Mündliche, schriftliche und theatrale Wege der Praxisreflexion (E-Book) - Eveline Christof - E-Book

Mündliche, schriftliche und theatrale Wege der Praxisreflexion (E-Book) E-Book

Eveline Christof

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  • Herausgeber: hep verlag
  • Kategorie: Bildung
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2018
Beschreibung

Dieses E-Book enthält komplexe Grafiken und Tabellen, welche nur auf E-Readern gut lesbar sind, auf denen sich Bilder vergrössern lassen. Reflexion ist für die Aus- und Weiterbildung von Lehrkräften ein essenzieller Bestandteil. Die Reflexion von Praxiserfahrungen regt Denk- und Lernprozesse an und unterstützt damit die persönliche und professionelle Weiterentwicklung. Die Autorinnen präsentieren in diesem Buch mündliche, schriftliche und theatrale Wege der Praxisreflexion. Sie erläutern theoretische Grundlagen und diskutieren konkrete Beispiele für die praktische Umsetzung.

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Seitenzahl: 247

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Eveline Christof, Julia Köhler, Katharina Rosenberger, Corinne Wyss

Mündliche, schriftliche und theatrale Wege der Praxisreflexion

Beiträge zur Professionalisierung pädagogischen Handelns

ISBN Print: 978-3-0355-0923-6

ISBN E-Book: 978-3-0355-1218-2

1. Auflage 2018

Alle Rechte vorbehalten

© 2018 hep verlag ag, Bern

www.hep-verlag.com

1Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Einleitung

Katharina Rosenberger, Eveline Christof, Julia Köhler, Corinne Wyss

Mündliche, kollegiale Reflexion von videografiertem Unterricht

Corinne Wyss

1Einleitung

2Reflexion in der Lehrerinnen- und Lehrerbildung

3(Videografierten) Unterricht beobachten und reflektieren

4Kollegiale, videobasierte Unterrichtsreflexion – ein Einblick in die Praxis

5Fazit und Empfehlungen für die Praxis

Bearbeitung schulpraktischer Erfahrungen durch eine Rekonstruktion subjektiver Theorien: Peer-Interviews als mündliche Form der Praxisreflexion

Eveline Christof

1Einleitung

2Reflexionsfähigkeit als Kernkompetenz von (angehenden) Lehrerinnen und Lehrern

3Einfluss und Wirkmacht von berufsbezogenen Überzeugungen auf das Handeln von (angehenden) Lehrerinnen und Lehrern

4Hochschuldidaktisches Setting zur Anregung von Reflexionsprozessen bei Studierenden

5Fazit und Empfehlungen für die Praxis

Die schriftliche Aufarbeitung von Unterrichtserfahrungen im Lehramtsstudium

Katharina Rosenberger

1Einleitung

2Studieren und Reflektieren: Einübung in eine Praxis

3Praxistheoretische Auslegung der Reflexion von Unterrichtserfahrungen

4Schule und Unterricht im Studium erfahren, reflektieren, verstehen

5(Selbst-)Reflexives Schreiben als institutionalisierte Form der Auseinandersetzung mit Schule und Unterricht

6Fazit und Empfehlungen für die Praxis

Reflexion als theatrale Erfahrung

Julia Köhler

1Einleitung

2Die Theaterpädagogik – eine kurze Standortbestimmung

3Theatrale Erfahrungen

4Aufbau pädagogischer Professionalität

5Pädagogische Professionalität im Kontext theaterpädagogischer Überlegungen

6Reflexionsfähigkeit als Zentrum pädagogischer Professionalität

7Theaterpädagogische Wege zur Reflexionsfähigkeit

8Beispiele aus der Praxis

9Fazit und Empfehlungen für die Praxis

Zusammenfassende Überlegungen

Corinne Wyss, Eveline Christof, Julia Köhler, Katharina Rosenberger

Die Autorinnen

Vorwort

Den heutigen Anforderungen an Lehrerinnen und Lehrer wohnt eine ungeheure Dynamik inne. Diese hängt vor allem mit der raschen Entwicklung relevanten Wissens, der Nutzungsmöglichkeiten unterschiedlicher Medien und nicht zuletzt mit den heterogenen Lernvoraussetzungen der Lernenden in den Schulklassen zusammen. Sowohl in der tertiären Bildung als auch in der Schule besteht für die Lehrenden eine Anpassungsnotwendigkeit an die gesellschaftlich geforderten Lehrinhalte, die zur Verfügung stehenden Lehrmethoden und an die sich stetig verändernde Gruppe der Lernenden. Die vielfältigen sozialen, organisatorischen und intellektuellen Aufgaben, denen Lehrerinnen und Lehrer im Schulalltag begegnen, sind daher ohne eine selbstreflexive Erkenntnishaltung schwer zu bewältigen. Vor diesem Hintergrund stellt die Bereitschaft und Fähigkeit, über eigenes professionelles Wissen und Handeln nachzudenken und dieses kontinuierlich weiterzuentwickeln, ein zentrales Merkmal der professionellen Handlungskompetenz von Lehrkräften dar.1 Reflexion ist ein wichtiges Element der Lehrerinnen- und Lehrerbildung und die Reflexionskompetenz ein zentrales Bildungsziel. Bereits in den Praxisphasen der Ausbildung von Lehrpersonen sollen das Hinterfragen des eigenen Unterrichtshandelns und die konstruktive Anpassung an die jeweiligen situativen Anforderungen in der Schule, sei es der Umgang mit den Lernenden, mit deren Eltern oder die Zusammenarbeit im Kollegium, eingeübt werden. Das Angebot von geeigneten und gezielten Reflexionsgelegenheiten ist daher bereits in diesen Phasen für die Ausbildung einer reflektierenden Grundhaltung wichtig, damit angehende Lehrpersonen diese in ihrer weiteren Berufspraxis ausbauen und adaptieren können.

Obwohl Reflexion für die Arbeit von Lehrerinnen und Lehrern anerkanntermaßen eine zentrale Kompetenz darstellt, ist die spezifische Definition dessen, was unter Reflexion verstanden und wie diese gefördert werden kann, in der bildungs- bzw. erziehungswissenschaftlichen Diskussion zum Teil noch wenig bestimmt oder sie wird heterogen beschrieben. Die Autorinnen des vorliegenden Buches sind Expertinnen der Lehrerinnen- und Lehrerbildung der Schweiz und Österreichs und nehmen sich der Aufgabe der Förderung von Reflexionskompetenz in engagierter Weise an, indem sie Reflexionsansätze aus ihrer eigenen Lehrpraxis für die Lehrerinnen- und Lehrerbildung aufbereiten, vorstellen und diskutieren. Ihre Ansätze umspannen die videogestützte kollegiale Unterrichtsreflexion, die Auseinandersetzung mit subjektiven Lehr- und Lerntheorien unter Nutzung des pädagogisch reflexiven Interviews, die Nutzung von Praxisportfolios und Reflexionsberichten sowie die theaterpädagogische Auseinandersetzung mit dem eigenen Unterricht. Da jeder der Ansätze reflexionstheoretisch unterschiedlich einzuordnen ist, wird die jeweilige Verortung des Reflexionsbegriffs vorangestellt. Das vorliegende Buch bietet Ausbildnerinnen und Ausbildnern von Lehrpersonen ein ausgesprochen praxisnahes Angebot für die systematische Konzeption und Implementation von Reflexionsangeboten in den Praxisphasen der Lehrerinnen- und Lehrerbildung.

Prof. Dr.in Kerstin Göbel, Fakultät für Bildungswissenschaften Universität Duisburg-Essen

Einleitung

Katharina Rosenberger, Eveline Christof, Julia Köhler, Corinne Wyss

Die Reflexion von Bildungsprozessen, insbesondere von Praxiserfahrungen, ist im Zusammenhang mit der professionellen Ausübung einer Lehrtätigkeit sowie anderen Tätigkeiten in (sozial-)pädagogischen Handlungsfeldern ein seit Langem unbestrittenes Grundkonzept. Dazu wird sie als Bedingung für lebenslanges, berufsbezogenes Lernen angesehen. Generell gilt eine «reflektierte Praxis» in der Ausbildung für (sozial-)pädagogische Berufe daher mittlerweile sowohl als Weg wie auch als Ziel und wird folglich in den jeweiligen Curricula in unterschiedlichen Zusammenhängen als anzustrebendes Bildungsziel formuliert. Auch in der Weiterbildung stellt sie eine zentrale, nicht wegzudenkende Säule dar. Reflexivität, hier kurz gefasst als das Zusammenspiel von Reflexionsbereitschaft und Reflexionsfähigkeit, gilt gemeinhin als Schlüsselkompetenz für diese Berufsgruppen und fungiert damit als unentbehrliches Richtmaß pädagogischer Professionalität. Im Bereich der Lehramtsstudien wird dabei etwa nicht nur eine abstrakt-intellektuelle Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Aspekten von Schule und Unterricht sowie mit den vielfältigen Dimensionen und Prozessen des Lehrens und Lernens angestrebt. Ziel ist es, ein Verständnis für die vielfältigen Dimensionen und Prozesse des Lehrens und Lernens aufzubauen. Dabei spielen die Nachvollziehbarkeit praktisch-pädagogischer Handlungsvollzüge und eine Vergrößerung des eigenen Handlungsrepertoires eine beträchtliche Rolle:

Gradmesser der professionellen Qualifikation ist die Fähigkeit, schulisches Geschehen allgemein sowie die eigene schulpraktische Erfahrung zu reflektieren, sie – teils mit wissenschaftlich geschärften Denkinstrumenten – zu analysieren, und das gekoppelt mit der Fähigkeit, gewonnene Erkenntnisse in ein nachhaltig wirksames Handlungswissen umzusetzen. (Reusser, Wyss 2000, S. 9)

Im Kontext der Ausbildung zielen Praxisreflexionen auf der einen Seite also auf ein Hinterfragen des Verhältnisses von Theorie und Praxis sowie auf eine Fokussierung auf die verschiedenen Wissensarten, auf die Anpassung an Traditionen und Erwartungen der Praxisgemeinschaft usw. ab. Auf der anderen Seite sollen eigene Erfahrungen, Wahrnehmungen, Vorannahmen und Haltungen, die das pädagogische Handeln beeinflussen, schon während des Studiums bewusst gemacht werden. Durch eine systematische und durch die Ausbildungsinstitution mit richtungslenkenden Impulsen angereicherte Reflexion – so die allgemeine Annahme – sollen wichtige Denk- und Lernprozesse angeregt werden, die die persönliche sowie professionelle Weiterentwicklung unterstützen können.

Die vier Autorinnen dieses Buches, die sich alle nicht nur als Bildungswissenschaftlerinnen, sondern auch als Lehrerinnen- und Lehrerbildnerinnen verstehen, widmeten sich im Zuge eines interinstitutionellen Fachaustausches gemeinsam der Frage nach traditionellen und neu entwickelten Ansätzen bzw. Formaten einer solchen Praxis des Reflektierens im Rahmen der Lehramtsausbildung. Ausgehend von eigenen langjährigen praktischen Erfahrungen in schulpraktikumsbegleitenden Lehrveranstaltungen an unterschiedlichen schweizerischen und österreichischen Institutionen der Lehrerinnen- und Lehrerbildung sowie von eigenen einschlägigen Forschungsarbeiten galt es, die Eigenarten unterschiedlicher Zugänge herauszuarbeiten. (Insofern beziehen sich die Beiträge dieser Publikation in erster Linie auf das Lehramtsstudium, können aber relativ leicht auch auf andere ähnlich gelagerte Ausbildungen bezogen werden.) Dass diese gemeinsame ‹Reflexion des Reflektierens› von Personen mit unterschiedlicher institutioneller Anbindung (Universität Innsbruck, Universität Wien, Kirchliche Pädagogische Hochschule Wien/Krems und Pädagogische Hochschule Zürich) und daher auch mit dem Wissen von je eigenen Traditionen und Vollzugspraktiken im Bereich der Schulpraktika unternommen wurde, machte das Vorhaben in besonderer Weise interessant und anregend. Die teils unterschiedlichen, oft aber auch sehr ähnlichen Erfahrungen konnten so als Ausgangspunkt für die gemeinsame Weiterentwicklung von Denkansätzen und praktischen Konzepten herangezogen werden.

Ein Aspekt trat bei der über mehrere Monate geführten Diskussion dabei wiederkehrend als sozusagen negativer Orientierungsrahmen in Erscheinung: Die sich wiederholende Erfahrung, dass einige Studierende das Reflektieren ihrer Praktikumserfahrungen bisweilen als Last empfinden, der sie wenig Sinn zusprechen können. Sie betrachten das Reflektieren als reine Pflicht, die im Rahmen des Studiums eben notgedrungen ‹irgendwie› zu erfüllen ist. Der im Beisein von Hochschullehrenden zwar selten so unverblümt, aber in informellen Kontexten dennoch wiederholt geäußerte studentische Ausspruch «Müssen wir schon wieder reflektieren?» ist dabei nicht nur den Autorinnen vertraut, sondern auch anderen praktikumsbetreuenden oder -begleitenden Hochschullehrkräften, wie in zahlreichen Fachgesprächen mit Kolleginnen und Kollegen im In- und Ausland festgestellt werden konnte. Als ‹Begleiterscheinung› dazu wird die oftmals mangelnde Qualität der Reflexionsgespräche und Reflexionsberichte moniert. Reflexionsangebote und -aufträge scheinen also nicht immer das zu bringen, was man sich von ihnen verspricht. Dass sie nicht einfach als Selbstläufer funktionieren, sondern vielmehr eines sensiblen und wohl bedachten Umgangs bedürfen, hängt in wesentlichen Grundzügen auch mit ihrer systemischen Einbettung zusammen, wie Gillie Bolton (2006, S.1) eindringlich mahnt: «Most training and post-experience courses include elements of reflective practice; the danger lies in undertaking it because it is just the thing to do. Such an attitude cannot support reflection and reflexivity. The paradox is that reflective practice is required by the masters, by the system.» Das Vorhaben der Autorinnen dieses Buches kann durchaus im Lichte dieser kritischen Einschätzung gesehen werden.

Wie kann das ‹Wundermittel Reflexion› im Rahmen des Studiums für angehende Lehrpersonen nun also möglichst optimal eingebracht werden? Auch die vorliegende Publikation kann dafür keine Patentrezepte liefern, weil es diese schlichtweg nicht gibt. Die Autorinnen verfolgen in ihren Beiträgen jedoch das Ziel, das Reflektieren von Praktikumserfahrungen auf zwei Ebenen zu erschließen, um für die Leserinnen und Leser damit weitere Anschlussmöglichkeiten zu eröffnen: Sie stellen auf der einen Seite praktische Ansätze vor bzw. diskutieren deren Einsatz in der Lehrerinnen- und Lehrerbildung, widmen sich aber auf der anderen Seite ebenso systematisch dem Verständnis von Reflexion und den damit zusammenhängenden relevanten Grundbegriffen. Diese Begriffsarbeit erachten wir nicht nur im Sinne einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung, sondern auch für die konkrete Arbeit in Lehrveranstaltungen als essenziell, denn wenn wir von Studierenden erwarten, dass sie ‹reflektieren›, müssen wir eine genaue Vorstellung haben, was wir mit diesem vielschichtigen, und vielleicht auch schillernden, Begriff überhaupt meinen. Denn die institutionelle Verankerung von reflexivem Denken im Rahmen pädagogischer Professionalität kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir es hier mit einem Grundbegriff zu tun haben, der vor allem als Leitkategorie für soziale Praktiken alles andere als geklärt ist. Vielmehr ist nach den diskursiven Kontexten zu fragen, in die er eingebettet ist und die seine Gebrauchsweise prägen. Der zur Tradition gewordene Reflexionsbegriff scheint im pädagogischen Kanon sehr heterogen verwendet zu werden oder mitunter auch nur mit vagen Vorstellungen darüber verbunden zu sein, was unter Reflexion genau verstanden wird. (vgl. Herzog 1995, S.253 f.). Dies wäre an sich nicht problematisch, denn ein soziales Konzept wie das des reflektierenden Denkens kann nie abgekoppelt von seiner konkreten Einbettung gesehen werden. Seine Bedeutung muss folglich aus einer Kontextualisierung seines Gebrauchs gewonnen werden. Wir sehen dieses Buch also auch als Impuls an Ausbildende, die Reflexionspraxis im Studium mit einer Auseinandersetzung mit dem (institutions-)eigenen Verständnis von Reflexion zu beginnen. Denn daraus ergeben sich die feinen Unterschiede, die zum eigenen Umgang in der Ausbildungspraxis führen – etwa die jeweiligen Erwartungen, die an Studierende und an ihre Reflexionstätigkeit gerichtet werden, die Ausrichtung von Lehrveranstaltungskonzeptionen, die konkrete Entwicklung von hochschuldidaktischen Methoden usw.

Dass genau eine solche Auseinandersetzung mitunter im Alltagsgeschäft von Modulabstimmungen und Lehrveranstaltungsplanungen allerdings oft zu kurz kommt, nahmen die Autorinnen dieses Buches also zum Anlass, sich einerseits theoretisch näher mit dem Thema «Praxisreflexion in pädagogischen Ausbildungen» zu beschäftigen und dieses dann andererseits mit konkreten Umsetzungsmöglichkeiten zu verbinden. Ausgehend von dem Versuch, den Reflexionsbegriff ein Stück weit fassbarer und für die Reflexionsarbeit mit Studierenden damit klarer zu machen, werden daran anschließend in den verschiedenen Beiträgen konkrete Zugänge dargestellt, mit denen das Reflektieren von Praktikumserfahrungen sinnhaft umgesetzt werden kann. Die vorliegende Publikation beleuchtet das Themenfeld Praxisreflexion dabei aus teilweise ähnlichen, manchmal aber auch nicht immer kompatiblen Perspektiven. Die damit entstandene Vielfalt ist beabsichtigt und soll auf die Bandbreite möglicher Denk- und Umsetzungswege hinweisen, die dem umfassenden Thema der Reflexion inhärent ist. In den einzelnen Beiträgen wird der Fokus dabei auf jeweils unterschiedliche Modalitäten der Bearbeitung von Praxiserfahrungen gesetzt: Die Autorinnen diskutieren die Thematik vor dem Hintergrund mündlicher, schriftlicher und theatraler Formen institutionalisierter Reflexionsmöglichkeiten.

Corinne Wyss beschäftigt sich mit der mündlichen, kollegialen Reflexion von (videografiertem) Unterricht. Dem Beitrag liegt die Annahme zugrunde, dass der Austausch mit Kolleginnen und Kollegen sowie die Arbeit mit eigenen Unterrichtsaufnahmen die Reflexion anregen und fruchtbar machen können und persönliche, berufliche Entwicklungsprozesse dadurch positiv beeinflusst werden. Diese Annahme wird theoretisch ergründet und es wird erörtert, welche Anforderungen und Kompetenzen hierzu erforderlich sind. Ferner wird auf der Grundlage von exemplarischen Beispielen aus der Praxis auf Herausforderungen hingewiesen, die erkannt und bei der Umsetzung in der Aus- und Weiterbildung von Lehrpersonen beachtet werden sollten.

Der Beitrag von Eveline Christof präsentiert einen Ansatz für die Lehrerinnen- und Lehrerbildung, der Reflexionsfähigkeit bei Studierenden anregen, entwickeln und schulen soll, um Praxiserfahrungen sinnvoll und theoriegeleitet reflektieren zu können. Es wird die Erprobung eines hochschuldidaktischen Settings als ein Modell vorgestellt, in dem Lehramtsstudierende an der Universität Innsbruck krisenhafte Situationen aus ihrer eigenen pädagogischen Praxis mithilfe eines mehrstufigen (Peer-)Interviewprozesses (das pädagogisch reflexive Interview, Christof 2009) reflektieren. Das Modell nimmt Bezug auf den theoretischen Hintergrund von Rolle und Wirkmächtigkeit berufsbezogener Überzeugungen, die Lehramtsstudierende in die Ausbildung mitbringen.

Katharina Rosenberger widmet sich dem Verschriftlichen von Praxiserfahrungen (wie etwa Reflexionsberichten oder Praxisportfolios). Sie diskutiert dies aus dem Blickwinkel eines praxistheoretischen Ansatzes und lenkt damit den Blick vom Individuum hin zu diskursiven und interaktiven Reflexionspraktiken in institutionellen Settings. Durch diese de-subjektivierende Rahmung erscheint das schriftliche Reflektieren von Studierenden weniger als Ausdruck einer individuellen kognitiven Kompetenz, denn vielmehr als Prozess des Einübens in eine Praxisgemeinschaft. Das schriftliche Reflektieren ist so gesehen als eine spezifische Praktik mit sozialisatorischer Wirkung zu verstehen, an der die künftigen Lehrerinnen und Lehrer teilnehmen, die sie aber im Sinne einer Re-Produktion auch mitgestalten.

Julia Köhler lotet in ihrem Beitrag die Möglichkeiten theatraler Arbeit im Kontext reflexiver Erfahrungsräume aus. Dabei wird zunächst auf die Potenziale theatraler Lernprozesse hingewiesen, mit deren Hilfe eigene Haltungen und Erfahrungen auf eine spezifische Art und Weise reflektiert werden können. Kreative Reflexionsprozesse, die durch die theatrale Arbeit erzeugt werden, helfen, so die These der Autorin, subjektive Theorien zu überprüfen, diese aufzubrechen und alternative Handlungsvollzüge zu erarbeiten. Mithilfe von einigen Beispielen aus der Arbeit mit Lehramtsstudierenden wird aufgezeigt, wie im Rahmen des Studiums durch die theatrale Beschäftigung eigene Praxiserfahrungen reflektiert und konstruktiv bearbeitet werden können.

Die Beiträge dieses Buches sollen dazu anregen, sich mit der Gestaltung von Reflexionsanlässen auseinanderzusetzen. Die Texte können neue Ansichten und Denkanstöße in Bezug auf die Reflexionspraxis liefern und den Horizont für die eigenen Handlungsfelder erweitern. Wir wünschen Ihnen demgemäß eine erkenntnisreiche Lektüre und hoffen, dass Sie darin viele Inspirationen für Ihre Tätigkeit in der Lehrerinnen- und Lehrerbildung oder in anderen (sozial-)pädagogischen Bereichen finden.

Literatur

Bolton, Gillie (2006): Reflective practice. Writing and professional development. Los Angeles: Sage.

Christof, Eveline (2009): Bildungsprozessen auf der Spur. Das pädagogisch reflexive Interview. Wien: Löcker.

Herzog, Walter (1995): Reflexive Praktika in der Lehrerinnen- und Lehrerbildung. In: Beiträge zur Lehrerbildung, 13(3), S.253–273.

Reusser, Kurt; Wyss, Heinz (2000): Die Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer unterwegs auf neuen Wegen zu neuen Zielen. Standortbestimmung der schweizerischen Lehrerbildung zu Beginn des neuen Jahrhunderts und Perspektiven ihrer künftigen Weiterentwicklung. In: Beiträge zur Lehrerbildung, 18(1), S.7–16.

Mündliche, kollegiale Reflexion von videografiertem Unterricht

Corinne Wyss

1Einleitung

Videoaufnahmen von Unterricht werden in der Aus- und Weiterbildung von Lehrpersonen verbreitet eingesetzt. Die heutigen technischen Möglichkeiten erlauben ein unkompliziertes Produzieren, Speichern, Teilen und Bearbeiten von Unterrichtsaufnahmen. Dadurch können Aufnahmen des eigenen Unterrichts, aber auch diejenigen von Studien- oder Lehrerkolleginnen und -kollegen oder von unbekannten Drittpersonen betrachtet und bearbeitet werden.

Die videobasierte Reflexion hat den Vorteil, dass alle beteiligten Personen das Unterrichtsgeschehen aus der gleichen Perspektive ansehen können. Persönliche Beobachtungen, Analysen und Erklärungen können situiert und für andere sichtbar gemacht werden. Dies ist sowohl für die individuelle, schriftliche als auch für die gemeinsame, mündliche Reflexion hilfreich.

Die schriftliche Reflexion wird in Ausbildungskontexten gerne eingesetzt, um die Studierenden ihre Praxiserfahrungen verarbeiten zu lassen (siehe dazu den Beitrag von Katharina Rosenberger in diesem Band). Wenn Unterrichtsvideos vorhanden sind, können Studierende in solchen schriftlichen Reflexionen explizit auf ihre Unterrichtsbeobachtungen und -erfahrungen Bezug nehmen. Dies kann auf einfache Weise mit Verweisen auf die entsprechenden Videoausschnitte oder technisch elaborierter mit dem Einbinden von Unterrichtsclips in webbasierte Lösungen (z.B. in einem E-Portfolio) gelöst werden. Für die Betreuungspersonen der Studierenden wird dadurch eine adäquatere Einschätzung der Reflexionen möglich, die eine wertvolle Rückmeldung und eine angemessene Beurteilung erlauben.

Die mündliche Reflexion wird insbesondere im Rahmen der berufspraktischen Ausbildung umgesetzt. Praxislehrkräfte oder Praxisbegleiterinnen und -begleiter der Ausbildungsinstitution reflektieren den Unterricht mit den Studierenden. Solche Reflexionsgespräche sind für die Studierenden sehr wertvoll, da Unterrichtsgeschehnisse zeitnah verarbeitet werden können. Die mündliche Reflexion von Praxiserfahrungen kann in unterschiedlichen Settings auch im Rahmen der theoretischen Ausbildung stattfinden (siehe hierzu auch den Beitrag von Eveline Christof in diesem Band). Mit Unterrichtsvideos kann ein praxisnaher Reflexionsimpuls geschaffen werden, der Anlass zu verschiedenen Bearbeitungsformen gibt.

Dieser Beitrag beschäftigt sich mit der mündlichen, videobasierten Reflexion von Unterricht. Es werden dabei die Möglichkeiten, Ziele und Herausforderungen der videobasierten Unterrichtsreflexion thematisiert und mit empirischen Belegen fundiert. Der Fokus liegt insbesondere bei kollegialen Reflexionsgesprächen. Im nachfolgenden Kapitel wird zunächst das Konzept der Reflexion im Lehrberuf und das Verständnis einer Definition von Reflexion thematisiert, das diesem Beitrag zugrunde liegt.

2Reflexion in der Lehrerinnen- und Lehrerbildung

Das Thema Reflexion ist international in der Lehrerinnen- und Lehrerbildung kaum mehr wegzudenken. Nachdem sich vorerst primär die angelsächsische Pädagogik dafür interessiert hat, wird der Reflexion seit Jahren auch in deutschfranzösischen Sprachgebieten große Bedeutung zugesprochen. Wenn Reflexion absichtsvoll und gezielt eingesetzt wird, kann sie die berufliche Entwicklung einer Lehrkraft positiv beeinflussen. Durch die Reflexion können Überzeugungen, Einstellungen und Verhaltensweisen bewusster wahrgenommen und bearbeitet werden. Dadurch können Lernprozesse angeregt, Eigenverantwortung und Autonomie gestärkt sowie die Berufszufriedenheit gesteigert werden (vgl. Wyss 2013; van Beverana u.a. 2018). Dem Konzept wird demgemäß viel Potenzial zugeschrieben, obwohl einige Aspekte noch immer ungewiss und ungeklärt sind.

2.1Reflexion als Schlüsselkompetenz professionellen Lehrerinnen- und Lehrerhandelns

Seit rund 20 Jahren werden im Bildungswesen vermehrt Standards für die Lehrerinnen- und Lehrerbildung diskutiert und implementiert (vgl. Gröschner, Lütgert 2007). Als Ausgangsbasis für die Standardentwicklung im europäischen Raum wurden vielfach die INTASC-Standards (Interstate New Teacher Assessment Support Consortium Standards) verwendet, die 1987 von den Bildungsministerien einiger US-Bundesstaaten ausgearbeitet wurden und zehn Kernstandards umfassen, welche die Kompetenzen von angehenden Lehrpersonen beschreiben (vgl. Frey, Jung 2011). Mit dem neunten INTASC-Standard «Professional Learning and Ethical Practice» wird explizit auf die Reflexion der Lehrperson referiert.2 Folgende Leistungen werden von den Lehrpersonen hier unter anderen erwartet (Council of Chief State School Officers 2011, S.18):

Performances:

9(d) The teacher actively seeks professional, community, and technological resources, within and outside the school, as supports for analysis, reflection, and problem-solving.

9(e) The teacher reflects on his/her personal biases and accesses resources to deepen his/her own understanding of cultural, ethnic, gender, and learning differences to build stronger relationships and create more relevant learning experiences.

Essential Knowledge:

9(g) The teacher understands and knows how to use a variety of self-assessment and problem-solving strategies to analyze and reflect on his/her practice and to plan for adaptations/adjustments.

Critical Dispositions:

9(l) The teacher takes responsibility for student learning and uses ongoing analysis and reflection to improve planning and practice.

9(n) The teacher sees him/herself as a learner, continuously seeking opportunities to draw upon current education policy and research as sources of analysis and reflection to improve practice.

In Europa wurde die Diskussion um die Standardformulierung für die Lehrerinnen- und Lehrerbildung insbesondere durch die Arbeiten von Fritz Oser (1997; 2002) gegen Ende der 1990er-Jahre geprägt. Die Bildungspolitik vieler Länder hat in der Folge den Standardbegriff aufgegriffen. Für Deutschland beispielsweise hat die Kultusministerkonferenz (KMK) Mitte Dezember 2004 die Standards für die Lehrerinnen- und Lehrerbildung verabschiedet.3 Das Grundlagenpapier der KMK definiert die Kernaufgabe von Lehrpersonen als «die gezielte und nach wissenschaftlichen Erkenntnissen gestaltete Planung, Organisation und Reflexion von Lehr- und Lernprozessen sowie ihre individuelle Bewertung und systemische Evaluation. Die berufliche Qualität von Lehrkräften entscheidet sich an der Qualität ihres Unterrichts» (KMK 2004, S.3). Wie in den USA wurde die Reflexion auch in Europa in solchen Regelungsdokumenten für die Lehrerinnen- und Lehrerbildung aufgenommen. Demzufolge haben viele Bildungsinstitutionen verbindliche Ausbildungsstandards für die Lehrerinnen- und Lehrerbildung festgelegt und das Thema Reflexion dabei explizit implementiert.

Die Reflexion hat in den nachfolgenden Jahren im Lehrberuf an Interesse gewonnen und viele Bildungswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler sprechen ihr besondere Bedeutung zu. In neueren Publikationen wird die Reflexivität als Schlüsselkompetenz von Professionalität bzw. als Schlüsselkompetenz professionellen Lehrerhandelns bezeichnet (vgl. Combe, Kolbe 2008; Etscheidt, Curran, Sawyer 2012; Leonhard, Rihm 2011; Göhlich 2011). Arno Combe und Fritz-Ulrich Kolbe (2008, S.859) halten fest: «Biographische Reflexionen und überhaupt Reflexivität als Bewusstheit über das eigene Tun wird hier oft als Schlüsselkompetenz von Professionalität aufgefasst, sollen die Lehrpersonen nicht einer unwägbaren Praxis nur ausgeliefert sein.»

Die Ausführungen zeigen, dass die Reflexion im Lehrberuf in den letzten Jahrzehnten einen wichtigen Stellenwert eingenommen hat (vgl. auch Williams, Grudnoff 2011; Clarà 2015) und verbindliche Vorgaben dazu definiert wurden. Erstaunlich ist dabei, dass das Konzept der Reflexion bis heute erst unzureichend geklärt ist und unterschiedliche Auslegungen existieren.

2.2Zum Konzept der Reflexion

Die Reflexion zählt heute zu den professionellen Kompetenzen einer Lehrperson. Seit einigen Jahren wurden jedoch kritische Stimmen bezüglich der mit Reflexion einhergehenden begrifflichen Diffusion laut. Moniert wird einerseits, dass das Wort Reflexion sehr häufig verwendet wird, ohne dass man sich der Bedeutung genau bewusst ist. «Reflection is today on everybody’s lips, and this has created the paradoxical situation that ‹reflection› is often used in an unreflected manner» (Bengtsson 2003, S.295). Dies führt dazu, dass der Begriff für alle Arten und Formen von schriftlicher oder mündlicher Kommunikation verwendet wird, die mit Reflexion allenfalls kaum etwas zu tun haben. Eine Begründung für diese Problematik liegt darin, dass es in der Literatur bislang keinen Konsens darüber gibt, was genau unter Reflexion zu verstehen ist bzw. wie sie zu definieren sei. Sowohl theoretisch wie empirisch wird das Konzept sehr unterschiedlich gebraucht und praktisch umgesetzt (vgl. Black, Plowright 2010; Dimova, Loughran 2009; Williams, Grudnoff 2011). Marc Clarà (2015, S.261) formuliert es folgendermaßen: «Although there is broad agreement that reflection is crucial for teacher education and teaching improvement and change, there is also, at the same time, similarly broad agreement that there is no clarity on what reflection is.» Der Hintergrund dafür dürfte sein, dass Reflexion in verschiedenen Disziplinen bereits seit längerer Zeit Tradition hat. Bereits bei Aristoteles, Platon und Sokrates finden sich zahlreiche Schriften, die sich mit dem Thema Reflexion beschäftigen. In der Neuzeit sind es Philosophen wie Descartes, Kant oder Wittgenstein sowie die Pragmatisten Pierce, Popper oder Dewey, die sich mit dem Begriff auseinandersetzten (vgl. Bengtsson 2003; Fat’hi, Behzadpour 2011). Die Theorien von John Dewey wurden einige Jahrzehnte später vom US-amerikanischen Philosophen Donald A. Schön wieder aufgegriffen und weiterentwickelt. Seine Publikationen in den 1980er-Jahren («The Reflective Practitioner» und «Educating the Reflective Practitioner») wurden von verschiedenen Disziplinen wie den Erziehungs- oder Pflegewissenschaften aufgenommen und fachbezogen diskutiert. Der Begriff hat demgemäß eine bewegte Geschichte, aus der unterschiedliche Auslegungen und Bestimmungen entstanden sind, die das Festlegen einer allgemeingültigen Definition von Reflexion erschweren.

Vergleicht man unterschiedliche Konzepte und Definitionen, wie sie in der erziehungswissenschaftlichen Literatur zu finden sind, so können jedoch durchaus Überschneidungen festgestellt werden. In Anlehnung an Schön (1983), Zeichner und Liston (1996), Jay und Johnson (2002) u.a. kann Reflexion folgendermaßen definiert werden (vgl. auch Wyss 2013, S.55): Reflexion ist ein gezieltes, aufmerksames Nachdenken über bestimmte Handlungen, Gedanken oder Geschehnisse. Individuell oder im Austausch mit anderen Personen werden diese systematisch und kriteriengeleitet erkundet und geklärt. Dies geschieht unter Einbezug (1) eines erweiterten Blickwinkels, (2) von eigenen Werten, Erfahrungen und Überzeugungen sowie (3) eines größeren Kontexts (theoretische, ethisch-moralische, gesellschaftliche Aspekte). Aus dem Prozess werden begründete Konsequenzen für das weitere Handeln abgeleitet und in der Praxis umgesetzt.

Aus der Definition geht hervor, dass für eine professionelle Reflexion, wie sie hier skizziert wird, eine Reihe von Fähigkeiten und Fertigkeiten vorausgesetzt wird. Eine zentrale Grundlage für die professionelle Reflexion bildet das Professionswissen (vgl. dazu z.B. Baumert, Kunter 2006), das fachliches, fachdidaktisches und pädagogisches Wissen umfasst. Auf der Grundlage dieser Wissensbasis können Handlungen, Gedanken oder Geschehnisse theoriebasiert analysiert und erklärt werden. Selbstverständlich können persönliche Erfahrungen, Praxiserlebnisse und das Alltagswissen für die Reflexion hinzugezogen werden und eine wertvolle Bereicherung im Reflexionsprozess darstellen. Für die Weiterentwicklung der eigenen Praxis ist theoretisches Wissen jedoch erforderlich, denn es ermöglicht einen erweiterten Blickwinkel, neue Bezugspunkte und Kriterien, die die Reflexion unterstützen und die sich daraus ergebenden Erkenntnisse bereichern und beleben. Jürg Schüpbach (2005, S.51) beschreibt es so:

Wenn sich Lehrer bei der Reflexion ihres beruflichen Handelns nicht ‹im Kreis drehen wollen› ohne weiterzukommen, wenn die Reflexion nicht ad infinitum zirkulär und repetitiv bleiben soll, dann braucht es abgestützte und verlässliche ‹Anstöße von außen›; sonst wird Reflexion zum ‹Sesam öffne dich› für verworrene Köpfe, oder wie Schön (1991, 10) es formuliert, ‹a never-ending land where anything goes›. Das Theoriewissen ist deshalb für den Praktiker, der sein Lehrerwissen entwickeln und professionalisieren will, unverzichtbar.

Neben dem Professionswissen werden Reflexionsprozesse von weiteren Aspekten beeinflusst, wie der Volition und Motivation, überfachlichen Kompetenzen, metakognitiven Fähigkeiten sowie Sozial- und Selbstkompetenzen (Sellars 2012; Dewey 1933; Hense, Mandel 2009). Eine wichtige Rolle spielt außerdem der Kontext, in dem die Reflexion stattfindet. So macht es einen Unterschied, ob die Reflexion aus eigenem Antrieb stattfindet, ob es eine (lästige) Pflichtaufgabe im Rahmen eines Aus- oder Weiterbildungsmoduls ist, ob es sich um einen Schreib- oder Gesprächsanlass handelt, die zur Verfügung stehenden Hilfestellungen anregend oder hemmend sind, und anderes mehr. Für Institutionen und Dozierende ist es wichtig, sich dieser Komplexität bewusst zu sein. Reflexionsanlässe sollten deshalb fundiert geplant werden, Inhalte und Ziele müssen klar dargelegt sein und Reflexionsprozesse gut angeleitet und begleitet werden. Da die Reflexion unterschiedliche Fähigkeiten und Kompetenzen erfordert, wird sie nicht einfach auf Anhieb gelingen. Im Rahmen der Lehrerinnen- und Lehrerbildung sollten deshalb immer wieder Reflexionsanlässe angeboten und Reflexionsprozesse gezielt geübt werden (vgl. Wyss, Ammann 2015). Unterrichtsvideos bieten hierzu eine wertvolle Basis.

3(Videografierten) Unterricht beobachten und reflektieren

Unterrichtsvideos in der Lehrerinnen- und Lehrerbildung zu verwenden ist keine neue Idee. Gemäß Miriam Gamoran Sherin (2007) wurden in den USA bereits in den 1960er-Jahren Videos in der Lehrerinnen- und Lehrerbildung eingesetzt. Viele Bildungswissenschaftlerinnen und Bildungswissenschaftler sprachen der neuen Technologie schon damals großes Potenzial für die Aus- und Weiterbildung von Lehrpersonen zu. Heute werden Unterrichtsvideos verbreitet eingesetzt, und es haben sich verschiedene Formen der Arbeit mit Videos etabliert. Die Arbeit mit Unterrichtsvideos hat zum Ziel, professionelles Wissen und insbesondere situierte Kompetenzen sowie die Reflexionsfähigkeit zu fördern. Theoretisch erlernte Theorien und Konzepte können an konkreten und authentischen Situationen veranschaulicht werden, wodurch eine Verknüpfung von Theorie und Praxis angestrebt wird (vgl. Gold, Hellermann, Holodynski 2017). Die unterschiedlichen Anwendungsbereiche von Unterrichtsvideos in der Lehrerinnen- und Lehrerbildung können nach Kurt Reusser (2005) in drei Typen gegliedert werden:

Videobasiertes Lernen am Modell: Videos ermöglichen es, Aspekte des Unterrichts anschaulich zu zeigen, zu illustrieren und zu konkretisieren. Die Aufmerksamkeit kann gezielt auf bestimmte Bereiche des Unterrichts gelenkt werden, wichtige Anhaltspunkte können betont und hervorgehoben werden. Verwendet werden hierzu Aufnahmen von beispielhaftem, innovativem und gelingendem Unterricht. Die Arbeit mit den Videos soll dazu anregen, Unterrichtshandlungen nachzuahmen und das eigene Unterrichtsrepertoire sowie die eigenen Unterrichtskompetenzen zu erweitern.

Problemorientierte und fallbasierte Analyse von Unterrichtsvideos: Die Auseinandersetzung mit problemorientiert ausgewählten Videosequenzen hat zum Ziel, explorierend-forschend und theoriebasiert über Grundprobleme des Unterrichtens nachzudenken. Gearbeitet wird dabei mit komplexem, nicht perfektem alltäglichem Unterricht unter variablen Perspektiven und Bearbeitungsgesichtspunkten.

Videogestützte Unterrichtsreflexion und Feedback: Vorzugsweise werden bei der videogestützten Unterrichtsreflexion eigene videografierte Unterrichtssequenzen verwendet. Die Auseinandersetzung mit dem eigenen Unterricht zielt auf die bewusste Wahrnehmung (Selbstkonfrontation) und Vergegenwärtigung des eigenen Unterrichtshandelns aus einer Außenperspektive. Die reflexive Videoarbeit kann von der Lehrkraft selbstständig, in Unterrichtsnachbesprechungen am Praxisort oder in der Diskussion von Videodokumenten eigener Praxiseinsätze mit Dozierenden stattfinden. Darüber hinaus kann sie für Peer-Feedback in Lerntandems und kollegialen Praxiszirkeln genutzt werden.

Die ersten beiden Anwendungsbereiche zielen hauptsächlich auf die Förderung des Professionswissens und von situierten Kompetenzen, der letztgenannte Anwendungstyp zielt explizit auf die reflexive Auseinandersetzung mit dem (eigenen) Unterricht. Die Ausführungen in diesem Beitrag sind demgemäß insbesondere dem letzten Anwendungstyp «Videogestützte Unterrichtsreflexion und Feedback» zuzuordnen.

3.1Potenzial von Unterrichtsvideos

Im Rahmen von Unterrichtshospitationen wird die Beobachtung von Unterricht im Schulzimmer seit Jahren erfolgreich umgesetzt. Die Beschäftigung mit videografiertem Unterricht kann ergänzend dazu stattfinden und sowohl in der berufspraktischen als auch in theoretischen Ausbildungselementen genutzt werden. Im Vergleich zur direkten Beobachtung hat die medial unterstützte Beobachtung einige Vorteile.

Eine Lehrperson befindet sich beim Unterrichten in einem komplexen Umfeld und ist stetig unter Handlungsdruck. Es ist dadurch nicht möglich, alle Aktivitäten des Unterrichts bewusst wahrzunehmen und zu beobachten. Bei Unterrichtshospitationen ist die Perspektive der unterrichtenden Person und diejenige der den Unterricht beobachtenden Personen unterschiedlich und die Beobachtungen sind auch für die hospitierende Person flüchtig. Die Beobachtungen können durch die je differente Perspektive gefärbt sein und Aussagen können nur indirekt situiert werden. Eine auf diese Beobachtung folgende Unterrichtsreflexion kann dadurch erschwert sein.

Unterrichtsaufnahmen bieten deshalb aus verschiedenen Gründen Vorzüge (siehe Abbildung 1). Sie ermöglichen die wiederholte Beobachtung und Analyse von unterschiedlichen Aspekten der Unterrichtsgestaltung. Alle Personen beobachten den Unterricht aus der gleichen Perspektive und sind dadurch «gleichgestellte» Gesprächspartner. Flüchtige Praxissituationen können unmittelbar aber auch zeitlich oder örtlich versetzt betrachtet werden, Pausen oder Kommentare können die Bearbeitung strukturieren. Der Unterricht ist aus verschiedenen fachlich-fachdidaktischen Perspektiven sowie mithilfe von unterschiedlichen Fragestellungen beobachtbar. Es ist möglich, Unterrichtsprozesse isoliert zu betrachten und die Komplexität von Unterricht damit fassbar und bearbeitbar zu machen. Verbales und nonverbales Verhalten wird im jeweiligen Kontext sichtbar (Reusser 2005).

Abbildung 1 Vor- und Nachteile der direkten und medial unterstützten Unterrichtsbeobachtung (in Anlehnung an Dalehefte, Kobarg 2013, S. 8)