Mystische Schriften - Gustav Landauer - E-Book

Mystische Schriften E-Book

Gustav Landauer

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Beschreibung

»Mystische Schriften« von Meister Eckhart hatten bereits zu dessen Lebzeiten (ca. 1260 bis 1328) eine starke Wirkung auf das philosophische Denken. Meister Eckhart war im Mittelalter ein zentraler Vordenker in Mystik und christlicher Lehre. Seine Predigten und Traktate prägen bis heute die Sprache der Philosophie.

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Mystische Schriften

TitelseitePredigten Vom Schweigen Vom Unwissen Von der Dunkelheit Von stetiger Freude Von der Stadt der Seele Vom namenlosen Gott Vom innersten Grunde Von der Vollendung der Zeit Ein Zweites vom namenlosen Gott Von guten Gaben Von unsagbaren Dingen Vom Leiden Gottes Von der Einheit der Dinge Wie Jesus am Stricke zog Von der Erkenntnis Gottes Von der Armut Von Gott und der Welt Von der Erneuerung des Geistes Von der Natur Von Gott und Mensch Vom Tod Was ist Gott? Vom persönlichen Wesen Traktate Von den Stufen der Seele Gespräch zwischen Schwester Kathrei und dem Beichtvater Von der Abgeschiedenheit Von der Überfreude Die Seele auf der Suche nach Gott Von der Überfahrt zur Gottheit Vom Zorn der Seele Fragmente und SprücheImpressum
Meister Eckhart

Mystische Schriften

Predigten, Traktate, Sprüche

Predigten

Vom Schweigen

Wir begehen das Fest von der ewigen Geburt, die Gott der Vater geboren hat und ohne Unterlass in der Ewigkeit gebiert, während dieselbe Geburt jetzt in der Zeit und in der Menschennatur sich ereignet. Der heilige Augustin sagt, diese Geburt geschehe immer. So sie aber nicht in mir geschieht, was hilft es mir dann? Denn dass sie in mir geschehe, daran liegt alles.

Wir haben ein Wort des Weisen: »Da alle Dinge mitten im Schweigen waren, da kam in mich von oben hernieder von dem königlichen Stuhle ein verborgenes Wort.« Von diesem Wort soll diese Predigt handeln.

»Inmitten des Schweigens ward mir zugesprochen ein verborgenes Wort.« Ach, Herr, wo ist dies Schweigen, und wo ist die Stätte, in der dieses Wort gesprochen wird?

Es ist in dem Lautersten, das die Seele aufweisen kann, in dem Edelsten, in dem Grunde, ja in dem Wesen der Seele! Das ist das Mittel: Schweigen; denn da hinein kam nie eine Kreatur oder ein Bild, und die Seele hat da nicht Wirken noch Verstehen und weiß kein Bild davon, weder von sich selbst noch von irgendwelcher Kreatur.

Alle Werke, die die Seele wirkt, wirkt sie mit den Kräften. Alles, was sie versteht, versteht sie mit der Vernunft. Wenn sie denkt, tut sie es mit dem Gedächtnis. Wenn sie begehrt, tut sie es mit dem Willen, und dergestalt wirkt sie mit den Kräften und nicht mit dem Wesen. All ihr Wirken nach außen haftet immer an einem Mittel. Die Kraft des Sehens bewirkt sie nur durch die Augen, anders kann sie kein Sehen bewirken oder zu Stande bringen. Und ebenso ist es mit allen andern Sinnen. All ihr Wirken nach außen bewirkt sie durch ein Mittel. Aber in dem Wesen ist kein Werk, daher hat die Seele im Wesen kein Werk als die Kräfte, mit denen sie wirkt. Die fließen aus dem Grunde des Wesens, oder vielmehr: In diesem Grunde ist das Mittel Schweigen, hier ist allein Ruhe und eine Wohnung für diese Geburt und für dieses Werk, dass Gott der Vater allda sein Wort spreche, denn dieses ist von Natur nur dem göttlichen Wesen ohne irgendein Mittel zugänglich. Gott geht hier in die Seele mit seinem Ganzen, nicht mit seinem Teil. Gott geht hier in den Grund der Seele hinein. Niemand rührt an den Grund der Seele als Gott allein. Die Kreatur kann nicht in den Grund der Seele, sie muss in den Kräften außen bleiben. Da mag sie ihr Bild betrachten, mit Hilfe dessen sie eingezogen ist und Herberge empfangen hat. Denn jedes Mal, wenn die Kräfte der Seele mit der Kreatur in Berührung kommen, nehmen und schöpfen sie Bilder und Gleichnisse von der Kreatur und ziehen sie in sich. Auf diese Weise entsteht ihre Kenntnis von der Kreatur. Die Kreatur kann nicht näher in die Seele kommen, und die Seele nähert sich jeder Kreatur nur dadurch, dass sie zunächst willig in sich ein Bild empfängt. Und von dem gegenwärtigen Bild aus nähert sie sich den Kreaturen, denn das Bild ist ein Ding, das die Seele mit den Kräften schöpft. Mag es ein Stein, ein Pferd, ein Mensch oder was immer sonst sein, das sie kennen lernen will, immer nimmt sie das Bild hervor, das sie von ihnen abgezogen hat, und auf diese Weise kann sie sich mit ihnen vereinigen. Aber immer, wenn ein Mensch auf diese Weise ein Bild empfängt, muss es notwendigerweise von außen durch die Sinne hereinkommen. Darum ist der Seele kein Ding so unbekannt wie sie sich selbst. Es sagt ein

Meister, die Seele könne von sich kein Bild schöpfen oder abziehen. Darum kann sie sich selbst ganz und gar nicht kennen lernen. Denn Bilder kommen alle durch die Sinne herein: Daher kann sie kein Bild von sich selbst haben. Daher kennt sie alle andern Dinge, nur sich selber nicht. Von keinem Ding weiß sie so wenig wie von sich selbst um des Mittels willen. Und das müsset ihr auch wissen, dass sie innen frei ist und ohne alle Mittel und Bilder auskommt, und das ist auch die Ursache, dass sich Gott frei mit ihr vereinigen kann ohne Bilder oder Gleichnisse. Du darfst das nicht lassen, du musst die Möglichkeit, die du einem Meister zugestehst, Gott ohne alle Schranken zugeben. Je weiser aber und mächtiger ein Meister ist, umso unmittelbarer geschieht auch sein Werk und umso einfacher ist es. Der Mensch hat viele Mittel in seinen äußern Werken; bis er diese Werke hervorbringt, wie er sie in sich gebildet hat, dazu gehört viel Vorbereitung. Die Meisterschaft und das Werk des Mondes und der Sonne sind Erleuchten; das tun sie gar schnell. Sobald sie ihren Schein ausgießen, in demselben Augenblick ist die Welt an allen Enden voller Licht. Aber über ihnen ist der Engel, der bedarf noch weniger der Mittel für seine Werke und hat auch weniger Bilder. Der alleroberste Seraphim hat nur noch ein Bild. Alles, was die unter ihm Stehenden in Mannigfaltigkeit wahrnehmen, nimmt er in einem wahr. Aber Gott bedarf keines Bildes und hat auch kein Bild: Gott wirkt in der Seele ohne alles Mittel, Bild oder Gleichnis, ja, tief in dem Grunde, wo nie ein Bild hinkam als er selbst mit seinem eigenen Wesen. Das kann keine Kreatur tun.

Wie gebiert Gottvater seinen Sohn in der Seele? Wie die Kreaturen tun, in Bildern und in Gleichnissen? Wahrlich nein!, sondern: ganz in der Weise, wie er in der Ewigkeit gebiert, nicht minder und nicht mehr. Ja freilich, wie gebiert er da? Merket auf. Seht, Gottvater hat eine vollkommene Einsicht in sich selbst und ein abgründliches Durchkennen seiner selbst ohne jedes Bild.

Und so gebiert Gottvater seinen Sohn in wahrer Einsicht göttlicher Natur. Seht, in derselben Weise und in keiner andern gebiert Gott der Vater seinen Sohn im Grunde der Seele und in ihrem Wesen und vereinigt sich also mit ihr. Denn wäre da irgendein Bild, so wäre keine wahre Einheit da, und an der wahren Einheit liegt all ihre Seelheit und Seligkeit.

Es kann gefragt werden, ob diese Geburt besser im Menschen geschehe und vollbracht werde, wenn er sein Werk tue und sich so in Gott hineinbilde und hineindenke oder wenn er sich in einem Schweigen oder in einer Stille und einer Ruhe halte und so Gott in ihm spreche und wirke, wenn er also allein auf Gottes Werk in ihm warte?

Ich weise darauf hin, meine Reden und Werke sind allein guten und vollkommenen Menschen gewidmet, in denen vor allem das würdige Leben und die edle Lehre unseres Herrn Jesu Christi lebendig ist. Die sollen nun erfahren, dass das Allerbeste und Alleredelste, wozu man in diesem Leben kommen kann, das ist, dass du schweigest und Gott allda wirken und sprechen lässest. Wo alle Kräfte von allen ihren Werken und Bildern abgezogen sind, da wird dies Wort gesprochen. Darum sprach er: »Mitten im Schweigen ward zu mir das heimliche Wort gesprochen.« Und darum, so du alle Kräfte allermeist einziehen kannst und in ein Vergessen aller Dinge und ihrer Bilder geraten, die du je in dich zogst, und je mehr du der Kreatur vergissest, umso näher bist du diesem und umso empfänglicher. Könntest du aller Dinge zumal unwissend werden, ja könntest du in ein Unwissen deines eigenen Lebens kommen, wie es Sankt Paulus geschah, als er sprach: »Ob ich in dem Leib war oder nicht,das weiß ich nicht, Gott aber weiß es wohl« - da hatte der Geist alle Kräfte so ganz in sich gezogen, dass er des Körpers vergessen hatte, da wirkte weder Gedächtnis noch Verstand, noch die Sinne, noch die Kräfte; ebenso geschah es Moses, da er die vierzig Tage auf dem Berge fastete und doch nicht schwächer wurde - so sollte der Mensch allen Sinnen entweichen und all seine Kräfte nach innen kehren und in ein Vergessen aller Dinge und seiner selber kommen. In diesem Sinne sprach ein Meister zur Seele: Zieh dich zurück von der Unruhe äußerer Werke, flieh also und verbirg dich vor dem Gestürm äußerer Werke und inwendiger Gedanken, sie schaffen nur Unfrieden. Aber wenn Gott sein Wort in der Seele sprechen soll, muss sie in Friede und Ruhe sein, und dann spricht er sein Wort und sich selbst in der Seele, nicht ein Bild, sondern sich selbst. Dionysius spricht: Gott hat kein Bild oder Gleichnis seiner selbst, denn »gut« oder »wahr« gehört zu seinem Sein. Gott wirkt alle seine Werke in sich selbst und aus sich selbst in einem Augenblick. Du darfst nicht glauben, Gott habe, als er Himmel und Erde und alle Dinge machte, heute eines gemacht und morgen das andre. Zwar schreibt Moses so. Er wusste es gleichwohl viel besser: Er tat es nur um der Leute willen, die es nicht anders verstehen und fassen konnten. Gott hat nicht mehr dazu als das eine: Er wollte, und sie wurden. Gott wirkt ohne Mittel und ohne Bilder. Je mehr du ohne Bild bist, je mehr du seines Einwirkens empfänglich bist und je mehr du in dich gekehrt und selbstvergessen bist, umso näher bist du diesem.

Hierzu ermahnte Dionysius seinen Jünger Timotheus und sprach: Lieber Timotheus, du sollst mit unbekümmerten Sinnen dich über dich selbst hinausschwingen und über alle deine Kräfte und über Weisen und über Wesen in die verborgene stille Finsternis, auf dass du zu einer Erkenntnis des unbekannten übergöttischen Gottes kommest. Es muss ein Wegsehen von allen Dingen sein. Gott verschmäht es, in Bildern zu wirken.

Nun könntest du fragen: Was wirkt denn Gott ohne Bild im Grund und im Wesen? Das kann ich nicht wissen, denn die Kräfte können nur in Bildern wahrnehmen und müssen alle Dinge in ihrem eigenen Bild wahrnehmen und erkennen. Sie können nicht einen Vogel in eines Menschen Bild erkennen, und darum, da alle Bilder von außen hereinkommen, ist es ihr verborgen, und das ist das allernützlichste. Denn Unwissen bringt sie zum Wundern und bewirkt es, dass sie diesem nachjagt, denn sie findet wohl, dass es ist, sie weiß nur nicht, wie und was es ist. Wenn aber der Mensch die Ursache der Dinge kennt, sofort ist er auch der Dinge müde und sucht wieder ein andres zu erfahren, und hat doch immer einen Jammer, diese Dinge zu wissen, und hat doch kein Dabeibleiben, darum: Die unerkannte Erkenntnis hält sie bei diesem Bleiben und lässt sie doch nicht zur Ruhe kommen.

Davon sprach ein heidnischer Meister ein schönes Wort zu einem andern Meister: Ich werde etwas in mir gewahr, das glänzet in meiner Vernunft; ich merke wohl, dass es etwas ist, aber was es sei, das kann ich nicht verstehen, aber es dünkt mich, wenn ich es begreifen könnte, dann kennte ich alle Wahrheit. Da sprach der andre Meister: Wohlauf, dem folge nach! Denn könntest du es begreifen, so hättest du alles Gute beisammen und hättest ein ewiges Leben. In diesem Sinne sprach auch Sankt Augustin: Ich werde etwas in mir gewahr, das meiner Seele vorspielt und vorschwebt: Würde das in mir vollendet und befestigt, das müsste ewiges Leben sein. Es verbirgt sich und tut sich doch kund; es kommt aber auf eine verstohlene Weise, als wolle es der Seele alle Dinge nehmen und stehlen. Aber damit, dass es sich ein wenig zeigt und offenbart, wollte es die Seele reizen und nach sich ziehen und sie ihres Selbst berauben und benehmen. Davon sprach der Prophet: »Herr, nimm ihnen ihren Geist und gib ihnen dafür deinen Geist.« Das meinte auch die liebende Seele, als sie sprach: »Meine Seele zerschmolz und zerfloss, als die Liebe ihr Wort sprach: Als sie einging, da musste ich hinschwinden.« Das meinte auch Christus, als er sprach: »Wer etwas um meinetwillen lässt, der wird hundertfältig wieder nehmen, und wer mich haben will, der muss auf sich selbst und auf alle Dinge verzichten, und wer mir dienen will, der muss mir folgen, er darf nicht dem Seinen folgen.«

Nun könntest du fragen: Wahrlich, Herr, ihr wollt den natürlichen Lauf der Seele umkehren! Ihre Natur ist, dass sie durch die Sinne wahrnimmt und in Bildern; wollt ihr die Sache umkehren? Nein! Was weißt du, was für Rangstufen Gott in die Natur gelegt hat, die noch nicht alle beschrieben sind, ja die noch verborgen sind? Denn die von den Stufen der Seele schrieben, waren noch nicht weiter gekommen, als ihre natürliche Vernunft sie trug; sie waren nicht auf den Grund gekommen, daher musste ihnen viel verborgen sein und blieb ihnen unbekannt. Alle Wahrheit, die die Meister je lehrten mit ihrer eigenen Vernunft und ihrem Verstand oder in Zukunft lehren bis an den jüngsten Tag, die verstanden nie das Mindeste von diesem Wissen und diesem Verborgenen. Wenn es schon ein Unwissen heißt und eine Unerkanntheit, so hat es doch mehr in sich drinnen als alles Wissen und Erkennen von außen: Denn dies Unwissen des Äußern reizt und zieht dich von allen Wissensdingen und auch von dir selbst. Das meinte Christus, als er sprach: »Wer sich nicht selbst verleugnet und nicht Vater und Mutter lässt und alles, was äußerlich ist, der ist meiner nicht würdig.« Als ob er spräche: Wer nicht alle Äußerlichkeit der Kreaturen lässt, der kann in diese göttliche Geburt weder empfangen noch geboren werden. Ja wenn du dich deines Selbst beraubst und alles dessen, was äußerlich ist, dann findest du es in Wahrheit. Zu dieser Geburt verhelfe uns Gott, der neugeboren ist in Menschengestalt, dass wir arme Leute in ihm göttlich geboren werden, dazu verhelfe er uns ewiglich. Amen.

Vom Unwissen

»Wo ist, der geboren ist als König der Juden?« - Höret nun, wie diese Geburt vor sich geht.

Die ewige Geburt bringt allewege großes Licht in die Seele, denn es ist die Art des Guten, dass es sich ergießen muss, wo immer es ist. In dieser Geburt ergießt sich Gott mit solchem Licht in die Seele, dass das Licht so groß wird im Wesen und im Grunde der Seele, dass es sich hinausschleudert und in die Kräfte und auch in den äußern Menschen überfließt. Dieses Lichtes wird der Mensch wohl gewahr. Stets wenn er sich zu Gott kehrt, gleißt und glänzt in ihm ein Licht und gibt ihm zu erkennen, was er tun und lassen soll, und viel gute Lehre, wovon er vorher nichts wusste und verstand. »Woher weißt du das?« Merk auf: Dein Herz wird mächtig angefasst und von der Welt abgekehrt. Wie anders könnte das geschehen als durch diese Erleuchtung? Die ist so zart und wonnig, dass dich alles verdrießt, was nicht Gott oder göttlich ist. Sankt Augustin sagt: Es gibt viele, die Licht und Wahrheit gesucht haben, aber nur immer draußen, wo sie nicht war. Und dann sind sie zuletzt so weit abgekommen, dass sie nimmermehr heim und nicht mehr hineinkommen. Wer also Licht finden will und Unterscheidung aller Wahrheit, der warte auf diese Geburt in sich und im Innern und nehme ihrer wahr: So werden alle Kräfte und der äußere Mensch erleuchtet. Denn so wie Gott das Innere mit der Wahrheit berührt hat, so wirft sich das Licht in die Kräfte und der Mensch versteht alsdann mehr, als ihn jemand lehren könnte. Daher spricht der Prophet: »Ich habe mehr gewusst als alle, die mich je lehrten.«

Hier erhebt sich die Frage: Da Gottvater allein im Wesen und im Grund der Seele gebiert und nicht in den Kräften, was geht es die Kräfte an? Was soll ihr Dienst hier, dass sie sich herbemühen und feiern helfen sollen? Wozu ist das not, da in den Kräften nichts geschieht? Das ist gut gefragt. Aber beachte die folgende Unterscheidung: Eine jede Kreatur wirkt ihr Werk um eines Zweckes willen. Der Zweck ist jederzeit das Erste in der Meinung und das Letzte im Werke. Daher beabsichtigt Gott mit allen seinen Werken einen seelischen Zweck, das heißt: sich selbst, und will die Seele mit all ihren Kräften zu ihrem Zweck führen, das heißt: zu Gott selbst. Darum wirkt Gott all seine Werke, darum gebiert der Vater seinen Sohn in der Seele, dass alle Kräfte der Seele zu ihrem Zwecke kommen. Er trachtet nach allem, was in der Seele ist, und ladet es alles zur Bewirtung und zu Hofe. Nun hat sich aber die Seele mit den Kräften nach außen zerteilt und zerstreut, jede in ihr Werk: die Sehkraft in das Auge, die Kraft des Gehörs in das Ohr, die Kraft des Schmeckens in die Zunge, und daher sind ihre Werke umso weniger im Stande, inwendig zu wirken: Denn jede zerteilte Kraft ist unvollkommen. Darum muss sie, wenn sie inwendig kräftig wirken will, alle ihre Kräfte wieder heimrufen und sie von allen zerteilten Dingen zu einem inwendigen Wirken sammeln. Sankt Augustin sagt: Die Seele ist mehr, wo sie liebt, als wo sie dem Leib Leben gibt. Ein Gleichnis: Es war einmal ein heidnischer Meister, der hatte sich der Rechenkunst zugewandt und saß vor Stäben und zählte sie und ging seiner Wissenschaft nach. Da kam einer und zog sein Schwert [er wusste nicht, dass es der Meister war] und sprach: »Sprich schnell, wie du heißest, oder ich töte dich.« Der Meister war so sehr in sich gekehrt, dass er den Feind nicht sah noch hörte noch merken konnte, was er wollte. Und als der Feind lange und viel gerufen hatte und der Meister immer noch nicht sprach, da schlug ihm jener den Kopf ab. Dies war, um eine natürliche Kunst zu gewinnen. Wie ungleich mehr sollten wir uns allen Dingen entziehen und alle unsere Kräfte sammeln, um die einige, grenzenlose, ungeschaffene ewige Wahrheit zu schauen und zu erkennen! Hierzu sammle alle deine Vernunft und all dein Nachdenken: Kehre das in die Tiefe, worinnen dieser Schatz verborgen liegt! Wisse, wenn dies geschehen soll, musst du allen anderen Werken entfallen und musst in ein Unwissen kommen, wenn du dies finden willst.

Es erhebt sich wieder eine Frage: Wäre es nicht angemessener, dass eine jede Kraft ihr eigenes Werk behielte und dass keine die andre an ihren Werken hindre und dass sie auch Gott nicht an seinen Werken hindre? In mir kann eine Art kreatürliches Wissen sein, das nichts hindert, wie Gott alle Dinge ohne Hindernis weiß, wie es bei den Seligen der Fall ist. Nun achtet auf den folgenden Unterschied: Die Seligen sehen in Gott ein Bild, und in dem Bild erkennen sie alle Dinge, ja Gott selbst sieht überhaupt nur in sich und erkennt in sich alle Dinge. Er braucht sich nicht von einem zum andern zu wenden, wie wir es müssen. Wäre es so bestellt in diesem Leben, dass wir allezeit einen Spiegel vor uns hätten, in dem wir in einem Augenblick alle Dinge in einem Bilde sähen und erkennten, so wäre uns Wirken und Wissen kein Hindernis. Da wir uns nun aber von einem zum andern wenden müssen, darum können wir uns nicht bei dem einen aufhalten ohne Hinderung des andern. Denn die Seele ist so ganz verbunden mit den Kräften, dass sie mit ihnen überall hinfließt, wo sie hinfließen, denn bei all den Werken, die sie wirken, muss die Seele dabei sein und zwar mit Aufmerksamkeit, sie vermöchten sonst mit all ihrem Wirken ganz und gar nichts. Fließt sie also mit ihrer Aufmerksamkeit äußerlichen Werken zu, so muss sie notwendigerweise umso schwächer bei ihrem inneren Werke sein, denn zu dieser Geburt will und muss Gott eine ledige, unbekümmerte, freie Seele haben, in der nichts sein darf als er allein, und die auf nichts und auf niemanden warten darf als auf ihn allein. Das meinte Christus, als er sprach: »Wer etwas anderes liebt als mich und Vater und Mutter und diesen anderen Dingen gut ist, der ist meiner nicht wert. Ich bin nicht auf die Erde gekommen, um Frieden zu bringen, sondern das Schwert, auf dass ich alle Dinge abschneide und den Bruder, das Kind, die Mutter, den Freund von dir trenne, die fürwahr deine Feinde sind.« Denn was dir lieb ist, das ist fürwahr dein Feind. Will dein Auge alle Dinge sehen und dein Ohr alle Dinge hören und dein Herz aller Dinge gedenken, so muss wahrlich von all diesen Dingen deine Seele zerstreut werden.

Darum spricht ein Meister: Wenn der Mensch ein inwendiges Werk wirken will, so muss er all seine Kräfte in sich ziehen, wie in einen Winkel seiner Seele, und muss sich verbergen vor allen Bildern und Formen, und da kann er dann wirken. Da muss er in ein Vergessen und in ein Nichtwissen kommen. Es muss in einer Stille und in einem Schweigen sein, wo dies Wort gehört werden soll. Man kann diesem Wort mit nichts besser nahen als mit Stille und mit Schweigen: Dann kann man es hören und alsdann versteht man es ganz in dem Unwissen. Wenn man nichts weiß, dann zeigt und offenbart es sich.

Nun könntet ihr sagen: Herr, ihr setzt all unser Heil in ein Unwissen. Das klingt wie ein Mangel. Gott hat den Menschen geschaffen, dass er wisse; wo Unwissen ist, da ist Verneinung und Leere. Der Mensch ist, das muss wahr sein, ein Tier, ein Affe, ein Tor, solange er im Unwissen verharrt. Das Wissen aber soll sich formen zu einer Überform, und dies Unwissen soll nicht vom Nichtwissen kommen, vielmehr: Vom Wissen soll man in ein Unwissen kommen. Dann sollen wir wissend werden des göttlichen Unwissens, und dann wird unser Unwissen geadelt und geziert mit dem übernatürlichen Wissen. Und hier, wo wir uns empfangend verhalten, sind wir vollkommener, als wenn wir wirkten. Darum sprach ein Meister, dass die Kraft des Hörens auf viel höherer Stufe stände als die Kraft des Sehens, denn man lernt mehr Weisheit mit dem Hören als mit dem Sehen und lebt hier mehr in der Weisheit. Man erzählt von einem heidnischen Meister, dass seine Jünger, als er im Sterben lag, in seiner Anwesenheit von viel Kunst und großer Erkenntnis redeten, da hob er sein Haupt noch als Sterbender auf und hörte zu und sagte: »Fürwahr, ich möchte diese Kunst noch lernen, dass ich sie in der Ewigkeit anwenden kann.« Das Hören bringt mehr herein, aber das Sehen zeigt mehr hinaus. Und darum werden wir im ewigen Leben viel seliger sein in der Kraft des Hörens als in der Kraft des Sehens. Denn das Werk des Hörens des ewigen Wortes ist in mir, und das Werk des Sehens geht von mir, und beim Hören bin ich empfangend und beim Sehen wirkend.

Unsere Seligkeit aber liegt nicht an unseren Werken, vielmehr daran, dass wir Gott empfangen. Denn um so viel höher steht das Werk Gottes als das meine. Ja aus grenzenloser Liebe hat Gott unsere Seligkeit in ein Empfangen gelegt, indem wir mehr empfangen als wir wirken und bei weitem mehr nehmen als geben, und jede Gabe bereitet die Empfänglichkeit für eine neue, ja für eine größere Gabe, eine jede göttliche Gabe erweitert die Empfänglichkeit und die Begehrnis nach einer größeren Empfängnis. Und darum sagen etliche Meister, dass darin die Seele Gott ebenmäßig sei. Denn so grenzenlos Gott im Geben ist, so grenzenlos ist auch die Seele im Vernehmen oder Empfangen. Und wie Gott im Wirken allmächtig ist, so ist die Seele ein Abgrund des Nehmens, und darum wird sie mit Gott und in Gott überformt. Gott soll wirken, und die Seele soll empfangen, er soll in ihr sich selbst erkennen und lieben mit seiner Liebe, und darum ist sie viel seliger vom Seinen als vom Ihren, und ihre Seligkeit beruht mehr in seinem Wirken als in ihrem.

Den Sankt Dionysius fragten seine Jünger, warum sie alle von Timotheus an Vollkommenheit überholt würden? Da sprach Dionysius: Timotheus ist ein Gott empfangender Mann. Wer sich darauf recht verstünde, der überholte alle Menschen. Und so ist dein Unwissen nicht ein Mangel, sondern deine oberste Vollkommenheit, und dein Nichttun ist so dein oberstes Werk. Und so in dieser Weise musst du alle deine Werke abtun und all deine Kräfte zum Schweigen bringen, wenn du in Wahrheit diese Geburt in dir erleben willst. Willst du den geborenen König finden, so musst du alles, was du sonst vielleicht findest, überholen und zu Boden werfen. Dass wir das alles überholen und verlieren, was diesem geborenen König nicht wohl gefällt, dazu verhelfe uns der, der darum zum Menschenkind geworden ist, damit wir Gotteskind werden. Amen.

Von der Dunkelheit

Man liest im Evangelium: Als unser Herr zwölf Jahre alt war, da ging er mit Maria und Josef nach Jerusalem in den Tempel, und als sie von dannen gingen, da blieb Jesus im Tempel, ohne dass sie es wussten, und als sie nach Hause kamen und ihn vermissten, suchten sie ihn unter den Bekannten und Unbekannten und unter den Verwandten und in der Menge und fanden ihn nirgends. Sie hatten ihn in der Menge verloren und mussten daher wieder hingehen, von wo sie gekommen waren, und als sie wieder an den Anfang kamen, in den Tempel, da fanden sie ihn.