Muslime - Hermann-Josef Frisch - E-Book

Muslime E-Book

Hermann-Josef Frisch

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Beschreibung

Der Islam ist eine Kultur der Vielfalt, die alle Lebensbereiche der Gläubigen durchzieht. Dieses Buch eröffnet einen facettenreichen Blick auf die Vielfalt dieser zweitgrößten Weltreligion. Neben den Grundlagen des Islam - Koran, Mohammed und Umma - werden viele weitere Aspekte beleuchtet: die Scharia ebenso wie die islamische Mystik, die politische Wirkmacht des Islam in Geschichte und Gegenwart ebenso wie der islamische Alltag mit seinen Festen und Bräuchen, dazu auch Konfliktthemen wie Gewalt und Stellung der Frau. Im Einzelnen (Auszug aus dem Inhalt): Impressionen Grundlagen Geschichte Die fünf Säulen Gemeinschaft Kultur Feste Lebenslauf Islam und die Religionen Perspektiven Ausführliche Register erschließen die Inhalte des Buches.

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Reihe Islam:

Band 1: Koran

Band 2: Mohammed

Band 3: Muslime

Wo nicht anders angegeben, wurde aus folgenden Übersetzungen zitiert: Koran: vorrangig aus

• Ahmad Milad Karimi/Bernhard Uhde, Der Koran, Freiburg i. Br. 20142

zudem aus

• Muhammad Asad, Die Botschaft des Koran, Übersetzung und Kommentar, Patmos, Düsseldorf 2009 (Asad)

• Adel Theodor Khoury, Der Koran, Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2007 (Khoury)

Bibel: Einheitsübersetzung, Katholische Bibelanstalt, Stuttgart 1980

Dieses Buch ist eine überarbeitete Neuausgabe des Bandes Hermann-Josef Frisch, Wie Muslime leben. Traditionen, Feste, Alltagsleben, Freiburg i. Br., 2019.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Impressionen

Die vielen Gesichter des Islam

Der Islam in der heutigen Welt

Konfrontation und Austausch

Grundlagen

Mohammed – der Prophet

Koran – das Buch

Hadithe – die Tradition

Umma – die muslimische Gemeinschaft

Geschichte

Mekka, Medina, Jerusalem

Die vier rechtgeleiteten Kalifen

Ein islamisches Reich

Die Trennung von Sunna und Schia

1400 Jahre islamische Geschichte

Richtungen des Islam heute

Die fünf Säulen

Islam – Hingabe an Gott, den Erbarmer

Glaubensbekenntnis (

schahāda

)

Gebet (

salāt

)

Fasten (

saum

)

Abgabe (

zakāt

)

Wallfahrt (

hadsch

)

Gemeinschaft

Frömmigkeit

Mystischer Islam (Sufismus)

Fundamentalistischer Islam

Die Stellung der Frau

Glaube, Gesellschaft, Staat

Scharia – der Weg zum Leben

Recht und Rechtsprechung

Religionsfreiheit und Konversion

Menschenrechte

Krieg und Frieden

Kultur

Moschee – Zentrum der Umma

Architektur und Bauschmuck

Kalligrafie

Wissenschaft

Medizin

Handel und Wirtschaft

Kleidung

Speisen und Getränke

Feste

Der Freitag und sein rituelles Gebet

Īd al-Fitr (Fest des Fastenbrechen)

Īd al-Adhā (Opferfest)

Maulid an-Nabī (Geburtstag des Propheten)

Lebenslauf

Schwangerschaft und Geburt

Beschneidung (chitān)

Religiöse Erziehung

Eheschließung und Scheidung

Sexualität

Familie

Tod und Begräbnis

Islam und die Religionen

Abraham – der erste Muslim

Mose – das Judentum

Jesus – das Christentum

Polytheisten – die Ungläubigen

Interreligiöser Dialog

Perspektiven

Noch einmal: Die vielen Gesichter des Islam

Brücken in die Zukunft

Anhang

Register der Namen und Begriffe

Bildquellen

Die Farbbilder jeweils am Kapitalanfang zeigen Moscheen aus unterschiedlichen islamischen Ländern:

Seite →: Moschee in Parepare, Sulawesi, Indonesien

Seite →: König Faisal Moschee, Islamabad, Pakistan

Seite →: Große Moschee Hassan II., Casablanca, Marokko

Seite →: Kaisermoschee, Sarajevo, Bosnien-Herzegowina

Seite →: Linxia, Provinz Gansu, China

Seite →: Scheich Zayid Moschee, Abu Dhabi, VAE

Seite →: Moschee Kalan, Buchara, Usbekistan

Seite →: Emir Moschee/Minarett, Turfan, Xinjiang, China

Seite →: Freitagsmoschee, Isfahan, Iran

Seite →: Freitagsmoschee, Alt-Dehli, Indien

Vorwort

Der Islam, die zweitgrößte Weltreligion, wird in unserer Zeit kontrovers diskutiert und oft allein von seinen Randerscheinungen bzw. von Vorurteilen her gesehen. Fundamentalistische Gewalt und islamistischer Terror stehen dabei vorrangig im Blick und werden zu Recht nicht nur beklagt, sondern auch bekämpft. Doch ist Islam mit Krieg und Gewalt gleichzusetzen?

Alle Religionen haben eine Gewaltgeschichte, aber ebenso auch eine Friedensgeschichte, dies gilt auch für den Islam. Trotz wieder verstärkten Tendenzen zu einem Nationalismus, sogar Rassismus in manchen Ländern erscheint es in einer Zeit der nicht umkehrbaren Globalisierung unerlässlich, dass jede Religion, auch der Islam, angemessen und nicht einseitig wahrgenommen wird.

Diesem Ziel fühlt sich dieser Band verpflichtet: Es geht ihm um die vielen Gesichter des Islam in unserer Zeit. Es geht ihm um eine vorurteilslose Darstellung der wesentlichen Glaubensaussagen des Islam und seiner in Teilen vorbildlichen, in anderen Teilen fragwürdigen Praxis. Es geht ihm um fundamentale Informationen über den Islam, es geht:

um

Grundlagen

und damit um Mohammed (arabisch Muhammad), den Koran, die Hadithe, die Umma (muslimische Gemeinschaft);

um

Geschichte

und damit um den Weg zur Weltreligion, aber auch um die verschiedenen Gesichter des Islam;

um die

fünf Säulen

, die das Haus des muslimischen Glaubens stützen, um Glaubensbekenntnis, Gebet, Fasten, Abgabe und Ramadan;

um die

muslimische Gemeinschaft

und damit um Recht (Scharia) und Menschenrechte, Krieg und Frieden;

um

Kultur, Feste, Lebenslauf

und damit um den Alltag der Muslime;

schließlich um das Verhältnis des Islam zu anderen

Religionen

und damit um einen Dialog der Religionen.

Diese Informationen sollen einem Austausch und einer besseren Verständigung zwischen den beiden Hauptreligionen in unserem Land (Christentum und Islam) dienen. Nicht um Abgrenzung und Ausgrenzung darf es um des Friedens willen in einer Gesellschaft gehen, sondern um Dialog und Toleranz. Nicht Vorurteile dürfen das Zusammenleben bestimmen, sondern Respekt und gegenseitige Wertschätzung. Nicht Gewalt und Hass, gleich in welcher Form, dürfen die Oberhand gewinnen, sondern ein gerechter Ausgleich zwischen Menschen mit verschiedener Geschichte, kulturellem und religiösem Hintergrund auf der Basis von Menschenrechten und der Würde eines jeden Einzelnen (vgl. Artikel 1 des Grundgesetzes).

Ein solches Vorhaben einer besseren Verständigung ist für alle ein lebenslanger Prozess, der vieler Schritte bedarf, der auch Rückschläge hinnehmen muss, der aber immer wieder mit Mut, Klarheit und Rücksichtnahme aufbrechen soll in eine gelingende Zukunft aller Bürger. Dabei zeigt sich, dass ein vorurteilsfreies Kennenlernen der anderen, auch der anderen Religionen, das eigene Leben und den eigenen Glauben in erheblichem Maß bereichern kann. Ein kleiner Schritt dazu ist dieses Buch.

Der Theologe und Religionswissenschaftler Paul Knitter spricht vom »Welthaus« der Religionen, das aus den »Zimmern« der unterschiedlichen Religionen zusammengesetzt ist. Gehen wir also neugierig, offen und durchaus mit Wohlwollen in das Zimmer des benachbarten Islam, um dann nachdenklich und vielleicht bereichert in unser eigenes Zimmer zurückzukehren.

Hermann-Josef Frisch

Moschee in der Ortschaft Parepare, Sulawesi, Indonesien. Indonesien ist weltweit das Land mit der größten Zahl von Muslimen: Von 275 Millionen Einwohnern bekennen sich 240 Millionen zum Islam.

Impressionen

Mit wohl 1,8 Milliarden Anhängern ist der Islam in seinen verschiedenen Ausprägungen die zweitgrößte Weltreligion und inzwischen in fast allen Völkern und Kulturen der Welt verbreitet. Obwohl die Grundlagen dieser Religion (Glaube an den einen Gott, Koran als Offenbarungsschrift, Mohammed als Prophet ...) überall gleich sind, haben sich doch im Laufe der Geschichte und aufgrund von unterschiedlichen regionalen Voraussetzungen sehr unterschiedliche Formen des Islam herausgebildet. Dies soll im Folgenden kompakt aufgezeigt werden – Impressionen des Islam in der heutigen Welt:

Die vielen Gesichter des Islam

Etwa 2,5 Millionen muslimischer Pilger kommen jedes Jahr im letzten Monat des islamischen Kalenders (Dhu-l-Hidschra) zum Muslimen vorgeschriebenen Hadsch nach Mekka und umrunden in einem genau festgelegten Ritual das zentrale Heiligtum des Islam, die Kaaba. Sie sind unabhängig von ihrer Herkunft und ihrem sozialen Stand alle in die gleichen weißen Pilgergewänder gehüllt, sogar Männer und Frauen in ähnlicher Form: Alle Menschen sind vor Gott gleich und die muslimische Umma (Gemeinschaft) betont diese Gleichheit aller Gläubigen zumindest bei dem Hadsch – im Alltag sieht es oft anders aus: Da gibt es zwischen den Herrschern (etwa dem saudischen Königshaus) und den Untergebenen (etwa den Arbeitern auf den vielen Baustellen der arabischen Länder) einen nicht überbrückbaren Unterschied. Dennoch ist der Hadsch für alle Muslime eine nicht wegzudiskutierende Mahnung, eine Gemeinschaft von Menschen zu organisieren, die sich als vor Gott gleich verstehen und die deshalb den gleichen Gesetzen und Regeln unterworfen sind.

Dieser grundsätzlichen Einheit innnerhalb der muslimischen Umma steht nach 1400 Jahren Geschichte des Islam ein vielfältiges Bild in den unterschiedlichen Regionen gegenüber. Der Islam ist – wie auch das Christentum, der Buddhismus, der Hinduismus – eine Religion mit vielen Gesichtern.

Meist blicken Menschen beim Stichwort Islam zuerst auf die arabische Halbinsel und dort auf den strengen Islam in Form des Wahhabismus, wie er seit knapp dreihundert Jahren in Saudi-Arabien gepflegt wird. In dieser Ausrichtung des Islam werden zu Recht auch viele Wurzeln eines extremen Islamismus und des daraus erwachsenden Terrors meist nach innen (innerhalb islamischer Gesellschaften), aber auch nach außen (gegen die »Ungläubigen«) gesehen. Doch umfasst das manchmal beängstigende Bild eines solch fundamentalistischkämpferischen Islam (vgl. Seite →) keineswegs die ganze Vielfalt islamischen Glaubens. Natürlich finden sich mit Mekka und Medina zwei der wichtigsten spirituellen Zentren des Islam in Saudi-Arabien (das dritte ist Jerusalem, vgl. Seite →), doch lagen nach der Anfangszeit unter Mohammed und den vier rechtgeleiteten Kalifen (vgl. Seite →) die Machtzentren der großen islamischen Reiche nicht mehr dort, sondern in Damaskus, Bagdad, Kairo, Istanbul, Delhi, sodass sich allein durch den geschichtlichen Wandel ein anderes Bild bietet (vgl. Seite →).

Muslimische Pilger bei dem Hadsch in Mekka

Mehr noch aber ergab sich durch die Einwurzelung des Islam in die unterschiedlichen geschichtlichen und kulturellen Kontexte anderer Weltregionen als denen des Vorderen Orients eine Vielgestaltigkeit zwar nicht in den Grundlagen des Glaubens, wohl aber in seinen Ausdrucks- und Gottesdienstformen, in seinen Ritualen, in seinen konkreten Lebensweisen, in Architektur, Kunst, Wissenschaft und anderem (vgl. ab Seite →).

Denn die größte Zahl der Muslime in der heutigen Welt lebt keineswegs im Vorderen Orient: In Saudi-Arabien gibt es 34 Millionen Muslime, im größten weithin muslimischen Staat Indonesien in Südostasien mit seinen 275 Millionen Einwohnern etwa 240 Millionen Muslime (ca. 87 %). Die Staaten mit der nächstgrößten muslimischen Bevölkerung sind Pakistan (220 Millionen Einwohner – 210 Millionen Muslime), Indien (1,4 Milliarden Einwohner, 200 Millionen Muslime) und Bangladesch (170 Millionen Einwohner, 155 Millionen Muslime), also südasiatische Länder. Erst mit Abstand folgen zwei afrikanische Länder: Nigeria (220 Millionen Einwohner, 115 Millionen Muslime) und Ägypten (105 Millionen Einwohner, 92 Millionen Muslime) – (Zahlen meist Schätzungen).

Von den ca. 330 Millionen Einwohnern der USA sind nur 1 % muslimischen Glaubens, in den Staaten der EU sind es bei 448 Millionen Einwohnern etwa 2 %. In Europa sind besonders Albanien, Bosnien-Herzogowina und der Kosovo muslimisch geprägt. In Deutschland leben bei fast 83 Millionen Einwohnern etwa 4,5 Millionen Muslime (ca. 5,5 %).

Die erste noch provisorische Moschee in Deutschland wurde 1915 in einem Kriegsgefangenenlager bei Wünsdorf errichtet; die erste zivile Moschee wurde 1924 in Berlin-Wilmersdorf gebaut – die Wilmersdorfer Moschee gehört der Ahmadiyya-Richtung des Islam (vgl. Seite →) an. Heute gibt es in allen Städten Deutschlands Moscheebauten, die meist zum sunnitischen Islam gehören. Oft sind es versteckte »Hinterhofmoscheen«, doch inzwischen werden auch repräsentative Bauten errichtet wie die (türkische) DITIB-Zentralmoschee in Köln-Ehrenfeld.

Die meisten Muslime leben also schwerpunktmäßig in Süd– und Südostasien, auch in Zentralasien und im südsaharischen Afrika, vergleichsweise wenige (mit Ausnahme von Ägypten) im Vorderen Orient und Nordafrika. Gegenüber diesen Fakten wird aber in der Öffentlichkeit meist der strenge Islam des Vorderen Orients wahrgenommen. Doch muss man auch sagen, dass er durch die Finanzierung von Moscheebauten und die Entsendung von wahhabitischen Imamen zunehmend Einfluss auch in anderen Regionen Asiens und Afrikas gewinnt – fundamentalistische Strömungen verstärken sich, doch sie prägen keineswegs das Gesamtbild des Islam.

Deshalb muss man für eine angemessene Wahrnehmung der muslimischen Religion auf die bunte Vielfalt des Islam weltweit schauen – auf seine vielen Gesichter (vgl. die Farbbilder dieses Bandes). Da finden wir die beindruckenden Lehmbauten von Moscheen in Mali, oft im westafrikanischen Bereich verbunden mit einer (eigentlich nach der strengen Lehre nicht zulässigen) Verehrung muslimischer Heiliger. Da gibt es die zentralasiatischen Medresen mit einem meist großzügig gehandhabtem Islam. Da sind Moscheebauten in chinesischem Stil bei den muslimischen Hui in China, den Nachkommen muslimischer Kaufleute aus dem 8. Jahrhundert (und mit 11 Millionen keine kleine Gruppe); ebenso viele Muslime gehören im Westen Chinas (Provinz Xinjiang) zum Minderheitenvolk der Uiguren. Insgesamt leben in China mit 30 Millionen Muslimen mehr Menschen muslimischen Glaubens als etwa in Syrien.

Es gibt die etwa eine Million muslimischer Cham in Vietnam und Kambodscha, die muslimische Minderheit im Süden der meist katholischen Philippinen (vor allem auf der Insel Mindanao) mit ca. 6 Millionen Gläubigen. Von den ca. 145 Millionen Einwohnern Russlands sind etwa 14 % muslimischen Glaubens (ca. 20 Millionen, vor allem Tartaren und Baschkiren im Gebiet von Kasan und Kaukasus-Völker).

Im subsaharischen Raum sind vor allem Sufi-Schulen bedeutsam, völlig anders zeigt sich dagegen die Schia in Iran (82 Millionen) und im südlichen Irak (25 Millionen Schiiten, 14 Millionen Sunniten). Es gibt im Islam die Ahmadiyya, eine im indischen Raum im 19. Jahrhundert entstandene Reformbewegung; es gibt in der Türkei die Aleviten als eigenständige Richtung des Islam mit anderen Schwerpunkten ihrer Glaubensausübung; es gibt in Syrien sogar mit den Alawiten (Nusarier) einen esoterischen Islam mit Geheimlehren (u.a. Seelenwanderung), bei dem man sich fragen muss, ob er überhaupt noch zum Islam gehört (vgl. zu den islamischen Richtungen Seite →). Andere Richtungen des Islam sind die Ibaditen im Oman oder die schiitischen Gruppen der Ismailiten und Zaiditen.

Kurzum: Der Islam baut als weltumfassende Religion zwar auf den gleichen Grundlagen auf (vgl. ab 24), zeigt aber ein vielfältiges Gesicht, sodass man bei Beschreibung und Beurteilung immer differenzieren muss, welche Richtung und Ordnung gemeint ist. Damit ähnelt er den anderen Weltreligionen, die wie Hinduismus, Buddhismus und Christentum ja ebenfalls ein äußerst unterschiedliches Gesicht zeigen: von fundamentalistischen Strömungen, die es in allen Religionen gibt (und die immer eine Plage der Menschheit sind), bis hin zu Strömungen großer Toleranz und Zugewandtheit zu den Menschen. Der Islam ist zudem missionarisch geprägt und die wohl am stärksten wachsende Weltreligion. Deshalb werden sich auch in einigen Regionen (etwa Europa) neue Formen des Islam entwickeln, die eigene Akzente bei der Umsetzung der islamischen Grundlagen in örtliche Gemeinschaften setzen werden (vgl. ab Seite → Perspektiven).

Der Islam in der heutigen Welt

Jede Gesellschaft und auch jede Religion steht beständig im Spannungsfeld von Tradition und Aufbruch, von Beharrung und Veränderung, von Vergangenheit und Zukunft. Die Religionen scheinen dabei in unserer Zeit vordergründig eher zu den beharrenden Elementen heutiger Gesellschaften zu gehören, die «konservierend« die in der Vergangenheit entwickelten Werte, Lebensformen und Traditionen unverändert weitertragen wollen. Oft haben sich Religionen deshalb Entwicklungen verschlossen, und dies bleibt auch in unserer Zeit eine Gefahr. Es gab und gibt im Bereich religiöser Gemeinschaften Entwicklungsverweigerungen, die das Zusammenleben von Menschen erschweren.

Doch stehen alle Religionen – und die großen wie Christentum und Islam in besonderer Weise – vor neuen Herausforderungen und dies besonders in zweifacher Hinsicht:

Der gesellschaftliche, wissenschaftliche und technische Wandel vollzieht sich in unserer Zeit in immer schnellerem Maß. Neue Kommunikationsmittel, Informationstechnologie, digitale Medien etc. sind nur äußere Zeichen eines großen Umbruchs von Lebensweisen, die bereits die schulische Bildung verändern, zunehmend die Arbeitswelt beeinflussen und auch das private Zusammenleben erreichen. Es ist zu erwarten, dass eine stärker automatisierte Technik, ökonomische Rationalisierung in Produktion und zunehmend auch in der Dienstleistung und anderes mehr sich prägend auf die Gesellschaften und jede einzelne Gruppe darin auswirken – die Religionen sind davon betroffen.

Durch die irreversible Globalisierung der Wirtschaft und des Finanzsystems ergeben sich Veränderungen im Zusammenleben von Völkern, Regionen und Kulturen, die zu einer größeren Mobilität von Einzelpersonen, aber durch Kriege und wirtschaftliche Not auch zu Migrationsbewegungen führen, die sich in Zukunft eher verstärken werden. Die großen Religionen sind heute nicht länger vor allem in einzelnen Regionen und Kulturen beheimatet, die religiös und gesellschaftlich homogen sind, sondern müssen sich einer Vielzahl von Traditionen stellen und stehen einander auch in einer stärkeren »Konkurrenz« gegenüber – dies kann Konflikte bedeuten, aber auch fruchtbaren und für alle Seiten wertvollen Austausch.

Diese beiden Punkte bedeuten für alle Religionen und damit auch für den Islam einen zunehmenden Veränderungssdruck, der nicht durch autoritären und fundamentalistischen Zwang der Mitglieder beseitigt werden kann. Wenn sich die Religionen nicht den neuen Herausforderungen stellen, werden sie Mühe haben, in einer veränderten Zeit zu überleben. Säkulare Strömungen, die Religion marginalisieren, gibt es nicht nur im europäisch-christlichen Bereich, sondern, wenn auch geringer, in den süd- und ostasiatischen Regionen und durchaus auch in manchen Gebieten des Islam. In der Geschichte der Menschheit sind Religionen und Sinnsysteme immer wieder durch Paradigmenwechsel (Wechsel eines Gesamtgefüges von Denkweisen, Werten und Handlungen) von neuen Religionen und Sinnsystemen abgelöst worden. Dagegen sind auch die heutigen Weltreligionen nicht gefeit.

Die Begegnung der Religionen mit kultureller Vielfalt, mit – zumindest in den westlich geprägten Ländern – einer Vielzahl von individuellen Lebensweisen erfordert ein Umdenken: Aus der Verwurzelung in eine einzige Kultur, sprachliche Tradition, in hergebrachte Rituale muss eine grundsätzliche Offenheit für die Weite des menschlichen Lebens erlangt werden, für die Vielfalt von Kulturen und Sprachen, für die vielen Wege, die Menschen gehen können. Religionen können zu Fortschrittsverweigerern werden (so wird der fundamentalistische Islam heute oft gesehen), sie können aber auch mit ihren religiösen Werten Impulse setzen, die Wege zu einer gerechteren und menschenwürdigeren Gesellschaft fördern.

Wie alle Religionen braucht der Islam den Mut zum Neuaufbruch, zur ständigen Reform. Das bedeutet keineswegs den Verzicht auf die Grundlagen, auf denen die Religionen aufbauen (etwa Glaube an den einen Gott oder Hoffnung auf Vollendung des Lebens im Jenseits). Wohl aber müssen Religionen ihre althergebrachten und durchaus liebgewonnen Traditionen kritisch daraufhin befragen, ob diese nicht nur in ihrer Entstehungszeit sinnvoll waren, sondern es heute noch in einer veränderten Situation sein können – in dem neuen Paradigma unserer modernen Welt, in der sich Sprache, Kultur und Brauchtum, Werte und Lebensweisen grundlegend verändern. Der französische Historiker, Sozialist und Pazifist Jean Jaurès (1859–1914) drückte dies so aus:

»Einer Tradition treu zu sein, bedeutet,

der Flamme treu zu sein und nicht der Asche.«

Muslimische Beter in der Tilya-Kori-Medrese, Samarkand, Usbekistan

Religionen sollen nicht die Asche überholter Traditionen bewahren, sondern das »Feuer ihrer lebendigen Überlieferung« weitergeben. Diese Anforderung steht im Gegensatz zum Denken fundamentalistischer Gruppen, die in der Regel jede Veränderung verweigern und sich in einer rückwärtsgewandten Sicht verharrend an einer – oft geschönten und idealisierten – Vergangenheit orientieren.

Ein fatales, aber grundlegendes Beispiel für die Problematik von Tradition und Veränderung ist die islamische Rechtslehre, die sich grundsätzlich und unbestreitbar an Koran und den Hadithen (den Aussprüchen und Handlungen Mohammeds) orientiert. Nicht jede neue Situation aber lässt sich von diesen beiden Rechtsquellen her beantworten. Deshalb entstanden im 8. und 9. Jahrhundert unterschiedliche Rechtsschulen (vgl. Seite →), die das islamische Recht (Scharia, vgl. Seite →) weiterentwickelten. Doch ab dem 11. Jahrhundert formulieren die meisten islamischen Rechtsgelehrten, dass die »Tore der idschdihad (Rechtsauslegung)« geschlossen sind und deshalb zwar noch Analogieschlüsse (al-qiyas) denkbar seien, sonst aber ein Konsens (idschma) der Rechtsgelehrten in einer Frage vorliegen müsse. Heute gibt es dagegen einzelne Gelehrte, die eine Wiedereröffnung des »Auslegungstores« fordern und damit Veränderungen entsprechend neuer Herausforderungen ermöglichen wollen.

Weitere Beispiele für den Veränderungsdruck, dem der Islam in einer vielgestaltigen Welt begegnet sind die Frage nach der Rolle der Frau (vgl. Seite →) oder nach einer staatlichen Ordnung, in der jeder Einzelne gleiche Rechte und Pflichten hat, also einer staatlichen, säkularen Struktur (vgl. Seite →), die auf demokratische Werte abzielt.

An solchen Beispielen werden die Anforderungen deutlich, denen der Islam (und andere Religionen) angesichts der heutigen veränderten Welt begegnet. Was über lange Jahrhunderte als feste und unveränderliche Tradition erschien, muss nun neu und kritisch-produktiv bedacht werden. Dies bedeutet Mühe und führt auch zu Konflikten, manche Einförmigkeit bisheriger Aussagen, Forderungen und Vorschriften für alle Muslime wird sich nicht erhalten lassen. Doch eine Einförmigkeit in Traditionen, Ritualen und Lebensweisen ist etwas anderes als die grundsätzliche Einheit im Glauben in einer Vielfalt von Ausdrucksweisen.

Es ist – wenn auch begleitet von vielerlei Auseinandersetzungen und Rückschlägen – durchaus zu erwarten, dass der Islam sich solchen und anderen Herausforderungen einer neuen Zeit stellen wird. Dabei erscheinen auch Veränderungen möglich, die nicht nur äußerlich sind (wie etwa die an die jeweilige Kultur angepasste Form eines Moscheenbaus), sondern die auch das öffentliche Erscheinungsbild des Islam grundlegend verändern. Dies kann sogar die Grundlagen des Islam berühren – etwa eine historisch-kritische Betrachtung des Korans und der Hadithe, die deutlicher als bisher zwischen allgemeinen, grundsätzlichen und nicht veränderbaren Aussagen dieser Texte und zeitbedingten und der damaligen Gesellschaftsform und Kultur geschuldeten Einzelvorschriften unterscheidet, die nicht zur Grundlage heutigen Lebens gemacht werden können. Für die mitteleuropäischen Gesellschaften wäre ein »Europäischer Islam« nicht nur denkbar, sondern sinnvoll und notwendig, der den islamischen Glauben mit dem Paradigma (Gesamtgefüge) europäischer Denkund Lebensweise verbindet (Stichworte sind etwa Rechte des Individums, Gleichheit aller, Verhältnis von Mann und Frau, Menschenrechte ...).

Konfrontation und Austausch

Solche notwendigen Aufbrüche des Islam innerhalb der modernen Welt treffen innerhalb der muslimischem Umma auf die allen menschlichen Gesellschaften eigenen Ungleichzeitigkeiten ihrer Mitglieder. Während die einen mutig und entschlossen Veränderungen anstreben (Stichwort: arabischer Frühling), beharren die anderen unerbittlich auf wörtlicher Auslegung der alten heiligen Texte und verweigern sich jeder Änderung bisheriger religiöser Deutungen und Ausdrucksformen (Stichwort: Salafisten). Die meisten Menschen allerdings haben wohl eine Einstellung, die zwischen diesen beiden Extremen liegt. Es gilt daher für jede Gruppierung und auch jede Religion, diese Mehrheit für die Notwendigkeit von Umbrüchen und Aufbrüchen zu überzeugen und für Veränderungen zu mobilisieren. Das jedoch – so zeigt sich überall, im Islam und im katholischen und orthodoxen Christentum vielleicht in besonders hohem Maß – kann eine Sisyphos-Arbeit sein.

Deshalb ist es nicht verwunderlich, wenn angesichts einer grundlegend veränderten Situation unserer Welt und ständig neuer Herausforderungen in allen Lebensbereichen der Menschen (Politik, Gesellschaftsordnung, Wirtschaft, Technik, aber auch Ethik, Moral und Religion) und angesichts einer Globalisierung, die sich nicht allein auf den wirtschaftlichen Bereich beschränkt, die Reaktionen sehr unterschiedlich sind:

Die einen setzen auf

Konfrontation

. Damit ist zuerst einmal die deutliche Abgrenzung von anderen Lebensentwürfen, moralischen und religiösen Strukturen gemeint; auch die Wiederkehr eines abgrenzenden Nationalismus in vielen Völkern gehört dazu (»America first« – »Hindutva, Indien allein den Hindus« – Israel als jüdischer Nationalstaat ...). Solche Abgrenzung führt aber nahezu notwendigerweise zu Gewalt und auch zu kriegerischer Auseinandersetzung: Wer davon überzeugt ist, dass er allein recht hat und dass ihm dieses Recht von Gott, den Göttern gegeben wird, der wird versuchen, sein »Recht« auch durchzusetzen, notfalls mit allen Mitteln. Die Erfahrung einer globalisierten Welt führt deshalb bei einer wachsenden Zahl von Menschen nicht zum Austausch, sondern zur Abgrenzung und Ausgrenzung aus Angst vor Verlust der eigenen Identität.

Die anderen setzen auf

Austausch

. Sie erkennen den Reichtum der verschiedenen geschichtlich gewachsenen Kulturen und auch Religionen und sehen diese Vielfalt menschlicher Lebenswege nicht als Gefahr an, sondern als Chance zu einem Austausch und zu einer gegenseitigen Bereicherung. Hier ist eine Offenheit für andere Lebensweisen zu erkennen, ein Ernstnehmen anderer Meinungen und ein kritisch-produktives Hinterfragen nicht nur der anderen, sondern auch des eigenen Lebens und seiner Werte und Einstellungen auch im religiösen Bereich. Die bunte Vielfalt der Menschheit wird als Impuls gesehen, nicht im Altbekannten und Hergebrachten zu verharren, sondern beweglich und kreativ die Zukunft zu gestalten.

Konfrontation und Austausch – diese Alternativen werden künftig jede menschliche Gesellschaft, jedes Volk und auch jede Religion prägen. Dies ist die Alternative von Gewalt und Frieden, so wie es der Theologe Hans Küng wegweisend gesagt hat:

»Kein Frieden unter den Nationen

ohne Frieden unter den Religionen.

Kein Frieden unter den Religionen

ohne Dialog zwischen den Religionen.

Kein Dialog zwischen den Religionen

ohne Grundlagenforschung in den Religionen.«

Dieser Aufgabe müssen sich in besonderer Weise die beiden größten Religionen der Welt stellen: Christentum und Islam.

Ein Austausch bedeutet allerdings vorab die Kenntnis von grundlegenden Informationen. Somit folgen in kompakter Form zwei Kapitel zu den Grundlagen und der Geschichte des Islam.

Vgl. dazu auch die gleichzeitig erscheinenden <beiden ersten Bände der Reihe Islam, wo diese Themen ausführlicher behandelt werden:

»Koran, Botschaft und Anspruch«

»Mohammed, Prophet und Staatsmann«

König Faisal Moschee, Islamabad, Pakistan. Dies ist eine der Moscheen, die von Saudi-Arabien finanziert wird, um damit die wahhabitische Lesart des Islam zu verbreiten.

Grundlagen

Grundlage des Islam ist der Koran, die göttliche Offenbarung, die über den Propheten Mohammed die Menschen erreichte, und die für Muslime eine höhere Bedeutung hat als die Bibel für Juden und Christen. Doch wird hier zuerst Mohammed (arabisch Muhammad) vorgestellt, um die Entstehung des Korans in einer bestimmten zeitgeschichtlichen Situation aufzuzeigen. Zu Mohammed gehören dann auch die Hadithe, die Erzählungen über Aussprüche und Handlungen Mohammeds, die nicht im Koran enthalten sind und auf die nach der Darstellung des Korans eingegangen wird. Schließlich wird ein erster Blick auf die Umma, die muslimische Gemeinschaft geworfen, der in den folgenden Kapiteln vertieft wird.

Mohammed – der Prophet

Mohammed wurde etwa im Jahr 570 n. Chr. in der arabischen Stadt Mekka geboren und gehörte zum Stamm der Quraisch. Mekka war damals eine bedeutende Handelsstadt, zugleich ein Pilgerort, wo eine Fülle von Göttern und Göttinnen verehrt wurden. Schon früh wurde Mohammed Waise, die Vormundschaft übernahm sein Großvater, dann sein Onkel Abū Tālib. Wie damals üblich wurde Mohammed als Kind zum Hüten von Schafen und Ziegen eingesetzt. Doch bereits mit neun Jahren durfte er seinen Onkel bei einer Handelsreise nach Syrien begleiten – dort lernt er in Bosra und Damaskus Juden und Christen kennen. Von ihnen wird er biblische Texte über Abraham und Mose, David und Jesus gehört haben – eine der Grundlagen des Korans sind unterschiedliche Erzählungen vor allem aus der Hebräischen Bibel. In der Folge konnte Mohammed weitere Reisen nach Norden unternehmen, sodass er über seine Tätigkeit als Hirte hinauswuchs und Karawanenführer wurde. Aufträge dazu kamen auch von der Witwe Chadīdscha, einer reichen Händlerin. Obwohl der soziale Stand der beiden unterschiedlich war – eine gebildete, selbstständige und zudem ältere Kaufmannsfrau und ein armer und leseunkundiger Karawanenführer –, heirateten die beiden im Jahr 595. Fast alle Kinder dieser Ehe sind früh verstorben, allein Fātima wurde später in der Geschichte des Islam von Bedeutung, weil sie Alī ibn Abū Tālib (vgl. Seite →) heiratete.

Die traditionelle Götterverehrung in Mekka genügte Mohammed bald nicht mehr, so zog er sich im Monat Ramadan in eine Höhle des Berges Hirā zurück – Mohammed wurde zum Hanīf, zum spirituell Suchenden. Im Jahr 610 ereignete sich dort die erste Offenbarung Gottes an Mohammed – Sure 96 gilt als die früheste Koransure. In der Folge wird Mohammed in seiner Heimatstadt Mekka zum Verkünder des Glaubens an nur einen und einzigen Gott; weitere Offenbarungen folgten.

Doch im nicht nur vom Handel, sondern auch von den Pilgerströmen wirtschaftlich abhängigen Mekka hatte seine Botschaft nur bei wenigen Erfolg, meist bei nahen Verwandten innerhalb seines Stammes der Quraisch. Es entstand eine kleine Gemeinde erster Muslime, doch ihre Zahl und ihr Einfluss waren gering und sie gerieten immer mehr unter Druck der an den alten Religionsformen hängenden Mehrheit. Aufgrund dieses Widerstandes mussten einige Anhänger der neuen Lehre etwa um 615 nach Äthiopien auswandern bzw. fliehen. Der Druck auf Mohammed in Mekka aber blieb.

Im Jahr 622 hatte sich im 400 Kilometer nördlich von Mekka gelegenen Yathrib (dem heutigen Medina, eigentlich Medina an-nabī, »Stadt des Propheten«) die Lage zugespitzt: Zwei arabische und drei jüdische Stämme, die die Oasenstadt bewohnten, waren uneinig und suchten einen auswärtigen Vermittler. So boten sie Mohammed die Stellung des Stadt oberhauptes an – dieser nahm das Angebot an. 622 erfolgte die Hidschra, der erste entscheidende Einschnitt in der islamischen Geschichte: Mohammed zog mit seinen Getreuen nach Medina; eine neue Zeit brach für den Propheten und den Islam an – die islamische Zeitrechnung beginnt deshalb mit dem Jahr 622.

Der Engel Gabriel überbringt Mohammed die erste Sure des Korans, Tabriz, Persien, 1306–1315

In Medina entstand eine erste muslimische Gemeinde, die Umma-al-islāmīya. Das kleine Hofhaus, das Mohammed hier bewohnt, wurde zugleich zur ersten Moschee; in Medina entstand eine erste islamische Gesellschaftsordnung. Deshalb finden sich in den folgenden Offenbarungen, den in Medina geoffenbarten Suren, auch zunehmend nicht nur Aussagen zum Glauben an den einen Gott und Erzählungen über frühere Propheten wie in den in Mekka entstandenen Suren, sondern Regelungen zu Zivil- und Strafrecht und vielerlei Bereichen, die das Zusammenleben gestalten. Bei den beiden arabischen Stämmen in Medina hatte Mohammed auch missionarischen Erfolg, sie konvertierten zum Islam; die drei jüdischen Stämme taten dies verständlicherweise nicht..

Den Mekkanern war dies ein Dorn im Auge, zudem auch einzelne ihrer Karawanen im medinischen Bereich überfallen wurden. So erfolgten Angriffe mekkanischer Krieger auf Medina und die muslimische Umma, die zurückgeschlagen werden konnten. Der militärischen Klärung (Mohammed war als Stadt oberhaupt auch militärischer Befehlshaber) folgte eine eine Klärung im Inneren: Die jüdischen Stämme, die die Unterstützung Mohammeds verweigerten, wurden vertrieben oder blutig verfolgt und vernichtet – Medina war nun rein muslimisch; Islam und Staat gingen eine Symbiose ein, die bis heute Staaten mit muslimischer Mehrheit prägt.

In seinen letzten Lebensjahren erreichte Mohammed zwei weitere Ziele: Er konnte sowohl durch dynastische Heiraten wie durch Feldzüge die arabischen Stämme zum ersten Mal in ihrer Geschichte einigen und damit die bislang nahezu ununterbrochenen kriegerischen Auseinandersetzungen auf der arabischen Halbinsel beenden. Die dadurch neu gewonnene Macht führte auch zur friedlichen Einnahme seiner Heimatstadt Mekka im Jahr 629. Mohammed reinigte die uralte Kaaba im Zentrum der Stadt von aller vorislamischen Götterverehrung und begann mit dem Hadsch, der muslimischen Wallfahrt dorthin. 632 starb Mohammed in Medina und wurde im Hof seines Hauses begraben – dort erhebt sich heute die riesige Prophetenmoschee.

Wie ist die Gestalt des Mohammed zu werten?

Mohammed war

Prophet

in der Linie der monotheistischen Religionen Judentum und Christentum; im Koran werden eine Fülle biblischer Propheten als Vorläufer Mohammeds genannt, zuletzt Jesus, der als Prophet und Wort von Gott im Islam hoch geschätzt, aber nicht als Gottessohn verstanden wird. Auch Mohammed wird ausschließlich als Mensch, nicht als »Gottessohn« verstanden, aber er ist der

Gesandte

Gottes, das abschließende »Siegel der Propheten.

Mohammed verstand sich nicht als Stifter einer neuen Religion, sondern als

Erneuerer

der alten Religion, die von Abraham herkommt, dem ersten

Muslim

(= »Gottergebenen«), aber immer wieder im Judentum und Christentum verfälscht wurde. Mohammed ruft deshalb zum unbedingten Glauben an den einen Gott auf und fordert von den Gläubigen, sich ganz dem Willen Gottes zu ergeben.

Mohammed war in Medina nicht länger nur Prophet, sondern wurde zum

Staatsmann

, damit zum Gesetzgeber, Richter, Heerführer, Krieger und Feldherr, Politiker und Diplomat. Als Prophet kann man ihn mit Jesus vergleichen, in dieser Funktion jedoch nicht – da ähnelt er eher Mose, der ebenso Prophet

und

Anführer des Volkes war.

Wenn man auf die Geschichte des Islam als heute zweitgrößter Weltreligion schaut, dann gehört Mohammed zu den Großen der Weltgeschichte – er wird im islamischen Bereich deshalb zu Recht aufs Höchste verehrt. Doch im außerislamischen Bereich, vor allem im Christentum und Judentum, war und ist er umstritten. Dies liegt wesentlich an der Gewaltgeschichte zwischen den drei vorderorientalischen Schwesterreligionen. Doch können Christen durchaus Mohammed als Propheten Gottes anerkennen: Der gegenüber allen Menschen barmherzige Gott schafft unterschiedliche Wege, auf denen Menschen ihm begegnen können. Christen, Juden und Muslisme aber eint der gemeinsame Glaube an den einen Gott.

Koran – das Buch

Grundlage des Islam ist ohne jede Einschränkung der Koran, das heilige Buch der Muslime. Seine Stellung innerhalb des Islam lässt sich mit der Stellung Jesu im Christentum vergleichen: Beide werden innerhalb ihrer Glaubensgemeinschaften als gutes Wort Gottes für die Menschen angesehen, beide sind – in je anderer Deutung – Offenbarungen des barmherzigen, den Menschen zugewandten Gottes. Der Islam ist deshalb, darin eher dem Judentum mit seiner Tora vergleichbar, eine unbedingte Buchreligion, das Christentum bindet sich an die Person Jesu, der als Mensch und Gott bekannt wird. Das Buch der Bibel mit seinen vielen Schriften wird im Christentum zwar hoch geschätzt (vor allem in den reformatorischen Kirchen, seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil wieder stärker auch in der katholischen Kirche), ist aber Jesus untergeordnet. Dies ist im Islam anders: Mohammed ist zwar Vermittler, verkündet die ihm in den Suren des Korans übermittelte Offenbarung an die Menschen, aber er steht wie alle unter dem Wort des Korans.

Für alle Richtungen des Islam (vgl. Seite →) ist der Koran die absolute Richtschnur ihres Glaubens, weil der Gläubige im Koran das unverfälschte Wort Gottes liest (al-qu’ran