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Blaue Molche besitzen Heilkräfte, um abgetrennte Gliedmaßen nachwachsen zu lassen. Während Dr. Verdandi den Mechanismus der Heilungen aufklären möchte und dabei eine weitere Komponente entdeckt, beginnt ein Kampf um die Vermarktung des Wundermittels. Dann Verschwinden die blauen Molche und die merkwürdig zugerichtete Leiche eines Arztes, der an Forschungen über die blauen Molche beteiligt war, taucht auf. Dr. Verdandi hilft Kommissar Aulus bei den Ermittlungen und findet eine Spur, die zu dem gerissenen Wissenschaftler Professor Mübareg führt, der ein Netzwerk aus Forschung, Kapitalanlagen und Politik leitet. Ein erbitterter und tödlicher Kampf um die blauen Molche beginnt. Mübareg verbindet sich mit einer unterirdischen Macht. Grässliche Lebensformen, Molchchimären, tauchen auf. Kann Verdandi helfen und die blauen Molche trotzdem zurückholen?
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Veröffentlichungsjahr: 2020
1
Es roch nach stehendem Wasser. Erlen, Eschen und Haselnusssträucher umrandeten das Ufer des Teiches so dicht, dass das Wasser schwer erreichbar war. Hier hatte die Natur ihre alten Freiheiten behalten. Auf dem Boden überwucherten Brennnesseln und Brombeergestrüpp die wenigen, von Sonnenstrahlen erhellten Uferstellen und in den schmalen, schattigen Durchgängen zwischen den Baumstämmen wuchsen Farne. Oben, in einer morschen Eiche hämmerte ein Buntspecht. Schwarzer Morast trennte das Ufer vom Wasser und erweckte die Furcht, darin bis zum Ersticken zu versinken. Der Sumpf war die gefährlichste Zone.
Ein paar Schritte weiter, wo der Boden wieder trockener wurde, warteten Bremsen auf ihre Beute, die sie sofort anflogen, wenn sich die hohen Gräser und Farne bewegten, unter denen die Blutsauger lauerten. Mit allen Sinnen spürte man die Wildheit dieser Welt. Rabenkrähen und ein Baumfalkenpaar schrien von den Gipfeln der Bäume, in denen sie nisteten. Sie stritten miteinander, wahrscheinlich um eine Beute.
Wildrosen mit langen Stacheln wucherten am Steilhang des nördlichen Ufers, wo oben eine Autobahn verlief. Bei Nordwind überdeckte das Brummen der Motoren die Geräusche der Natur. Der Hang war so hoch, dass man sich bei einem Sturz hinunter schwer verletzte.
2
Es dämmerte bereits der Abend, als Herr Raller von der Höhe des Damms, auf dem die Autobahn verlief, die Wipfel der Bäume sah und in einen Sekundenschlaf fiel. Er saß schon zu lange ohne Pause mit hoher Geschwindigkeit am Steuer seines neunzehn Tonnen schweren Lastwagens. Mit einem Knall durchbrach der Wagen die Leitplanke und rasselte den Hang hinunter in Richtung des Tümpels. Sofort hellwach riss Herr Raller die Augen auf, blickte auf Umrisse sich bewegender Zweige, dann auf schwarzes Wasser. Während sein Herz stockte, murmelte er ein Stoßgebet.
Seine Ladung, schnell verderbliche Süßkirschen, hagelten über ihn nach allen Seiten in den Moder des Teichs. Der Aufprall an einem Felsen im Sumpf zerdrückte das Führerhaus des Wagens. Herr Raller spürte unerträgliche Stiche in seinen Beinen und schrie, während er versuchte, sich am Lenkrad festzuhalten. Doch er flog durch die Windschutzscheibe, während sie zersplitterte, und landete im Sumpf. Wahnsinnige Schmerzen zogen von den unteren Körperteilen bis in den Kopf. Er versuchte seine Beine zu bewegen. Er konnte nicht aufstehen und blickte hinunter. Ein Schreck durchfuhr ihn und sein Blut fühlte sich an wie Eis. Er konnte es nicht glauben. Dort, wo die Beine sein sollten, breitete sich eine riesige Blutlache aus. Die Beine mussten im Führerhaus des Lastwagens geblieben sein. Herr Raller stellte sich für eine Sekunde vor, wie sie zerquetscht zwischen dem Sitz und Blech lägen. Der Schreck ließ ihn die Schmerzen vergessen. Mit Todesangst griff er in den Morast und suchte etwas Festes. Eine aufgescheuchte Eule hörte er noch schreien, bevor er bewusstlos in den weichen und nassen Gräsern des Sumpfes liegen blieb. Die Molche, die gleich an seine blutigen Beinstümpfe krochen, die zur Hälfte im Wasser lagen, spürte er nicht mehr.
3
Seit Jahren war kein Mensch an diesem Tümpel gewesen.
„Wenn es doch nur nicht so dunkel wäre“, schimpfte der Leiter der Rettungsmannschaft, die aus sechs Männern bestand, und sich durch den Morast kämpfte. Dichtes Gestrüpp verschluckte das Licht der Taschenlampen. Nach beiden Seiten sprangen Frösche. Manche platschten ins Wasser; ein Geräusch, was kaum von den Schlägen nach den Stechmücken zu unterscheiden war. Die Dunkelheit brachte aber auch Vorteile; denn bei Tageslicht wirkte das Moor beim Blick in die Weite noch schauriger, noch bedrohlicher.
Plötzlich ertönte ein Schrei. Alle stürmten in die Richtung, von woher sie glaubten, den Schrei gehört zu haben. Der Leiter der Truppe lag am Boden. Er hatte sich beim Freischneiden eines Weges durch den dichten Uferbewuchs mit der Akku-Astsäge in die Wade gesägt. Zum Glück nicht so tief. Er konnte den Fuß noch bewegen.
„Tut mir leid“, sagte er mit verkrampftem Mund, während er aufstand. „Aber es geht schon wieder.“
„Der Schmerz überlagert das Jucken der Mückenstiche“, meinte er, als er sich erhoben hatte. Dann gab er das Zeichen zum Weitergehen.
Gemeinsam kämpften sie sich wieder durch das Dickicht bis zu einer Lichtung. Im undeutlichen Schein der Lampen erkannten sie am gegenüberliegenden Ufer - wo das Moor ins Wasser überging - die Umrisse des Lastwagens.
„Vorwärts!“, befahl der Leiter.
Die Männer quälten sich in seichtem Wasser dem Ufer entlang in Richtung des zertrümmerten Lastwagens, dessen Umrisse sie inzwischen genauer erkennen konnten. Nach ein paar weiteren Schritten blickte der Leiter erstaunt zu den anderen nach hinten.
„Komisch, seit ich im Wasser bin, spüre ich keine Schmerzen mehr an meinem Bein. Wasser scheint mir gut zu tun“, sagte er zu seinen Kameraden, die vor ihm liefen und ihm zunickten.
„Das ist gut“, meinte der erste und fügte hinzu: „Wir sollten zwei verschiedene Wege zum Lastwagen probieren, den kürzer scheinenden nahe am Ufer, den anderen um den Teich durch den Wald. Vielleicht ist die Stelle nur von der hinteren Seite her zugänglich.“
Der Leiter stimmte zu und sie teilten sich in zwei Gruppen.
4
Die Hälfte der Gruppe mit dem Leiter schlug nach Richtung Norden ein, wo der Sumpf tiefer wurde. Wenigstens konnten sie über den mageren Pflanzenbewuchs so weit sehen, wie die Lampen leuchteten.
„Schnell! Hier liegt ein Mensch im Sumpf“, rief der vorderste Sanitäter, dem das Wasser fast bis zu den Knien reichte. Die anderen eilten mit schmatzenden Geräuschen, die ihre Stiefel im klebrigen Dreck hervorriefen, zu dem Verletzten.
„Aber beide Beine fehlen ja!“, schrie einer der Männer mit Entsetzen, die nach vorne getreten waren, und selbst die Sanitäter, die den Anblick verstümmelter Menschen gewohnt waren, erschraken beim Anblick des beinlosen Körpers, der langsam im Sumpf zu versinken drohte. Ein schmutziger Rumpf mit Armen, an dem ein schräghängender Kopf im Dreck lag. Ein makabres Bild. Sofort griffen zwei der Retter unter die Achseln, zogen den bewusstlosen Raller aus dem Morast, legten ihn ins Gras und untersuchten ihn. Erleichtert stellten sie fest, dass er noch lebte. Modrig riechender Schlamm und Moosfasern überzogen Körper und Gesicht. Die Molche, die sich in den moorigen Pflanzenteilen bewegten und festhielten, fielen in der Dunkelheit nicht besonders auf.
„Gebt mir Tücher, um die Beine abzubinden!“ bat ein Sanitäter, während er Herrn Raller die Reste der Hose auszog. Er nahm den gereichten Verbandstoff und wunderte sich beim Verbinden, wie dicht und glatt das Blut auf der Wunde geronnen war.
Währenddessen war die zweite Gruppe, die in Richtung Süden aufgebrochen war, hinzugestoßen, da sie die erregten Stimmen ihrer Kammeraden gehört hatte. Drei Sanitäter trugen Herrn Raller durch die freigesägte Uferschneise in den Rettungswagen. Einer blieb zurück und suchte noch nach den Beinen; er musste aber bald aufgeben. Er sank so tief ins Moor, dass er sich gerade noch befreien konnte; und die schrillen Rufe unbekannter Tiere klangen furchterregend.
5
Es war erstaunlich, dass Herr Raller bei den riesigen Wunden und dem starken Blutverlust noch am Leben war. An einem der Beinstümpfe hingen am Rand lange Haut- und Fleischfetzen wie Fäden bei einer zerrissenen Hose. Der zersplitterte Knochen des rechten Beines ragte in der Mitte der Wunde ziemlich weit heraus. Doch etwas schien sich um den Knochen zu bewegen. In der Dunkelheit glich es dem Zucken einer verletzen Pulsader.
Die Sanitäter legten Herrn Raller auf eine Bahre und trugen ihn durch den Weg, den sie freigeschlagen hatten. In der Ferne quakten wieder Frösche. Der Schlammgeruch verdünnte sich und der Boden unter ihnen fühlte sich bald fester an. Ziemlich außer Atem erreichten sie den Notarztwagen, öffneten die hintere Tür und schoben die Bahre, auf der Herr Raller lag, ins Innere, wo ein Arzt wartete.
Zwei der Helfer nahmen je einen Schluck aus der Schnapsflasche.
„Die Wunde sieht aus, als würde sie bereits heilen“, bemerkte der Leiter, als er Herrn Rallers Verletzungen bei Licht im Wagen betrachten konnte.
Aus Herrn Rallers Unterhose kroch ein blauer Molch auf die Wunde.
„Was ist denn das?“, fragte ein Sanitäter.
„Sieht aus wie etwas Salamanderartiges. Wirf es hinaus!“, befahl der Leiter.
„Das Ding ist ja so schleimig und glitschig!“, fluchte der Sanitäter und schmetterte den Molch mit Abscheu an einen Baum.
Als man am folgenden Tag den Lastwagen barg, leuchtete das Wasser des Teichs intensiv rot. Die Oberfläche bewegte sich sanft aufgrund von Kräften, die von unten kamen. Es war windstill. Viele Rosenbüsche waren von der Böschung abgerissen worden und lagen im Wasser. Eine rote Spur markierte den Weg, auf dem der Lastwagen in den Teich gerutscht war. „Das ist doch nur wegen der Kirschen“, bemerkte ein Bergungsarbeiter.
Silbern reflektierte die Teichoberfläche das Licht der Sonne. Die Arbeiter kniffen die Augen zusammen. In der Tiefe schien sich etwas zu bewegen. Doch nur dunkelrote Kirschen und zersplitterte Spankörbe lagen auf dem Morast oder schwammen im Wasser.
Es dauerte über drei Stunden, bis die Bergungsmannschaft mit einem Autokran den Lastwagen auf demselben Weg, den er hinuntergerutscht war, heraufgezogen hatte.
6
Als Herr Raller erwachte und um sich blickte, sah er helle Wände und einen sauber glänzenden Tisch, auf dem Scheren, Pinzetten und Messer neben einem Computer lagen. ‚Ein Operationssaal‘, dachte er sofort, erstarrte und konnte sich nicht erinnern, wie und warum er hier gelandet wäre. Es roch nach Alkohol. Er versuchte aufzustehen, konnte jedoch nur mit seinem Oberkörper zucken. Ängstlich ging sein Blick am Rumpf entlang nach unten und er betrachtete seine verbundenen Stummel. Vor Schreck blieb sein Herz beinahe stehen. Obwohl er keine Schmerzen fühlte, glaubte er, am Sterben zu sein. Dann schrie er, bis jemand kam.
Eine Krankenschwester versuchte ihm zu erklären, was vorgefallen war, zumindest das, was sie wusste.
Herr Raller schloss seine Augen. Er wartete auf den Tod.
7
Die Ärzte, die Herrn Raller behandelten, staunten. Derart schwere Verletzungen hätte noch niemand so gut überstanden. Die Wunden heilten schnell, ohne Infektionen und Entzündungen.
Herr Raller schien sich bald besser gelaunt mit seinem Schicksal abzufinden. Er trank Bier, seine Teller waren leer und er las Wildwestromane. Noch nie hatte sich ein Patient mit solchen Verletzungen derart wohl gefühlt.
„Nirgends habe ich Schmerzen“, erklärte er.
Bald wuchsen an den Stellen, wo man Narben erwartete, kleine Fortsätze heraus, die sich nach ein paar Tagen am oberen Ende weiter aufspalteten.
„Die sehen ja aus wie kleine Beine“, bemerkte der Arzt, der ihn gerade behandelte. Er war so überrascht, dass er sofort den Chefarzt, Herrn Dr. Muldengruber, holen ließ. Dieser tat so, als wäre solch ein Prozess normal, und führte die Heilung auf seine eigene, neue Behandlungsmethode zurück.
Aber Dr. Muldengruber spürte, dass hier mehr im Spiel war. Der Patient vor ihm schien besondere Kräfte zu haben. Diese müsse er als verantwortlicher Arzt erforschen. Ruhm und Reichtum sah er auf sich zukommen.
Dr. Muldengruber hing seinen Kittel an den Haken, setzte sich an seinen Schreibtisch und begann mit der Planung eines Manuskripts. Der Chefarzt wusste, wie schwer es war, sich bei nicht korrekt und nur bruchstückhaft dokumentierten Entdeckungen die Vorrechte zu sichern. Denn bei so einer Sensation und medizinischem Wunder muss man sofort ans Patentieren und Publizieren denken. Sowas musste auf jeden Fall schnell ans Patentamt und danach an die Öffentlichkeit, bevor womöglich noch ein Kollege irgendwo auf der Welt eine ähnliche Beobachtung machte. Zufrieden steckte Dr. Muldengruber seine ersten Notizen in die Innentasche seines Jacketts.
Dann stolzierte er durch den Gang der Klinik.