13,99 €
Mutterschaft ist ein Karrierekiller. Schon während der Bauch wächst, schrumpfen allzu oft Verantwortungsbereiche und Karrierechancen. Tätigkeiten werden plötzlich beschnitten oder ganz gestrichen. Und auch das Bewerben auf andere oder bessere Stellen wird schwierig, wenn nicht gar unmöglich. Die Expertin für Gleichstellungsfragen Christina Mundlos hat Berichte von Schwangeren und Müttern gesammelt. Sie zeigt auf, mit welchen Benachteiligungen berufstätige Frauen rechnen müssen. Sie stellt klar, welche Rechte Frauen haben und was sie gegen Mobbing, Diskriminierung und Sexismus am Arbeitsplatz konkret tun können. Ein Anhang mit Musterformularen und -anschreiben hilft, die eigenen Ansprüche geltend zu machen.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 186
Christina Mundlos
MÜTTER UNERWÜNSCHT
Christina Mundlos
Mütter unerwünscht
Mobbing, Sexismus und Diskriminierung am Arbeitsplatz
Ein Report und Ratgeber
Mit einem Geleitwort von Rita Süssmuth
Tectum
Christina Mundlos
Mütter unerwünscht – Mobbing, Sexismus und Diskriminierung am Arbeitsplatz. Ein Report und Ratgeber.
Mit einem Geleitwort von Rita Süssmuth
Christina Mundlos, 2017
ISBN 978-3-8288-6605-8
(Dieser Titel ist zugleich als gedrucktes Buch unter
der ISBN 978-3-8288-3842-0 im Tectum Verlag erschienen.)
Lektorat: Christina Kruschwitz
Umschlagabbildung: IPGGutenbergUKLtd | istockphoto.com
Bildnachweis Innenteil: S. 10 – Bundesarchiv, B 145 Bild-F076341-0033 / Schaack, Lothar / CC-BY-SA 3.0; S. 34 und 134 – DNY59 | istockphoto.com, S. 62 und 68 – Besitz der Autorin.
Besuchen Sie uns im Internetwww.tectum-verlag.de
Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
Für Alexis & Svea
Inhalt
Geleitwort von Prof. Dr. Rita Süssmuth
Vorwort
I.Einleitung
II.Begriffliche Definitionen
1.Was ist Diskriminierung?
2.Was ist Sexismus?
3.Was ist Mobbing?
III.Verschiedene Formen der Diskriminierung
1.Strukturelle Diskriminierung von (werdenden) Müttern
2.Spezielle Diskriminierung von (werdenden) Müttern
3.Diskriminierung von (werdenden) Vätern
IV.Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz
1.Rechtliche Einordnung des AGG
2.Struktur und Inhalte des AGG
Die unmittelbare Benachteiligung
Die mittelbare Benachteiligung
Die Belästigung
Die sexuelle Belästigung
Die Anweisung zur Benachteiligung
3.Konkrete Praxisbeispiele in Bezug auf Schwangere und Mütter
Diskriminierung im Rahmen von Vorstellungsgesprächen und Bewerbungsverfahren
Diskriminierung im Rahmen eines bestehenden Arbeitsverhältnisses
Diskriminierung im Rahmen der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses
V.Die Befragung (werdender) Mütter
VI.Diskriminierung in Bewerbungsverfahren – die Erfahrungsberichte
Alice, Schleswig-Holstein – Karin, Baden-Württemberg – Marie, Nordrhein-Westfalen – Jessica, Niedersachsen – Nadine, Bayern – Nathalie, Nordrhein-Westfalen – Sandra, Niedersachsen
VII.Diskriminierung am Arbeitsplatz – die Erfahrungsberichte
Christiane, Nordrhein-Westfalen / Simone, Berlin / Anja, Hessen / Barbara, Hamburg / Lena, Niedersachsen / Jenny, Bayern / Jana, Nordrhein-Westfalen / Eva, Hamburg / Diana, Nordrhein-Westfalen / Tatjana, Bremen / Tina, Berlin / Juliane, Bundesland anonym / Carolin, Bayern / Katharina, Sachsen / Antje, Brandenburg / Melanie, Hessen / Julia, Nordrhein-Westfalen / Steffi, Niedersachsen
VIII.Analyse der Erfahrungsberichte
1.Diskriminierung im Bewerbungsprozess
2.Diskriminierung am Arbeitsplatz
Das Streichen von Weiterbildungen
Negative Bewertungen
Unflexible Arbeitszeiten
Streichung von Lohn und Beförderungen
Mobbing
IX.Folgen für die Gesellschaft
X.Tipps und Ratschläge für Betroffene
XI.Fazit
XII.Dank
XIII.Anhang
Gedächtnisprotokoll für Diskriminierungen / Hinweise zum Verfassen einer Beschwerde entsprechend des § 13 im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz / Musterschreiben »Beschwerde wegen Diskriminierung« / »Ablauf einer Klage nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) / »Formular zum Erfassen von Mobbing-Handlungen
XIV.Literaturverzeichnis
»Um ihren Arbeitsplatz zu behalten, muss eine Frau meist doppelt so gut sein wie ein Mann. Sie muss zudem gewillt sein, in einer feindseligen Umgebung doppelt so hart zu arbeiten wie er. Das ist eine der vielen ungeschriebenen Bedingungen in der Arbeitsplatzbeschreibung für Frauen.«
Phyllis Chesler, 1997
»Da gibt es Hunderttausende größtenteils hochqualifizierter Arbeitskräfte, deren Motivation ebenso groß sein dürfte wie ihre Fähigkeit, Dinge effizient zu organisieren und umzusetzen. Ich spreche von Müttern. Doch statt sich die Finger nach dieser Gruppe zu lecken, stilisieren Unternehmen sie zum Problem. Und zwar zu einem Problem, dem sie qua Gesetz zwar nicht ausweichen können, das sie aber in Einzelfällen auf so derbe Art lösen, dass dem Betrachter schier die Luft wegbleibt.«
Robert Franken, 2016
»Ausschlaggebend dafür, ob man einen guten Job bekommt, sollte nicht die Zusammenstellung der Chromosomen sein.«
Bella Abzug, 1984
»Von Männern geschaffene Systeme sind homogen. Sie schließen uns Frauen aus, erniedrigen uns oder leugnen unsere Existenz. Die häufigste Begründung für unseren Ausschluss aus diesen Systemen ist, dass wir Mütter sind oder sein sollten.«
Adrienne Rich, 1976
Geleitwort von Prof. Dr. Rita Süssmuth
Die alltägliche Diskriminierung von Schwangeren und Müttern im Arbeitsleben wird nur selten medial thematisiert und ist im öffentlichen Bewusstsein noch nicht angekommen. Das Buch von Christina Mundlos legt offen, auf welche Art und in welchem Umfang Frauen im Berufsalltag noch immer Diskriminierung erleiden aufgrund der Tatsache, dass sie Kinder bekommen oder bekommen könnten. Eine Ahnung davon, was das Kinderkriegen für ihre berufliche Laufbahn bedeutet, haben viele Frauen. Da wären die Schwierigkeiten bei der Vereinbarung von Beruf und Familie, der zurecht gefürchtete Karriereknick und auch die Diskriminierung, die Frauen trotz Kinderwunsch vor der Familiengründung zurückschrecken lassen. Medien und Politik beklagen immer wieder die niedrige Geburtenrate. Doch was erwarten wir von jungen Frauen, wenn sie sich schon allein aufgrund der Tatsache, dass sie schwanger werden könnten, im Arbeitsleben diskriminierenden Mechanismen und Herabwürdigungen ausgesetzt sehen?
Als ich 1966 ein Vorstellungsgespräch für meine erste Dozentenstelle hatte, wurde ich gefragt, wie ich Job und Kind unter einen Hut bringen will. Mich hat diese Frage sehr brüskiert. Nun – 50 Jahre später – haben wir bereits viel für die Gleichberechtigung von Frauen erreicht. Unter anderem ist es gesetzlich verankert, dass solche Fragen unzulässig sind und als diskriminierend eingestuft werden. Wir haben das Mutterschutzgesetz, Kindererziehungszeiten werden bei der Rente anerkannt und es gibt einen rechtlichen Anspruch auf Kinderbetreuungsplätze. Es gibt inzwischen Arbeitgeber, die begonnen haben umzudenken und familienfreundliche Arbeitsbedingungen schaffen. Dennoch höre ich auch heutzutage noch von Frauen, denen ebensolche Fragen bei Bewerbungsgesprächen gestellt werden. Und auch Christina Mundlos hat hier Berichte zusammengetragen, die von ähnlichen Vorfällen zeugen.
Dieses Buch legt schonungslos offen, dass Diskriminierung von Frauen und Müttern im Berufsleben nach wie vor Alltag ist. Wenn wir Chancengleichheit herstellen wollen und auf Kinder in unserer Gesellschaft nicht verzichten möchten, dürfen wir den Karriereknick, den Frauen ab der Geburt eines Kindes erleiden, nicht verharmlosen und ignorieren. Vereinbarkeit von Beruf und Familie darf nicht nur ein Schlagwort der Feuilletons sein, sondern muss konsequent Einzug in alle Bereiche der Wirtschaft, Politik und Wissenschaft halten. Hierzu gehört auch ein Sinneswandel bei den Arbeitgebern, die Frauen immer noch viel zu oft als Ballast ansehen, den es loszuwerden gilt, statt als qualifizierte Mitarbeiterinnen. Wir können es uns nicht erlauben, auf das Potential gut ausgebildeter Frauen zu verzichten.
Ich wünsche mir eine Gesellschaft, in der Frauen nicht mehr im Bewerbungsprozess oder am Arbeitsplatz benachteiligt und diskriminiert werden. Ich wünsche mir eine Gesellschaft, in der die Frauen-Quote nicht nötig wäre – weil Arbeitgeber Frauen wollen. Mundlos’ mutige Auseinandersetzung mit der alltäglichen Diskriminierung ist ein wichtiger Schritt zur Bewusstmachung und Sensibilisierung für dieses Thema.
Vorwort
Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.
GG Artikel 3 (2)
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
dieser Artikel unserer Verfassung ist Ihnen sicherlich bekannt. Genauso wie Ihnen klar ist, dass er an vielen Ecken und Enden unserer Gesellschaft – ebenso wie unserer Mitte – noch längst nicht gelebte Kultur ist. Oft genug wird er schlicht und einfach nicht umgesetzt. Unsere Verfassung sieht vor, dass der Staat die tatsächliche Gleichberechtigung von Frauen und Männern fördert und auf die Beseitigung bestehender Nachteile hinwirkt. Aber nur durch Wiederholen des Artikel 3 (2) unseres Grundgesetzes wird die Benachteiligung weder beseitigt noch die Gleichberechtigung tatsächlich durchgesetzt.
Oder doch? Wir können unser Grundgesetz nicht genügend oft zitieren, wie ein Mantra, der uns alle gemeinsam daran erinnert, immer ein Stück mehr auf die tatsächliche Umsetzung hinzuwirken.
Ja – es gibt auch in unserer Gesellschaft Frauen, die sich nicht benachteiligt fühlen. Ja – es gibt unter uns auch Männer, die sich nicht benachteiligt fühlen. Aber die Lebensrealität Vieler macht die alltägliche Benachteiligung und somit Diskriminierung trotzdem mehr als deutlich:
Frauen verdienen noch immer durchschnittlich knapp 22 Prozent weniger als Männer. Der Fachbegriff dafür ist der Gender Pay Gap, die sogenannte unbereinigte Lohnlücke. Selbst die bereinigte oder besser gesagt die unerklärbare Lohnlücke wird auf durchschnittlich vier bis sieben Prozent beziffert. Das bedeutet für Frauen einen immensen finanziellen Nachteil. Aber erst im Alter zeigt er seine wirklich gravierenden Folgen. Mit dem aktuellen Rentensystem – als Spiegel der Erwerbsleistung anstelle einer Lebensleistung – führt der Gender Pay Gap unvermeidlich in die Armutsfalle im Alter – dem sogenannten Gender Pension Gap: Frauen erhalten aktuell durchschnittlich knapp 60 Prozent weniger Rente als Männer bei eigen erworbenen Ansprüchen.
Ist dies aber Diskriminierung, wenn Frauen aufgrund der Rahmenbedingungen weniger verdienen als Männer? Ist es nicht ihre freie Entscheidung, wenn sie zugunsten der Familie beruflich zurückstecken, sich auf ihren Mann als Ernährer verlassen, wenig oder gar kein »eigenes« Geld verdienen?
Ganz ehrlich? Vor der Einführung der Gurtpflicht beim Autofahren oder der Helmpflicht beim Motorradfahren gab es viele Menschen, die sich weder anschnallten noch einen Helm trugen. Obwohl sie allein der gesunde Menschenverstand vor den Gefahren eines Unfalls und der unter Umständen schrecklichen Folgen hätte warnen sollen. Erst dadurch, dass entsprechende Gesetze gekoppelt an Sanktionen erlassen wurden ist beides – Gurt und Helm – inzwischen zu einer Selbstverständlichkeit geworden mit den bekannten positiven Effekten.
Gesellschaft verändert sich ständig. Gesetzgebung und Rechtsprechung können aber die Richtung durchaus steuern, indem sie an Stellschrauben wie den Rahmenbedingungen oder der Infrastruktur drehen. Diese weisen aber aktuell in eine andere Richtung als die der Gleichberechtigung, befeuert durch die aktuellen Bedingungen am Arbeitsmarkt. Denn viele Paare erliegen staatlich und wirtschaftlich geförderten Fehlanreizen, die Diskriminierung zur Folge haben: Das Ehegattensplitting unterstützt Paare darin, dass ein Partner immer weniger verdient als der andere. Die beitragsfreie Mitversicherung des geringverdienenden Partners in der Krankenkasse tut das übrige hinzu. Und die als Brücke gedachte arbeitsmarkpolitische Maßnahme »Minijob« erweist sich so insbesondere für Frauen eher als Sackgasse. Um Familie und Beruf unter einen Hut zu bekommen, scheint für viele Frauen der einzige Ausweg die geringfügige Teilzeit zu sein.
Anders als beim Zigarettenkonsum, wo der Gesetzgeber mit einer Altersgrenze und drastischen Warnungen auf dem Produkt einschreitet, um das Bewusstsein für die Gefahr zu schärfen und schließlich auch ein bestimmtes Verhalten zu erzeugen, sind sich viele Frauen und Männer der Spätfolgen ihrer Entscheidungen zur Aufteilung in Familien- und Arbeitswelt nicht bewusst, sondern sind vom aktuellen Familieneinkommen geleitet. Würden insbesondere die Frauen deutlich auf ihre finanziellen Einbußen jetzt und im Alter, auf ihre Abhängigkeit von einem Ernährer, auf ihre sinkenden Chancen auf dem Arbeitsmarkt, etc. hingewiesen, so unterstelle ich, würden sie versuchen, die Anteile an der Familien-, Haus- und Erwerbsarbeit doch etwas gerechter im Sinne von egalitärer auf ihre und auf die Schultern ihres Partners zu verteilen.
In der Regel werden die Spätfolgen erst durch dramatische Ereignisse sichtbar: sei es der Arbeitsplatzverlust des Haupternährers, sei es durch dessen plötzlichen Krankenstand bzw. Pflegefall oder sei es – wie so oft – die Trennung bzw. Scheidung des Paares.
Warum geht der Staat durch entsprechende Gesetzgebung nicht konsequent gegen die Fehlanreize in Steuer-, Familien-, Sozial- und Melderecht vor? Warum setzt er nicht auf kongruente Anreize wie beispielsweise in den Handlungsempfehlungen aus dem 1. Gleichstellungsbericht der Bundesregierung sowie aus den Ergebnissen der Evaluation der ehe- und familienpolitischen Leistungen festgestellt? Warum verpflichtet der Gesetzgeber die Akteure auf dem Arbeitsmarkt zu ethischen Grundsätzen, die – anders als die aktuell geltenden – die Benachteiligungen von Frauen und insbesondere Müttern bekämpfen?
Was muss sich also ändern? Eingebettet in eine in Qualität und Quantität bedarfsgerechte Betreuungs- und Bildungsinfrastruktur mit bundeseinheitlichen Standards, Durchlässigkeit des Systems, dem Ausbau der gebundenen rhythmisierten Ganztagsschule verbunden mit einem Rechtsanspruch auf einen Ganztagsplatz der bis in die weiterführende Schulform reicht sind Steuern ein wichtiges Element zum Umsteuern hin zu mehr Gerechtigkeit. Ganz wesentlich hierbei ist die Ablösung des Ehegattensplittings durch die Einführung der Individualbesteuerung. Diese soll nicht den Ehe- bzw. Paarstatus berücksichtigen, sondern Aufgaben in der Kinderbetreuung und -erziehung sowie Begleitung in der Bildung, die Pflege von Angehörigen und Wahrnehmung besonderer Fürsorgeaufgaben. Und an die Stelle von Kindergeld oder Freibeträgen rückt eine Kindergrundsicherung. Dann haben wir zum einen die Voraussetzungen, um das allgemeine Bewusstsein für wirtschaftlich eigenständige Existenzsicherung bis hin zu einem Auskommen mit dem Einkommen auch im Alter unabhängig von der Paarkonstellation zu schärfen. Zum anderen schaffen wir einen Beitrag zur Chancengleichheit aller Kinder, was wiederum auch Eltern bei ihrer Vereinbarkeitsthematik entlasten und somit positiv unterstützen kann.
Oder noch ein paar Gedanken-Schritte weiter: Warum wird das Mutterschutzgesetz nicht konsequent zu einem Elternschutzgesetz ausgebaut, zum Beispiel indem auch werdende Väter einen Kündigungsschutz während der Schwangerschaft ihrer Partnerin haben und mit der Geburt auch eine Karenzzeit erhalten? Warum ist das ElterngeldPlus nicht so angelegt, dass Elternzeit und Elterngeld nur dann voll ausgeschöpft werden können, wenn sie jeweils hälftig genommen werden – selbst, wenn sich die werdenden Eltern bereits in der Schwangerschaft trennen sollten?
Worauf warten wir, der Elternzeit die Familienarbeitszeit folgen zu lassen, um die partnerschaftliche hin zur egalitären Aufgabenteilung in Familie und Erwerbsleben positiv zu unterstützen?
Alle Instrumente, die eine echte Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Frauen wie Männer dahingehend positiv unterstützen, dass beide jeweils gleichberechtigte Teilhabe in Familien-, Haus- und Erwerbsarbeit leben können, sind Instrumente echter Chancengleichheit und Geschlechtergerechtigkeit. Natürlich muss dies in der gesamten Lebensverlaufsperspektive gelten. Also auch nach der Trennung eines Elternpaares muss eine gleichberechtigte Teilhabe und Aufteilung von Familienaufgaben greifen. Dies impliziert, dass wir das geltende Leitbild »Residenzmodell« mit Unterstützung der Europaratresolution 2079 aus Oktober 2015 durch das Leitbild »Wechselmodell«/»Residenzmodell« ablösen. Somit tragen wir der Veränderung unserer Gesellschaft Rechnung, mit Vätern, die mehr Zeit mit Familie verbringen möchten, und Müttern, die mehr Teilhabe am Erwerbsleben haben möchten.
Auch die Wirtschaft hat ihren Beitrag zu leisten, um Chancengleichheit und Geschlechtergerechtigkeit positiv zu befördern. Nötig sind hier neue ethische Grundsätze: Warum ist in den Berufen, in denen überrepräsentativ Frauen beschäftigt sind, so wenig zu verdienen? Eine Neubewertung und Einstufung von Berufen und Tätigkeiten steht dringend an. Anstelle ständiger Verfügbarkeit und Präsenzkultur brauchen wir einen Wandel hin zur Ergebniskultur. Und was hindert uns daran, dass Sozialversicherungspflicht ab dem ersten Euro gelten muss? Als Übergang zur Abschaffung des Minijobs können Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber zur Aufklärungspflicht über Folgen von Minijob & Co. im Bewerbungsprozess angehalten werden. Warum wird nicht hinreichend aktive Familienzeit als Karrierebaustein und somit als Mehrwert für das Unternehmen anerkannt? Diversitiy ist das Zauberwort für Produktivität und Innovation. Dazu gehören auch gemischte Teams – auch unter dem Aspekt der Verteilung der Geschlechter – auf allen Ebenen. Wo sind aber die Vorbilder in Unternehmen? Die männlichen Führungskräfte, die familienbedingt in Teilzeit arbeiten – oder einfach nur regelmäßig pünktlich nach Hause gehen, weil sie sich familiären Aufgaben widmen?
Diskriminierung bzw. Benachteiligung eines Geschlechtes im Arbeitsleben ist obsolet, wenn das Geschlecht keine Rolle mehr spielt. Daher gilt es, Männer zum gleichen unternehmerischen Risiko wie Frauen zu machen. Dann haben wir eine reelle Chance auf echte Gleichstellung mit einer Strahlkraft in die gesamte Gesellschaft. Unterm Strich heißt das zum WinWin aller Beteiligten:
Den Frauen & Müttern mehr Karriere, den Männern & Vätern mehr Familie und unseren Kindern beide Elternteile.
Ich wünsche Ihnen viel Spaß mit der vorliegenden Lektüre und freue mich, wenn die hierbei gewonnenen oder auch bestätigten Erkenntnisse uns gemeinsam an einem Strang ziehen lassen – weg von Benachteiligung und Diskriminierung eines Geschlechts hin zu mehr Chancengleichheit, Geschlechtergerechtigkeit, Gleichberechtigung sowie echter Gleichstellung und schließlich auch Generationengerechtigkeit.
Herzlichst Ihre Cornelia Spachtholz
Vorstandsvorsitzende Verband berufstätiger Mütter e.V. (VBM)Initiatorin Equal Pension Day
www.vbm-online.dewww.equalepensionday.de
I. Einleitung
Die Diskriminierung von Schwangeren und Müttern in Bewerbungsverfahren und am Arbeitsplatz ist in Deutschland an der Tagesordnung. Da werden Schwangere zur Kündigung gedrängt, Stellen während der Elternzeit gestrichen, Mütter mit unbefriedigenden Routineaufgaben unterhalb ihrer Qualifikation beschäftigt, Gehaltserhöhungen sowie zugesagte Beförderungen ausgelassen, und in Vorstellungsgesprächen werden ungeniert trotz gesetzlichen Verbots indiskrete Fragen zur Familienplanung oder den Betreuungseinrichtungen der Kinder gestellt.
Die Arbeitgeber wünschen sich aufgrund des Fachkräftemangels mehr Nachwuchs, aber die Mütter dieses Nachwuchses möchten sie am liebsten nicht beschäftigen. Doch potentielle Fachkräfte haben wir längst: Es sind die talentierten Frauen, die wir hierzulande kaum motivieren, sich in die technischen Berufe zu begeben. Und es sind qualifizierte Frauen und Mütter, die gar nicht erst eingestellt werden, weil sie Kinder haben oder welche bekommen könnten. Viele Arbeitgeber folgen damit einem absolut anachronistischen Frauenbild. Sie sehen die Frauen letztlich nur als Gebärmaschine, die ihnen neue Arbeitskräfte produzieren sollen, statt sie als Arbeitskraft selbst zu sehen.
Bekannt sind mir diese Einstellungen vieler Arbeitgeber, Führungskräfte und Personaler bereits aus meiner jahrelangen Tätigkeit im Bereich der Gleichstellungsarbeit an der Universität Kassel und an der Universität Hannover.
Doch auch schon als ich selbst das erste Mal schwanger wurde, bekam ich zu spüren, dass Müttern offenbar kein beruflicher Erfolg mehr zugetraut wird. Ich hatte damals noch Soziologie und Germanistik an der Universität Kassel studiert. Ich war in beiden Fächern sehr engagiert und erfolgreich. In Soziologie studierte ich schwerpunktmäßig die Geschlechterforschung und war aus keinem Seminar der entsprechenden Professorin und ihrer Mitarbeiterin mehr wegzudenken. Wenn die Professorin auf einer Tagung war, übernahm ich die Leitung ihres Seminars. Ihre Mitarbeiterin bat mich mehrfach, Vorträge zu meinen Studien in ihren Seminaren zu halten – selbst wenn ich diese nicht besuchte. Meine Hausarbeiten stellte sie in der Unibibliothek in den Semesterapparat, damit andere Studierende darauf Zugriff hätten und meine Untersuchungen studieren konnten.
Unser Verhältnis änderte sich schlagartig, als ich schwanger wurde. Beide Geschlechterforscherinnen waren kinderlos geblieben. Die Professorin erzählte einmal, sie hätte einen großen Kinderwunsch gehabt, aber den hätte sie nicht realisieren können. Als ich dann geplant und gewollt schwanger wurde, sagte mir die wissenschaftliche Mitarbeiterin, dass man mit Kind in der Wissenschaft keine Chance mehr hätte. Eine wissenschaftliche Karriere oder gar eine Professur könnte ich nun vergessen.
Dann absolvierte ich 2006 hochschwanger meine Zwischenprüfungen. In Soziologie prüften mich die beiden Geschlechterforscherinnen. Die Prüfung glich einer reinen Schikane. Aufgrund meiner bisherigen Leistungen in dem Fach hatte ich keine Scheu vor der Prüfung und rechnete mit einem sehr guten Bestehen. Doch die Prüfung verlief anders als gedacht. Die Professorin hatte die Messlatte schier unerreichbar hoch gelegt. Immer wieder erwartete sie von mir, dass ich nicht nur den Inhalt verschiedener Theorien und Studien wiedergebe, sondern dass ich diese darüber hinaus auch wortwörtlich zitiere. Ununterbrochen stellte sie extrem detaillierte Fragen, und ich war mir sicher, dass diese in den ausgewählten Studien überhaupt nicht beantwortet werden (ein späterer Blick in die Bücher gab mir recht). Sie widersprach Begründungen und Zahlen, die ich nannte. Diese wären falsch. Auch hier konnte ich mich durch einen späteren Blick in die Bücher davon überzeugen, dass ich richtig lag. Immerhin bekam ich für die Prüfung noch eine zwei. Das war sicherlich eine zu schlechte Benotung meiner Leistung, aber ich hatte nach dem Verlauf der Prüfung mit einer deutlich schlechteren Bewertung gerechnet, da ich ja gemerkt hatte, dass man mich hier absichtlich »schlecht prüfen« will.
Was dieser Umgang mit mir zu bedeuten hatte, wurde mir erst später klar: Einige Tage nach meiner Zwischenprüfung begegnete die Professorin auf dem Campus meinem Mann, der ebenfalls an der Universität Kassel studierte und die Professorin auch aus Veranstaltungen kannte. Sie sprach ihn an und sagte, er solle mich schön grüßen und sie würde mir raten, mich jetzt lieber erstmal auf das zu konzentrieren, was vor mir liegt: nämlich das Kind.
Die wissenschaftliche Mitarbeiterin entschuldigte sich später übrigens bei mir für den Verlauf der Prüfung. Es habe ihr selbst sehr leid getan und sie sei auch schockiert darüber gewesen, wie die Professorin vorgegangen sei.
Erschreckend fand ich vor allem, dass es sich um zwei Wissenschaftlerinnen handelte, die sich täglich mit der Benachteiligung und Diskriminierung von Frauen beschäftigten – und zwar weil sie diese als Unrecht empfanden und es ihnen ein Anliegen war, Ungerechtigkeiten und Sexismus sichtbar zu machen. Ich kann nur spekulieren, was sie dazu trieb, mich nun wegen meiner Schwangerschaft zu benachteiligen und auf die Mutterschaft zu reduzieren. Vielleicht hatten sie im Laufe der Jahre immer wieder bei vielversprechenden Nachwuchs-Wissenschaftlerinnen erlebt, dass diese eines Tages von der Mutterschaft »verschluckt« wurden. Aber Grund dafür ist doch nicht, dass ein Kind eine wissenschaftliche Laufbahn automatisch verhindert (wie erklärt man sich sonst, dass so viele männliche Professoren durchaus Kinder haben).
Es sind die Strukturen, die äußeren Bedingungen, die Mutterrolle, die familienunfreundlichen Hochschulstrukturen, die es schwierig machen, Kind und wissenschaftliches Arbeiten zu vereinbaren.1 Aber hinzu kommt doch auch noch die Diskriminierung, die Schwangeren und Müttern widerfährt. Dass sie nicht mehr gefördert werden, ihnen keine Möglichkeiten zur Veröffentlichung mehr angeboten werden, sie in Netzwerken ausgeschlossen werden, ihre Stellen nicht verlängert werden, sie von vorneherein nur Teilzeitstellen angeboten bekommen und nicht mehr für die Mitarbeit an wichtigen Projekten in Betracht gezogen werden. Es ist doch eben auch eine solche Diskriminierung, die es Frauen doppelt schwermacht in der Wissenschaft. Deshalb kann die Einstellung »Die ist schwanger und wird bald ohnehin von allen hier diskriminiert, dann können wir sie ja auch jetzt schon mal benachteiligen und ihr Steine in den Weg legen« nicht als sinnvoll oder logisch erachtet werden. Letztlich haben die beiden Damen sich einem System angepasst, das sie bislang kritisiert hatten, statt sich weiter dagegen aufzulehnen.
Ich schloss mein Studium natürlich dennoch drei Jahre später ab. Sehr erfolgreich sogar, trotz Kind und zwei Nebenjobs. Drei Jahre nach meinem Abschluss porträtierte mich dann sogar das Alumni-Netzwerk der Universität Kassel als Paradebeispiel für eine Frau, die mit Kind studiert hat und sowohl im Studium als auch im Beruf erfolgreich ist.2 Denn tatsächlich ist das möglich, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Einfacher wäre es selbstverständlich gewesen, wenn mich das Universitätspersonal unterstützt statt gemobbt hätte.
Obwohl ich mich weiterhin beruflich im Bereich Gleichstellungsarbeit bewegte, musste ich dann einige Jahre später auch im Berufsleben eine Diskriminierung durch eine Gleichstellungskommission selbst erleben. Dieses ganz besondere Erlebnis im Frühjahr 2015 führte dann dazu, dass ich das Thema Diskriminierung von (werdenden) Müttern in Bewerbungsverfahren und am Arbeitsplatz für meine nächste Untersuchung und dieses Buch ins Auge fasste:
Ich bewarb mich an einer niedersächsischen Hochschule auf die Stelle der Gleichstellungsbeauftragten. Aufgrund meiner bisherigen beruflichen Erfahrungen, meiner Qualifikationen und Ausbildungen und meiner letzten Erfolge und Projekte, die bundesweit angesehen waren, war ich bestens qualifiziert für diese Stelle. Ich war also auch nicht überrascht, dass man mich zum Vorstellungsgespräch einlud, denn ich rechnete mir sehr gute Chancen aus. Das Vorstellungsgespräch wurde von der Gleichstellungskommission geleitet, die an der Hochschule eben gerade dafür zuständig ist, sich für die Gleichberechtigung der Geschlechter und die Familienfreundlichkeit einzusetzen. Das Gespräch lief zunächst sehr gut. Ich erhielt viel Anerkennung für meine Qualifikationen, Leistungen und meine sicheren und kompetenten Antworten.
Dann jedoch kam die familiäre Situation zur Sprache. Es wurde gefragt, ob ich Kinder hätte, und ich gab an, dass ich zweifache Mutter bin. Ab diesem Moment drehte sich das Gespräch nur noch um mein »Muttersein«. Es wurde skeptisch gefragt: »Wie wollen Sie diese Stelle denn schaffen mit zwei Kindern?« Ich war ziemlich schockiert, eine solche Frage ausgerechnet von einer Gleichstellungskommission gestellt zu bekommen. Doch ich wähnte mich noch in Sicherheit. Ich habe tatsächlich sehr viel Unterstützung, ein breites soziales Netzwerk, der Vater der Kinder übernimmt den Großteil der Kindererziehung. Dadurch hatte ich auch in der Vergangenheit bereits beruflich sehr viel erreicht und dachte, ich könne jegliche Bedenken daher sofort zerstreuen.