Nachschlag - Gerd Gahr - E-Book

Nachschlag E-Book

Gerd Gahr

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Beschreibung

Nach dem großen Erfolg des ersten Buches "Sahneschnitten" aus dem Jahr 2022 wurde oft gefragt, ob es eine Fortsetzung gibt. Hier liegt sie jetzt vor unter dem Titel "Nachschlag".

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Dieses Buch widme ich meiner Familie.

Bücher sind nur dickere Briefe an Freunde.

(Jean Paul Deutscher Schriftsteller 1763-1825)

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Kapitel 1 Wieder (k)ein Rezeptbuch?

Kapitel 2 Bemerkungen zur globalen Situation

Kapitel 3 Vor hundert Jahren

Kapitel 4 Großes Theater

Kapitel 5 Butter aus Kohle

Kapitel 6 Mehr Historisches aus der Chemie

Kapitel 7 Bedürfnisse

Kapitel 8 Mobilität

Kapitel 9 Ausflüge

Kapitel 10 TBC

Kapitel 11 Der Overstolz-Mann

Kapitel 12 Fußball im Revier

Kapitel 13 Respekt (Ohne Schalke geht es nicht)

Kapitel 14 Essen rocks

Kapitel 15 Wege zur Kunst

Kapitel 16 Der Artronaut

Kapitel 17 Leuchtstoff

Kapitel 18 Sport in Witten

Kapitel 19 Das Fräulein

Kapitel 20 Zwischenbericht vom Crengeldanz

Kapitel 21 Neue Erkenntnisse

Kapitel 22 Aufbau Ost 1

Kapitel 23 Aufbau Ost 2

Kapitel 24 Ein griechischer Türke

Kapitel 25 Mit und ohne Strom

Kapitel 26 Bombenfund

Kapitel 27 Deja Vu Light

Kapitel 28 Wittener Originale

Kapitel 29 Präsidenten und der Promijäger

Kapitel 30 Böckchen und Eselin

Kapitel 31 Naturphänomene

Kapitel 32 Noch ein Esel

Kapitel 33 Neue Technik

Kapitel 34 Büro, Büro

Kapitel 35 Manta, Manta

Kapitel 36 Nachbarn

Kapitel 37 Schöne Aussicht

Kapitel 38 Endspurt

Epilog

Fotos von zeitgeschichtlichen und militärhistorischen Gegenständen aus der Zeit 1933-1945 sind nur zu Zwecken der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger und verfassungsfeindlicher Bestrebungen, der wissenschaftlichen und kunsthistorischen Forschung, der Aufklärung oder Berichterstattung über die Vorgänge des Zeitgeschehens oder der militärhistorischen und uniformkundlichen Forschung abgebildet (Paragraph 86a StGB).

Vorwort

Mir und meiner Schwester kam seit frühster Kindheit das Privileg zu, eingekuschelt auf der elterlichen Couch unserem Vater und seinem Bruder Rolf stundenlang über Geschichten aus ihrem Leben, inklusive dem ein oder anderen skurrilen Wegbegleiter zu lauschen. Diese Momente zählen zu meinen absolut liebsten und wertvollsten Kindheitserinnerungen.

Über die Jahre hinweg hörte mein Vater immer wieder den Satz „Du musst mal ein Buch schreiben!" Ich glaube, erst der Tod unseres Onkels hat ihn dann schlussendlich dazu bewegt, all die gemeinsamen Erlebnisse noch einmal Revue passieren zu lassen und niederzuschreiben. Einmal angefangen, konnte er nicht aufhören, und schnell war das erste und nun schon das zweite Buch voll.

Dass er sich dazu entschieden hat, seine Geschichten mit der Welt zu teilen und so neben seinen Kindern und Enkelkindern noch ein weiteres Vermächtnis hinterlässt, macht mich unglaublich stolz.

Und auch heute - kenne ich das erste Buch doch inzwischen fast Wort für Wort auswendig - sitze ich bei jeder Lesung in der ersten Reihe und höre gebannt den Worten meines Vaters zu. Dann bin ich zurückversetzt in meine Kindheit. Und für einen Moment ist die Welt wieder in Ordnung.

Danke Papa,

Kristin, Deine Familie und Deine größten Fans

Witten, im April 2024

Auf uns, dass wir heute zusammen sind

und auf die, die von uns gegangen sind.

Wie weit ist der Himmel entfernt.

Ja, ich weiß, Du kannst uns hören.

Auf Dich, und all die Geschichten,

die Dich immer wieder zurückbringen.

Ich denk` jedes Mal, wenn es schneit,

Das bist Du und schaust nur kurz vorbei.

Wincent Weiss Nur kurz vorbei

P.S.: Die fast ausschließlich positive Resonanz auf das erste Buch kam zwar nicht wirklich überraschend, aber hat uns über alle Maße gefreut. Und für die Kritiker, die leider vergeblich auf leckere Sahnetorten und Kuchenrezepte gehofft hatten, haben wir eine kleine Überraschung im Anhang als eine Art "Hidden Track" versteckt. Viel Spaß beim Ausprobieren ;)

Kapitel 1 Wieder (k)ein Rezeptbuch?

Bekanntlich ist der erste Satz eines neuen Buches sowohl der schwierigste, aber auch der wichtigste. Der Schwierigste für den Verfasser und der Wichtigste für die Leser. Diese Hürde habe ich hiermit genommen. Damit erstmal Spaß beiseite.

Das überaus positive Echo meines Debütbuches „Sahneschnitten“ hat meine eigenen anfänglichen Zweifel an diesem Projekt entkräftet. Bei der Veröffentlichung des ersten Buches in Eigenregie macht man sich ja so seine Gedanken. Der Verkauf des Buches erstreckt sich auf das gesamte Bundesgebiet. Die Leserschaft setzt sich ausgehend vom Schüler bis hin zum Professor zusammen. So ziemlich alle Berufsgruppen sind vertreten. Archive, Vereine und andere Institutionen erwerben mein Buch. Mit vielen mir bekannten oder unbekannten Personen ergeben sich Kontakte. Es entsteht so manches hochinteressante Gespräch mit neuen Erkenntnissen auch für mich. Zwei Beispiele dafür: Amüsant ist die Frage einer jungen Dame bei einer Buchvorstellung, ob es ein reines Rezeptbuch für Torten sei. Nach meiner kurzen Inhaltsangabe zur Aufklärung ihres Irrtums ist sie nach dem folgenden Durchblättern ganz angetan von dem völlig anders gelagerten Buch.

Eine hochbetagte Dame aus München soll das Buch zu ihrem achtzigsten Geburtstag von ihrer in Witten wohnenden Freundin geschenkt bekommen. Sie hat ihre Jugend in der Gartenstadt verbracht. Sie möchte gerne mehr von meinem familiären Hintergrund erfahren. Mein Verweis auf meine Großeltern und meine Mutter, an die sie sich noch erinnern kann, räumt ihre wie auch immer gearteten Zweifel an einem Buch über die Scharnhorst-/Schottstraße aus.

So taucht in den vielen Gesprächen immer wieder die Frage nach einem möglichen Fortsetzungsband auf. Auch ich kann mich schon schnell nach der Veröffentlichung der Sahneschnitten mit dem Gedanken anfreunden, das Buchprojekt weiterzuführen, mit der Ausweitung der Thematik auf das gesamte Stadtgebiet Witten und auf das restliche Ruhrgebiet. Genügend „Erzählstoff“ habe ich noch. Zu manchen Kapiteln haben sich neue Aspekte ergeben, die ich nicht vorenthalten möchte. Dementsprechend wähle ich als Titel für die Fortsetzung „Nachschlag“, aber ein Rezeptbuch ist es sicherlich wieder nicht.

Hier ein paar Pressestimmen zum Buch:

WAZ Witten vom 18.06.2022

Die Verfasserin dieser Zeilen, meine liebe, gute und hochgeschätzte Bekannte Barbara Zabka, ist leider am 19.06.2023 verstorben. Zufällig haben wir mit dem gleichen Kameramodell fotografiert, zu dem sie mir einige entscheidende Tipps geben konnte. Barbara bleibt für immer in meiner Erinnerung.

Stadtmagazin Witten, Ausgabe August/September 2022 (Foto: Gerd Gahr)

Image Witten, Ausgabe November 2022 (Foto: Kristin Gahr)

Kapitel 2 Bemerkungen zur globalen Situation

Seit Anfang 2020 hält die Corona-Pandemie die Welt fest im Griff und beschert Deutschland zwei harte Lockdowns mit Kontaktsperren und weiteren strengen Maßnahmen. Jetzt im Frühjahr 2023 stuft man die Pandemie ab in eine Endemie.

Zur Begriffserklärung muss man noch die Epidemie erwähnen. Eine Epidemie ist eine Seuche, die sich zeitlich begrenzt in einem begrenzten Gebiet ausbreitet. Erreicht die Epidemie weltweite Ausmaße, so spricht man von einer Pandemie. Sie ist auch zeitlich begrenzt, wobei der Zeitraum wenige Wochen bis zu einigen Jahren betragen kann. Ein Beispiel dafür ist die sogenannte „Spanische Grippe“ zum Ende des Ersten Weltkrieges. Die Endemie ist auf ein kleines Gebiet beschränkt und ist dauerhaft, also nicht zeitlich begrenzt. Malaria, Masern und Cholera sind Beispiele dafür. Die Corona-Erkrankung wird in Zukunft latent vorkommen und ist demnach eine Endemie.

Ob die „Flasche jetzt leer“ ist, lässt sich noch nicht genau sagen. Die Folgen von Corona sind aber nicht zu leugnen. Tiefe Spuren sind zu erkennen in politischer und wirtschaftlicher Hinsicht, ganz zu schweigen von denen im gesellschaftlichen und vor allem im privaten Bereich.

(Collage Gerd Gahr)

Mit dem Abklingen der ganz großen Gefahr durch Corona versetzt ein nicht zu unterschätzendes Ereignis seit dem Frühjahr 2022 Europa in Angst und Schrecken. Der russische Angriff auf den Nachbarstaat Ukraine mit militärischen Mitteln kommt für den Normalbürger hierzulande überraschend. Für Experten auf diesem schwierigen politischen Gebiet ist schon länger klar, dass die russische Führung zu einem solchen Schlag bereit ist. Der vermeintlich ruhige politische Zustand der Welt gerät mächtig aus den Fugen. Wer unterstützt wen bei diesem Tanz auf dem Vulkan? Wird sich der Konflikt auf weitere Länder ausbreiten? Kommt es vielleicht sogar zu einem dritten Weltkrieg?

Die Krise ist sehr schnell auch bei uns zu verspüren, ganz deutlich natürlich auf dem Energiesektor. Gegenseitige Sanktionen zunächst auf wirtschaftlicher Basis erzeugen die Furcht auf einen kalten Winter ohne ausreichende Gasversorgung. Der FC Schalke 04 verliert seinen Hauptsponsor. Und wir haben erst kürzlich unseren letzten Kohleofen zum Schrott gegeben. Doch Galgenhumor beiseite. Eine schleichende Inflation ist schon zu erkennen. Sie macht sich täglich mit steigenden Preisen auf vielen Gebieten bemerkbar.

Ein Jahr dauert die kriegerische Auseinandersetzung nun schon. Die Bezeichnung „Krieg“ zu verwenden, ist in Rußland unerwünscht. Waffenlieferungen an die Ukraine sind nicht nur unumstritten, sondern auch in gewisserweise gefährlich. Wir bewegen uns wieder auf einem schmalen Grat vor dem Abgrund. Der Gedanke an deutsche Panzer in russisch/ukrainischem Gebiet exakt achtzig Jahre nach Stalingrad bereitet mir Unbehagen.

Deutsche Leopard 2 Panzer im Manöver (Bundesarchiv, B 145 Bild-F073485-0011 / Arne Schambeck / CC-BY-SA 3.0)

Die Energiekrise mit ihren Auswirkungen auf die Wirtschaft führt zu recht merkwürdigen Kapriolen im gesellschaftlichen Leben. Parteien in der Regierungsverantwortung vollziehen komplette Kehrtwendungen zu ihrer bisherigen Politik. Stichworte hierzu sind „Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke“, „weiterer Braunkohletagebau“ und „Waffenlieferungen in Krisengebiete“. Die eigentliche globale Klimakrise, die ich natürlich nicht verleugnen will, hat ihre Ursachen sicherlich nicht in unserem kleinen Land. Solange sich die Hauptverursacher nicht an erforderliche Maßnahmen gegen die Erderwärmung beteiligen, wird sich nichts ändern. Selbsternannte Klimaaktivisten hierzulande scheinen die Ehrfurcht vor Mitmenschen, vor Kunst und Eigentum zu vergessen. Damit machen sie sich nur lächerlich und erreichen das Gegenteil ihrer eigentlichen Absichten. Die fehlende Akzeptanz von Vertretern von Autoritäten in vielen Bereichen, die sie sich sogar in verbaler und physischer Gewalt gegenüber Personen von Ämtern, Polizei und Rettungsdiensten äußert, macht mich schon nachdenklich. Die Schändung der Gedenktafeln für das Grundgesetz steht meiner Meinung nach auf gleicher Stufe zu öffentlichen Bücherverbrennungen in brauner Vorzeit. Die selbsternannte „Letzte Generation“ ist wirklich das Letzte...

Berlin, Opernplatz, Bücherverbrennung (Bundesarchiv, Bild 102-14597 Georg Pahl / CC-BY-SA 3.0)

Mitglieder der „Letzten Generation“ beschmieren vor dem Bundestag das Denkmal „Grundgesetz 49“ (Foto: Florian Boillot)

Kapitel 3 Vor hundert Jahren

Das Jahr 1923 wird in der Geschichtsschreibung der Deutschen ebenfalls als Krisenjahr bezeichnet. Zwei Ereignisse sind die Ursachen dafür. Gemeint sind die Inflation und die Ruhrbesetzung durch die Franzosen. Beide Themen sind historisch schon zur Genüge abgehandelt worden. Auf Ursachen und Folgen möchte ich daher hier nicht direkt eingehen. Vielmehr interessiert mich die Rolle des kleinen Mannes im täglichen Leben in unserer Stadt. Und da ergeben sich für mich neue Erkenntnisse über meinen Opa August Gahr, den ich in meinem ersten Buch kurz beschrieben habe. Zur Erinnerung fasse ich ein paar Daten über August Gahr zusammen. Geboren am 13.03.1880 in Schöntal (Westpreußen), dient er als Berufssoldat in der kaiserlichen Armee und wird im Ersten Weltkrieg hoch dekoriert. Nach dem Krieg wechselt er die Seiten und wird Gewerkschaftssekretär und Kommunist. Westpreußen wird Anfang der 1920er Jahre polnisch und viele Deutsche verlassen das Land, so auch Opa August mit der Ehefrau Selma und deren unehelichen Sohn Walter, meinem Vater. Wann dieser adoptiert wird, ist nicht bekannt. Ab 15.08.1921 in Witten gemeldet, setzt August seine politische Karriere fort, trotz Berufsbezeichnungen wie Privat-Beamter oder Invalide. Die Familie wohnt zunächst bei Verwandten in der Ardeystraße 188, dann zieht sie zur Ardeystraße 30 und kurzfristig zur Breite Straße 82. Seit Ende 1937 ist die Familie in der Straße Königsholz gemeldet.

Im Folgenden berichte ich nun über die sich in der Zwischenzeit ergebenen Neuigkeiten in Bezug auf Opa August Gahr.

Das Stadtarchiv Witten veröffentlicht im Dezember 2022 einen Online-Adventskalender, der aus dem Digitalen Zeitungsportal NRW generiert ist. An jedem Tag in der Vorweihnachtszeit wird daraus ein Ereignis mit gleichem Datum aus der Vorkriegszeit vorgestellt. In dem Kalenderblatt vom 12.12.2022 berichtet das Wittener Tageblatt vom 12.12.1923 über einen „Umzug der Erwerbslosen der Stadt Witten“ quer durch die Innenstadt mit anschließender Kundgebung auf dem Marktplatz. Die rund 800 Teilnehmer führten Schilder mit. Deren Aufschriften wie: „Wir haben Hunger“ , „Gebt uns Arbeit und Brot“ zeugen von der akuten Not in der französischen Ruhrbesetzung und der gerade beendeten Inflation. Ansprachen werden von den Herren Attelmann, Gahr und Sicher gehalten. Hauptthema ist der Protest gegen eine geplante Abfindung des Hauses Hohenzollern. Eine Resolution dagegen wird dem Oberbürgermeister übergeben, der sie weiterreichen will. Nach der Beschlagnahme des Besitzes der Adelsfamilie durch den Staat zieht sich eine jahrelange Debatte hin bis zu einem Volksentscheid. Der genannte Herr Sicher fällt durch seinen alkoholisierten Zustand auf und wird von den versammelten Erwerbslosen am Weiterreden gehindert. Diese Tatsache passt zu der Aussage meines Vaters über das politische Schaffen seines Vaters und den Begleiterscheinungen. Auf den Zusammenkünften mit seinen Politkameraden wird erheblich dem Alkohol zugesprochen. Ob es dementsprechend eine Schnapsidee ist, eine eigene Partei zu gründen, kann ich nicht beurteilen. Immerhin erringt diese „Wirtschaftliche Arbeiter-Vereinigung (Attelmann)“ später bei der Stadtverordnetenwahl 1929 in Witten 124 von 34853 gültigen Stimmen.

Dem von staatlicher Seite ausgerufenen „Passive Widerstand“ wird auch in Witten Folge geleistet. Die Glasfabrik Müllensiefen legt ihre Anlagen still und entlässt die Arbeiter mit einer Abfindung von 400 Mark. In der Festschrift von 1925 zum hundertjährigen Firmenjubiläum der Glasfabrik findet sich auf Seite hierüber eine interessante Passage:

„Die Arbeiterschaft, während langer Arbeitslosigkeit zu kärglicher Arbeitslosenunterstützung verurteilt, war in dieser Zeit der schlimmsten Inflationsperiode einer systematischen Bearbeitung von kommunistischer Seite ausgesetzt mit dem ausgesprochenen Zweck, Unruhen und gewaltsamen Umsturz herbeizuführen. Die Wühlarbeit konnte um so ausgedehnter erfolgen, als sie sich mit teils offenkundiger, teils stillschweigender Billigung der Besatzung vollzog. Es spricht für den gesunden Sinn der Arbeiterschaft der Glasfabrik, dass sie diesen Einflüsterungen kein Gehör geschenkt hat und sich von den anderwärts in dieser Zeitvorkommenden Treibereien fernhielt.“

August Gahr ist bei der Glasfabrik beschäftigt, eine Tatsache, die bisher nicht bekannt ist. Die Ausgleichszahlung wird ihm aber nicht gezahlt bei seiner Entlassung. Es wird argumentiert, er sei wegen politischer Umtriebe entlassen worden und nicht als Folge des passiven Widerstandes Er gehört offensichtlich zu dem angesprochenen Personenkreis. Des Weiteren hat er, wie andere Kommunisten auch, ein franzosenfreundliches Verhalten gegenüber der Besatzungsmacht gezeigt. Diese gibt ihm auch tatsächlich recht und erlässt einen Zahlungsbefehl an die Stadt Witten in Höhe von 422,40 Mark einschließlich Zinsen. Die Stadt geht ihrerseits bis vor das Reichswirschaftsgericht, um das Geld zurückzufordern. Das hohe Gericht entscheidet zugunsten meines Opas. Er braucht das Geld nicht zurückzahlen. Seitdem ist er erwerbslos und er engagiert sich für die Belange der Erwerbslosen. Die Geschichte über seine Ausweisung aus der besetzten Ruhrzone ist durch Akten nicht zu belegen. Die deutschen Behörden können keine deutschen Staatsbürger ausweisen. Wahrscheinlich wird August Gahr von seinen Genossen bedrängt, eine gewisse Zeit unterzutauchen, bis sich die Wogen ein wenig geglättet haben. Die Aussage meines Vaters, dass er und seine Mutter in diesen Tagen von der „Roten Hilfe“ mit Lebensmitteln versorgt werden, ist sehr glaubwürdig. Diese der KPD nahestehende politische Organisation verstand sich als proletarisches Rotes Kreuz und unterstützte ihre Genossen materiell und auch bei juristischen Problemen.

Wie sehr August Gahr in dieser Zeit in die Strukturen der KPD eingebunden ist, kann ich mit einer weiteren Zeitungsnotiz belegen. Sie stammt aus der westfälischen Arbeiter-Zeitung vom 17.05.1923. Das ist die Parteizeitung der KPD für die hiesige Region. Es wird über einen Vorfall auf der wohl kommunalen Baustelle der Siedlung Königsholz berichtet. Dort sind viele Stellen mit Arbeitslosen im Rahmen der staatlichen Arbeitsbeschaffungsmaßnahme als Notstandsarbeiter besetzt. Zusätzlich zu den staatlichen Fürsorgeleistungen erhalten diese Erwerbslosen einen geringen Lohn für ihre Tätigkeiten. Hier wird ein Arbeiter dieser Gruppe von dem Bauunternehmer wohl zu Unrecht nach einer patzigen Frage an Ort und Stelle entlassen. Der Arbeitslosenrat Gahr, der auch auf der Baustelle tätig ist, wird eingeschaltet und er schickt den Mann zum Gewerkschaftsvorsitzenden. Dieser hat offenbar weder Zeit noch Lust, sich um die Angelegenheit zu kümmern. Zurück auf der Baustelle erreicht August Gahr die Rücknahme der Entlassung. In dem Zeitungsartikel folgt dann eine üble Beschimpfung des Gewerkschaftsvorsitzenden, der bekanntlich SPD Mitglied ist.