Mutter und meiner Tante Tessa zusammen haben wir ganze Nachmittage in der Küche gestanden und so eine Art Kochevents veranstaltet.“
„Ach, wie spannend.“
„Ja.“
„Du hast dich bestimmt gefragt, warum ich mich nicht schon früher gemeldet habe.“
„Ja, das stimmt allerdings.“
„Puuhh, da bin ich aber froh.“
„Wie bitte?“
„Ach Mensch, ich bin so aufgeregt. Ich muss dir nämlich dringend etwas sagen.“
„Ok, dann schieß los. Kann ja nicht so schlimm sein“, fordert Vicky ihn auf.
„Also ich habe mich so lange nicht bei dir gemeldet, weil ich an dem Abend, den wir beide zusammen verbracht haben, noch eine Freundin hatte“, beginnt Alex stockend zu erzählen.
„Waas? Das ist doch nicht dein Ernst?“, stößt Vicky fassungslos hervor.
„Nie, nie im Leben hätte ich mich auf dich eingelassen und eine Nacht mit dir verbracht, wenn ich gewusst hätte, dass du vergeben bist.“
Vicky springt auf und knallt ihr Glas auf den Tisch.
„Was für eine Verarschung!“
„Vicky, bitte setz dich doch wieder und höre mir erstmal zu Ende zu.“
„Nee, danke mir reicht es. Mehr brauche ich, weiß Gott nicht, zu hören.“
„Bitte, Vicky setz dich.“
Vicky setzt sich widerstrebend, lehnt sich zurück und verschränkt die Arme vor der Brust.
„Am besten ich fange ganz von vorne an. Ich bin seit vier Jahren mit Stefanie, der Tochter von der besten Tennisfreundin meiner Mutter, zusammen gewesen.“
„Vier Jahre? Ich fasse es nicht. Nie würde ich eine Beziehung zerstören wollen. Da habe ich ganz klare Moralvorstellungen - im Gegensatz zu dir!“
„Vicky, bitte lass mich doch erst einmal zu Ende erzählen“, bittet Alex.
„Seit zwei Jahren haben wir zusammengewohnt. Ich kann nicht behaupten, dass ich unglücklich war, so ist es nicht, ich war zufrieden und hatte ein recht angenehmes Leben. Dann habe ich dich getroffen.
Und bei mir hat sprichwörtlich der Blitz eingeschlagen. Für mich ist es wirklich die große Liebe auf den ersten Blick gewesen.“
„Und das soll ich dir jetzt glauben? Wie einfallsreich“, stößt Vicky sarkastisch hervor.
Alex rauft sein kastanienbraunes Haar, reibt sich die Stirn, schaut Vicky an und fährt fort.
„Vicky, ich kann das deshalb so gut beurteilen, weil ich vorher noch nie etwas Vergleichbares erlebt habe.
Diese überwältigenden Gefühle von Schmetterlingen im Bauch, Herz klopfen und Magenkrämpfen vor Sehnsucht hatte ich noch nie in meinem Leben. Es war ja auch schon völlig untypisch für mich, dass ich gleich mit zu dir gegangen bin.“
„Soll ich dir jetzt dafür auch etwa noch dankbar sein?“, schnaubt Vicky entrüstet.
„So etwas habe ich wirklich noch nie vorher getan.
Dies war das allererste Mal, dass ich Steffi betrogen habe.
Vicky, ich konnte mich einfach nicht dagegen wehren.“
„Ach herrje, armer Junge, der so überrumpelt wurde, dass er sich nicht wehren konnte. Mir blutet das Herz!“
Alex fixiert Vicky mit seinen blauen Augen.
„Vicky, ich habe Steffi ein einziges Mal betrogen, und zum zweiten Mal wird es nie mehr kommen, da ich mit ihr Schluss gemacht habe.“
„Wie bitte?“
„Ja, du hast richtig gehört. Deshalb habe ich mich nicht bei dir gemeldet. Ich wollte dir erst gegenübertreten, wenn ich alles geklärt habe.“
„Jetzt fehlen mir ausnahmsweise mal die Worte“, stottert Vicky und streicht sich eine Strähne ihres goldblonden Haares hinter das Ohr.
„Was hast du denn in der Zeit geklärt?“
Alex verzieht den Mund zu einer schiefen Grimasse.
„Na ja, in den zwei Wochen nach unserer gemeinsamen Nacht, habe ich mich von Steffi getrennt, bin ausgezogen und wohne zurzeit bei Sebastian. Meine Mutter und Felicitas, die beste Freundin meiner Mutter, die gleichzeitig auch Steffies Mutter ist, reden seitdem, wie du dir sicher vorstellen kannst, kein Wort mehr mit mir. In meinem Tennisverein, wo Felicitas, meine Mutter und Steffi auch Mitglieder sind und meine gesamte Tennismannschaft, in der ich gespielt habe, meiden ebenfalls den Kontakt zu mir. Da muss ich mir wohl bald einen neuen Verein suchen. Nur Sebastian spricht noch mit mir, der spielt ebenfalls in meiner Mannschaft.“
„Stopp, jetzt mal ganz langsam zum Mitschreiben“, unterbricht Vicky ihn und legt die gefalteten Hände auf den Tisch. „Du bist in diesen 14 Tagen ausgezogen und hast mit deiner Mutter und fast deinem gesamten Umfeld den Kontakt gebrochen?“
„Ja.“
„Aber warum denn nur? So etwas tut man doch nicht so einfach.“
„Stimmt genau, so etwas nimmt man nur auf sich, wenn man absolut sicher ist, das Richtige zu machen.“
„Ich verstehe das alles noch nicht so ganz. Du konntest doch unmöglich wissen, wie ich darüber denke.“
„Genau, darum geht es Vicky. Guck doch mal, was für ein hohes Risiko ich eingegangen bin. Ich habe fast alles verloren, beziehungsweise mein altes Leben aufgegeben, ohne dass ich wusste, wie du reagieren wirst. Denn selbst wenn du nichts für mich empfunden hättest, hätte ich nie mehr mit Steffi zusammenbleiben können. Da ich in dieser Nacht zum ersten Mal gespürt habe, was Liebe ist und wie es sich anfühlen kann.“
„Aber Alex du scheinst völlig zu vergessen, dass du mich übel angelogen hast.“
Alex steht auf, kommt um den Tisch herum, kniet sich vor Vickys Stuhl und umfasst ihre Hände.
„Vicky, bitte antworte mir ehrlich. Hast du nicht auch gefühlt, dass es zwischen uns, was ganz Besonderes war? Etwas anderes kann ich gar nicht glauben!“
„Ja, natürlich habe ich das. Ich habe genauso wie du empfunden. Ich dachte bis dahin immer, so etwas gibt es nur in schlechten Kitschromanen.“
„Dann bitte Vicky, gib unserer Liebe doch eine Chance“, fleht Alex kniend.
„Ach Alex, mein Kopf sagt klar: Nein. Und mein dummes, kleines Herz schreit ganz laut: Ja, Ja, Ja!
Aber du musst mir hoch und heilig versprechen mich niemals wieder zu belügen.“
Alex steht auf, zieht Vicky vom Stuhl hoch, legt einen Arm um sie, streicht mit seinen Fingerspitzen über ihre Wange und sagt mit ernster Stimme: „Ich schwöre hiermit hoch und heilig dir immer nur die Wahrheit und nichts als die Wahrheit zu sagen.“
Einen Wimpernschlag später küssen sie sich voller Begehren und Stolpern eng umschlungen in das Schlafzimmer.
Sie erleben die nächsten Stunden einen Rausch an Gefühlen. Wilde Leidenschaft, sanfte Zärtlichkeit und magische Augenblicke, die nur ihnen beiden gehören.
Wundervolle, intensive Stunden später kuschelt Vicky sich in seine Arme. Schläfrig hört sie Alex an ihrem Ohr flüstern: „Ich habe gewusst, dass ich dir nicht widerstehen kann.“
„Ich hatte es so gehofft.“
„Ach was, seit wann das denn? Du warst doch so kühl und arrogant und wolltest nicht einmal, dass ich dich nach Hause bringe.“
„Als ich dir von meinem Leben erzählt habe, und dass meine Eltern kürzlich gestorben sind, habe ich gesehen, wie du eine Träne weggeblinzelt hast. In diesem Moment habe ich mich, glaube ich, schon in dich verliebt. Ich bin sogar extra ins Bad gegangen, um mich frisch zu machen, und habe mein Lieblingsparfüm aufgesprüht.“
„Ach deshalb hast du so verführerisch geduftet, und meinen eisernen Willen nach Hause zu verschwinden, gebrochen.“
„Hahaha, armer, verführter Junge…“